© 2017 Deutscher Bundestag WD 1 - 3000 - 015/17 Die Darstellung von Gewalt in Koran und Bibel Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 015/17 Seite 2 Die Darstellung von Gewalt in Koran und Bibel Aktenzeichen: WD 1 - 3000 - 015/17 Abschluss der Arbeit: 17. September 2017 Fachbereich: WD 1: Geschichte, Zeitgeschichte und Politik Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 015/17 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Darstellung von Gewalt im Koran 4 3. Darstellung von Gewalt in der Bibel 9 4. Aussagen der muslimischen Dachverbände, der christlichen Kirchen in Deutschland sowie der al-Azhar Universität Kairo 12 5. Salafisten in Deutschland 14 6. Anhang 15 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 015/17 Seite 4 1. Einleitung Die vorliegende Dokumentation enthält eine Auswahl von publizistischen, theologischen, religions - und geschichtswissenschaftlichen Beiträgen, die sich mit der Darstellung von Gewalt im Koran und in der Bibel beschäftigen. Die dem Auftrag zugrunde liegenden Fragen lauten: a. Wie wird das Thema Gewalt (vor allem gegen Andersgläubige) im Koran und in anderen Schriften des Islam behandelt? Welche Position nehmen die geistlichen Autoritäten des Islam, wie beispielsweise die Gelehrten der Al-Azhar Universität, ein? Wie ist die Haltung der muslimischen Verbände in Deutschland hierzu? b. Welche Unterschiede bestehen zu Gewaltdarstellungen in biblischen Texten sowie im heutigen Verständnis der Texte? Welche Haltung nehmen die beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland dazu ein? c. Wie viele Menschen bekennen sich in Deutschland zu Strömungen des Islam, die ein Verständnis von Gewaltanwendung haben, das mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung unvereinbar ist? Auftragsgemäß wird keine eigene Exegese des Korans und der Bibel vorgelegt, sondern lediglich eine ausgewählte Dokumentation der wissenschaftlichen Diskussion dieser Fragen. Um das Thema einzugrenzen, wird die gesamte Diskussion um die Ursachen islamistischer Gewalt1 nur am Rande gestreift. Vielmehr konzentriert sich die folgende Dokumentation auf Veröffentlichungen , die sich mit der Auslegung von Koran- und Bibelstellen auseinandersetzen, die Gewalt darstellen . Im Zentrum steht dabei die aktuell diskutierte Frage nach der Legitimierung von Gewalt durch den Koran und der überlieferten Aussprüche und Handlungen des Propheten Mohammed (Hadith). Verschiedene Studien zeigen, dass sich unter anderem der IS in seinen Veröffentlichungen darum bemüht, sein Handeln mit entsprechenden Koranstellen zu legitimieren.2 Es wurden verfügbare Werke aus dem Bestand der Bundestagsbibliothek und Internetquellen sowie Beiträge aus dem Presse-Archiv aufgeführt. Die Recherche beschränkte sich zudem auf deutsch- und englischsprachige Publikationen. 2. Darstellung von Gewalt im Koran Zur Einführung in das Thema eignet sich der Text von Andreas Jacobs, dem Koordinator Islam und religiöser Extremismus der Konrad-Adenauer-Stiftung in Berlin: 1 Die englische Scholar-Suche bei Google erzielt bei den Stichworten „islam“ und „violence“ 835.000 Treffer. Die deutsche News-Suche bei Google erzielt bei den Stichworten „Gewalt“ und „Islam“ 93.500 Treffer. 2 Rüdiger Lohlker: Theologie der Gewalt. Das Beispiel IS. Wien 2016. S. 8f. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 015/17 Seite 5 1. Andreas Jacobs: Islam und Gewalt. Anmerkungen zu einem problematischen Verhältnis. In: Forum für Kultur, Politik und Geschichte Nr. 451, März 2005. S. 61ff. Der Autor erläutert den historischen Kontext des Korans, der dem Propheten Mohammed nach der islamischen Überlieferung etappenweise innerhalb von 23 Jahren bis zu seinem Tod im Jahr 623 von Gott offenbart wurde. Erst Jahrhunderte später habe sich in der islamischen Theologie die Doktrin von der „Unerschaffenheit“ des Korans durchgesetzt, wonach dieser als unmittelbares Wort Gottes unverfälscht und unveränderbar sowie über jeden Zweifel erhaben sei. Jacobs erläutert , dass Mohammed nach der Auswanderung nach Medina auch als Stammesführer, Richter und Feldherr aufgetreten sei. Daher behandelten vor allem die medinensischen Suren des Korans Rechtsfragen, Probleme der Gemeindeordnung und Aspekte von Krieg und Frieden. Der Kampf um eine historische und kontextabhängige Lesart des Korans sei im vollen Gange, so der Autor. Als Beispiel führt er den sogenannten Schwert-Vers an: „Wenn die heiligen Monate abgelaufen sind, dann tötet die Heiden, wo immer ihr sie findet, greift sie, umzingelt sie und lauert ihnen überall auf!“ (Sure 9, Vers 5) Er kritisiert, dass dieser Vers heute von Islamisten aus dem historischen Kontext gerissen werde und es eine „fundamentalistische Übertragung auf heutige Verhältnisse und ihre Interpretation als Aufforderung zur Tötung von Nicht-Muslimen“ gebe. Ein weiterer einführender Text ist der Lexikon-Eintrag „Gewalt“ von Adel Theodor Khoury3: 2. Adel Theodor Khoury: Gewalt. In: Adel Theodor Khoury/Ludwig Hagemann/Peter Heine: Islam -Lexikon A-Z. Geschichten, Ideen, Gestalten. Freiburg, 2006. S. 233ff Khoury fasst die wichtigsten Koranstellen und Überlieferungen zusammen, die sich mit dem Thema Gewalt befassen. Dabei geht er nicht nur auf die Stellen ein, die – wie der Schwertvers – zu Gewalt gegen Andersgläubige aufrufen, sondern auch auf jene, die Gewalt verurteilen. Der Koran verurteile Gewalttäter und setze für sie harte Strafen fest. Auf der anderen Seite sei Gewaltanwendung zur Zurückweisung von unberechtigten Übergriffen vonseiten fremder Widersacher erlaubt , so der Autor. Er erläutert, dass Gewaltanwendung als berechtigtes Instrument zur Wiederherstellung der Ordnung in den Beziehungen der Menschen zueinander erscheine. Auch dürfe die islamische Gemeinschaft Gewalt anwenden, wenn ihr Aufruf zur Annahme des Islams ungehört verhalle. Sie könne zudem „nach der Interessenlage der Gemeinschaft Krieg gegen die Nicht- Muslime führen“. Auch gelte es, „gegen Abtrünnige und Aufständische zu kämpfen, um den Bestand und die Einheit der Gemeinschaft zu schützen“. Die Islamwissenschaftlerin Christine Schirrmann betont die Notwendigkeit einer historischen und textkritischen Exegese des Korans, die jedoch von den meisten geistlichen Autoritäten des 3 Der aus dem Libanon stammende Autor ist melkitisch-katholischer Priester und Theologe, Islamwissenschaftler, Koranübersetzer und Hochschullehrer. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 015/17 Seite 6 Islam nicht unterstützt werde. Sie legt dar, dass fundamentalistische Islamisten sich heute auf den Koran berufen können, ohne in Widerspruch mit den geistlichen Autoritäten zu geraten: 3. Christine Schirrmacher: Islam in Deutschland – Deutschland herausgefordert? In: Eckhard Jesse /Tilman Mayer (Hrsg.): Deutschland herausgefordert. Berlin, 2014. S.204f. 4. Ebd.: Islam und Demokratie. Ein Gegensatz? Holzgerlingen, 2013. S. 49ff Die Autorin, die sich in ihrer Habilitationsschrift ausführlich mit zeitgenössischen islamischen Theologen befasst hat, beschäftigt sich in ihrem Aufsatz mit den Auffassungen des politischen Islams (Islamismus), der in den arabischen Kernländern beheimatet sei und in Deutschland seinen Einfluss über Moscheen, Fernsehsender und Prediger geltend mache. Der politische Islam sei eine Herrschaftsideologie, die sich insbesondere auf die Frühzeit des Islams berufe. Islamismus meine nicht in erster Linie eine theologisch besonders konservative Bewegung , die ‚liberaleren‘ Bewegungen gegenüberstehe. Ihr Unterscheidungsmerkmal sei keine besondere theologische Ausrichtung, sondern ihre Orientierung auf die unbedingte Notwendigkeit der Umformung der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse nach den Vorgaben des Frühislam bzw. wie dieser von den Islamisten interpretiert werde. Der Islamismus sei von seinen Wurzeln her totalitär und erkenne unter anderem Andersgläubige nicht an. Schirrmacher führt aus, dass Jihadisten sich durchaus auf die klassischen Theologen und ihre Auslegungen berufen könnten. Derjenige, der aus der Frühzeit des Islam und dem unantastbaren Vorbild Muhammads die Anweisung zum Kampf ziehen wolle, könne dies tun, ohne nach klassischer Auslegung die Quellen missbrauchen zu müssen. Hierzu erläutert die Autorin: „Es gibt durchaus Vertreter, die der Auffassung sind, der Jihad sei allein mit der Zunge und der Hand zulässig , also indem man das Gute redet und tut. Leider sind das stets nur Randpositionen geblieben , und aus der Mitte der etablierten Theologie und der Lehrstätten kommt diese Art friedensstiftender Theologie nicht.“ Demgegenüber haben jüngst einige deutschsprachige Islamwissenschaftler aus dem Umfeld der seit 2010 entstandenen fünf Zentren für islamische Theologie den Versuch unternommen, entsprechende Koranstellen in historisch-textkritischer Manier auszulegen. Darunter sind die beiden Islamwissenschaftler Omar Hamdan und Hamideh Mohagheghi: 5. Omar Hamdan: Zur Gewaltdebatte in der klassischen und modernen Koranexegese. In: Ina Wunn/ Beate Schneider: Das Gewaltpotenzial der Religionen. Stuttgart 2015. S. 57ff. Omar Hamdan zählt auf, dass sich zwei der 500 rechtsverbindlichen Koranverse mit den Themen Kämpfen und Töten befassen, darunter auch der Schwertvers sowie der so genannte Vers des Kämpfens (Sure 9, Vers 29: Kämpft gegen diejenigen, die nicht an Allah und an den Jüngsten Tag glauben, und die das nicht für verboten erklären, was Allah und Sein Gesandter für verboten er- Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 015/17 Seite 7 klärt haben, und die nicht dem wahren Glauben folgen - von denen, die die Schrift erhalten haben , bis sie eigenhändig den Tribut in voller Unterwerfung entrichten4). Hamdan erläutert, dass der Schwertvers und der Vers des Kämpfens nach Auffassung vieler Korankommentatoren eine Vielzahl von Friedensversen aufheben, sodass die Stellen zu Krieg und Gewalt eine stärkere Präsenz behielten. Die Abrogation genannte Aufhebung der Friedensverse habe zu einem Übergewicht der beiden Verse über die 124 anderen Stellen in 52 Suren geführt, die zu den Friedensversen gehörten. 6. Hamideh Mohagheghi: „Tötet sie, wo ihr sie trefft. Eine Auslegung zu Q 2:190-195“. In: Hamideh Mohagheghi/Klaus von Stosch (Hrsg. ): Gewalt in den Heiligen Schriften von Islam und Christentum. Paderborn, 2014. S. 73ff. Die Autorin versucht exemplarisch, sich hermeneutisch Zugang zu den Versen 190 bis 195 in Sure 2 zu verschaffen, d.h. sie historisch-kritisch auszulegen. (Sure 2, Vers 191: Und tötet sie, wo immer ihr auf sie trefft, und vertreibt sie, von wo sie euch vertrieben haben, denn Verfolgung ist schlimmer als Töten! Kämpft jedoch nicht gegen sie bei der geschützten Gebetsstätte, bis sie dort (zuerst) gegen euch kämpfen. Wenn sie aber (dort) gegen euch kämpfen, dann tötet sie. Solcherart ist der Lohn der Ungläubigen) Die Verse könnten, so die Autorin, wegen ihres kriegerischen Inhalts als Legitimation von Gewalt gedeutet werden. Nach einer ausführlichen Auslegung und Einordnung in den historischen Kontext kommt sie jedoch zu dem Fazit: „In den in diesem Beitrag erwähnten Versen wird die Gewaltanwendung in einer bestimmten, historischen Begebenheit als eine Option zur Verteidigung und Herstellung von Gerechtigkeit genannt. Die sowohl im Qur’an als auch im islamischen Recht figh erwähnten Voraussetzungen und Bedingungen für die Anwendung der Gewalt belegen, dass diese Legitimation nicht beliebig ausgelegt und verwendet werden darf.“ Diese Ansätze, den Koran historisch-kritisch auszulegen, werden jedoch von der Mehrheit der muslimischen Gelehrten abgelehnt. Dies hat verschiedene Gründe, die der Orientalist und ehemalige Direktor des Orient-Instituts der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft in Beirut erläutert : 7. Stefan Wild: Mensch, Prophet und Gott im Koran. Muslimische Exegeten des 20. Jahrhunderts und das Menschenbild der Moderne. Münster 2001 Der Autor erklärt, dass vielen Muslime die neuen Fragen nach Textkritik oder Hermeneutik des Korans als von außen, vom Westen, vom Kolonialismus aufgezwungen betrachteten. Auf solche Fragen einzugehen bedeuteten für sie, sich einem hegemonialen Diskurs zu unterwerfen. Viele konservative muslimische Koranspezialisten sähen sich in einer Art Belagerungszustand. Sie 4 http://islam.de/1406.php Die Seite wird vom Zentralrat der Muslime in Deutschland betrieben. Zur Quellenangabe heißt es hier: „ Mit Allahs Hilfe ist diese Auflage des Qur'an mit der Übersetzung seiner Bedeutungen vom König-Fahd-Komplex zum Druck vom Qur'an in al-Madina al-Munauwara unter Aufsicht des Ministeriums für Islamische Angelegenheiten,Stiftungen,Da-Wa und Rechtweisung im Königreich Saudi-Arabien herausgegeben worden. 1424 n.H./2003 n.Chr. (2. Auflage)“. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 015/17 Seite 8 fürchteten, dass ihnen ein Teil ihrer eigenen Geschichte mit Hilfe „westlicher“ Methodik genommen oder mindestens an ihnen vorbei neu definiert werde. Der ökonomischen und kulturellen Dependenz würde ihrer Auffassung nach eine wissenschaftliche Dependenz in Fragen, die den Islam beträfen, aufgesattelt. Zudem gebe es noch ein wichtiges theologisches Hindernis, den Koran in einen historisch-textkritischen Kontext zu stellen: Dies betreffe die Lehre von der „Unerschaffenheit“ des Korans, das heißt, seine direkte göttliche Offenbarung an den Propheten Mohammad. Dies sei ein Glaubenskern des Islam. Was Gott offenbart habe, dürfe der Mensch nicht relativieren. Im Koran begegne Gott den Menschen. Das für Nichtmuslime und moderne säkularistische Observanz sperrige islamische Glaubensärgernis des sinnlich und direkt erfahrbaren göttlichen Charakters des Koran könne man mit der traditionellen katholischen Transsubstantionslehre (Wandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Jesu Christi in der Heiligen Messe) vergleichen, so der Autor. Die göttliche Offenbarung des Korans und damit seine Unantastbarkeit sei sowohl zentrales Element von Kult und Frömmigkeit als auch ebenso geglaubte wie erfahrene unmittelbare Begegnung mit dem Göttlichen. Wild verschweigt nicht, dass der Widerstand gegen neue Formen der Auslegung bisweilen gewaltsam ist: Manche zeitgenössischen muslimischen Koranexegeten liefen bei ihrer Arbeit ein deutliches Risiko für Leib und Leben. „Koranexegese kann für moderne muslimische Gelehrte gelegentlich ein lebensgefährliches Geschäft sein.“ Eine Vielzahl von Autoren, darunter der Islamwissenschaftler Mouhanad Khorchide, verweist darauf, dass es keine einheitliche Lehrautorität im Islam gebe. Zwar habe es in der Geschichte des Islam stets verschiedene Strömungen und Auslegungen des Korans gegeben.5 Bereits kurz nach dem Tod des Propheten Mohammad hätten sich verschiedene Glaubens- und Rechtsschulen gebildet und bis zum 12. Jahrhundert eine Blütezeit erlebt. Heute jedoch sei die innerislamische freie Debatte kaum noch möglich.6 Ein ins Stocken geratener islamischer Diskurs beharre vielmehr darauf, jegliche Bestrebungen nach Aktualisierung des Islamverständnisses zu unterbinden. Dabei gehe es nicht um einen authentischen theologischen oder gar religiösen Diskurs, sondern um einen Machtdiskurs, in dem autoritäre Strukturen geschützt würden.7 In einem Interview erklärt Khorchide nach den Anschlägen in Paris im Januar 2015: „Von den 6236 Versen des Korans sprechen nur sehr wenige über Gewalt und Krieg. Die Aussagen über den barmherzigen Gott stehen im Verhältnis 18:1 zu den Aussagen über den strafenden Gott. Das 5 Vgl. Mouhanad Khorchide: Gott glaubt an den Menschen. Mit dem Islam zu einem neuen Humanismus. Freiburg , 2015. S. 42ff. 6 Vgl. Vortrag des Islamwissenschaftlers Mouhanad Khorchide im Rahmen des Wissenschaftsforums des Deutschen Bundestages zum Thema „Gewalt und Islam – Hintergründe und Auswege“ am 9. Juli 2015: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2015/kw28_w_forum_khorchide/380838 7 Vgl. Mouhanad Khorchide: Gott glaubt an den Menschen. Mit dem Islam zu einem neuen Humanismus. Freiburg , 2015. S. 16. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 015/17 Seite 9 ist auch den meisten Muslimen klar, die Gewalt im Namen Gottes ablehnen. Ich gebe allerdings zu: Mit den kriegerischen Passagen lässt sich Gewalt legitimieren, wenn man die Texte nicht im historischen Kontext versteht.“8 Weitere Literaturhinweise Hans G. Kippenberg: Islamische Gewalt. Das Szenario und die Akteure. In: Merkur 70 (809), 2016. S.5ff. Rüdiger Lohlker: Theologie der Gewalt. Das Beispiel IS. Wien 2016. S. 8ff. Mouhanad Khorchide: Gott glaubt an den Menschen. Mit dem Islam zu einem neuen Humanismus . Freiburg, 2015. Jörgen Klußmann u.a. (Hrsg.): Gewaltfreiheit, Politik und Toleranz im Islam. Wiesbaden 2016. Ina Wunn/ Beate Schneider (Hrsg.): Das Gewaltpotenzial der Religionen. Stuttgart, 2015. Interview mit Abdel-Hakim Ourghi, Leiter des Fachbereichs Islamische Theologie und Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg: „Sich dem unangenehmen Thema stellen“ in: Herder Korrespondenz 69 3/2015. S. 127f Christine Schirrmacher: „Es ist kein Zwang in der Religion“ (Sure 2,256): Der Abfall vom Islam im Urteil zeitgenössischer islamischer Theologen. Diskurse zu Apostasie, Religionsfreiheit und Menschenrechten. Würzburg 2015. Bassam Tibi: Islamism and Islam. London, 2012. Amritha Venkatraman: Religious Basis for Islamic Terrorism: The Quran and Its Interpretations. In: Studies in Conflict & Terrrorism, 30:3, 2007, S. 229ff. 3. Darstellung von Gewalt in der Bibel In den alttestamentlichen Büchern finden sich laut der Aufzählung der beiden Theologen Walter Dietrich und Christian Link „über sechshundert Stellen, die ausdrücklich davon sprechen, dass Völker, Könige oder einzelne über andere hergefallen sind, sie vernichtet und getötet haben. (…)9 Im Neuen Testament fänden sich weitaus weniger Stellen, die Gewalt thematisieren, darunter die 8 „Für Muslime ist der Terror ein Stachel“ 10.1.2015 Frankfurter Rundschau, http://www.fr.de/politik/terror /mouhanad-khorchide-fuer-muslime-ist-der-terror-ein-stachel-a-509600 9 Walter Dietrich/Christian Link: Die dunklen Seiten Gottes. Willkür und Gewalt. Neukirchen-Vluyn, 1995, S.77. An ungefähr tausend Stellen ist davon die Rede , dass der Zorn Jahwes entbrennt, dass er mit Tod und Untergang bestraft, wie ein fressendes Feuer Gericht hält, Rache nimmt und Vernichtung androht; (…) Kein anderes Thema taucht so oft auf wie die Rede vom blutigen Wirken Gottes (…) Neben den vielen Texten, gemäß denen der Herr die Übeltäter dem Schwert der Bestrafer ausliefert, gibt es über hundert Stellen, in denen Jahwe ausdrücklich befiehlt, Menschen zu töten, (…) ist er es, der befiehlt, menschliches Leben zu vernichten, der sein Volk wie Schlachtvieh preisgibt und die Menschen gegeneinander aufhetzt.“ Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 015/17 Seite 10 Aussage Jesu: „Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert,“ (Matthäus 10, Vers 34. Die christliche Theologie kennt seit dem 18. und 19. Jahrhundert eine große Tradition der historisch -kritischen Textauslegung. Jeder Vers der Bibel wurde seitdem (und bis heute) mit dieser Methodik ausgelegt. Dies gilt insbesondere für eher sperrige Stellen, in denen von Gewalt die Rede ist. Der Theologe Reinhold Bernhardt betont, dass im Neuen Testament die Stellen, die vom Liebesgebot sprechen, bei weitem die Stellen überwögen, die positiv auf Gewalt Bezug nähmen: 8. Reinhold Bernhardt: Zur Hermeneutik biblischer Gewalttexte. In Hamideh Mohagheghi/Klaus von Stosch (Hrsg. ): Gewalt in den Heiligen Schriften von Islam und Christentum. Paderborn, 2014, S.14ff Für das Verstehen der biblischen Gewalttexte gelte, was für das Verstehen aller biblischen Texte und auch aller anderen Texte gelte, so der Autor: Sie seien immer nur im Blick auf ihre Kontexte zu verstehen. Es müsse das Grundgesetz der kontextuellen Hermeneutik angewendet werden, dass der Sinn einer Äußerung nicht ‚substantiell‘ in dieser selbst liege, sondern sich in und aus der dreifachen Kontextualität ihrer Entstehungs-, Überlieferungs- und Rezeptionsgeschichte ergebe . Man dürfe auch nicht die Brutalität des Erzählten für ein Abbild der Realität halten, sondern müsse sich immer fragen, was ihre narrative und soziale Funktion sei. Zudem gelte es, insbesondere im Alten Testament die theologische Grundaussage zu betrachten, nach der Gott einen Bund mit dem Volk Israel eingegangen sei. Dieser werde zwar oft gebrochen, dies ändere jedoch nichts an der Treue und Barmherzigkeit Gottes. Die Treue Gottes reiche weiter als alle Vernichtungsandrohungen. (…) Lese man die biblischen Gerichtsandrohungen im theologischen Bezugsrahmen solcher Passagen, dann ließen sie sich als Ausdruck einer Theologie der verletzten Liebe verstehen. Der Zorn sei die Kehrseite dieser Liebe, bleibe dieser aber immer untergeordnet. Auf die Frage nach den Unterschieden zwischen den Gewaltdarstellungen in Bibel und Koran geht Raymond Ibrahim in seinem Aufsatz ein: 9. Raymond Ibrahim: Are Judaism and Christianity as violent as Islam? In: The Middle East Quarterly, 2009. Übersetzt von H. Eiteneier: http://www.meforum.org/2435/sind-judentumchristentum -gewalttaetig-wie-islam Der in den USA als Kind koptischer Christen geborene Autor setzt sich mit der Aussage auseinander , dass es Christen (und Juden) angesichts der eigenen Geschichte der Gewalt nicht anstehe , dem Koran die Legitimation von Gewalt vorzuwerfen. Ibrahim bezweifelt, dass es eine Analogie zwischen den Schriften gebe. Der fundamentale Fehler sei, die gewalttätige jüdischchristliche Geschichte gleichzusetzen mit der islamischen Theologie, die Gewalt befehle. Die biblischen Berichte über Gewalt seien beschreibender Natur und nicht dauerhaft vorgeschrieben. Dagegen seien bestimmte Aspekte islamischer Gewalt und Intoleranz im islamischen Recht stan- Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 015/17 Seite 11 dardisiert worden und würden für alle Zeiten gelten. Daher habe die im Koran vorgefundene Gewalt zwar einen historischen Kontext, ihr Ziel sei jedoch theologisch. Dies gelte auch für den Schwertvers. Der Religionswissenschaftler Jan Assmann hingegen vertritt die These, alle monotheistischen Religionen trügen aufgrund ihres Wahrheitsbegriffs bereits den Keim der Gewalt in sich: 10. Jan Assmann: Monotheismus und die Sprache der Gewalt. Wien, 2004. Der Autor konstatiert, dass mit dem Aufkommen des Monotheismus erstmals das Phänomen der Konversion auftrete. Von nun an gelte die Devise „Keine anderen Götter!“ und damit die Unterscheidung zwischen dem wahren Gott und den falschen Göttern. Mit diesem neuen, gesteigerten, emphatischen Wahrheitsbegriff gebe es auch eine Semantik des Bruchs, der Abgrenzung und der Konversion. In dem Zwang zur Entscheidung, der Pflicht zur Erinnerung und ständigem inneren Nachvollzug und der Angst vor Rückfall und Vergessen wurzelten die Motive der Gewalt, die tief in die Fundamente der kulturellen Semantik monotheistischer Religionen eingelassen seien. Assmann weist jedoch darauf hin, dass das semantische Dynamit, das in den heiligen Texten der monotheistischen Religionen stecke, nicht in den Händen der Gläubigen zünde, sondern in denen der Fundamentalisten, denen es um politische Macht gehe und die sich der religiösen Gewaltmotive bedienten, um die Massen hinter sich zu bringen. Der Theologe Richard Schröder dagegen verneint einen immanenten Zusammenhang zwischen Monotheismus und Gewalt: 11. Richard Schröder: Christentum und Gewalt. In: Michael Meyer-Blanck (Hrsg.): Krieg der Zeichen ? Zur Interaktion von Religion, Politik und Kultur. Würzburg, 2006, S.155ff. Der Autor bestreitet, dass Polytheisten generell friedliche Menschen seien. Er geht davon aus, dass die Affinität zwischen Religionen und Gewalt vielmehr davon abhänge, unter welchen Bedingungen eine Religion entstanden sei und in welche Funktion eine Religion unter bestimmten gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen einrücke. In Bezug auf das Christentum untersucht er dies im Folgenden anhand christlicher Gewaltexzesse wie Zwangstaufen, Kreuzzüge und Hexenverfolgungen. Dabei geht er auch auf mögliche biblische Legitimierungen ein. Er legt dar, dass es bei allen Gewaltexzessen konkrete politisch-historische Gründe und Entwicklungen gab, die etwa die Kreuzzugsbegeisterung oder die kirchliche Inquisition befeuerten. Sowohl in diesem Fall, als auch bei Zwangstaufen und Hexenverfolgungen habe es jedoch auch stets innerkirchlichen , theologisch begründeten Widerstand gegeben, der schließlich auch zum Erfolg geführt habe. So habe der Hexenwahn keineswegs durch die Aufklärung ein Ende gefunden, wie vielfach behauptet werde. Vielmehr sei er bereits im 17. Jahrhundert durch den Einsatz von Theologen und christlichen Juristen zum Erliegen gekommen, die sich in Wort und Tat erfolgreich gegen die Praktiken zur Wehr gesetzt hätten. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 015/17 Seite 12 Der Theologe und Kirchenhistoriker Arnold Angenendt untersucht in seinem 800 Seiten umfassenden Buch eingehend die einzelnen Kapitel der christlichen Gewaltgeschichte: 12. Arnold Angenendt: Toleranz und Gewalt. Das Christentum zwischen Bibel und Schwert. Münster, 2007. Der Autor zieht folgendes Fazit: Es bleibe festzuhalten, dass der Monotheismus sowohl jüdischer, christlicher wie islamischer Art stets den Inneren Menschen gefordert habe. Weil Gott allein auf das Innere schaue, sei ihm alles, was nicht diesem Innern entspringt, zuwider: Gott nehme nichts Erzwungenes an. Folglich habe es auch keinen Sinn, Menschen zum wahren Glauben zwingen zu wollen. So hätten die drei monotheistischen Hochreligionen ihr Gewaltproblem nicht eigentlich mit den Andersgläubigen, die unter Zwang zu bekehren gewesen wären, wohl aber mit den eigenen Abgefallenen, die sie als Gottesfeinde tatsächlich zu eliminieren bestrebt waren. Auf eine Kurzform gebracht heiße das: Freiheit für den Eintritt in die jeweilige Religion, aber keine Freiheit für das Verlassen. Weitere Literaturhinweise Hans. G. Kippenberg: Religionsgemeinschaften und Gewalt. In: Wissenschaft und Frieden, 2008 (3). Gerd Althoff/Thomas Bauer/Perry Schmidt-Leukel: Wie auch Christen und Buddhisten metzeln. FAZ 16.02.2015 Philippe Buc: Heiliger Krieg. Gewalt im Namen des Christentums. Darmstadt 2015. Karen Armstrong: Im Namen Gottes. Religion und Gewalt. München, 2014. Dirk Baier/Christian Pfeiffer: Der Einfluss der Religiosität auf das Gewaltverhalten von Jugendlichen . Ein Vergleich christlicher und muslimischer Religiosität. In: T.G. Schneider (Hrsg.): Verhärtete Fronten. Wiesbaden, 2012. Christine Abbt/ Donata Schoeller (Hrsg.): Im Zeichen der Religion. Gewalt und Friedfertigkeit in Christentum und Islam. Frankfurt, 2009. Jennifer Jefferis: Religion and Political Violence. Sacred protest in the modern world. London, 2009. Hans Maier: Gewalt im Christentum. In: Stimmen der Zeit, 2008 (10). S. 679ff. 4. Aussagen der muslimischen Dachverbände, der christlichen Kirchen in Deutschland sowie der al-Azhar Universität Kairo Die muslimische Gemeinschaft kennt keine den christlichen Kirchen vergleichbare Organisationsformen . Daher vertreten die vier in Deutschland etablierten islamischen Dachverbände lediglich einen kleinen Teil der hier lebenden Muslime: DITIB (Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V.), IR (Islamrat), VIKZ (Verband Islamischer Kulturzentren) und ZMD (Zent- Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 015/17 Seite 13 ralrat der Muslime in Deutschland). Alle vier Verbände verurteilen regelmäßig die Taten islamistischer Gewalttäter. Sie betonen dagegen den friedliebenden Charakter des Islam. So heißt es auf der Website des DITIB: „Islam bedeutet zugleich Frieden, Sicherheit und die freiwillige Hingabe an Gott. (…) Toleranz, Liebe und Gleichheit sind wichtige Elemente des Islam. (…) Das Bekenntnis darf nicht erzwungen werden. (…) Nach einem Hadis, einer Aussage des Propheten Muhammed (Friede sei mit ihm), hat sich ein Muslim so zu verhalten, dass sich kein Mensch vor dessen Worten und Taten zu fürchten hat.“ Die Deutsche Bischofskonferenz der Katholischen Kirche und die Evangelische Kirche in Deutschland betonen ebenfalls die starke Friedensbotschaft des Christentums, das unter anderem in dem Gebot der Feindesliebe biblisch verankert sei. (Matthäusevangelium Kapitel 5, Verse 44- 48)10. Beide Kirchen schließen sich immer wieder gemeinsam Aktionen und Aufrufen an, die das friedliche Zusammenleben in Deutschland stärken sollen, zuletzt dem Aufruf „Die Würde des Menschen ist unantastbar - Allianz für Weltoffenheit, Solidarität, Demokratie und Rechtsstaat - gegen Intoleranz, Menschenfeindlichkeit und Gewalt“11. Im Juni 2017 übermittelten die geistlichen Autoritäten der al Azhar Universität in Kairo dem ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al Sisi einen Text, der der Gewalt und der Hass-Propaganda extremistischer muslimischer Gruppen wie dem IS entgegenwirken und als Gesetzesvorlage dienen soll. In dem Text wird das Prinzip der friedlichen Koexistenz der Religionen befürwortet und auf die Allgemeinen Menschenrechte Bezug genommen.12 Immer wieder betonen offizielle Vertreter der al Azhar Universität den großen Friedenswillen, der von der islamischen Gemeinschaft ausgehe, zuletzt auf einer großen internationalen Friedenskonferenz Ende April 2017 in Kairo. 13 Jedoch sehen sich die Geistlichen auch immer wieder Kritik ausgesetzt, dass sie den Vertretern des gewaltsamen radikalen Islams nicht genug die Stirn böten und sie sogar noch theologisch befeuerten.14 10 https://www.ekd.de/Feindesliebe-10798.htm. Die Katholische Kirche veröffentlicht unter anderem zum Weltfriedenstag am 1. Januar regelmäßig Appelle zur Toleranz und Gewaltlosigkeit: http://www.dbk.de/presse/details /?suchbegriff=Feindesliebe&presseid=3298&cHash=74e95621f3c907fc714953705e31066e 11 http://www.allianz-fuer-weltoffenheit.de/ Den Aufruf unterstützt auch der Koordinationsrat der Muslime. 12 http://fides.org/en/news/62525-AFRI-CA_EGYPT_Al_Azhar_presents_a_bill_against_those_who_use_religion _to_justify_violence_and_hate_campaigns#.Wa-yAzNJY-V 13 https://de.qantara.de/content/internationale-friedenskonferenz-an-der-al-azhar-universitat-wenn-die-kartenneu -gemischt 14 https://www.welt.de/debatte/kommentare/article153293988/Fragen-an-den-Grossscheich-im-Deutschen-Bundestag .html Der deutsch-ägyptische Politologe Hamed Abdel-Samad wirft ihnen vor, dass sich al-Azhar dafür stark gemacht habe, dass jede Kritik am Islam juristisch verfolgt werfe: „Waren nicht Al-Azhar-Gelehrte mit ihren Apostasie-Fatwas dafür verantwortlich, dass der sudanesische Religionsreformer Mahmoud Taha im Jahre 1985 hingerichtet wurde, nur weil er die Gewaltpassagen im Koran als nicht mehr gültig erklärte? Führten nicht ähnliche Fatwas aus al-Azhar zur Ermordung des ägyptischen Denkers Faradsch Fauda 1992 in Kairo?“ Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 015/17 Seite 14 5. Salafisten in Deutschland Seit etwa 2005 steigt die Zahl der Anhänger einer sunnitisch geprägten, ideologisch-radikalen Auslegung des Islam in Deutschland, die seit 2009 mit dem Sammelbegriff „Salafisten“ bezeichnet werden. Die salafistische Bewegung zieht insbesondere junge muslimische Männer und Frauen sowie Konvertiten an. Sie wird als Nährboden für sich radikalisierende Jugendliche und junge Erwachsene betrachtet, die im Kontext des internationalen Terrorismus für Anschläge in Deutschland und für den Kriegseinsatz in Syrien ausgebildet werden. Ein Teil der etwa rund 10.100 Personen15 umfassenden salafistischen Szene in Deutschland gilt als gewaltbereit. Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen sprach im Februar 2017 von 1.600 Personen, die man dem „islamistisch-terroristischen Personenpotential“ zuordne16. Der Begriff Salafismus17 leitet sich vom arabischen "Salafiyya" und dem Ausdruck "salaf as-salih" ab, was mit "die frommen Altvorderen" übersetzt werden kann. Gemeint sind damit die ersten drei Generationen der Muslime nach dem Propheten Mohammed. Die Gesellschafts- und Religionsvorstellungen des 6. und 7. Jahrhunderts sind daher für das Selbstverständnis der Salafisten grundlegend. Sie halten die frühe Phase des Islam für ein "goldenes Zeitalter" und versuchen diese ihrer Meinung nach authentische islamische Lebensführung heute nachzuahmen. Dies zeigt sich nicht nur in ihren Auffassungen zu Geschlechterrollen oder dem Konsum von Alkohol, sondern bezieht auch ihre Kleidung und ihr äußeres Erscheinungsbild ein. Gemeinhin werden in der Literatur drei Ausprägungen des Salafismus in Deutschland beschrieben : • Politisch-missionarische, Gewalt ablehnende, in der Forschung auch „Puristen“ genannte Salafisten • Politisch-missionarische, den bewaffneten Kampf (Dschihad) legitimierende Salafisten • Dschihadistische, gewaltbereite Salafisten18 15 http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/bfv-warnt-vor-steigender-zahl-gewaltbereiter-salafisten- 15090363.html 16 http://www.zeit.de/news/2017-01/07/geheimdienste-maassen-die-salafisten-szene-wird-immer-lokaler- 07094405 17 Vgl. Begriffsdefinition von Armin Pfahl-Traughber: Salafismus – Was ist das überhaupt? http://www.bpb.de/politik /extremismus/radikalisierungspraevention/211830/salafismus-was-ist-das-ueberhaupt 18 Vgl. Dantschke, Attraktivität, Anziehungskraft und Akteure des politischen und militanten Salafismus in Deutschland, S. 63. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 015/17 Seite 15 Die erste Gruppe bildet die Mehrheit. Die vom Verfassungsschutz geschätzten 1.600 Personen, die als gewaltbereit gelten, werden eher der dritten Gruppe zugerechnet. Die Übergänge sind jedoch fließend. 6. Anhang o Aufsätze und Auszüge aus den dargestellten Büchern o Zeitungsartikel