© 2018 Deutscher Bundestag WD 1 - 3000 - 012/18 Zur Wahl von Reichstagspräsidium und Ausschussvorsitzenden in der Weimarer Republik unter besonderer Berücksichtigung von NSDAP und DNVP Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 - 3000 - 012/18 Seite 2 Zur Wahl von Reichstagspräsidium und Ausschussvorsitzenden in der Weimarer Republik unter besonderer Berücksichtigung von NSDAP und DNVP Aktenzeichen: WD 1 - 3000 - 012/18 Abschluss der Arbeit: 27. März 2018 Fachbereich: WD 1: Geschichte, Zeitgeschichte und Politik Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 - 3000 - 012/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Die Wahlen von Reichstagspräsidium und Ausschussvorsitzenden in der Geschäftsordnung des Weimarer Reichstages und in der parlamentarischen Praxis 5 2.1. Geschäftsordnungsrechtliche und informelle Regelungen zur Wahl des Reichstagspräsidenten und seiner Stellvertreter in der Weimarer Republik 6 2.1.1. Präsidiumsmitglieder von DNVP und NSDAP im Weimarer Reichstag 8 2.2. Geschäftsordnungsrechtliche und informelle Regelungen zur Wahl der Ausschussvorsitzenden in der Weimarer Republik 11 2.2.1. Ausschussvorsitzende von DNVP und NSDAP im Weimarer Reichstag 11 3. Literaturverzeichnis 13 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 - 3000 - 012/18 Seite 4 1. Einleitung Die vorliegende Ausarbeitung befasst sich mit den Wahlen des Präsidiums und der Ausschussvorsitzenden des Reichstags in der Weimarer Republik, wobei auf Wunsch des Auftraggebers besonders die Wahl von Kandidaten der NSDAP- und DNVP-Fraktionen in die genannten Ämter betrachtet wird. Die Frage, ob andere Fraktionen des Reichstages den Personalvorschlägen der NSDAP und der DNVP zugestimmt haben oder ob sie diese in Einzelfällen abgelehnt haben, kann für die Ausschussvorsitzenden nur kursorisch beantwortet werden, da es hierzu an analytischsystematischen Untersuchungen mangelt. In der historischen Forschung stand die Rolle, die der Reichstag in der Weimarer Republik spielt, bisher nur selten im Mittelpunkt der Betrachtungen. Es dominieren verfassungspolitische Fragestellungen , die den Reichstag primär aus der Perspektive des politischen Systems betrachten.1 Während die geschäftsordnungsrechtlichen Aspekte der Besetzung von Präsidium und Ausschussvorsitzenden in der Weimarer Republik eingehend untersucht sind,2 fehlt es an Studien zur parlamentarischen Alltagspraxis im Allgemeinen und zur Arbeit des Reichstagspräsidiums und der Ausschüsse in der Weimarer Republik im Besonderen. Ein Grund hierfür dürfte die ungünstige Quellenlage sein. Wichtige ungedruckte Quellen, z. B. die Materialien des Ältestenrates, die für die Frage der Vereinbarungen der Fraktionen über die Besetzung der Ausschussvorsitze von Interesse wären, wurden am Ende des Zweiten Weltkrieges zerstört. Zudem wurden in vielen Ausschüssen der Weimarer Republik nur Ergebnisprotokolle geführt, die über den Verlauf der Beratungen in den Ausschüssen keinen bzw. nur wenig Auskunft geben. Auch in den vorhandenen Untersuchungen zu den Parteien in der Weimarer Republik steht das parlamentarische Handeln der Fraktionen zumeist nicht im Mittelpunkt.3 Daher stützt sich diese Darstellung über die Besetzung von Reichstagspräsidium und Ausschussvorsitzen in der Weimarer Republik unter besonderer Berücksichtigung von Kandidaten der NSDAP und DNVP auf die in der Literatur vorhandenen einzelnen Hinweise. Während die Stenographischen Berichte der Sitzungen des Reichstages für die Wahlen zum Reichstagspräsidium einige interessante Hinweise geben, sind sie für die Frage der Ausschussvorsitze weniger interessant, da dort lediglich die Namen der Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden genannt werden. Zusätzliche Erkenntnisse über die 1 Thomas Mergel: Parlamentarische Kultur in der Weimarer Republik. Politische Kommunikation, symbolische Politik und Öffentlichkeit im Reichstag, 3. überarbeitete Auflage, Berlin 2012, S. 31 2 Vgl. u. a. Hans Trossmann: Reichstag und Bundestag – Organisation und Arbeitsweise, in: Der Reichstag. Aufsätze , Protokolle und Darstellungen zur Geschichte der parlamentarischen Vertretung des deutschen Volkes 1871-1933, hrsg. von der Bundeszentrale für Heimatdienst, Bonn 1963, S. 125-143; Florian Edinger: Wahl und Besetzung parlamentarischer Gremien. Präsidium, Ältestenrat, Ausschüsse, Berlin 1992; Sebastian Heer: Parlamentsmanagement . Herausbildungs- und Funktionsmuster parlamentarischer Steuerungsstrukturen in Deutschland vom Reichstag bis zum Bundestag, Düsseldorf 2015 3 Thomas Mergel (2012), a. a. O., S. 33-35; für die Arbeit der NSDAP-Fraktion in diesem Zusammenhang von besonderer Bedeutung: Martin Döring: >>Parlamentarischer Arm der Bewegung<<. Die Nationalsozialisten im Reichstag der Weimarer Republik, Düsseldorf 2001; für die Geschichte der DNVP in der Weimarer Republik von Interesse, wenngleich für die Frage von Parlamentspräsidien und Ausschussvorsitzenden weniger ergiebig: Maik Ohnezeit: Zwischen >> schärfster Opposition<< und dem >>Willen zur Macht<<. Die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) in der Weimarer Republik 1918-1928, Düsseldorf 2011 sowie Thomas Mergel: Das Scheitern des deutschen Tory-Konservatismus. Die Umformung der DNVP zu einer rechtsradikalen Partei 1928-1932, in: Historische Zeitschrift, Bd. 276 (2003), S. 323-368 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 - 3000 - 012/18 Seite 5 Arbeit von Reichstagspräsidien und Reichstagsausschüssen in der Weimarer Republik zu gewinnen , würde aufwändige Forschungsarbeiten unter Einbeziehung der zeitgenössischen Medienberichterstattung erfordern, die im Rahmen dieser Ausarbeitung nicht zu leisten sind. Die Zusammenfassung der vorhandenen Ergebnisse in dieser Ausarbeitung kann daher im Hinblick auf die Fragestellung keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben.4 2. Die Wahlen von Reichstagspräsidium und Ausschussvorsitzenden in der Geschäftsordnung des Weimarer Reichstages und in der parlamentarischen Praxis Die Wahl des Präsidiums und der Ausschussvorsitzenden in der Weimarer Republik richtete sich zunächst nach der bereits vor 1918 gültigen Geschäftsordnung des Reichstages, deren Übernahme – abgesehen von einigen staatsrechtlich bedingten Änderungen – sowohl die Weimarer Nationalversammlung als auch der Reichstag von 1920 zu Beginn ihrer parlamentarischen Beratungen beschlossen hatten.5 Erst im Jahr 1922 gab sich das Parlament eine neue Geschäftsordnung, die ihrerseits wiederum mit einigen verfassungsrechtlich bedingten Anpassungen nach 1949 vom Deutschen Bundestag bis zur Erarbeitung einer dauerhaften Geschäftsordnung im Jahr 1951 zunächst provisorisch weiterverwendet wurde.6 Insgesamt hat die Forschung in Bezug auf die Geschäftsordnungen deutscher Parlamente eine starke historische Kontinuität konstatiert, obwohl sich die Rolle des Parlaments im Verfassungssystem in den vergangenen 150 Jahren deutlich verändert hat. So lassen sich Teile der heutigen Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages bis zur Geschäftsordnung der Frankfurter Nationalversammlung der Jahre 1848/49 und des Preußischen Abgeordnetenhauses von 1851 zurückverfolgen.7 Auch für die Wahl des Parlamentspräsidenten und der Vizepräsidenten sowie für die Bestimmung der Ausschussvorsitzenden lässt sich eine vergleichsweise große Kontinuität feststellen. 4 Nicht eingegangen wird hier auf das Thema „Zulassung von Zwischenfragen von NSDAP- und DNVP-Abgeordneten “, nach dem ebenfalls gefragt wurde. Das Instrument der Zwischenfrage kannte die Geschäftsordnung des Reichstages in der Weimarer Republik nicht. Die Zwischenfrage wurde erst am 10. Dezember 1953 formlos durch die Installierung von 15 Saalmikrofonen im Deutschen Bundestag eingeführt und sollte ursprünglich nur für Zusatzfragen in der Fragestunde dienen. Die erste Zwischenfrage in einer Plenardebatte wurde am 5. Februar 1954 gestellt. Aufgrund einer Vereinbarung im Ältestenrat wurde die Geschäftsordnung am 26. Januar 1955 um eine Anlage „Handhabung der Zwischenfragen in den Plenarsitzungen“ ergänzt (vgl. Peter Schindler. Datenhandbuch zur Geschichte des Deutschen Bundestages 1949 bis 1999, Eine Veröffentlichung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages, Band 2, Baden-Baden 1999, S. 1685ff. und 2895f.). 5 Vgl. Hans Trossmann (1963), a. a. O., S. 125; Norbert Lammert: „Zur Geschäftsordnung“. Notizen zur Entstehung und Bedeutung parlamentarischer Verfahrensregeln, in: Die Geschäftsordnungen deutscher Parlamente seit 1848. Eine synoptische Darstellung, hrsg. vom Deutschen Bundestag, Bonn 1986, S. 11 6 Vgl. Gerald Kretschmer: Geschäftsordnungen deutscher Volksvertretungen, in: Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Hans-Peter Schneider und Wolfgang Zeh, Berlin, New York 1989, S. 294 7 Vgl. Norbert Lammert (1986), a. a. O., S. 9-18; Wolfgang Zeh: Altersschichten in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, Heft 3/1986, S. 396-413; Ulrich Sieberer: Lehren aus Weimar? Die erste Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages von 1951 zwischen Kontinuität und Reform, in: Zeitschrift für Parlamentsfragen, Heft 1/2016, S. 4 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 - 3000 - 012/18 Seite 6 2.1. Geschäftsordnungsrechtliche und informelle Regelungen zur Wahl des Reichstagspräsidenten und seiner Stellvertreter in der Weimarer Republik Bis 1918 sah die Geschäftsordnung die Wahl des Präsidenten sowie eines ersten und zweiten Stellvertreters mit verdeckten Stimmzetteln vor. Die Zahl der Vizepräsidenten wurde vom Reichstag im Juni 1918 auf drei erhöht. In der neuen Geschäftsordnung des Reichstages der Weimarer Republik von 1922 war die Zahl der Vizepräsidenten nicht festgelegt, wobei es in der parlamentarischen Praxis bei der Wahl von drei Vizepräsidenten blieb.8 Für die Wahl des Präsidenten und der Vizepräsidenten verlangten sowohl die Geschäftsordnung des Reichstages des Norddeutschen Bundes von 1868 als auch die Geschäftsordnung von 1922 die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen. Erreichte kein Kandidat diese Mehrheit im ersten Wahlgang, so waren bis 1918 unter Umständen weitere Wahlgänge mit mehreren Kandidaten notwendig. In der Geschäftsordnung von 1922 wurde das Wahlverfahren dahingehend vereinfacht, dass nur noch die beiden Kandidaten mit den höchsten Stimmenzahlen in die engere Wahl kamen.9 In den Geschäftsordnungen des Reichstages vor und nach 1918 war kein Anspruch einer Fraktion auf das Amt des Präsidenten oder Vizepräsidenten festgeschrieben. Allerdings war es bereits während des Kaiserreiches üblich, dass sich die „regierungsfreundlichen“ Fraktionen bei den Wahlen des Reichstagspräsidenten untereinander abstimmten. Große Fraktionen wie das Zentrum und später die Sozialdemokratie waren während des Kaiserreiches lange Zeit nicht bzw. – gemessen an ihren Wahlergebnissen – nur unzureichend im Präsidium vertreten.10 Erst in der Weimarer Republik bildete sich dann jener parlamentarische Brauch heraus, dass die stärkste Fraktion den Parlamentspräsidenten stellt, der im Gegensatz zum Kaiserreich auch nicht mehr der jeweiligen Regierungskoalition anzugehören brauchte.11 Unumstritten war dieser Brauch in der Weimarer Republik jedoch nicht, was sich daran ablesen lässt, dass sowohl bei den Wahlen zum Präsidenten als auch bei den Wahlen zu dessen Stellvertretern teilweise Gegenkandidaten aufgestellt wurden, so dass es partiell zu Stichwahlen kam.12 8 Vgl. Hans Trossmann (1963), a. a. O., S. 127; die Geschäftsordnung des Reichstages des Norddeutschen Bundes von 1868 bestimmte, dass ein erster und zweiter Vizepräsident gewählt wurde und sah insofern auch eine Rangfolge vor. Die Geschäftsordnung von 1922 ließ die Zahl der Vizepräsidenten offen, behielt jedoch die Bestimmung der Rangfolge bei der Wahl bei. Dies galt auch noch für die Wahl der Vizepräsidenten des Bundestages in der 1. Wahlperiode im Jahr 1949 (vgl. ebenda, S. 127). 9 Ebenda, S. 126 10 Michael F. Feldkamp: Der Bundestagspräsident. Amt, Funktion, Personen, 16. Wahlperiode, 17. Auflage, München 2007, S. 96f. 11 Florian Edinger (1992), a. a. O., S. 125; Sebastian Heer (2015), a. a. O., S. 229. Ein Ausnahmefall stellte die Wahl des Zentrumsabgeordneten Constantin Fehrenbach zum Präsidenten der Nationalversammlung im Februar 1919 dar. Er gehörte der zweitstärksten Fraktion an und wurde aufgrund einer Absprache mit der stärksten Fraktion, der SPD, zum Reichstagspräsidenten gewählt (vgl. Florian Edinger 1992, a. a. O., S. 126 mit Bezug auf Verhandlungen des Reichstages, Stenographische Berichte, II. Wahlperiode, Bd. 357, S. 9049) 12 Sebastian Heer (2015), a. a. O., S. 126; vgl. hierzu unten Kapitel 2.1.1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 - 3000 - 012/18 Seite 7 Zu konstatieren ist, dass die Wahl des Reichstagspräsidenten und seiner Stellvertreter ab 1928 zunehmend politisiert wurde. Während die Fraktionen bis dahin versucht hatten, sich im Vorfeld der Wahl des Präsidenten und seiner Stellvertreter möglichst einvernehmlich untereinander über die Besetzung des Präsidiums abzustimmen, wurde der Dissens nun zunehmend auch offen im Plenum ausgetragen. Anlässlich der Reichstagspräsidentenwahl im Jahr 1928 äußerte Wilhelm Frick als Vertreter der NSDAP, die zum damaligen Zeitpunkt noch eine Splittergruppe im Reichstag ohne Fraktionsstatus war, unverblümt, dass man den von der stärksten Fraktion, der SPD, erneut für das Amt des Reichstagspräsidenten vorgeschlagenen Kandidaten Paul Löbe nicht mitwählen könne und man ihm „ganz abgesehen von seiner Präsidialgeschäftsführung, schon in seiner Eigenschaft als Marxist und als Angehöriger dieser landes- und volksverräterischen Partei unser schärfstes Misstrauen“13 ausdrücke. Nachdem die NSDAP ihren Stimmanteil bei der Reichstagswahl vom 14. September 1930 von 2,6 Prozent auf 18,3 Prozent ausbauen konnte und zur zweitstärksten Fraktion nach der SPD im Reichstag geworden war, verschärfte Frick seine Diktion weiter. Die erneute Wahl Löbes zum Reichstagspräsidenten würde nach dem Ergebnis der Reichstagswahl „eine Verfälschung des Volkswillens“ darstellen, die „vom deutschen Volke nicht verstanden“ würde. Daher schlage man anstelle des „Marxisten“ und „Kriegsdienstverweigerers“ Löbe den „Frontsoldaten“ und Fraktionsvorsitzenden der Deutschen Volkspartei (DVP) Dr. Ernst Scholz als Reichstagspräsidenten vor.14 Auch wenn Scholz „im Zeichen der ‚antimarxistischen Front‘ von den rechten Parteien unterstützt wurde“15, konnte sich Löbe als Repräsentant der stärksten Fraktion bei der Reichstagspräsidentenwahl letztlich im 2. Wahlgang durchsetzen, da er gemäß den parlamentarischen Gepflogenheiten vom Zentrum16, von der Bayerischen Volkspartei, von der Wirtschaftspartei, von der Deutschen Staatspartei und vom Christlich-Sozialen Volksdienst17 unterstützt wurde. Genau dieses Festhalten am parlamentarischen Brauch führte nach den folgenden Reichstagswahlen zu einer deutlichen Zäsur, wie Thomas Mergel in seiner Studie zur parlamentarischen Kultur in der Weimarer Republik konstatiert hat: „1932 trat eine Qualitätsveränderung dahingehend ein, daß nun mit Hermann Göring das erste Mal ein Reichstagspräsident gewählt wurde, der nicht aus den Reihen der Ordnungsparteien entstammte. Wurde hierin noch wenigstens dem Brauch Genüge getan, daß der Präsident der stärksten Partei entstammen sollte, so wurden in der Zusammensetzung des Präsidiums fast alle informellen Maximen mißachtet. Denn im gesamten 13 Verhandlungen des Reichstages, IV. Wahlperiode 1928, Stenographische Berichte, Bd. 423, S. 6 14 Zitate aus Verhandlungen des Reichstages, V. Wahlperiode 1930, Stenographische Berichte, Bd. 444, S. 8f. 15 Thomas Mergel (2012), a. a. O., S. 434 16 vgl. Die Protokolle der Reichstagsfraktion und des Fraktionsvorstands der Deutschen Zentrumspartei 1926-1933, hrsg. von der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien, bearbeitet von Rudolf Morsey, Mainz 1969, S. 479 und 481 17 Der Christlich-Soziale Volksdienst entstand Ende 1928 aus dem Zusammenschluss von Christlichem Volksdienst und Christlich-sozialer Reichsvereinigung. Der Partei schlossen sich auch zahlreiche ehemalige DNVP- Abgeordnete an, die den dezidiert republik- und demokratiefeindlichen Kurs der DNVP unter der Führung Alfred Hugenbergs seit 1928 nicht mittragen wollten. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 - 3000 - 012/18 Seite 8 Präsidium fand sich kein einziger Sozialdemokrat mehr, obwohl die SPD nach wie vor die zweitstärkste Fraktion war; auch die drittstärkste Partei, die KPD, war nicht vertreten, so daß das Prinzip , wonach die größten Parteien zumindest mit einem Sitz im Reichstagspräsidium vertreten sein sollten, durchbrochen war.“18 2.1.1. Präsidiumsmitglieder von DNVP und NSDAP im Weimarer Reichstag Die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) war aufgrund ihrer Wahlergebnisse seit den Wahlen zur verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung und in den weiteren Wahlperioden des Reichstages – bis auf eine Ausnahme nach den Wahlen vom 6. November 1932 – kontinuierlich im Reichstagpräsidium vertreten. § 9 der Geschäftsordnung sah vor, dass die Fraktionen Anteile an den Stellen des Ältestenrats, des Vorstandes, der Ausschüsse und der Ausschussvorsitzenden und ihrer Stellvertreter „im Verhältnis zu ihrer Mitgliederzahl“ erhalten sollten. Dennoch bekamen die Kandidatenvorschläge der DNVP für das Reichstagspräsidium nicht immer die Zustimmung der anderen Fraktionen. Neben der KPD-Fraktion, die in den Wahlgängen für den Reichstagspräsidenten und seine drei Stellvertreter fast durchgehend nur für ihre eigenen Kandidaten votierte, verweigerte auch die SPD-Fraktion bei den Wahlen zum Reichstagspräsidium den DNVP-Kandidaten entgegen dem Parlamentsbrauch des Öfteren ihre Zustimmung. In der II. Wahlperiode stellte die DNVP mit Max Wallraf sogar den Reichstagspräsidenten, nachdem sie aus den Reichstagswahlen vom Mai 1924 als stärkste Fraktion hervorgegangen war. Allerdings konnte sich Wallraf gegen seinen Amtsvorgänger, den Sozialdemokraten Paul Löbe, erst in der Stichwahl durchsetzen.19 Die SPD-Fraktion hatte die Wahl von Wallraf zum Reichstagspräsidenten nicht unterstützt, da die DNVP es ihrerseits abgelehnt habe, bei der Abstimmung über den ersten Vizepräsidenten für den von der SPD vorgeschlagenen Kandidaten zu stimmen.20 In den nächsten Wahlperioden stellte die DNVP wieder jeweils einen Stellvertreter des Präsidenten . Nach der Reichstagswahl vom 20. Mai 1928 verweigerte die SPD jedoch dem Kandidaten der DNVP, die aus der Wahl als zweitstärkste Fraktion hervorgegangen war, für das Amt des ersten Vizepräsidenten ihre Zustimmung mit der Begründung, dass die DNVP bei der zuvor stattgefundenen Wahl des Reichstagspräsidenten weiße Stimmzettel abgegeben und damit bekundet habe, 18 Thomas Mergel (2012), a. a. O., S. 435; Mergel weist auch darauf hin, dass dieser Brauch im Fall der Kommunisten von jeher nicht eingehalten worden sei. Sie seien in keinem der früheren Reichstagspräsidien vertreten gewesen . Allerdings verweigerte sich die KPD ihrerseits beharrlich dem Brauch, den Kandidaten der stärksten Fraktion zum Reichstagspräsidenten mit zu wählen, was die SPD 1928 bei der Wahl zum Vizepräsidenten zur Begründung anführte, den KPD-Kandidaten nicht zu unterstützen, auch wenn der KPD nach den Worten des SPD-Abgeordneten Dittmann aufgrund des Stärkeverhältnisses das Vorschlagsrecht zugestanden hätte (vgl. Verhandlungen des Reichstages, IV. Wahlperiode 1928, Stenographische Berichte, Bd. 423, S. 9). 19 Verhandlungen des Reichstages, II. Wahlperiode 1924, Stenographische Berichte, Bd. 381, S. 12 20 Vgl. Verhandlungen des Reichstages, IV. Wahlperiode 1928, Stenographische Berichte, Bd. 423, S. 8. Nach der erneuten Reichstagswahl am 7. Dezember 1924 kam es zu einer Umkehr der Verhältnisse: Die SPD löste die DNVP wieder als stärkste Fraktion ab und stellte mit Paul Löbe erneut den Reichstagspräsidenten. Wie wenige Monate zuvor die SPD stellte die DNVP – entgegen dem Parlamentsbrauch – mit Max Wallraf bei der Wahl am 7 Januar 1925 einen eigenen Kandidaten für das Präsidentenamt auf. Er unterlag Löbe jedoch schon im 1. Wahlgang , da die Zentrumsfraktion für den SPD-Kandidaten votierte (vgl. Maik Ohnezeit 2011, a. a. O., S. 283). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 - 3000 - 012/18 Seite 9 „daß sie nicht willens gewesen ist, den Anspruch der stärksten Fraktion auf den Präsidentenposten anzuerkennen“.21 Die SPD schlug stattdessen den Zentrumsabgeordneten Thomas Esser als ersten Stellvertreter vor, der auch die Mehrheit der Stimmen der Abgeordneten erhielt. Auch bei den Wahlen zum zweiten und dritten Stellvertreter des Reichstagspräsidenten lehnte es die SPD- Fraktion ab, den jeweils erneut aufgestellten Kandidaten der DNVP, Walther Graef, zu wählen. Dieser konnte sich schließlich erst in der Stichwahl für das Amt des dritten Stellvertreters knapp gegen die von der SPD-Fraktion unterstützte Kandidatin der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) durchsetzen.22 Bei der Reichstagwahl vom 14. September 1930 verlor die DNVP im Vergleich zur Wahl von 1928 fast die Hälfte ihrer Stimmen und war nur noch viertstärkste Fraktion im Reichstag, während die NSDAP mit 18,3 Prozent zur zweitstärksten Fraktion im Reichstag aufstieg. Nachdem die NSDAP bis dahin nicht im Reichstagspräsidium vertreten gewesen war, erhob sie nun erstmals Anspruch auf das Amt des ersten Stellvertreters. Sie wurde hierbei von fast allen Fraktionen außer der SPD und der KPD unterstützt, so dass der NSDAP-Kandidat Franz Stöhr bereits im 1. Wahlgang die notwendige Mehrheit erhielt.23 Der Anspruch der DNVP, gemäß dem bisherigen parlamentarischen Brauch das Amt des dritten Vizepräsidenten mit einem eigenen Kandidaten zu besetzen, wurde von der SPD-Fraktion nicht anerkannt, nachdem die DNVP bei der Wahl des Reichstagspräsidenten zuvor mit Walther Graef ihren eigenen Kandidaten unterstützt und den erneut angetretenen Amtsinhaber der stärksten Fraktion, den SPD-Abgeordneten Paul Löbe, nicht mitgewählt hatte.24 Als dritten Vizepräsidenten schlug die SPD-Fraktion stattdessen einen Kandidaten der Bayerischen Volkspartei vor, der Graef jedoch in der Stichwahl unterlag.25 Bei der Reichstagswahl vom 31. Juli 1932 verdoppelte die NSDAP im Vergleich zur Wahl von 1930 ihren Stimmenanteil und wurde mit großem Abstand erstmals stärkste Fraktion im Reichstag .26 Bei der Wahl zum Reichstagspräsidenten setzte sich Hermann Göring im 1. Wahlgang mit 21 Verhandlungen des Reichstages, IV. Wahlperiode 1928, Stenographische Berichte, Bd. 423, S. 7f. 22 Ebenda, S. 9 23 Vgl. Verhandlungen des Reichstages, V. Wahlperiode 1930, Stenographische Berichte, Bd. 444, S. 10f. Die Wahl Stöhrs blieb jedoch eine kurze Episode, da er seine Vizepräsidentschaft im Zusammenhang mit dem im Februar 1931 erfolgenden mehrmonatigen Auszug der NSDAP aus dem Reichstag niederlegte (vgl. ebenda S. 948). An seiner Stelle wurde Siegfried von Kardorff von der Deutschen Volkspartei (DVP) zum ersten Stellvertreter des Präsidenten gewählt (vgl. ebenda, S. 949 sowie Martin Döring, 2001, S. 272 und 280). 24 Bei der notwendigen Stichwahl der beiden Kandidaten mit den meisten Stimmen unterstützte wohl ein Teil der DNVP-Abgeordneten den von der NSDAP vorgeschlagenen Kandidaten der DVP Scholz, dessen Stimmenzahl sich von 179 Stimmen im 1. Wahlgang auf 209 Stimmen im 2. Wahlgang erhöhte, während Löbe im 2. Wahlgang lediglich drei Stimmen mehr erhielt als im 1. Wahlgang (vgl. Verhandlungen des Reichstages, V. Wahlperiode 1930, Stenographische Berichte, Bd. 444, S. 9). 25 Ebenda, S. 12 26 Die NSDAP erhielt 37,3 Prozent der Stimmen und kam auf 230 Mandate, die SPD erzielte 21,6 Prozent der Stimmen und 133 Mandate, die KPD 14,3 Prozent der Stimmen und 89 Mandate, das Zentrum 12,4 Prozent und 75 Mandate, die DNVP 5,9 Prozent und 37 Mandate und die Bayerische Volkspartei 3,2 Prozent und 22 Mandate . Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 - 3000 - 012/18 Seite 10 367 Stimmen klar gegen den von der SPD-Fraktion erneut aufgestellten bisherigen Reichstagspräsidenten Paul Löbe durch, der nur auf 135 Stimmen kam.27 Neben der eigenen Fraktion wurde Göring bei seiner Wahl von der DNVP-, der DVP-, der BVP-und der Zentrumsfraktion28 fast geschlossen unterstützt. Auch bei der Wahl der drei Stellvertreter des Präsidenten hielt die informelle Koalition der genannten Fraktionen. Thomas Esser (Zentrum), Walther Graef (DNVP) und Hans Rauch (BVP) setzten sich klar gegen den von der SPD-Fraktion jeweils als Gegenkandidaten nominierten Paul Löbe durch.29 Die SPD-Fraktion, der als zweitstärkster Fraktion nach den bisherigen parlamentarischen Gepflogenheiten eigentlich die Besetzung des Amtes des ersten Stellvertreters zugestanden hätte, wurde bei den Wahlen zum Reichstagspräsidium somit komplett übergangen .30 Nach der erneuten Reichstagswahl vom 6. November 1932, bei der die NSDAP rund vier Prozent der Stimmen eingebüßt hatte, aber stärkste Fraktion geblieben war, änderte sich die Zusammensetzung des neuen Reichstagspräsidiums bis auf eine Ausnahme nicht. Während Hermann Göring als Reichstagspräsident ebenso bestätigt wurde wie Thomas Esser (Zentrum) als erster Stellvertreter und Hans Rauch (BVP) als zweiter Stellvertreter setzte sich Paul Löbe (SPD) bei der Wahl zum dritten Stellvertreter im zweiten Wahlgang mit nur einer Stimme Mehrheit gegen den von der NSDAP vorgeschlagenen Abgeordneten Dr. Otto Hugo (DVP) durch.31 Der bisherige Vizepräsident Walther Graef wurde von der DNVP erneut als Kandidat vorgeschlagen, landete aber bei den Wahlen zum dritten Stellvertreter im 1. Wahlgang abgeschlagen auf dem vierten Platz.32 Nach der Reichstagswahl vom 5. März 1933, die schon unter dem Eindruck der sich anbahnenden Diktatur und der Verfolgung der politischen Opposition stand, wurden sowohl der Reichstagspräsident als auch seine drei Stellvertreter durch Erheben von den Sitzen bzw. durch Zuruf 27 Verhandlungen des Reichstages, VI. Wahlperiode 1932, Stenographische Berichte, Bd. 454, S. 7 28 Die Zentrumsfraktion begründete ihre Entscheidung, für Göring als Reichstagspräsidenten zu votieren, mit „ihrer Tradition, den Kandidaten der stärksten Fraktion zu wählen“ (vgl. Die Protokolle der Reichstagsfraktion und des Fraktionsvorstands der Deutschen Zentrumspartei 1926-1933, a. a. O., S. 584). 29 Vgl. zu den Wahlergebnissen zum ersten bis dritten Stellvertreter: Verhandlungen des Reichstages, VI. Wahlperiode 1932, Stenographische Berichte, Bd. 454, S. 7f. 30 Die Zentrumsfraktion hatte im 1. Wahlgang für den ersten Stellvertreter gemäß den bisherigen parlamentarischen Usancen für Löbe votiert, obwohl die NSDAP ihrerseits hierfür den Zentrumsabgeordneten Thomas Esser vorgeschlagen hatte. Esser erhielt zwar die meisten Stimmen, nicht aber die notwendige Mehrheit. Erst bei der Stichwahl im 2. Wahlgang votierte die Zentrumsfraktion für ihren eigenen Kandidaten (vgl. Die Protokolle der Reichstagsfraktion und des Fraktionsvorstands der Deutschen Zentrumspartei 1926-1933, a. a. O., S. 585). 31 Infolge einer falschen Auszählung wurde bei der Wahl am 6. Dezember 1932 zunächst Stimmengleichheit zwischen dem SPD-Kandidaten Paul Löbe und dem von der NSDAP vorgeschlagenen Kandidaten der Deutschen Volkspartei Dr. Otto Hugo festgestellt; der anschließende Losentscheid fiel zugunsten Hugos aus (vgl. Verhandlungen des Reichstages, VII. Wahlperiode 1932, Stenographische Berichte, Bd. 455, S. 11). Das Ergebnis wurde jedoch in der Sitzung am 7. Dezember 1932 zugunsten Löbes berichtigt (vgl. ebenda, S. 19-21). 32 Nach der Reichstagswahl vom November 1932 hatte die DNVP 52 Mandate. Ebenso viele Stimmen erhielt der DNVP-Kandidat Walther Graef auch im 1. Wahlgang bei der Wahl zum dritten Stellvertreter (vgl. ebenda, S. 11). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 - 3000 - 012/18 Seite 11 „gewählt“. Dem Reichstagspräsidium gehörten neben Hermann Göring als Reichstagspräsident Thomas Esser (Zentrum), Walther Graef (DNVP) und Ernst Zörner (NSDAP) als Stellvertreter an.33 2.2. Geschäftsordnungsrechtliche und informelle Regelungen zur Wahl der Ausschussvorsitzenden in der Weimarer Republik Schon die Paulskirche 1848/49 kannte Ausschüsse als feste Gremien der Entscheidungsvorbereitung . Die Geschäftsordnung des Reichstags des Norddeutschen Bundes von 1868 sah die Einrichtung von sechs ständigen Ausschüssen als Kann-Vorschrift vor.34 In der Geschäftsordnung von 1922 war die Bildung von 15 ständigen Ausschüssen vorgesehen. Darüber hinaus konnte der Reichstag nach § 26 der Geschäftsordnung weitere ständige Ausschüsse sowie nach § 27 Sonderausschüsse für einzelne Angelegenheiten einsetzen.35 Die Zahl der Mitglieder in den Ausschüssen legte der Reichstag von Fall zu Fall fest. Die Fraktionen bestimmten gemäß § 28 der Geschäftsordnung die nach dem Proporz auf sie entfallenden ordentlichen und stellvertretenden Ausschussmitglieder. Die Besetzung der Auschussvorsitze ist in der Geschäftsordnung des Weimarer Reichstages von 1922 bereits anlog und nahezu textidentisch zur heutigen Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages geregelt gewesen. In § 29 hieß es: „Die Ausschüsse bestimmen ihre Vorsitzenden und deren Stellvertreter nach Vereinbarungen im Ältestenrat.“ Da im Ältestenrat nur vereinbart wurde, welche Fraktion den Vorsitz oder den stellvertretenden Vorsitz erhielt, wurden die Abgeordneten auf Vorschlag der jeweiligen Fraktion vom Ausschuss gewählt. Trossmann betont, dass die Ausschüsse nicht an die Vorschläge der Fraktionen hinsichtlich der Person gebunden gewesen seien, diese seien aber üblicherweise entsprechend den Vorschlägen der Fraktionen gewählt worden.36 Auch in der sonstigen Literatur finden sich keine Hinweise auf abweichendes Verhalten bei der Wahl der Vorsitzenden in den Ausschüssen. 2.2.1. Ausschussvorsitzende von DNVP und NSDAP im Weimarer Reichstag Es wurde bereits betont, dass es in der Forschung nur wenige Hinweise zur alltäglichen Arbeit der Parlamentsausschüsse in der Weimarer Republik gibt. Insbesondere die Frage, ob Vorschläge der DNVP- und NSDAP-Fraktion zur Besetzung der Ausschussvorsitzenden und ihrer Stellvertreter im Vorfeld bei anderen Fraktionen auf Ablehnung stießen, kann aufgrund des vorhandenen Forschungsstandes nicht hinreichend beantwortet werden. Klar ist, dass die DNVP-Fraktion wäh- 33 Vgl. Verhandlungen des Reichstages, VIII. Wahlperiode 1933, Stenographische Berichte, Bd. 457, S. 16 34 Hans Trossmann (1963), a. a. O., S. 132; Thomas Mergel (2012), a. a. O., S. 56 35 Von dieser Möglichkeit machte der Reichstag in der Weimarer Republik auch reichlich Gebrauch. In zwei Wahlperioden gab es insgesamt sogar 45 ständige Ausschüsse und Sonderausschüsse (vgl. die Übersicht bei Thomas Mergel 2012, a. a. O., Tabelle 9, S. 192). 36 Hans Trossmann (1963), a. a. O., S. 132 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 - 3000 - 012/18 Seite 12 rend der gesamten Weimarer Republik Vorsitzende und stellvertretende Vorsitzende in zahlreichen Ausschüssen gestellt hat, da sie in allen Wahlperioden in Fraktionsstärke im Weimarer Reichstag vertreten war. Für die NSDAP galt dies nicht. Vor dem Jahr 1930 erreichte die NSDAP nur in der II. Wahlperiode im Jahr 1924 einmal kurzfristig Fraktionsstärke, da sie zur Reichstagswahl am 4. Mai 1924 im Wahlbündnis mit der Deutschvölkischen Freiheitspartei antrat und 6,5 % der Stimmen bzw. 32 Reichstagsmandate errang. Beide Parteien bildeten unter der Bezeichnung „Nationalsozialistische Freiheitspartei“ (NSFP) eine kurzlebige Fraktionsgemeinschaft, die dadurch auch einen anteiligen Anspruch bei der Besetzung der Ausschussvorsitze erwarb. Laut den im Stenographischen Protokoll bekannt gegebenen Namen der Vorsitzenden und ihrer Stellvertreter in den Ausschüssen erhielt die Fraktionsgemeinschaft „Nationalsozialistische Freiheitspartei“ mit Dr. Christian Roth einen Ausschussvorsitz im Ausschuss für Bevölkerungspolitik und mit Paul Rahl einen stellvertretenden Ausschussvorsitz im Ausschuss für Beamtenangelegenheiten.37 Zur Reichstagswahl am 7. Dezember 1924 traten beide Parteien erneut als Wahlbündnis an, konnten jedoch nur noch 3,0 Prozent der Stimmen und 14 Mandate erzielen. Damit verpassten sie den Fraktionsstatus und stellten nach der erneuten Konstituierung als Fraktionsgemeinschaft auch keinen Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden in den Ausschüssen mehr. Fraktionsstatus erreichte die NSDAP erst wieder nach den Reichstagswahlen vom 14. September 1930. Döring betont in seiner Studie zur Arbeit der NSDAP-Reichstagsfraktion in der Weimarer Republik , dass die NSDAP in der V. Legislaturperiode 1930-1932 als zweitstärkste Fraktion erstmals Einfluss auf die Bestellung und die Arbeit des Reichstagspräsidiums und der Parlamentsausschüsse gewonnen habe.38 Aufgrund ihres Fraktionsstatus sei sie nun in sämtlichen Ausschüssen des Reichstages vertreten gewesen und habe gemäß ihrer Bedeutung als zweitstärkste Fraktion den Vorsitz im Ausschuss für die Wahrung der Rechte der Volksvertretung (Gregor Straßer), im Auswärtigen Ausschuss (Wilhelm Frick), im Rechtsausschuss (Hans Frank) sowie im Ausschuss für Wohnungswesen (Hans Fabricius) innegehabt. Darüber hinaus habe sie die stellvertretenden Vorsitzenden im Haushaltsauschuss (Fritz Reinhardt) sowie im Sozialausschuss (Wilhelm Dreher ) gestellt.39 Auch wenn sich der Verlauf der nichtöffentlichen Sitzungen anhand des zeitgenössischen Quellenmaterials nur eingeschränkt nachzeichnen lasse, so überwiege laut Döring doch der Eindruck, 37 Siehe Verhandlungen des Reichstages, II. Wahlperiode 1924, Stenographische Berichte, Bd. 381, S. 257. Döring stellt fest, dass die Nationalsozialisten von den 32 Mandatsträgern der Nationalsozialistischen Freiheitspartei lediglich neun oder zehn Abgeordnete stellten. Die genaue Zuordnung der völkischen Abgeordneten zu den einzelnen Gruppierungen falle schwer, da sich viele von ihnen öffentlich bloß als Völkische, nicht aber als Nationalsozialisten oder Deutschvölkische bezeichneten und auch stets im Sinne einer völkischen Sammlung agierten . (vgl. Martin Döring 2001, a. a. O., S. 66 samt Fußnote 6). 38 Ebenda, S. 271 39 Ebenda, S. 273 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 - 3000 - 012/18 Seite 13 dass die NSDAP ihre gestiegenen Einflussmöglichkeiten vor allem dazu genutzt habe, um Obstruktion zu betreiben.40 Dies stieß bei den anderen Fraktionen zum Teil auf deutliche Kritik. So versuchten Abgeordnete des Zentrums vergeblich, Hans Frank von seinem Amt als Vorsitzender des Rechtsausschusses abzuberufen, da er bei der ersten Lesung der geplanten Strafrechtsänderungen am 10. Dezember 1930 im Plenum antisemitisch gegen die Straffreiheit für Schächtungen polemisiert und dem in dieser Frage andersgesinnten Zentrum vorgeworfen hatte, „den katholischen Glauben (…) für seine schmutzigen politischen Geschäfte zu missbrauchen“.41 Den zum Teil sehr eigenwilligen Umgang nationalsozialistischer Ausschussvorsitzender mit der Geschäftsordnung belegt ein weiteres Beispiel. Im Juli 1932 sah sich Reichstagspräsident Löbe genötigt, die von der Mehrheit der Mitglieder beantragte Einberufung des Ausschusses für die Wahrung der Rechte der Volksvertretung zu erzwingen, nachdem sich der Ausschussvorsitzenden Gregor Straßer mehrfach hartnäckig geweigert hatte, das Gremium einzuberufen.42 Straßer begründete seine der Geschäftsordnung widersprechende Weigerung in einem Brief an Löbe damit , dass dort „weder positive Arbeit geleistet werden könnte, noch das deutsche Volk das fruchtlose und daher sinnlose Palaver eines Fragments des aufgelösten Reichstags interessiert“.43 Löbe wies darauf hin Hugo Heimann als ältestes Ausschussmitglied an, den Ausschuss einzuberufen und die Abwahl des Vorsitzenden auf die Tagesordnung zu setzen. Die Sitzung, an der weder die Vertreter der NSDAP und DNVP teilnahmen, fand am 22. Juli 1932 schließlich statt. Der Ausschuss erklärte seine Einberufung für rechtsgültig. Er wählte den Sozialdemokraten Wilhelm Hoegner zum stellvertretenden Vorsitzenden und wählte Straßer als Vorsitzenden ab. 44 3. Literaturverzeichnis Döring, Martin (2001): >>Parlamentarischer Arm der Bewegung<<. Die Nationalsozialisten im Reichstag der Weimarer Republik, Düsseldorf 2001 Edinger, Florian (1992): Wahl und Besetzung parlamentarischer Gremien. Präsidium, Ältestenrat, Ausschüsse, Berlin 1992 40 Einige Beispiele hierfür finden sich bei Martin Döring (2001), a. a. O., S. 274-276 41 Zitiert nach: ebenda, S. 275; das Zentrum forderte eine Abberufung Franks, weil er die Geschäftsordnung verletzt und sich als unfähig erwiesen habe, die Verhandlungen objektiv zu leiten. Eine Abberufung des Vorsitzenden sei aus Sicht der Fraktion möglich, da er ja auch gewählt werden müsse. Die Nationalsozialisten sollten stattdessen einen anderen Kandidaten vorschlagen (vgl. hierzu Die Protokolle der Reichstagsfraktion und des Fraktionsvorstands der Deutschen Zentrumspartei 1926-1933, a. a. O., S. 497f. und 506f.). 42 Vgl. Martin Döring (2001), a. a. O., S. 275 43 Zitiert nach: Thomas Mergel (2012), a. a. O., S. 447 44 Eine Neuwahl des Vorsitzenden in der Sitzung unterblieb, da der NSDAP der Vorsitz gemäß den Vereinbarungen im Ältestenrat zustand (vgl. ebenda, S. 447f.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 - 3000 - 012/18 Seite 14 Feldkamp, Michael F. (2007): Der Bundestagspräsident. Amt, Funktion, Personen, 16. Wahlperiode , 17. Auflage, München 2007 Heer, Sebastian (2015): Parlamentsmanagement. Herausbildungs- und Funktionsmuster parlamentarischer Steuerungsstrukturen in Deutschland vom Reichstag bis zum Bundestag, Düsseldorf 2015 Kretschmer, Gerald (1989): Geschäftsordnungen deutscher Volksvertretungen, in: Parlamentsrecht und Parlamentspraxis in der Bundesrepublik Deutschland, hrsg. von Hans-Peter Schneider und Wolfgang Zeh, Berlin, New York 1989, S. 289-331 Lammert, Norbert (1986): „Zur Geschäftsordnung“. 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