Zur Bedeutung der Christen in Israel - Ausarbeitung - © 2009 Deutscher Bundestag WD 1 - 3000 - 016/09 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Verfasser/in: ; Gutachter im Fachbereich WD 1 Bedeutung der Christen in Israel Ausarbeitung WD 1 - 3000 - 016/09 Abschluss der Arbeit: 11. Februar 2009 Fachbereich WD 1: Geschichte, Zeitgeschichte und Politik Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W. - 3 - Inhaltsverzeichnis Seite 1. Religionsgruppen in Israel 4 2. Zur Geschichte der Christen auf dem Gebiet des heutigen Israels 5 3. Zur gegenwärtigen Größe und Struktur der christlichen Glaubensgemeinschaften in Israel 6 3.1. Die griechisch-orthodoxe Kirche 7 3.2. Die nicht-chalcedonensischen Kirchen 7 3.3. Die lateinischen und unierten Kirchen 8 3.4. Evangelische Kirchen 10 4. Zur gegenwärtigen Situation der christlichen Gemeinschaften in Israel 10 4.1. Jüdischer Staat und Religionsfreiheit 10 4.2. Das Verhältnis der christlichen Gemeinschaften zu Staat und Gesellschaft in Israel 11 4.3. Das Verhältnis der christlichen Gemeinschaften untereinander 12 4.4. Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und dem Vatikan 13 4.5. Christliche Einwanderer aus Osteuropa 14 4.6. Zur Situation der Christen in den Palästinensergebieten 15 5. Literatur 16 - 4 - 1. Religionsgruppen in Israel Die israelische Staatsangehörigkeit wird durch Geburt, Aufenthalt oder Einbürgerung erworben; auch der Erwerb einer doppelten Staatsangehörigkeit ist möglich. Obwohl Israel als jüdischer Staat gegründet wurde, der Juden auf und aus der ganzen Welt eine Heimat bieten und sie vor Verfolgung schützen soll, ist die moderne israelische Gesellschaft nicht nur vom Judentum geprägt, sondern durch das Nebeneinander zahlreicher ethnischer Gruppen, Religionen, Kulturen, Traditionen und Lebensstile gekennzeichnet (s. Tabelle 1). Als großes Einwanderungsland hat Israel im Laufe der Zeit viele verschiedene kulturelle und soziale Strömungen sowie verschiedenartige Ideologien und Anschauungen aufgenommen.1 Obwohl nach israelischem Gesetz alle Bürgerinnen und Bürger unabhängig von Religion , Volkszugehörigkeit o.ä. gleichberechtigt sind, weist die multi-ethnische, multikulturelle , multireligiöse und multilinguale israelische Gesellschaft ein hohes Maß an informeller sozialer Segregation auf. So gibt es in Israel eine Vielzahl von Bevölkerungsgruppen , die innerhalb der Gesamtgesellschaft ein Eigenleben mit eigenen kulturellen, religiösen, ideologischen und ethnischen Identitäten, Aktivitäten und Traditionen führen . Doch trotz weitgehender sozialer Abschottungsprozesse, großer ökonomischer Disparitäten und heftiger politischer Konflikte zeichnet sich die israelische Gesellschaft durch eine relativ hohe Toleranz und Stabilität aus. Tabelle 1: Bevölkerung Israels nach Bevölkerungsgruppe (Stand Ende 2007)2 Bevölkerungsgruppe Anzahl Anteil in Prozent Juden 5.478.200 75,63 % Araber3 1.450.000 20,02 % Andere4 315.400 4,35 % Total 7.243.600 100,00 % Eine für alle verbindliche Staatsreligion gibt es nicht. Die Unabhängigkeitserklärung des Staates Israel garantiert allen Israelis die religiöse Freiheit. Religionszugehörigkeit und religiöse Praxis bleiben der persönlichen Entscheidung der israelischen Bürgerinnen und Bürger überlassen. Die verschiedenen Glaubensgemeinschaften entfalten innerhalb des von der Verfassung vorgegeben pluralistischen Rahmens ihr jeweiliges religiöses Leben und unterhalten eigene religiöse, kulturelle und karitative Einrichtungen. Die Gerichte jeder Religionsgemeinschaft haben in Fragen des Personenstandes volle 1 Botschaft des Staates Israel (2009b). 2 Angaben ohne Bevölkerung in der West-Bank und im Gaza-Streifen. Quelle: Central Bureau of Statistics (2008); vgl. Botschaft des Staates Israel (2009a; 2009b). 3 Die Gruppe der „Araber“ umfasst Muslime, arabische Christen und Drusen 4 Unter der Kategorie „Andere“ werden nicht-arabische Christen und Bevölkerungsgruppen, die vom Innenministerium nicht zugeordnet werden können, erfasst. - 5 - Gerichtsbarkeit. Jede Religionsgemeinschaft verwaltet ihre eigenen heiligen Stätten. Gesetzliche Regelungen schützen sie vor Entweihungen und Übergriffen und garantieren einen freien Zugang. Der Samstag (Sabbat) ist der offizielle wöchentliche Ruhetag in Israel. Muslime begehen ihren Ruhetag am Freitag, Christen am Sonntag.5 Wie Tabelle 2 zu entnehmen ist, bekennt sich die überwiegende Mehrheit der mehr als sieben Millionen Israelis zum jüdischen Glauben. Daneben besitzen auch die Muslime mit einem Anteil von gut einem Sechstel an der Gesamtbevölkerung eine gewisse quantitative Bedeutung. Andere Religionsbekenntnisse und die Gruppe der Religionslosen fallen mit einem Anteil von rund acht Prozent dagegen kaum ins Gewicht. Tabelle 2: Religionszugehörigkeit der israelischen Bevölkerung (Stand Ende 2007)6 Religionszugehörigkeit Anzahl Anteil in Prozent Juden 5.478.200 75,63 % Moslems 1.206.100 16,65 % Christen 151.600 2,09 % Drusen 119.700 1,65 % Andere 288.000 3,98 % Total 7.243.600 100,00 % 2. Zur Geschichte der Christen auf dem Gebiet des heutigen Israels7 Seit dem Wirken Jesu von Nazareth sind Christen im Gebiet des heutigen Israels ansässig . Von der Zeit des Urchristentums bis zu den frühen ökumenischen Konzilen blieb die Einheit und Einheitlichkeit der Gemeinden gewahrt. Zur Zeit der muslimischen Eroberung des Landes hatte sich die Kirche im Osten bereits in verschiedene Richtungen gespalten, die jedoch auch weiterhin die Heiligen Stätten, insbesondere die Jerusalemer Grabeskirche, miteinander teilten. Neben der orthodoxen und der katholischen Kirche gab es hier unter anderem auch armenische und koptische Christen. Zur Zeit der Kreuzzüge wurde eine lateinische Hierarchie errichtet, die nach 1291 jedoch nur nominell bestand. Zuständig für die Katholiken im Land war der Kustos der Franziskaner. Erst im 19. Jahrhundert wurde mit der Errichtung des Lateinischen Patriarchates Jerusalem die Hierarchie wiederhergestellt. Seit dem 19. Jahrhundert gibt es auch Anglikaner und Lutheraner in der Region. 5 Botschaft des Staates Israel (2009b). 6 Angaben ohne Bevölkerung in der West-Bank und im Gaza-Streifen. Quelle: Central Bureau of Statistics (2008). 7 Eldar (2000). - 6 - Seit den Kreuzzügen und der Etablierung der Vorherrschaft der westlichen (lateinischen ) Kirche kam es jedoch immer wieder zu Konflikten über die Heiligen Stätten, die auch unter der Herrschaft der Mamelucken und Osmanen nicht gelöst wurden und bis zur Verkündigung des Status quo im Jahre 1852 andauerten. Heutzutage stehen die wichtigsten Stätten der Christenheit unter gemeinsamer Verwaltung der (Griechisch-) Orthodoxen Kirche, der Römisch-Katholischen Kirche sowie der Armenischen Kirche. 3. Zur gegenwärtigen Größe und Struktur der christlichen Glaubensgemeinschaften in Israel Die Christen sind mit rund 150.000 Personen und einem prozentualen Anteil von rund zwei Prozent innerhalb der israelischen Gesellschaft nur von marginaler Bedeutung. Dennoch bilden sie nach den Muslimen die zweitgrößte religiöse Minderheitengruppe Israels. Die meisten Christen sind arabischer Herkunft und leben in Gemeinden, die zumeist auf christliche Gemeinschaften aus byzantinischer Zeit zurückgehen.8 Sie wohnen überwiegend in Städten, vor allem in Nazareth, Schfar'am und Haifa. Die israelischen Christen gehören einer Vielzahl unterschiedlicher christlicher Gemeinschaften an. Insgesamt gibt es ca. 20 alte einheimische Kirchen und weitere 30 im Wesentlichen protestantischen Konfessionsgruppen. Die in Israel ansässigen christlichen Konfessionen werden nach folgenden vier grundsätzlichen Kategorien unterteilt: (lateinische und unierte) katholische, orthodoxe, nicht-chalcedonensische und protestantische Kirchen. Die griechisch-katholische (melkitische), die griechisch-orthodoxe und die römischkatholische Kirche sind die christlichen Glaubensgemeinschaften mit den meisten Mitgliedern (s. Tabelle 3). Zu den Christen in der West-Bank und im Gaza-Streifen liegen keine neueren Zahlenangaben vor, da dort seit 1967 keine demographischen Erhebungen durchgeführt wurden. Damals wurde die christliche Bevölkerung dieser Gebiete grob auf 33.000 Personen geschätzt. Man geht allerdings davon aus, dass die christliche Bevölkerung in den im Sechs-Tage-Gebiet eroberten Gebieten tendenziell abnimmt, wohingegen sie im israelischen Kernland stetig wächst. Tabelle 3: Die drei größten christlichen Glaubensgemeinschaften in Israel9 Konfession Anteil an israelischen Christen insgesamt griechisch-katholisch 42 % griechisch-orthodox 32 % römisch-katholisch 16 % 8 Nach Angaben des CIA World Factbook beträgt der Anteil der arabischen Christen an der Gesamtbevölkerung 1,7 Prozent. Nur 0,4 Prozent der Israelis sind Christen nicht arabischer Herkunft. 9 Botschaft des Staates Israel (2009c). - 7 - 3.1. Die griechisch-orthodoxe Kirche10 Die griechisch-orthodoxe Kirche (Ostkirche) hat sich aus den Kirchen des oströmischen oder byzantinischen Reiches entwickelt und erkennt den Ehrenprimat des Patriarchen von Konstantinopel an. Nach einem langen Entfremdungsprozess erfolgte die endgültige organisatorische Trennung von der römisch-katholischen Kirche mit dem „Großen Schisma“ von 1054. Auf dem Konzil von Chalcedon im Jahre 451 erhielt der Bischof von Jerusalem die Patriarchenwürde. Nach der Eroberung Jerusalems durch die Kreuzfahrer im Jahre 1099 wurde das (nunmehr orthodoxe) Patriarchat von Jerusalem nach Konstantinopel verlegt. Die ständige Residenz des Patriarchen in Jerusalem wurde erst wieder 1845 erneuert. Das griechisch-orthodoxe Patriarchat betrachtet sich von Alters her als die Mutterkirche von Jerusalem. Seit 1662 werden die orthodoxen Interessen im Heiligen Land von der Bruderschaft des Heiligen Grabes wahrgenommen, die den Status der orthodoxen Kirche an den Heiligen Stätten zu sichern und den hellenistischen Charakter des Patriarchats zu wahren sucht. In den hauptsächlich arabisch sprechenden Gemeinden nehmen Mitglieder der Bruderschaft und verheiratete Priester arabischer Herkunft die geistlichen Leitungsaufgaben wahr. Man geht davon aus, dass insgesamt ca. 120.000 Christen der orthodoxen Kirche in Israel und den Autonomiegebieten angehören. Neben der griechisch -orthodoxen Kirche folgen auch die in Israel ansässigen arabisch-, rumänischund russisch-orthodoxen Gemeinden dem byzantinischen Ritus. Sie unterstehen ebenfalls dem griechisch-orthodoxen Patriarchen von Jerusalem. Die orthodoxe Kirche in Israel ist von zahlreichen inneren Spannungen gezeichnet. Der höhere Klerus besteht ausschließlich aus Griechen, während niederer Klerus und Kirchenvolk im Wesentlichen Araber sind. 3.2. Die nicht-chalcedonensischen Kirchen11 Bei den nicht-chalcedonensischen Kirchen handelt es sich um alte orientalische Kirchen , die die Lehrbeschlüsse des Konzils von Chalcedon von den zwei Naturen Christi (vollkommener Gott und vollkommener Mensch) ablehnen. Die nichtchalcedonensischen Kirchen halten an der monophysitischen Lehre von der einen göttlichen Natur in Christus fest. In Israel sind vor allem folgende nicht-chalcedonensischen Kirchen vertreten: - Die armenisch-orthodoxe Kirche unterhält bereits seit dem 5. Jahrhundert eine Gemeinde in Jerusalem. Das armenische Patriarchat von Jerusalem wurde 1311 eingerichtet. Der vor allem durch die Aufnahme von Überlebenden der Massaker in Anatolien zeitweilig bis auf 15.000 Mitglieder angewachsenen Gemeinde gehörten 10 Eldar (2000); Bomhoff (1998): 137. 11 Eldar (2000); Bomhoff (1998): 137f.. - 8 - Mitte der neunziger Jahre nur noch rund 4000 Mitglieder an, die vorwiegend in Jerusalem , Haifa, Jaffa und Bethlehem leben. - Die koptisch-orthodoxe Kirche hat ihre Wurzeln in Ägypten, wo große Bevölkerungsteile während der ersten nachchristlichen Jahrhunderte sich zum Christentum bekehrten. Sie hat die Entwicklung des frühen Mönchstums in der judäischen Wüste wesentlich beeinflusst. Seit dem 13. Jahrhundert wird der koptische Patriarch von Alexandria in Jerusalem durch einen ortsansässigen Erzbischof repräsentiert. Mitte der neunziger Jahre ging man von etwas mehr als 1000 in Israel ansässigen koptischen Christen mit Gemeinden in Jerusalem, Bethlehem und Nazareth aus. - Die äthiopisch-orthodoxe Kirche war spätestens seit dem Mittelalter im Heiligen Land präsent ist. Sie hatte lange Zeit wichtige Rechte über die Heiligen Stätten besessen , die aber unter osmanischer Herrschaft nahezu vollständig verloren gegangen sind. Heute ist die äthiopische Kirche in Israel eine kleine Gemeinschaft, die von einem Erzbischof geleitet wird und im Wesentlichen aus einigen Dutzend Mönchen und Nonnen besteht. - Die syrisch-orthodoxe Kirche ist die Nachfolgerin der antiken Kirche von Antiochia und damit eine der ältesten christlichen Gemeinschaften im Nahen Osten. Bis heute verwendet sie in Liturgie und Gebet die alt-syrische Sprache (West- Aramäisch). Ihr Patriarch residiert in Damaskus. Seit dem Mittelalter gibt es syrisch -orthodoxe Bischöfe in Jerusalem. Die syrisch-orthodoxe Gemeinde wird heute von einem Bischof, der im Jerusalemer Kloster zum Heiligen Markus residiert, geleitet hat rund 2000, vor allem in Jerusalem und Bethlehem lebende Mitglieder. - Die apostolische Kirche des Ostens (assyrische Kirche) hat ihre Ursprünge in der Grenzregion zwischen der Türkei, dem Iran und dem Irak. Die Liturgie- und Gebetssprache ist ost-aramäisch. Seit 1917 residiert ihr Patriarch in Chicago und Kerala (Indien). Die assyrische Kirche ist seit dem 5. Jahrhundert in Jerusalem präsent, wo sie auch heute noch durch einen Erzbischof vertreten wird. Die Gemeinde besteht nur aus wenigen Mitgliedern. 1994 vereinbarten ihr Patriarch und Papst Johannes Paul II., nach 1500 Jahren theologischen Streits wieder volle Gemeinschaft zu pflegen. 3.3. Die lateinischen und unierten Kirchen12 Die römisch-katholische Kirche wird im Orient als „lateinisch“ bezeichnet, weil sie bei der Feier der heiligen Messen und bei der Sakramentalspendung am römischen Ritus festhält. In Jerusalem wurde erstmals in der Kreuzfahrerzeit zwischen 1099 und 1291 ein lateinisches (katholisches) Patriarchat eingerichtet. Nach dem Untergang der Kreuzfahrerstaaten lag die Verantwortung für die lateinischen Gemeinden bei dem Franziskanerorden , der seit dem 14. Jahrhundert die Ansprüche der römisch-katholischen Kirche auf die Heiligen Stätten zu wahren suchte. Im 19. und 20. Jahrhundert wurden weitere katholische Orden wie die Dominikaner, Benediktiner und Jesuiten im Heiligen Land aktiv. 1847 wurde wieder ein lateinisches Patriarchat in Jerusalem eingerichtet, dem (bis heute) die Gebiete Palästina und Zypern unterstehen. Zusammen mit drei Vikaren in Nazareth, Amman und Zypern leitet der lateinische Patriarch von Jerusalem die rö- 12 Eldar (2000); Bomhoff (1998): 137. - 9 - misch-katholische Kirche in Israel. Ihr gehören ca. 20.000 Mitglieder im israelischen Kernland und ca. 10.000 Mitglieder in den palästinensischen Autonomiegebieten an. Neben der römisch-katholischen Kirche sind in Israel und den Autonomiegebieten auch die so genannten unierten Kirchen vertreten. Dabei handelt es sich um an die römischkatholische Kirche angegliederte Ostkirchen mit jeweils eigener Sprache, eigenem Ritus eigenen kanonischen Gesetzen und Hierarchien (mit Bischöfen und Patriarchen). Den unierten Kirchen werden unter anderem zugerechnet: - die melkitische griechisch-katholische Kirche entstand 1724 in der Folge einer Abspaltung innerhalb der griechisch-orthodoxen Kirche. Die Bezeichnung "Melkiten ” (Kaiserliche) reicht bis ins 4. Jahrhundert zurück und bezieht sich auf diejenigen Christengemeinden in Ägypten und Palästina, die die Glaubenssätze des Konzils von Chalcedon annahmen und somit dem kaiserlichen Sitz von Konstantinopel verbunden blieben. Bis zur Spaltung gehörten die als melkitisch bezeichneten Christen der griechisch-orthodoxen Kirche an. Seit der Spaltung wurde die Bezeichnung nur noch für die griechisch-katholischen Christen verwendet. 1752 Ende des 18. Jahrhunderts wurden die griechischen Katholiken in Jerusalem dem melkitischen Patriarchen von Antiochia unterstellt, der in Jerusalem durch einen Patriarchalvikar vertreten wird. Die katholischen Melkiten feiern ihre byzantinische Liturgie in arabischer Sprache. Der griechisch-katholischen Kirche gehörten Mitte der neunziger Jahren ca. 53.000 Mitglieder an, die damit die größte christliche Religionsgemeinschaft in Israel ist; - die maronitische Kirche, eine christliche Gemeinschaft syrischen Ursprungs, deren Mitglieder heute mehrheitlich im Libanon leben. Die Maroniten sind seit 1182 formal an die römisch-katholische Kirche angegliedert. Ihre Liturgie fußt auf dem antiochenischen Ritus und wird in alt-syrischer Sprache gefeiert. Die maronitische Gemeinde in Israel wird von dem 1895 gegründeten Patriarchalvikariat in Jerusalem geleitet und hat rd. 6700 Mitglied, von denen die meisten in Galiläa leben; - die syrisch-katholische Kirche ist eine Absplitterung von der syrisch-orthodoxen Kirche, die von einem eigenen Patriarchat mit Sitz in Beirut geleitet wird und seit 1663 an Rom angegliedert ist. Geistlicher Betreuer der ca. 350, in Jerusalem und in Bethlehem wohnenden Gemeindemitglieder ist der in Jerusalem residierende Patriarchalvikar ; - die armenisch-katholische Kirche hat sich 1741 von der armenisch-orthodoxen Kirche abgespalten und wird von einem in Beirut ansässigen Patriarchen geführt. Für die – Mitte der neunziger Jahre ca. 900, in Jerusalem, Bethanien, Ramallah, Haifa und Gaza lebenden – Mitglieder der armenisch-katholischen Gemeinde wurde 1842 in Jerusalem ein Patriarchalvikariat errichtet. Die armenisch-katholische und die armenisch-orthodoxe Kirche arbeiten im Interesse der gesamten Gemeinschaft eng zusammen. Weitere in Israel vertretene unierte Kirchen sind die koptisch-katholische Kirche und die chaldäisch-katholische Kirche, die als Nachfolgerin der alten nestorianischen (assyrischen ) Kirche die altsyrische Sprache in Liturgie und Gebet bewahrt hat. Die im Heiligen Land ansässigen Gemeinden beider Kirchen zählten in den neunziger Jahren jeweils weniger als 100 Mitglieder. - 10 - 3.4. Evangelische Kirchen13 Protestantische Gemeinschaften haben sich erst im frühen 19. Jahrhundert im Nahen Osten niedergelassen, als die westliche Mission auch das Heilige Land erfasste. Nicht selten waren die protestantischen Missionsbestrebungen eng mit imperialen Machtbestrebungen europäischer Mächte verbunden, die auf diese Weise Einfluss im Nahen Osten gewinnen wollten. Allerdings konnte die protestantische Mission nur bei den arabisch sprechenden orthodoxen Gläubigen Erfolge erzielen, nicht jedoch bei dem Gros der ansässigen muslimischen Bevölkerung. Unter anderem sind in Israel heute folgende protestantische Kirchen und Gemeinschaften vertreten: - die anglikanische Kirche, deren Diözese von einem in Jerusalem residierenden arabischen Bischof geleitet wird und der in Israel ca. 2500-3000 Gläubige angehören; - die lutherisch-evangelische Kirche mit einer von einem Bischof geführten, Mitte der neunziger Jahre ca. 500 Mitglieder umfassenden arabischen lutherischen Gemeinde sowie einer davon getrennt existierenden ca. 200 Personen umfassenden deutschsprachigen lutherischen Gemeinde; - die Baptistenkirche mit einer ca. 900 Gläubige zählenden baptistischen Gemeinde; - die Pfingstkirche (Kirche Gottes) mit ca. 200 Gläubigen sowie - eine Reihe weiterer kleinerer lutherischer und reformierter Kirchen, freikirchlicher Gemeinschaften und evangelikaler Sekten, die zumeist mit wenigen Mitgliedern einige kirchliche und Bildungseinrichtungen im Heiligen Land unterhalten. 4. Zur gegenwärtigen Situation der christlichen Gemeinschaften in Israel 4.1. Jüdischer Staat und Religionsfreiheit In der Unabhängigkeitserklärung von 1948 bekennt sich der Staat Israel zur Religionsfreiheit und zum religiösem Pluralismus: "Der Staat Israel ... wird Glaubens- und Gewissensfreiheit , Freiheit der Sprache, Erziehung und Kultur gewährleisten ..." Jede religiöse Gemeinschaft hat die Freiheit, ihren Glauben auszuüben, ihre eigenen Festtage und ihren wöchentlichen Ruhetag zu begehen und ihre internen Angelegenheiten eigenständig zu regeln. Die Geltung der Religionsfreiheit war innerhalb der Gründergeneration des Staates Israel , der sich in erster Linie als jüdischer Nationalstaat und Heimstätte aller Juden verstand , nicht unumstritten. Dass Israel bis heute keine geschriebene Verfassung hat, hängt auch mit dem Streit über die Religionsfreiheit zusammen. Die zionistischen Gründer um David Ben Gurion, den späteren ersten Ministerpräsidenten (1948-54) Israels , konnten sich mit ihren Vorstellungen eines säkularen Staates insbesondere gegenüber den Vertretern der religiösen Parteien nicht durchsetzen. Letztere strebten an, die 13 Eldar (2000); Bomhoff (1998): 138. - 11 - Vorschriften des jüdischen Rechts, der Halacha14, im neuen Staat vollständig umzusetzen . Seine Befolgung ist elementarer Bestandteil der jüdischen Religion. In einer so genannten „Status-quo-Vereinbarung“ einigten sich die verschiedenen innerisraelischen Gruppen auf einen Kompromiss, der bis heute seine Gültigkeit hat.15 Dieser Kompromiss legte die Rolle fest, welche der jüdischen Religion im künftigen Staate zukommen sollte. Danach fanden wichtige religiöse Vorschriften des Judentums in zentralen Bereichen des jüdischen Staates, unabhängig von der Religionszugehörigkeit seiner Einwohner , Anwendung. Hierzu gehören unter anderem die Feiertagsregelung16, die Einhaltung der Speisegesetze in öffentlichen Einrichtungen, die Zuständigkeit der Religionsgemeinschaften im Personenstands- und Familienrecht sowie weitreichende Befugnisse der Religionsgemeinschaften im Bildungswesen. Die Rechtsordnung des jüdischen Staates stand und steht seitdem vor dem Problem, sowohl den Elementen eines liberalen Rechtsstaates westlicher Prägung als auch den Elementen eines von der jüdischen Orthodoxie in zentralen Bereichen geprägten Staates gerecht werden zu müssen.17 So ist der israelische Staat nicht zur religiösen Neutralität verpflichtet. Das Recht, nicht zu glauben, wie es beispielsweise in Art. 4 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland verbürgt ist, existiert in Israel nicht. Die Zuständigkeit der staatlich anerkannten Religionsgemeinschaften für alle Personenstandsfragen im Staatswesen hat zur Folge, dass zivile Eheschließungen in Israel nicht möglich sind. Israelische Staatsbürger, die keiner Religionsgemeinschaft angehören, können in Israel weder heiraten noch sich scheiden lassen. Dies stellt insbesondere ein Problem für die Einwanderer aus der Sowjetunion dar, von denen viele vom orthodoxen Rabbinat nicht als Juden anerkannt werden, da die Halacha ausschließlich Kinder einer jüdischen Mutter als Juden definiert.18 4.2. Das Verhältnis der christlichen Gemeinschaften zu Staat und Gesellschaft in Israel Nicht zuletzt die umfassende Geltung der Religionsfreiheit dürfte dazu beigetragen haben , dass Israel der einzige Staat im Nahen Osten ist, in dem im letzten halben Jahrhundert die christliche Bevölkerung um ein Vielfaches zugenommen hat, nämlich von 34.000 im Jahr 1948 auf über 150.000 heute. Obwohl die christlichen Gemeinschaften zunehmend dazu übergehen, ihre sozialen, medizinischen und Bildungseinrichtungen in die entsprechenden staatlichen Strukturen zu integrieren, genießen sie im Vergleich zu 14 Die Halacha bezieht sich auf die rechtlichen Aspekte des Judentums. 15 (2007): 6. 16 Der jüdische Schabat am Samstag wurde gesetzlichen Feiertag in Israel. Mit wenigen Ausnahmen dürfen zum Beispiel keine Verkehrsmittel an diesem Tag fahren. 17 Robbers (2001): 1. 18 (2007): 8f. - 12 - den anderen Religionsgemeinschaften Israels immer noch ein großes Maß an Autonomie . Zwar gibt es im israelischen Religionsministerium eine Abteilung für die christlichen Gemeinschaften zur Regelung von Problemen und Fragen, aber staatlicherseits wird bewusst auf eine Einflussnahme auf das Leben der Gemeinden verzichtet. Nach wie vor sind kirchliche Gerichte für alle Personenstandsangelegenheiten wie Eheschließung und Scheidung zuständig. Die Gebäude der christlichen Gemeinschaften sind von den Gemeindesteuern ausgenommen. Auch die von den verschiedenen christlichen Kirchen während der ottomanischen Herrschaft erworbenen Anrechte an den Heiligen Stätten in Jerusalem, die so genannten „Status quo arrangements for the Christian holy places in Jerusalem”, wurden vom Staat Israel anerkannt, nachdem sie unter jordanischer Herrschaft über die Jerusalemer Altstadt zwischen 1948 und 1967 außer Kraft gesetzt worden waren.19 Im israelischen Kernland lässt sich die Situation der Christen alles in allem als befriedigend bezeichnen. Dies belegt nicht nur der zwischen 1995 und 2003 um 14,5 Prozent gewachsene Anteil der arabischen Christen, sondern auch die Tatsache, dass immer mehr israelische Christen als Freiwillige in der israelischen Armee dienen. Die fortgeschrittene Integration der israelischen Christen in das wirtschaftliche und kulturelle Lebens Israels ist auch im Bildungswesen und auf dem Arbeitsmarkt sichtbar: Mit einer Abiturientenquote von 63 Prozent fällt der Bildungsgrad der christlichen Bevölkerungsgruppe überdurchschnittlich hoch aus. Bei jüdischen Schülern liegt diese Zahl bei 56 Prozent, bei muslimisch-arabischen nur bei 31 Prozent. Damit korrespondiert die Tatsache , dass die Hälfte der arbeitenden arabischen Bevölkerung einer christlichen Kirche angehört, obwohl nur zehn Prozent der israelischen Araber Christen sind. Die Arbeitsmarktzahlen verweisen zudem auch auf die überdurchschnittlich hohe Beschäftigungsrate von christlich-arabischen Frauen in Israel.20 4.3. Das Verhältnis der christlichen Gemeinschaften untereinander21 Schon immer war das Verhältnis der im heiligen Land ansässigen christlichen Gemeinschaften von tiefgreifenden Gegensätzen und scharfen Rivalitäten gekennzeichnet, die auch vor gewaltsamen Auseinandersetzungen nicht halt machten. Die Regelung von Statusfragen sowie die Sicherung überkommener Rechte sind daher für die friedliche Koexistenz der christlichen Gemeinschaften in Israel von zentraler Bedeutung. Dies gilt insbesondere für die Ansprüche auf die Vielzahl von Erinnerungsorten und Gebäuden im Gebiet des heutigen Israel, die – wie die Via Dolorosa oder die Grabeskirche in Jerusalem oder die Verkündigungskirche in Nazareth – aufgrund ihres engen Bezugs zum 19 Bard (2009); Kubar (2002). 20 Bomhoff (1998): 139; Bard (2009); Kuhar (2002). 21 Eldar (2000); Bomhoff (1998): 138f.; Bard (2009); Klein (2000): 17. - 13 - Religionsstifter Jesus Christus von der Christenheit als „Heilige Stätten“ verehrt werden . Die Regelung des Zugangs zu diesen heiligen Stätten des Christentums und das Recht, dort Gottesdienste zu halten, waren und sind fernab jeglichen Ökumene-Denkens bis heute zwischen den christlichen Glaubensgemeinschaften heftig umstritten. So mutet es beinahe schon grotesk an, wie im Laufe der Jahrhunderte nahezu jede christliche Konfession versucht hat (und immer noch versucht), auf das bedeutendste christliche Heiligtum, die Jerusalemer Grabeskirche, Einfluss zu nehmen. Seit 1852 gehört der Komplex der griechisch-orthodoxen Kirche in Verbindung mit der armenisch -katholischen und der römisch-katholischen Kirche, während andere christliche Gemeinschaft lediglich ein Recht auf einzelne Altäre und Kapellen besitzen und die Schlüsselgewalt seit dem Mittelalter zwei muslimische Familien innehaben. Aufgrund der anhaltenden Zwistigkeiten und rivalisierenden Zuständigkeiten konnten Renovierungsarbeiten , die nach einem schweren Erdbeben im Jahre 1927 notwendig geworden waren, erst 1959 in Angriff genommen werden. Erst 1993 einigte man sich auf eine Neugestaltung von Kuppel und Rotunde. Mit dem Gesetz zum Schutz der Heiligen Stätten von 1967 garantiert der Staat Israel den freien Zugang zu diesen Stätten und das Recht, dort Gottesdienste zu halten: „Die Heiligen Stätten werden vor Entweihung und jeder anderen Verletzung geschützt sowie vor allem, was den freien Zugang der Mitglieder der verschiedenen Religionen zu den ihnen heiligen Stätten oder ihre Gefühle in Bezug auf diese Stätten verletzen kann.“ Zum friedlichen Ausgleich zwischen den konkurrierenden christlichen Konfessionen hat darüber hinaus auch eine Reihe von Anstrengungen beigetragen, Vertreter aller christlichen Kirchen und Gemeinschaften an einen Tisch zu bringen. In diesem Zusammenhang wäre etwa auf die Bemühungen der Ökumenisch-Theologischen Forschungsgemeinschaft in Israel, der Israel Interfaith Association und auch einzelner Gemeinden um den Auf- und Ausbau des interreligiösen Dialogs und die Verbesserung des Verhältnisses zwischen den religiösen Gemeinschaften und ethnischen Gruppen untereinander und mit dem Staat Israel hinzuweisen. 4.4. Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Israel und dem Vatikan Das Verhältnis zwischen Israel und dem Vatikan galt nicht zuletzt wegen der Rücksichtnahme der römisch-katholischen Kirche auf die Situation der Christen in den mit Israel verfeindeten arabischen Staaten lange Zeit als unterkühlt. Es war für die katholischen Kirchen in Israel daher von größter Bedeutung, als am 30. Dezember 1993 zwischen dem Heiligen Stuhl und dem Staat Israel ein Grundlagenabkommen unterzeichnet wurde, das einige Monate später zur Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen zwischen den beiden Staaten führte. In diesem Abkommen erkannte Israel die angestammten Rechte der christlichen Gemeinschaften in Israel an und verpflichtete sich, die Hei- - 14 - ligen Stätten der Christenheit zu respektieren und zu schützen. Zudem wurde den Katholiken im Heiligen Land freie Gebetsausübung garantiert sowie die Klärung strittiger Eigentumsverhältnisse innerhalb von zwei Jahren in Aussicht gestellt. Allen nichtkatholischen Glaubensgemeinschaften sicherte Israel zu, dass das Abkommen nicht deren rechtliche Stellung betreffen wird. Durch das so genannte „Abkommen zur Rechtspersönlichkeit “ vom 10. November 1997 wurde der katholischen Kirche und ihren Einrichtungen in Israel ein rechtlicher Status als Vereinigung oder Körperschaft zuerkannt. Zugleich wurde den katholischen Institutionen und Organisationen eine vollständige Autonomie für ihre innere Verwaltung und die Regulierung interner Konflikte zugesichert .22 Im Februar 2000 hat der Vatikan mit der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) ebenfalls ein Abkommen über die Rahmenbedingungen für die Arbeit der katholischen Kirche in den Palästinensergebieten und die bilaterale Zusammenarbeit abgeschlossen . Dabei sicherte die PLO der katholischen Kirche grundsätzliche Rechte und Handlungsfreiheit für die Durchführung ihrer vielfältigen seelsorgerischen, kulturellen, sozialen, wirtschaftlichen und Bildungsaktivitäten zu. Zudem forderten beide Seiten eine friedliche und gerechte Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts und ein international garantiertes Jerusalem-Statut, das dem Charakter der „Heiligen Stadt“ als universales religiöses und kulturelles Erbe aller drei monotheistischen Religionen Rechnung trägt. Die vom Heiligen Stuhl als Rechtsvertrag und nicht als politisches Abkommen deklarierte Grundsatzvereinbarung wurde von Israel heftig kritisiert, da es den Vertrag als Einmischung in innere Angelegenheiten betrachtete. Insbesondere die Passagen in Bezug auf den zukünftigen Status Jerusalems, die auch als Infragestellung des Hauptstadt-Status gelesen werden können, wies Israel scharf zurück.23 4.5. Christliche Einwanderer aus Osteuropa Bei einem Großteil der nicht-arabischen Christen in Israel handelt es sich um nichtjüdische Ehepartner von jüdischen Einwanderern aus Osteuropa, da das israelische Einwanderungsrecht auch nichtjüdischen Ehe- oder Lebenspartnern jüdischer Einwanderer die Einreise nach Israel erlaubt. Laut Angaben des israelischen Innenministeriums wanderten zwischen 1989 und 2002 859.502 Personen aus Osteuropa ein, von denen 239.682 nicht jüdisch waren. Wie viele der nicht-jüdischen Einwanderer Christen waren , ist allerdings nicht bekannt. Christliche Stellen sprechen ohne nachprüfbare Beweise von ca. 200.000 Personen. Tatsächlich gibt es Indizien, die den Schluss nahelegen, dass die zahlreichen nicht-jüdischen Einwanderer aus Osteuropa zwar eine gewisse Affinität zu christlichen Religionsgemeinschaften haben, aber keine praktizierenden Chris- 22 Klein (2000): 16. 23 Klein (2000): 19. - 15 - ten sind. Die christlichen Kirchen in Israel scheinen sich bislang kaum auf die durch die Einwanderung geschaffene neue Realität eingestellt zu haben und verfügen daher nur über unzureichende Mittel, um diese Einwanderergruppen für sich zu gewinnen und in das Leben ihrer Gemeinschaft zu integrieren.24 4.6. Zur Situation der Christen in den Palästinensergebieten Seit Mitte des 20. Jahrhunderts ist die christliche Bevölkerung in den Palästinensergebieten kontinuierlich geschrumpft. Der Anteil der Christen an der arabischen Bevölkerung , der 1950 noch 15 Prozent ausmachte, beträgt heute weniger als ein Prozent. Zurzeit stehen 27.000 Christen rund 3 Millionen Muslimen gegenüber. Hauptsächlich ist diese Entwicklung darauf zurückzuführen, dass zahlreiche arabische Christen aus den Palästinensergebieten nach Westeuropa und in die USA ausgewandert sind bzw. immer noch auswandern. Der 2006 zum Erzbischof der melkitischen Kirche von Akko, Haifa, Nazareth und ganz Galiläa ernannte Elias Chacour bezeichnete die Auswanderung gar als den größten inneren Feind der Christen in der Region. Ursache des Exodus seien Unterdrückung, Vertreibung, Flucht, aber auch die Suche nach einem besseren Leben. In diesem Zusammenhang wird insbesondere auf die Machtambitionen und das gewachsene Selbstbewusstsein der muslimischen Araber verwiesen, die in den arabisch bewohnten Gebieten zu einer kulturellen Dominanz des Islam und zur Unterdrückung des Christentums beigetragen haben. Diese Tendenzen wurden und werden noch durch die Bestrebungen der palästinensischen Autonomiebehörde verstärkt, den Islam zur offiziellen „Staatsreligion“ zur erklären, Vorschriften des islamischen Rechts (Scharia) in die allgemeinen Gesetzgebung aufzunehmen oder das Bildungssystem zu islamisieren. Christen (wie auch Juden) werden in Moscheen öffentlich von amtlich anerkannten islamischen Geistlichen als Ungläubige diffamiert; Christen , ihre Dörfer, Gebetsstätten und Versammlungen waren wiederholt Ziele von gewaltsamen Übergriffen radikaler islamischer Palästinenser. Darüber hinaus haben sich die Muslime seit Ende der siebziger Jahre mit Erfolg bemüht, durch Landkäufe und Enteignungen in traditionell christlichen Regionen wie Bethlehem und Nazareth eine Mehrheitsposition zu gewinnen und die dort ansässige christliche Bevölkerung nach und nach zu verdrängen. Diese und andere Entwicklungen haben die Abwanderungsneigungen der christlichen Araber weiter befördert und dazu beigetragen, dass beispielsweise heutzutage drei Viertel der ehemaligen Bewohner Bethlehems im Ausland leben. Insgesamt schrumpfte zwischen 1997 und 2002 der Anteil der christlichen Bewohner der West-Bank um 29 Prozent, im Gaza-Streifen um 20 Prozent. Angesichts dieser Entwicklungen konstatiert 24 Kuhar (2002). - 16 - Erzbischof Chacour für die arabischen Christen einen wachsenden Verlust ihrer religiösen Identität, die zu einer weiteren Dezimierung der christlichen Gemeinschaften in den Palästinensergebieten beitragen dürfte. Es verwundert daher wenig, wenn die meisten israelischen Christen einer größeren Autonomie der palästinensischen Behörden mit äußerster Skepsis gegenüberstehen, da sie befürchten, dass die Palästinenser dann die Religionsfreiheit einschränken, Christen diskriminieren und verfolgen sowie den Zugang zu den heiligen Stätten sperren könnten.25 Große Teile der arabischen Christen in den Autonomiegebieten stehen aber auch Israel kritisch gegenüber und werfen dem jüdischen Staat vor, die Christen politisch zu unterdrücken und ihre freie kulturelle und religiöse Entfaltung zu beeinträchtigen. So gab es unter anderem auch von Seiten der christlichen Bevölkerung heftige Kritik an dem von Israel errichteten Grenzzaun zwischen dem israelischen Kernland und den Palästinensergebieten . Obwohl in diesem Zusammenhang auch der Vorwurf erhoben wurde, dass Israel Christen diskriminiere und verfolge, dürften die mit dem Bau des Sicherheitszauns verbundenen Eingriffe in die Eigentums- und Freizügigkeitsrechte der im Umfeld der Sperranlage wohnenden arabischen Bevölkerung das eigentliche Motiv für die auch von Christen erhobenen Vorwürfe und Proteste gewesen sein. Eine gezielte Diskriminierung oder Unterdrückung der christlichen Bevölkerung und Beschränkung ihres Rechts auf freie Religionsausübung durch den israelischen Staat konnte bislang jedenfalls nicht nachgewiesen werden. Tatsächlich erhielten Christen ebenso wie andere von dem Bau der Sperranlagen betroffenen Bevölkerungsgruppen staatliche Entschädigungszahlungen für erlittene materielle Schäden.26 5. Literatur 1. Bard, Mitchell G. (2009). Myth and Fact: Christians in Israel. Jewish Virtual Library . http://www.jewishvirtuallibrary.org/jsource/myths2/HumanrightsIsrael.html# _edn26 [Stand: 10.2.2009]. 2. (2007). 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