© 2021 Deutscher Bundestag WD 1 - 3000 - 007/21 Einzelfragen zur deutschen Beteiligung am Sklavenhandel, zum „Gouvernement“ des deutschen Kaiserreiches und anderer Kolonialmächte in Westafrika sowie zu den deutsch-togoischen Beziehungen Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. 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Das „Gouvernement“ des deutschen Kaiserreiches und anderer europäischer Kolonialmächte in Westafrika 5 2.3. Direktinvestitionen in Togo 8 2.4. Entwicklung der deutsch-togoische Zusammenarbeit 9 3. Anlagen 11 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 007/21 Seite 4 1. Vorbemerkung Dieser Dokumentation liegen Einzelfragen zur deutschen Beteiligung am Sklavenhandel, zum „Gouvernement“ des deutschen Kaiserreiches und anderer europäischer Kolonialmächte in Westafrika , zu den deutschen Direktinvestitionen in Togo und zur Entwicklung der deutsch-togoischen Beziehungen zugrunde. 2. Dokumentation 2.1. Deutsche Beteiligung am Sklavenhandel Zum Zeitpunkt der Gründung des deutschen Kaiserreichs im Jahr 1871 war der im 16. Jahrhundert einsetzende transatlantische Sklavenhandel, der bis 1650 zunächst unter iberischer Kontrolle stand und danach zwischen Afrika und den karibischen Inseln sowie Nordamerika von Nordwesteuropäern (Niederländer, Briten, Franzosen, Dänen, Schweden) und im Südatlantik von Portugiesen, Iberern und Brasilianern dominiert wurde, bereits mehrere Jahrzehnte offiziell abgeschafft .1 In den Jahren 1807 und 1808 hatten Großbritannien und die USA den Sklavenhandel unter dem Einfluss der Abolitionsbewegung verboten. Insbesondere Großbritannien nutzte seine starke Stellung im internationalen System dazu, das Verbot gegenüber anderen im Bereich des Sklavenhandels noch aktiven europäischen Staaten bis 1840 durchzusetzen.2 Die deutsche Beteiligung am Sklavenhandel, die in der wissenschaftlichen Literatur lange kaum Beachtung fand, war zeitlich von kurzer Dauer. Im März 1682 wurde auf Wunsch des „Großen Kurfürsten“ Friedrich Wilhelm die Brandenburgisch-Afrikanische Kompanie in Berlin gegründet. Sie fand mit der an der heutigen Küste Ghanas gelegenen Festung Groß Friedrichsburg einen Stützpunkt, der von 1683 bis 1717 als Sklavenumschlagplatz diente. Laut Schätzungen wurden rund 19.000 Afrikaner durch die Handelskompanie als Sklaven in die Karibik verschleppt.3 Trotz dieser Verwicklung wurden Sklavenhandel und Sklaverei in Deutschland lange Zeit als geschichtliche Phänomene betrachtet, mit denen ausschließlich andere europäische Länder zu tun hätten. Die Annahme, dass Deutschland nicht in den Sklavenhandel involviert gewesen sei, wurde vor allem damit begründet, dass es Deutschland als Staat zur maßgeblichen Zeit noch gar nicht gab (Reichsgründung 1871). Zuletzt wurde aber von der Forschung verstärkt in den Blick 1 Michael Zeuske: Globale Sklavereien: Geschichte und Gegenwart. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 50- 51/2015, S. 12f. 2 Danach setzte auch das Verbot der Sklaverei selbst ein: 1838 in den britischen Kolonien, 1848 in den französischen Kolonien, 1863 in den niederländischen Kolonien, 1865 in den USA, 1886 in der (noch) spanischen Kolonie Kuba und 1888 in Brasilien (ebenda, S. 12). Als Überblick zur Geschichte des Sklavenhandels vgl. Wolfgang Reinhard: Die Unterwerfung der Welt. Globalgeschichte der europäischen Expansion 1415-2015, München 2016, S. 453-484 3 Ulrich van der Heyden: Die brandenburgisch-preußische Handelskompanie Großfriedrichsburg. In: Horst Gründer , Hermann Hiery (Hrsg.): Die Deutschen und ihre Kolonien. Ein Überblick, Berlin 2017, S. 27-44 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 007/21 Seite 5 genommen, dass deutsche Kaufleute, Handelsgesellschaften, Finanziers und ganze Produktionszweige von finanziellen Gewinnen aus Sklaverei profitiert haben.4 Auch die „intellektuelle Verstrickung “ von deutschen Abenteurern, Wissenschaftlern, Missionaren, Seeleuten, Ärzten oder Geschäftsleute, die nach Afrika reisten, als Befürworter des Sklavenhandels und der Sklaverei in Deutschland in Erscheinung traten und mit ihren Berichten das Bild von Afrikanern entscheidend mitgeprägt haben, hat vermehrt Aufmerksamkeit gefunden. Anlage 1 Der Sklavenhandel verlagerte sich nach dem Verbot durch Großbritannien 1807 und dessen Bekämpfung durch die Briten zunächst primär in Westafrika weiter nach Ostafrika, wo arabische Händler ausgehend von den Küsten zunehmend auch die Handelsrouten in das Landesinnere dominierten . So bestimmte der einflussreiche Sansibar-Kaufmann Schech Hamed bin Muhammad el Murjebi, genannt Tippu Tip, Ende des 19. Jahrhunderts mit seinen Karawanen, die unter anderem Waffen und Sklaven transportierten, das nördliche Kongo-Gebiet und errichtete dort für einige Jahre einen regelrechten Handelsstaat.5 Trotz der formellen Abschaffung des Sklavenhandels und ungeachtet ihrer abolitionistischen Rhetorik duldete die deutsche Verwaltung in Deutsch- Ostafrika die Sklaverei zunächst weiterhin, um die alte vorkoloniale Wirtschaft auf lokaler Eben nicht zu zerstören. So gab es noch um die Jahrhundertwende in Deutsch-Ostafrika rund 400.000 Sklaven (ca. zehn Prozent der gesamten Bevölkerung) im Besitz arabischer und afrikanischer Eliten . Da die in deutscher Hand befindlichen Plantagen aus rechtlichen Gründen nicht auf Sklaven zurückgreifen konnten, wurden in Deutsch-Ostafrika und auch in den pazifischen Kolonien unter Zwang angeworbene chinesische Kontraktarbeiter (sogenannte „Kulis“) beschäftigt.6 „Während sich die Kolonialregierungen – etwa in Ostafrika – darin gefielen, die Abschaffung der Sklaverei als Ziel der deutschen Herrschaft zu proklamieren, waren auch die neuen Formen unfreier Arbeit mit einer hohen Mortalitätsrate verbunden“, hat der Historiker Sebastian Conrad hervorgehoben.7 2.2. Das „Gouvernement“ des deutschen Kaiserreiches und anderer europäischer Kolonialmächte in Westafrika Seit den 1880er Jahren setzte im Zuge des Hochimperialismus ein regelrechter „Wettlauf um Afrika “ durch die europäischen Mächte ein. Insbesondere die Berliner Konferenz (15.11.1884- 26.02.1885) beendete die Epoche der informellen Durchdringung des afrikanischen Kontinents 4 Wolfgang Reinhard: Die Unterwerfung der Welt, a. a. O., S. 470f. 5 Winfried Speitkamp: Die deutschen Kolonien in Afrika. In: Horst Gründer, Hermann Hiery (Hrsg.): Die Deutschen und ihre Kolonien. Ein Überblick, Berlin 2017, S. 65-88, hier: S. 65f.¸ Wolfgang Reinhard: Die Unterwerfung der Welt, a. a. O., S. 923f. 6 Sebastian Conrad: Deutsche Kolonialgeschichte, München 2008, S. 58 7 Zitat: Ebenda, S. 55 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 007/21 Seite 6 und markierte den Wandel zu einer stärker formalisierten Herrschaft durch die europäischen Kolonialmächte .8 In Westafrika waren es vor allem Frankreich (Mauretanien, Senegal, Guinea, Elfenbeinküste , Sudan, Obervolta, Niger, Dahomey), Großbritannien (Gambia, Sierra Leone, Goldküste , Nigeria) und Deutschland (Togo, Kamerun) die umfangreiche koloniale Gebietsansprüche erhoben und diese in einem längeren, mehr oder minder gewaltsam verlaufenden Prozess gegen den Widerstand der Kolonisierten durchsetzten.9 Als „Mittel zur Hebung der sittlichen und materiellen Wohlfahrt der eingeborenen Völkerschaften“10 legitimierten die europäischen Kolonialmächte ihr Eingreifen in der Präambel der Kongo-Akte vom Februar 1885. Die Expansionspolitik wurde von ihnen unisono als „Zivilisierungsmission“ begriffen, wobei der emanzipatorische Diskurs in offenem Widerspruch zu der durch Gewalt, Zwangsarbeit, Rassismus und Missachtung von Rechten der indigenen Bevölkerung geprägten kolonialen Herrschaftspraxis stand. Anlagen 2 und 3 In der vorhandenen wissenschaftlichen Literatur ist der nationale Blickwinkel auf die deutsche, britische und französische Kolonialgeschichte dominant.11 Mit den Studien von Michael Crowder , Rudolf von Albertini und Wolfgang Reinhard liegen jedoch drei komparative Darstellungen vor, die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der deutschen, britischen und französischen Kolonialherrschaft in Westafrika herausgearbeitet haben.12 Anlagen 4 bis 6 8 Gabriele Metzler: Die Epoche des Hochimperialismus. In: Bundeszentrale für politische Bildung (Hrsg.): Europa zwischen Kolonialismus und Dekolonisierung, Informationen zur politischen Bildung, Heft 338 (3/2018), S. 12- 25, hier: S. 12f. 9 Wolfgang Reinhard: Die Unterwerfung der Welt, a. a. O., S. 981 10 Zitiert nach: Gabriele Metzler: Die Epoche des Hochimperialismus, a. a. O., S. 13 11 Aus der Vielzahl der Darstellungen seien an dieser Stelle genannt: Horst Gründer: Geschichte der deutschen Kolonien, 7. aktualisierte und erweiterte Auflage, Paderborn 2018; Sebastian Conrad: Deutsche Kolonialgeschichte , München 2008; Winfried Speitkamp: Die deutschen Kolonien in Afrika. In: Horst Gründer, Hermann Hiery (Hrsg.): Die Deutschen und ihre Kolonien. Ein Überblick, Berlin 2017, S. 65-88; Jürgen Zimmerer: Expansion und Herrschaft: Geschichte des europäischen und deutschen Kolonialismus. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 44-45/2012, S. 10-16; Peter Wende: Das britische Empire. Geschichte eines Weltreiches, München 2008; Günther Fuchs/Hans Henseke: Das französische Kolonialreich, Westberlin 1988; Udo Scholze/Detlev Zimmermann /Günther Fuchs: Unter Lilienbanner und Trikolore. Zur Geschichte des französischen Kolonialreiches. Darstellung und Dokumente, Leipzig 2001 12 Für die Frage des „Gouvernements“ in den deutschen, britischen und französischen Kolonien nur bedingt von Interesse ist Andreas Osterhaus: Europäischer Terraingewinn in Schwarzafrika. Das Verhältnis von Presse und Verwaltung in sechs Kolonien Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens von 1894 bis 1914, Frankfurt am Main 1990. Darüber hinaus liegt eine Reihe bilateral ausgerichteter Studien vor, die anhand geografischer und thematischer Ausschnitte die deutsch-britische Kolonialgeschichte miteinander vergleichen: Ingo Till Krause: „Koloniale Schuldlüge“? Die Schulpolitik in den afrikanischen Kolonien Deutschlands und Britanniens im Vergleich , Hamburg 2007; Ulrike Lindner: Koloniale Begegnungen. Deutschland und Großbritannien als Imperialmächte in Afrika 1880-1914, Frankfurt/New York 2011; Sebastian Gottschalk: Kolonialismus und Islam. Deutsche und britische Herrschaft in Westafrika (1900-1914), Frankfurt/New York 2017 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 007/21 Seite 7 So hat Wolfgang Reinhard in seiner Globalgeschichte der europäischen Expansion in Bezug auf das „Gouvernement“ in den deutschen, britischen und französischen Kolonien in Afrika hervorgehoben , dass die unterschiedliche Beschaffenheit der Kolonien und unterschiedliche politische Kulturen „eher zu graduellen als zu prinzipiellen Unterschieden in der Kolonialpolitik“ geführt hätten.13 Charakteristisch für alle europäischen Großmächte sei gewesen, dass der koloniale Staat „die längste Zeit ein schwacher Staat mit unterentwickelter Verwaltung“ geblieben sei, „weil es ihm an finanziellen und personellen Ressourcen mangelte.“ Auch die mit dem Erwerb der Kolonien verbundene Hoffnung auf wirtschaftlichen Gewinn oder zumindest finanzielle Selbsterhaltung sei eher die Ausnahme als die Regel gewesen: „Man versuchte daher, mit möglichst geringem Einsatz europäischer Administratoren auszukommen und stützte sich weitgehend auf die Mitarbeit einheimischen Personals verschiedenster Art.“14 Im Hinblick auf ihren rechtlichen Status unterschieden sich deutsche, britische und französische Kolonien voneinander. So waren die einzelnen britischen Kolonien in Westafrika nicht zu einem größeren Verband zusammengeschlossen und selbst innerhalb der einzelnen westafrikanischen Kolonien, z. B. Goldküste oder Nigeria, konnte der rechtliche Status (Kronkolonie, Protektorat) bisweilen differieren.15 Für die französischen Kolonien war hingegen eine straffe Zentralisierung kennzeichnend. So waren die einzelnen westafrikanischen Kolonien in der „Afrique occidentale française“ zusammengeschlossen, an deren Spitze als Vertreter der Regierung vor Ort der Generalgouverneur stand, der die uneingeschränkte Gewalt in allen Bereichen einschließlich der Justiz innehatte.16 Die deutschen Annexionen in Togo, Kamerun, Südwestafrika und Ostafrika waren zunächst als „Schutzgebiete“ deklariert. Die geplante Verwaltung durch private Kolonial- und Konzessionsgesellschaften scheiterten aufgrund von Missständen, Misswirtschaft und Widerständen seitens der Kolonisierten rasch und führten zum Aufbau einer staatlichen Kolonialverwaltung .17 Deutschlands Kolonien wiesen zwar eine einheitliche rechtliche Rahmenstruktur auf, trugen aber wie die britischen Kolonien örtlichen Gegebenheiten stärker Rechnung. An ihrer Spitze stand jeweils ein Gouverneur, der faktisch auch legislative Befugnisse hatte, der dabei aber teilweise den lokalen Wirtschafts- und Siedlungsinteressen Rechnung zu tragen hatte.18 Zumindest der Theorie nach folgten die britische und die französische Kolonialpolitik kontradiktorischen Modellen. Während die französische „Assimilation“ von egalitären Vorstellungen aus- 13 Wolfgang Reinhard: Die Unterwerfung der Welt, a. a. O., S. 931 14 Beide Zitate: Ebenda, S. 979 15 Vgl. ebenda, S. 981f. sowie Rudolf von Albertini in Verbindung mit Albert Wirz: Europäische Kolonialherrschaften 1880-1940, Zürich 1976, S. 247-250, Michael Crowder: West Africa under Colonial Rule, Evanston 1968, S. 201-206 16 Wolfgang Reinhard: Die Unterwerfung der Welt, a. a. O., S. 983; Rudolf von Albertini: Europäische Kolonialherrschaften 1880-1940, a. a. O., S. 273-279; Michael Crowder: West Africa under Colonial Rule, a. a. O, S. 174- 182 17 Winfried Speitkamp: Die deutschen Kolonien in Afrika, a. a. O., S. 65 18 Ebenda, S. 70; Wolfgang Reinhard: Die Unterwerfung der Welt, a. a. O., S. 985 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 007/21 Seite 8 ging, eine „administration directe“ unter weitgehender Eliminierung der traditionellen afrikanischen Führungsschichten anstrebte und aus den Unterworfenen „gute Franzosen“ machen wollte,19 zielte die britische „indirect rule“ darauf ab, die hergebrachten Strukturen einheimischer Gemeinwesen in den Kolonien möglichst bestehen zu lassen und ihnen die lokale Verwaltungstätigkeit unter Aufsicht der kolonialen Zentralbehörden zu übertragen. Der Realitätsdruck habe jedoch in der Praxis eine Novellierung der Modelle bewirkt.20 Ein gemeinsames Merkmal der britischen, französischen und deutschen Kolonialherrschaft war auch, dass sie den Bewohnern der Kolonien nur einen niedrigen Rechtsstatus zubilligte. In ihren Kolonien herrschte ein zivilrechtlicher Dualismus mit europäischem Recht für Weiße und Gewohnheits - bzw. islamischem Recht für Afrikaner. Auch im Strafrecht galten besondere Bestimmungen für die indigene Bevölkerung, die sich zudem in der Regel einer strengeren Behandlung vor Gericht ausgesetzt sah. So sind Afrikaner in den deutschen Kolonien unbedenklicher zum Tode verurteilt worden und unterlagen außerdem einem „elaborierten System“ von Prügelstrafen und einem „väterlichen Züchtungsrecht“ durch die Arbeitgeber.21 2.3. Direktinvestitionen in Togo Zu den privatwirtschaftlichen Direktinvestitionen in Togo und deren Entwicklung liegen nur Gesamtzahlen (ab 1970), aber keine spezifischen Zahlen für Deutschland vor. So hat die Germany Trade and Invest (GTAI) zwar Informationen zur Wirtschaftslage in Togo und zu den deutschtogoischen Außenwirtschaftsbeziehungen veröffentlicht, macht aber zu den deutschen Direktinvestitionen keine Angaben.22 Anlagen 7 und 8 19 Wolfgang Reinhard: Die Unterwerfung der Welt, a. a. O., S. 987; Rudolf von Albertini: Europäische Kolonialherrschaften 1880-1940, a. a. O., S. 275 20 Wolfgang Reinhard: Die Unterwerfung der Welt, a. a. O., S. 987; zur „indirect rule“ vgl. auch Rudolf von Albertini : Europäische Kolonialherrschaften 1880-1940, a. a. O., S. 246-255, Michael Crowder: West Africa under Colonial Rule, Evanston 1968, S. 221-234; Peter Wende: Das britische Empire. Geschichte eines Weltreiches, München 2008, S. 224f. 21 Wolfgang Reinhard: Die Unterwerfung der Welt, a. a. O., S. 992f.; Harald Sippel: Recht und Gerichtsbarkeit. In: Horst Gründer, Hermann Hiery (Hrsg.): Die deutschen und ihre Kolonien. Ein Überblick, Berlin 2017, S. 201-221 22 Auch der für die G20-Initiative „Compact with Africa“ erstellte aktuelle CWA Private Sector Investment Report weist nur Gesamtzahlen zur Entwicklung der Investitionen in Togo auf, aber keine spezifischen für Deutschland (https://www.compactwithafrica.org/content/dam/Compact%20with%20Africa/events/CWA%20FDI%20Report %20AM20_Final_October%2021.pdf); aktuelle Informationen zur Entwicklung der togoischen Wirtschaft sind online abrufbar: https://www.afdb.org/en/countries-west-africa-togo/togo-economic-outlook, https://www.lloydsbanktrade.com/en/market-potential/togo/investment?vider_sticky=oui#, https://atlas.btiproject .org/1*2020*CV:CTC:SELTGO*CAT*TGO*REG:TAB; https://liportal.de/togo/wirtschaft-entwicklung/; zur Höhe der staatlichen Leistungen im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit für Togo seitens des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vgl. https://www.bmz.de/de/laender/togo Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 007/21 Seite 9 2.4. Entwicklung der deutsch-togoische Zusammenarbeit Die Beziehungen zwischen Deutschland und dem Gebiet, das zum heutigen Staat Togo gehört, begannen mit der Tätigkeit der Norddeutschen Mission im Jahr 1847 und mit der Gründung von Faktoreien durch Handelsunternehmen aus den Hansestädten an der damaligen „Sklavenküste“ im Jahr 1857. 1884 wurden einzelne Küstenorte zu „Schutzgebieten“ des Deutschen Reiches, die zunächst von der wenige Tage später gegründeten Kolonie Kamerun aus verwaltet wurden, aber später eine eigene Verwaltung erhielten. Togos Ruf, „Musterkolonie“ zu sein, beruhte primär darauf , dass sie – im Gegensatz zu den anderen deutschen Kolonien in Afrika – als einzige ohne Reichszuschüsse verwaltet werden konnte. Auch wenn von Seiten der Kolonialverwaltung größere Anstrengungen im Bereich des Schul- und Gesundheitswesens (z. B. Impfaktionen gegen die Pocken) und des Infrastrukturausbaus (Eisenbahn-, Straßen- und Hafenausbau) unternommen wurden, waren die Einheimischen in Togo ebenso weitgehend rechtlos wie in den anderen deutschen Kolonien in Afrika. Auch hier erfolgte die Eroberung des Hinterlandes und die Niederschlagung von kleineren Aufständen gewaltsam und war Zwangsarbeit beim Ausbau des Eisenbahnnetzes an der Tagesordnung. Anlagen 9 und 10 Bereits kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges im August 1914 wurde Togo von den Briten und Franzosen erobert und aufgeteilt. Nach dem Ersten Weltkrieg waren beide Gebiete Völkerbundmandate , nach dem Zweiten Weltkrieg Treuhandgebiete der Vereinten Nationen. Im Jahre 1956 schloss sich der britische Teil Ghana an, der französische Ostteil wurde 1960 unabhängig und zur Republik Togo. Die deutsche Kolonialzeit ist im öffentlichen togoischen Bewusstsein als überwiegend positiv in Erinnerung geblieben. Daraus resultiert auch die heutige Wahrnehmung von Deutschland als privilegiertem Partner mit einem sehr guten Ruf. Anlagen 11 und 12 Nach der Unabhängigkeit Togos im Jahr 1960 waren die bilateralen politischen Beziehungen zur Bundesrepublik zunächst sehr eng. In die 1960er Jahre fiel etwa der aus Mitteln der deutschen Entwicklungshilfe finanzierte Ausbau des Hafens von Lomé zum einzigen Tiefwasserhafen in Westafrika. Insbesondere der ehemalige CSU-Vorsitzende und bayerische Ministerpräsident Franz-Josef Strauß unterhielt viele Jahre lang ein freundschaftliches Verhältnis zum togoischen Staatspräsidenten Gnassingbé Eyadéma, der sich 1967 mit Hilfe des Militärs an die Macht geputscht hatte und dem während seiner bis 2005 andauernden autoritären Herrschaft zahlreiche Menschenrechtsverletzungen zu Last gelegt wurden.23 Nachdem sich die bilateralen Beziehungen Anfang der 1990er Jahre aufgrund der massiven Demokratiedefizite und der desolaten Menschenrechtslage in Togo abgekühlt hatten, haben sie sich nach politischen und wirtschaftspolitischen Fortschritten der letzten Jahre wieder verbessert. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit wurde Ende 2012 wieder aufgenommen und konzentriert sich auf die Schwerpunkte gute Regie- 23 Stefan Seefelder: Auf Großwildjagd. Die deutsch-togoischen Beziehungen und ihre koloniale Vergangenheit. In: Iz3w. Informationszentrum 3. Welt 367, Heft Juli/August 2018, S. 6-9 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 007/21 Seite 10 rungsführung und Dezentralisierung, Landwirtschaft und ländliche Entwicklung sowie nachhaltige Wirtschaftsentwicklung mit Fokus auf beruflicher Bildung und Jugendbeschäftigung.24 Die am 18. März 2021 unterzeichnete Absichtserklärung zum Abschluss einer Reformpartnerschaft zwischen Togo und Deutschland soll die Zusammenarbeit in den Bereichen Wachstum und Beschäftigung fördern. Sie stellt auch eine konkrete Umsetzung der G20-Initiative „Compact with Africa” zur Förderung privatwirtschaftlicher Investitionen in Afrika dar, die 2017 von der deutschen G20-Präsidentschaft ins Leben gerufen wurde und an der Togo seit 2018 teilnimmt.25 Auch im Bereich der Zivilgesellschaft existiert eine langjährige intensive deutsch-togoische Zusammenarbeit . Besonders enge Beziehungen bestehen seit den 1970er Jahren zwischen Bayern und Togo. So gründeten im Jahr 1977 Strauß und Gnassingbé Eyadéma die Bayerisch-Togoische- Gesellschaft (BTG), die insbesondere Mikrokredite zur Existenzgründung und in Einzelfällen Nothilfe finanziert.26 Ebenfalls seit 1977 ist die Hanns Seidel Stiftung in Togo aktiv, die sich in den Bereichen Dezentralisierung, Demokratisierung, Rechtsstaatlichkeit, Konfliktprävention/Förderung einer bürgernahen Polizei und Förderung der lokalen Wirtschaft engagiert.27 Im Bereich der deutsch-togoischen Zusammenarbeit sind zudem die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ)28, die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW)29, das Goethe- Institut30, der Deutsche Akademische Austauschdienst31, das Deutsche Rote Kreuz32 und das kirchliche Hilfswerk „Brot für die Welt“33, darüber hinaus aber auch zahlreichere kleine zivilgesellschaftliche Initiativen und Organisationen aktiv, wie die Übersicht in Anlage 13 zeigt. 24 https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/togo-node/bilateral/213838 25 https://www.bmz.de/de/aktuelles/reformpartnerschaft-togo-absichtserklaerung-66386 26 https://bayerisch-togoische-gesellschaft.de/ 27 https://www.hss.de/weltweit-aktiv/afrika/togo/ 28 https://www.giz.de/de/weltweit/10935.html 29 https://www.kfw-entwicklungsbank.de/Internationale-Finanzierung/KfW-Entwicklungsbank/Weltweite- Pr%C3%A4senz/Subsahara-Afrika/Togo/ 30 https://www.goethe.de/ins/tg/de/index.html 31 https://www.daad.de/de/laenderinformationen/afrika/togo 32 https://www.drk.de/hilfe-weltweit/wo-wir-helfen/afrika/togo/ 33 https://www.brot-fuer-die-welt.de/themen/atlas-der-zivilgesellschaft/togo Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 007/21 Seite 11 3. Anlagen Anlage 1 Heike Raphael-Hernandez: Deutsche Verwicklungen in den transatlantischen Sklavenhandel . In: Aus Politik und Zeitgeschichte 50-51/2015, S. 35-40 Anlage 2 Andreas Eckert: Rechtfertigung und Legitimation von Kolonialismus. In: Aus Politik und Zeitgeschichte 44-45/2012, S. 17-22 Anlage 3 Alice L. Conklin: Colonialism and Human Rights. A Contradiction in Terms? The Case of France and West Africa, 1895-1914, In: American Historical Review 102 (1998) 2, S. 418-442 Anlage 4 Wolfgang Reinhard: Die Unterwerfung der Welt. Globalgeschichte der europäischen Expansion 1415-2015, München 2016, S. 979-998 Anlage 5 Rudolf von Albertini in Verbindung mit Albert Wirz: Europäische Kolonialherrschaften 1880-1940, Zürich 1976, S. 242-292 und S. 302-327 Anlage 6 Michael Crowder: West Africa under Colonial Rule, Evanston 1968, S. 165-251 Anlage 7 Foreign direct investment, net inflows – Togo (Quelle: World Bank), online abrufbar unter https://data.worldbank.org/indicator /BX.KLT.DINV.CD.WD?end=2019&locations=TG&start=1970&view=chart Anlage 8 GTAI/Germany Trade & Invest: Togo. Wirtschaftsdaten kompakt (Stand: November 2019) Anlage 9 Horst Gründer: Geschichte der deutschen Kolonien, 7. aktualisierte und erweiterte Auflage, Paderborn 2018, S. 139-153 Anlage 10 Jonas Bakoubayi Billy: Musterkolonie des Rassenstaats: Togo in der kolonialen Propaganda und Planung Deutschlands 1919-1943, Dettelbach 2011, S. 19-34 Anlage 11 Gilbert Dotsé Yigbe: Togo – Land einer anachronistischen Germanophilie? In: Marianne Bechhaus-Gerst, Joachim Zeller (Hrsg.) Deutschland postkolonial? Die Gegenwart der imperialen Vergangenheit, Berlin 2018, S. 159-167 Anlage 12 Peter Sebald: Die deutsche Kolonie Togo 1884-1914. Auswirkungen einer Fremdherrschaft , Berlin 2013, S. 181-189 Anlage 13 Deutsche Vereine in Togo (Stand: 28.10.2019) ***