© 2021 Deutscher Bundestag WD 1 - 3000 - 001/21 Zur Black Lives Matter-Bewegung – Entstehung, Aufbau, Finanzierung, Ziele und politische Verbindungen Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 001/21 Seite 2 Zur Black Lives Matter-Bewegung – Entstehung, Aufbau, Finanzierung, Ziele und politische Verbindungen Aktenzeichen: WD 1 - 3000 - 001/21 Abschluss der Arbeit: 9. Februar 2021 (zugleich Abrufdatum der zitierten Internetadressen) Fachbereich: WD 1: Geschichte, Zeitgeschichte und Politik Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 001/21 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Vorbemerkung 4 2. Dokumentation 9 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 001/21 Seite 4 1. Vorbemerkung Die Protestbewegung „Black Lives Matter“ (BLM) formierte sich im Jahr 2013, initiiert von den Gründerinnen Alicia Garza, Patrisse Cullors und Opal Tometi. Auslöser war der Tod des 17-jährigen Trayvon Martin. Der junge Afroamerikaner wurde im Februar 2012 von George Zimmermann , Mitglied einer Nachbarschaftswache, in Sanford, Florida, erschossen, weil er diesem „verdächtig “ vorkam. Aus Protest gegen das Urteil des Gerichts, das Zimmermann aufgrund des „Stand Your Grand“-Gesetzes freisprach, entwickelten Garza, Cullors und Tometi den Hashtag #Black Lives Matter, der auf Facebook, Twitter und Tumblr und als Aufschrift auf Schildern bei Demonstrationen gegen das Urteil schnell die Runde machte.1 Was als Online-Kampagne in den Sozialen Medien zur Mobilisierung gegen Polizeigewalt, die „Gefängnisindustrie“ und die Ungerechtigkeiten des US-Justizsystems begann, entwickelte sich ab August 2014 zu einer nationalen Protestbewegung. Nachdem ein weißer Polizist den unbewaffneten 18-jährigen Afroamerikaner Michael Brown in Ferguson, Missouri, in den Rücken geschossen und getötet hatte, kam es zu mehrtägigen, teilweise gewaltsamen Protesten in der Stadt Ferguson. Die Vorfälle veranlassten die Black Lives Matter-Mitgründerin Alizia Garza zusammen mit anderen Aktivisten, einen „Freedom Ride“ nach Ferguson zu organisieren, der dazu beitrug, „Black Lives Matter“ national und international bekannt zu machen. Damit knüpften sie an die „Freedom Riders“ aus der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung an, die in den 1960er Jahren mit Bussen in den Süden fuhren, um gegen die Rassentrennung in öffentlichen Verkehrsmitteln zu protestieren. Als BLM-Mitbegründerin Alizia Garza Ferguson erreichte, wurde sie bereits von Hunderten Black-Lives-Matter-Plakaten empfangen.2 Seitdem organisieren die BLM-Aktivistinnen und-Aktivisten zahllose Protestdemonstrationen und Anti-Rassismus-Kundgebungen im ganzen Land, in denen sie die aus ihrer Sicht bestehende systematische Polizeigewalt gegen Schwarze anprangern. Die ab 2016 deutlich zurückgehende Berichterstattung über diese Vorfälle sowie über die Protestdemonstrationen in den großen US- Medien nahm in den ersten Monaten des Jahres 2020 durch das Bekanntwerden von drei Todesfällen – Ahmaud Arbery in der Nähe von Brunswick, Georgia, am 23. Februar, Breonna Taylor in Louisville, Kentucky, am 13. März und George Floyd in Minneapolis, Minnesota, am 25. Mai – wieder stark zu.3 Insbesondere die schnelle Verbreitung des neunminütigen Videos über die Tötung von George Floyd durch einen weißen Polizisten in den Sozialen Medien lösten die größte, mehrere Wochen anhaltende Protestwelle in den USA aus, die rasch auf Städte und Gemeinden in allen 50 US-Bundestaaten sowie auf Länder in anderen Erdteilen übergriff. Am 2. Juni 2020 fanden die Proteste am sogenannten „Blackout Tuesday“ einen symbolischen Ausdruck in den 1 Vgl. Nicole Hirschfelder: #BlackLivesMatter: Protest und Widerstand heute, in: Michael Butter, Astrid Franke, Horst Tonn (Hg.): Von Selma bis Ferguson – Rasse und Rassismus in den USA, Bielefeld 2016, S. 231-260, hier S. 234ff. 2 Schwarzer Protest, Frankfurter Allgemeine Woche, 15.07.2016 3 Herbert Ruffin: Black Lives Matter: The Groth of a New Social Justice Movement, veröffentlicht auf blackpast .org, abrufbar unter https://www.blackpast.org/african-american-history/black-lives-matter-growth-newsocial -justice-movement/ Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 001/21 Seite 5 Sozialen Medien, als im Zuge der „Black Lives Matter“-Proteste auf Facebook, Twitter und Instagram weltweit millionenfach schwarze quadratische Bilder als stummer Protest gegen „strukturellen Rassismus und Polizeigewalt“ gepostet wurden.4 Im Gegensatz zu der Protestwelle nach dem Tod von Michael Brown im Jahr 2014 und weiteren Demonstrationen im Anschluss an vergleichbare Vorfälle, die primär von der schwarzen Bevölkerung getragen wurden, schlossen sich den Protesten im Mai und Juni 2020 auch viele Menschen aus der weißen Mehrheitsbevölkerung an und wurden dabei von zahlreichen Prominenten aus Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur und Sport unterstützt. Ungewöhnlich war auch, dass die von Black Lives Matter organisierten Proteste, die zuvor wegen ihrer bisweilen radikalen Methoden, die z. B. das Blockieren von Brücken und Autobahnen einschloss und deshalb von Teilen der Politik und Öffentlichkeit kritisch gesehen wurden,5 im Juni 2020 laut Umfragen zeitweise auf parteiübergreifende Unterstützung trafen.6 Als die Proteste jedoch in einigen Städten der USA in mehrwöchige gewaltsame Ausschreitungen umschlugen, Portland beispielsweise wurde drei Monate lang von Unruhen und Brandanschlägen auf Regierungsgebäude erschüttert, nahm diese Zustimmung wieder ab.7 Der organisatorische Aufbau von Black Lives Matter wurde nach dem Start 2013 als Online- Kampagne in den Sozialen Medien im Jahr 2014 nach den Protesten in Ferguson weiter vorangetrieben . Es entstanden eigenständige Ortsverbände in verschiedenen Städten, zunächst in den USA, später auch in Kanada, Großbritannien und Deutschland, die seit 2016 im Black Lives Matter Global Network zusammengeschlossen sind.8 Die Ortsverbände „verpflichten sich den Leitlinien , etwa dem weltweiten Kampf gegen die Unterdrückung von Schwarzen und für die Einbeziehung von Minderheiten“, wobei jeder Ortsverband „für Wandel innerhalb seiner Gemeinde“ kämpfe und „eigene Prioritäten“ habe.9 Das seit 2016 als gemeinnützige Organisation eingetra- 4 Die Macht des Protests, General-Anzeiger, 25.07.2020 5 Vom Hashtag zur Bürgerrechtsbewegung Amerika, Neu Zürcher Zeitung, 29.06.2020 6 From slogan to movement embraced by the masses, The Washington Post, 10.06.2020 7 Die Saat der gewaltsamen Ausschreitungen in den USA, Neue Zürcher Zeitung, 14.09.2020; Schüsse durch das Autofenster, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.09.2020 8 Alizia Garza: Die Kraft des Handelns. Wie wir Bewegungen für das 21. Jahrhundert bilden, Stuttgart 2020, S. 219-226; Black Lives Matter. Celebrating four years of organizing to protect black lives, o. J. (2017), abrufbar unter https://drive.google.com/file/d/0B0pJEXffvS0uOHdJREJnZ2JJYTA/view. Siehe zur deutschen Black Lives Matter-Bewegung Tiffany N. Florvil: Zur Beständigkeit der Graswurzel. Transnationale Perspektiven auf Schwarzen Antirassismus im Deutschland des 20. Jahrhunderts, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Heft 42- 44/2020, S. 33-38, hier: S. 37, abrufbar unter https://www.bpb.de/apuz/antirassismus-2020/316769/transnationale -perspektiven-auf-schwarzen-antirassismus-im-deutschland-des-20-jahrhunderts sowie die Homepage von Black Lives Matter Berlin https://www.blacklivesmatterberlin.de 9 Zitate in: Vom Hashtag zur Bürgerrechtsbewegung Amerikas, Neue Zürcher Zeitung, 29.06.2020 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 001/21 Seite 6 gene dezentrale Netzwerk kümmert sich vor allem um Fundraising und hilft bei organisatorischen Fragen.10 Genauere Angaben über die Finanzierung finden sich weder in der wissenschaftlichen Literatur noch in der Medienberichterstattung. Die Homepage legt jedoch nahe, dass sich Black Lives Matter vor allem über Spenden und den Verkauf von Merchandising-Artikel finanziert .11 Ein wesentliches Ziel der Black Lives Matter-Bewegung ist der Kampf gegen „rassistische Polizeigewalt “. Die BLM-Aktivistinnen und -Aktivisten betrachten die zahlreichen Tötungen von Schwarzen durch weiße Polizisten und die häufigen Freisprüche durch die Justiz nicht als bedauerliche Einzelfälle, sondern als Ausdruck eines strukturellen Rassismus in Polizei- und Justizbehörden , für die – wie die vielen Todesfälle zeigten – schwarze Leben offensichtlich nicht zählten. Eine weitere zentrale Forderung lautet „Defund the Police“. Sie zielt darauf ab, den Polizeibehörden die finanziellen Mittel zu kürzen und die eingesparten Mittel an soziale Organisationen wie Sozialdienste und Jugendhilfe sowie für Wohnungsbau, Bildung, Gesundheitsfürsorge zur Verfügung zu stellen, was aus Sicht der BLM-Aktivistinnen und -Aktivisten deutlich mehr zur öffentlichen Sicherheit beitragen würde, als noch mehr finanzielle Mittel in die Ausstattung der Polizei zu investieren.12 Black Lives Matter tritt zudem für eine grundlegende und umfassende Akzeptanz aller schwarzer Lebensentwürfe ein, was aus Sicht der Aktivistinnen und Aktivisten weibliche, queere und transgender Personen ebenso einschließt wie behinderte Menschen, Menschen ohne Papiere und mit Vorstrafen. Mit ihrem Plädoyer für einen umfassenden Pluralismus schwarzer Lebensentwürfe und mit ihrer betont dezentralen Führungsstruktur, in der Frauen eine wesentliche Rolle einnehmen, unterscheidet sich die Black Live Matter-Bewegung bewusst von der der Bürgerrechtsbewegung der 1950er und 1960er Jahre, in der die black church und charismatische männliche Führungsfiguren eine zentrale Rolle eingenommen haben (Martin Luther King, Malcom X, Huey Newton).13 Über die Frage, ob „Black Lives Matter“ in einer Linie mit der Bürgerrechtsbewegung der 1950er und 1960er Jahre gesehen werden muss oder ob die Bewegung völlig mit deren Idealen und Protesttechniken bricht, ist sich die wissenschaftliche Literatur nicht einig.14 10 Ebenda 11 https://blacklivesmatter.com 12 Zur Rezeption und Diskussion der Forderung vgl. die entsprechende Medienberichterstattung: Dem Reflex widerstehen, Die Welt, 23.06.2020; Ressourcen umleiten – und die Macht der Lobbyisten brechen, Frankfurter Rundschau, 03.07.2020; Heftige Proteste, zaghafte Reformen, Neues Deutschland, 09.07.2020; Kampfzone Innenstadt , Die Welt, 28.07.2020; Schüsse durch das Autofenster, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15.09.2020; Widerstand gegen die Trumpisten, Neues Deutschland, 31.12.2020; Amerikas Trauma, Zeit Online, 20.01.2021 13 Alizia Garza, Die Kraft des Handelns, a. a. O., S. 220ff. 14 Vgl. zu dieser Frage u. a.: Nicole Hirschfelder: #BlackLivesMatter, a. a. O., S. 245ff. sowie Inken Behrmann: „Wir werden frei sein!“ Schwarzer Widerstand von Martin Luther King bis Black Lives Matter, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 4/2018, S. 101-109 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 001/21 Seite 7 Aus Sicht der BLM-Aktivistinnen und -Aktivisten sind die USA von der Erfüllung des von Martin Luther King 1963 in seiner berühmten Rede vor dem Lincoln Memorial in Washington formulierten Traums von Gleichberechtigung, sozialer Gerechtigkeit und einem respektvollen, friedlichen Zusammenleben aller Bevölkerungsgruppen nach wie vor weit entfernt. Trotz der Erfolge der Bürgerrechtsbewegung der 1960er Jahre bei der rechtlichen Gleichstellung seien die Fortschritte in der politischen, ökonomischen und sozialen Situation auf die aufstrebende schwarze Mittelschicht beschränkt, lautet ihre Kritik. Die Mehrheit der black community in den großstädtischen Slums oder den ländlichen Distrikten bleibe hingegen wirtschaftlich, sozial, bildungspolitisch , am Arbeitsmarkt sowie beim Lebensstandard hinter allen anderen amerikanischen Ethnien zurück,15 weil sie – aus Sicht der BLM-Aktivistinnen und -Aktivisten – weiterhin strukturell durch offenen und verdeckten Rassismus benachteiligt werde. Dass dieser Umstand vom bis Januar 2017 amtierenden, ersten schwarzen US-Präsidenten Barack Obama zwar verbal eingestanden , in seiner Regierungspolitik aber nicht wirklich angegangen wurde, werten die BLM-Aktivistinnen und -Aktivisten auch als Zeichen dafür, dass die schwarze Ober- und Mittelklasse in Politik und Gesellschaft sich geistig, materiell, zum Teil auch örtlich von der Lebenswelt der schwarzen Mehrheit in der urban class entfernt habe.16 Die Verbindungen von Black Lives Matter zur Politik gestalteten sich lange Zeit eher schwierig. Versuche von BLM-Aktivistinnen und-Aktivisten, im parteiinternen Präsidentschaftskandidaten- Wahlkampf 2016 über ihre Ziele und Forderungen mit den Bewerberinnen und Bewerber der Demokratischen Partei ins Gespräch zu kommen, erwiesen sich vor dem Hintergrund ihrer radikalen Ziele und ihrer Kritik am politischen Establishment als wenig erfolgreich. Dabei kritisierten sie auch den Parteilinken Bernie Sanders für seine vermeintliche „Blindheit“ gegenüber dem Rassismus. Er fordere mehr soziale Gleichheit und hoffe, dass sich dadurch auch die auf Rassismus beruhenden Ungleichheiten und Diskriminierungen erledigten, was jedoch den aus Sicht der BLM-Aktivistinnen und-Aktivisten in vielen gesellschaftlichen Bereichen fortbestehenden strukturellen Rassismus nicht ausreichend reflektiere.17 Die BLM-Bewegung entschloss sich daher , im Präsidentschaftswahlkampf 2016 keine der Kandidaturen der beiden großen Parteien zu unterstützen.18 Bei den Kongresswahlen im November 2020 setzten sich mit Cori Bush eine Black Live Matter- Aktivisten, die die Proteste in Ferguson im Jahr 2014 mitorganisiert hatte, und mit Jamaal Bowman ein von den lokalen BLM-Aktivistinnen und -Aktivisten unterstützter Kandidat gegen die 15 Über das Ausmaß und die Ursachen der Benachteiligung von schwarzen Menschen in der US-Gesellschaft und deren Bekämpfung sind sich Wissenschaft und Politik uneins. Vgl. hierzu die Überblicksdarstellungen von Michael Hochgeschwender: Zur Geschichte von Black America, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Heft 12/2018: Black America, S. 15-22, abrufbar unter https://www.bpb.de/apuz/266269/zur-geschichte-von-black-america und Britta Waldschmidt-Nelson: Das Erbe von Martin Luther King Jr., in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Heft 12/2018: Black America, S. 23-30, abrufbar unter https://www.bpb.de/apuz/266271/traum-oder-albtraum-daserbe -von-martin-luther-king-jr 16 Keeanga-Yamahtta Taylor: „Wir müssen uns selbst retten!“ Black Lives Matter und der Widerstand gegen Trump, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 8/2019, S. 41-52, hier: S. 45f. 17 Wahlkampf der Bürgerrechtler, Zeit Online, 12.08.2015 18 Alizia Garza: Die Kraft des Handelns, a. a. O., S. 243ff.; Nicole Hirschfelder: #BlackLivesMatter, a. a. O., S. 254f. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 001/21 Seite 8 vom Establishment der Demokratischen Partei unterstützten Amtsinhaber jeweils mit einer explizit linken Agenda bei der Nominierung durch und behaupteten sich anschließend auch bei der Direktwahl zum Repräsentantenhaus in ihren Wahlkreisen gegen republikanische Kandidaten.19 Auch wenn sich Joe Biden im Präsidentschaftswahlkampf 2020 grundsätzlich offen für die BML- Anliegen zeigte, so deutlich distanzierte er sich von ihrer „Defund the Police“-Forderung.20 Auf grundsätzliche Kritik stießen die Ziele und Forderungen von Black Lives Matter insbesondere bei der Republikanischen Partei und bei konservativen Medien. Die Bewegung wurde vom Präsidentschaftskandidaten Donald Trump schon früh zum Feindbild erkoren, nachdem am Rande einer von Black Live Matters organisierten Demonstration in Dallas im Juli 2016 acht Polizisten durch einen schwarzen, nicht dem BLM-Netzwerk angehörenden Heckenschützen erschossen wurden. Ein weiterer zentraler Vorwurf lautet, dass BLM eine schwarze Identitätspolitik propagiere , die spalte und die verschiedenen sozialen Gruppen noch weiter auseinandertreibe.21 Sie tendiere zudem dazu, dieselben Mittel wie die von ihnen bekämpften Gegner anzuwenden – nämlich Segregation, Teilung, Trennung – und damit einem „spiegelverkehrten Rassismus“ das Wort zu reden.22 Moniert wird auch, dass bereits der Name der Bewegung #Black Lives Matter spaltend wirke und in „All Lives Matter“ umbenannt werden sollte, um deutlich zu machen, dass nicht nur schwarze, sondern alle Leben zählten.23 Auch einige Wissenschaftler mit afroamerikanischen Wurzeln betrachteten das „bürgerrechtskämpferische Narrativ“ im Gefolge der andauernden Proteste seit der Tötung von George Floyd mit Skepsis. Ihre Denkanstöße reichten vom Hinterfragen des aktuellen Begriffs von „Rasse“ über 19 Zu Cori Bush: Black-Lives-Matter-Aktivistin gewinnt US-Vorwahl, Neues Deutschland, 07.08.2020; Cori Bush, Süddeutsche Zeitung, 11.11.2020; zu Jamaal Bowman: Black Lives Matter auf dem Weg in den Kongress, Zeit Online, 03.07.2020; Die neue schwarze Linke, Neues Deutschland, 09.07.2020 20 Weniger Geld für die Polizei, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.06.2020; Zu selten Freund, zu selten Helfer, Süddeutsche Zeitung, 10.06.2021; Amerikas Traum, Zeit-Online 20.01.2021, Die Macht der Freiheit, Süddeutsche Zeitung 30.01.2021 21 So machte der ehemalige New Yorker Bürgermeister Rudolph Guiliani 2016 in der „New York Times“ die aus seiner Sicht einseitige Rhetorik von BLM dafür verantwortlich, dass es am Rande von einigen Demonstrationen zu gewaltsamen Protesten und zu tödlichen Angriffen auf weiße Polizisten gekommen sei. Zudem fokussierten sich die Gruppen nur auf die Tötungen, welche durch Polizeibeamte begangen würden, anstatt sich auch mit den vielen Morden zu beschäftigen, die schwarze Zivilisten untereinander begehen würden. (Schwarzer Protest, Frankfurter Allgemeine Woche, 15.07.2016; Zwischen Schwarzer Wut und Klassenkampf, Neues Deutschland, 20.07.2016) 22 Vgl. zu dieser auch in Wissenschaft und Publizistik grundsätzlich diskutierten Problematik: Jens Kastner: Von Black Power bis Ta-Nehisi Coates. Schwarze Identitätspolitik in den USA, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Heft 12/2018, S. 31-36, hier: S. 33, abrufbar unter https://www.bpb.de/apuz/266273/von-black-power-bis-tanehisi -coates-schwarze-identitaetspolitik-in-den-usa 23 BLM-Aktivistinnen und -Aktivisten betonen hingegen, dass für sie tatsächlich alle Menschen zählten. Der Name „Black Lives Matter“ sei vielmehr Ausdruck der Tatsache, dass weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart schwarze Leben genauso viel zählten wie weiße. Es sei demnach notwendig, explizit zu affirmieren, dass schwarze Leben zählten, um zu verhindern, dass mit „allen“ Leben weiterhin hauptsächlich weiße gemeint seien, da ihre Leben historisch betrachtet, stets als Norm gegolten hätten. Vgl. hierzu Nicole Hirschfelder: #BlackLivesMatter, a. a. O., S. 244; Alicia Garza: Die Kraft des Handelns, a. a. O., S. 213ff. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 001/21 Seite 9 die Frage nach dem „Kultcharakter“ der „Black Lives Matter“-Bewegung bis hin zur Relativierung rassistisch motivierter Polizeigewalt gegen schwarze US-Bürger mithilfe von Statistik.24 Auf Kritik stößt in der wissenschaftlichen Literatur auch der bisweilen „illiberale Antirassismus der Rassenbewussten“.25 Ein weiterer sowohl in der wissenschaftlichen Literatur und in der Medienberichterstattung geäußerter Kritikpunkt ist, dass sich die Black Lives Matter-Bewegung bisher nicht von antisemitischen Äußerungen auf ihren Demonstrationen distanziert habe. So seien bei einigen von ihr organisierten Demonstrationen nicht nur antisemitischen Parolen zu hören gewesen , sondern es sei vereinzelt auch zu Gewalt gegen jüdische Einrichtungen gekommen.26 2. Dokumentation In dieser Dokumentation sind ausgewählte wissenschaftliche Veröffentlichungen zusammengefasst , die sich auftragsgemäß primär mit der Entstehung, dem Aufbau, den Zielen, der Entwicklung , den politischen Verbindungen der Black Lives Matter-Bewegung sowie mit deren Verhältnis zur Bürgerrechtsbewegung der 1950er und 1960er Jahre befassen. Die vorhandene Forschungsliteratur berücksichtigt dabei fast ausschließlich den Zeitraum bis 2018. Darüber hinaus ist zu den genannten Aspekten auch die unlängst auf Deutsch veröffentlichte Autobiografie der Mitbegründerin von Black Lives Matter, Alicia Garza, aufschlussreich und von besonderem Interesse . Die Entwicklungen des Jahres 2020, die Black Live Matters zu einer weltweit bekannten Bewegung gemacht haben, sind – mit Ausnahme einer Publikation, die sich allerdings ausschließlich mit der Kritik an der Bewegung befasst27 – bisher noch nicht wissenschaftlich untersucht worden. Diese Lücke lässt sich mit der ebenfalls beigefügten Pressedokumentation der deutschsprachigen und US-Presse zumindest ansatzweise schließen: Behrmann, Inken: „Wir werden frei sein!“ Schwarzer Widerstand von Martin Luther King bis Black Lives Matter, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 4/2018, S. 101-109 24 Denkt genauer nach!, Neue Zürcher Zeitung, 01.07.2020; Die Saat der gewaltsamen Ausschreitungen in den USA, Neue Zürcher Zeitung, 14.09.2020 25 Vgl. hierzu Coleman Hughes: Der illiberale Antirassismus der Rassenbewussten, in: Sabine Beppler-Stahl (Hg).: Schwarzes Leben, weiße Privilegien? Zur Kritik an Black Lives Matter, Frankfurt 2020, S. 66-73; auch wenn die Bewegung im Aufsatz nicht explizit genannt wird, zielt die Kritik doch offensichtlich auch auf BLM. 26 Vgl. hierzu Kai Funkschmidt: Der Antisemitismus in der „Black Lives Matter“-Bewegung, in: Sabine Beppler- Stahl (Hg).: Schwarzes Leben, weiße Privilegien? Zur Kritik an Black Lives Matter, Frankfurt 2020, S. 74-86 sowie „Man kann Rassismus nicht mit Antisemitismus bekämpfen“, Die Welt, 20.08.2020. Laut einem Bericht im Deutschlandfunk Kultur wurde in Los Angeles die Statue des schwedischen Judenretters während der NS-Zeit Raoul Wallenberg geschändet. Mehrere Synagogen seien mit „Free Palestine! Fuck Israel!“ besprüht worden. Bei Demonstrationen in Washington hätten sich Hasschöre gegen Israel, das „Kinder ermordet“ mit den Black Lives Matter-Parolen gemischt. Der Antisemitismus bei BLM sei allerdings kein Flächenbrand, nur in bestimmten Gruppen vernehmbar und äußere sich nur punktuell aggressiv, so Funkschmidt im Beitrag von Deutschlandfunk Kultur. (Thomas Klatt: Black Lives Matter. Antijüdische Töne machen vielen Angst, Deutschlandfunk Kultur , 05.02.2021, abrufbar unter https://www.deutschlandfunkkultur.de/black-lives-matter-antijuedische-toenemachen -vielen-angst.1079.de.html?dram:article_id=492076). 27 Es handelt sich dabei um den Sammelband Sabine Beppler-Stahl (Hg.): Schwarzes Leben, weiße Privilegien? Zur Kritik an Black Lives Matter, Frankfurt 2020. Zwei Aufsätze aus diesem Band von Kai Funkschmidt und Coleman Hughes sind in der Auswahl berücksichtigt. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 001/21 Seite 10 Funkschmidt, Kai: Der Antisemitismus in der „Black Lives Matter“-Bewegung, in: Sabine Beppler-Stahl (Hg.): Schwarzes Leben, weiße Privilegien? Zur Kritik an Black Lives Matter , Frankfurt 2020, S. 74-86 Garza, Alizia: Die Kraft des Handelns. Wie wir Bewegungen für das 21. Jahrhundert bilden , S. 154-191 und S. 205-266 Hirschfelder, Nicole: #BlackLivesMatter: Protest und Widerstand heute, in: Michael Butter , Astrid Franke, Horst Tonn (Hg.): Von Selma bis Ferguson – Rasse und Rassismus in den USA, Bielefeld 2016, S. 231-260 Hochgeschwender, Michael: Zur Geschichte von Black America, in: Aus Politik und Zeitgeschichte , Heft 12/2018: Black America, S. 15-22, abrufbar unter https://www.bpb.de/apuz /266269/zur-geschichte-von-black-america Hooker, Juliet: Black Lives Matter and the Paradoxes of U.S. Black Politics: From Democratic Sacrifice to Democratic Repair, in: Political Theory 2016, Vol. 44(4), S. 448–469 Hughes, Coleman: Der illiberale Antirassismus der Rassenbewussten, in: Sabine Beppler- Stahl (Hg).: Schwarzes Leben, weiße Privilegien? Zur Kritik an Black Lives Matter, Frankfurt 2020, S. 66-73 Kastner, Jens: Von Black Power bis Ta-Nehisi Coates. Schwarze Identitätspolitik in den USA, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Heft 12/2018: Black America, S. 31-36, abrufbar unter https://www.bpb.de/apuz/266273/von-black-power-bis-ta-nehisi-coates-schwarzeidentitaetspolitik -in-den-usa Ruffin, Herbert: Black Lives Matter: The Groth of a New Social Justice Movement, veröffentlicht auf blackpast.org, abrufbar unter https://www.blackpast.org/african-american -history/black-lives-matter-growth-new-social-justice-movement/ Taylor, Keeanga-Yamahtta: „Wir müssen uns selbst retten!“ Black Lives Matter und der Widerstand gegen Trump, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 8/2019, S. 41-52 The Politics of Protest. Readings on the Black Lives Matter Movement, edited by Nadia E. Brown, Ray Block Jr. and Christopher T. Stout, New York 2021, S. 1-46 (mit Beiträgen verschiedener Autorinnen und Autoren) Waldschmidt-Nelson, Britta: Das Erbe von Martin Luther King Jr., in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Heft 12/2018: Black America, S. 23-30, abrufbar unter https://www.bpb.de/apuz/266271/traum-oder-albtraum-das-erbe-von-martin-luther-king-jr Pressedokumentation: Deutschsprachige Presse Pressedokumentation: US-Presse ***