© 2016 Deutscher Bundestag WD 1 - 3000 - 012/16 Aspekte der Auswanderung aus Deutschland Ein Überblick über Migrationsbewegungen seit dem 18. Jahrhundert Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Einleitung Diesem Sachstand liegt die Frage zu Grunde, welche historischen Fluchtbewegungen es in den vergangenen Jahrhunderten (ab 1700) gegeben hat, bei denen Deutsche in einer größeren Anzahl in ein anderes Land ausgewandert sind. Dabei wird auch nach den Fluchtursachen, der jeweiligen Größenordnung, den Zielländern sowie den Ankunfts- und Aufnahmebedingungen in den Zielländern gefragt. Grundsätzlich ist der Begriff Flüchtling erst seit der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 näher definiert. Demnach ist ein Flüchtling eine Person, die „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will; oder die sich als staatenlose infolge solcher Ereignisse außerhalb des Landes befindet, in welchem sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und nicht dorthin zurückkehren kann oder wegen der erwähnten Befürchtungen nicht dorthin zurückkehren will“.1 Gemäß dem aktuellen Migrationsbericht des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge spricht man von Migration, wenn eine Person ihren Lebensmittelpunkt räumlich verlegt, und von internationaler Migration, wenn dies über Staatsgrenzen hinweg geschieht.2 Laut dem Glossar „Asyl und Migration“ des Europäischen Migrationsnetzwerks (EMN) ist Migration im globalen Kontext „die Wanderung einer Person oder einer Gruppe von Personen, entweder über eine internationale Grenze (internationale Migration) oder innerhalb eines Staates (Binnenmigration). Es ist eine Bevölkerungswanderung , die alle Arten von Wanderungen von Menschen umfasst, wie auch immer ihre Dauer, Zusammensetzung und Ursachen sein mögen, sie umfasst die Migration von Flüchtlingen , Vertriebenen, Wirtschaftsmigranten und Personen, die aus anderen Gründen wandern, einschließlich der Familienzusammenführung“.3 In der migrationshistorischen Forschung werden sehr vielfältige Migrationsformen beobachtet, die Ergebnis unterschiedlicher Hintergründe und Ziele von Migranten waren. Eine dieser Formen ist die Zwangsmigration, zu der auch Flucht, Vertreibung oder Umsiedlung zählen.4 Der Großteil 1 Vgl. Artikel 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951. Siehe auf der Internetseite des Außenbüros des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (United Nations High Commissioner for Refugees, UNHCR) in Deutschland unter: http://www.unhcr.de/mandat/genfer-fluechtlingskonvention .html (Stand: 11. Mai 2016). 2 Vgl. Migrationsbericht 2014. Bundesamt für Migration und Flüchtlinge im Auftrag der Bundesregierung. Bundesministerium des Inneren. Berlin. Januar 2016. Seite 11. 3 Vgl. das Glossar „Asyl und Migration“ des Europäischen Migrationsnetzwerks (EMN). Europäische Kommission . Brüssel. Januar 2012. Seite 141. Siehe auf der Internetseite des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge unter: http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/EMN/Glossary/emnglossary 2.html?nn=6144894 (Stand: 11. Mai 2016). 4 Vgl. Oltmer, Jochen (Hrsg.). Handbuch Staat und Migration in Deutschland seit dem 17. Jahrhundert. Berlin/Boston. 2016. Seite 11/12. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 012/16 Seite 5 der Migration aus Deutschland seit dem 18. Jahrhundert wird historisch mit dem Begriff Auswanderung bezeichnet, bei der die Auswanderer (oder Emigranten) ihr Heimatland auf Dauer verlassen haben, um ihre Lebensbedingungen zu verbessern. In diesem Sachstand wird deshalb Auswanderung als der übliche historische Begriff verwendet, Migration als Oberbegriff aus heutiger Sicht sowie der Begriff Flüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention. Auf Migrationsbewegungen im Zusammenhang mit Flucht, Vertreibung und Aussiedlung seit der Endphase des Zweiten Weltkrieges sowie in die deutschen Kolonialgebiete wird in diesem Sachstand nicht näher eingegangen, da es sich hier um eine Immigration nach Deutschland oder eine Binnenmigration innerhalb des deutschen Staatsgebietes handelte. Eine Darstellung von Ankunfts- und Aufnahmebedingungen deutscher Auswanderer ist im Rahmen dieses Sachstandes nicht möglich, da sich diese in den einzelnen Zielländern, einzelnen dortigen Regionen und verschiedenen Abschnitten des betrachteten langen Zeitraums höchst unterschiedlich gestaltet haben. Grundsätzlich lässt sich aber sagen, dass es teilweise auch eine starke Rück- oder Weiterwanderung gab, die aber wegen fehlender Daten nicht genau beziffert werden kann.5 2. Grundzüge der Auswanderung aus Deutschland und wichtige Zielländer Der Dreißigjährige Krieg (1618 bis 1648) hatte in einigen deutschen Gebieten zu starken Zerstörungen und einem erheblichen Bevölkerungsrückgang geführt. Die jeweiligen Landesherren warben darauf hin erfolgreich erwerbsfähige Personen aus anderen, teilweise überbevölkerten Regionen an, zu denen auch Glaubensflüchtlinge wie insbesondere die protestantischen Hugenotten aus Frankreich gehörten. Bis Mitte des 18. Jahrhunderts dominierte zunächst die Einwanderung in deutsche Staaten, sodass hier die Bevölkerung stark anwuchs.6 Die Auswanderung aus Deutschland gewann erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts an Bedeutung. Bis in die 1830er Jahre waren Russland sowie Ost- und Südosteuropa die wichtigsten Zielregionen. Der Umfang dieser kontinentalen Wanderungsbewegungen wird für das 18. Jahrhundert auf 500.000 bis 700.000 Menschen geschätzt. Die zeitgleich einsetzenden ersten transatlantischen Wanderungsbewegungen mit Nordamerika als wichtigster Zielregion waren zunächst zahlenmäßig deutlich geringer. Im Jahr 1775 haben laut Schätzungen ca. 225.000 Menschen deutscher Herkunft in den britischen Kolonien Nordamerikas gelebt.7 Ab den 1830er Jahren war die transatlantische Auswanderung von großen Zuwächsen gekennzeichnet und entwickelte sich zu einer Massenbewegung. Zwischen 1816 und 1914 emigrierten schätzungsweise ca. 5,5 Millionen Deutsche nach Übersee. Dabei wird das Jahr 1893 häufig als 5 Vgl. Ette, Andreas / Sauer, Lenore. Auswanderung aus Deutschland. Daten und Analysen zur internationalen Migration deutscher Staatsbürger. Wiesbaden. 2010. Seite 50. 6 Vgl. den Artikel „Historische Entwicklung der Migration nach und aus Deutschland“ vom 22. Juni 2015 auf der Internetseite der Bundeszentrale für politische Bildung unter: http://www.bpb.de/gesellschaft/migration/laenderprofile /208607/historische-entwicklung (Stand: 11. Mai 2016). 7 Vgl. Ette, Andreas / Sauer, Lenore. Auswanderung aus Deutschland. Daten und Analysen zur internationalen Migration deutscher Staatsbürger. Wiesbaden. 2010. Seite 48. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 012/16 Seite 6 Ende der Massenauswanderung bezeichnet. Von 1894 bis 1918 gingen die Auswanderungszahlen wieder auf das Niveau der 1840er Jahre zurück. Hauptzielland deutscher Auswanderer waren dabei zu 80 bis 90 Prozent die USA. Weitere wichtige Zielländer waren Kanada, Brasilien, Argentinien , Chile, Australien und Neuseeland. In den USA stellte die in Deutschland geborene Bevölkerung im Zeitraum 1820 bis 1860 mit rund 30 Prozent nach den Iren die zweitstärkste und in den Jahren 1861 bis 1890 sogar die stärkste Einwanderergruppe.8 Auch die Auswanderung in das europäische Ausland blieb weiterhin von Bedeutung. Die Zahl der dort registrierten Deutschen wurde um das Jahr 1900 auf etwa 740.000 und 1910 auf rund 850.000 geschätzt. Mit fast 220.000 Personen lebte davon die größte Gruppe in dieser Zeit in der Schweiz. Weitere wichtige Zielländer waren Russland, Österreich-Ungarn, Frankreich, Belgien und Großbritannien.9 Auch nach dem Ersten Weltkrieg gab es eine zahlenmäßig große Abwanderung Deutscher, allerdings in geringerem Umfang als davor. Es wird geschätzt, dass von 1919 bis 1932 etwa 603.000 Deutsche nach Übersee auswanderten. Zielländer waren vor allem die USA sowie Kanada, Brasilien und Argentinien. Ein Großteil der überseeischen Einwanderungsländer, die sich im Krieg gegen Deutschland verbündet hatten, nahm allerdings zunächst keine Deutschen auf oder kontingentierte deren Zuzug. Gleichzeitig stieg die kontinentale Aus- und Arbeitswanderung vor allem in die Schweiz, die Niederlande und die skandinavischen Länder.10 Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten Anfang 1933 begann mit der politischen Emigration und der jüdischen Fluchtbewegung ein neuer Abschnitt in der deutschen Auswanderungsgeschichte . Diese Emigration und Flucht verlief schubweise von der Machtübernahme Hitlers und den frühen Maßnahmen zur Bekämpfung innenpolitischer Gegner, den ersten antisemitischen Gesetzen über die „Nürnberger Rassengesetze“ von 1935 bis zur letzten Auswanderungswelle nach der offenen Gewalt gegen Juden in der „Reichsprogromnacht“ 1938. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges und dem Abwanderungsverbot 1941 wurden die Emigrationsmöglichkeiten drastisch reduziert. Die Anzahl jüdischer Emigranten wird auf ca. 450.000 bis 600.000 geschätzt . Im Jahr 1933 erfolgte diese Flucht zu 75 Prozent in europäische Staaten und nach 1934 überwiegend in die USA, nach Palästina und nach Argentinien. Außerdem emigrierten bis 1939 auch 25.000 bis 30.000 Personen, die im Kultur- und Wissenschaftsbereich tätig waren oder die wegen ihrer politischen Arbeit in Deutschland, Österreich und den besetzten Gebieten der Tsche- 8 Vgl. Ette, Andreas / Sauer, Lenore. Auswanderung aus Deutschland. Daten und Analysen zur internationalen Migration deutscher Staatsbürger. Wiesbaden. 2010. Seite 49; sowie den Artikel „Die Auswanderung aus Deutschland“ von Johannes Leicht vom Deutschen Historischen Museum in Berlin vom 23. Juni 2010 auf der Internetseite von LeMO, einem Online-Portal zur deutschen Geschichte in Kooperation der Stiftung Deutsches Historisches Museum, der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland und des Bundesarchivs , unter: https://www.dhm.de/lemo/kapitel/reaktionszeit/alltagsleben/auswanderung.html (Stand: 11. Mai 2016). 9 Vgl. Ette, Andreas / Sauer, Lenore. Auswanderung aus Deutschland. Daten und Analysen zur internationalen Migration deutscher Staatsbürger. Wiesbaden. 2010. Seite 49. 10 Vgl. Ette, Andreas / Sauer, Lenore. Auswanderung aus Deutschland. Daten und Analysen zur internationalen Migration deutscher Staatsbürger. Wiesbaden. 2010. Seite 52/53. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 012/16 Seite 7 choslowakei verfolgt wurden. Viele dieser geflüchteten Regimegegner blieben in Europa und entschieden sich vor allem für Frankreich, Spanien, Großbritannien und die Sowjetunion als Zielländer . Während der nationalsozialistischen Herrschaft nahmen insgesamt weltweit mehr als 80 Staaten Flüchtlinge aus Deutschland auf.11 Die Endphase des Zweiten Weltkrieges und die Jahre bis 1950 waren von Vertreibung und Fluchtbewegungen dominiert. Etwa 12 bis 14 Millionen Deutsche und Angehörige deutscher Minderheiten ohne deutsche Staatsangehörigkeit flohen aus den deutschen Ostgebieten sowie aus Ost-, Mittel- und Südosteuropa nach Westen bzw. in die späteren alliierten Besatzungszonen. Eine Auswanderung aus Deutschland blieb bis Anfang der 1950er Jahre aufgrund der restriktiven Einwanderungsbestimmungen der alliierten Staaten sehr begrenzt, da sie zunächst im Wesentlichen nur deutschen Ehepartnern und Kindern ausländischer Staatsangehöriger, anerkannten Verfolgten des nationalsozialistischen Regimes sowie besonders begehrten deutschen Wissenschaftlern und Hochqualifizierten möglich war.12 Nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland und der Lockerung der Einreisebedingungen in den wichtigsten Zielländern gab es seit Anfang der 1950er Jahre wieder einen starken Anstieg der Auswanderung. Von 1946 bis 1961 wanderten laut dem Statistischen Bundesamt 780.000 Deutsche nach Übersee aus, davon etwa die Hälfte in die USA, 234.000 nach Kanada und 80.000 nach Australien. Außerdem emigrierten zwischen 1945 und 1952 schätzungsweise 180.000 Deutsche in westeuropäische Staaten, insbesondere nach Frankreich und Großbritannien . Erst seit 1954 gibt es zuverlässige statistische Daten, nach denen es zwischen 1954 und 1959 eine jährliche Auswanderung von etwa 100.000 Personen aus Deutschland gab. Ab Anfang der 1960er Jahre führte der Wirtschaftsaufschwung in Deutschland zu einem spürbaren Rückgang der Auswanderung.13 3. Gründe für die Auswanderung Als wichtigste Gründe für die Auswanderung Deutscher werden in der Literatur grundsätzlich die Folgen des Übergangs von der Agrar- zur Industriegesellschaft mit seinen sozialen und wirt- 11 Vgl. Ette, Andreas / Sauer, Lenore. Auswanderung aus Deutschland. Daten und Analysen zur internationalen Migration deutscher Staatsbürger. Wiesbaden. 2010. Seite 53; sowie den Artikel „Historische Entwicklung der Migration nach und aus Deutschland“ vom 22. Juni 2015 auf der Internetseite der Bundeszentrale für politische Bildung unter: http://www.bpb.de/gesellschaft/migration/laenderprofile/208607/historische-entwicklung (Stand: 11. Mai 2016). 12 Vgl. den Artikel „Historische Entwicklung der Migration nach und aus Deutschland“ vom 22. Juni 2015 auf der Internetseite der Bundeszentrale für politische Bildung unter: http://www.bpb.de/gesellschaft/migration/laenderprofile /208607/historische-entwicklung (Stand: 11. Mai 2016); den Artikel „Flucht und Vertreibung“ vom 22. Februar 2016 auf der Internetseite des Online-Portals LeMO unter: https://www.hdg.de/lemo/kapitel/nachkriegsjahre /alltag/flucht-und-vertreibung.html (Stand: 11. Mai 2016); sowie Ette, Andreas / Sauer, Lenore. Auswanderung aus Deutschland. Daten und Analysen zur internationalen Migration deutscher Staatsbürger. Wiesbaden . 2010. Seite 54. 13 Vgl. Ette, Andreas / Sauer, Lenore. Auswanderung aus Deutschland. Daten und Analysen zur internationalen Migration deutscher Staatsbürger. Wiesbaden. 2010. Seite 54/55. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 012/16 Seite 8 schaftlichen Folgen sowie ein starkes Bevölkerungswachstum mit unzureichenden Beschäftigungsmöglichkeiten genannt. Diese Situation wurde durch Kriegsfolgen, Missernten, Hungersnöte , Teuerungskrisen und Steuererhöhungen verschärft.14 Darüber hinaus gab es auch politische Motive wie die Unzufriedenheit über die obrigkeitsstaatlichen Verhältnisse, die insbesondere bei den Auswanderungsbewegungen nach dem Hambacher Fest 1832 und nach der gescheiterten Revolution von 1848 eine Rolle spielten.15 Außerdem gab es vor allem in den Anfangsjahren vielfach religiöse Gründe für die Auswanderung.16 Weiterhin werden auch vereinzelt persönliche Motive wie Furcht vor Strafverfolgung, Abenteuerlust, die Verhinderung zur Einberufung in mehrjährige Militärdienste, Streit mit Angehörigen sowie die Vermeidung einer sozialen Ächtung genannt, der sich beispielsweise entlassene Strafgefangene oder ledige Mütter entziehen wollten.17 Gleichzeitig übten viele Zielländer wie vor allem Nordamerika, Kanada, Australien, Neuseeland und die südamerikanischen Staaten aufgrund wirtschaftlicher Chancen eine große Anziehungskraft aus. Neben der Möglichkeit des Grunderwerbs waren beispielsweise die Goldfunde in Kalifornien und Australien in den 1850er Jahren von Bedeutung. Ökonomische Erfolgsaussichten und auch Vorstellungen politischer Selbstbestimmung trugen zu einem Mythos der unbegrenzten Möglichkeiten in der "Neuen Welt“ bei.18 Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts verbesserten sich dann die Voraussetzungen für die Auswanderung in außereuropäische Zielgebiete, insbesondere durch günstigere und schnellere 14 Vgl. Ette, Andreas / Sauer, Lenore. Auswanderung aus Deutschland. Daten und Analysen zur internationalen Migration deutscher Staatsbürger. Wiesbaden. 2010. Seite 50; Bade, Klaus J. Die deutsche überseeische Massenauswanderung im 19. und frühen 20. Jahrhundert: Bestimmungsfaktoren und Entwicklungsbedingungen. In: Bade, Klaus J. (Hrsg.). Auswanderer, Wanderarbeiter, Gastarbeiter. Bevölkerung, Arbeitsmarkt und Wanderung in Deutschland seit der Mitte des 19. Jahrhunderts. Band 1. Ostfildern. 1985. Seite 259-299; sowie den Artikel „Wirtschaftliche und soziale Hintergründe“ auf der Internetseite des Projekts „Auswanderung aus Rheinland- Pfalz im Netz“ unter: http://www.auswanderung-rlp.de/auswanderung-nach-nordamerika/19-jahrhundert/wirtschaftliche -und-soziale-hintergruende.html (Stand: 11. Mai 2016). 15 Vgl. den Artikel „Die Auswanderung aus Deutschland“ von Johannes Leicht vom Deutschen Historischen Museum in Berlin vom 23. Juni 2010 auf der Internetseite des Online-Portals LeMO unter: https://www.dhm.de/lemo/kapitel/reaktionszeit/alltagsleben/auswanderung.html (Stand: 11. Mai 2016); sowie den Artikel „Sonstige Auswanderungsgründe“ auf der Internetseite des Projekts „Auswanderung aus Rheinland- Pfalz im Netz“ unter: http://www.auswanderung-rlp.de/auswanderung-nach-nordamerika/19-jahrhundert/sonstige -auswanderungsgruende.html (Stand: 11. Mai 2016). 16 Vgl. Mönckmeier, Wilhelm. Die deutsche überseeische Auswanderung. Ein Beitrag zur deutschen Wirtschaftsgeschichte . Jena. 1912. Seite 25. 17 Vgl. den Artikel „Sonstige Auswanderungsgründe“ auf der Internetseite des Projekts „Auswanderung aus Rheinland-Pfalz im Netz“ unter: http://www.auswanderung-rlp.de/auswanderung-nach-nordamerika/19-jahrhundert /sonstige-auswanderungsgruende.html (Stand. 11. Mai 2016). 18 Vgl. Ette, Andreas / Sauer, Lenore. Auswanderung aus Deutschland. Daten und Analysen zur internationalen Migration deutscher Staatsbürger. Wiesbaden. 2010. Seite 51/52; sowie den Artikel „Die Auswanderung aus Deutschland“ von Johannes Leicht vom Deutschen Historischen Museum in Berlin vom 23. Juni 2010 auf der Internetseite des Online-Portals LeMO unter: https://www.dhm.de/lemo/kapitel/reaktionszeit/alltagsleben/auswanderung .html (Stand: 11. Mai 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 012/16 Seite 9 Schiffsverbindungen etwa durch die Einführung der Dampfschifffahrt und den Ausbau des Schienennetzes zwischen den Hafenstädten und dem Binnenland. Gleichzeitig wurde die Auswanderungsbereitschaft durch immer mehr Informationen über die Zielgebiete auf Grund von Zeitungsberichten oder Briefen ausgewanderter Deutscher sowie die Aufnahme im Zielgebiet durch vorausgewanderte Verwandte und Bekannte verstärkt.19 Eine große Bedeutung hatte auch die gezielte Anwerbung deutscher Auswanderer durch Einzelpersonen , Gruppen wie vor allem Großgrundbesitzer oder Staaten sowie später auch die Werbung von Reedereien. So begann die deutsche Auswanderung nach Nordamerika 1683, nachdem der englische Quäker William Penn im später nach ihm benannten Bundesstaat Pennsylvania eine Siedlungsgründung seiner verfolgten Religionsgemeinschaft plante und dafür auch deutsche Mennoniten und Quäker begeistern konnte. Die Einwanderung nach Südamerika wurde in Argentinien , Brasilien und Chile nach deren staatlicher Unabhängigkeit Anfang des 19. Jahrhunderts von den dortigen aus Europa stammenden Eliten gefördert, die eine Modernisierung und Europäisierung ihrer Länder anstrebten.20 Die deutsche Auswanderung nach Russland begann in der Regierungszeit Katharinas II., als die Zarin neugewonnene Gebiete, vor allem im Süden an der Wolga und am Schwarzen Meer, bevölkern wollte. Ab 1765 folgten vor allem deutsche Bauern dem Werben der russischen Gesandten, die die Finanzierung der Anreise sowie im Zielgebiet die kostenlose Zuteilung von Land, zinslose Darlehen, Steuerbefreiungen, Berufs- und Religionsfreiheit, eine dauerhafte Befreiung vom Militärdienst sowie eine eigene Gemeinde- und Schulverwaltung versprachen. Die Auswanderung nach Südosteuropa wurde von Österreich gefördert, das nach den Siegen über die Osmanen Ende des 17. Jahrhunderts die neu gewonnenen Gebiete bevölkern wollte. Als in Australien 1840 die Deportation von Sträflingen eingestellt wurde und nach Goldfunden in den 1850er Jahren viele inländische Arbeitskräfte in die Fundgebiete wanderten, warben Schafzüchter auch in Deutschland gezielt um neue Siedler und bezahlten die Überfahrt.21 19 Vgl. Ette, Andreas / Sauer, Lenore. Auswanderung aus Deutschland. Daten und Analysen zur internationalen Migration deutscher Staatsbürger. Wiesbaden. 2010. Seite 51; Wagner, Reinhardt W. Deutsche als Ersatz für Sklaven. Arbeitsmigration aus Deutschland in der brasilianischen Provinz São Paulo 1847-1914. Frankfurt am Main. 1995. Seite 11; sowie Helbich, Wolfgang (Hrsg.). Briefe aus Amerika. Deutsche Auswanderer schreiben aus der Neuen Welt 1830-1930. München. 1988. 20 Vgl. den Artikel „Pennsylvania: Zentrum der deutschen Einwanderung zur Kolonialzeit“ auf der Internetseite des Projekts „Auswanderung aus Rheinland-Pfalz im Netz“ unter: http://www.auswanderung-rlp.de/auswanderung -nach-nordamerika/1718-jahrhundert/pennsylvania-zentrum-der-deutschen-einwanderung-zur-kolonialzeit .html (Stand. 11. Mai 2016); sowie Wagner, Reinhardt W. Deutsche als Ersatz für Sklaven. Arbeitsmigration aus Deutschland in der brasilianischen Provinz São Paulo 1847-1914. Frankfurt am Main. 1995. Seite 12. 21 Vgl. Stupp, Karl. Die Auswanderung aus Deutschland nach Rußland in den Jahren 1763 bis 1862. Tübingen. 1972. Seite 14-22; den Artikel „Emigration nach Südosteuropa“ auf der Internetseite des Projekts „Auswanderung aus Rheinland-Pfalz im Netz“ unter: http://www.auswanderung-rlp.de/auswanderung-nach-osteuropa/suedosteuropa .html (Stand: 11. Mai 2016); sowie den Artikel „Die Auswanderung nach Australien“ auf der Internetseite des Projekts „Auswanderung aus Rheinland-Pfalz im Netz“ unter: http://www.auswanderungrlp .de/auswanderung-in-alle-welt/australien.html (Stand: 11. Mai 2016). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 012/16 Seite 10 Der Rückgang der transatlantischen Auswanderung zum Ende des 19. Jahrhunderts ist dann vor allem in der Ausweitung wirtschaftlicher Chancen aufgrund der Hochindustrialisierung und Agrarmodernisierung in Deutschland sowie in der Wirtschaftskrise in den USA begründet.22 Ende der Bearbeitung 22 Vgl. den Artikel „Historische Entwicklung der Migration nach und aus Deutschland“ vom 22. Juni 2015 auf der Internetseite der Bundeszentrale für politische Bildung unter: http://www.bpb.de/gesellschaft/migration/laenderprofile /208607/historische-entwicklung (Stand: 11. Mai 2016).