© 2019 Deutscher Bundestag WD 1 - 3000 - 001/19 Alexander von Humboldt und der Liberalismus Dokumentation Wissenschaftliche Dienste Die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages unterstützen die Mitglieder des Deutschen Bundestages bei ihrer mandatsbezogenen Tätigkeit. Ihre Arbeiten geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegende, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab dem jeweiligen Fachbereich anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 001/19 Seite 2 Alexander von Humboldt und der Liberalismus Aktenzeichen: WD 1 - 3000 - 001/19 Abschluss der Arbeit: 28. Februar 2019 Fachbereich: WD 1: Geschichte, Zeitgeschichte und Politik Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 001/19 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Arbeiten 4 3. Zitate 8 4. Anhang 11 Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 001/19 Seite 4 1. Einleitung Der vielgereiste Natur- und Kulturforscher und Schriftsteller Alexander von Humboldt zählt zu den bedeutendsten Wissenschaftlern seiner Zeit. Humboldts Verhältnis zum Liberalismus ist dabei schwieriger zu erfassen als dasjenige seines Bruders Wilhelm, dessen Bildungsreformen und theoretische Überlegungen zu den „Grenzen der Wirksamkeit des Staates“ als liberale Meilensteine gelten.1 So vermied es Alexander von Humboldt am preußischen Königshof stets, sich politisch festzulegen, galt aber dennoch als „königlicher Hofdemokrat und liberale Einmannopposition .“2 Als Wissenschaftler, Schriftsteller und preußischer Kammerherr beschäftigte sich Alexander von Humboldt in den unterschiedlichsten Kontexten mit den Themen Politik, Gesellschaft und Staat. Sein wissenschaftliches Werk basierte ebenso wie seine politischen Äußerungen auf einer ethischen Grundlage, die sich auf die Erkenntnisse der Aufklärung und die Ideen der Französischen Revolution stützte. So kritisierte er u.a. die Sklaverei in den spanischen Kolonien ebenso wie die Leibeigenschaft in Europa, setzte sich beim preußischen König für politisch Verfolgte wie die Göttinger Sieben ein und öffnete die von ihm reformierte Preußische Akademie der Wissenschaften für jüdische Gelehrte. Die wissenschaftlichen Reisen und die Zeit als „heimliche [r] deutsche[r] Gesandte[r]“3 in Paris machten ihn zu einem Kosmopoliten und Weltbürger, der auch globale Zusammenhänge thematisierte. Die vorliegende Dokumentation umfasst neuere Arbeiten, die sich mit diesen Aspekten beschäftigen , und stellt diese kurz vor. Ergänzt werden diese Zusammenfassungen durch eine Reihe von einschlägigen Zitaten Alexander von Humboldts. 2. Arbeiten 2.1. Andreas W. Daum: Alexander von Humboldt. München 2019 Der Historiker Andreas W. Daum ordnet das Leben Humboldts in seiner in der Reihe „Beck Wissen “ erschienenen Biographie in den Kontext eines revolutionären Zeitalters ein. Er skizziert darüber hinaus die Netzwerke und das Nachleben des Naturforschers. Nach Ansicht Daums habe Humboldt seine Grundüberzeugungen auch im politischen Kontext vertreten, es aber häufig aus diplomatischer Rücksicht vermieden, sich festzulegen. So habe Humboldt den preußischen König Friedrich Wilhelm III. zu den Kongressen in Aachen und Verona begleitet, die das System der Restauration stützten. Für den österreichischen Staatskanzler Metternich „blieb Humboldt dennoch ein ‚politisch schiefer Kopf‘.“ Daum hält dieses Bild für „durchaus treffend, denn Humboldt balancierte auf einer politischen Diagonalen. Seine Kritik an der kolonialen Ausbeutung in Südamerika und seine Nähe zu europäischen Liberalen hatten sich längst herumgesprochen“ (S. 81). An anderer Stelle hebt Daum Humboldts Rolle als Bezugsperson für die liberalen Kritiker der politischen Unterdrückung in Deutschland hervor. Diese Position war naheliegend, weil Humboldt für ein modernes naturwissenschaftliches Denken stand, das auch die gesellschaftliche Ordnung, 1 Vgl. beispielhaft Clemens Menze: Wilhelm von Humboldt. Denker der Freiheit. St. Augustin 1993. 2 Jürgen Osterhammel: Alexander von Humboldt. Historiker der Gesellschaft, Historiker der Natur. In: Archiv für Kulturgeschichte 81 (1999) 1, S. 105-131, hier: S. 109. 3 Ernst Plewe: Artikel „Humboldt, Alexander von“. In: Neue Deutsche Biographie 10 (1974), S. 33-43, online abrufbar unter: http://www.deutsche-biographie.de/pnd118554700.html (abgerufen am 25. Februar 2019). Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 001/19 Seite 5 ständische Traditionen und religiöse Glaubensbestände auf den Prüfstand stellte. Inwieweit Humboldt die Revolution von 1848/49 unterstützte oder die persönliche Loyalität gegenüber seinem Gönner Friedrich Wilhelm IV. wahrte, bleibt für Daum nicht eindeutig bestimmbar. Einerseits habe sich Humboldt wohl am 22. März 1848 dem Trauerzug für die „Märzgefallenen“ in erster Linie angeschlossen, um die aufgebrachten Revolutionäre zu beruhigen. Anderseits sei Humboldt für seine Grundüberzeugungen eingestanden, als die preußische Regierung in der folgenden Reaktionsdekade etwa die Glaubensfreiheit beschränken wollte. Dagegen sprach sich Humboldt ebenso öffentlich aus wie er sich für ein preußisches Anti-Sklaverei-Gesetz einsetzte. Abschließend würdigt Daum Humboldt als hellsichtigen Vordenker der Globalisierung: „Er setzte unterschiedliche intellektuelle und geographische Räume zueinander in Beziehung und zog somit neue Fäden um die Welt. Humboldt machte deutlich, dass dieses Verbinden ein nie endender Prozess ist, den wir heute als Globalisierung verstehen. Im Verknüpfen von unterschiedlichen Beobachtungen, Kulturen und Kontinenten und in seiner entgrenzenden Neugier bleibt Humboldt eine historische Gestalt, die uns zu Recht anspricht“ (S. 118). 2.2. Ottmar Ette (Hg.): Alexander von Humboldt-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung. Stuttgart 2018 Der Potsdamer Romanist Ottmar Ette stellt im Humboldt-Handbuch Beiträge verschiedener Experten zusammen, die sich dem Leben, Werk und der Wirkung Alexander von Humboldts widmen . Neben Artikeln zur Biographie und den Werken untersuchen die Autoren Humboldts Verhältnis zu verschiedenen Wissenschaftszweigen, zur Wissensvermittlung, Weggefährten und die vielfältige Rezeptionsgeschichte. Ette zufolge zielt das Handbuch darauf ab, „die viellogische Verbindung und Wechselwirkung der unterschiedlichen Betätigungsfelder Humboldts“ sichtbar zu machen: „Das Grundaxiom seiner Wissenschaft, der Humboldtschen Wissenschaft, könnte auch der Leitspruch dieses Handbuchs sein: ‚Alles ist Wechselwirkung‘.“(S. 1) Dementsprechend berühren mehrere Artikel Humboldts Verhältnis zum Liberalismus. Im Abschnitt „Ein Leben in Bewegung“ (S. 10-19) folgt Ette Humboldts Biographie, die er in drei Abschnitte einteilt. Er hebt dabei etwa den prägenden Einfluss durch die Französische Revolution hervor, der so weit ging, dass Humboldt sich selbst im hohen Alter noch als „trikoloren Lappen “ bezeichnete. Weiterhin erwähnt Ette die besonders hohe Wertschätzung, die Humboldt noch heute in Südamerika genießt, dessen enge Verbindung zu Frankreich und die diplomatischen Aktivitäten in Berlin und Paris. Nach Ettes Einschätzung stand der kosmopolitische Forscher „schlicht für das beste denkbare Preußen“. Er führt dies unter anderem darauf zurück, dass sich Humboldt „zu einem Intellektuellen avant la lettre entwickelte, […] [der sich,] bei aller gebotenen diplomatischen Zurückhaltung, wirkungsvoll für die Gleichberechtigung der Juden oder die Demokratisierung der Zivilgesellschaft, für die Verbreitung wissenschaftlich fundierten Wissens oder die Eröffnung neuer kultureller Horizonte einsetzte.“ Im Beitrag „Geschichtswissenschaft“ (S. 147-152) setzt sich Michael Zeuske unter anderem mit Humboldts Selbstbezeichnung als „Historiker Amerikas“ auseinander, die dieser mit dem Selbstverständnis verband, über Fakten aufzuklären und den „Begriffen Bestimmtheit [zu] geben.“ Zeuske hält das ‚Sklavenkapitel‘ in Humboldts Arbeit über Kuba für „das wichtigste liberale Manifest gegen die Sklaverei im 19. Jahrhundert“, wobei er darauf verweist, dass „liberal“ und „Liberalismus “ aus heutiger Sicht leicht missverstanden werden können. Im 19. Jahrhundert bezeichnete der Liberalismus nicht nur eine bestimmte Parteirichtung, sondern „eine revolutionäre Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 001/19 Seite 6 Denk- und Bewegungsform, die auf Befreiung des Individuums bzw. als soziale Liberale sogar aller Individuen durch Bildung, Antiklerikalismus und Revolution abhob.“ Im Artikel „Politik“ (S. 158-165) befasst sich Walther L. Bernecker mit den politisch-gesellschaftlichen Aspekten, um die Humboldts Analysen kreisten: das Kolonialsystem, die Sklaverei und die Unabhängigkeit Lateinamerikas. Die Kritik daran äußerte Humboldt sowohl in seinen politischen Essais als auch – weitaus expliziter – in seinen Briefen und Tagebuchaufzeichnungen. So hielt er fest, „‚daß die Idee der Kolonie selbst eine unmoralische ist‘ und dass ‚jede Kolonialregierung […] eine Regierung des Mißtrauens‘ sei“. Wie Bernecker zudem betont, habe Humboldt die Auffassung vertreten, dass die Freiheit und Gleichberechtigung der indigenen Bevölkerung Voraussetzung für ein prosperierendes Amerika sei. Dabei sei der Forscher zwar für die Abschaffung der Sklaverei eingetreten, sei jedoch „kein Revolutionär in Bezug auf die kolonialen Verhältnisse “ gewesen, sondern habe eine „gradualistische Veränderungsperspektive“ bevorzugt. In Bezug auf die Sklaverei fiel Humboldts Kritik vernichtend aus: „Ohne Zweifel ist die Sklaverei das größte aller Übel, welche die Menschheit gepeinigt haben.“ Bernecker beschreibt Humboldt auch in Bezug auf die Unabhängigkeit Lateinamerikas als Anhänger einer kontinuierlichen Reformpolitik . Grundsätzlich habe Humboldt die Unabhängigkeit der Kolonien zwar unterstützt, zugleich jedoch auch die großen Schwierigkeiten eines solchen Schrittes erkannt. Später habe er die nachkoloniale Ordnung gegen die europäischen Restaurationsversuche verteidigt und die innenpolitischen Maßnahmen der neuen Republiken (Rechtsgleichheit aller Rassen, Abschaffung der Sklaverei , Einführung eines individuellen Grundeigentums) begrüßt. 2.3. Ottmar Ette: Die Aktualität Alexander von Humboldts. Perspektiven eines Vordenkers für das 21. Jahrhundert. In: Études Germaniques 261 (2011) 1, S. 123-138 Ette beschäftigt sich in dem Beitrag mit der Aktualität Alexander von Humboldts im 21. Jahrhundert und überlegt dazu u.a., welche Konzeption des Humboldt-Forums dessen Vorstellungen entsprochen hätte. Aus Ettes Sicht entwickelte Humboldt ein besonderes „Weltbewusstsein“, das durch Mobilität und Relationalität geprägt war. So verglich er etwa die Sklaverei in den Kolonien mit der Leibeigenschaft in Europa, um seinem Publikum zu zeigen, „wieviel das so weit Entfernte mit Machtverhältnissen und Entwicklungen zu tun hatte, die im eigenen Erfahrungshorizont lagen. Eine solche Vorgehensweise zielte ab auf eine fundamentale Entprovinzialisierung des Denkens. Alles war für ihn mit allem weltweit verbunden.“ Humboldts Werk lasse sich als eine Antwort auf die zweite Phase beschleunigter Globalisierung verstehen, die in das Konzept einer Kosmopolitik mündete. Vor diesem Hintergrund resümiert Ette: „Die Beseitigung von Kolonialismus und Sklaverei sowie die Schaffung von Voraussetzungen für ein globales Zusammenleben bildeten die Eckpunkte einer Kosmopolitik, die sich der Unvollkommenheit, aber auch der Unabschließbarkeit ihrer Voraussetzungen bewußt und radikal zukunftsoffen war.“ 2.4. Nicolaas A. Rupke: Alexander von Humboldt. A Metabiography. Chicago 2008 In seiner Metabiografie untersucht der niederländische Wissenschaftshistoriker Nicolaas Rupke die biographiegeschichtliche Rezeption Humboldts von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart. Jede neue Epoche der politischen Geschichte Deutschlands habe bestimmte Werke und Ansichten des vielseitigen Wissenschaftlers in den Fokus gerückt und somit ihren ganz eigenen Humboldt entworfen. Rupke identifiziert in diesem Zusammenhang sechs verschiedene Humboldt-Bilder, die zeitgenössischen Vorstellungen und politischen Deutungen entsprachen. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 001/19 Seite 7 So beriefen sich zunächst die liberalen Aktivisten und Sympathisanten der Revolution von 1848/49 auf den Aufklärer und Humanisten. Sie betonten etwa seine Teilnahme am Trauerzug für die „Märzgefallenen“ und seine liberale Rolle am preußischen Königshof oder verwiesen auf Humboldts Eröffnungsrede anlässlich der Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte im Jahr 1828.4 Darüber hinaus erklärten sie etwa das – auf Deutsch verfasste – populäre Werk „Kosmos “ zu einem Meilenstein der „Volksbildung“ und rühmten dessen literarische Qualität. Während Humboldt nach der Reichsgründung zunächst aus dem Fokus der Öffentlichkeit rückte, entstanden im Wilhelminismus sowie nach dem Ersten Weltkrieg Humboldt-Versionen, die ihn zu einem Vorreiter der „Weltpolitik“ oder des Kulturnationalismus stilisierten. Nach 1933 versuchten auch die Nationalsozialisten Wilhelm und Alexander von Humboldt in Einklang mit den Zielen ihrer rassischen Überlegenheitsideologie zu bringen. Für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg unterstreicht Rupke, dass beide deutschen Staaten um die Deutungshoheit über Humboldt und dessen ideelles Erbe stritten: Während in der Bundesrepublik Humboldts nordatlantische Verbindungen zu den USA ebenso in den Blick rückten wie sein Philosemitismus und Kosmopolitismus , richtete sich das Interesse der Humboldt-Forschung in der DDR auf seine frühe Tätigkeit an der Freiberger Bergakademie, seine Sympathie mit den unterdrückten Völkern Lateinamerikas und die Verbindung mit Simón Bolivar und den Kampf gegen die Sklaverei. Wenn diese Humboldt -Version an Überzeugungskraft verlor, hatte dies Rupke zufolge weniger wissenschaftliche als politische Gründe: „When the Berlin Wall was breached on November 9, 1989, and the German Democratic Republic ceased to exist on October 3, 1990, Humboldt-the-Marxist died. It was an ignominious death, caused by political change, not by scholarly debate“ (S. 175). Nach der deutschen Wiedervereinigung habe sich wiederum ein neuer ‚Humboldt‘ etabliert, indem ihn aktuelle Biographien als Pionier supranationaler Informationsnetzwerke darstellen oder zum Unterstützer aktueller Anliegen vom Umweltschutz bis zur Emanzipation der Homosexuellen erklären. Abschließend hält Rupke fest, dass die Auseinandersetzung mit Humboldt sich stets als Feld geeignet habe, um über die „deutsche Identität“ zu diskutieren: „Humboldt’s life and work proved ideal as a national ‚agora,‘ shaping a discourse not only about the world abroad, but also at home, within Germany, between the German people and its royal rulers, between revolution and reaction , between science and the humanities, between the professional and the amateur approach, between fascism and communism, as well as between a nationalist and a cosmopolitan political philosophy“ (S. 206). Insgesamt plädiert der Autor dafür, die Zeitgebundenheit jeder Humboldt- Version zu akzeptieren: jede biographische Annäherung sei unausweichlich „presentist, partisan, political“ (S. 216). 4 Siehe das Zitat in Abschnitt 3.3. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 001/19 Seite 8 3. Zitate 3.1. Über die Sklaverei Eintrag im Reisetagebuch vom 4. März 18035 „Die Sklaverei ist auf einer Unmoral aufgebaut, die Regierung fürchtet, diejenigen Menschen ihrer ‚heiligsten Rechte‘ zu berauben, deren Hautfarbe nicht schwarz ist […]. Eine Regierung hat nicht das Recht, die Unmoral zu billigen, welche schönen Vernunftgründe man sich auch erlauben mag, um den gesunden Sinn zu verirren.“ Versuch über den politischen Zustand der Insel Cuba, 18266 „Nirgends muß sich ein Europäer mehr schämen ein solcher zu sein, als auf den Inseln, seien es französische, seien es englische, seien es dänische, seien es spanische. Sich darüber streiten, welche Nation die Schwarzen mit mehr Humanität behandelt, heißt, sich über das Wort Humanität lustig machen.“ Öffentliche Beschwerde über die eigenmächtige Streichung des Antisklavereikapitels in einer englischen Ausgabe des Kuba-Buches 18467 „Jetzt eben erscheint, sonderbar genug, aus der spanischen Ausgabe und nicht aus dem französischen Original übersetzt, in New-York in der Buchhandlung von Derby und Jackson ein Octavband von 400 Seiten unter dem Titel: The Island of Cuba, by Alexander Humboldt. With nates and a preliminary Essay b y l S. Thrasher. Der Uebersetzer, welcher lange auf der schönen Insel gelebt, hat mein Werk durch neuere Thatsachen über den numerischen Zustand der Bevölkerung, der Landescultur und der Gewerbe bereichert, und überall in der Discussion über entgegengesetzte Meinungen eine wohlwollende Mäßigung bewiesen. Ich bin es aber einem inneren moralischen Gefühle schuldig, das heute noch eben so lebhaft ist, als im Jahr 1826, eine Klage darüber öffentlich auszusprechen, daß in einem Werke, welches meinen Namen führt, das ganze 7te Capitel der spanischen Uebersetzung [...] eigenmächtig weggelassen worden ist. Auf diesen Theil meiner Schrift lege ich eine weit größere Wichtigkeit als auf die mühevollen Arbeiten astronomischer Ortsbestimmungen, magnetischer Intensitäts-Versuche oder statistischer Angaben. [...] Ein beharrlicher Vertheidiger der freiesten Meinungsäußerung in Rede und Schrift, würde ich mir selbst nie eine Klage erlaubt haben, wenn ich auch mit großer Bitterkeit wegen meiner Behauptungen angegriffen würde; aber ich glaube dagegen auch fordern zu dürfen, daß man in den freien Staaten des Continents von Amerika lesen könne, was in der spanischen Uebersetzung seit dem ersten Jahre des Erscheinens hat circuliren dürfen.“ 5 Zit. nach Alexander von Humboldt-Handbuch, S. 161. 6 Zit. nach ebd. 7 Zit. nach: ebd., S. 87f. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 001/19 Seite 9 3.2. Über Kolonialismus und Rassismus: Versuch über den politischen Zustand des Königreichs Neu-Spanien, 18128 „[D]as Glück der Weißen [ist] aufs innigste mit dem der kupferfarbigen Rasse verbunden […], und daß es in beiden Amerikas überhaupt kein dauerndes Glück geben wird als bis diese, durch die lange Unterdrückung zwar gedemütigte, aber nicht erniedrigte Rasse alle Vorteile teilt, welche aus den Fortschritten der Zivilisation und den Vervollkommnungen der gesellschaftlichen Ordnung hervorgehen.“ Reise in die Äquinoktial-Gegenden des Neuen Kontinents, 18269 „Freylich muß nach großen Umwälzungen der menschlichen Gesellschaften das Staatsvermögen, welches ein Gemeingut der Gesittung ist, zwischen den Völkerschaften beyder Halbkugeln sich ungleich vertheilt finden; allein nach und nach stellt das Gleichgewicht sich her, und es wäre ein verderbliches, ich möchte beynahe sagen gottloses Vorurtheil, im zunehmenden Wohlstand irgend einer andern Gegend unsers Planeten den Untergang oder das Verderben des alten Europa erblicken zu wollen. Die Unabhängigkeit der Kolonien wird keineswegs ihre Trennung und Absonderung befördern, sondern vielmehr sie den Völkern früherer Gesittung annähern. Der Handelsverkehr strebt dasjenige zu vereinbaren, was eine eifersüchtige Staatskunst lange Zeit getrennt hielt. Und mehr noch: es liegt in der Natur der Gesittung, daß sie vorwärts schreitet, ohne darum da zu erlöschen, wo sie zuerst entstanden war. Ihre fortschreitende Bewegung von Ost nach West, von Asien nach Europa, beweist nichts gegen diese Behauptung. Eine helle Lichtflamme behält ihren Glanz, auch wenn sie einen größeren Raum erleuchtet. Die intellectuelle Bildung , diese fruchtbare Quelle des Nationalreichthums, theilt sich überall hin mit und dehnt sich aus ohne deßhalb den Ort zu ändern.“ Kosmos. Versuch einer physischen Weltbeschreibung, 184510 „Indem wir die Einheit des Menschengeschlechtes behaupten, widerstreben wir auch jeder unerfreulichen Annahme von höheren und niederen Menschenracen. […] ‚Wenn wir eine Idee bezeichnen wollen, die durch die ganze Geschichte hindurch in immer mehr erweiterter Geltung sichtbar ist, wenn irgend eine die vielfach bestrittene, aber noch vielfacher mißverstandene Vervollkommnung des ganzen Geschlechtes beweist, so ist es die Idee der Menschlichkeit: das Bestreben , die Grenzen, welche Vorurtheile und einseitige Ansichten aller Art feindselig zwischen die Menschen gestellt, aufzuheben, und die gesammte Menschheit, ohne Rücksicht auf Religion, Nation und Farbe, als Einen großen, nahe verbrüderten Stamm, als ein zur Erreichung Eines Zweckes , der freien Entwicklung innerlicher Kraft,bestehendes Ganzes zu behandeln‘“. 8 Zit. nach: ebd., S. 159f. 9 Alexander von Humboldt/Aimé Bonpland: Reise in die Aequinoctial-Gegenden des Neuen Continents in den Jahren 1799, 1800, 1801, 1802, 1803, 1804 und 1805. Teil V, Stuttgart 1826, S. 103f. 10 Alexander von Humboldt, Kosmos. Versuch einer physischen Weltbeschreibung, Bd. 1., Stuttgart 1845, S. 385; Alexander zitiert hier ausführlich seinen Bruder Wilhelm. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 001/19 Seite 10 3.3. Über Deutschland, die Revolution von 1848 und Pazifismus Rede zur Eröffnung der Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte in Berlin 182811 „Sie haben aussprechen wollen, daß ich in vieljähriger Abwesenheit, selbst in einem fernen Welttheile, nach gleichen Zwecken mit Ihnen hinarbeitend, Ihrem Andenken nicht fremd geworden bin. Sie haben meine Rückkunft gleichsam begrüßen wollen, um durch die heiligen Bande des Dankgefühls mich länger und inniger an das gemeinsame Vaterland zu fesseln. Was aber kann das Bild dieses gemeinsamen Vaterlandes erfreulicher vor die Seele stellen, als die Versammlung, die wir heute zum ersten Male in unsern Mauern empfangen. Von dem heitern Neckar-Lande, wo Kepler und Schiller geboren wurden, bis zu dem letzten Saume der baltischen Ebenen; von diesen bis gegen den Ausfluß des Rheins, wo, unter dem wohlthätigen Einflusse des Welthandels, seit Jahrhunderten, die Schätze einer exotischen Natur gesammelt und erforscht wurden, sind, von gleichem Eifer beseelt, von einem ernsten Gedanken geleitet, Freunde der Natur zu diesem Vereine zusammengeströmt. Überall, wo die deutsche Sprache ertönt, und ihr sinniger Bau auf den Geist und das Gemüth der Völker einwirkt; von dem hohen Alpengebirge Europa 's, bis jenseits der Weichsel, wo, im Lande des Copernicus, die Sternkunde sich wieder zu neuem Glanz erhoben sieht; überall in dem weiten Gebiete deutscher Nation, nennen wir unser jedes Bestreben, dem geheimen Wirken der Naturkräfte nachzuspüren, sei es in den weiten Himmels -Räumen, dem höchsten Problem der Mechanik, oder in dem Innern des starren Erdkörpers, oder in dem zartgewebten Netze organischer Gebilde. Von edlen Fürsten beschirmt, hat dieser Verein alljährig an Interesse und Umfang zugenommen. Jede Entfernung, welche Verschiedenheit der Religion und bürgerlicher Verfassung erzeugen könnten, ist hier aufgehoben. Deutschland offenbart sich gleichsam in seiner geistigen Einheit; und, wie Erkenntniß des Wahren und Ausübung der Pflicht der höchste Zweck der Sittlichkeit sind; so schwächt jenes Gefühl der Einheit keine der Banden, welche jedem von uns Religion, Verfassung und Gesetze der Heimath theuer machen. Eben dies gesonderte Leben der deutschen Nation, dieser Wetteifer geistiger Bestrebungen, riefen (so lehrt es die ruhmvolle Geschichte des Vaterlandes) die schönsten Blüthen der Humanität, Wissenschaft und Kunst, hervor.“ Brief an François de Arago, 9. November 184912 „Das Jahr 1849 ist das Jahr der Reaktionen. Nachdem man 1789 begrüßt hat, bei zahlreichen politischen Dramen zugegen war (Monarchie und Fürstenrepublik), bedauert man als Achtzigjähriger , sich auf die banale Hoffnung beschränkt zu wissen, dass der vornehme und brennende Wunsch, freie Institutionen zu erhalten, in den Massen weiter bestehen möge, dass er zwar scheinbar und periodisch eingeschlummert scheint, aber doch ewig ist wie das elektromagnetische Gewitter, das in der Sonne glänzt.“ 11 Alexander von Humboldt: Rede, gehalten bei der Eröffnung der Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte in Berlin, am 18. September 1828. Berlin 1828, S. 3f. 12 Zit. nach: Lionel Richard: Humboldt ein französisch-preußischer Gelehrter. In: Ottmar Ette u.a. (Hg.): Alexander von Humboldt – Aufbruch in die Moderne. Berlin 2001, S. 227-246, hier: S. 239. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 001/19 Seite 11 Grußwort an den internationalen Friedenskongress in Frankfurt a. M., 185013 „Ich bedauere, daß ich durch meine persönliche Lage, durch ein hohes Alter und die daraus entspringende Mahnung, angefangene Arbeit bald zu vollenden gehindert bin, einer Versammlung beizuwohnen, die nach einem edlen Zwecke hinstrebt und dazu mir den Genuß verschafft haben würde, mit vielen, durch Talent und Gesinnung ausgezeichneten Männern in näheren Verkehr zu treten. Ich habe dieses Bedauern bereits mündlich ausgedrückt, als ich vor wenigen Wochen die Freude hatte, mich mit den Herren Henry Richard Elihu Burritt und Vischers über den Einfluß zu unterhalten, den Ihre Gesellschaft auszuüben hoffen darf. Der lange äußere Friede, den unser Kontinent genossen, und die lobenswerthe Bemühung vieler Regierungen, die oft drohende Gefahr eines europäischen Völkerkrieges abzuwenden, zeigen an, daß die Ideen, welche Sie vorzugsweise beschäftigen, den immer allgemeiner verbreiteten und durch den wachsenden Kulturzustand der Menschheit hervorgerufenen Gefühlen entsprechen. Es ist ein nützlicher Versuch solche Gefühle durch öffentliche Unterhaltungen über das Gemeinwohl zu beleben, zugleich den Weg zu bezeichnen, auf dem durch weise Leitung und aufrichtigen Willen der Leitenden die fortschreitende gesetzmäßige Entwickelung und Vervollkommnung freier Institutionen lang aufgehäufte Elemente des Unfriedens schwächen können Wie Milderung der Sitte und gebesserte Ordnung in dem Staatsorganismus den wiederholten rohen Ausbruch der Gewalt in engern Kreisen vermindert haben, bezeugt die Vergleichung des frühesten Mittelalters und der späteren Zeiten. Die ganze Vergangenheit lehrt, wie unter dem Schutze eines höhern Waltens, in dem Leben der Völker eine langgenährte Sehnsucht, auf einen edlen Zweck gerichtet, doch endlich ihre Befriedigung findet. Ist nicht eine schmachvolle Menschenhandel und Sklaverei duldende ja begünstigende Gesetzgebung wenigstens in unserem Welttheile und dem unabhängig gewordenen spanischen Amerika den vereinten Bemühungen der Besseren gewichen? Es darf die Hoffnung nicht aufgegeben werden, daß die Bahn sich eröffne, auf welcher feindliche Scheidungsgränzen und einengende Gliederung allmählich verschwinden. Die ganze Weltgeschichte lehrt, um mich des Ausdrucks eines längst hingeschiedenen Staatsmannes zu bedienen, ‚wie die Idee der Menschlichkeit durch den Lauf der Jahrhunderte in immer mehr erweiterter Geltung sichtbar wird und ihre belebende Kraft verkündigt.‘“ 13 Verhandlungen des dritten allgemeinen Friedenscongresses, gehalten in der Paulskirche zu Frankfurt a. M. am 22., 23. und 24. August 1850. Frankfurt a.M. 1851, S. 74. Wissenschaftliche Dienste Dokumentation WD 1 - 3000 - 001/19 Seite 12 4. Anhang Auszug Daum, Humboldt, S. 105-118 Auszug Alexander von Humboldt-Handbuch, S. 10-19; 158-165 Ette, Die Aktualität Alexander von Humboldts Auszug Rupke, Humboldt, S. 29-54; 141-206 ***