© 2021 Deutscher Bundestag WD 1 - 3000 - 006/21 Anrede von Frauen im Deutschen Bundestag Ausgewählte Aspekte Sachstand Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 006/21 Seite 2 Anrede von Frauen im Deutschen Bundestag Ausgewählte Aspekte Aktenzeichen: WD 1 - 3000 - 006/21 Abschluss der Arbeit: 19. April 2021 Fachbereich: WD 1: Geschichte, Zeitgeschichte, Politik Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 006/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Grundlagen für die Anrede von Frauen im Deutschen Bundestag 4 2.1. Duden 4 2.2. Empfehlungen des Protokolls Inland 5 3. Kurzer zeithistorischer Abriss 5 Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 006/21 Seite 4 1. Einleitung Als am 13. Dezember 1972 mit Annemarie Renger erstmals eine Frau zur Bundestagspräsidentin gewählt wurde, verzeichnet das Protokoll die Glückwünsche des Alterspräsidenten mit den Worten : „Frau Präsident, ich übermittle Ihnen die Wünsche des Hauses und bitte Sie, diesen Platz einzunehmen.“1 Mit Maria Probst und Liselotte Funcke waren 1965 und 1969 bereits Frauen als Vizepräsidentinnen gewählt worden. Beide wurden ebenfalls als „Stellvertreter des Präsidenten“ und „Vizepräsident“ gewählt, wie es das Protokoll vermerkt.2 Inzwischen hat sich der Sprachgebrauch sowohl in der Gesellschaft als auch im Deutschen Bundestag geändert. Es ist üblich und allgemeine Konvention, Frauen im Plenum als Frau Kollegin, Frau Abgeordnete oder Frau Präsidentin zu bezeichnen. Zuletzt wichen jedoch verschiedene Abgeordnete der AfD-Fraktion von dieser etablierten Konvention ab und wählten als Anrede Frau Präsident.3 Viele verschiedene geisteswissenschaftliche Forschungsfelder, darunter die Linguistik, die Sprachpsychologie oder die Kulturwissenschaften untersuchen Sprache als Spiegel von politisch -gesellschaftlichen Entwicklungen. An dieser Stelle soll jedoch im Auftrag eines Abgeordneten lediglich ein knapper Überblick über geltende Normen der Anrede von Frauen innerhalb und außerhalb des Bundestags gegeben werden sowie ein kurzer Abriss der historischen Genese. Dabei bleibt der Blick auf den politisch-parlamentarischen Raum begrenzt. 2. Grundlagen für die Anrede von Frauen im Deutschen Bundestag 2.1. Duden Im aktuellen Grammatik-Band des Dudens heißt es unter der Überschrift „Andere Fälle von Kongruenz im Genus“: „Wenn ein Titel einer weiblichen Personenbezeichnung vorangeht, wird die weibliche Form des Titel verwendet.“4 Als Beispiele werden genannt: „Ich sprach mit Frau Meier/ Bürgermeisterin Meier/ Frau Bürgermeisterin Meier.“ Hierzu hätten sich als Ausnahmen 1 Vgl. https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/07/07001.pdf S. 3. 2 Vgl. https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/05/05012.pdf S. 437 und https://dip21.bundestag .de/dip21/btp/07/07001.pdf , S. 6. 3 Vgl. Sibylle Hallik: Die Verschriftlichung geschlechtergerechter Sprache in Plenarprotokollen. In: Neue Stenografische Praxis 2/3 (2020), S. 82ff. Am 24. März 2021 entspann sich zwischen dem Abgeordneten Jürgen Braun und Vizepräsidentin Claudia Roth ein Wortgefecht, bei dem sie ihm schließlich einen Ordnungsruf erteilte. Vgl. https://dip21.bundestag.de/dip21/btp/19/19217.pdf S. 24374. Auch in verschiedenen Landtagen nutzten AfD-Abgeordnete die Anrede Frau Präsident. 4 Duden, die Grammatik: hrsg. von der Dudenredaktion. [Red. Bearb.: Kathrin Kunkel-Razum u.a.]. Der Duden in zwölf Bänden : das Standardwerk der deutschen Sprache, Band 4. 8. Auflage. Mannheim, 2009, S. 1008. Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 006/21 Seite 5 „zwei Verbindungen mit Frau gehalten, nämlich (a) Frau Doktor und (b) Frau Professor (hier zunehmend regelhaft: Frau Professorin), beides auch ohne folgenden Namen. Außerhalb dieser Verwendungen werden nur noch die Ableitungen Doktorin und Professorin verwendet (c)“. Im Band „Duden Sprachwissen. Das Wörterbuch der sprachlichen Zweifelsfälle“ heißt es: „Bei Funktions- oder Berufsbezeichnungen werden grundsätzlich die femininen Formen bevorzugt: z.B. Frau Bundestagspräsidentin Müller, Frau Staatssekretärin, Frau Rechtsanwältin.“5 2.2. Empfehlungen des Protokolls Inland In dem vom Bundesministerium des Innern seit 1975 herausgegebenen und zuletzt 2016 aktualisierten „Ratgeber für Anschriften und Anreden“ heißt es für das Amt der Bundestagspräsidentin: „Anrede (mündlich): Frau Bundestagspräsidentin oder Frau Präsidentin“.6 Für die mündliche Anrede von Bundestagsvizepräsidentinnen wird empfohlen: „Frau Bundestagsvizepräsidentin “.7 3. Kurzer zeithistorischer Abriss Im 19. Jahrhundert bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts ist die Anrede Frau für verheiratete Frauen und Fräulein für nichtverheiratete, teils berufstätige Frauen üblich. Plenarprotokolle zeigen , dass die Anrede Fräulein in den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts auch im Deutschen Bundestag gebräuchlich war.8 Im Dezember 1954 beschließt der Bundestag, dass auch unverheiratete Frauen sich im Schriftverkehr mit Behörden ab 21 und nicht wie früher erst ab 35 Jahren als "Frau" bezeichnen dürfen.9 5 https://www.munzinger.de/search/document?index=dudend 9&id=D900000192&type=text/html&query.key=JFpf58az&template=/publikationen/duden /document.jsp#D90000254400 6 Vgl. https://www.protokoll-inland.de/SharedDocs/downloads/Webs/PI/DE/Allgemeines/Anschriften.pdf;jsessionid =601EAC6F9160CECAFA7E1A7519D05118.1_cid287?__blob=publicationFile&v=4 S. 31. 7 Ebd, S. 33. 8 Vgl. Elena Erdmann: Vom Fräulein zur Bundeskanzlerin. Die Zeit vom 14. September 2019. https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-09/frauen-bundestag-70-jahre-parlament-gleichberechtigung ?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F Die Wochenzeitung, die für den Artikel alle Nachkriegsprotokolle digital auswertet, kommt zu dem Schluss: „Im Bundestag wurde die Anrede zwar eher selten benutzt (kein Wunder, in den frühen Jahren waren dort insgesamt nur wenige Frauen vertreten). Doch nahezu jede Verwendung des Wortes in den Fünfzigerjahren scheint so, als ob man ein Fräulein nicht so richtig ernst nehmen könnte: So wurden beispielsweise Dokumente als nicht stichhaltig befunden, weil sie "sich lediglich auf die Aussagen des Fräulein Fischer" stützten (1950); ein "Fräulein Wessel" habe ihrem Kollegen "unrecht getan ", weil sie ihn "scharf angegriffen" habe (auch 1950).“ 9 Vgl. Protokoll der 63. Sitzung des 2. Deutschen Bundestages am 17.12.1954, S. 3286 http://dipbt.bundestag .de/doc/btp/02/02063.pdf Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 006/21 Seite 6 1971 veröffentlicht das Bundesinnenministerium einen Erlass, der festhält, dass in behördlichen Schreiben auch „gegenüber einer unverheirateten volljährigen Frau“ die Anrede 'Frau' verwendet werden soll.10 Am 4. November 1987 bringen die Fraktionen CDU/CSU und FDP einen Antrag zur geschlechtergerechten Sprache in den Deutschen Bundestag ein, der 1991 Grundlage für einen Bundestagsbeschluss wird. Hierin heißt es: „Die Bundesregierung wird aufgefordert, ab sofort in allen Gesetzentwürfen , Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften geschlechtsspezifische Benennungen /Bezeichnungen zu vermeiden und entweder geschlechtsneutrale Formulierungen zu wählen oder solche zu verwenden, die beide Geschlechter benennen, soweit dies sachlich gerechtfertigt ist und Lesbarkeit und Verständlichkeit des Gesetzestextes nicht beeinträchtigt werden. Darüber hinaus wird die Bundesregierung aufgefordert, bei grundlegenden Änderungen von Gesetzen, Rechtsverordnungen und Verwaltungsvorschriften diese auf ihre geschlechtsspezifischen Formulierungen hin zu überprüfen und entsprechend den in Absatz 1 genannten Grundsätzen in angemessener Zeit zu ändern.“11 Bis 1991 werden männliche Abgeordnete in den Plenarprotokollen des Deutschen Bundestages nur mit dem Nachnamen genannt, während man den Namen weiblicher Abgeordneter die Anrede Frau voranstellt. Diese Regelung wird zugunsten der Nennung von Vor- und Nachnamen gleichermaßen für beide Geschlechter abgelöst. Ab den neunziger Jahren steigt der Frauenanteil im Deutschen Bundestag von 20,5 Prozent (1990) auf 36,5 Prozent im Jahr 2017.12 In den Plenarprotokollen häufen sich die Bezeichnungen Kolleginnen , Ministerinnen oder Expertinnen. 13 In jüngster Zeit werden im öffentlichen Raum, so auch im Plenum des Deutschen Bundestages, neue Formen geschlechtergerechter Sprache verwendet, die teils stark umstritten sind.14 Dabei wird derzeit auf dem sprachpolitischen Feld eine Kontroverse ausgetragen, zu der auch die oben Vgl. Elena Erdmann: Vom Fräulein zur Bundeskanzlerin. Die Zeit vom 14. September 2019. https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-09/frauen-bundestag-70-jahre-parlament-gleichberechtigung ?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F “ 10 Vgl. https://www1.wdr.de/stichtag/stichtag5184.html#:~:text=Unverheiratete%20franz%C3%B6sische %20Frauen%20werden%20%22Mademoiselle,sind%20die%20%22Fr%C3%A4uleins%22%20ausgestorben . 11 Vgl. Drs. 12/1041, S. 3ff. 12 Vgl. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/741896/umfrage/frauenanteil-im-deutschen-bundestag-nachwahlperiode /n 13 https://www.zeit.de/politik/deutschland/2019-09/frauen-bundestag-70-jahre-parlament-gleichberechtigung ?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F Im 19. Deutschen Bundestag liegt der Anteil der Frauen bei 31,5 Prozent. 14 Vgl. Sibylle Hallik, Die Verschriftlichung geschlechtergerechter Sprache in Plenarprotokollen. In: Neue Stenografische Praxis 2/3 (2020), S. 61ff Wissenschaftliche Dienste Sachstand WD 1 - 3000 - 006/21 Seite 7 erwähnte Verletzung der Kongruenz-Regel gehört. Diese, so Sibylle Hallik, „werde oftmals als Verletzung von Höflichkeit und Respekt gewertet. Außerdem widerspricht sie den aktuellen Empfehlungen des Protokolls Inland für die mündliche Anrede. Darüber hinaus weisen im politischen Kontext bestimmte Anredeformen wie Frau Präsidentin eine lange Tradition auf, sodass ein Zurückgehen auf ältere Formen mit Konnotationen einhergeht und (sprach)-politische Haltungen und andere Intentionen transportieren kann“.15 *** 15 Ebd., S. 84f.