© 2020 Deutscher Bundestag WD 1 - 3000 - 009/20 Informationen zum „Zweiten demografischen Übergang“ Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 009/20 Seite 2 Informationen zum „Zweiten demografischen Übergang“ Aktenzeichen: WD 1 - 3000 - 009/20 Abschluss der Arbeit: 1. April 2020 Fachbereich: WD 1: Geschichte, Zeitgeschichte und Politik Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 009/20 Seite 3 1. Vormerkung Die Theorie des demografischen Übergangs beschreibt den mehr oder minder regelhaften Wandel der natürlichen Bevölkerungsbewegungen von relativ hohen Geburten- und Sterbeziffern zu vergleichsweise niedrigen Werten, wie sie sich in Europa im Zuge der Industrialisierung bis in die 1930er-Jahre entwickelt haben.1 Vor diesem Hintergrund wird in der Bevölkerungswissenschaft der demografische Wandel in den Industriestaaten seit den 1960er-Jahren als „Zweiter demografischer Übergang“ (engl. Second Demographic Transition, SDT) bezeichnet. Ursprünglich bezeichneten die Demografen Dirk J. van de Kaa und Ron Lesthaeghe damit den Rückgang der zusammengefassten Geburtenziffer unter das Erhaltungsniveau von 2,1 Kindern je Frau in Europa, den sie insbesondere auf einen Wertewandel zurückführten. Nach van de Kaa war der Fertilitätsrückgang in den 1930er-Jahren noch durch die Sorge um Familie und Nachwuchs vorangetrieben worden, während hinter dem Zweiten demografischen Übergang ein „dramatic shift in norms toward progressiveness and individualism“ stehe, der die Vorstellung von Ehe und Elternschaft verändere: „Cohabitation and out-of-wedlock fertility are increasingly acceptable; having a child is more and more a deliberate choice made to achieve greater self-fulfillment.“2 Seit den 1980er-Jahren entwickelte insbesondere Lesthaeghe das ursprünglich auf Europa beschränkte Konzept weiter, das heutzutage eine allgemeine Erklärung für den demografischen Wandel formuliert.3 Unbestritten zählt der Zweite demografische Übergang zu den einflussreichsten bevölkerungswissenschaftlichen Konzepten, um den Zusammenhang von niedrigen Fertilitätsraten und sozialen Vorstellungen in modernen Gesellschaften zu untersuchen. In diesem Kontext werden in der Forschung mehrere Aspekte des Konzepts kritisiert: So baue es etwa auf ethnozentrischen und entwicklungstheoretischen Vorannahmen auf, blende die materiellen Grundlagen des Wertewandels aus, marginalsiere die Rolle geschlechtsspezifischer Systeme oder unterschätze den Einfluss der Globalisierung.4 Da der Begriff des Zweiten demografischen Übergangs in unterschiedlichen Forschungsfeldern aufgegriffen wurde und recht uneinheitlich verwendet wird, erkennt etwa Tomáš Sobotka darin mittlerweile eher ein wirkmächtiges Narrativ als eine eigenständige Theorie.5 Die vorliegende Dokumentation umfasst mehrere Studien, die sich mit dem Konzept des Zweiten demografischen Übergangs befassen. Diese erläutern die Grundzüge des Konzepts und dessen 1 Schmid, Josef/Johanna Schmid: Demographischer Übergang. In: Gabler Wirtschaftslexikon, online verfügbar unter: https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/demografischer-uebergang-47297/version-270563 (zuletzt abgerufen am 1. April 2020). 2 Van de Kaa, Dirk J.: Europe’s Second Demographic Transition. In: Population Bulletin 42 (1987) 1, S. 3-55, hier: Abstract. 3 Siehe Lesthaeghe, Ron: The Unfolding Story of the Second Demographic Transition. In: Population and Development Review 32 (2010), S. 211-251. 4 Siehe den Überblick bei Zaidi, Batool/S. Philip Morgan: The Second Demographic Transition Theory: A Review and Appraisal. In: Annual Review of Sociology 43 (2017), S. 473-492, hier: 483-487. 5 Sobotka, Tomáš: The diverse faces of the Second Demographic Transition in Europe. In: Demographic Research 19 (2008), S. 171-224, hier: 174, online verfügbar unter: http://www.demographic-research.org/Volumes /Vol19/8/ (zuletzt abgerufen am 1. April 2020); vgl. auch die Kritik am Theoriebegriff bei Hummel, Diana: Der Bevölkerungsdiskurs: Demographisches Wissen und politische Macht. Wiesbaden 2000, S. 223-227. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 009/20 Seite 4 Fortentwicklung, überprüfen dessen Anwendbarkeit außerhalb Europas und evaluieren die dagegen vorgebrachte sozialwissenschaftliche Kritik. Darüber hinaus sind zwei Pressedokumentationen zum Zweiten demografischen Übergang sowie dem demografischen Wandel in verschiedenen Ländern beigefügt. 2. Dokumentation Auslandsinformationen der Konrad-Adenauer-Stiftung 32 (2016) 4, S. 28-42; 71-82. Dorbritz, Jürgen: Die demografischen Transformationen und das ungelöste Genderproblem . In: Tilman Mayer (Hg.): Die transformative Macht der Demografie. Wiesbaden 2017, S. 75-89. Frejka, Tomas: The Demographic Transition Revisited: A Cohort Perspective, MPIDR Working Paper WP 2016-012, November 2016, online verfügbar unter: https://www.demogr .mpg.de/papers/working/wp-2016-012.pdf (zuletzt abgerufen am 1. April 2020). Lesthaeghe, Ron: Der zweite demographische Übergang in den westlichen Ländern: Eine Deutung. In: Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft 18 (1992), S. 313-354. Lesthaeghe, Ron: The Unfolding Story of the Second Demographic Transition. In: Population and Development Review 32 (2010), S. 211-251. Rindfuss, Ronald R. u.a.: Social networks and fertility change in Japan. In: American Sociological Review 69 (2004), S. 838-861. Tal, Alon: The Land is Full. Addressing Overpopulation in Israel. New Haven u.a. 2016, S. 168-196. Zaidi, Batool/S. Philip Morgan: The Second Demographic Transition Theory: A Review and Appraisal. In: Annual Review of Sociology 43 (2017), S. 473-492. Pressedokumentationen ***