© 2019 Deutscher Bundestag WD 1 - 3000 - 020/19 Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit gegenüber Langzeitarbeitslosen in Deutschland Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 020/19 Seite 2 Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit gegenüber Langzeitarbeitslosen in Deutschland Aktenzeichen: WD 1 - 3000 - 020/19 Abschluss der Arbeit: 30. August 2019 Fachbereich: WD 1: Geschichte, Zeitgeschichte und Politik Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 020/19 Seite 3 1 Vorbemerkung Seit den 1970er Jahren entwickelte sich Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik zu einem „Dauerproblem , welches zudem durch das verstärkt auftretende Phänomen der Langzeitarbeitslosigkeit verschärft wurde.“1 Tauchten Langzeitarbeitslose somit bereits in den 1980er-Jahren „als neue Randschicht auf“2, wuchs die öffentliche Aufmerksamkeit für die damit einhergehende soziale Desintegration insbesondere mit den vehementen Debatten über die sogenannten Hartz-IV-Gesetze 2003/2004. Empirische Daten der gesellschaftlichen Abwertung von Langzeitarbeitslosen wurden umfassend im Rahmen einer Langzeituntersuchung des Bielefelder Instituts für interdisziplinäre Konfliktund Gewaltforschung (IKG) zur „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF)“ erhoben. Von 2002 bis 2011 untersuchte eine Forschergruppe unter der Leitung des Soziologen Wilhelm Heitmeyer mittels repräsentativer Befragungen die Entwicklung der „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit “ in Deutschland und veröffentlichte die Ergebnisse jährlich in der Reihe „Deutsche Zustände“.3 Seit 2014 führt das IKG unter der Leitung von Andreas Zick die Untersuchung im Rahmen der „Mitte-Studie“ der Friedrich-Ebert-Stiftung fort.4 2007 untersuchte die Bielefelder Studie erstmals die Abwertung von Langzeitarbeitslosen als eigenes GMF-Element. Ausgehend von der Erkenntnis, dass Langzeitarbeitslose und Hartz-IV-Empfänger verstärkt zu Objekten gesellschaftlicher Abwertung werden, wurde die Umfrage um entsprechende Aussagen ergänzt.5 Die aktuelle „Mitte-Studie“ von 2018/19 präsentiert einen grafischen Überblick über die Entwicklung dieses GMF-Elements seit 2007.6 Die Autoren weisen jedoch zugleich darauf hin, dass unter anderem wegen der unterschiedlichen Stichprobenzusammensetzung zwischen 2002 und 2011 sowie 2014 und 2018/19 „ein direkter Vergleich nur eingeschränkt möglich “ sei.7 Vor diesem Hintergrund fasst die Studie die Entwicklung folgendermaßen zusammen: 1 Klaus Neumann: Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik. Öffentlicher Umgang mit einem Dauerproblem. Marburg 2013, S. 1. 2 Rainer Geißler: Die Sozialstruktur Deutschlands. Zur gesellschaftlichen Entwicklung mit einer Bilanz zur Vereinigung , 5., durchges. Aufl. Wiesbaden 2008, S. 213. 3 Vgl. Wilhelm Heitmeyer: Deutsche Zustände. Folge 1-10. Frankfurt a. M. 2002-2012. 4 Vgl. Andreas Zick/Anna Klein: Fragile Mitte – Feindselige Zustände Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2014. Bonn 2015, S. 6. 5 Es wurde gefragt, inwiefern die Befragten den Aussagen zustimmen: 1) „Die meisten Langzeitarbeitslosen sind nicht wirklich daran interessiert, einen Job zu finden.“ 2) „Ich finde es empörend, wenn sich die Langzeitarbeitslosen auf Kosten der Gesellschaft ein bequemes Leben machen.“ Heitmeyer: Deutsche Zustände 6 (2008), S. 30. 6 Andreas Zick/Beate Küpper/Wilhelm Berghan: Verlorene Mitte – Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2018/19. Bonn 2019, S. 84. 7 Ebd., S. 79. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 020/19 Seite 4 „Im Vergleich dazu [einem Rückgang der Abwertung Obdachloser] hat sich die Abwertung von Langzeitarbeitslosen verfestigt beziehungsweise ist sie sogar angestiegen. Sowohl in 2014, 2016, als auch 2018/19 weist rund die Hälfte der deutschen Bevölkerung negative Einstellungen gegenüber dieser Gruppe auf. Mit 52,3 % ist die Zustimmung zur Abwertung von langzeitarbeitslosen Menschen auf dem Niveau von 2008 beziehungsweise im Erhebungszeitraum 2018/19 streng genommen der höchstgemessene Wert, seit dieses Element im Rahmen der Studien zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit erhoben wird.“8 Ein weitergehender Vergleich der Entwicklung mehrerer GMF-Elemente ist allerdings nur unter Einschränkungen möglich. Die Vergleichbarkeit wird zudem dadurch erschwert, dass diese nicht mit gleichwertigen, das heißt gleich scharf oder subtil formulierten und damit unmittelbar vergleichbaren Aussagen gemessen werden.9 Der Erziehungswissenschaftler Kurt Möller beschreibt zentrale Ergebnisse der GMF-Studien folgendermaßen: „Insgesamt sind für die Zustimmungswerte zu den einzelnen Facetten über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg altersgruppenübergreifend keine linearen Verläufe, sondern Auf- und Abwärtstrends zu registrieren. Ein Rückgang deutet sich für die Gesamtpopulation allerdings für Sexismus, Homosexuellenabwertung und – schwächer – auch für Antisemitismus an. […] Zuletzt angestiegen sind Werte bei solchen Facetten, die sich auf ‚Gruppen‘ beziehen, ‚die das Stigma der ‚verminderten Leistungsfähigkeit‘ und ‚ökonomischen Nutzlosigkeit‘ tragen‘. Dabei zeigt sich die zunehmende ökonomistische Prägung von Selbstverortung, Lebensgestaltung sowie auch Ablehnungsadressierung und -begründung keinesfalls in besonderem Maße oder mehrheitlich bei ökonomischen ‚Verlierern‘.“10 Die nachfolgende Dokumentation enthält Auszüge aus den erwähnten GMF-Studien sowie Zeitungsartikel , in denen Wilhelm Heitmeyer die Studienergebnisse präsentiert. Darüber hinaus sind Auszüge aus zwei neueren regionalen Studien zu Bayern und Thüringen beigefügt, in denen die Abwertung von Langzeitarbeitslosen berücksichtigt wird. 2 Dokumentation Heitmeyer: Deutsche Zustände 2008, S. 25-36; 217-232 Heitmeyer: Deutsche Zustände 2010, S. 13-33; 227-237 Heitmeyer: Zeitungsartikel zu den Studienergebnissen Zick/Küpper/Berghan: Verlorene Mitte – Feindselige Zustände, S. 53-84 Fröhlich/Ganser/Köhler: Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in Bayern, S. 26-54 Thüringen-Monitor 2018, S. 120-142 *** 8 Ebd., S 81. 9 Vgl. IKG Bielefeld: Presseinformation „Deutsche Zustände – das entsicherte Jahrzehnt“. S. 7. Online verfügbar unter: https://www.uni-bielefeld.de/ikg/Handout_Fassung_Montag_1212.pdf (abgerufen am 28. August 2019). 10 Kurt Möller: Entwicklung und Ausmaß gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. In: Albert Scherr u.a. (Hg.): Handbuch Diskriminierung. Wiesbaden 2017, S. 425-447, hier: S. 429f.