© 2017 Deutscher Bundestag WD 1 - 3000 - 018/17 Entstehungsgeschichte der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld (BMH) Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 - 3000 - 018/17 Seite 2 Entstehungsgeschichte der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld (BMH) Aktenzeichen: WD 1 - 3000 - 018/17 Abschluss der Arbeit: 2. November 2017 Fachbereich: WD 1: Geschichte, Zeitgeschichte und Politik Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 - 3000 - 018/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Chronologie 4 3. Vermögensverwaltung von Bundesstiftungen 7 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 - 3000 - 018/17 Seite 4 1. Einleitung Im Folgenden wird die Entstehungsgeschichte der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld (BMH) von Ende 2000 bis Ende 2011 aus parlamentarischer Perspektive nachgezeichnet. Für die Chronologie wurde auf Drucksachen des Deutschen Bundestages und auf Presse-Artikel zurückgegriffen. Die Stiftung wurde am 27. Oktober 2011 von der Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesministerium der Justiz, errichtet. Sie ist nach dem Arzt, Sexualforscher und Mitbegründer der ersten deutschen Homosexuellenbewegung Magnus Hirschfeld (1868-1935) benannt und dient nach eigener Aussage dem Ziel, „an Magnus Hirschfeld zu erinnern, Bildungs- und Forschungsprojekte zu fördern und einer gesellschaftlichen Diskriminierung von Lesben, Schwulen , Bisexuellen, Transsexuellen, trans- und intergeschlechtlichen sowie queeren Personen (Abkürzung : LSBTTIQ) in Deutschland entgegenzuwirken“.1 Gemäß dem erweiterten Auftrag wurde zudem anhand von fünf exemplarischen Beispielen die Anlagepraxis von Stiftungsvermögen vergleichend zusammengestellt. Dabei wurden öffentlich zugängliche Angaben zu getätigten Vermögensanlagen, Kosten der Anlage, Erträge etc. gesammelt und tabellarisch aufgelistet. 2. Chronologie 7. Dezember 2000 Der Deutsche Bundestag verabschiedet einstimmig zwei Anträge zur „Rehabilitierung der im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen“ und deren Entschädigung.2 Darin wird die Bundesregierung unter anderem aufgefordert, „Vorschläge zu entwickeln, wie Lücken bei der Entschädigung , Rückerstattung und beim Rentenschadensausgleich für homosexuelle NS-Opfer geschlossen werden können. Dabei ist heute vor allem an einen kollektiven Ausgleich zu denken, der die Anerkennung des Unrechts verdeutlicht und der Förderung homosexueller Bürger- und Menschenrechtsarbeit gewidmet ist (z.B. in Form einer Stiftung in Gedenken an Magnus Hirschfeld, einer Preisverleihung und ähnlicher Maßnahmen)“. 27. Juni 2002 Mit den Stimmen der von SPD und Bündnis 90/Die Grünen stimmt der Deutsche Bundestag mehrheitlich für das „Gesetz zur Errichtung einer Magnus-Hirschfeld Stiftung“.3 Die CDU/CSU- Fraktion stimmt dagegen, die FDP-Fraktion enthält sich. Bei der PDS-Fraktion gibt es eine Enthaltung .4 1 http://mh-stiftung.de/ueber-die-stiftung/ 2 http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/14/048/1404894.pdf 3 http://pdok.bundestag.de/extrakt/ba/WP14/572/57294.html 4 http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/14/14245.pdf#P.24782 S. 24782. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 - 3000 - 018/17 Seite 5 Der Abgeordnete Jürgen Gehb (CDU/CSU) erläuterte in seiner zu Protokoll gegebenen Rede5: (…) die Bereitschaft meiner Fraktion war gegeben, eine Magnus-Hirschfeld-Stiftung auf den Weg zu bringen. (…) So unstreitig die Stiftung als solche ist, so streitig sind die Details.“ Die Ausgestaltung des Gesetzes, insbesondere die Verteilung der Sitze im Kuratorium der Stiftung an Verbandsvertreter , sei ohne öffentliche Debatte verlaufen. Vielmehr seien einzelne Verbandsinteressen über den ideellen Zweck des Stiftungsanliegens gestellt worden. Dabei hätten insbesondere die vom Abgeordneten Volker Beck (Bündnis90/Die Grünen) unterstützten Verbände eine Rolle gespielt: „Uns liegt mit diesem Gesetzentwurf eine ‚Lex Beck‘ vor – und die Sozialdemokraten haben es durchgehen lassen“, so der Abgeordnete Jürgen Gehb.6 Der FDP-Abgeordnete Jörg van Essen begründet die Enthaltung seiner Fraktion: „Insbesondere Bündnis90/Die Grünen beharrten auf der Forderung, dass dem LSVD (Lesben- und Schwulenverband Deutschland, Anm. d. Verf.) und der ILGA (International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association, Anm. d. Verf.) als einzigen Verbänden je zwei Kuratoriumsmitglieder zustehen , während alle anderen Verbände nur je einen Vertreter entsenden dürfen. Der FDP war wichtig, dass alle Verbände gleichberechtigt im Kuratorium vertreten sind.“7 Der Abgeordnete Margot von Renesse (SPD) verteidigt die bevorzugte Vergabe von zwei Sitzen im Kuratorium an bestimmte Verbände. Damit habe man die Repräsentanz von Frauen erhöhen wollen : „Die Verbände nämlich, die eine nicht nur mikroskopisch kleine Anzahl weiblicher Mitglieder aufweisen, haben je zwei Sitze.“ 8 Der Abgeordnete Volker Beck (Bündnis90/Die Grünen) weist die Kritik der Opposition zurück. Die Union sei zum Konsens nicht bereit gewesen und habe im Haushaltsausschuss ihre Zustimmung mit Verweis auf die Haushaltslage des Bundes verweigert: „Im Klartext heißt das doch: Die Union will die Stiftung gar nicht. Ich habe den Eindruck, Sie wollen sich aus dem Konsens vom Dezember 2000 stehlen. Um das zu bemänteln, bauen Sie eine wüste Vorwurfskulisse auf.“9 Die PDS-Abgeordnete Christina Schenk bemängelt ebenfalls eine unausgewogene Besetzung des Kuratoriums: „Die überproportionale Präsenz des Teils des politischen Spektrums, der durch den LSVD und die ihm nahe stehenden Organisationen repräsentiert wird, begründet den Verdacht, dass die Stiftung dem überproportionalen Einfluss eben dieser politischen Richtung ausgesetzt sein wird.“10 27. September 2002 Der Bundesrat beschließt mehrheitlich, den Vermittlungsausschuss anzurufen mit dem Ziel, das 5 Alle im Folgenden zitierten Reden wurden zu Protokoll gegeben. 6 http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/14/14245.pdf#P.24782 S.24798. 7 http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/14/14245.pdf#P.24782 S. 24800. 8 Ebd. S. 24797. 9 Ebd. S.24799. 10 Ebd. S. 24801. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 - 3000 - 018/17 Seite 6 „Gesetz zur Errichtung einer Magnus-Hirschfeld Stiftung“ grundsätzlich zu überarbeiten. Als Gründe werden die unausgewogene Kuratoriumsbesetzung, der unklare Stiftungsauftrag und die fehlende Bezugnahme auf die historische „Dr. Magnus-Hirschfeld Stiftung“ genannt.11 18. Juni 2004 Der Deutsche Bundestag lehnt einen Gesetzentwurf der FDP-Fraktion zur „Errichtung einer „Magnus-Hirschfeld-Stiftung“, in dem Bezug auf die Initiative von 2002 genommen wird, mehrheitlich ab.12 Oktober 2009 Auf Initiative der FDP findet der Vorschlag, eine Magnus-Hirschfeld Stiftung zu errichten, Eingang in den Koalitionsvertrag mit CDU und CSU.13 12. November 2010 Der Haushaltsauschuss des Deutschen Bundestages beschließt, 10 Millionen Euro als Stiftungskapital für eine Magnus-Hirschfeld-Stiftung bereitzustellen.14 Nach der Sitzung teilt die damalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger mit, Ziel sei „die weitere historische Aufarbeitung der nationalsozialistischen Homosexuellenverfolgung und des späteren Umgangs mit den Opfern“.15 31. August 2011 Das Bundeskabinett beschließt die Gründung der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld.16 Volker Beck, menschenrechtspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis90/Die Grünen, kritisiert die Entscheidung als „Ergebnis von Hinterzimmerpolitik ohne Beteiligung der Öffentlichkeit oder des Parlaments“.17 Zudem sei der ursprüngliche Stiftungszweck „kastriert“ worden: „Wir wollten damals keine Stiftung, die im Wesentlichen wissenschaftlich forscht. Denn die Probleme sind menschenrechtlicher Art, nicht wissenschaftlich-historischer“, so Beck.18 Der FDP-Abgeordnete Mi- 11 http://dipbt.bundestag.de/doc/brp/780.pdf#P.452 S. 452 12 http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/15/004/1500473.pdf „Parlament lehnt die Errichtung einer Magnus- Hirschfeld Stiftung ab“, Das Parlament, 21.6.2004 (siehe Presse-Anhang) 13 Vgl. „Schwarz-gelbe Koalition macht einen auf rosa“, taz, 26.10.2009 (siehe Presse-Anhang) 14 Vgl. „Inland in Kürze“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 13.11.2010 (siehe Presse-Anhang) 15 Ebd. 16 Vgl. „Bund gründet Hischfeld-Stiftung“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1.9.2011 (siehe Presse-Anhang) 17 Vgl. „Regierung fördert Homoforschung. Die Magnus-Hirschfeld-Stiftung soll Bildung und Wissenschaft im Bereich Homosexualität fördern“, taz, 1.9.2011. (siehe Presse-Anhang) 18 Ebd. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 - 3000 - 018/17 Seite 7 chael Kauch verteidigt hingegen die Entscheidung. Es werde selbstverständlich nicht nur Geschichtswissenschaft gefördert, sondern auch wissenschaftliche Arbeiten, die sich mit der Lebenswirklichkeit von Schwulen und Lesben in Deutschland heute beschäftigten.19 4. November 2011 Auf die schriftliche Frage des Abgeordneten Volker Beck (Bündnis90/Die Grünen) nach den Hintergründen für die im Kabinett am 26. Oktober 2011 beschlossene Änderung des Satzungsentwurfs für die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld antwortet der Parlamentarische Staatssekretär Max Stadler: „Aus den Reihen des Deutschen Bundestages ist der Wunsch an die Bundesregierung herangetragen worden, die Regelungen in den §§ 6 und 7 des Satzungsentwurfs, die sich mit der Benennung der Mitglieder für das Kuratorium durch den Deutschen Bundestag befassen, zu ändern. Mit dem Beschluss des Kabinetts vom 26. Oktober 2011 wurden die entsprechenden Änderungen zustimmend zur Kenntnis genommen, nach denen nicht nur jede Fraktion einen Vertreter ins Kuratorium entsendet, sondern auch die Mehrheitsverhältnisse möglichst abgebildet werden.“20 10. November 2011 Die Bundesregierung antwortet auf die Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis90/Die Grünen, bei der es unter anderem um die Gründe für die Errichtung der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld in privatrechtlicher Rechtsform geht: „Die Bundesregierung hat sich für eine privatrechtliche Stiftung entschieden, weil diese Rechtsform mit Blick auf die Zwecke, die verfolgt werden sollen, nach ihrer Auffassung geeigneter ist. Die Selbstständigkeit der handelnden Organe einer bürgerlich -rechtlichen Stiftung ermöglicht eine breite gesellschaftliche Anerkennung der Stiftungsarbeit . Als privatrechtliche Stiftung bindet die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld Erfahrungsträger und Kräfte aus vielen gesellschaftlichen Bereichen ein.“21 3. Vermögensverwaltung von Bundesstiftungen Nach Auskunft des Bundesministeriums der Finanzen vom 17. Oktober 2017 gibt es keine aktuelle Auflistung von Bundesstiftungen.22 In der zuletzt 2012 zusammengestellten Liste des Ministeriums sind 56 öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Stiftungen aufgeführt, an denen der Bund beteiligt ist. 19 Ebd. 20 Vgl, Drucksache 17/7584 http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/17/075/1707584.pdf 21 Vgl. Drucksache 17/7692 http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/17/076/1707692.pdf 22 In der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke vom 3. Juli 2012 heißt es: Die Bundesregierung führt keine Übersichten über Stiftungen des Bundes, Stiftungen mit Beteiligung des Bundes in Deutschland sowie über die Zahl der Vertreterinnen und Vertreter des Bundes in den jeweiligen Stiftungsgremien .“ Vgl. Drucksache 17/10227 http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/102/1710227.pdf Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 - 3000 - 018/17 Seite 8 Die Stiftungen unterliegen der staatlichen Stiftungsaufsicht, die von den Bundesländern wahrgenommen wird. Eine Veröffentlichungspflicht für Bilanzen, Vermögensverwaltung etc. besteht nicht.23 Daher obliegt es den Stiftungen, ob und wie detailliert sie in ihren öffentlichen Rechenschaftsberichten über ihre finanzielle Situation Auskunft geben. Die folgende Tabelle gibt anhand von fünf Beispielen die Anlagepraxis von Stiftungen bürgerlichen Rechts, an denen der Bund beteiligt ist, wieder: Name der Stiftung Berichts - jahr Stiftungskapital in Euro Kosten für Vermö - gensanlage in Euro Erträge Stiftungskapital in Euro Beauftragte Vermögensver - walter Art der Kapitalanlagen Deutsche Stiftung Friedensforschung 24 2015 27,06 Mio 136.350 1,9 Mio „2 Banken “ Festverz. Wertpapiere (75%), Aktien, Fondsanteile , Zertifikate , Immobilienfonds , gemäß den „Grundsätzen für die Vermögensverwal - tung“ vom 17. Juni 2015 Deutsches Forum Kriminalprävention (DFK)25 2016 2,82 Mio k.A. 33.000 Bankhaus Merck Finck & Co. k. A. Stiftung Caesar (Center of Ad- 2015 408,03 Mio k.A. 12,74 Mio k.A. “langfristig am Kapitalmarkt angelegt ” 23 Vgl. Kurzinformation: Offenlegung bei gemeinnützigen Stiftungen des bürgerlichen Rechts von WD 7 (siehe Anlage ) 24 Vgl. Jahresbericht 2015: http://www.bundesstiftung-friedensforschung.de/images/pdf/jahresberichte/jahresbericht 2015.pdf 25 Vgl. Jahresbericht 2016: https://www.kriminalpraevention.de/jahresberichte.html Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 - 3000 - 018/17 Seite 9 vanced European Studies and Research)26 Deutsche Stiftung Verbraucherschutz 27 2016 10,79 Mio k.A. 246.500 k.A. k. A. „Die Anlage des Stiftungskapitals erfolgt nach Anlagerichtlinien , die Langfristigkeit, Sicherheit und Nachhaltigkeit des Investments festlegen.“ Nationale Anti- Doping Agentur (Nada)28 2016 Keine Angabe (laufendes Budget für 2016: 9,6 Mio) k. A. 187.910 k.A. k.A. 26 https://www.caesar.de/assets/docs/pdf/jahresberichte/jahresbericht_2015_web.pdf 27 Vgl. Jahresbericht 2016: https://www.verbraucherstiftung.de/sites/default/files/pages/deutsche_stiftung_jahresbericht _2016.pdf 28 Vgl. Jahresbericht 2016: https://www.nada.de/fileadmin/user_upload/nada/Downloads/Jahresberichte /NADA_Jahresbericht_2016_DE.pdf