© 2020 Deutscher Bundestag WD 1 - 3000 - 010/20 Zum 18. März in der deutschen Geschichte Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 010/20 Seite 2 Zum 18. März in der deutschen Geschichte Aktenzeichen: WD 1 - 3000 - 010/20 Abschluss der Arbeit: 24. März 2020 Fachbereich: WD 1: Geschichte, Zeitgeschichte und Politik Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 010/20 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Der 18. März 4 2.1. Die Mainzer Republik 1793 4 2.2. Die erste freie Volkskammerwahl 1990 6 2.3. Der Ausbruch der Märzrevolution im Deutschen Bund 1848 6 3. Weitere Erinnerungstage 1848/49 10 4. Literatur 12 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 010/20 Seite 4 1. Einleitung Der folgende Sachstand beschäftigt sich mit der Bedeutung des 18. März in der deutschen Geschichte und ergänzt damit den Sachstand „Zur Diskussion um einen neuen Gedenktag am 18. März“.1 Auf Wunsch des Auftraggebers sollen dabei die historiografische Bewertung der Mainzer Republik 1792/93 und die Bedeutung der ersten freien Volkskammerwahl in der DDR 1990 dargestellt werden. Darüber hinaus soll mit Blick auf das Jahr 1848 der historische Stellenwert der Berliner Barrikadenkämpfe für den Revolutionsausbruch in Deutschland skizziert werden. Abschließend werden mit dem 18. Mai und dem 27. Dezember 1848 zwei Daten vorgestellt, die der Tübinger Historiker Dieter Langewiesche als demokratisches Gedenkdatum für geeignet hält.2 2. Der 18. März 2.1. Die Mainzer Republik 1793 Am 18. März 1793 erklärt der „Rheinisch-deutsche Nationalkonvent“ in Mainz die Gründung eines Freistaates, der die Gebiete zwischen Landau und Bingen umfassen soll, sowie dessen Unabhängigkeit von Kaiser und Reich. Am 21. März verkündet der Konvent die Vereinigung mit der Französischen Republik. Diese „Mainzer Republik“ bestand bis zur Kapitulation der französischen Armee vor der Reichsarmee am 23. Juli. Insbesondere in den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts stritten Historiker der Bundesrepublik und der DDR über die Bedeutung sowie den demokratischen Charakter der Mainzer Republik. Während sie etwa Heinrich Scheel zur „erste[n] bürgerlich-demokratischen Republik auf deutschem Boden“ und die DDR gleich mit zur „legitimen, demokratische[n] Erbin“ erklärte, standen westdeutsche Forscher der Glorifizierung der Mainzer Republik skeptisch gegenüber.3 Streitpunkte waren u.a. die Rolle der französischen Besatzer, die Zwangsmaßnahmen des federführenden Jakobinerklubs, die massive Wahlverweigerung im Vorfeld des Konvents und die Ausweisungen politischer Gegner. Mittlerweile besteht ein größerer Konsens darin, die Ambivalenz der Mainzer Republik als „Französischer Revolutionsexport und deutscher Demokratieversuch“ in den Mittelpunkt zu stellen.4 Mit Blick auf die Umbenennung des Platzes vor dem Landtag von Rheinland-Pfalz in „Platz der Mainzer Republik“ 2013 stellt etwa Johannes Süßmann eine Rückkehr der deutschen Jakobiner in die Geschichtspolitik fest, verweist aber zugleich darauf, dass diese „wenig praktische Wirkung“ 1 WD 1-3000-028/19 vom 27. November 2019. 2 Vgl. Funk, Albert: Aber bitte nicht Preußen…, Tagesspiegel 6. Juli 2008, online verfügbar unter: https://www.tagesspiegel .de/politik/aber-bitte-nicht-preussen-/1273016.html (zuletzt abgerufen am 24. März 2020). 3 Kasper, Dominik: Die Mainzer Republik in der jüngeren Geschichtskultur. Online verfügbar unter: https://www.regionalgeschichte.net/bibliothek/aufsaetze/kasper-geschichtskultur-mainzer-republik.html (zuletzt abgerufen am 24. März 2020). 4 So der programmatische Titel einer Zusammenstellung der Schriften des Mainzer Historikers Franz Dumont, Der Präsident des Landtags Rheinland-Pfalz (Hrsg.): Franz Dumont: Die Mainzer Republik 1792/93. Französischer Revolutionsexport und deutscher Demokratieversuch. Bearbeitet von Stefan Dumont und Ferdinand Scherf. Mainz 2013, online verfügbar unter: https://www.landtag.rlp.de/fileadmin/Landtag/Medien/Publikationen /Schriftenreihe/Heft55.pdf (zuletzt abgerufen am 24. März 2020). Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 010/20 Seite 5 entfaltet haben. Im Kontext der Mainzer Republik betont er deren auf französischen Druck hin zunehmenden Zwangscharakter. In dieser Hinsicht sei der Ausgang der Konventswahl gelenkt worden, da nur wahlberechtigt war, wer vorher einen Eid auf die Grundsätze der Revolution geleistet hatte. „Erst dies machte aus den deutschen Jakobinern Helfer einer Besatzungsmacht, die der Bevölkerung eine Befreiung von oben aufzuzwingen versuchte.“5 Die Wahlen begleiteten daher Boykott und offener Aufruhr, was zu einer Wahlbeteiligung von lediglich acht Prozent geführt habe. Dagegen lasse sich die Anschlusserklärung an die Französische Republik durchaus als Ausdruck des Kosmopolitismus der Aufklärung verstehen. Auch mit Blick auf die weiteren Lebensläufe der Mainzer Klubisten lassen sich diese durchaus zu den „Gestaltern der politischen Neuordnung in Deutschland“ zählen.6 Ein deutlich positives Bild vermittelt einer der besten Kenner der Französischen Revolution, Rolf Reichardt, mit Fokus auf die entstehende politische Kultur. Seiner Ansicht nach entwickelte sich im Mainz und der Pfalz „eine langfristig wirksame politische Kultur mit demokratischer Tendenz “. Deshalb sei es letztlich kein Zufall, dass das Hambacher Fest 1832 gerade in der Pfalz stattgefunden habe.7 Demgegenüber bezeichnet Gustav Seibt den „Rheinisch-deutschen Nationalkonvent “ explizit als das „angeblich erste frei gewählte deutsche Parlament“. Er begründet dies mit den vorangegangen Zwangsmaßnahmen und der radikalen Rhetorik der Jakobiner: „Eine Wahlenthaltung von neun Zehnteln der Stimmberechtigen, die Galgen neben dem Freiheitsbaum und die Bajonette der Kommissare, die Geflohenen und Deportierten, Forsters enthemmte Hass- Artikel sprechen deutlicher als alle Begriffsbildungen und als die hochtönende Rhetorik der Reden im Konvent.“ Dementsprechend bezeichnet er den 18. März als das „ominöse Datum der deutschen Demokratiegeschichte mit seinen Nachfolgern in den Jahren 1848 und 1990“.8 Franz Dumont fasste die widersprüchlichen Elemente folgendermaßen zusammen: „Die Mainzer Republik – ein spannendes und zugleich schwieriges Kapitel unserer Stadtgeschichte, oft verklärt , oft verdammt. Sie hatte Mängel und Widersprüche, war ebenso Besatzungsregime wie Demokratieversuch . Für Deutschland war sie einmalig, denn keine andere deutsche Stadt wurde so früh und intensiv von dem aus Westen kommenden Streben nach Bürgerrechten und Demokratie geprägt wie Mainz 1792/93. Die Mainzer Republik sollte deshalb weder historisch entsorgt noch unkritisch bejubelt werden.“9 5 Süßmann, Johannes: Vom Alten Reich zum Deutschen Bund. Paderborn 2015, S. 155f. 6 Ebd., S. 156f. 7 Reichardt, Rolf: Das Blut der Freiheit. Französische Revolution und demokratische Kultur. Frankfurt a.M. 1998, S. 289f. 8 Seibt, Gustav: Mit einer Art von Wut. Goethe in der Revolution. München 2014, S. 44. 9 Dumont: Republik (wie Anm. 4), S. 1792/93 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 010/20 Seite 6 2.2. Die erste freie Volkskammerwahl 1990 Am 18. März 1990 werden die Abgeordneten der Volkskammer, des Parlaments der DDR, zum ersten Mal frei, direkt und geheim gewählt. Bislang hatte der offiziell verankerte Führungsanspruch der SED weder demokratischen Parteienwettbewerb noch freie und geheime Wahlen und wirklichen politischen Einfluss der Abgeordneten zugelassen. Nun wandelt sich die Volkskammer zu einem echten Parlament, deren Mitglieder den Weg der Deutschen Einheit bereiten. Im kollektiven Gedächtnis reicht der Stellenwert des 18. März nicht an den Tag des Mauerfalls am 9. November 1989 oder den 9. Oktober 1989 heran, der den Weg zur Friedlichen Revolution öffnete. Dennoch markierte die Wahl zur 10. Volkskammer im Kalender der Friedlichen Revolution eine Zäsur: Sie beendete die revolutionäre Phase und eröffnete die parlamentarische.10 Auch in der Geschichtswissenschaft ist die Bedeutung unbestritten, wie u.a. Ilko-Sascha Kowalczuk hervorhebt: „Der 18. März 1990 vollendete, was die Fluchtbewegung, die Massenproteste und die Bürgerbewegungen seit dem Spätsommer und Frühherbst 1989 gemeinsam erzwangen: freie demokratische Wahlen.“11 Auch beeinflusste das Wahlergebnis wesentlich das Tempo der deutschen Wiedervereinigung, deren konkrete Umsetzung nach dem 18. März weitgehend die Bundesregierung bestimmt habe. „Die Volkskammerwahlen waren in dieser Hinsicht der krönende Höhepunkt einer revolutionären Entwicklung, die nun in demokratisch legitimierten Bahnen handfeste Ergebnisse wie die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion und den Einigungsvertrag zu erbringen hatte.“12 Ähnlich charakterisiert Andreas Rödder die Volkskammerwahl als ein „formelle[s] Plebiszit für die Wiedervereinigung“, das die Verantwortung auf die Bonner Bundesregierung übertragen habe.13 Zu einem wesentlichen Träger der Wiedervereinigung wurde aus Rödders Sicht daher die westdeutsche Ministerialbürokratie.14 Aus anderer Perspektive hat jüngst Bettina Tüffers die Selbstwahrnehmung, Selbstparlamentarisierung und Selbstauflösung der Volkskammer untersucht und diese als „Parlament im Umbruch“ aufgewertet. 2.3. Der Ausbruch der Märzrevolution im Deutschen Bund 1848 Die Revolutionsforschung hat sich ausgiebig mit der Chronologie des Revolutionsausbruchs von 1848 beschäftigt, der sich nicht eindeutig markieren lässt. Verbreitet ist dabei insbesondere die bereits zeitgenössische Ansicht, die Februarrevolution in Paris (22.-24. Februar) habe sich als „Kette hauptstädtischer Revolutionen“ über Wien (13. März), Pest-Buda (15. März), Neapel, Mailand und Venedig in Europa ausgebreitet. In dieser Hinsicht markieren die Berliner Barrikaden- 10 Vgl. Trampe, Andreas: Friedliche Revolution in der DDR – Die Selbstbefreiung der Ostdeutschen von der Diktatur , Infobrief der Wissenschaftlichen Dienste vom 4. November 2014, S. 13. 11 Kowalczuk, Ilko-Sascha: Endspiel. Die Revolution von 1989 in der DDR. München ²2009, S. 528. 12 Ebd., S. 535. 13 Rödder, Andreas: Deutschland einig Vaterland: die Geschichte der Wiedervereinigung. München 2009, S. 142. 14 Ebd., S. 369f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 010/20 Seite 7 kämpfe am 18./19. März nicht den Beginn, aber „das vorläufige Ende der hauptstädtisch-revolutionären Kettenreaktion“.15 Kritik an dieser Interpretation formuliert u.a. Andreas Fahrmeir, demzufolge sich der Fokus auf Frankreich als Ursprungsland der Revolution in ein „konservatives Interpretationsschema“ einfüge und die lokalen Ursachen der Revolutionen marginalisiere. Seiner Ansicht nach lässt sich der Ursprung der europäischen Revolutionswelle auch in Krakau 1846, im Schweizer Sonderbundskrieg 1847 oder in Italien im Januar 1848 verorten.16 Auch im deutschen Kontext stehen die Ereignisse in Berlin vergleichsweise am Ende der meist spontanen Protestbewegungen, wie der Verlauf in anderen Staaten des Deutschen Bundes zeigt. Das gilt zum einen insbesondere für die bereits erwähnte Wiener Revolution, deren gravierende Auswirkungen (u.a. mit dem Rücktritt Metternichs am 13. März) sowohl das Habsburgerreich erschütterten als auch den Deutschen Bund betrafen, dem Österreich als Präsidialmacht vorstand. Darüber hinaus lassen sich mehrere wichtige Ereignisse in anderen deutschen Staaten anführen, die vor den Barrikadenkämpfen in Berlin stattfanden und den Ablauf der Märzrevolution prägten . Diese weisen ebenso auf die räumliche Breite der Ereignisse hin wie auf die unterschiedlichen Handlungsebenen, auf denen sich die Revolution bereits in der Frühphase vollzog.17 - Am 27. Februar findet in Mannheim eine Volksversammlung mit etwa 2.500 Teilnehmern statt. Die Versammlung verabschiedet eine Petition an die badische Regierung, die vier Forderungen umfasst: 1. Volksbewaffnung mit freier Wahl der Offiziere, 2. unbedingte „Pressfreiheit“, 3. die Einführung von Schwurgerichten nach englischem Vorbild und 4. Die sofortige Herstellung eines deutschen Parlaments. Diese Forderungen werden zum Kern der „Märzforderungen“, die von der Volksbewegung auch in den anderen Staaten erhoben werden. Parallel verlaufen seit den ersten Märztagen Agrarrevolten, die von der aktuellen Notlage angestoßen sind, den städtischen Bewegungen aber zugleich Nachdruck bei den Regierenden verleihen. - Am 3. März räumt der Bundestag in Frankfurt am Main den Einzelstaaten das Recht zur Einführung der „Pressfreiheit“ ein und erkennt am 9. März die Farben Schwarz-Rot-Gold als Bundesfarben an. Am 10. März fordert er die Einzelstaaten zur Entsendung von siebzehn „Männern des öffentlichen Vertrauens“ auf, die den Bundestag bei der Revision der Bundesverfassung beraten sollen. - Am 4. März stürmen Bürger in München das Zeughaus. Hier verbindet sich die Märzbewegung mit dem Konflikt über die Mätresse des Königs, Lola Montez. Ludwig I. gewährt 15 Hachtmann, Rüdiger: Epochenschwelle zur Moderne. Einführung in die Revolution von 1848/49. Tübingen 2002, S. 46. 16 Fahrmeir, Andreas: Revolutionen und Reformen. München 2010, S. 253. 17 Vgl. dazu Siemann, Wolfram: Die deutsche Revolution von 1848/49. Frankfurt a.M. 1985, S. 59f., der fünf Handlungsebenen unterscheidet: die Basisrevolution auf der Straße und dem Lande, die außerparlamentarische Öffentlichkeit in Presse und Vereinen, die institutionalisierte Revolution in den Parlamenten, die neue Obrigkeit in den sog. Märzministerien, Magistraten und Reichsministerien sowie schließlich die weiterbestehende fürstlich -aristokratische Gewalt in Bürokratie, Militär und Diplomatie. Die Auflistung folgt im wesentlichen Speck, Ulrich: 1848 – Chronik einer deutschen Revolution. Frankfurt a.M. u.a. 1998. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 010/20 Seite 8 daraufhin die Einberufung der Stände. Angesichts weiterer Proteste auf dem Lande verspricht der König am 6. März die Umsetzung aller „Märzforderungen“ und hebt als Sofortmaßnahme die Zensur auf. Am 20. März dankt er zugunsten seines Sohnes Maximilian ab. - Am 5. März treffen sich 51 führende liberale und demokratische Oppositionelle in Heidelberg , um über den Weg zu einem deutschen Nationalparlament zu beraten. Der eingesetzte „Siebenerausschuss“ lädt alle früheren und gegenwärtigen Mitglieder von Ständeversammlungen sowie weitere öffentlich angesehene Persönlichkeiten zu einem „Vorparlament “ ein, das vom 31. März bis 3. April in der Frankfurter Paulskirche tagt. - Bis zum 18. März haben bereits elf Staaten des Deutschen Bundes „Märzministerien“ eingesetzt , die – oftmals unter Leitung vormärzlicher Oppositioneller – die Forderungen der Volksbewegungen umsetzen sollen. Darunter befinden sich die größeren Einzelstaaten; Österreich und Hannover folgen am 20. März.18 Ebenfalls am 18. März spitzt sich in Schleswig und Holstein der Nationalitätenkonflikt zu. In Rendsburg protestiert eine Volksversammlung in einer Petition an die dänische Regierung gegen die Einführung einer gesamtdänischen Verfassung, die das Herzogtum Schleswig miteinschließen soll. Neben die „Märzforderungen“ treten hier der Wunsch nach einer gemeinsamen Volksvertretung für Schleswig und Holstein und dem Eintritt Schleswigs in den Deutschen Bund (dem Holstein bereits angehört). Vor dem Hintergrund dieser vielfältigen Entwicklungen und Ereignisse stehen die Berliner Barrikadenkämpfe vom 18./19. März und die Reaktion Friedrich Wilhelms IV. symbolisch für den Sieg der Märzrevolution in Preußen und in Deutschland. In seinem 1930 erschienenen Standardwerk zur Revolution beschrieb etwa der liberale Historiker Veit Valentin den besonderen Stellenwert des 18. März dementsprechend pathetisch: „In ganz Deutschland hatte sie [die revolutionäre Idee] nun gesiegt, fast überall leicht; in Wien waren die Schwierigkeiten schon groß gewesen; Berlin war aber die erste deutsche Stadt, in der der blutige Barrikadenkampf nachträglich als ein berechtigtes und ehrenvolles Mittel des politischen Wollens anerkannt worden war. […] Eben hatte noch die königliche Truppe gegen die schwarzrotgoldene Fahne der deutschen Revolution gekämpft – und schon ergriff ein preußischer König diese Fahne und zog damit über die Straße. Das konnte nicht vergessen werden. Darin beruht die weltgeschichtliche Bedeutung des 18. März. Berlin und das ewige Recht der Revolution, Berlin und der Traum vom unsterblich freien Deutschland haben sich an diesem Tage für immer miteinander verbunden.“19 Die neuere Forschung widmet sich den Barrikadenkämpfen in erster Linie aus zwei Blickwinkeln : Erstens untersucht sie, inwiefern die zeitgenössische Wahrnehmung der Barrikadenkämpfe als Sieg der Revolution von den eigentlichen Machtverhältnissen abgelenkt und damit zu deren Scheitern beigetragen hat. So hebt etwa Wolfram Siemann hervor, dass der scheinbare Sieg der 18 Vgl. die Liste bei Werner, Eva Maria: Die Märzministerien. Regierungen der Revolution von 1848/49 in den Staaten des Deutschen Bundes. Göttingen 2009, S. 283. 19 Valentin, Veit: Geschichte der deutschen Revolution von 1848-49. Band I. Berlin 1930, S. 461f. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 010/20 Seite 9 Revolution über Fürst und Militär dazu verleitete, „sich für stärker [zu] halten, als man war“ und das Bekenntnis des preußischen Königs zu Verfassung und deutscher Einheit überzubewerten.20 Aus einer anderen Perspektive hält Manfred Hettling den 1848 einsetzenden Kult um die im Friedrichshain bestatteten „Märzgefallenen“ für einen Revolutionsersatz, „der die revolutionäre Aktion durch die Revolutionsfeier“ substituierte.21 Zweitens rücken neuere Arbeiten die Geschichte der Erinnerung an 1848/49 und die damit abgeleiteten Traditionen in den Fokus. So betont Rüdiger Hachtmann, dass der Totenkult als „politischer Code“ seit 1848 die politische Parteibildung gefördert habe. Ab den 1860er Jahren habe sich vor allem die Sozialdemokratie auf „den Mythos des ‚18. März‘“ berufen.22 Besondere Brisanz gewann diese Revolutionserinnerung im Kaiserreich auch dadurch, weil der 18. März zugleich das Datum des Arbeiteraufstands der Pariser Commune von 1871 war. Nach der Jahrhundertwende verloren die Märzfeiern gegenüber dem 1. Mai zunehmend an Bedeutung.23 Erst in der Weimarer Republik setzte neben der öffentlichen Erinnerung auch eine staatliche Traditionsbildung ein, in der jedoch nicht die Berliner Barrikadenkämpfe, sondern die Frankfurter Nationalversammlung im Zentrum stand. Dementsprechend nahm Reichspräsident Friedrich Ebert 1923 am 18. Mai – dem Jahrestag der Eröffnung der Nationalversammlung – an den Feierlichkeiten in Frankfurt am Main teil.24 Nach dem Zweiten Weltkrieg begann ein erinnerungspolitischer Streit, in dem Bundesrepublik und DDR darum konkurrierten, welcher Staat legitimerweise das ‚Erbe von 1848‘ für sich beanspruchen könne.25 Wie insbesondere Claudia Klemms Untersuchung der Revolutionsjubiläen gezeigt hat, wurde die Revolution von 1848/49 in der DDR zum festen Bestandteil des sozialistischen Traditionshaushalts, wobei der 18. März und die „Märzgefallenen“ – neben der Erinnerung an Karl Marx und Friedrich Engels – in der Erinnerungspolitik eine wichtige Rolle spielten. Dagegen erschien 1848/49 in der bundesrepublikanischen Erinnerungskultur als eine wichtige Etappe zur parlamentarischen Demokratie, weshalb nicht die Barrikadenkämpfe im Mittelpunkt standen, sondern die Paulskirche und der 18. Mai.26 Der Gegensatz zwischen „Barrikade“ und „Parlament“ prägte die Revolutionserinnerungen im Grunde seit 1848, wobei der alleinige Blick nach Berlin und Frankfurt durchaus die vielfältige 20 Siemann: Revolution (wie Anm. 17), S. 69-71. 21 Hettling, Manfred: Totenkult statt Revolution. 1848 und seine Opfer. Frankfurt a.M. 1998, S. 50. 22 Hachtmann: Epochenschwelle (wie Anm. 15), S. 194. 23 Engehausen, Frank: Die Revolution von 1848/49. Paderborn u.a. 2007, S. 64. 24 Siehe die Ausarbeitung WD 1-3000 -003/18: „Zur parlamentarischen Tradition der Frankfurter Nationalversammlung von 1848/49 in den Verhandlungen der Weimarer Nationalversammlung und des Parlamentarischen Rates“. 25 Vgl. u.a. Siemann, Wolfram: Der Streit der Erben – deutsche Revolutionserinnerungen. In: Ders.: 1848/49 in Deutschland und Europa. Ereignis – Bewältigung – Erinnerung. Paderborn 2006, S. 233-269. 26 Klemm, Claudia: Erinnert – umstritten – gefeiert. Die Revolution von 1848/49 in der deutschen Gedenkkultur. Göttingen 2007. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 010/20 Seite 10 lokale und regionale Erinnerungskultur übersieht.27 Auch die 1974 von Bundespräsident Gustav W. Heinemann initiierte Erinnerungsstätte für die Freiheitsbewegungen in der deutschen Geschichte in Rastatt, wo am 23. Juli 1849 die badische Revolutionsarmee kapitulierte, legt bewusst einen anderen Schwerpunkt, um der „Vieldimensionalität“ der Revolution gerecht zu werden.28 Rüdiger Hachtmann unterstreicht deshalb das komplexe Verhältnis von „Barrikade“ und „Parlament “: „Erst die Straßenkämpfe im Februar und März machten demokratische, nach einem allgemeinen und gleichen Wahlrecht zusammengesetzte ‚Konstituierende Versammlungen‘ überhaupt möglich – ohne Barrikade kein modernes Parlament. Umgekehrt gossen die neuen verfassungsgebenden Parlamente die auf den Barrikaden erfochtenen Freiheiten in rechtliche Formen. Ohne Parlament keine dauerhaften Märzerrungenschaften.“29 3. Weitere Erinnerungstage 1848/49 Neben dem 18. März sind auch andere Ereignisse als mögliche Erinnerungstage denkbar, wobei Klemm darauf hinweist, dass diese ebenso jeweils unterschiedlichen Revolutionsebenen zugeordnet werden können und deren Auswahl jeweils einer anderen Schwerpunktsetzung entspreche . Sie nennt beispielhaft die Eröffnung des Vorparlaments (31. März) oder der preußischen Nationalversammlung (22. Mai), die Septemberaufstände in Frankfurt (18. September), die Hinrichtung Robert Blums in Wien (9. November) oder die Auflösung des Stuttgarter Rumpfparlaments (18. Juni 1849).30 Im Kontext der erfolglosen Bundesratsinitiative des Berliner Senats 2008, den 18. März zum nationalen Gedenktag zu proklamieren, erklärte der Tübinger Historiker Dieter Langewiesche, dass er die ablehnende Reaktion der anderen Bundesländer nachvollziehen könne: „Man kann nicht ein vor allem preußisches Datum zu einem Gedenktag für ganz Deutschland machen.“31 Dagegen hielt er zwei andere Tage als gesamtdeutschen Gedenktag für vorstellbar: - Am 18. Mai 1848 tritt in der Frankfurter Paulskirche die deutsche Nationalversammlung zusammen, um eine Verfassung zu beraten und zu verabschieden. Als erstes frei gewähltes und gesamtdeutsches Parlament besitzt die Nationalversammlung unbestritten einen besonderen Platz im deutschen Traditionshaushalt. Die Frankfurter Paulskirche ist seit 1848 ein bedeutender „Erinnerungsort“ der deutschen Demokratie-, Verfassungs-, und Parlamentsgeschichte.32 Zwar hat sich die Revolutionsforschung seit einiger Zeit verstärkt 27 Ebd., S. 35. 28 Siemann: Revolution (wie Anm. 17), S. 16. 29 Hachtmann: Epochenschwelle (wie Anm. 15), S. 86. 30 Klemm: Revolution (wie Anm. 26), S. 35. 31 Vgl. Anm. 2. 32 Vgl. Mommsen, Wolfgang J.: Die Paulskirche. In: François, Étienne/Hagen Schulze (Hg.) Deutsche Erinnerungsorte . Bd. II. München 2001, S. 47-66. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 010/20 Seite 11 anderen Ebenen und Räumen der Revolution zugewandt, wie etwa Ulrich Speck festhält. Aller notwendigen Relativierung zum Trotz, bleibe die Nationalversammlung jedoch „der unbestreitbare Mittelpunkt des Geschehens der Jahre 1848/49. Durch die weitgespannten Erwartungen, die mit ihr verbunden waren, entwickelte sich die Paulskirche zum Zentrum des Revolutionsgeschehens [,,,]. Ganz Deutschland blickte nach Frankfurt; was hier geschah, war von unmittelbarer Relevanz für den Verlauf der Ereignisse. Mit der Nationalversammlung verdichtete sich das Geschehen über den lokalen, regionalen und einzelstaatlichen Rahmen hinaus zur gesamtdeutschen Revolution.“33 - Am 27. Dezember 1848 verkündet die deutsche Nationalversammlung im Vorgriff auf die spätere Reichsverfassung das „Reichsgesetz betreffend die Grundrechte des deutschen Volkes“. Der Grundrechtskatalog, auf den sich eine breite Mehrheit der Abgeordneten einigte , zählt unumstritten zu den herausragenden Leistungen der deutschen Demokratiegeschichte . Der auch die Weimarer Verfassung und das Grundgesetzes maßgeblich beeinflussende Katalog enthält als Kernelemente die Gleichheit aller vor dem Gesetz, die Aufhebung aller Standesvorrechte, die Gewährleistung persönlicher und politischer Freiheitsrechte (wie Presse-, Meinungs-, Versammlungs-, Gewerbefreiheit, Freizügigkeit, Religionsfreiheit etc.) sowie die Abschaffung der Todesstrafe. Darüber hinaus binden diese Rechte alles staatliche Handeln und sollen vor einem Reichsgericht eingeklagt werden können. Hachtmann sieht darin „einen revolutionären Schritt in die Moderne“, der die jahrhundertealte Feudalordnung beseitigte.34 Der Verfassungshistoriker Jörg-Detlef Kühne betont, dass die Reichsverfassung Deutschland – insbesondere wegen des Grundrechtteils – „zum modernsten Staat Europas“ gemacht hätte. Die Grundrechte zeigten seiner Ansicht nach „einen deutschen Verfassungsliberalismus mit sozialer Dimension“.35 Da zahllose Dankund Unterstützungsadressen die Nationalversammlung erreichten, bezeichnet Valentin die Grundrechte als ein „Laienevangelium der kleinen Leute“. Auch entwickelten sich Volksversammlungen und Petitionskampagnen in denjenigen Staaten, die eine sofortige Umsetzung verweigerten. Diese Massenproteste verwiesen bereits auf die Konflikte um die Reichsverfassung im Frühjahr 1849.36 Am 23. August 1851 erklärte die wiedereingesetzte Bundesversammlung die Grundrechte für ungültig und verpflichtete die Einzelstaaten zu deren Aufhebung. Als weitere bedeutende Entscheidungen der Nationalversammlung sind darüber hinaus u.a. zu nennen: die Reichsverweserwahl am 29. Juni 1848, die Erzherzog Johann von Österreich zum ersten demokratisch legitimierten Staatsoberhaupt Deutschlands machte, sowie die Verkündung der Reichsverfassung am 28. März 1849. 33 Speck, Ulrich: Das Parlament. In Ders./Christof Dipper (Hg.): 1848 – Revolution in Deutschland. Frankfurt a.M. u.a. 1998, S.196-209, hier: 196f. 34 Hachtmann: Epochenschwelle (wie Anm. 15), S. 86. 35 Kühne, Jörg-Detlef: Eine Verfassung für Deutschland. In Dipper, Christof/Ulrich Speck (Hg.): 1848 – Revolution in Deutschland. Frankfurt a.M. u.a. 1998, S.355-365, hier: 358f. 36 Valentin: Geschichte (wie Anm. 19), S. 316. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 010/20 Seite 12 4. Literatur Der Präsident des Landtags Rheinland-Pfalz (Hrsg.): Franz Dumont: Die Mainzer Republik 1792/93. Französischer Revolutionsexport und deutscher Demokratieversuch. Bearbeitet von Stefan Dumont und Ferdinand Scherf. Mainz 2013, online verfügbar unter: https://www.landtag .rlp.de/fileadmin/Landtag/Medien/Publikationen/Schriftenreihe/Heft55.pdf Engehausen, Frank: Die Revolution von 1848/49. Paderborn u.a. 2007. Fahrmeir, Andreas: Revolutionen und Reformen. München 2010. Funk, Albert: Aber bitte nicht Preußen…, Tagesspiegel 6. Juli 2008, online verfügbar unter: https://www.tagesspiegel.de/politik/aber-bitte-nicht-preussen-/1273016.html Hachtmann, Rüdiger: Epochenschwelle zur Moderne. Einführung in die Revolution von 1848/49. Tübingen 2002. Hettling, Manfred: Totenkult statt Revolution. 1848 und seine Opfer. Frankfurt a.M. 1998. Kasper, Dominik: Die Mainzer Republik in der jüngeren Geschichtskultur. Online verfügbar unter : https://www.regionalgeschichte.net/bibliothek/aufsaetze/kasper-geschichtskultur-mainzerrepublik .html Klemm, Claudia: Erinnert – umstritten – gefeiert. Die Revolution von 1848/49 in der deutschen Gedenkkultur. Göttingen 2007. Kowalczuk, Ilko-Sascha: Endspiel. Die Revolution von 1989 in der DDR. München ²2009. Kühne, Jörg-Detlef: Eine Verfassung für Deutschland. In Dipper, Christof/Ulrich Speck (Hg.): 1848 – Revolution in Deutschland. Frankfurt a.M. u.a. 1998, S.355-365. Mommsen, Wolfgang J.: Die Paulskirche. In: François, Étienne/Hagen Schulze (Hg.) Deutsche Erinnerungsorte . Bd. II. München 2001, S. 47-66. Reichardt, Rolf: Das Blut der Freiheit. Französische Revolution und demokratische Kultur. Frankfurt a.M. 1998. Rödder, Andreas: Deutschland einig Vaterland: die Geschichte der Wiedervereinigung. München 2009. Seibt, Gustav: Mit einer Art von Wut. Goethe in der Revolution. München 2014. Siemann, Wolfram: Der Streit der Erben – deutsche Revolutionserinnerungen. In: Ders.: 1848/49 in Deutschland und Europa. Ereignis – Bewältigung – Erinnerung. Paderborn 2006, S. 233-269. Siemann, Wolfram: Die deutsche Revolution von 1848/49. Frankfurt a.M. 1985. Speck, Ulrich: 1848 – Chronik einer deutschen Revolution. Frankfurt a.M. u.a. 1998. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 010/20 Seite 13 Speck, Ulrich: Das Parlament. In Ders./Christof Dipper (Hg.): 1848 – Revolution in Deutschland. Frankfurt a.M. u.a. 1998, S.196-209. Süßmann, Johannes: Vom Alten Reich zum Deutschen Bund. Paderborn 2015. Trampe, Andreas: Friedliche Revolution in der DDR – Die Selbstbefreiung der Ostdeutschen von der Diktatur, Infobrief der Wissenschaftlichen Dienste vom 4. November 2014. Valentin, Veit: Geschichte der deutschen Revolution von 1848-49. Band I. Berlin 1930. Werner, Eva Maria: Die Märzministerien. Regierungen der Revolution von 1848/49 in den Staaten des Deutschen Bundes. Göttingen 2009. ***