Deutscher Bundestag Beutekunst Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 1 – 3000 - 011/13 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000 - 011/13 Seite 2 Beutekunst Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 1 – 3000 - 011/13 Abschluss der Arbeit: 5. Februar 2013 Fachbereich: WD 1: Geschichte, Zeitgeschichte und Politik Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000 - 011/13 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Anzahl der Kunstgegenstände jüdischer NS-Opfer im Eigentum der Länder und des Bundes 4 3. Faktencheck zur „Spiegel“-Behauptung sittenwidriger Verkäufe von Immobilien jüdischer Vorbesitzer 8 4. Verzeichnisse von Verkäufen und Erlösen 10 5. Fazit 11 6. Literaturverzeichnis 13 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000 - 011/13 Seite 4 1. Einleitung In seiner Ausgabe vom 28. Januar 2013 unterzog das Hamburger Nachrichtenmagazin „Der Spiegel “ das Thema „Beutekunst“ einer kritischen Bestandsaufnahme. Darin heißt es, deutsche Stellen hätten sich nach dem Krieg unzureichend darum gekümmert, von den Nationalsozialisten geraubte oder auf fragwürdigem Wege erworbene Kunstgegenstände bzw. Immobilien zu identifizieren und an die rechtmäßigen Eigentümer zurückzugeben. Auch andere Presseorgane wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ oder die „Welt“ sehen dies ähnlich.1 Vor diesem Hintergrund bat der Auftraggeber um die Beantwortung folgender Fragen: - Wie viele Kunstgegenstände, die den jüdischen Opfern von dem NS-Regime geraubt wurden, befanden sich nach 1945 im Eigentum der Länder und des Bundes? - Trifft es zu, dass Immobilien jüdischer Vorbesitzer großenteils unter Marktwert verkauft wurden , wie der „Spiegel“ berichtet? - Wem gehören diese Immobilien heute? - Gibt es ein Verzeichnis mit den Verkäufen und Erlösen? 2. Anzahl der Kunstgegenstände jüdischer NS-Opfer im Eigentum der Länder und des Bundes Die von den Nationalsozialisten erworbenen Kunstgegenstände werden von der Forschung üblicherweise in zwei Kategorien unterteilt. Kategorie 1 betrifft „kriegsbedingt verbrachte und verlagerte Kulturgüter“, stellt also „Beutekunst“ im klassischen Wortsinn dar und meint die durch deutsche Stellen im Zuge der militärischen Vorstöße der Wehrmacht konfiszierten Kunstobjekte im Ausland. Kategorie 2 beschreibt „NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter“ („NS-Raubkunst “). Sie betrifft alle Kunstobjekte und Immobilien, die bereits vor Kriegsausbruch unrechtmäßig oder auf moralisch fragwürdige Weise von Nationalsozialisten erworben wurden (dienstlich oder „privat“) und deren Vorbesitzer ausnahmslos Verfolgte des Regimes waren (zumeist Juden).2 Für die Frage, wie viele Kunstobjekte und Immobilien jüdischer NS-Opfer nach 1945 im Eigentum der Länder und (ab 1949) des Bundes waren, spielen hauptsächlich Objekte der Kategorie 2 1 Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet in ihrer Ausgabe vom 2. Februar 2013 von „zahllosen“ Gemälden, Skulpturen, Möbeln, Teppichen oder Schmuckstücken, die von den Nationalsozialisten geraubt wurden, bis heute aber nicht den Erben der einstigen Besitzer (zumeist jüdischen Opfern des Holocaust) zurückgegeben worden seien. Die FAZ verortet diese Beutekunst schwerpunktmäßig in Bayern und teilt damit die vom „Spiegel “ vertretene Auffassung. 2 Vgl. Petropoulos, S.15. Zu den Hintergründen beider Kategorien vgl. auch grundsätzlich die Hinweise auf der als Quelle unverzichtbaren Homepage Lost Art (http://www.lostart.de/sid_47C868DBF0BAECFCBE001558AE3A2DEC/Webs/DE/Provenienz/Index.html, letzter Aufruf 05.02.2013). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000 - 011/13 Seite 5 eine Rolle. Hierzu liegen genauere Angaben beim Deutschen Historischen Museum oder beim Institut für Museumsforschung in Berlin vor, die in Kooperation mit dem Bund und anderen Einrichtungen Provenienzforschung betreiben und die historische Auswertung der Rechercheergebnisse übernommen haben. Auf ihren Informationen hauptsächlich beruhen die im nachfolgenden präsentierten Zahlen und Fakten.3 Geraubte Kunstgüter wurden in der unmittelbaren Nachkriegszeit in sog. „Central Collecting Points“ (CCP) erfasst. „Central Collecting Point“ hieß die Sammelstelle für Kunst, die von dem Monuments, Fine Arts and Archives Service der amerikanischen Alliierten (MFA&A Service) nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges eingerichtet worden ist. Kunstwerke, die im Deutschen Reich oder in den besetzten Gebieten in der Zeit zwischen 1933 und 1945 geraubt, beschlagnahmt oder über den Kunsthandel verkauft worden waren, sollten aus den Sammeldepots geholt und im CCP inventarisiert werden, um sie anschließend zu restituieren. Dies betraf mehr als eine Million Kunstgegenstände. Die meisten davon waren im bayerischen Raum, und hier schwerpunktmäßig in München, konzentriert. Direkt nach Kriegsende richteten die amerikanischen Militär- und Zivilstellen deshalb in der bayerischen Hauptstadt den größten und wichtigsten ihrer „Collecting Points“ ein, und zwar in den beiden weitgehend unbeschädigten NSDAP-Gebäuden am Königsplatz in München. Der ehemalige Verwaltungsbau wurde offiziell in Galerie I, der ehemalige „Führerbau“ in Galerie II umbenannt. Im Sommer 1945 begann der Abtransport der Kunstwerke aus den verschiedenen, von den Nationalsozialisten während des Krieges eingerichteten provisorischen Sammeldepots. Diese befanden sich unter anderem in den Salzminen bei Altaussee, in Bad Ischl sowie in Klöstern und Schlössern in Oberbayern und Österreich. Der CCP München spezialisierte sich auf Kunstwerke aus derartigen Sammeldepots zur Restitution an ihre Herkunftsländer. Über die Zahl der im CCP München inventarisierten Objekte gibt es sehr unterschiedliche Angaben; sie divergieren zwischen 50.000 und mehr als einer Million Einzelobjekten. Sie enthalten aber in jedem Fall das Gros der insgesamt in (West-)Deutschland vorhandenen „Raubkunstobjekte“ aus der Zeit des Nationalsozialismus.4 5 3 Besonders auf dem Aufsatz von Enderlein/Flacke, Die Datenbank des „Central Collecting Point München“. 4 Was Ostdeutschland angeht, ist die Quellenlage beträchtlich schlechter. 5 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000 - 011/13 Seite 6 Zum Ergebnis dieser ersten Restituierungsbemühung heißt es in einem 2009 veröffentlichten Papier des Deutschen Historischen Museums, das sich mit der Aufarbeitung der Thematik befasst: „Bis auf wenige Tausend Objekte wurden schon damals alle Kunstwerke zurückgegeben, was in der Öffentlichkeit fast nicht bekannt ist.“6 Nach der Übertragung der Treuhänderschaft, Pflege, Kontrolle und Unterhaltspflicht für die Gegenstände und Unterlagen des CCP München an den Bayerischen Ministerpräsidenten durch die Amerikaner verblieb nur ein Bruchteil der ursprünglichen Bestände im Besitz von Bund und Ländern, was das Volumen weiterer Restitutionen von Anfang an begrenzte. An der prinzipiellen Zielsetzung der nun unter westdeutscher Regie stehenden CCPs änderte sich dadurch aber nichts. Dem neuen Treuhänder wurde die Auflage erteilt, das ihm übertragene Kulturgut weiterhin auf eine mögliche Restitutionspflicht zu prüfen. Damit die deutschen Behörden solche Restitutionen gegebenenfalls veranlassen konnten, beschloss die Konferenz der Kultusminister die Bildung eines Restitutionsausschusses. Ab 1951 führte der Deutsche Restitutionsausschuss zusammen mit den alliierten Behörden die Restitution durch. Dieser Ausschuss beendete seine Tätigkeit offiziell am 22. Februar 1952. Am selben Tag erfolgte in München die Übergabe der Objekte an die westdeutsche Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes. Diese war vom Bundeskanzler mit der Verwaltung des zu übernehmenden Kulturgutes beauftragt worden. Die Kulturabteilung richtete ein eigenes Referat „Treuhandverwaltung von Kulturgut beim Auswärtigen Amt“ ein, der die in München tätige Treuhandverwaltung von Kulturgut (TVK) unterstellt wurde. Am 22. Februar 1952 erfolgte auch die Übergabe der restlichen Kunstgegenstände an die Regierung der Bundesrepublik Deutschland . Als die Treuhandverwaltung zehn Jahre später, am 31. Dezember 1962 aufgelöst wurde, übernahm der Bundesschatzminister Anfang 1963 den „Restbestand CCP“. Übergeben wurden ihm rund 20.000 Kunstwerke, darunter 2.708 Gemälde. Seither sind nachgeordnete Behörden des Bundesfinanzministeriums – anfangs die Oberfinanzdirektion (OFD) München, heute das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen (BADV) – mit der Verwaltung dieses Bestandes betraut.7 Mitte der 1960er Jahre begann der Bundesschatzminister Werner Dollinger darüber nachzudenken , wie in Zukunft mit diesem Bestand umzugehen sei. Nach eingehenden Gesprächen mit Kunstexperten, Museumsdirektoren und Politikern sowie der Einrichtung einer „Beratenden 6 Enderlein/Flacke, o.S. 7 Nähere Informationen zu dieser Behörde und ihrem Bevollmächtigten für die Provenienzforschung Harald König finden sich online unter: http://www.badv.bund.de/003_menue_links/e0_ov/d0_provenienz/b20_RUECKGABE/index.html (letzter Aufruf : 05.02.2013). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000 - 011/13 Seite 7 Kommission“, die sich am 14. Januar 1965 konstituiert hatte, wurde der Bundesschatzminister 1966 vom Deutschen Bundestag ermächtigt, geeignete Kunstwerke unentgeltlich und auf Dauer an Museen sowie oberste und obere Behörden auszuleihen. Knapp 2.000 Werke wurden daraufhin 111 deutschen Museen und 18 Bundesdienststellen zur Verfügung gestellt. Zum „Restbestand CCP“ gehörte 2009 eine Sammlung von rund 2.300 Gemälden, Grafiken, Skulpturen und kunstgewerblichen Objekten sowie 10.000 Münzen und Büchern. Die meisten Kunstwerke dieses Bestandes sind an Museen verliehen, die sich zu deren Erhalt und öffentlicher Präsentation verpflichtet haben. Experten des DHM bilanzieren dies folgendermaßen: „Bisher hat kaum ein Museum Dauerleihgaben an das Bundesamt zurückgegeben, denn vielfach bilden diese einen Schwerpunkt innerhalb ihrer Sammlungen. In einigen Fällen musste jedoch das BADV die Dauerleihverträge kündigen, da die Werke aufgrund von erneut durchgeführten Provenienzrecherchen an die Erben der einstigen Besitzer restituiert wurden. Die obersten und oberen Behörden haben ihre Bestände dagegen häufiger gewechselt, da beispielsweise Behörden zusammengelegt oder neue Kunsthängekonzepte gewünscht wurden. Es gab auch Rückgaben an das Bundesamt, um Negativschlagzeilen in der Presse zu vermeiden. Dies war dann der Fall, wenn die Provenienz trotz intensiver Recherchen nicht lückenlos aufgeklärt werden konnte, ein NS-verfolgungsbedingter Verkauf durch den ursprünglichen Besitzer also nicht vollständig auszuschließen war.“8 Nach der Verabschiedung der Washington Principles (1998), die von 44 Staaten anerkannt wurden und eine „faire und gerechte“ Regelung der verbliebenen Beutekunstproblematik einforderten , kam es in Deutschland ergänzend 1999 zur Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz. Auf deren Basis werden seit Mai 2000 Provenienzrecherchen in einem hierfür eingerichteten Referat unternommen. Diese Aufgabe oblag zunächst der Oberfinanzdirektion (OFD) Berlin und wurde Anfang des Jahres 2004 dem Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen (BARoV) übertragen. Seit dem 1. Januar 2006 wird diese Aufgabe vom BADV wahrgenommen. Für die Kunstwerke, bei denen nach einer erneuten Recherche ein NS-verfolgungsbedingter Vermögensverlust festgestellt wird, ist auch dann eine Rückgabe vorgesehen, wenn der Vermögensgegenstand nicht von den Berechtigten beziehungsweise deren Erben beansprucht wurde. In solchen Fällen ist das BADV um die Ermittlung der Erbberechtigten bemüht. Seit Beginn der Recherchen zur Provenienz des bundeseigenen Kunstbestandes im Jahre 2000 wurden rund 920 Gemälde, Aquarelle und Skulpturen auf ihre Herkunft überprüft. Bislang wurden 24 Werke zurückgegeben und 15 Objekte zur Rückgabe an die Erbberechtigten vorgesehen. Die bisherigen Ergebnisse werden in einer Auswahl in der Datenbank des BADV (http://provenienz.badv.bund.de) vorgestellt und mit der CCP- Datenbank verknüpft. Der komplette Bestand kann auf der Webseite www.lostart.de eingesehen werden. Aktuelle Ergebnisse der Provenienzrecherchen/-forschung präsentiert auch die gemeinsam von Bund und Ländern eingerichtete Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste (KK), die für weitere Nachforschungen kontaktiert werden kann und überdies die erwähnte Lost-Art-Webseite be- 8 Enderlein/Flacke, o.S. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000 - 011/13 Seite 8 treibt.9 [Hintergrund: Die 1994 gegründete Koordinierungsstelle Magdeburg ist die zentrale deutsche , von der Bundesregierung und allen Ländern getragene, öffentliche Einrichtung für Kulturgutdokumentation und Kulturgutverluste. Sie dokumentiert unter anderem Such- und Fundmeldungen zu NS-verfolgungsbedingt entzogenen bzw. infolge des Zweiten Weltkriegs verbrachten Kulturgütern über www.lostart.de. Die Koordinierungsstelle ist weiterhin Geschäftsstelle für die Beratende Kommission (sog. Limbach-Kommission) im Zusammenhang mit der Rückgabe NSverfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter, insbesondere aus jüdischem Besitz.10] Kontakt: Koordinierungsstelle Magdeburg Dr. Michael Franz (Leiter) Telefon: 0391-5673891 email: michael.franz@mk.sachsen-anhalt.de. 3. Faktencheck zur „Spiegel“-Behauptung sittenwidriger Verkäufe von Immobilien jüdischer Vorbesitzer Der aufgrund der Dringlichkeit des Auftrags notwendig unter dem Vorbehalt eiliger Recherche stehende Eindruck ist, dass das Hamburger Nachrichtenmagazin in diesem Punkt eine Sachverhaltsvermischung vorgenommen und altbekannte Fakten lediglich durch Präsentation in anderem Kontext als neue Nachricht dargestellt hat. 9 Zur Unterstützung dieser Recherchen wurden eine Handreichung der Bundesregierung und eine Checkliste Provenienzrecherche erstellt. Die in der Anlage beigefügte Handreichung (Stand 2007) ist 91 Seiten lang und enthält weiterführende Hinweise, Kontaktadressen und Dokumente. 10 Die „Beratende Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter , insbesondere aus jüdischem Besitz“ trat am 14. Juli 2003 in Berlin zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammen . Dieses Gremium wurde in Abstimmung zwischen der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, der Kultusministerkonferenz der Länder und den kommunalen Spitzenverbänden gebildet. Es kann bei Differenzen über die Rückgabe von Kulturgütern angerufen werden, die im Dritten Reich ihren Eigentümern , insbesondere verfolgten jüdischen Bürgern, entzogen wurden und sich heute in Museen, Bibliotheken, Archiven oder anderen öffentlichen Einrichtungen der Bundesrepublik Deutschland befinden. Die Kommission übernimmt eine Mediatorenrolle zwischen den Trägern der Sammlungen und den ehemaligen Eigentümern der Kulturgüter bzw. deren Erben, wenn dies von beiden Seiten gewünscht wird. Zur Beilegung der Meinungsverschiedenheiten kann sie Empfehlungen aussprechen. Zur ehrenamtlichen Mitarbeit in der Kommission haben sich der Bundespräsident a.D. Herr Dr. Richard von Weizsäcker, die ehemalige Präsidentin des Deutschen Bundestages Frau Professor Dr. Rita Süssmuth, die frühere Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts Frau Professor Dr. Jutta Limbach, der Jurist Herr Dr. Hans-Otto Bräutigam, der Rechtsphilosoph Herr Professor Dr. Dietmar von der Pfordten, der Historiker Herr Professor Dr. Reinhard Rürup, der Kunsthistoriker Herr Professor Dr. Wolf Tegethoff und die Philosophin Frau Professor Dr. Ursula Wolf bereit erklärt. Im Rahmen der konstituierenden Sitzung der Kommission wurde Jutta Limbach zur Vorsitzenden der Beratenden Kommission gewählt. Die Koordinierungsstelle Magdeburg fungiert als Geschäftsstelle der Kommission. Ihr obliegt die Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung der Kommissionssitzungen. Zudem steht sie als Ansprechpartnerin für Antragsteller zur Verfügung. Eine Antragsstellung setzt voraus, dass das in der Gemeinsamen Erklärung beschriebene Verfahren berücksichtigt wurde und dass beide Seiten mit der Befassung ihres Falles durch die Kommission einverstanden sind. (Quelle: http://www.lostart.de/sid_10FF8CACA1BB4BA292FBD21CAD9342BF/Webs/DE/Kommission/Index.html, letzter Aufruf am 05.02.2013). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000 - 011/13 Seite 9 Das von „Spiegel“-Redakteur Steffen Winter in dem Artikel „Braune Beute“ monierte Verhalten der bayerischen Behörden beim Verkauf von Immobilien in den Jahren 1952 bis 1967 stützt sich auf einen kritischen Bericht des Bayerischen Obersten Rechnungshofes von 1971. Dieser zunächst vertrauliche, später der Öffentlichkeit zugänglich gemachte Bericht mit dem Aktenzeichen I-62610-46 wurde vom „Spiegel“ bereits in seiner Ausgabe Nr. 47 vom 15. November 1971 ausgewertet, und Winters aktueller Artikel von 2013 ist im Grunde eine Paraphrase des schon damals Präsentierten. Demzufolge untersuchte die oberste bayerische Kontrollbehörde in Finanzfragen zu Beginn der 1970er Jahre 4492 Verkäufe von Immobilien durch staatliche Stellen und kam zu dem Ergebnis, dass in 72 Fällen „der Anschein von Interessenkollisionen“ bestanden habe und bei der Auswahl der Käufer „persönliche Beziehungen oder sonstige Einflüsse mitgewirkt“ hätten. So wurden etwa Grundstücke an Spitzenbeamte des Freistaates oder an deren engste Verwandte veräußert zu Preisen, die bis zu 50 Prozent unter Marktwert lagen. Der „Spiegel“ und andere Organe sprachen in diesem Zusammenhang von „Verschleuderung von Staatsbesitz“ und kritisierten, dass es der Rechnungshof bei seiner Verbalkritik beließ und juristische Konsequenzen mit dem Hinweis auf die Überschreitung von Verjährungsfristen nicht einforderte.11 Unter den 72 monierten Fällen von mutmaßlicher Vetternwirtschaft in Verbindung mit Untreue gegenüber den Steuerzahlern des Landes befanden sich zahlreiche Grundstücke und Villen ehemaliger NS-Größen (Hans Frank, Baldur von Schirach, Robert Ley etc.), deren in Bayern befindlicher Besitz nach 1945 dem Freistaat zugesprochen worden war.12 In keinem dieser Fälle ist allerdings von jüdischen Vorbesitzern die Rede. Auch der „Spiegel“ behauptet einen solchen Konnex nicht und spricht nur allgemein von Verkäufen „von eingezogenen Villen aus NS-Besitz.“13 Der als „ganz besonders verstörendes Kapitel der bayerischen Nachkriegsgeschichte“14 gewertete Sachverhalt behandelt letztlich also einen anderen Topos (Umgang mit der Hinterlassenschaft von Alt-Nazis) und hat primär mit dem Thema „Beutekunst“ nichts zu tun.15 11 Vgl. Spiegel vom 15.11.1971 (http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-44914750.html) bzw. vom 28.01.2013. 12 Ebd. 13 Ebd. 14 Ebd. 15 Lediglich indirekt wird ein Zusammenhang mit dem Thema „Opfer der Nazi-Herrschaft“ hergestellt, indem der „Spiegel“ darauf verweist, dass nach der bayerischen Einziehungsverordnung von 1948 die Veräußerungserlöse bei NS-Besitztümern dem Landesentschädigungsamt (und damit den NS-Opfern) zugeführt werden sollten. So gesehen wurden die Opfer der NS-Zeit vom bayerischen Staat tatsächlich um mögliche Gelder geprellt, die ihnen zur „Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts“ nach internationaler und bundesdeutscher Rechtslage zugestanden hätten. Mit dem Thema „Beutekunst“ im eigentlichen Wortsinn hat dies dennoch nichts zu tun. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000 - 011/13 Seite 10 4. Verzeichnisse von Verkäufen und Erlösen Die vom „Spiegel“ kritisierte „Verschleuderung von Staatsbesitz“ ist im zitierten Rechnungshofbericht akribisch aufgeführt. Eine Auflistung an anderer Stelle konnte nicht ermittelt werden. Des Weiteren gibt es keine aktuelle Übersicht, wem diese Immobilien heute gehören. Um dies festzustellen , müsste auf der Basis des Rechnungshofberichtes von 1971 eine Einzelfallprüfung unter Heranziehung der Einträge im Grundbuchamt oder ähnlicher Informationen vorgenommen werden , was im Rahmen dieser Ausarbeitung nicht geleistet werden kann. 16 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000 - 011/13 Seite 11 5. Fazit Die von Kulturstaatsminister Bernd Neumann 2007 als „nahezu letzte ungelöste Frage im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg“18 bewertete „Beutekunst“-Thematik wird von den Medien aktuell als sehr bedeutsam eingestuft. Viele Zeitungen und Zeitschriften sind bei ihren Nachforschungen auf Mängel beim Umgang staatlicher Stellen mit diesem Problemkreis gestoßen. Insofern erscheint die Forderung etwa der FAZ nach verstärkter Aufmerksamkeit für das Thema vollauf berechtigt. Allerdings fehlt es in der gegenwärtigen Diskussion mitunter an der nötigen Trennschärfe bei der Informationsverwendung, sodass im Zusammenhang mit der „Beutekunst“-Problematik manches „durcheinander“ geht und z.T. Fragen aufgeworfen werden, die mit dem Thema an sich nichts zu tun haben und besser separat behandelt würden. 17 18 Zit. nach: Hartmann, S.10. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000 - 011/13 Seite 12 Aus parlamentarischer Sicht auffallend ist, dass die Bereitschaft zur aktiven Beschäftigung mit „Beutekunst“ eine gewisse parteipolitische Schieflage aufweist. So war seit der „Washingtoner Erklärung“ von 1998, die das Thema wieder auf die internationale Agenda setzte19, der Wille zum Handeln bei den Unions-geführten Bundesregierungen ausgeprägter als bei der rot-grünen Vorgängerin von 1998-2005. So hatte etwa die vom damaligen Kulturstaatsminister Michael Naumann (SPD) 2001 herausgegebene „Handreichung zur Umsetzung der ´Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz´ vom Dezember 1999“ zunächst rein deklaratorischen Charakter ohne finanzielle Unterfütterung und blieb weit hinter den internationalen Erwartungen zurück. Erst die von Naumanns christdemokratischem Nachfolger Bernd Neumann 2007 vorgenommene Überarbeitung der Handreichung behob die erkannten Defizite und beinhaltete materielle Komponenten zur Unterstützung des Ziels vollständiger Restitution von Beutekunst. So ließ Neumann insbesondere einen Fonds Provenienzrecherche/-forschung auflegen , aus dem die Ermittlung rückerstattungsfähiger Kunstobjekte der NS-Zeit finanziert wird und der bis heute eine der wesentlichen Geldquellen für den Bereich Provenienzforschung darstellt.20 In ähnlich pro-aktiver Weise war auch Bundespräsident Horst Köhler das erste deutsche Staatsoberhaupt nach 1998, das die Kunstbestände seiner Amtssitze überprüfen ließ und 2005 verfügte, mutmaßliche Beutekunstobjekte aus den Liegenschaften seines Amtes entfernen und ins Bundesamt zur Regelung offener Vermögensfragen verbringen zu lassen. Dabei handelte es sich unter anderem um ein Bild aus dem Besitz des deutschen Warenhaus-Königs Max Emden, der das fragliche Kunstwerk nach seiner Zwangsemigration aus Deutschland in London veräußert hatte, wo es an Adolf Hitler weiterverkauft worden war und in „Reichsbesitz“ gelangte.21 Köhlers Amtsvorgänger Johannes Rau (1999-2004) hatte keine Veranlassung gesehen, sich von dem Bild zu trennen , wie auch sein Parteifreund Peer Steinbrück 2006 als Bundesfinanzminister den lange zuvor gestellten Antrag der Erben Max Emdens auf Restitution des Gemäldes mit der Begründung ablehnte , „Max Emden sei bereits vor der Machtübernahme der Nazis emigriert und habe seine Kunstsammlung ins Tessin mitgenommen. Das strittige Gemälde sei zudem lange nach Emdens Emigration veräussert worden, als er bereits Schweizer gewesen sei. Es könne deshalb nicht als Fluchtkunst eingestuft werden, wie sie in der ´Washingtoner Erklärung´ definiert ist: Vermögenswerte , die in der Not unter Wert verkauft werden mussten.“22 19 20 Vgl. das Vorwort der Handreichung und die entsprechenden Hinweise in den Presseartikeln, die als Anlage beigefügt sind. 21 Vgl. Neue Zürcher Zeitung vom 02.11.2012. Ihr Beitrag ist in der angehängten Mappe der Pressedokumentation enthalten. 22 Zitat aus dem Artikel „Streitpunkt Fluchtkunst“ aus der Neuen Zürcher Zeitung vom 02.11.2012. Er ist in der angehängten Mappe der Pressedokumentation enthalten. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000 - 011/13 Seite 13 Steinbrücks formal-juristische Argumentation, die nach Ansicht internationaler Medien der moralischen Dimension der Angelegenheit kaum genügt23, übernahm in einem aktuelleren Fall auch der SPD-Oberbürgermeister Münchens. Anlässlich der 2010 aufgetauchten Frage, ob ein im Besitz der bayerischen Hauptstadt befindliches Bild aus NS-Beutebeständen an die Erben der ursprünglichen Eigentümer zurückerstattet werden solle, berief sich Christian Ude im März 2012 auf „gutgläubigen Erwerb“ und lehnte eine Restitution ab. Dazu bemerkte die „Süddeutsche Zeitung“ kritisch: „Moralische Verpflichtungen nach der Washingtoner Erklärung zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes wollte man für diesen Fall nicht anerkennen. Alle dringenden Bitten der Bundesregierung, die Stadt München möge sich doch in dieser als Raubkunst-Angelegenheit eingestuften Sache mit den Erben vergleichen und die Beratende Kommission einschalten, wurden vom Oberbürgermeister Christian Ude ignoriert.“24 Ob die hier erwähnte „Beratende Kommission“ wesentlich anders entschieden hätte als Ude, geriet zuletzt ebenfalls in Zweifel. Denn auch die Arbeit der 2003 unter rot-grüner Ägide errichteten Kommission, die unter Führung der Sozialdemokratin Jutta Limbach steht, gilt mittlerweile als „blamiert“ (Berliner Zeitung). Der Bundesgerichtshof hatte in einem viel beachteten Restitutionsurteil 2012 zugunsten von Erben enteigneter Juden entschieden, die von Limbach zuvor noch als nicht anspruchsberechtigt eingestuft worden waren. Die „Berliner Zeitung“ attestierte daraufhin der „Limbach-Kommission“ „ein verfehltes Urteil“ und schrieb: „Wer will dieses ehrenamtliche Gremium unter der Leitung der ehemaligen Verfassungsrichterin jetzt noch in strittigen Restitutionsfällen anrufen?“25 Somit verfestigt sich abschließend der Eindruck einer in „Beutekunst“- Fragen grundsätzlich geringeren Sensibilität bzw. Konzilianz sozialdemokratischer Spitzenpolitiker im Vergleich zu ihren christdemokratischen Pendants. Inwieweit dieses Fazit aus der durchgeführten Schnell-Recherche allerdings grundsätzlich belastbar ist, lässt sich kaum ohne weitere Nachforschungen sagen und steht notwendigerweise unter dem Vorbehalt möglicher Ergebnisvarianz bei Erweiterung der Datenbasis. 6. Literaturverzeichnis Enderlein, Angelika/Flacke, Monika (2009), Die Datenbank des „Central Collecting Point München “, online abrufbar unter: http://www.dhm.de/datenbank/ccp/dhm_ccp.php?seite=9 (letzter Aufruf am 04.02.2013). Hartmann, Uwe (Hrsg.) (2007), Kulturgüter im Zweiten Weltkrieg. Verlagerung - Auffindung - Rückführung; Magdeburg 2007 (Veröffentlichungen der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste , 4). Petropoulos, Jonathan (1999), Kunstraub und Sammelwahn. Kunst und Politik im Dritten Reich, Berlin: Propyläen. 23 Ebd. 24 SZ vom 28.03.2012. Der Artikel ist in der als Anlage beigefügten Pressemappe enthalten. 25 Berliner Zeitung vom 17.03.2012. Der Artikel ist in der als Anlage beigefügten Pressemappe enthalten.