© 2018 Deutscher Bundestag WD 1 - 3000 - 026/17 Minderheitsregierungen in der Bundesrepublik Deutschland seit 1949 Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 026/17 Seite 2 Minderheitsregierungen in der Bundesrepublik Deutschland seit 1949 Aktenzeichen: WD 1 - 3000 - 026/17 Abschluss der Arbeit: 12. Dezember 2017 Fachbereich: WD 1: Geschichte, Zeitgeschichte und Politik Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 026/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Minderheitsregierungen auf Bundes- und Landesebene seit 1949 4 2. Übersicht: Minderheitsregierungen im Bund und in den Ländern seit 1949 6 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 026/17 Seite 4 1. Minderheitsregierungen auf Bundes- und Landesebene seit 1949 Von 1949 bis heute konnten in der Bundesrepublik insgesamt 31 Regierungen auf Bundes- oder Länderebene identifiziert werden, die im Parlament über keine eigene Mehrheit verfügten. Im Bund gab es diese Regierungsweise insgesamt viermal, in den Ländern 27-mal. Auf Bundesebene gab es Minderheitsregierungen ohne absolute Mehrheit im Parlament bisher sehr selten und sie waren auch nur für kurze Zeit im Amt. Sie wurden zumeist innerhalb einer Legislaturperiode nach dem – zwischenzeitlichen oder endgültigen – Rückzug eines Koalitionspartners aus einer Koalitionsregierung gebildet. Ihre Amtszeit war immer auf nur wenige Wochen begrenzt. Bisher verlor eine amtierende Bundesregierung erst viermal ihre absolute Mehrheit im Deutschen Bundestag: 1962 in der 4. Wahlperiode (1961-1965) aufgrund des (vorrübergehenden) Rückzugs der FDP-Bundesminister aus dem 4. Kabinett Adenauer; 1966 in der 5. Wahlperiode (1965-1969) infolge des Rücktritts der FDP-Bundesminister aus dem 2. Kabinett Erhard, 1972 in der 6. Wahlperiode (1969-1972) infolge von Fraktionswechseln (wobei jedoch die sozialliberale Koalition unter Anrechnung der Berliner Abgeordneten ihre absolute Mehrheit (Geschäftsordnungsmehrheit ) behielt) sowie 1982 in der 9. Wahlperiode (1980-1983) als Folge der Entlassung der FDP-Minister im 3. Kabinett Schmidt. Als „echte“ Minderheitsregierungen auf Bundesebene gelten nur die Regierung Erhard im Oktober/November 1966 sowie die Regierung Schmidt im September/Oktober 1982. Außer im Bund gab es bislang in neun Bundesländern Regierungen, die im Parlament keine eigene parlamentarische Mehrheit hatten. In, Hamburg, Hessen, Niedersachsen und NRW war dies viermal, in Berlin und Schleswig-Holstein dreimal, im Saarland und in Sachsen-Anhalt zweimal sowie in Brandenburg einmal der Fall. Sieben Bundesländer wurden bisher noch nie von einer Minderheitsregierung regiert, und zwar Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern , Rheinland-Pfalz, Sachsen und Thüringen. Die Minderheitsregierungen waren im Schnitt 300 Tage im Amt. Die längsten Regierungszeiten wiesen die beiden von Reinhold Höppner zwischen 1994 und 2002 SPD-geführten Minderheitsregierungen des sog. „Magdeburger Modells“ mit 1452 bzw. 1406 Tagen Amtszeit auf. Die kürzeste Amtszeit hatte die von NRW Ministerpräsident Franz Meyers Ende 1966 geführte CDU-Minderheitsregierung , die nach nur 8 Tagen Amtszeit durch ein konstruktives Misstrauensvotum von einer sozialliberalen Koalition unter Heinz Kühn abgelöst wurde. Die Minderheitsregierungen auf Landesebene waren mit durchschnittlich 333 Tagen erheblich länger im Amt als die Minderheitsregierungen auf Bundesebene mit durchschnittlich 80 Tagen. Die Union führte insgesamt 14-mal – 13-mal alleine, einmal mit einem Koalitionspartner – eine Minderheitsregierung an. Die SPD war 17-mal an einer Minderheitsregierung beteiligt, davon sechsmal mit einem Koalitionspartner. Insgesamt wurden 25 der 31 Minderheitsregierungen von einem der beiden großen Parteien alleine gebildet. Die von der Union geführten Minderheitsregierungen regierten durchschnittlich 209 Tage (Bund 30, Länder 239), die SPD-geführten Minderheitsregierungen 375 Tage Anlässe für die Bildung einer Minderheitsregierung waren die Beendigung einer bestehenden Regierungskoalition durch einen oder mehrere Koalitionspartner (13-mal), eine fehlende Mehrheit nach Neuwahlen (12-mal), die (in Aussicht gestellte) Tolerierung eines Minderheitskabinettes durch eine andere Parlamentsfraktion (siebenmal) sowie der Verlust der parlamentarischen Mehrheit nach dem Partei- und Fraktionswechsel einzelner Abgeordneter (viermal). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 026/17 Seite 5 Bislang folgte auf eine Minderheitsregierung fast immer eine Mehrheitsregierung. Nur 1984 in Hessen und 1998 in Sachsen-Anhalt folgte auf eine Minderheitsregierung eine weitere Minderheitsregierung . In der überwiegenden Zahl der Fälle (19-mal) führten Union bzw. SPD auch nach einer von ihnen jeweils geführten Minderheitsregierung die nachfolgende (Mehrheits-) Regierung allein oder mit einem oder mehreren Koalitionspartnern an. Fünfmal wurde eine Unions- oder SPD-geführte Minderheitsregierung von einer Regierung der Großen Koalition abgelöst. Siebenmal kam es zu einem Machtwechsel, weil die Volkspartei, die die Minderheitsregierung führte, in die Opposition wechselte. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 026/17 Seite 6 2. Übersicht: Minderheitsregierungen im Bund und in den Ländern seit 1949 Ebene Beginn Ende Tage Grund beteiligte Parteien Nachfolge-regierungen *) Bund 19.11.1961 14.12.1961 26 Beendigung der Koalition CDU/CSU CDU/CSU- FDP Me Bund 28.10.1966 30.11.1966 34 Beendigung der Koalition CDU/CSU CDU/CSU- SPD Me Bund 17.05.1972 15.12.1972 244 Verlust der Mehrheit nach Partei - und Fraktionswechsel SPD-FDP SPD-FDP Me Bund 17.09.1982 01.10.1982 15 Beendigung der Koalition SPD CDU/CSU- FDP Me Berlin 11.06.1981 17.03.1983 645 tolerierte Minderheitsregierung CDU CDU-FDP Me Berlin 19.11.1990 24.01.1991 67 Beendigung der Koalition SPD CDU-SPD Me Berlin 16.06.2001 17.01.2002 216 Beendigung der Koalition tolerierte Minderheitsregierung SPD SPD-PDS Me Brandenburg 22.03.1994 11.10.1994 204 Beendigung der Koalition SPD-FDP SPD Me Hamburg 23.06.1982 02.02.1983 225 keine Mehrheit nach Neuwahl SPD SPD Me Hamburg 24.03.1987 02.09.1987 163 keine Mehrheit nach Neuwahl SPD SPD Me Hamburg 18.12.2003 17.03.2004 91 Verlust der Mehrheit nach Partei - und Fraktionswechsel Beendigung der Koalition CDU-PRO CDU Me Hamburg 29.11.2010 07.03.2011 99 Beendigung der Koalition CDU SPD Me Hessen 01.12.1982 07.06.1984 554 keine Mehrheit nach Neuwahl SPD SPD Mi Hessen 07.06.1984 12.12.1985 561 tolerierte Minderheitsregierung SPD SPD- Grüne Me Hessen 09.02.1987 24.04.1987 75 Beendigung der Koalition SPD CDU-FDP Me Hessen 03.04.2008 05.02.2009 306 keine Mehrheit nach Neuwahl CDU CDU-FDP Me Niedersachsen 23.08.1950 13.06.1951 295 Beendigung der Koalition SPD-DZP SPD-Z- GB/DHE Me Niedersachsen 06.02.1976 19.01.1977 339 Beendigung der Koalition CDU CDU Me Niedersachsen 02.09.1989 21.06.1990 293 Verlust der Mehrheit nach Partei - und Fraktionswechsel CDU SPD- B90/G Me Niedersachsen 04.08.2017 22.11.2017 111 Verlust der Mehrheit nach Partei - und Fraktionswechsel SPD- B90/G SPD-CDU Me NRW 27.07.1950 15.09.1950 51 keine Mehrheit nach Neuwahl CDU CDU-Z Me NRW 01.12.1966 08.12.1966 8 Beendigung der Koalition CDU SPD-FDP Me NRW 01.06.1995 06.07.1995 36 keine Mehrheit nach Neuwahl SPD SPD- B90/G Me NRW 14.07.2010 20.06.2012 708 keine Mehrheit nach Neuwahl tolerierte Minderheitsregierung SPD- B90/G SPD- B90/G Me Saarland 13.07.1975 01.03.1977 598 keine Mehrheit nach Neuwahl tolerierte Minderheitsregierung CDU CDU-FDP Me Saarland 18.01.2012 09.05.2012 113 Beendigung der Koalition CDU CDU-SPD Me Sachsen-Anhalt 21.07.1994 26.05.1998 1406 keine Mehrheit nach Neuwahl tolerierte Minderheitsregierung SPD- B90/G SPD Mi Sachsen-Anhalt 26.05.1998 16.05.2002 1452 keine Mehrheit nach Neuwahl tolerierte Minderheitsregierung SPD CDU-FDP Me Schleswig- Holstein 21.10.1962 07.01.1963 79 Beendigung der Koalition CDU CDU-FDP Me Schleswig- Holstein 02.10.1987 31.05.1988 243 keine Mehrheit nach Neuwahl CDU SPD Me Schleswig- Holstein 17.03.2005 27.04.2005 42 keine Mehrheit nach Neuwahl SPD CDU-SPD Me *) Me: Mehrheitsregierung, Mi: Minderheitsregierung