Deutscher Bundestag Deutsche Kriegsgefangene in sowjetischem Gewahrsam Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 1 – 3000 – 011/11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000 – 011/11 Seite 2 Deutsche Kriegsgefangene in sowjetischem Gewahrsam Verfasser/in: Aktenzeichen: WD 1 – 3000 – 011/11 Abschluss der Arbeit: 31.01.2011 Fachbereich: WD 1: Geschichte, Zeitgeschichte und Politik Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000 – 011/11 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Begrifflichkeiten und völkerrechtliche Bestimmungen 6 3. Zuständigkeiten und Lageraufbau 7 4. Der Arbeitseinsatz der Kriegsgefangenen 8 5. Repatriierungen 9 6. Literatur 11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000 – 011/11 Seite 4 1. Einleitung Die Geschichte der Kriegsgefangenschaft stellt nach wie vor eines der am wenigsten untersuchten Themenkreise des letzten Weltkrieges dar. Dies gilt insbesondere für die Gefangenschaft ausländischer Kriegsgefangener und Internierter in den Lagern in der UdSSR. So schwanken bis heute die Angaben über die Zahlen der Kriegsgefangenen und Internierten, die Gründe ihrer Verhaftung und ihrer oft verschobenen Repatriierung. Bis zu den politischen Umwälzungen in Europa stützte sich die Mehrzahl der von ausländischen Wissenschaftlern über Kriegsgefangene in der UdSSR verfassten Arbeiten auf Erinnerungen, Briefe und Memoiren. Dies gilt auch für die mehrbändige Edition zum Schicksal deutscher Kriegsgefangener unter der Hauptredaktion von Erich Maschke, die in den 1960er und 1970er Jahren entstand.1 Erst seit wenigen Jahren können Archive in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion zur Untersuchung dieses Gegenstandes genutzt werden. Hier ist insbesondere das seit dem Jahr 2000 durchgeführte Forschungsprojekt „Sowjetische und Deutsche Kriegsgefangene und Internierte. Forschungen zum Zweiten Weltkrieg und zur Nachkriegszeit“ zu erwähnen. Es wird im Auftrag der Bundesregierung unter Federführung der Dokumentationsstelle der Stiftung Sächsische Gedenkstätten durchgeführt. Dieses Projekt verfolgt eine zweifache Zielsetzung: So stehen neben wissenschaftlichen auch humanitär-schicksalsklärende Aufgaben im Vordergrund. Insbesondere mit Blick auf das Schicksal der deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion konnte im letzten Sommer eine erste Publikation der Öffentlichkeit vorgestellt werden.2 Im Rahmen dieses Projektes wird insbesondere auch über die Anzahl der Kriegsgefangenen und Internierten, sowie über die Opferzahlen debattiert.3 Rund 2,3 bis 2,8 Millionen Deutsche – Kriegsgefangene, Zivilisten, Internierte, Frauen und Männer – wurden zwischen 1941 und 1956 von Einheiten der Roten Armee oder sowjetischen Staatsorganen gefangenen genommen, in die Sowjetunion verbracht und in Lagern, Gefängnissen oder Arbeitsbataillonen registriert. Anderen Angaben zufolge waren bis zu 3,2 Millionen Angehörige der Wehrmacht in sowjetische Gefangenschaft geraten. Auch die Angaben zur Anzahl der Toten schwanken. Neuere Zahlen sprechen von ca. 1,1 Millionen Toten,4 ältere Angaben zufolge starben in sowjetischer Kriegsgefangen- 1 Vgl. Erich Maschke (1974): Die deutschen Kriegsgefangenen des Zweiten Weltkrieges. Eine Zusammenfassung, München : Gieseking, 1974. 2 Vgl. Orte des Gewahrsams von Deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion (1941-1956). Findbuch, Dresden, Kassel, Moskau, München 2010: Hierbei handelt es sich um eine Gemeinschaftspublikation der Föderalen Archivagentur , des Staatlichen Russischen Militärarchivs (RGWA), des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge (VDK), des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) und der Stiftung Sächsische Gedenkstätten. Im Frühjahr 2008 erschien das Werk im Russischen, am 9.7.2010 wurde die deutsche Version der Öffentlichkeit vorgestellt. 3 Vgl. den Tagungsbericht der am 6./7.07.2010 durchgeführten Tagung zum Stand des Projektes: http://hsozkult.geschichte .hu-berlin.de/tagungsberichte/id=3252&sort=datum&order=down&search=Sowjetische+und+Deutsche +Kriegsgefangene+. 4 Vgl. in: Stefan Karner: Verlorene Jahre. Deutsche Kriegsgefangene und Internierte im Archipel GUPWI, in: Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.) (1995): Kriegsgefangene – Woennoplennije. Sowjetische Kriegsgefangene in Deutschland. Deutsche Kriegsgefangene in der Sowjetunion. Düsseldorf: Verlag Droste, S. 59-65, hier S. 59; vgl. zum folgenden: Irina V. Bezborodova: Die Repatriierung ausländischer Kriegsgefangener Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000 – 011/11 Seite 5 schaft zwischen 1941 und 1956 rund 350.000 Deutsche. Hinzu kommt die Zahl der vor der Registrierung Verstorbenen, die diesen Schätzungen zufolge bei 250.000 bis 300.000 Toten liegt (Karner 1995, S. 76).5 Im Folgenden wird eingangs erläutert, was unter dem Begriff des „Kriegsgefangenen“ in der UdSSR verstanden wurde und was dies rechtlich für den so bezeichneten Gefangenen bedeutete. Anschließend wird der Frage nachgegangen, wer innerhalb der Verwaltung der UdSSR zuständig war. Ob und auf welchen Gebieten Kriegsgefangene zum Arbeitseinsatz herangezogen wurden, wird daran anschließend erläutert, bevor abschließend die Repatriierungspraxis der UdSSR vorgestellt wird. des Zweiten Weltkrieges aus sowjetischer Gefangenschaft in den Jahren 1947-1950, in: Harald Knoll/Peter Ruggenthaler /Barbara Stelzl-Marx (Hrsg.) (2002): Kriege und Konflikte. Aspekte und ihre Folgen. Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung, Sonderband 3, Graz-Wien-Klagenfurt, S. 39-46, hier S. 39ff. 5 Zwar werden in der Ausarbeitung wiederholt Zahlenangaben gemacht, diese sind aber nicht abschließend zu sehen; denn durch Forschungen in den Archiven der Nachfolgestaaten der Sowjetunion, die erst jetzt möglich sind, sind neue Erkenntnisse zu erwarten. Daher sind alle gemachten Angaben als vorläufig zu betrachten! Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000 – 011/11 Seite 6 2. Begrifflichkeiten und völkerrechtliche Bestimmungen In Folge des von vielen Regierungen als unbefriedigend empfundenen Kriegsgefangenenstatutes der Haager Landkriegsordnung (HLKO) von 1907 wurde im Jahr 1929 von den meisten europäischen Staaten das „Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgegangenen“ vereinbart. Die Sowjetunion trat jedoch nicht bei und Stalin holte dies auch während des Zweiten Weltkrieges nicht nach.6 Daher stellt sich die Frage, welchen rechtlichen Status Kriegsgefangene während des Zweiten Weltkrieges in der Sowjetunion besaßen. Seit 1931 galt in der Sowjetunion eine eigene Verordnung zum Kriegsgefangenenwesen.7 Kurz nachdem am 17. September 1939 der sowjetische Einmarsch in Polen erfolgt war, folgte am 20. September 1939 der Erlass einer weiteren Verordnung, die sich dem Inhalt der Haager Landkriegsordnung und der Genfer Konvention annäherte. Eingeführt wurde die Arbeitspflicht für Mannschaften und Unteroffiziere in der Landwirtschaft sowie der Industrie. Zudem sollten Offiziere von den Mannschaften getrennt untergebracht werden. Außerhalb der Lager galt von nun an auch für Offiziere Arbeitspflicht. Am 1. Juli 1941, wenige Tage nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion, erging vom Rat der Volkskommissare der UdSSR eine Verordnung „Über die Kriegsgefangenen“, die diesen Begriff definierte und die mit den Inhalten der Genfer Konvention noch mehr übereinstimmte. Die Verordnung von 1931 wurde durch diese ersetzt. An Kriegsgefangenen wurden demnach folgende Gruppen unterschieden: Alle Angehörigen der Streitkräfte von Staaten, die sich mit der Sowjetunion im Kriegszustand befanden und im Zuge militärischer Aktionen gefangen genommen worden waren; Angehörige bewaffneter Verbände, die nicht zu den Streitkräften des Gegners zählten, aber offen Waffen trugen; Zivilisten, die in den Diensten der Armee des Gegners standen (wirtschaftliches Begleitpersonal , Kriegsberichterstatter etc.); sowie im Verlauf militärischer Aktionen gefangenen genommene Personen. Folgende Regelungen galten bis zur Entlassung der letzten Spätheimkehrer im Jahr 1956: Offiziere erhielten bessere Verpflegung und waren von der Arbeit freigestellt; Kriegsgefangene, die zu Arbeiten eingeteilt waren, wurden den Bürgern der Sowjetunion arbeitsrechtlich gleichgestellt; nicht vorgesehen blieben internationale Kontrollen der sowjetischen Kriegsgefangenlager; die Frage der Repatriierung blieb ungeregelt; gefährliche Arbeiten blieben für Angehörige der Mannschaftsgrade nicht verboten; die Versorgung der Kriegsgefangenen wurde nicht der Versorgung der eigenen Truppen gleichgestellt. 6 Vgl. Felix Schneider: „Unternehmen Barbarossa“, „Großer Vaterländischer Krieg“ und das Kriegsgefangenenrecht 1941-1945. Versuch eines Überblicks, in: …., S. 271-283, hier S. 273. 7 Vgl. Elisabeth Gollmann, Stefan Karner (1998): Kärntner Kriegsgefangene in der ehemaligen Sowjetunion und ihre Rückkehr 1941 bis 1956. Ein Zwischenbericht, in: Carinthia I (188. Jg.), S. 591-607, hierS. 592. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000 – 011/11 Seite 7 Am 17. Juli 1941 erklärte die sowjetische Führung zwar offiziell, die Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung von 1907 einhalten zu wollen, jedoch weigerte sie sich beharrlich, die sowjetische Kriegsgefangenenpolitik zum Gegenstand international einklagbarer Kontrollen oder gar Prozesse zu machen. Neben den Kriegsgefangenen wurden noch weitere Personen in der Sowjetunion festgehalten, die unter die Gruppe der „mobilisierten und internierten Deutschen“ fielen. Eine genaue Definition des Interniertenstatus existierte jedoch nicht. Die Unterbringung dieser Personen, die im Zuge des Vorrückens der Roten Armee unter sowjetische Kontrolle gerieten, erfolgte in eigenen Lagern, aber auch zusammen mit regulären Kriegsgefangenen (Schneider 2002, S. 277). 3. Zuständigkeiten und Lageraufbau Die ersten Kriegsgefangenenlager entstanden in der Sowjetunion kurz nach Kriegsbeginn im Herbst 1939.8 Ein von Lavrentij Berija, Volkskommissar des Innern (NKWD), unterzeichneter Befehl „Über die Einrichtung von Kriegsgefangenenlager“ klärte die Einzelheiten, d.h. die Errichtung einer Verwaltung und den Aufbau von Lagern zur Aufnahme der gefangenengenommenen Soldaten der gegnerischen Seite. Die Kriegsgefangenenverwaltung (UPV), später umbenannt in Verwaltung Kriegsgefangene und Internierte (UPVI), unterstand dem Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten der UdSSR (NKWD). Zu Beginn des „Großen Vaterländischen Krieges“ am 22. Juni 1941 wurden von der UPVI acht Kriegsgefangenenlager mit einer Gesamtkapazität von etwa 40-50.000 Mann verwaltet. Infolge des Rückzuges der Roten Armee waren zwischenzeitlich nur noch drei dieser Lager funktionsfähig. Im Ergebnis der sowjetischen Gegenoffensive entstand im Verlaufe des Jahres 1942 ein erhöhter Bedarf an Unterbringungsmöglichkeiten für kriegsgefangene Soldaten. So waren am 1. Januar 1942 mehr als 9.000 Soldaten und Offiziere der Wehrmacht in sowjetische Kriegsgefangenschaft geraten. Ende 1942 wurden 330.000 Soldaten und Offiziere der Wehrmacht in Stalingrad eingekesselt. 91.000 Mann gerieten in Gefangenschaft. Seit Sommer und Herbst 1942 waren insgesamt 24 neue Lager in Betrieb genommen worden, darunter auch einige, die für den „längeren Aufenthalt von Menschen gänzlich ungeeignet waren“ (Korotajev 2010, S. XVII). Bis zur Jahresmitte 1942 hatte das Lagersystem der GUPVI – auch als Archipel GUPWI bezeichnet – aus zwei Hauptteilen bestanden. Zum einen war das das Frontlager-Netz, d.h. die Aufnahmepunkte für Kriegsgefangene, und zum anderen waren das die Lager im Hinterland, die ihrerseits in Lager für Kriegsgefangene und Internierte sowie in Lager für ehemalige Rotarmisten unterteilt waren. Ab Sommer 1942 kamen zum Frontlager-Netz noch die Front-Aufnahme-Durchgangslager hinzu. In diesen, auch Verteilungslager genannt, wurden die Kriegsgefangenen und ehemaligen Rotarmisten ausgemustert.9 Ein am 2. Januar 1943 vom stellvertretenden Verteidigungsminister, Generalleutnant A. Chrulev, unterzeichneter Befehl, sollte der Beseitigung der unhaltbaren Zustände sowie der Erfassung, Evakuierung, Verpflegung sowie der medizinischen Versorgung der Kriegsgefangenen dienen. 8 Vgl. zum Folgenden: Vladimir Korotajev, Deutsche Kriegsgefangene in der UdSSR, in: Orte des Gewahrsams von Deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion (1941-1956). Findbuch, Dresden, Kassel, Moskau, München 2010, S. XVI-XXIV. 9 Vgl. Karner 1995, S. 62. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000 – 011/11 Seite 8 Die Kontrolle darüber übten ab Mitte Januar 1943 die Behörden des Inneren aus. Im Februar 1943 waren 256.918 Soldaten und Offiziere der gegnerischen Armee in 35 Kriegsgefangenenlagern, darunter 20 Mannschaftslager, vier Offizierslager, 11 sogenannte Frontaufnahme- und Übergangslager , interniert. Ungeachtet der angeordneten Maßnahmen blieben die Bedingungen in den Internierungslagern außergewöhnlich prekär. Vor allem in den rückeroberten Gebieten waren die Lager von provisorischem Charakter. Es fehlte an festen Gebäuden, und die Versorgung mit Lebensmitteln, Kleidung, Heizmaterial, Transportmitteln usw. erfolgte nur unregelmäßig. In vielen Fällen befanden sich die in den Internierungslagern eintreffenden Kriegsgefangenen in einem schlechten körperlichen Zustand. Die verwundeten und/oder kranken Internierten verfügten weder über die entsprechende Ausrüstung noch über ausreichend Widerstandskraft für ein Überleben unter den Bedingungen des kontinentalen Winters. Hinzu kam, dass die sich weit im Hinterland befindenden Aufnahmestützpunkte von den Kriegsgefangenen oftmals zu Fuß erreicht werden mussten. Beispielsweise waren nach den Operationen der Roten Armee bei Stalingrad und Woronesh 40.000 gegnerische Soldaten in Gefangenschaft geraten, die dringend medizinische Behandlungen benötigten . Die Anzahl der Kriegsgefangenenlager stieg kontinuierlich. Waren es Anfang 1943 noch 22 Lager, so existierten ein Jahr später 60. Zudem wurde ab Februar 1943 das rückwärtige Lagersystem mit dem Ziel ausgebaut, die Kriegsgefangenen als Arbeitskräfte einzusetzen. Im Verlaufe des Jahres 1944 durchliefen mehr als 700.000 Kriegsgefangene das System der sowjetischen Kriegsgefangenenlager , das inzwischen aus 12 Frontabteilungen, 12 Frontlagern, 49 Sammelstellen, 72 Aufnahmestützpunkten und 12 Speziallazaretten bestand. Sowjetischen Angaben zufolge wurden 1944 siebenmal soviel Gefangene gemacht wie in den Jahren 1942 und 1943 zusammen (Karner 1995, S. 63). 1945 wurden 61 Lager speziell für deutsche Kriegsgefangene eingerichtet. Ende dieses Jahres befanden sich insgesamt 1.103.233 deutsche Kriegsgefangene in Lagern der GUPVI. Sie wurden auf Baustellen, in der Kohle- und Forstwirtschaft sowie beim Wiederaufbau von im Krieg zerstörten sowjetischen Städten eingesetzt. Ein Teil der Kriegsgefangenen wurde auf Beschluss der sowjetischen Regierung in so genannten Einzelarbeitsbataillonen des Streitkräfteministeriums der UdSSR interniert. Sie wurden in verschiedenen Bereichen der Wirtschaft eingesetzt. Allerdings herrschten in diesen Lagern für die Kriegsgefangenen schlechtere Bedingungen als in den anderen , so dass die Sterblichkeitsrate um das Fünffache höher lag. 4. Der Arbeitseinsatz der Kriegsgefangenen Die wichtigste Aufgabe der deutschen Kriegsgefangenen in der UdSSR bestand darin, dass sie als Arbeitskräfte für den Wiederaufbau der sowjetischen Wirtschaft nach dem Kriege zur Verfügung standen.10 Unter den etwa 2,5 Millionen Kriegsgefangenen, die für den Wiederaufbau der UdSSR nach Ende des Krieges herangezogen wurden, stellten die rund 1,7 Millionen Deutschen die 10 Vgl. zum Folgenden: Stefan Karner: Für Rüstung und Wiederaufbau. Der Arbeitseinsatz der deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion und ihre Repatriierung, in: Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.) (1995): Kriegsgefangene – Woennoplennije. Sowjetische Kriegsgefangene in Deutschland. Deutsche Kriegsgefangene in der Sowjetunion. Düsseldorf: Verlag Droste, S. 72-76. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000 – 011/11 Seite 9 größte Gruppe. Einer vom NKWD aufgestellten Statistik zufolge waren insgesamt 3,486.206 Kriegsgefangene registriert, darunter rund 2,3 Millionen Deutsche. Hinsichtlich ihrer Arbeitsfähigkeit wurden die Kriegsgefangenen seit Mitte 1942 folgendermaßen aufgeteilt: Gruppe 1: Gesunde, für schwere physische Arbeiten; Gruppe 1: leichte und chronisch Kranke für mittelschwere physische Arbeiten; Gruppe 3: Kranke, für leichte körperlicher Arbeiten; Gruppe 4: Invalide und Arbeitsunfähige, ausschließlich für besonders leichte Arbeiten geeignet . Seit 1945 wurden in der sowjetischen Volkswirtschaft deutsche Kriegsgefangene in hohem Maße eingesetzt. Einer Aufrechnung zufolge wurden zwischen 1943, dem Beginn der ersten größeren Arbeitseinsätze, und dem 31. Dezember 1949, dem Abschluss der Repatriierungen der nicht verurteilten Kriegsgefangenen, von den Kriegsgefangenen insgesamt 1.077.564.200-Mann-Tage für die Sowjetunion gearbeitet. Aufgrund der Anteile der einzelnen Nationen unter den Kriegsgefangen und Internierten dürften knapp zwei Drittel hiervon von Deutschen geleistet worden sein. Bis zum Jahresende 1949 wurden die Kriegsgefangenen und Internierten vor allem beim Bau und Wiederaufbau der größten Industrieobjekte und Kohlereviere, bei der (Wieder-)Errichtung der Infrastruktur wie Eisenbahn-, Straßenbau und Brückenbau, bei der Verlegung von Dampf- und Gasleitungen , beim Wohnungsbau in Städten und Arbeitersiedlungen eingesetzt. De facto gibt es kein größeres Industrieprojekt der Sowjetunion in den ersten fünf bis zehn Jahren der Nachkriegszeit , an dem nicht auch, großenteils sogar wesentlich, deutsche und österreichische Kriegsgefangene und ausländische Internierte beteiligt gewesen wären. Neben der physischen Leistung nutzte die Sowjetunion auch bedeutende geistige und intellektuelle Leistungen von Kriegsgefangenen und Internierten. So waren in Erwartung besonderer Leistungen Ingenieure und Wissenschaftler ausgewählt worden. Im Jahr 1946 betraf dies z.B. 1.600 hochqualifizierte Spezialisten im Archipel GUPWI, darunter rund 570 Maschinenbauingenieure, 260 Architekten, 220 Elektroingenieure, 110 promovierte Mathematiker, Chemiker und Techniker . 5. Repatriierungen Repatriierungen der Kriegsgefangenen erfolgten zu Teilen bereits ab 1945, die meisten Kriegsgefangenen wurden aber erst ab 1947 bis 1950 repatriiert. Für die nach Ende des Zweiten Weltkrieges wiederholten Aufschiebungen der Repatriierungen gibt es zwei Gründe. Zum einen bestand in der UdSSR ein enormer Bedarf an arbeitsfähigen Personen, die für den Wiederaufbau der zerstörten Volkswirtschaft herangezogen werden konnten. Einen zweiten Grund sieht Bezborodova darin, dass im Zuge der aufbrechenden Gegensätze zwischen den ehemaligen Verbündeten der Anti-Hitler-Koalition die Kriegsgefangenen zum „zum menschlichen“ Anteil an den Reparationen sowie auch zu Geiseln des Kalten Krieges wurden (Bezborodova 2002, S. 40). Infolge von Schauprozessen, die in den Nachkriegsjahren stattfanden und zu deren Opfern allein 30.000 deutsche Kriegsgefangene wurden, verloren diese zudem den Status von Kriegsgefangenen, weshalb sie fortan wie zivile Straftäter behandelt werden konnten. Bis zum Sommer 1945 hatten etwa 1 Million Kriegsgefangene in ihre jeweilige Heimat zurückkehren können. Im Sommer 1946 wurden 135.610 arbeitsunfähige Deutsche, Ungarn, Rumänen Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000 – 011/11 Seite 10 u.a. repatriiert. An kranken und zu versorgenden Kriegsgefangenen hatte die UdSSR angesichts der in den Jahren 1946 und 1947 herrschenden prekären Verpflegungslage kein Interesse. Die Lage in den Kriegsgefangenenlagern war so angespannt und die Sterblichkeitsrate so hoch, dass der Ausnahmezustand ausgerufen wurde. Kranke und Geschwächte wurden in dieser Zeit häufig repatriiert, so im Dezember 1946 27.500 kranke und arbeitsunfähige deutsche Kriegsgefangene und Internierte. Im Mai 1947 betraf dies nochmals 113.259 arbeitsunfähige kriegsgefangene und internierte deutsche Bürger. Die Rückführung arbeitsunfähiger Deutscher erstreckte sich bis in das Jahr 1948. Auf der Moskauer Außenministerkonferenz der Alliierten vom April 1947 hatte sich die UdSSR verpflichtet, die Repatriierungen der Kriegsgefangenen bis zum 31. Dezember 1948 abzuschließen . Ungeachtet dessen zog sich dieser Rückführungsprozess bis 1950 hin. Für die aufgrund vorgeblicher politischer oder militärischer Verbrechen Verurteilten sollte er noch beinahe ein Jahrzehnt länger dauern (Bezborodova 2002, S. 41). Im Verlaufe des Jahres 1947 wurden 221.329 deutsche Kriegsgefangene sowie weitere 33.182 internierte Deutsche entlassen. Die Zahl der Kriegsgefangenen sank auf 542.000 Mann. Zudem wurden die Kriegsgefangenenlager am 26. Juni 1947 in die vier folgenden Gruppen aufgeteilt: Gruppe 1: Lager, Einzelarbeitsbataillone und Speziallazarette in Grenzgebieten; Gruppe 2: Hinterlandlager für deutsche Kriegsgefangene mit allgemeinem Gewahrsamsregime ; Gruppe 3: Lager für kriegsgefangene Ungarn, Rumänen, Österreicher mit gelockertem Gewahrsamregime ; Gruppe 4: Sonderregimelager für folgende Kategorien von Kriegsgefangenen: Saboteure, ehemalige Angehörige der SS, des SD, der Gestapo, Soldaten und Offiziere denen Gräueltaten gegen die örtliche Zivilbevölkerung sowie gegen sowjetische Kriegsgefangene zur Last gelegt wurden: Lager mit verschärftem Gewahrsamsregime (Korotajev 2010, S. XXI). Die Repatriierung der größten Anzahl deutscher Kriegsgefangener erfolgte ungeachtet ihres physischen Zustandes im Jahr 1949. Im April 1949 wurden 45.934 Personen freigelassen, weitere 45.000 folgten bis zum Oktober 1949. Die letzten Heimkehrerzüge deutscher Kriegsgefangener und Internierter, die für das Jahr 1949 vorgesehen waren, fuhren Ende Dezember 1949 (Bezborodova 2002, S. 45). Einer Statistik des UPVI zufolge wurden bis Mai 1950 1.939099 Personen nach Deutschland repatriiert (Bezborodova 2002, S. 46). Zum 23. März 1950 befanden sich in den Lagern 15.300 verurteilte Deutsche, davon rund 2000 in Speziallagern (Korotajev 2010, S. XXI). Im Verlaufe des Jahres 1950 kehrten 36.710 deutsche Kriegsgefangene und Internierte in die Heimat zurück. Die Zahl der in den Lagern und Speziallagern deutschen Internierten und Kriegsgefangenen betrug Mitte 1951 noch etwa 21.000. 1952 wurden 796 Kriegsgefangene repatriiert, weitere 14.945 Kriegsgefangene und 1.459 internierte Deutsche verblieben immer noch in sowjetischen Lagern. Erst im Zusammenhang mit dem Moskau – Besuch von Bundeskanzler Konrad Adenauer am 8. September 1955 und den von ihm geführten Verhandlungen wurden die letzten 9.626 Deutschen, die in der Sowjetunion verurteilt worden waren, in die Heimat entlassen (Korotajev 2010, S. XXII). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000 – 011/11 Seite 11 6. Literatur Bezborodova, Irina V.: Die Repatriierung ausländischer Kriegsgefangener des Zweiten Weltkrieges aus sowjetischer Gefangenschaft in den Jahren 1947-1950, in: Harald Knoll/Peter Ruggenthaler /Barbara Stelzl-Marx (Hrsg.) (2002): Kriege und Konflikte. Aspekte und ihre Folgen. Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung, Sonderband 3, Graz- Wien-Klagenfurt, S. 39-46. Diedrich, Torsten (2008): Paulus. Das Trauma von Stalingrad. Eine Biographie, Paderborn u.a.: Schöningh. Korotajev, Vladimir: Deutsche Kriegsgefangene in der UdSSR, in: Orte des Gewahrsams von Deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion (1941-1956). Findbuch, Dresden, Kassel, Moskau , München 2010, S. XVI-XXIV. Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland (Hrsg.) (1995): Kriegsgefangene – Woennoplennije. Sowjetische Kriegsgefangene in Deutschland. Deutsche Kriegsgefangene in der Sowjetunion. Düsseldorf: Verlag Droste. Hilger, Andreas (2000): Deutsche Kriegsgefangene in der Sowjetunion, 1941-1956. Kriegsgefangenenpolitik , Lageralltag und Erinnerung, Essen: Klartext. Müller, Klaus-Dieter (2010): Forschungsprojekt „Sowjetische und Deutsche Kriegsgefangene und Internierte. Forschungen zum Zweiten Weltkrieg und zur Nachkriegszeit. Bericht zum Stand der Arbeit für die Deutsch-Russische Historikerkommission, Stand Juli 2010. Schneider, Felix: „Unternehmen Barbarossa“, „Großer Vaterländischer Krieg“ und das Kriegsgefangenenrecht 1941-1945. Versuch eines Überblicks, in: Harald Knoll/Peter Ruggenthaler/Barbara Stelzl-Marx (Hrsg.) (2002): Kriege und Konflikte. Aspekte und ihre Folgen. Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung, Sonderband 3, Graz-Wien-Klagenfurt , S. 271-283.