Deutscher Bundestag Das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union, Kolumbien und Peru Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 11 – 3000 – 63/12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 63/12 Seite 2 Das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union, Kolumbien und Peru Aktenzeichen: WD 11 – 3000 – 63/12 Abschluss der Arbeit: 5. April 2012 Fachbereich: WD 11: Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 63/12 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Allgemeines zum Abschlussverfahren eines Handelsabkommens gem. Artikel 207 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union 4 2.1. Verhandlungsphase 5 2.2. Unterzeichnung und Abschlussphase 6 3. Aushandlung und Abschluss „gemischter Abkommen“ 7 4. Einzelfragen 8 4.1. Die Ablehnung der Ratifizierung durch einen EU-Mitgliedstaat und ihre Auswirkungen auf das Zustandekommen des Abkommens. 8 4.2. Auf welcher rechtlichen Basis kann die Kommission die vorläufige Implementierung von Teilen des Abkommens herbeiführen, welche die Gemeinsame Handelspolitik betreffen? 8 4.3. Die Unterrichtungsmodalitäten durch die Kommission über den endgültigen Wortlaut des Abkommens vor seiner Paraphierung 9 4.3.1. Hintergrund 9 4.3.2. Rechtliche Beurteilung 10 4.3.3. Fazit 11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 63/12 Seite 4 1. Einleitung Auf dem EU-Lateinamerika-Gipfel am 18. Mai 2010 in Madrid gaben die Europäische Union (EU), Peru und Kolumbien den Abschluss der Verhandlungen über ein multilaterales Freihandelsabkommen bekannt. Der Wortlaut des Abkommens wurde zunächst durch die Kommission technisch und juristisch überprüft und schließlich am 23. März 2011 paraphiert. Der ausgehandelte Vertragstext wurde am 22. September 2011 zur weiteren Beschlussfassung dem Europäischen Parlament und dem Rat übermittelt. Mithilfe des Freihandelsabkommens sollen bestehende Marktzugangshindernisse für europäische Unternehmen in Lateinamerika abgebaut und mögliche Wettbewerbsnachteile beim Marktzugang gegenüber anderen Ländern (insbes. USA, China, Kanada) verhindert werden. Es enthält insbesondere Regelungen für die Bereiche Warenhandel, Dienstleistungen, Investitionen, Wettbewerb sowie Streitschlichtung. Zugleich sollen auch Sozial- und Umweltstandards aufgestellt werden, welche inhaltlich über die derzeitige WTO-Agenda hinausgehen. Unklarheit bestand zunächst über die Frage, ob das Freihandelsabkommen in die alleinige Zuständigkeit der EU fällt oder ob es sich um ein gemischtes Abkommen handelt, welches sowohl durch die EU als auch ihre Mitgliedstaaten zu unterzeichnen und abzuschließen ist. Mittlerweile gehen jedoch der Rat und auch die Kommission davon aus, dass es sich bei dem multilateralen Vertrag zwischen der EU, Kolumbien und Peru um ein gemischtes Abkommen handelt. Im Folgenden wird zunächst das allgemeine Verfahren zum Abschluss eines Handelsabkommens nach Art. 207 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) dargestellt und die sich bei Abschluss eines „gemischten Abkommens“ ergebenden verfahrensmäßigen Unterschiede skizziert. Im Anschluss soll auf einige Einzelfragen zum Abkommen eingegangen werden, welche die rechtliche Folge des Ausbleibens der Ratifikation durch einen Mitgliedstaat, seine vorläufige Anwendbarkeit, und die Berichtspflicht der Kommission vor der Paraphierung des Abkommens betreffen. 2. Allgemeines zum Abschlussverfahren eines Handelsabkommens gem. Artikel 207 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union1 Die EU ist mit vielen Staaten durch bilaterale oder multilaterale völkerrechtliche Verträge verbunden . Viele dieser Verträge enthalten handelspolitische Regelungen. Nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon liegt die Handelspolitik ausdrücklich in der ausschließlichen Kompetenz der EU (Art. 3 Abs. 1 lit. e AEUV). In den Bereichen ausschließlicher Kompetenz der EU dürfen die Mitgliedstaaten grundsätzlich nicht mehr tätig werden (Sperrwirkung (Art. 2 Abs. 1 AEUV)); dies betrifft auch den Abschluss völkerrechtlicher Verträge in diesem Bereich.2 Die ausschließliche Kompetenz im Bereich Handelspolitik umfasst nach dem Vertrag von Lissabon auch 1 Die Ausführungen zu den Punkten 2. und 3. entstammen in Teilen der Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 266/10 vom 5. Januar 2011 2 Siehe hierzu Streinz/Ohler/Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, 3. Auflage 2010, S. 107. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 63/12 Seite 5 den Abschluss völkerrechtlicher Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen, die Handelsaspekte des geistigen Eigentums sowie die ausländischen Direktinvestitionen (vgl. Art. 207 Abs. 1 AEUV). Das Verfahren zum Abschluss eines Handelsabkommens stellt sich wie folgt dar: 2.1. Verhandlungsphase Der Kommission kommt im Hinblick auf die Aushandlung und den Abschluss von völkerrechtlichen Abkommen, die die gemeinsame Handelspolitik betreffen, eine zentrale Rolle zu. Nach Art. 207 Abs. 3 UAbs. 2 AEUV ermächtigt der Rat – auf Empfehlung der Kommission – die Kommission zur Aufnahme von Vertragsverhandlungen (Verhandlungsmandat). In diesem Rahmen führt die Kommission die Verhandlungen mit den Drittstaaten bzw. internationalen Organisationen, bis ein authentifizierter Vertragstext vorliegt.3 Sie ist dabei an eventuell vom Rat vorgegebene Richtlinien gebunden (Art. 207 Abs. 3 UAbs. 3 S. 1 AEUV). Die Kommission muss die Verhandlungen im Benehmen mit einem besonderen Ausschuss führen (Art. 207 Abs. 3 UAbs. 3 S. 1 AEUV). Der Ausschuss besteht aus Vertretern der Mitgliedstaaten 4 und bringt die Standpunkte des Rates und der Mitgliedstaaten zur Geltung.5 Der Ausschuss soll sicher stellen, dass Kommission und Rat trotz ihrer unterschiedlichen Kompetenzen nach außen koordiniert auftreten und die Kommission nur solche Verträge aushandelt, die vom Rat getragen werden können.6 Die Kommission ist sowohl gegenüber diesem Ausschuss als auch gegenüber dem Europäischen Parlament zur Berichterstattung verpflichtet (Art. 207 Abs. 3 UAbs. 3 S. 2 AEUV). Der Rat beschließt die Erteilung des Verhandlungsmandats, die Verhandlungsrichtlinien und die Einsetzung des besonderen Ausschusses grundsätzlich mit qualifizierter Mehrheit (Art. 207 Abs. 4 UAbs. 1 AEUV). Einstimmigkeit ist in den Fällen des Art. 207 Abs. 4 UAbs. 3 AEUV und bei gemischten Abkommen erforderlich (hierzu Ziffer 3).7 Grundsätzlich ist damit schon zum Zeitpunkt der Erteilung des Verhandlungsmandates eine erste Entscheidung zu treffen, auf welche unionsrechtliche Ermächtigungsgrundlage der Vertragsschluss gestützt werden soll, da sich die notwendigen Mehrheitsverhältnisse im Rat danach richten.8 Die Einschätzung bzgl. der zutref- 3 Khan, in: Geiger/Khan/Kotzur (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Auflage 2010, Art. 207 AEUV, Rdnr. 22. 4 Der Ausschuss besteht aus Spitzenbeamten der nationalen Außenhandelsverwaltungen (Wirtschaftsministerien, u.ä.) und wird gem. Art. 207 Abs. 3 Uabs. 3 AEUV vom Rat bestellt. Bollrath, Die Vertragsschlusskompetenz der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Gemeinsamen Handelspolitik, 2008, S. 61, Fn. 189; Osteneck, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2. Auflage 2009, Art. 133 EGV, Rdnr. 32. 5 Khan, in: Geiger/Khan/Kotzur (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Auflage 2010, Art. 207 AEUV, Rdnr. 23. 6 Bourgeois, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, 6. Auflage 2003, Art. 133 EGV, Rdnr. 60. 7 Schmalenbach, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 4. Auflage 2011, Art. 218 AEUV, Rdnr. 28 f.. 8 Schmalenbach, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 4. Auflage 2011, Art. 218 AEUV, Rdnr. 11. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 63/12 Seite 6 fenden unionsrechtlichen Ermächtigungsgrundlagen kann sich bei den nachfolgenden Beschlüssen des Rates abhängig von den Ergebnissen der Verhandlungen jedoch ändern. Die Verhandlungen werden in der Regel durch die Paraphierung des Abkommens, d. h. die Feststellung der endgültigen Vertragstexte, durch die Kommission abgeschlossen.9 2.2. Unterzeichnung und Abschlussphase Für die Unterzeichnung des Abkommens ist nach Art. 207 Abs. 3 UAbs. 1 i.V.m. Art. 218 Abs. AEUV ein zweiter Ratsbeschluss erforderlich. Mit Unterzeichnung ist dabei noch nicht die völkerrechtlich verbindliche Annahme gemeint. Die Unterschrift erfolgt unter dem Vorbehalt der Annahme des Abkommens später auf andere Weise (insbesondere durch Austausch oder Hinterlegung von Ratifikationsurkunden, Artikel 13, 14 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge10).11 Der Beschluss über die Unterzeichnung ergeht auf Vorschlag der Kommission und genehmigt die Unterzeichnung und ggf. die vorläufige Anwendung vor dem Inkrafttreten.12 Die notwendigen Mehrheitsverhältnisse für den Genehmigungsbeschluss entsprechen denjenigen für den Ermächtigungsbeschluss. Schließlich ist ein dritter Ratsbeschluss erforderlich, auf dessen Grundlage die EU den anderen Vertragspartnern förmlich ihre Absicht übermittelt, durch den Vertrag gebunden zu sein (Art. 207 Abs. 3 UAbs. 1 i.V.m. Art. 218 Abs. 6 AEUV). Der Rat entscheidet wiederum auf Vorschlag der Kommission in der Form eines Beschlusses.13 Gem. Art. 207 Abs. 4 UAbs. 1 AEUV erfolgt die Beschlussfassung im Rat über Handelsabkommen in der Regel so wie auch bei den ersten beiden Beschlüssen – mit qualifizierter Mehrheit. Einstimmigkeit im Rat ist erforderlich in den Bereichen Dienstleistungsverkehrs, des geistigen Eigentums und der ausländischen Direktinvestitionen , wenn das betreffende Abkommen Bestimmungen enthält, wenn entsprechende interne Vorschriften auch einstimmig beschlossen werden müssen (Art. 207 Abs. 4 UAbs. 2) und – unter bestimmten Voraussetzungen – für Abkommen in den Sektoren Kultur, Audiovisuelles, Soziales, Bildung und Gesundheit (Art. 207 Abs. 4 UAbs. 3 AEUV).14 Das Europäische Parlament ist am 9 Bollrath, Die Vertragsschlusskompetenz der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Gemeinsamen Handelspolitik, 2008, S. 60; Müller-Ibold, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EU-Verträge, 5. Auflage 2010, Art. 218 AEUV, Rdnr. 3. 10 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge, BGBl. 1985 II S. 926. 11 Müller-Ibold, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EU-Verträge, 5. Auflage 2010, Art. 218 AEUV, Rdnr. 4. 12 Handelt es sich bei dem zu schließenden Abkommen um ein Abkommen, das gemäß Art. 12 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge, BGBl. 1985 II S. 926, durch (bloße) Unterzeichnung völkerrechtlich verbindlich wird, so fallen Unterzeichnungsbeschluss und der Annahmebeschluss in einem Akt zusammen . In diesem Fall muss der Rat unmittelbar die Annahme nach Art. 218 Abs. 6 AEUV beschließen. S. Müller- Ibold, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EU-Verträge, 5. Auflage 2010, Art. 218 AEUV, Rdnr. 4. 13 Vgl. Terhechte, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2. Auflage 2009, Art. 300 EGV, Rdnr. 19; Müller-Ibold, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EU-Verträge, 5. Auflage 2010, Art. 218 AEUV, Rdnr. 5. 14 Vgl. zu diesen Tatbeständen im Einzelnen: Pitschas, Der Handel mit Dienstleistungen, in: Herrmann /Krenzler/Streinz (Hrsg.), Die Außenwirtschaftspolitik der Europäischen Union nach dem Verfassungsvertrag , 2006, S. 99 (109 ff.). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 63/12 Seite 7 Annahmebeschluss zu beteiligen15: Bestimmte – in diesem Kontext relevante – Beschlüsse dürfen nur nach Zustimmung des Europäischen Parlaments erlassen werden: Assoziierungsabkommen und Übereinkünfte in Bereichen, für die entweder das ordentliche Gesetzgebungsverfahren oder, wenn die Zustimmung des Europäischen Parlaments erforderlich ist, das besondere Gesetzgebungsverfahren gilt (Art. 207 Abs. 3 UAbs. 1 i.V.m. Art. 218 Abs. 6 UAbs. 2 lit. a i) und v) AEUV). Anderenfalls ist das Europäische Parlament jedenfalls anzuhören (Art. Art. 218 Abs. 6 UAbs. 2 lit. b AEUV). 3. Aushandlung und Abschluss „gemischter Abkommen“ Unter „gemischten Verträgen bzw. Abkommen“ versteht man völkerrechtliche Abkommen, die die EU unter Mitwirkung der Mitgliedstaaten auf der Grundlage von Unions- wie auch mitgliedstaatlichen Kompetenzen abschließt.16 Ein „gemischtes Abkommen“ muss obligatorisch dann geschlossen werden, wenn die Abkommensmaterie sowohl Zuständigkeitsbereiche der EU als auch Bereiche betrifft, die in die ausschließliche Kompetenz der Mitgliedstaaten fallen.17 Es gibt aber auch Fälle von fakultativ gemischten Abkommen.18 Insbesondere wird in der Praxis auch über den rechtlich gebotenen Rahmen hinaus auf gemischte Abkommen zurückgegriffen, da die Mitgliedstaaten ein politisches Interesse daran erkennen lassen, als Völkerrechtssubjekte nicht völlig in den Hintergrund zu treten .19 Im Verhandlungsverfahren bei „gemischten Abkommen“ entsteht das Problem, dass die EU und die Mitgliedstaaten ihre Kompetenzen rein dogmatisch getrennt wahrnehmen müssten und demzufolge auch den Vertrag getrennt auszuhandeln hätten. Eine trennscharfe Abgrenzung der Kompetenzbereiche ist jedoch oftmals nicht möglich, so dass zwingend eine Abstimmung zwischen 15 Die Mitwirkungsrechte des Europäischen Parlaments nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon sind nicht eindeutig geregelt. Vgl. zum Diskussionsstand in der Literatur: Streinz/Ohler/Herrmann, Der Vertrag von Lissabon zur Reform der EU, 3. Auflage 2010, S. 153; Boysen/Oeter, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht , Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2. Auflage 2010, § 32, Rdnr. 24. 16 Vgl. Vranes, Gemischte Abkommen und die Zuständigkeit des EuGH – Grundlagen und neuere Entwicklungen in den Außenbeziehungen, Europarecht (EuR) 2009, S. 44 (44). 17 Bollrath, Die Vertragsschlusskompetenz der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Gemeinsamen Handelspolitik, 2008, S. 63; Schmalenbach, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2007, Art. 300 EGV, Rdnr. 30; Bungenberg, Going Global? The EU Common Commercial Policy after Lisbon, in: Herrmann/Terhechte (Hrsg.), European Yearbook of International Economic Law 2010, S. 123 (133). 18 Hierzu im Einzelnen: Bollrath, Die Vertragsschlusskompetenz der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Gemeinsamen Handelspolitik, 2008, S. 63; Terhechte, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2. Auflage 2009, Art. 300 EGV, Rdnr. 12. 19 Terhechte, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2. Auflage 2009, Art. 300 EGV, Rdnr. 12. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 63/12 Seite 8 Mitgliedstaaten und EU erfolgen muss.20 In der Praxis wird daher häufig auch bei „gemischten Abkommen“ der Kommission die Verhandlungskompetenz insgesamt übertragen.21 „Gemischte Abkommen“ der EU und der Mitgliedstaaten, die auch Handelspolitik betreffen, werden seitens der EU ebenfalls im Verfahren nach Art. 207 i.V.m. Art. 218 AEUV (s.o.) geschlossen . Bei gemischten Abkommen beschließt jedoch der Rat einstimmig.22 4. Einzelfragen 4.1. Die Ablehnung der Ratifizierung durch einen EU-Mitgliedstaat und ihre Auswirkungen auf das Zustandekommen des Abkommens. Bei dem Abschluss und der Inkraftsetzung eines gemischten Abkommens finden aufgrund der gemeinsamen Beteiligung von EU und den Mitgliedstaaten sowohl das Abschlussverfahren nach Art. 207 Abs. 3 i. V. m. 218 AEUV als auch das jeweilige nationale Verfassungsrecht Anwendung. Die Abkommen sind insoweit von jedem Mitgliedstaat separat zu ratifizieren, da die Mitgliedstaaten nicht nur indirekt über die EU, sondern auch unmittelbar in ihrer Eigenschaft als Völkerrechtssubjekte Vertragsparteien des gemischten Abkommens werden.23 Parallel wurde auf Seiten der EU die Praxis entwickelt, vor der Unterzeichnung eines gemischten Abkommens erst die Ratifikation durch alle Mitgliedstaaten abzuwarten, um unvollständige Abschlüsse zu vermeiden.24 Hieraus ergibt sich auch für das vorgenannte gemischte Freihandelsabkommen EU-Kolumbien / Peru, dass dieses nicht in Kraft treten kann, solange ein Mitgliedstaat die Ratifikation des Abkommens verweigert. 4.2. Auf welcher rechtlichen Basis kann die Kommission die vorläufige Implementierung von Teilen des Abkommens herbeiführen, welche die Gemeinsame Handelspolitik betreffen? Das unionsinterne Verfahren zur Herbeiführung der vorläufigen Anwendbarkeit eines noch nicht ratifizierten Abkommens ist in Art. 218 Abs. 5 AEUV geregelt. Demnach muss der Rat auf Vorschlag des Verhandlungsführers auf Seiten der EU25 einen Beschluss erlassen, mit dem die vorläufige Anwendung des Abkommens (oder von einzelnen Abschnitten) genehmigt wird. Eine 20 Lorenzmeier, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, EL 43, März 2011, Art. 218 AEUV, Rdnr. 51. 21 Vgl. Lorenzmeier, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, EL 43, März 2011, Art. 218 AEUV, Rdnr. 55. 22 Schmalenbach, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 4. Auflage 2011, Art. 218 EGV, Rdnr. 29. 23 Sattler, Gemischte Abkommen und gemischte Mitgliedschaften der EG und ihrer Mitgliedstaaten, Unter besonderer Berücksichtigung der WTO, 2007, S. 137. 24 Kaiser, Gemischte Abkommen im Lichte bundesstaatlicher Erfahrungen, 2009, S. 83. 25 Der Verhandlungsführer ist abhängig vom Inhalt des jeweiligen Abkommens entweder die Kommission oder der Hohe Vertreter für die Außen- und Sicherheitspolitik, vgl. Art. 218 Abs. 3 AEUV. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 63/12 Seite 9 Mitwirkung des Europäischen Parlaments in dem Verfahren erfolgt nicht; es ist jedoch nach Art. 218 Abs. 10 AEUV über das Vorhaben zu informieren. Durch die vorläufige Anwendung eines Vertrages bzw. einzelner Vertragsteile werden gegenüber den Vertragspartnern, die diese Erklärung ebenfalls abzugeben haben, völkerrechtliche Rechte und Pflichten noch vor dem Inkrafttreten des Abkommens begründet.26 Der vorläufige Text des Freihandelsabkommens EU-Kolumbien/Peru trifft in diesem Zusammenhang in Art. 330 Abs. 3 folgende Regelung:27 „[D]ie Vertragsparteien [können] dieses Übereinkommen ganz oder teilweise vorläufig anwenden. Jede Vertragspartei notifiziert dem Verwahrer und allen anderen Vertragsparteien den Abschluss der für die vorläufige Anwendung dieses Übereinkommens erforderlichen internen Verfahren. Die vorläufige Anwendung dieses Übereinkommens zwischen der EU und einem unterzeichnenden Andenstaat beginnt am ersten Tag des Monats, der auf den Tag folgt, an dem die EU und der jeweilige unterzeichnende Andenstaat die letzte Notifikation beim Verwahrer hinterlegt haben.“ Bezogen auf die Ausgangsfrage kann die Kommission somit als EU-Verhandlungsführer nach dem in Art. 218 Abs. 5 AEUV geregelten Verfahren dem Rat den Vorschlag unterbreiten, einen Beschluss zu erlassen, mit dem die Regelungen im Freihandelsabkommen EU-Kolumbien/Peru welche der Gemeinsamen Handelspolitik zuzuordnen sind, vorläufig anzuwenden sind. Weitere nationale Umsetzungsmaßnahmen wären aufgrund der ausschließlichen Zuständigkeit der EU auf dem Gebiet der Gemeinsamen Handelspolitik nicht erforderlich. 4.3. Die Unterrichtungsmodalitäten durch die Kommission über den endgültigen Wortlaut des Abkommens vor seiner Paraphierung 4.3.1. Hintergrund Die Kommission hat gemäß Art. 207 Abs. 3 bzw. Art. 218 Abs. 4 AEUV die Aushandlung von Regelungen in einem Abkommen, welche die Gemeinsame Handelspolitik betreffen, im Benehmen mit einem zu ihrer Unterstützung vom Rat bestellten Sonderausschuss zu führen und diesen regelmäßig über den Stand der Verhandlungen zu unterrichten (siehe oben unter 2.1.). Nach dem Gutachten des juristischen Dienstes des Rates vom 11. April 201128 (Gutachten) wurde die Kommission während der Verhandlungen über das Freihandelsabkommen EU- Kolumbien/Peru durch den vom Rat beauftragten Ausschuss für Handelspolitik unterstützt. 26 Schmalenbach, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 4. Auflage 2011, Art. 218 AEUV, Rdnr. 6. 27 Der Vertragstext geht derzeit noch von einer alleinigen Abschlusskompetenz durch die EU aus (Stand: 22.9.2011). Mit Blick auf die inzwischen gefundene Übereinstimmung darin, dass es sich bei dem Freihandelsabkommen EU-Peru/Kolumbien um ein „gemischtes“ Abkommen handelt (s.o. unter 1.), ist noch mit einigen inhaltlichen Anpassungen zu rechnen. Diese dürften jedoch nicht zu wesentlichen Änderungen bei der Vertragsbestimmung zur vorläufigen Anwendbarkeit des Abkommens führen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 63/12 Seite 10 Die Verhandlungen über das Abkommen wurden am 1. März 2010 abgeschlossen. Der Ausschluss für Handelspolitik wurde nach dem Gutachten bei seiner Sitzung am 19. März 2010 abschließend von der Kommission über die letzte Verhandlungsrunde unterrichtet. Dabei forderten einige Delegationen die Kommission auf, ihnen so bald wie möglich einen konsolidierten Text des Abkommens vorzulegen. Weitere Ersuchen der Ausschussdelegationen, den Abkommenstext vor seiner Paraphierung mitzuteilen, folgten. Die Kommission hat dem Gutachten zufolge den Wortlaut des Abkommens technisch und juristisch überprüft und am 23. März 2011 paraphiert, jedoch dem Ausschuss zuvor den endgültigen Text des Abkommens nicht mitgeteilt.29 4.3.2. Rechtliche Beurteilung Zu erörtern ist, ob die Kommission dadurch, dass sie den Ausschussdelegationen den endgültigen Text des Abkommens nicht mehr vor seiner Paraphierung vorlegte, gegen Unionsrecht verstoßen haben kann. Gemäß Art. 218 Abs. 4 i. V. m. 207 Abs. 3 UAbs. 3 AEUV hat die Kommission im Benehmen mit dem Sonderausschuss zu führen. Benehmen ist dabei nicht gleichzusetzen mit Einvernehmen. Der Ausschuss fungiert zwar als Bindeglied zwischen Kommission und Rat und übt insoweit erheblichen Einfluss auf die Gestaltung des zukünftigen Abkommens aus. Er kann die Kommission jedoch rechtlich nicht binden – die Kommission bleibt in dieser Hinsicht rechtlich unabhängig .30 Aus dem Gutachten ergeben sich mit Blick auf Art. 218 Abs. 4 bzw. Art. 207 Abs. 3 UAbs. 3 AEUV keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kommission ihrer Unterrichtungspflicht über den Stand der Verhandlungen unzureichend nachgekommen wäre. Die Tatsache, dass die Kommission den Ausschussdelegationen nach Abschluss der Verhandlungsphase nicht den konsolidierten Vertragstext übermittelte, mag in politischer Hinsicht zwar Fragen aufwerfen. Unter Berücksichtigung der obigen Ausführungen kann sie vom Ausschuss zu einer Vorlage des Textes vor Paraphierung aber nicht rechtlich verpflichtet werden. Dieser Umstand erscheint insbesondere vor dem Hintergrund nachvollziehbar, als dass der Akt der „Paraphierung “ völkerrechtlich unverbindlich ist, mit dem der Verhandlungsführer „nur“ die Authen- 28 Dok.-Nr. 8804/11. 29 Vgl. auch Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Abschluss des Handelsübereinkommens zwischen der Europäischen Union sowie Kolumbien und Peru vom 22. September 2011, KOM(2011) 569, S. 2, online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=SPLIT_COM:2011:0569%2801%29:FIN:DE:PDF (Stand: 5.4.2011). 30 Nettesheim/Duvigneau, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 2. Auflage 2012, Art. 207 AEUV, Rdnr. 50. Auch die vom Rat aufzustellenden Verhandlungsrichtlinien (vgl. Art. 218 Abs. 4 AEUV) enthalten keine rechtliche, sondern politische Bindungswirkung, da der Rat dem Verhandlungsergebnis später noch zustimmen muss, vgl. Mögele, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 2. Auflage 2012, Art. 218 AEUV, Rdnr. 8. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 63/12 Seite 11 tizität des ausgehandelten Vertragstextes zum Ausdruck bringt.31 Einer Wiederaufnahme der Verhandlungen steht die Paraphierung insoweit ohnehin nicht entgegen.32 4.3.3. Fazit Die Kommission hat durch das Vorenthalten des endgültigen Vertragstextes vor der Paraphierung nicht gegen Unionsrecht verstoßen, da sie zur Übermittlung des konsolidierten Textes durch den Ausschuss für Handelspolitik nicht rechtlich verpflichtet werden konnte. 31 Mögele, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 2. Auflage 2012, Art. 218 AEUV, Rdnr. 9. 32 Lorenzmeier, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, EL 43, Okt. 2011, Art. 218 AEUV, Rdnr. 33.