WD 11 – 3000 – 268/10 Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag Ausarbeitung Möglichkeit eines Austritts aus der Europäischen Atomgemeinschaft Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 2 WD 11 – 3000 – 268/10 Möglichkeit eines Austritts aus der Europäischen Atomgemeinschaft Aktenzeichen: WD 11 – 3000 – 268/10 Abschluss der Arbeit: 13. Dezember 2010 Fachbereich: WD 11: Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 3 WD 11 – 3000 – 268/10 Inhaltsverzeichnis 1 . E i n l e i t u n g 4 2 . Die Europäische Atomgemeinschaft 4 3 . Möglichkeit eines Austritts aus der EAG 6 3.1. Grundsätzliches 6 3.2. Möglichkeit eines Teilaustritts 7 3.2.1. Argumente zugunsten der Zulässigkeit eines Teilaustritts 7 3.2.2. Argumente gegen einen Teilaustritt 10 4 . Verfahren und Notwendigkeit von Änderungen des Primärrechts 13 4.1. Verfahren eines Austritts aus der EAG 13 4.2. Notwendigkeit der Änderungen der Verträge 13 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 4 WD 11 – 3000 – 268/10 1 . E i n l e i t u n g Die neue Rechtslage nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon sowie die anhaltende Kontroverse um die zivile Nutzung der Kernenergie haben die Diskussion um eine grundlegende Reform der „Europäischen Atomgemeinschaft“ (EAG) genährt. Teilweise wurde dabei auch die Forderung nach einem Austritt aus der EAG bei Verbleib in der Europäischen Union (EU) laut. Die folgende Ausarbeitung erläutert die Frage der europarechtlichen Zulässigkeit eines solchen Teilaustritts und stellt die in einem solchen Fall notwendig werdenden Änderungen am Primärrecht der EU vor. 2 . Die Europäische Atomgemeinschaft Die EAG1 wurde zeitgleich mit der „Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft“ (EWG)2 durch die Römischen Verträge vom 25 März 1957, die am 1. Januar 1958 in Kraft traten, gegründet. Ihre ursprüngliche Mitglieder waren Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande. Die zivile Nutzung der Kernenergie erschien zur damaligen Zeit als Energiequelle der Zukunft, welche die in der Nachkriegszeit vorherrschende Energieknappheit dauerhaft zu beenden versprach und die Abhängigkeit Europas von Erdöl-Importen zu verringern vermochte. Vor diesem Hintergrund sollte die EAG die Schaffung und Erhaltung einer leistungsstarken europäischen Kernindustrie fördern. Es lag im Interesse der europäischen Gründerstaaten, einerseits die zur Kernspaltung notwendigen Technologien und Materialien als potenziell kriegswichtige Güter unter gemeinsame Kontrolle zu stellen, andererseits die für die weitere Erforschung der Kernenergie und für den Kraftwerksbau erforderlichen finanziellen Mittel gemeinsam bereitzustellen .3 Das Motiv der gemeinsamen Kontrolle rüstungsrelevanter Güter lag in ähnlicher Form auch der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) zugrunde, die mit dem Pariser Vertrag vom 18. April 19514 wenige Jahre zuvor gegründet worden war. Während der EGKS- Vertrag jedoch eine begrenzte Laufzeit von 50 Jahren hatte und inzwischen ausgelaufen ist, wurde der EURATOM-Vertrag (EAGV) auf unbestimmte Zeit geschlossen und hat noch heute in vielerlei Hinsicht unverändert Gültigkeit. Der institutionelle Aufbau der EAG gleicht dem der EWG (später EG), die sich beide wiederum an die EGKS anlehnten. Nachdem bereits in einer Ergänzung zu den Römischen Verträgen die Versammlung (heute das Europäische Parlament, EP) und der Europäische Gerichtshof (EuGH) ihre Stellung als gemeinsame Organe der Gemeinschaften (EGKS/EWG/EAG) erhalten hatten, 1 Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM), online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/de/treaties/dat/11957K/tif/11957K.html (Stand: 13.12.10). 2 Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/de/treaties/dat/11957E/tif/11957E.html (Stand: 13.12.10). 3 Die für die zivile Nutzung der Kernenergie nötigen Forschungs- und Investitionsmittel in großer Höhe waren von den noch unter den wirtschaftlichen Folgen des Krieges leidenden Mitgliedstaaten nicht einzeln, sondern nur in gemeinsamer Anstrengung aufzubringen. Mit vereinten Kräften wollte man so technologisch auch Anschluss an die beiden damaligen „Atomgroßmächte“ USA und UdSSR finden. 4 EGKS-Vertrag online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/de/treaties/index.htm#founding (Stand: 13.12.10). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 5 WD 11 – 3000 – 268/10 schloss der Fusionsvertrag vom 1. Juli 19675 auch die übrigen Organe zusammen. Für alle drei Gemeinschaften waren seitdem ein Rat und eine Kommission zuständig, die je nach dem betroffenen Sachgebiet auf Grundlage der Einzelverträge handelten. Mit der Begründung der EU durch den Vertrag von Maastricht vom 9./10. Februar 1992, in Kraft getreten am 1. November 19936, hat sich die institutionelle Struktur der Europäischen Gemeinschaften dann noch einmal wesentlich verändert. Die weiterhin bestehenden drei Europäischen Gemeinschaften, die intergouvernemental organisierte Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik 7 und die ebenfalls intergouvernementale Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres wurden im Rahmen der EU einem einheitlichen institutionellen Rahmen unterstellt. Dabei handelte es sich bei der neu gegründeten EU um eine Staatenverbindung ohne eigene (völkerrechtliche oder innerstaatliche) Rechtspersönlichkeit.8 Grundlage der EU waren gemäß Art. 1 Abs. 3 S. 1 EUV a. F. die Europäischen Gemeinschaften (EG/EAG/EGKS), ergänzt durch die mit dem EUV eingeführten, bereits erwähnten Politiken und Formen der Zusammenarbeit.9 Durch den Vertrag von Lissabon10 ist die EU nun an die Stelle der EG getreten, deren Rechtsnachfolgerin sie ist (Art. 1 Abs. 1 S. 3 EUV). Erstmals hat die EU mithin eine eigene Rechtspersönlichkeit . Im Rahmen der Diskussionen zum europäischen Verfassungsvertrag ist in der Öffentlichkeit 11 und auch im Europäischen Konvent12 über die Zukunft der EAG und darüber, diese mit EG und EU zu einer einheitlichen EU zu fusionieren, kontrovers debattiert worden. Im Europäi- 5 Fusionsvertrag (1965), Amtsblatt Nr. 152 vom 13. Juli 1967, online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/de/treaties/index.htm#other (Stand: 13.12.10). 6 Vertrag über die EU, Amtsblatt Nr. C 191 vom 29.7.1992, online abrufbar unter http://eurlex.europa.eu/de/treaties/dat/11992M/htm/11992M.html (Stand: 13.12.10). 7 Zuvor als Europäische Politische Zusammenarbeit institutionalisiert (EPZ). 8 Siehe Geiger, EUV/EGV, 2000, Art. 1, Rdnr. 7. Zu der komplexen Diskussion um die Rechtsfähigkeit der EU vor dem Vertrag von Lissabon, siehe: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 1 EUV Rdnr. 10ff. 9 Verbreitet war die Rede von einem „Tempelmodell“ oder „3-Säulen-Modell“, bei dem das Dach die EU darstellte . Vgl. Schweitzer/Hummer, Das Recht der Europäischen Union, S. 21ff. Zu den durch den Vertrag von Lissabon notwendig gewordenen Änderungen an diesem Säulenmodell ist instruktiv: Terhechte, Der Vertrag von Lissabon , in: EuR, Heft 2 2008, S. 148f. 10 Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, unterzeichnet in Lissabon am 13. Dezember 2007, online abrufbar unter http://eurlex. europa.eu/JOHtml.do?uri=OJ:C:2007:306:SOM:DE:HTML (Stand: 13.12.10). 11 So wurde z.B. von MEP Brok – erfolglos – vorgeschlagen, anstelle des EAGV lediglich einen Titel „Friedliche Nutzung der Kernenergie“ in den Vertrag einzufügen, oder aber auf anderem Wege zumindest die Rechtspersönlichkeit der EAG aufzugeben (Elmar Brok: Die Verfassung der Europäischen Union. Diskussionspapier, überarbeitete Fassung einschließlich des zweiten Teils, CONV 325/2/02). Letztlich setzte sich die Empfehlung durch, den EAGV durch ein Protokoll, das dem Verfassungsvertrag beigegeben wird, anzupassen. Siehe Wolf, Sebastian , Zur Zukunft des Euratom-Vertrags, in: Integration 4/06, S. 297 ff. 12 Im Europäischen Konvent war zunächst erwogen worden, Art. 184 EAGV zu streichen und die künftige Union und die EAG zu einer einheitlichen Rechtspersönlichkeit zu fusionieren. Vgl. Vorschlag des Präsidium s für das Vorgehen in Bezug auf den EAGV, CONV 621/03, S. 4. Siehe auch Papenkort, Der Euratom-Vertrag im Lichte des Vertrags über eine Verfassung für Europa, 2008, S. 113. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 6 WD 11 – 3000 – 268/10 schen Konvent wie auch später bei den Verhandlungen zum Vertrag von Lissabon fiel die Entscheidung dann gegen eine Verschmelzung der EAG mit der neuen EU.13 Der EAG verblieb damit ihre eigene Rechtspersönlichkeit (Art. 184 EAGV), und sie blieb mit einem separaten Vertrag neben der mit der EG verschmolzenen EU bestehen: Dennoch blieben EU und EAG durch gemeinsame Institutionen und den Gesamthaushalt14 eng verbunden. Fünf Mitgliedstaaten (Deutschland, Irland, Österreich, Schweden und Ungarn) haben in einer Erklärung darauf hingewiesen, dass sie den EAGV für überholt und eine Überprüfung für sinnvoll halten.15 Diese Forderung hat aber bisher nicht die Unterstützung der übrigen Mitgliedstaaten gefunden. 3. Möglichkeit eines Austritts aus der EAG 3.1. Grundsätzliches Erstmals wird durch den Reformvertrag in Art. 50 EUV das Verfahren für den Austritt eines Mitgliedstaats aus der EU geregelt. Damit ist die frühere Diskussion in der rechtswissenschaftlichen Literatur zur Zulässigkeit eines Austritts aus der EU16 im Wesentlichen beendet und klargestellt worden, dass ein solcher Austritt nach dem Verfahren des Art. 50 EUV erfolgen kann.17 Anders als das an das Völkerrecht angelehnte Verfahren des Beitritts zur EU gemäß Art. 49 EUV werden die Einzelheiten des Austritts nach Art. 218 Abs. 3 AEUV und damit wie auch andere internationale Abkommen im institutionellen Rahmen der EU ausgehandelt.18 13 Ein Grund für diese Entscheidung sei vermutlich auch gewesen, dass der EAGV in dem Fall, dass er in den Verfassungsvertrag miteinbezogen worden wäre, von den Mitgliedstaaten erneut hätte ratifiziert werden müssen . Dies hätte das „Unfallrisiko“ bei der Ratifikation erhöht. Vgl. die Diskussion zum Vortrag von Rotter, Nukleare Sicherheit in der Europäischen Union, in: Calliess/Isak (Hrsg.), Der Konventsentwurf für eine EU- Verfassung im Kontext der Erweiterung, 2007, S. 139. 14 Hierzu weiter unten. 15 „Des Weiteren hatten einige Mitglieder den Wunsch geäußert, die Bestimmungen des EURATOM-Vertrags zu prüfen und vielleicht zu aktualisieren; der Konvent war allerdings der Auffassung, dass er weder den Auftrag noch die Zeit oder die Befugnis hat, diesem Wunsch nachzukommen. Die Zukunft von Euratom ist weiterhin eine Frage, mit der sich der Europäische Rat zu gegebener Zeit möglicherweise befassen wird.“ Bericht des Vorsitzes des Konvents an den Präsidenten des Europäischen Rates, Brüssel, den 18. Juli 2003 (OR. frz.) CONV 851/03, S. 5, online abrufbar unter http://register.consilium.europa.eu/pdf/de/03/cv00/cv00851.de03.pdf (Stand: 13.12.10). 16 Vgl. die Nachweise bei Schweitzer, in: Grabitz/Hilf, EUV/EGV, Art. 312 EGV Rdnr. 5. 17 Die rechtliche Regelung der Austrittsmöglichkeit wird von einigen Stimmen in der Rechtswissenschaft auch als Einschränkung eines vormals ohnehin schon bestehenden Rechts zum Austritt gewertet. Ein solches Austrittsrecht trotz fehlender Regelung in den Verträgen wurde vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon teilweise mit Verweis auf das Völkergewohnheitsrecht befürwortet (Vgl. Geiger/Khan, EUV/AEUV, Art. 53 EUV, Rdnr. 2). Mit der Einführung des Art. 50 EUV, beschränke sich die Möglichkeit zum Austritt nun auf die Befolgung des dort festgelegten Verfahren (Vgl. Geistlinger, Pressekonferenz vom 25. März 2009, online abrufbar unter http://www.raus-aus-euratom.at/downloads/PKGeistlinger.pdf (Stand: 13.12.10). 18 Vgl. Lenz/Borchardt, EU-Verträge, 2010, Art. 50 EUV Rdnr. 2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 7 WD 11 – 3000 – 268/10 Nach der Rechtslage vor dem Vertrag von Lissabon war gemäß Art. 305 Abs. 2 EGV a. F. der spezielle EAGV gegenüber den allgemeinen Regeln des EGV vorrangig. Weder im AEUV noch im EUV n. F. findet sich nun eine Bestimmung, die einen Vorrang des EAGV beschreibt. Allerdings führte der Vertrag von Lissabon einen Art. 106a EAGV ein, dessen Abs. 1 die Regelungen des AEUV aufzählt, die auf den EAGV Anwendung finden sollen.19 Von diesen Regelungen umfasst wird auch das Austrittsverfahren nach Art. 50 EUV. Art. 106a Abs. 2 EAGV stellt klar, wie die Verweisung auf die Regelungen des EUV zu verstehen ist: Nimmt eine Regelung des EUV Bezug auf die Union, so ist dies im Rahmen des EAGV als Bezugnahme auf die EAG zu lesen. Mithin kann der Regelungsgehalt des Art. 106a Abs. 1 EAGV in Verbindung mit Art. 50 Abs. 1 EUV folgendermaßen verstanden werden: Jeder Mitgliedstaat kann im Einklang mit seinen verfassungsrechtlichen Vorschriften beschließen, aus der EAG auszutreten. 3.2. Möglichkeit eines Teilaustritts Obwohl die Möglichkeit eines Austritts aus der EAG durch den Verweis des Art. 106a EAGV auf Art. 50 EUV zweifelsfrei gegeben ist, stellt sich die Frage, ob ein Austritt aus der EAG dazu führt, dass der Mitgliedstaat auch aus der EU austritt, oder ob es zulässig ist, dass ein Mitgliedstaat nur aus der EAG austreten kann, ohne gleichzeitig seine Mitgliedschaft in der EU aufzugeben. Diese Frage ist umstritten. Diskutiert wurde sie bereits im Hinblick auf die alte Rechtslage; die Regelung des Austrittsrechts im EUV hat keine Klärung gebracht. 3.2.1. Argumente zugunsten der Zulässigkeit eines Teilaustritts Zunächst spricht für die isolierte Kündbarkeit des EAGV, dass sich aus dem Wortlaut der Verträge nichts Gegenteiliges ergibt. Dem Recht zum Austritt aus der EAG, das sich aus Art. 50 Abs. 1 EUV i.V.m. Art. 106a Abs. 1 EAGV ergibt, ist keine Formulierung beigefügt, aus der sich die Pflicht zum gleichzeitigen Austritt aus der EU ergäbe. Der Verweis aus Art. 106a Abs. 1, Abs. 2 EAGV verlöre auch seine Bedeutung, wenn der Austritt aus einer der beiden Organisationen notwendig auch den Austritt aus der jeweils anderen bedingen würde: In diesem Fall hätte eine Regelung im EAGV genügt, nach welcher der Austritt aus der EU auch den aus der EAG zur Folge hätte, während der Verweis in seiner jetzigen Fassung ausdrücklich nur den Austritt aus der EAG erfasst.20 Für die Möglichkeit eines Austritts aus der EAG bei Verbleib in der EU spricht zudem aus systematischen Gesichtspunkten, dass EU und EAG gemäß der Rechtslage nach dem Vertrag von Lissabon zwei Organisationen mit jeweils eigener Rechtspersönlichkeit sind.21 Während dies für die EU eine neue Qualität darstellt22, bedeutet dies für die EAG die Beibehaltung der seit ihrer Gründung bestehenden Rechtspersönlichkeit. Die EAG wurde als eigenständige völkerrechtliche Ge- 19 Ehricke/Hackländer, Europäische Energiepolitik auf der Grundlage der neuen Bestimmungen des Vertrags von Lissabon, ZEuS 2008, S. 584, online abrufbar unter http://archiv.jura.unisaarland .de/projekte/Bibliothek/text.php?id=521&show (Stand: 13.12.10). 20 Siehe oben Gliederungspunkt 3.1. 21 Siehe Art. 1 Abs. 3 S. 3 EUV, Art. 184 EAG. Vgl. schon unter 2. 22 Vgl. Geiger, EUV/EGV, 2000, Art. 1, Rdnr. 7. Siehe schon Fn. 8. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 8 WD 11 – 3000 – 268/10 meinschaft gegründet, die neben der EWG und der EGKS bestand. Nur die Organe wurden 1967 vereinheitlicht. Erst mit dem Vertrag von Maastricht und der Gründung der EU wurden die drei Gemeinschaften unter das gemeinsame Dach der EU zusammengefasst, ohne aber dabei ihre Eigenständigkeit zu verlieren. Die rechtliche Kontinuität der EAG war nicht unumstritten und ihre Eigenständigkeit wurde während der Verhandlungen zum Europäischen Verfassungsvertrag zur Disposition gestellt. So boten sich den Konventsmitgliedern im Hinblick auf den EAGV zwei Möglichkeiten dar23: Der EAGV konnte entweder als eigenständiger Vertrag mit oder ohne eigene Rechtspersönlichkeit fortbestehen oder in den Verfassungsvertrag integriert werden.24 Der Vorschlag des Präsidiums ging dahin, lediglich einige formale Aspekte des EAGV anzupassen und diesen dem Anhang der Verfassung in Form eines Protokolls beizufügen.25 In den ersten Verfassungsentwürfen26, die dem Vorschlag des Präsidiums entsprachen, entschied man sich zudem für eine Fusion der Rechtspersönlichkeiten . Schließlich wurde in der Plenartagung vom 10. Juli 2003 aber beschlossen, die EAG als Gemeinschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit neben der EU bestehen zu lassen.27 Der Anstoß zu dieser Abkehr von der ursprünglich beabsichtigten Verschmelzung von EU und EAG wird dem deutschen Außenminister Fischer zugeschrieben.28 Neben der Befürchtung, Zustandekommen und Ratifikation der Verfassung könnten mit einer Debatte zur Kernenergie zusätzlich gefährdet werden, habe noch ein anderer Beweggrund der deutschen Bundesregierung bestanden: Mit einer einheitlichen Rechtspersönlichkeit von EU und EAG würde eine inhaltliche Revision der EAG in Zukunft unter Umständen erheblich erschwert. Die Revision einer erst vor Kurzem geschaffenen Verfassung schien politisch schwerer durchsetzbar als die Änderung des Vertrages einer eigenständigen EAG.29 Darüber hinausgehend wird zum Teil auch angenommen, dem Einsatz der Bundesregierung und anderer atomkritischer Konventsmitglieder für eine eigenständige 23 Eine umfangreiche Darstellung der Diskussion im Europäischen Konvent findet sich in Papenkort, Der Euratom- Vertrag im Lichte des Vertrags über eine Verfassung für Europa, 2008, S. 51ff. 24 Vorschlag des Präsidiums für das Vorgehen in Bezug auf den Euratom-Vertrag, CONV 621/03 S.2. 25 Vorschlag des Präsidiums für das Vorgehen in Bezug auf den Euratom-Vertrag, CONV 621/03 S.5. 26 CONV 802/03, S. 181; CONV836/03, S. 167; CONV 847/03, S. 165. 27 CONV 848/03, S. 166. 28 Vgl. Papenkort, Der Euratom-Vertrag im Lichte des Vertrags über eine Verfassung für Europa, 2008, S. 56. Suggestion for Amendment of Article: Protokoll Euratom; CONV 725/03 by Mr. Joschka Fischer, online abrufbar unter www.european-convention.eu.int (Stand: 13.12.10); Reaktionen auf den Textentwurf in Dokument CONV 802/03, siehe CONV 821/03, S. 173. 29 „Kerstin Müller, Staatsministerin im Auswärtigen Amt: Frau Kollegin, die Bundesregierung hat sich im Rahmen der Arbeiten des europäischen Konvents dafür eingesetzt, dass der Euratom-Vertrag grundlegend überarbeitet wird. Aufgrund der fortbestehenden unterschiedlichen Auffassungen unter den Mitgliedstaaten und Beitrittsländern bezüglich der Frage der friedlichen Nutzung der Kernenergie konnte jedoch kein Konsens über eine inhaltliche Änderung des Vertrages erzielt werden. Es ist aber erreicht worden, dass der Euratom- Vertrag nicht Teil der Verfassung wird. Das heißt, nach den derzeitigen Entwürfen des Präsidiums bleibt der Euratom-Vertrag als eigenständiger Vertrag bestehen. Damit ist die Möglichkeit eröffnet, zu einem späteren Zeitpunkt eine inhaltliche Überprüfung anzustreben. In diesem Rahmen wird sich die Bundesregierung darum bemühen, ihre Position durchzusetzen.“ BT-Drs. 15/4547 online abrufbar unter http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/15/15055.pdf#P.4547 (Stand: 13.12.10). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 9 WD 11 – 3000 – 268/10 EAG habe die Absicht zugrundegelegen, sich die spätere Möglichkeit eines Austritts aus der EAG bei Verbleib in der EU offenzuhalten.30 Ein weiteres Argument, das für die Zulässigkeit eines Teilaustritts sprechen könnte, ließe sich aus der bisherigen Beitrittspraxis herleiten. Da die Bestimmungen des EUV seit dem Maastrichter Vertrag also für EWG/EG, EGKS und EAG galten, sahen die Beitrittsregelungen demnach auch nur noch einen Beitritt zu der Union vor (Art. 49 EUV a. F.), während bis zu diesem Zeitpunkt jede Gemeinschaft eigene Rechtsgrundlagen für einen Beitritt neuer Staaten bereithielt. Daraus wurde geschlossen, dass ein Beitritt nur zu allen Gemeinschaften zusammen, also zu der Union im Sinne von Art. 1 Abs. 3 S. 1 EUV a. F., möglich sei.31 Wie oben dargelegt verschmolz der Verfassungsvertrag die EU mit der EG (Art. IV-3 Verfassungsvertrag ) und beließ der EAG ihre eigene Rechtspersönlichkeit (Art. IV-437, IV-438 Verfassungsvertrag ). Damit stellte sie den Zustand her, der vor dem Vertrag von Maastricht bestand, dass nämlich neben der EU/EG eine weitere Gemeinschaft, die EAG, existiert, die von der EU zu trennen ist. Damit erzwinge der Beitritt zur Union nicht auch automatisch den Beitritt zur EAG, da sie rechtlich eine selbständige supranationale Organisation sei.32 Die Beitrittsverträge spiegeln diese Entwicklung wider. Der Beitrittsvertrag von 1985 von Spanien und Portugal33 erklärt den Beitritt zur EWG und zur EAG. Österreich, Finnland und Schweden wurden unter dem Vertrag von Maastricht Mitglieder in der EU und Vertragsparteien der Europäischen Gemeinschaften,34 worunter die EGKS, die EG und die EAG zu verstehen sind (Art. 1 der Akte über die Bedingungen des Beitritts des Königreichs Norwegen, der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge). Gleiches gilt für den Beitrittsvertrag der Osterweiterung 2003.35 Der Beitritt von Bulgarien und Rumänien fand unter der Erwartung des Inkrafttretens des Verfas- 30 So Oppermann, Eine Verfassung für die Europäische Union, in: DVBl. 2003, S. 1165, S. 1168, Fn. 17. 31 Herrnfeld, Hans-Holger, in: Schwarze, Jürgen (Hrsg.), EU-Kommentar, 2. Auflage, Baden-Baden 2009, Art. 49 EUV, Rdnr. 1; Cremer, Hans-Joachim, in: Calliess, Christian/Ruffert, Matthias, EUV/EGV Kommentar, 3. Auflage , München 2007, Art. 49 EUV, Rdnr. 8. 32 Cremer, Hans-Joachim, in: Calliess, Christian/Ruffert, Matthias, Verfassung der Europäischen Union, München 2006, Art. I-58, Rdnr. 2. 33 ABl. 1985 L 302 vom 15.11.1985. 34 ABl. 1994 C 241 vom 29.08.1994. 35 ABl. 2003 L 236 vom 23.09.2003 und Art. 1 der Akte über die Bedingungen des Beitritts der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik und die Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge (ein Beitritt zur EGKS fand wegen des Auslaufens des EGKS-Vertrages 2002 nicht statt). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 10 WD 11 – 3000 – 268/10 sungsvertrages statt. Dementsprechend sind die beiden Staaten Mitglieder in der Union und Vertragsparteien des Verfassungsvertrages und der EAG geworden.36 Es wurde also stets strikt zwischen der EU und den Gemeinschaften unterschieden und auch nach der Verschmelzung der EU mit der EG im Verfassungsvertrag blieb diese Trennung erhalten. Es erfolgte also bisher nie ein Beitritt zu nur einer, wenn auch heterogenen, internationalen Organisation , sondern stets zu mehreren, rechtlich selbständigen. Obgleich ein Beitritt bisher stets nur zu allen Gemeinschaften erfolgte, bedeutet dies nicht, dass ein Beitritt aus rechtlicher Sicht nur zu allen Gemeinschaften erfolgen darf.37 Was für einen Beitritt gilt, müsste dann auch entsprechend für einen Austritt Geltung beanspruchen. Die Frage, inwieweit sich bereits aus völkerrechtlichen Regeln ein Austrittsrecht ergibt38, kann heute – anders als vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon – dahinstehen, denn das europarechtlich nunmehr vorgesehene Austrittsrecht der Mitgliedstaaten gemäß Art. 50 Abs. 1 EUV i.V.m. Art. 106a Abs. 1 EAGV geht den allgemeinen völkerrechtlichen Regelungen als lex specialis vor.39 3.2.2. Argumente gegen einen Teilaustritt Eine Teilmitgliedschaft nur bei der EU würde EU und EAG jedenfalls vor erhebliche praktische Umsetzungsschwierigkeiten stellen, da die Verträge auf die Identität der Mitglieder in EU und EAG ausgerichtet sind. Im Hinblick darauf könnte der gemeinsame Haushalt von EU und EAG ein rechtliches Ausschlusskriterium für einen Teilaustritt darstellen. Art. 9 Abs. 6 des Amsterdamer Vertrags40 von 1997 hat den Grundsatz des Gesamthaushaltplans für die damaligen Euro- 36 ABl. 2005 L 157 vom 21.06.2005. 37 Papenkort, Der Euratom-Vertrag im Lichte des Vertrags über eine Verfassung für Europa, 2008, S. 119; Rotter, Manfred, Rechtlich geordneter Austritt aus der Europäischen Atomgemeinschaft vor und nach Inkrafttreten des Verfassungsvertrages, S. 13, abrufbar unter: http://www.raus-aus-euratom.at/downloads/Gutachten-EURATOM- Rotter.pdf (Stand: 10.11.2010); Geistlinger, Michael, Überlegungen zur Möglichkeit eines einseitigen Ausstiegs aus dem EURATOM-Vertrag, S. 1, abrufbar unter: http://www.raus-auseuratom .at/downloads/einseitigerAusstiegEURATOM.pdf (Stand: 10.12.2010). 38 Dies bejaht u.a. Rotter in seinem Gutachten: Rechtlich geordneter Austritt aus der Europäischen Atomgemeinschaft vor und nach Inkrafttreten des Verfassungsvertrages, online abrufbar unter http://www.raus-auseuratom .at/downloads/Gutachten-EURATOM-Rotter.pdf (Stand: 13.12.10). 39 Becker, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 312 EG Rdnr. 6. Auch Art. 5 der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVRK) bestimmt den Vorrang der Vorschriften des Gründungsvertrags einer Internationalen Organisation gegenüber den völkerrechtlichen Bestimmungen der WVRK. Vgl. Papenkort, Der Euratom-Vertrag im Lichte des Vertrags über eine Verfassung für Europa, 2008, S. 209. 40 Art 9 Abs. 6 des Amsterdamer Vertrags lautet: „Die Einnahmen und Ausgaben der Europäischen Gemeinschaft, die Verwaltungsausgaben der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und die betreffenden Einnahmen sowie die Einnahmen und Ausgaben der Europäischen Atomgemeinschaft mit Ausnahme derjenigen der Versorgungsagentur und der gemeinsamen Unternehmen werden unter den in den jeweiligen Verträgen zur Gründung dieser drei Gemeinschaften festgelegten Bedingungen in den Haushaltsplan der Europäischen Gemeinschaften eingesetzt.“ online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/de/treaties/dat/11997D/htm/11997D.html#0092010003 (Stand: 13.12.10). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 11 WD 11 – 3000 – 268/10 päischen Gemeinschaften festgeschrieben.41 Art. 10 des Protokolls Nr. 2 zum Vertrag von Lissabon schreibt diesen Grundsatz für die aktuelle Rechtslage fort: „Die Einnahmen und Ausgaben der Europäischen Atomgemeinschaft werden mit Ausnahme derjenigen der Versorgungsagentur und der gemeinsamen Unternehmen im Haushaltsplan der Union ausgewiesen.“42 Diese Finanzunion kann sich dann als problematisch erweisen, wenn sie dazu führt, dass Mitgliedstaaten der EU durch ihre Beiträge eine EAG finanzieren, der sie nicht mehr angehören. Ein anderes Problem könnte sich aufgrund der durch die gemeinsamen Organe bestehenden Personalunion von EU und EAG ergeben.43 So dürfte es kaum zulässig sein, dass Vertreter von Staaten, die nicht Mitglied der EAG sind, sich im Rat oder im EP an diese betreffende Abstimmungen und Beratungen beteiligen.44 Der Umstand, dass bisher stets die Beitrittskandidaten allen Gemeinschaften beigetreten sind, könnte dazu geführt haben, dass es eine gewohnheitsrechtliche Pflicht gibt, Mitglied in allen Gemeinschaften zu sein.45 Dies würde dazu führen, dass ein Austritt aus nur einer Gemeinschaft unzulässig ist. Gewohnheitsrecht entsteht durch eine einheitliche, dauerhafte Übung, die von der Überzeugung getragen ist, dass diese Übung rechtens sein soll.46 Gewohnheitsrecht ist jedoch nicht unwandelbar. Es kann durch eine andere Übung oder durch eine schriftliche Fixierung anderer Regelungen geändert werden.47 Fraglich ist bereits, ob alle Beteiligten, d.h. alle bisher beigetretenen Mitgliedstaaten, eine entsprechende Rechtsüberzeugung besitzen, dass ein Beitritt nur zu allen Gemeinschaften verbindlich sein soll. Unabhängig davon spricht gegen eine gültige gewohnheitsrechtliche Regelung, dass der Vertrag von Lissabon eine Rechtsänderung gebracht hat, nämlich die EAG aus dem Verband mit der EU gelöst hat, so dass die Voraussetzungen, unter denen das Gewohnheitsrecht entstanden sein könnte, geändert wurden, was nicht ohne Auswirkungen auf den Bestand der gewohnheitsrechtlichen Regel sein kann.48 Ein separater Austritt nur aus der EAG wäre aber dann nicht möglich, wenn der EAGV und das auf ihn beruhende Sekundärrecht zum sog. acquis communautaire, also dem gemeinsamen Besitzstand der EU, gehörte. Zum acquis communautaire, den beitretende Staaten übernehmen 41 Geiger/Khan, EUV/AEUV, Art. 310 AEUV Rdnr. 3. 42 Vertrag von Lissabon, Protokoll Nr. 2 zur Änderung des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft , Amtsblatt Nr. 306 vom 17/12/2007 S. 0199 0201, online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2007:306:0199:0201:DE:PDF (Stand: 13.12.10). 43 Vgl. schon oben Gliederungspunkt 2. 44 Vgl. Papenkort, Der Euratom-Vertrag im Lichte des Vertrags über eine Verfassung für Europa, 2008, S. 116. 45 Vortrag von Manfred Rotter, zusammengefasst in: Calliess/Isak (Hrsg.), Der Konventsentwurf für eine EU- Verfassung im Kontext der Erweiterung, S. 139. 46 Stein, Torsten/von Buttlar, Christian, Völkerrecht, 11. Auflage, Köln 2005, Rdnr. 125 ff. 47 Stein, Torsten/von Buttlar, Christian, Völkerrecht, Rdnr. 141 ff. 48 Papenkort, Der Euratom-Vertrag im Lichte des Vertrags über eine Verfassung für Europa, 2008, S. 115. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 12 WD 11 – 3000 – 268/10 müssen, gehört das primäre und sekundäre Gemeinschaftsrecht der Union.49 Bei der Aufnahme von Dänemark, Großbritannien und Irland definierte die Kommission den Besitzstand wie folgt: „die Verträge und ihre politische Zielsetzungen, die seit Inkrafttreten der Verträge getroffenen Entscheidungen jeglicher Art sowie die hinsichtlich des Ausbaus und der Stärkung der Gemeinschaften getroffenen Optionen“.50 Die Akte zum Beitrittsvertrag der Osterweiterung fasste in ihrem Art. 2 unter den Besitzstand die „ursprünglichen Verträge“, worunter EGV und EAGV zu verstehen seien. Das Protokoll zum Beitrittsvertrag von Bulgarien und Rumänien, der unter den Voraussetzungen des Verfassungsvertrages verhandelt wurde, trennt zwischen dem Verfassungsvertrag und dem EAGV. Es wurde also anerkannt, dass nach der Verschmelzung von EU und EG der EAGV eine eigenständige Bedeutung behalten hat. Dies spricht dafür, dass rechtlich quasi von zwei Besitzständen ausgegangen wird, nämlich derjenige der EG/EU und derjenige der EAG. Außerdem zeigen die Beispiele, dass der Inhalt des Begriffs des gemeinsamen Besitzstandes nicht starr ist, sondern anpassungsfähig an den jeweiligen Rechtsstand ist. Es ist mithin denkbar, dass die Besitzstände getrennt voneinander übernommen oder eben „zurückgegeben“ werden können. Gegen eine isolierte Kündbarkeit ließ sich vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon die Organisationsstruktur der EU anführen. In Art. 1 Abs. 3 S. 1 EUV a. F. heißt es: „Grundlage der Union sind die Europäischen Gemeinschaften (...)“. Kennzeichnend für die sich hieraus ergebende Struktur der alten EU war deren durch das Säulenmodell veranschaulichte Klammerfunktion , die neben den drei (bis zum Auslaufen der EGKS, danach zwei) Gemeinschaften (erste Säule ) die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) (zweite Säule) und die Polizeiliche und Justitielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS) (dritte Säule) umfasste.51 Vor diesem Hintergrund ließ sich mit guten Gründen annehmen, dass ein Austritt aus „der Union“, soweit er trotz fehlender Regelung in den Verträgen als rechtlich zulässig angesehen wurde52, nur als Austritt aus allen drei (bzw. zwei) Gemeinschaften erfolgen konnte, zumal auch der in Art. 49 EUV a. F. normierte Beitritt als Beitritt zur „Union“ erfolgte und damit fast zwangsläufig zu allen (bis 2002: drei) Gemeinschaften, weswegen ein Teilbeitritt daher gemeinhin abgelehnt wurde.53 Der Vertrag von Lissabon hat diese Klammerfunktion aber gerade nicht mehr. Die EU hat ihre Grundlage nur noch im EUV und dem AEUV und ist Rechtsnachfolgerin ausschließlich der EG (Art. 1 Abs. 3 S. 1, 3 EUV). 49 Herrnfeld, Hans-Holger, in: Schwarze, Jürgen (Hrsg.), EU-Kommentar, 2. Auflage, Baden-Baden 2009, Art. 49 EUV, Rdnr. 6. 50 ABl. 1972 L 73, S. 3, vom 27.03.1972. 51 Vgl. Geiger, EUV/EGV, 3. Aufl 2000, Art. 1 Rdnr. 8f. 52 Siehe zu der Diskussion eines Austrittsrechts vor dem Vertrag von Lissabon: Waltemathe, Austritt aus der EU. Sind die Mitgliedstaaten noch souverän?, 2000. 53 Vgl. Booß, in: Lenz/Borchardt, EUV/EGV, Art. 49 Rdnr. 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 13 WD 11 – 3000 – 268/10 4. Verfahren und Notwendigkeit von Änderungen des Primärrechts 4.1. Verfahren eines Austritts aus der EAG Das Verfahren des Austritts ist in Art. 50 Abs. 2 EUV niedergelegt. Der austrittswillige Mitgliedstaat unterrichtet den Europäischen Rat von seinem Entschluss, woraufhin die Union mit dem Mitgliedstaat ein Abkommen aushandelt, dass die Einzelheiten des Austritts unter Berücksichtigung der künftigen Beziehungen zwischen dem Mitgliedstaat und der EU regelt. Sollte nur ein Teilaustritt erfolgen, müsste in diesem Abkommen sinnvollerweise auch festgelegt werden, wie sich die Teilmitgliedschaft in der EU gestaltet. Der Rat beschließt anschließend mit qualifizierter Mehrheit nach Zustimmung des Europäischen Parlaments und schließt im Namen der EU das Abkommen. Wird der Austritt abgelehnt, erlischt die Mitgliedschaft spätestens nach zwei Jahren nach der Unterrichtung des Europäischen Rates, wenn die Frist nicht einvernehmlich verlängert wird (Art. 50 Abs. 3 EUV). 4.2. Notwendigkeit der Änderungen der Verträge Obwohl der EUV bereits das Verfahren des Austritts regelt, würde ein Austritt, ebenso wie jeder Beitritt, Änderungen der Verträge erfordern. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass die Verträge immer vom Status quo ausgehen und er die Grundlage für verschiedene Bestimmungen bildet. Typische Beispiele für solche änderungsbedürftigen Artikel sind Art. 52 EUV und Art. 355 AEUV über den Geltungsbereich der EU oder Art. 55 EUV und Art. 358 AEUV, die festlegen, in welchen Sprachen der Wortlaut der Verträge verbindlich ist. Geändert werden müssten aber auch solche Vorschriften, bei denen die Anzahl der Mitgliedstaaten von Bedeutung ist, wie bei der Zusammensetzung der Organe oder bei den Abstimmungsmodalitäten. Da der EAGV keine eigenen Regelungen mehr über die Organe der EAG enthält, würde dies bedeuten, dass wieder zum Status vor 1967 zurückgekehrt werden müsste, dass also eine institutionelle Trennung von EU und EAG erfolgen müsste. Allerdings würde die in diesem Falle konsequente Auflösung der Personalunion für die Staaten, die Mitglied von EU und EAG sind, einen nicht unerheblichen personellen und finanziellen Mehraufwand bedeuten.54 Erforderlich würde dann auch eine Änderung bezüglich des gemeinsamen Haushaltsplanes, da die Mitgliedstaaten, die nicht der EAG angehören, nicht bereit sein werden, einen Beitrag auch zugunsten der EAG zu leisten. Ebenso ist hinsichtlich der Beschlussfassung über den Haushaltsplan bedenklich, dass Staaten auch über Posten abstimmen, die sie nicht betreffen.55 Die Lösung der angedeuteten Probleme wird vom bestehenden Primärrecht nicht vorgegeben, so dass bei einem Teilaustritt umfassende Umgestaltungen nötig wären.56 Ganz fremd wäre der EU eine solche Zweigleisigkeit jedoch nicht, da es zumindest innerhalb der EU/EG bereits seit längerem die Möglichkeit gibt, dass nur eine Gruppe von Mitgliedstaaten die 54 Vgl. Papenkort, Der Euratom-Vertrag im Lichte des Vertrags über eine Verfassung für Europa, 2008, S. 116. 55 Papenkort, Der Euratom-Vertrag im Lichte des Vertrags über eine Verfassung für Europa, 2008, S. 115 f. 56 Eine detaillierte Schilderung der im Falle eines Teilaustritts notwendig werdenden Vertragsumgestaltungen findet sich bei Papenkort, Der Euratom-Vertrag im Lichte des Vertrags über eine Verfassung für Europa, 2008, S. 116. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 14 WD 11 – 3000 – 268/10 Integration durch eine verstärkte Zusammenarbeit (Art. 20 EUV) vertieft. Die Währungsunion ist dafür das komplexeste Beispiel. - Fachbereich Europa -