Deutscher Bundestag Joseph von Eichendorff, Heinrich Heine und ihr Verhältnis zu Deutschland Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 1 – 3000-009/12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000-009/12 Seite 2 Joseph von Eichendorff, Heinrich Heine und ihr Verhältnis zu Deutschland Verfasser: Aktenzeichen: WD 1 – 3000-009/12 Abschluss der Arbeit: 6. März 2012 Fachbereich: WD 1: Geschichte, Zeitgeschichte und Politik Telefon: Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000-009/12 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Deutschland zur Zeit der beiden Autoren 4 3. Joseph von Eichendorff 7 4. Heinrich Heine 9 5. Zusammenfassung 10 6. Literatur 12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000-009/12 Seite 4 1. Einleitung Joseph von Eichendorff (1788 – 1857) und Heinrich Heine (1797 – 1856), beides Juristen – Heine sogar promoviert -, die sich auch oder, wie Heine, ausschließlich als Dichter und Schriftsteller betätigten, werden von der Literaturgeschichte beide der Romantik zugerechnet. Von beiden wird zugleich immer wieder gesagt, dass sie erkennbar die Romantik zur Moderne hin überschritten (so etwa Adorno, Noten zur Literatur). Beide nehmen in ihrem Werk immer wieder auch zu den Entwicklungen im Deutschland ihrer Zeit und zu deren Ursachen Stellung. Dennoch stellt es in mehrfacher Hinsicht eine Herausforderung dar, sich mit dem schlesischen Adligen Freiherr von Eichendorff und dem Düsseldorfer Juden Heinrich Heine und ihrer beider Verhältnis zu Deutschland zu befassen. Zum einen nämlich hat sich eine solche Untersuchung davor zu hüten, der Versuchung nachzugeben, die beiden Dichter und Schriftsteller nach der Qualität ihrer jeweiligen Werke zu vergleichen – wobei ein solcher Vergleich schon daran scheitern müsste, dass die beiden Werke so unterschiedlich sind, dass nur die Frage danach bliebe, wie diese Werke von der Öffentlichkeit ihrer Zeit beurteilt wurden und wie sie heute von Wissenschaft und Öffentlichkeit eingeschätzt werden. Andererseits muss auch bei der Darstellung des Deutschlandbilds der beiden Autoren sorgfältig die Unterschiedlichkeit ihrer sozialen Stellung beachtet werden, aus der heraus die Aussagen über Deutschland getroffen werden. Und schließlich darf nicht außer Acht bleiben, dass es zu Lebzeiten der beiden Schriftsteller zwar die Kulturnation Deutschland gab, die wesentlich durch die deutsche Sprache definiert war und durch die Werke, die in dieser Sprache verfasst worden waren und verfasst wurden, nicht aber den Staat Deutschland. Dieser war das Ziel, das aus dem Bewusstsein der Zusammengehörigkeit heraus von zunehmend mehr Deutschen angestrebt wurde, nicht aber Realität. Das Heilige Römische Reich deutscher Nation, bereits morsch geworden im Laufe der Jahrhunderte, war unter dem Ansturm der napoleonischen Truppen vollends zusammengebrochen, 1806 legte Franz II. die Kaiserkrone nieder, und es blieben eine Ansammlung von Kleinstaaten, aber auch Preußen und Österreich-Ungarn. Zugleich bahnte sich – auch im Bewusstsein der Zeitgenossen – ein Umbruch an, von dem etwa Ernst Moritz Arndt, ein Gegner der Französischen Revolution, sagte: „Auch das hat die fürchterliche französische Revolution, die wir jetzt unsere, die europäische Revolution nennen müssen, uns heller als das Sonnenlicht gezeigt, dass der alte Zustand Europas vergangen ist, dass wir in den Vorhallen einer neuen Zeit stehen.“ (zit. nach Kaelble, 23/24) In diesen „Vorhallen“ aber erklang zunehmend deutlicher auch der Ruf nach der deutschen Einheit. Wenn also im Folgenden vom Deutschlandbild der beiden Autoren Eichendorff und Heine die Rede ist, dann wird dieses Bild nur vor dem Hintergrund dessen verständlich, dass beide sich dieser zeitgeschichtlichen Dynamik und ihrer Widersprüche bewusst waren, sie zum Gegenstand ihrer Äußerungen machten und vor ihrem Hintergrund ihre Lyrik verfassten. 2. Deutschland zur Zeit der beiden Autoren Wer Deutschland zur Zeit der beiden Autoren Eichendorff und Heine auch nur skizzieren will, muss berücksichtigen, dass Deutschland nicht losgelöst vom europäischen Kontext betrachtet Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000-009/12 Seite 5 werden kann: hier wie dort ist die Aufklärung eine der zentralen Ursachen für die weitere Entwicklung . „Entscheidend für den europäischen Kontext der Französischen Revolution war, dass die Aufklärung ein europäisches Phänomen war. Sie entstand in einem Kommunikationsraum Europa, in dem die Aufklärer durch intensives Reisen und wechselseitige Besuche, durch Korrespondenz , durch Lektüre von internationalen Zeitschriften, durch Übersetzen und als Käufer in einem internationalen Buchmarkt in engem Kontakt miteinander standen. (…) In diesem Europa der Aufklärung spielte Frankreich sicher eine führende Rolle, aber ohne die Aufklärung in England , Schottland, in der Schweiz, in den Niederlanden, in Italien und Deutschland wäre die französische Aufklärung nicht verständlich und hätte sich anders entwickelt. (…) Die französischen Aufklärer teilten mit den anderen europäischen Aufklärern auch im Ganzen dieselben Grundwerte : die individuelle Freiheit, die politische Verantwortlichkeit, der Kosmopolitismus, die Bildung für die Gebildeten und für die Masse der Bevölkerung, die Entsakralisierung von Monarchie und Kirche, die Emanzipation von der Ordnung des Ancien Régime, besonders die Emanzipation der Leibeigenen, der Juden, der Frauen.“ (Kaelble, Wege zur Demokratie, 26). Hinzu kommt eine wrtschaftliche , soziale und politische Krise, die sich etwa auch in der allmählichen Durchsetzung der Marktwirtschaft in der Landwirtschaft bemerkbar macht und die Joseph von Eichendorff ganz persönlich dadurch erfahren musste, dass sein Vater durch Zu-und Verkauf von Boden und ganzen Landgütern Gewinn zu machen suchte, sich dabei verspekulierte und immer höher verschuldete und schließlich, nach dem Tod des Vaters 1818, die meisten der hochverschuldeten Güter aufgegeben werden mussten. Nicht nur von der heutigen Perspektive aus betrachtet, erscheint die Zeit zwischen 1789 und 1850, also die Epoche, in der Eichendorff und Heine einen wesentlichen Teil ihrer Lebenszeit verbrachten, als eine stete Abfolge widersprüchlicher Ereignisse und Umwälzungen, eine Zeit, in der das Althergebrachte vergeht und ständig nach dauerhaften Lösungen gesucht wird, wie es ersetzt werden könnte: - 14. Juli 1789 Sturm auf die Bastille - 21. Januar 1793 König Ludwig XVI. wird guillotiniert, nachdem ihn eine knappe Mehrheit der Abgeordneten des Nationalkonvents, darunter sein Vetter, der Herzog von Orléans, zum Tode verurteilt haben - 1793 Das linke Rheinland ist französisch besetzt - 9. November 1799 Staatsstreich Napoleons, der Erster Konsul wird - 2. August 1802 Napoleon wird Konsul auf Lebenszeit - 21. März 1804 Napoleon erlässt den Code Civil - 2. Dezember 1804 Napoleon krönt sich zum Kaiser - 16. Juli 1806 Gründung des Rheinbundes, Franz II. legt die Kaiserkrone des Hl.Röm. Reiches deutscher Nation nieder - 27. Oktober 1806 Napoleon zieht in Berlin ein - 6.April 1814 Napoleon dankt ab und wird nach Elba verbannt, Ludwig XVIII. nimmt den Thron ein - Juni 1815 Nach Rückkehr von der Insel Elba und Schlacht bei Waterloo Verbann ung Napoleons auf die Insel Elba, Ludwig XVIII. kehrt zurück - 1815 Gründung des Deutschen Bundes; der ständige Gesandtenkongress der 39 Mitgliedstaaten tagt in Frankfurt - 18. Oktober 1817 Wartburgfest für ein einiges Deutschland; Verbrennung „undeutscher “ Bücher Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000-009/12 Seite 6 - 20. September 1819 Karlsbader Beschlüsse (Zensur, Einschränkung von Freieheit und Lehre, „Demagogenverfolgung“) des Deutschen Bundes - 18. August 1822 In Preußen werden Juden von akademischen Lehr- und Schulämtern, in der Folge auch von der Offizierslaufbahn und vom Staatsdienst ausgeschlossen - September 1824 Charles X. besteigt den französischen Thron. Bis 1830 reaktionäre Regierung - 1830 Juli-Revolution in Frankreich. Louis Philippe, der „Bürgerkönig“, besteigt den Thron - November 1830 Aufstand in Polen, der im November 1831 von Russland mit preußischer Unterstützung niedergeschlagen wird - November 1830 Belgien spaltet sich von den Niederlanden ab - 1831 Liberale belgische Verfassung - 27. Mai 1832 Hambacher Fest: über 20.000 Menschen kommen zusammen. In zahlreichen Reden werden bürgerliche Freiheiten und die deutsche Einheit gefordert. - Juni/Juli 1832 Neue Zensurbestimmungen; Verbot von politischen Versammlungen und Vereinen im Deutschen Bund - 3. April 1833 Frankfurter Wachensturm - 1. Januar 1834 Gründung des Deutschen Zollvereins - 10. Dezember 1835 Die Werke des Jungen Deutschland (darunter die Heines) werden durch Bundestagsbeschluss in Deutschland verboten - 1836 Erster Putschversuch Louis Napoleon Bonapartes gegen Louis XVIII. - 1840 Zweiter Putschversuch; im selben Jahr wird die Leiche Napoleons von St. Helena nach Paris überführt und im Invalidendom beigesetzt - Juni 1844 Niederschlagung des Weberaufstandes in Schlesien durch preußische Truppen - 22.-24. Februar 1848 Februarrevolution in Paris; Zweite Republik - 18.März 1848 Märzrevolution in Berlin. Friedrich Wilhelm IV. bleibt König, verneigt sich vor den Gefallenen, Schwarz-Rot-Gold wird Bundesfahne - März 1848 Aufstand in Wien; Metternich tritt zurück - Dezember 1848 Louis Napoleon wird zum französischen Präsidenten gewählt - März 1849 Auflösung der verfassungsgebenden Nationalversammlung in Frankfurt - Mai/Juni 1849 Zerschlagung demokratischer Strukturen in Baden durch preußische Truppen - 1852 Louis Napoleon errichtet in Frankreich als Napoleon III. das Zweite Kaiserreich (bis 1870) Diese Auswahl an Ereignissen macht bereits deutlich, dass in Deutschland wie in ganz Europa unterschiedliche Kräfte mit unterschiedlichen Zielen ständig dabei waren, auf den Trümmern des Ancien Régime ein neues, tragfähiges Staats- und Gesellschaftssystem zu entwickeln oder auch nur Entwicklungen zu verhindern, die den eigenen Interessen zuwider liefen. War bereits die Französische Revolution ein französisches Ereignis mit europäischer Ausstrahlung, so zeigt allein schon die Abfolge der Revolutionen 1848, dass hier keineswegs von einer französischen Initialwirkung die Rede sein kann, sondern dass sich die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenhänge inzwischen so verdichtet hatten, dass von einer europäischen Revolution gesprochen werden muss. Dabei lassen Ereignisse wie der Weberaufstand zugleich aufscheinen, dass in dieser Zeit eine rasante wirtschaftliche Entwicklung vor sich ging. Ausgehend von Eng- Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000-009/12 Seite 7 land, wurde auch in Deutschland ab Ende der zwanziger Jahre des 19. Jahrhunderts der Eisenbahnbau vorangetrieben, und 1835 wurde die erste von einer Dampflokomotive gezogene Eisenbahn in Betrieb genommen. Die Infrastrukturen für immer schnellere Industrialisierung und Verflechtung entwickelten sich, und die sozialen Folgen wurden immer deutlicher sichtbar. 3. Joseph von Eichendorff Auch Eichendorff bewertet seine Epoche als „weiteres Stadium der Revolution“ (Möbus, Joseph von Eichendorff, 741) und identifiziert auch sehr deutlich die Ursachen dieser Entwicklung: „Aber was da Verkehrtes geschehen, war nicht die Schuld von 1848, sondern der früheren Decennien . Das sollte man wohl bedenken, und nicht das Neue wieder mit dem Alten anfangen wollen, das doch, nach diesen seinen Früchten, unmöglich so überaus vortrefflich und unfehlbar sein konnte. Es ist töricht (…), dass die seichten Aufklärer und ihre terroristischen Nachfolger die ganze große Vergangenheit ausstreichen, um ihre kleine impertinente Gegenwart an ihre Stelle zu setzen; aber es ist ebenso töricht, die Gegenwart mit ihren unabweisbaren Existenzen zu ignorieren und das Vergangene als Zukunft fixieren zu wollen, als ob nicht alle drei Zeitwandelungen ein unzertrennbarer Strom wären.“ (Joseph von Eichendorff, Der deutsche Roman des achtzehnten Jahrhunderts, erschienen 1851, zit. nach Möbus, 741) Diese Äußerung, die im Werk Eichendorffs keineswegs singulär ist – so äußert er sich in einem Brief an einen Freund insgesamt enttäuscht über den preußischen König Friedrich Wilhelm IV. und bezweifelt, dass dessen Worte an das Volk nach dem 18. März 1848 ernst gemeint seien – wird all diejenigen überraschen, die in Eichendorff vornehmlich den romantischen, eher rückwärtsgewandten und der Welt abgekehrten Lyriker zu sehen gewohnt sind, und sie bestätigen, was Helmut Kohl anlässlich des 200. Geburtstages von Eichendorff 1988 sagte: „Der Verfasser des Taugenichts war auch ein nüchterner politischer Denker, ein Publizist von beeindruckendem historischen Gespür. Der romantische Künder von Heimat- und Naturverbundenheit hatte stets auch Blick und Sinn für die Vielfalt und den Reichtum europäischer Kultur.“ (Kohl, Zum Gedenken …, 317/318). Dieses nüchterne Denken Eichendorffs beweist und bewährt sich auch dann, wenn der Dichter sich in Briefen, aber auch in gereimter Form – etwa in „Der neue Rattenfänger“ – kritisch oder sogar sarkastisch mit der „Vaterländerei“ auseinandersetzt, also mit einem Nationalismus, der seit Mitte des 19. Jahrhunderts in Politik wie Literatur zunahm und der mit dem Patriotismus, aus dem heraus sich der junge Eichendorff nach bestandenem Examen –übrigens gemeinsam mit seinem Freund Philipp Veit, einem jüdischen Konvertiten- freiwillig zum Kampf gegen Napoleon gemeldet und im Lützow’schen Freikorps engagiert hatte, nicht das Geringste zu tun hatte: dieser Patriotismus war vielmehr Ausdruck einer Vaterlandsliebe, die das Vaterland als Teil Europas verstand und nicht absolut setzte. Ausdruck dieses Patriotismus ist beispielsweise das 1814 entstandene Gedicht „Der Freiheit Wiederkehr“: „Feuerzeichen steigen auf / Von den Gipfeln schallt es, / Und zum Willkomm mir herauf / Rauscht der Rhein und widerhallt es. / Und von Berg zu Bergeswand / Weit hinab durch alle Gaue / Segn‘ ich dich, du deutsches Land, / Dem ich wieder mich vertraue.“ (zit. nach Möbus, 739) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000-009/12 Seite 8 Aus einem solchen Patriotismus, einer solchen Vaterlandsliebe heraus schrieb Eichendorff auch am 1. Oktober 1814 an Friedrich de la Motte – Fouqué: „Gott hat uns ein Vaterland wieder geschenkt , es ist an uns, dasselbe treu und rüstig zu behüten und endlich eine Nation zu werden, die, unter Wundern erwachsen und von großen Erinnerungen lebend, solcher großen Gnade des Herrn und der eigenen kräftigen Tiefe sich würdig beweise. (…) Meine Kraft ist gering und noch von vielen Schlacken und Eitelkeiten getrübt, aber die Demut, mit der ich meine Unzulänglichkeit anerkenne, und der Wille, das Beste zu leisten, ist redlich und ewig.“ (zit. nach Möbus, 740). In diesem Brief wie im zuvor zitierten Gedicht werden, exemplarisch für Eichendorffs gesamtes Werk, tragende Elemente der Lyrik wie Prosa des frühen wie des späteren Eichendorff deutlich: Die „Demut“ etwa verweist darauf, dass Eichendorff im katholischen Glauben verwurzelt war und von daher auch 1848 nicht anstand, die Hybris der Monarchen und ihrer Berater zu tadeln, die vergessen hätten, dass sie selbst zunächst Diener des Allmächtigen sind und ihm gegenüber sich zu verantworten haben (s. auch Schiwy, Eichendorff, 597). Außerdem machen die Zeilen deutlich, dass Eichendorff Vaterlandsliebe zugleich als Verantwortung gegenüber dem Vaterland versteht, dem gegenüber es „das Beste zu leisten“ gilt – mit heutigen Begrifflichkeiten spräche man hier von einer Verantwortungsethik. Schließlich lässt das zunächst zitierte Gedicht deutlich werden, dass Freiheitsliebe und Vaterlandsliebe für Eichendorff zusammengehören. Nach der Freiheit Wiederkehr, so der Titel des Gedichts, kann sich der Dichter seinem Vaterland wieder anvertrauen. Und schließlich ist die Liebe zu seiner schlesischen Heimat konstitutiv für Eichendorffs Lyrik, aus dieser Heimatliebe entspringen die Sprachbilder und die Sprachmelodie seiner Lyrik, deren Schönheit selbst von Kritikern wie Adorno (s. Adorno, 69 ff.) und Reich-Ranicki (s. Reich-Ranicki, Der Fall Heine, 11) nicht nur nicht in Frage gestellt, sondern gelobt wird. Zwar hat sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte das Bild Eichendorffs, den gerade die von ihm verächtlich gemachten Nationalisten gerne als „Dichter feucht-fröhlicher Wanderlieder und des weltflüchtigen Taugenichts“ (Schiwy, Eichendorff, 13) vereinnahmten und abstempelten, zu dem eines Schöpfers „…eines anspruchsvollen Gesamtkunstwerkes (entwickelt), das ein getreuer Spiegel ist eines Lebens in seinen Gegensätzen und der ebenso widersprüchlichen Epoche von 1788 bis 1857(…)“. (Schiwy, Eichendorff, 13). Auch stellt niemand, soweit ersichtlich, in Frage, dass Eichendorff zur Romantik zu rechnen sei. Sehr wohl aber wurde zunehmend erkannt, dass seine Lyrik sich keineswegs in der Romantik erschöpft, sondern dass sie bereits über diese hinaus weist. Ob, wie das Adorno behauptet, Eichendorffs Lyrik bereits auf die Baudelaires verweist, sei dahin gestellt und dürfte auch im Zusammenhang der hier behandelten Fragestellung kaum ins Gewicht fallen. Sicher ist aber, dass gerade die Verwurzelung Eichendorffs in seinem Glauben , in seiner Heimat und in seinem Vaterland und damit zugleich auch das Gefühl der Entwurzelung , das aus der Säkularisierung, der Unfreiheit und dem Verlust der Heimat folgt, wie er spätestens mit dem Verkauf der überschuldeten Güter seines Vaters eintrat, den Dichter dazu befähigte , über eine ungebrochene Romantik hinauszuwachsen und eine Tonlage zu finden, wie sie auch für Heines „Loreley“ charakteristisch ist. Dieses Gefühl der Entwurzelung bedeutet aber nicht zugleich, dass Eichendorff entwurzelt gewesen wäre. Im Gegenteil, gerade seine Verwurzelung machte ihm die eingetretene Veränderung deutlich und ließ den schlesischen Adeligen und preußischen Beamten dafür eintreten, dass die von ihm als richtig erkannten Werte sich in einem zukünftigen, freien und geeinten Deutschland wiederfinden würden. Helmut Kohl fasste dies 1988 in seiner Rede zum Gedenken des 200. Geburtstages von Eichendorff treffend zusammen: „In heutiger Terminologie könnten wir Eichen- Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000-009/12 Seite 9 dorff als einen ‚Wertkonservativen‘ bezeichnen (…) – er war gewiss kein Reaktionär.“ (Kohl, Zum Gedenken…, 319). 4. Heinrich Heine Will man von Heinrich Heines Verhältnis zu Deutschland sprechen, kommt man nicht darum herum, auch das Verhältnis Deutschlands zu Heinrich Heine zu betrachten. Beide, so lässt sich zunächst festhalten, sind nicht unproblematisch, und das nicht erst zu den Zeiten, als Heine als einem der wenigen bereits verstorbenen Dichter die zweifelhafte Ehre zuteil wurde, dass seine Bücher von den Nationalsozialisten verbrannt wurden. Bereits Heinrich von Treitschke bezeichnete Heine als „vaterlandslosen Deutschjuden“, und schon in der Kaiserzeit wurde es üblich, unter die 1838 von Silcher vertonte „Loreley“ zu schreiben „Dichter unbekannt“ – wobei denen, die dies taten, nicht bewusst gewesen sein dürfte, dass sie gerade dadurch deutlich machten, dass Heine ein deutsches Volkslied geschrieben hat. Und nicht nur eines: Allein bis 1914, so lässt sich feststellen, lagen bereits etwa 2.750 Kompositionen nach Heines Gedichten vor, darunter solche von Richard Wagner, Johannes Brahms, Franz Liszt, Giacomo Meyerbeer, den Mendelssohns und Franz Schubert. Diese offensichtliche Attraktivität des Dichters Heinrich Heine für Komponisten entspricht der Tatsache, dass Heine schon zu Lebzeiten einer der bekanntesten Schriftsteller Europas war, vermag aber die eingangs erwähnte Ablehnung, ja Beschimpfung nicht zu erklären. Diese Polarisierung zwischen Bewunderung und völliger Ablehnung –wobei letztere mehr und mehr überwogsetzte bereits allmählich ein mit Heines Deutschlandkritik in seinen Reisebildern „(…) und wurde schließlich manifest in den explizit politischen Texten der 1840er Jahre, vor allen anderen im Versepos ‚Deutschland. Ein Wintermärchen‘ von 1844 (Ziegler, 19/20). Aber auch zuvor schon, 1835, konnte Heine in einem Brief an Philarète Chasles feststellen: „Seit zwölf Jahren diskutiert man über mich in Deutschland, man lobt mich und man tadelt mich, aber immer mit Leidenschaft und unaufhörlich.“ (zit. nach Ziegler, 18) Es dürfte nicht überraschen, dass Heinrich Heine hier seinen Stolz über beide Seiten der öffentlichen Wahrnehmung zum Ausdruck bringt, wird sie doch einem Angehörigen der ersten Generation der Juden zuteil, die nicht mehr im Ghetto leben musste und einem promovierten Juristen, dem trotz der protestantischen Taufe am 28. Juni 1825 verwehrt blieb, in den Staatsdienst einzutreten . Der Ablehnung durch seine Heimat – oder zumindest weiter Teile von ihr – begegnete Heine mit dem Mittel der Provokation. Dennoch, und das lässt sich im gesamten Werk Heines mit seinen so vielfältigen und widersprüchlichen Teilen feststellen, „(…) bleibt die Liebe zur Heimat das Hauptmotiv und ist die deutsche Sprache, sind die herzlichen Eigenschaften der Deutschen ein Versprechen einer besseren Zukunft.“ (Kruse, 14) Wie anders als aus einer engen Verbundenheit mit der Heimat und der Liebe zu ihr ließe sich das bereits erwähnte Loreley – Gedicht verstehen, das so genau die deutsche Gefühlslage unterschiedlichster Generationen getroffen hat? Und wie anders ließe sich ver- Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000-009/12 Seite 10 stehen, dass Heinrich Heine in Paris, wohin er sich 1831 zu wechseln gezwungen sah, nicht nur Berichte über das Geschehen in Frankreich für deutsche Blätter geschrieben hat, sondern sich auch bemühte, den Franzosen die reiche deutsche Kultur zu vermitteln – mit solchem Erfolg, dass nicht zufällig das Gebäude für deutsche Studenten in der Cité Universitaire in Paris „Maison Heinrich Heine“ heißt und dass der Dichter Heine in Frankreich weithin bekannt ist. Heine jedenfalls hätte, so klagt er häufig, sein Leben lieber nicht im Pariser Exil verbracht oder gar beendet, wie es sich spätestens seit 1848 abzeichnet, als der Dichter wegen einer „Rückenmarksschwindsucht “ ans Bett gefesselt bleibt und sich nur noch aus der „Matratzengruft“ zu Wort meldet. Wie etwa sein Zeitgenosse Joseph von Eichendorff, war auch Heinrich Heine in Deutschland verwurzelt, insbesondere in der deutschen Sprache, die er einmal als sein „portatives Vaterland“ bezeichnete. „Ein Deutscher wollte er sein. Aber er scheint sehr schnell begriffen zu haben, dass man ihm dies nicht erlauben werde. Der kaum zweiundzwanzigjährige Student Heine bezeichnete – in einem kleinen Aufsatz ‚Die Romantik‘ – das deutsche Wort als ‚unser heiligstes Gut‘, denn es sei ein Vaterland selbst demjenigen, dem Torheit und Arglist ein Vaterland verweigern.“ (Reich-Ranicki, Der Fall Heine, 40). Und wie Eichendorff, so hatte auch Heine ein klares Wertesystem. Einheit ohne Freiheit und Gerechtigkeit ist für ihn nicht akzeptabel, und er will ein freies und gerechtes Deutschland – das Thema Einheit spricht er überhaupt nicht an, da es beim liberalen deutschen Bürgertum zur Priorität wird. Auch dies fügt sich in Heines Strategie der Provokation. „Heine möchte, dass Deutschland ein Vorbild in republikanischer Gesinnung wird. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit sollen hierzulande so verwirklicht werden, dass sich die anderen Länder daran ein Beispiel nehmen und Grenzen vielleicht einmal überflüssig werden.“ (Neuhaus, Literatur und nationale Einheit, 165) Seine Kritik an den Zuständen des Vormärz, seine ironische, bisweilen sarkastische Sprache und seine bisweilen auch persönlichen Provokationen trugen ihm jedoch übelste Beschimpfungen durch die Kritisierten ein. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass Wolf Biermann, als er 1972 in der DDR Heines „Wintermärchen“ mit Blick auf die beiden deutschen Wirklichkeiten umdichtete, das gleiche Schicksal wie einst Heine ereilte: „Er wurde gezwungen, westwärts zu ziehen.“ (Neuhaus, 26) Und Heien – Verse spielten sogar bei den Leipziger Montagsdemonstrationen eine Rolle – etwa die Zeile aus dem Wintermärchen „Ich kenne die Weise, ich kenne den Text / Ich kenn auch die Herren Verfasser.“ Heinrich Heine, so lässt sich abschließend feststellen, liebte sein deutsches Vaterland. Sein Vaterland aber nötigte ihn durch seine Ablehnung, mehr zu sein als deutscher Autor: „Er wurde ein europäischer Schriftsteller.“ (Reich-Ranicki, Der Fall Heine, 41) 5. Zusammenfassung Joseph von Eichendorff, der schlesische und in seiner schlesischen Heimat verwurzelte Adelige, ist wie der in Düsseldorf geborene und Zeit seines Lebens mit dem Rheinland und mit Deutschland verbundene Heinrich Heine „(…) einer jener Autoren der Epoche, die aus der literarischen und weltanschaulichen Revolution der Romantik hervorgegangen ist und sie mitgetragen hat, der Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000-009/12 Seite 11 sie aber auch überlebt und kritisch darüber befragt hat, welchen Beitrag sie geleistet hat zur weiteren Entwicklung der Humanität.“ (Schiwy, 13/14) Das Werk beider Autoren, sei es ihre Prosa oder ihre Lyrik, bleibt ohne diesen Bezug und ohne ihre enge Beziehung zu ihrem Heimatland unverständlich, und beider Werke gehören zum kulturellen Erbe Deutschlands und haben es bereichert. Dass diese doch so wichtige Gemeinsamkeit beider Autoren sich nicht sofort erschließt, dass immer wieder eher die Unterschiede in Gegensätze umzumünzen versucht und herausgestellt werden, liegt im unterschiedlichen Schicksal der beiden Dichter begründet. Diese für die Romantik so kennzeichnende Stimmung von Verlust und Heimweh stellt sich bei Eichendorff, der doch als Jurist in Staatsdiensten eine anscheinend so sichere Stellung innehatte, über den Verlust der schlesischen Heimat ein, der sich nicht, wie Adorno meint, auf die Perspektive des „depossedierten Feudalen“ reduzieren lässt (Adorno, 74), sondern der über diesen materiellen Aspekt deutlich hinaus geht. Hinzu kommt, dass Eichendorff nicht umsonst schreibt „Das Reich des Glaubens ist geendet“ (zit. nach Adorno, 74) – aber nicht in dem Sinne, dass er lediglich ein Faktum beschreibt, sondern dass er die Auswirkung von Aufklärung und Säkularisation als Aufforderung begreift, in dem freien und einigen Deutschland auch dem Glauben daran wieder Geltung zu verschaffen, dass die Welt Schöpfung ist, die in der Hand Gottes ruht (vgl. Möbus, 742). Heine hingegen, obwohl promovierter Jurist und konvertierter Jude, befand sich –um den Titel eines Theaterstücks von Borchert aufzugreifen- sowohl in seinem deutschen Heimatland wie später im französischen Exil „Draußen vor der Tür“, und die Stimmung seiner Lyrik entsprang dieser seiner Situation. Entsprang dem einerseits der wehmütige Ton seiner Lyrik, so ist hier zugleich auch die Ursache seiner Ironie und seines Sarkasmus zu verorten, die sich sowohl in seiner Prosa wie in seiner Lyrik finden und die ihn zu einem Vorläufer der Moderne werden ließen. Bei all dieser Ironie und diesem Sarkasmus aber sollte man nicht vergessen, was Heine bereits 1824 erkannte: „Ich weiß nur zu gut, dass mir das Deutsche das ist, was dem Fische das Wasser ist, dass ich aus diesem Lebenselement nicht heraus kann. (…) Ich liebe sogar im Grunde das Deutsche mehr als alles auf der Welt, ich habe meine Lust und Freude dran, und meine Brust ist ein Archiv deutschen Gefühls (…).“ (zit. nach Reich-Ranicki, Der Fall Heine, 53) Die Unterschiede zwischen Heine und Eichendorff beruhen also nicht auf einer unterschiedlich ausgeprägten Verbundenheit mit ihrer Heimat, sondern darauf, dass ihre Vorstellungen von der weiteren Entwicklung Deutschlands sich deutlich unterscheiden: Während der „wertkonservative “ Eichendorff zunächst eine konstitutionelle Monarchie anstrebt – und damit, was die weitere Entwicklung betrifft, den größeren Realitätssinn erweist -, ist Heines Ziel ein freies, gerechtes Deutschland als Republik, ein Deutschland, das geradezu vorbildhaft für die anderen Völker ist und das in Europa aufgeht. Heine ist sozusagen der Entwicklung um mehrere Schritte voraus, auch wenn er immer wieder vor möglichen Rückschritten warnte. Von daher wird verständlich, dass heute allgemein Heinrich Heine nicht nur als einer der Begründer der ästhetischen, sondern auch der politischen Moderne angesehen wird. (s. Gutmann, 31/32). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 1 – 3000-009/12 Seite 12 6. Literatur Adorno, Theodor W.: „Zum Gedächtnis Eichendorffs“. In: Noten zur Literatur (Gesammelte Werke , Bd 11), Frankfurt/Main 1974 Thomas Gutmann: „Heine nach 1945“. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 3/2006, S.25 – 32 Kaelble, Hartmut: Wege zur Demokratie. Stuttgart/ München 2001 Wilhelm Kaltenstadler: „Eichendorff – Vorbote der Moderne“.In: http://hp.pfaffenhofen.de/drkalten/eichendo.pdf (letzter Abruf: 2. März 20012) Helmut Kohl: „Zum Gedenken an den 200. Geburtstag von Joseph Freiherr von Eichendorff. Ansprache aus Anlass des 200. Geburtstag des Dichters am 10. März 1988 in Bonn-Bad Godesberg.“ In: BPA (Hsg.), Bulletin der Bundesregierung, 38/1988, S. 317-319 Joseph Anton Kruse: „Warum Heine heute?“. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 3/2006, S.10 – 18 Ilse Langner: „Eichendorff , die Revolution, die Revolte und die Fahrenden Gesellen.“ In: Frankfurter Hefte 7/1981, S.53-64 Gerhard Möbus: „Joseph von Eichendorff. Der Dichter und die Wirklichkeit der Geschichte.“ In: Aus Politik und Zeitgeschichte XLIV/ 1957, S.737 – 743 Neuhaus, Stefan: Literatur und nationale Einheit in Deutschland. Tübingen/Basel 2002 Reich-Ranicki, Marcel: Der Fall Heine. Stuttgart 1997 Reich-Ranicki, Marcel: Über Ruhestörer. Juden in der deutschen Literatur. Erweiterte Neuausgabe . München 2000 Schiwy, Günther: Eichendorff. Der Dichter in seiner Zeit. Eine Biographie. München 2000 Szewczyk, Grazyna Barbara und Renate Dampe – Jarosz (Hgg.): Eichendorff heute lesen. Bielefeld 2009 Edda Ziegler: „Dichterliebe und Denkmalstreit.“ In: Aus Politik und Zeitgeschichte 3/2006, S.18 – 25 www.heinrich-heine-denkmal.de (Homepage zu den verschiedensten Aspekten von Werk und Leben Heines; letzte Abfrage: 2. März 2012)