WD 11 – 3000 – 261/10 Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag Ausarbeitung Die Revision der Tabakproduktrichtlinie Kompetenzgrundlage Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz und europäischen Grundrechten Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 2 WD 11 – 3000 – 261/10 Die Revision der Tabakproduktrichtlinie Kompetenzgrundlage Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz und europäischen Grundrechten Aktenzeichen: WD 11 – 3000 – 261/10 Abschluss der Arbeit: 3. Dezember 2010 Fachbereich: WD 11: Europa; WD 3: Verfassung und Verwaltung Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 3 WD 11 – 3000 – 261/10 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Die unionsrechtliche Kompetenzgrundlage 5 2.1. Art. 114 AEUV als mögliche Kompetenzgrundlage (Binnenmarktkompetenz) 6 2.1.1. Erstes Urteil zur Tabakwerberichtlinie (2000) 7 2.1.2. Urteile zur Tabakproduktrichtlinie (2002 und 2004) 8 2.1.3. Zweites Urteil zur Tabakwerberichtlinie (2006) 9 2.1.4. Aus den Urteilen des EuGH abgeleiteter Prüfungsmaßstab 10 2.1.5. Anwendung des Prüfungsmaßstabs auf die Änderungsvorschläge der Kommission 10 2.1.6. Zwischenergebnis 12 2.2. Revision auf der Grundlage von Art. 168 Abs. 5 AEUV 12 3. Prüfung europäischen Sekundärrechts am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes? 13 4. Prüfung anhand europäischer Grundrechte 15 4.1. Verletzung des Grundrechts auf Eigentum 16 4.1.1. Schutzbereich 16 4.1.2. Eingriff 17 4.1.3. Rechtfertigung 17 4.1.4. Vereinbarkeit der Änderungsvorschläge 2 und 5 mit dem Eigentumsgrundrecht 17 4.1.5. Zwischenergebnis 19 4.2. Verletzung der Grundrechte auf Berufsfreiheit und unternehmerische Freiheit 20 4.2.1. Schutzbereich 20 4.2.2. Eingriff 21 4.2.3. Rechtfertigung 21 4.2.4. Vereinbarkeit mit den Änderungsvorschlägen 2 und 5 22 4.3. Ergebnis 23 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 4 WD 11 – 3000 – 261/10 1. Einleitung Die bestehende Richtlinie 2001/37/EC zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen (im Folgenden: Tabakproduktrichtlinie)1 datiert aus dem Jahr 2001. Sie enthält Bestimmungen zum Teer-, Nikotin- und Kohlenmonoxidhöchstgehalt von Zigaretten, regelt die Etikettierung von Tabakverpackungen durch eine Verpflichtung zum Abdruck bestimmter Warnhinweise und verbietet den Export von nicht der Richtlinie entsprechenden Zigaretten in Drittländer. Die Europäische Kommission (Kommission) erwägt derzeit ihre Überarbeitung. Ziel der Kommission ist, durch eine Neufassung der Tabakproduktrichtlinie das Funktionieren des Binnenmarktes der Europäischen Union(EU) zu stärken und gleichzeitig ein hohes Maß an Gesundheitsschutz zu gewährleisten.2 Die Überarbeitung soll insbesondere den seit 2001 aufgekommenen internationalen , wissenschaftlichen und marktwirtschaftlichen Entwicklungen Rechnung tragen. Erwogen wird im Wesentlichen eine Verschärfung der geltenden Regelungen. Verschiedene von der Generaldirektion Gesundheit und Verbraucher der Kommission (DG SANCO) erarbeiteten Änderungsoptionen bei der Tabakproduktrichtlinie wurden zunächst einer von externen Beratern (RAND Europe) durchgeführten Folgenabschätzung („impact assessment“) unterzogen. Die Arbeiten dazu begannen Mitte 2009 und wurden im September 2010 mit der Vorlage eines Abschlussberichts fertiggestellt.3 Am 26. September 2010 startete die Kommission ein öffentliches Konsultationsverfahren. In dem Verfahren werden EU-Bürger, Interessenvertreter und staatliche Stellen aufgefordert, bis zum 17. Dezember 2010 Kommentare zu der geplanten Neufassung abzugeben. Grundlage für die Bewertung ist ein von der Kommission herausgegebene Konsultationspapier4, das die Änderungsvorschläge der DG SANCO erläutert. Einen konkreten Richtlinienentwurf über eine Neufassung der Tabakproduktrichtlinie beabsichtigt die Kommission Ende des Jahres 2011 vorzulegen. DG SANCO erwägt Änderungen in fünf konkret benannten Wirkungsbereichen der Tabakproduktrichtlinie . Diese sind: (1) Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Richtlinie auf weitere Tabakprodukte (z. B. Kräuter-Zigaretten, elektronische Nikotindepotsysteme, etc.) – im Folgenden Änderungsvorschlag 1 1 Richtlinie 2001/37/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2001 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen, online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2001:194:0026:0034:DE:PDF (Stand: 7.12.10). 2 Vgl. Europäische Kommission, Generaldirektion Gesundheit und Verbraucher, Possible Revision of the Tobacco Products Directive 2001/37/EC, Public Consultation Document, S. 3, online (auf Englisch) abrufbar unter http://ec.europa.eu/health/tobacco/docs/tobaccoconsultationen.pdf (Stand: 7.12.10). 3 Rand Europe, Assessing the Impacts of Revising the Tobacco Products Directive, Study to support a DG Sanco Impact Assessment, Final report, September 2010, online (auf englisch) abrufbar unter http://ec.europa.eu/health/tobacco/docs/tobaccoiaranden.pdf (Stand: 7.12.10). 4 Europäische Kommission, Possible Revision of the Tobacco Products Directive 2001/37/EC, Public Consultation Document, DG SANCO, S. 3, online (auf Englisch) abrufbar unter http://ec.europa.eu/health/tobacco/docs/tobaccoconsultationen.pdf (Stand: 7.12.10). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 5 WD 11 – 3000 – 261/10 (2) Änderungen der rechtlichen Maßgaben in Bezug auf das Verpackungsdesign von Tabakprodukten (z. B. weitere Verbraucherinformationen/abschreckende Bilder auf den Verpackungen , Einführung von genormten Einheitsverpackungen [generic / plain packaging]) - im Folgenden Änderungsvorschlag 2 (3) Veränderte Regelungen zur Offenlegung und Registrierung von Zusatzstoffen – im Folgenden Änderungsvorschlag 3 (4) Regulierung von Zusatzstoffen in Tabakprodukten – im Folgenden Änderungsvorschlag 4 (5) Einführung von Bestimmungen zur Erschwerung des Zugangs zu Tabakprodukten (z. B. Verbot der Produktpräsentation) – im Folgenden Änderungsvorschlag 5 Ob es tatsächlich zu einer Revision der Tabakproduktrichtlinie mit dem dargestellten Inhalt kommt und wie dieser konkret ausgestaltet wäre, kann zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abgesehen werden. Die in dem Konsultationspapier angeführten Vorschläge (s. o.) sind nach den Angaben der Kommission noch keiner rechtlichen Prüfung in Hinblick auf eine entsprechende unionsrechtliche Gesetzgebungskompetenz oder die Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unterzogen worden.5 Eine rechtliche Bewertung der Änderungsoptionen unter dem Aspekt der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit wird von der Kommission voraussichtlich erst mit der Veröffentlichung eines Richtlinienentwurfs vorliegen. Die folgende rechtliche Überprüfung der gegenwärtig diskutierten Änderungsoptionen kann folglich nur rein hypothetisch erfolgen und versuchen, die Grenzen der Kompetenzen der EU6 in diesem Bereich aufzuzeigen. 2. Die unionsrechtliche Kompetenzgrundlage Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) muss sich im Rahmen des Zuständigkeitssystems der Union die Wahl der Rechtsgrundlage eines Rechtsakts auf objektive , gerichtlich nachprüfbare Umstände gründen. Zu diesen Umständen gehören insbesondere das Ziel und der Inhalt des Rechtsakts.7 Auf der Hand liegt bei allen Änderungsvorschlägen ein gesundheitspolitisch motiviertes Ziel. Bezogen auf die Angaben des Konsultationspapiers und des Abschlussberichts ist daneben das Ziel erkennbar, zumindest über die Implementierung der Änderungsvorschläge 1-4 auf ein besseres Funktionieren des EU-Binnenmarkts hinzuwirken. 5 „At the present stage, the Union competence to adopt the different options [...] and their proportionality have not yet been fully examined. These issues will be analysed at a later stage when the problems and the policy options are developed further.” Europäische Kommission, Generaldirektion Gesundheit und Verbraucher, Possible Revision of the Tobacco Products Directive 2001/37/EC, Public Consultation Document, S. 3, online (auf Englisch ) abrufbar unter http://ec.europa.eu/health/tobacco/docs/tobaccoconsultationen.pdf (Stand: 7.12.10). 6 Gem. Art. 1 Abs. 3 S. 3 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) tritt die EU an die Stelle der Europäischen Gemeinschaft (EG), deren Rechtsnachfolgerin sie ist. Wenn im Folgenden der Begriff „Gemeinschaft“ verwandt wird, liegt dies darin begründet, dass auf die Rechtslage vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon verwiesen wird. 7 Vgl. zum Beispiel EuGH, Urteil vom 4. April 2000, Rs. C-269/97, Slg. 2000, I-2257, Rdnr. 42; Urteil vom 30. Januar 2001, Rs. C-36/98, Slg. 2001, I-779, Rdnr. 58. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 6 WD 11 – 3000 – 261/10 Die Tabakproduktrichtlinie ist ursprünglich auf Art. 95 EGV (Binnenmarktkompetenz) und Art. 133 EGV (Gemeinsame Handelspolitik) gestützt worden. Der EuGH entschied in einem späteren Urteil zur Tabakproduktrichtlinie, dass Art. 95 EGV die einzige zutreffende Rechtsgrundlage der Richtlinie sei und diese zu Unrecht auch Art. 133 EGV als Rechtsgrundlage anführe.8 Eine mögliche Revision der Tabakproduktrichtlinie wird voraussichtlich ebenfalls auf der Rechtsgrundlage von Art. 114 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) (ehemals Art. 95 EGV) erfolgen.9 Aufgrund des Bezugs zum Gesundheitsschutz wäre ferner denkbar, dass eine Revision auf der Rechtsgrundlage des durch den Vertrag von Lissabon neu aufgenommenen Art. 168 Abs. 5 AEUV (Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung vor Tabakkonsum) erfolgt. Beide Varianten werden im Folgenden beleuchtet: 2.1. Art. 114 AEUV als mögliche Kompetenzgrundlage (Binnenmarktkompetenz) Grundsätzlich können gesundheitsschutzrelevante Maßnahmen auch auf die Binnenmarktkompetenz des Art. 114 AEUV gestützt werden. Art. 114 AEUV regelt die Angleichung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten mit dem Ziel der Errichtung und des Funktionierens des Binnenmarkts (Abs. 1). Gem. Art. 114 Abs. 3 AEUV geht die Kommission bei ihren Vorschlägen im Bereich des Binnenmarkts aber auch explizit von einem hohen Schutzniveau u. a. im Bereich des Gesundheit- und Verbraucherschutzes aus und berücksichtigt bei ihren Vorschlägen alle auf wissenschaftliche Ergebnisse gestützten neuen Entwicklungen. Voraussetzung für das Stützen eines Unionsrechtsakts auf die Binnenmarktkompetenz ist der Binnenmarktbezug. Die Maßnahme muss also den Zweck haben, die Voraussetzungen für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zu verbessern. Soweit diese Voraussetzung für die Anwendung des Art. 114 AEUV als Rechtsgrundlage erfüllt sind, steht nach der Rechtsprechung des EuGH auch „nicht entgegen, dass dem Gesundheitsschutz bei den zu treffenden Entscheidungen maßgebende Bedeutung zukommt“.10 Zu untersuchen ist demnach, ob den anvisierten Änderungsoptionen der erforderliche Binnenmarktbezug zukommt. Zu der Frage des Binnenmarktbezugs von Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit gegenüber dem Tabakkonsum hat der EuGH bereits verschiedene Urteile gefällt.11 Aus diesen Urteilen können ggf. Rückschlüsse gezogen werden. 8 EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2002, Rechtssache (Rs.) C-491/01, Amtliche Sammlung (Slg.) 2002, I-11453. 9 Nach der telefonischen Auskunft des zuständigen Referats DG Health/C/C 6 würde eine Revision der Tabakproduktrichtlinie voraussichtlich ebenfalls die Rechtsgrundlage der „Mutter“ teilen. 10 EuGH, Urteil vom 5. Oktober 2000, Rs. C-376/98, Slg. 2000, I-8498, Rdnr. 88 und 2. Leitsatz = Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Internationaler Teil (GRUR Int) 2001, S. 41. 11 Vgl. hierzu Fischer, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EU-Verträge, Kommentar nach dem Vertrag von Lissabon, 5. Auflage 2010, Art. 114 AEUV, Rdnr. 12; Ludwigs, Art. 95 EG als allgemeine Kompetenz zur Regelung des Binnenmarkts oder als „begrenzte Einzelermächtigung“?, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (EuZW) 2006, S. 417. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 7 WD 11 – 3000 – 261/10 2.1.1. Erstes Urteil zur Tabakwerberichtlinie (2000) Im Jahr 2000 hat der EuGH die sogenannte Tabakwerberichtlinie12 auf Klage der Bundesrepublik Deutschland für nichtig erklärt.13 Die Richtlinie war u. a. auf der Grundlage von Art. 95 EGV (Binnenmarktkompetenz) erlassen worden und enthielt ein auf gesundheitspolitischen Motiven beruhendes gemeinschaftsweites absolutes Verbot jeder Form von Werbung und Sponsoring zu Gunsten von Tabakerzeugnissen. Der EuGH stellte fest, dass die Tabakwerberichtlinie von der Kompetenznorm des Art. 95 EGV nicht gedeckt sei. Er unterzog die Tabakwerberichtlinie hierfür einem zweistufigen Test:14 – Um die Binnenmarktkompetenz als Rechtsgrundlage heranzuziehen, sei erstens ein Binnenmarkthemmnis erforderlich. Der Binnenmarkt umfasst einen Raum ohne Binnengrenzen , in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital (sogenannte Grundfreiheiten) gewährleistet ist (Art. 26 Abs. 2 AEUV). Ein Binnenmarkthemmnis wäre folglich gegeben, wenn es darum gehen würde, Hindernisse für die Verwirklichung der Grundfreiheiten zu beseitigen, die sich aus den Unterschieden in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten ergeben.15 Ein Binnenmarkthemmnis könnte nach der Rechtsprechung des EuGH des Weiteren zu bejahen sein, wenn auf Unterschieden in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten beruhende Wettbewerbsverfälschungen bestehen.16 – Zweitens müssten die beabsichtigten Harmonisierungsmaßnahmen tatsächlich den Zweck haben, die vom Gemeinschaftsgesetzgeber verfolgten Zwecke zu verfolgen (Effektivitätsgebot ).17 Bezogen auf die konkrete Richtlinie kam der EuGH zum Schluss, dass zumindest ein Verbot von Werbung auf Plakaten, auf Sonnenschirmen, Aschenbechern und sonstigen in Hotels, Restaurants und Cafés verwendeten Gegenständen sowie das Verbot von Werbespots im Kino nicht auf 12 Richtlinie 98/43/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 6. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsund Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Werbung und Sponsoring zu Gunsten von Tabakerzeugnissen , ABl. 1998 L 213 S. 9. 13 EuGH, Urteil vom 5. Oktober 2000, Rs. C-376/98, Slg. 2000, I-8419 = GRUR Int 2001, S. 41. 14 Koenig/Kühling, Der Streit um die neue Tabakproduktrichtlinie, Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (EWS) 2002, S. 12 (17); vgl. hierzu auch Görlitz, EU-Binnenmarktkompetenzen und Tabakwerbeverbote, Kompetenzrechtliche Anmerkungen zur neuen Richtlinie über Werbung und Sponsoring zu Gunsten von Tabakerzeugnissen , EuZW 2003, S. 485 (486 ff.). 15 EuGH, Urteil vom 5. Oktober 2000, Rs. C-376/98, Slg. 2000, I-8419; Rdnr. 82; s. auch Urteil vom 12. Dezember 2006, Rs. C-380/03, Slg. 2006, I-11573, Rdnr. 37; hierzu Fischer, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EU-Verträge, Kommentar nach dem Vertrag von Lissabon, 5. Auflage 2010, Art. 114 AEUV, Rdnr. 9. 16 EuGH, Urteil vom 5. Oktober 2000, Rs. C-376/98, Slg. 2000, I-8419; Rdnr. 90; s. auch Urteil vom 13. Juli 1995, Rs. C-350/92, Slg. 1995, I-1985, Rdnr. 32. 17 EuGH, Urteil vom 5. Oktober 2000, Rs. C-376/98, Slg. 2000, I-8419, Rdnr. 85. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 8 WD 11 – 3000 – 261/10 Art. 95 EGV gestützt werden könne. Denn diese Verbote förderten den Handel mit den betroffenen Erzeugnissen nicht.18 Die Richtlinie wurde dementsprechend für nichtig erklärt. 2.1.2. Urteile zur Tabakproduktrichtlinie (2002 und 2004) Die 2001 erlassene, hier relevante Tabakproduktrichtlinie stand im Jahr 2002 erstmals auf dem Prüfstand des EuGH.19 Auf ein Vorabentscheidungsverfahren, initiiert von Großbritannien, hatte sich der EuGH erneut mit der Frage auseinanderzusetzen, ob Art. 95 EG eine ausreichende Rechtsgrundlage für die Tabakproduktrichtlinie ist. Es wurde geltend gemacht, dass die Richtlinie nicht bezwecke, den freien Verkehr mit Tabakerzeugnissen in der Gemeinschaft sicherzustellen , sondern der Harmonisierung der nationalen Vorschriften über den Schutz der Gesundheit gegenüber dem Tabakkonsum diene, wofür die Gemeinschaft nicht zuständig sei. Der EuGH kommt zu dem Ergebnis, dass die Richtlinie tatsächlich der Verbesserung der Bedingungen für das Funktionieren des Binnenmarkts diene und daher auf der Grundlage von Art. 95 EGV erlassen werden durfte, ohne dass dem die Tatsache entgegensteht, dass dem Gesundheitsschutz bei den Entscheidungen im Zusammenhang mit den von der Richtlinie festgelegten Maßnahmen entscheidende Bedeutung zukommt.20 Das Eingreifen der Rechtsetzungsbefugnis des Art. 95 EGV wird dabei anhand der im Ersten Tabakwerbeurteil entwickelten Voraussetzungen geprüft. Danach muss die Richtlinie die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes verbessern, d. h. den Zweck haben, Beeinträchtigungen der Grundfreiheiten oder Wettbewerbsverzerrungen abzustellen (s. oben).21 Konkret führt der EuGH aus, dass der Markt für Tabakerzeugnisse und insbesondere für Zigaretten ein Markt sei, auf dem der Handel zwischen den Mitgliedstaaten eine verhältnismäßig wichtige Rolle spiele. Die nationalen Vorschriften über die Anforderungen, denen Erzeugnisse entsprechen müssen, insbesondere die hinsichtlich ihrer Bezeichnung, Zusammensetzung und Etikettierung , seien in Ermangelung einer gemeinschaftsweiten Harmonisierung von Natur aus geeignet , den freien Warenverkehr zu behindern.22 Entsprechende den Handel hemmende Unterschiede zwischen den Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung , Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen seien zum Zeitpunkt des Erlasses der Richtlinie bereits aufgetreten oder nach aller Wahrscheinlichkeit zu erwarten gewesen.23 Damit diene die Tabakproduktrichtlinie im Gegensatz zur verworfenen Ersten Tabakwerberichtlinie tatsächlich der Verbesserung der Bedingungen für das Funktionieren des Binnenmarktes. Denn sie verbiete es den Mitgliedstaaten, sich der Einfuhr, dem Verkauf und dem Konsum von Tabak- 18 EuGH, Urteil vom 5. Oktober 2000, Rs. C-376/98, Slg. 2000, I-8419, Rdnr. 99. 19 EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2002, Rs. C-491/01, Slg. 2002, I-11453. 20 EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2002, Rs. C-491/01, Slg. 2002, I-11453, Rdnr. 75. 21 EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2002, Rs. C-491/01, Slg. 2002, I-11453, Rdnr. 60. S. zum weiteren Inhalt des Urteils Würfel, Europarechtliche Möglichkeiten einer Gesamtharmonisierung des Urheberrechts, 2005, S. 48 ff. 22 EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2002, Rs. C-491/01, Slg. 2002, I-11453, Rdnr. 64. 23 EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2002, Rs. C-491/01, Slg. 2002, I-11453, Rdnr. 65. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 9 WD 11 – 3000 – 261/10 erzeugnissen, die den Anforderungen der Richtlinie entsprechen, zu widersetzen (sog. Freiverkehrsklausel ).24 In seinen weiteren Ausführungen verwässert der EuGH jedoch die von ihm selbst aufgestellten Kriterien: Die Tatsache, dass es bereits eine Gemeinschaftsvorschrift gebe, die die Beseitigung eines Handelshemmnisses auf dem von ihr harmonisierten Gebiet gewährleiste, könne den Gemeinschaftsgesetzgeber nicht daran hindern, diese Vorschrift aus anderen Erwägungen anzupassen .25 Bzgl. des Gesundheitsschutzes ergebe sich aus Art. 95 Abs. 3 EGV, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber ein hohes Schutzniveau gewährleisten müsse. Der Gemeinschaftsgesetzgeber verfüge über ein Ermessen, über das er auch andere Erwägungen wie die zunehmende politische und soziale Bedeutung des Kampfs gegen den Tabakkonsum berücksichtigen dürfe.26 In zwei weiteren Urteilen zur Tabakproduktrichtlinie aus dem Jahr 2004 hat sich der EuGH mit der Frage beschäftigt, ob das in der Richtlinie enthaltene Verbot des Verkaufs von Tabak für den oralen Gebrauch auf die Binnenmarktkompetenz des Art. 95 EGV gestützt werden konnte.27 Der EuGH bejaht diese Frage: Auch bzgl. des Verbots des Verkaufs von Tabakprodukten für den oralen Gebrauch in den Mitgliedstaaten gäbe es unterschiedliche Rechts- und Verwaltungsvorschriften . Da der Markt für Tabakerzeugnisse ein Markt sei, auf dem der Handel zwischen Mitgliedstaaten eine verhältnismäßig wichtige Rolle spiele, trügen diese Vermarktungsverbote zu einer heterogenen Entwicklung dieses Marktes bei und seien geeignet, Hindernisse für den freien Warenverkehr darzustellen.28 Letztlich stellt der EuGH damit pauschal auf den grenzüberschreitenden Handel von Tabakprodukten ab. Die Antwort auf die Frage, inwieweit ein Produktverbot ohne erkennbare handelsbelebende Wirkung zu einer Verbesserung des Verkehrs mit den betroffenen Erzeugnissen beitragen könne, bleibt so im Dunkeln. 29 2.1.3. Zweites Urteil zur Tabakwerberichtlinie (2006) Anstelle der für nichtig erklärten Ersten Tabakwerberichtlinie wurde 2003 eine überarbeitete Richtlinie über Tabakwerbung30 erlassen, die ebenfalls unter dem Gesichtspunkt des ausreichenden Binnenmarktbezugs vom EuGH geprüft wurde.31 Die Zweite Tabakwerberichtlinie verzichtet 24 EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2002, Rs. C-491/01, Slg. 2002, I-11453, Rdnr. 74. 25 EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2002, Rs. C-491/01, Slg. 2002, I-11453, Rdnr. 78. 26 Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2002, Rs. C-491/01, Slg. 2002, I-11453, Rdnr. 80. 27 EuGH, Urteil vom 14. Dezember 2004, Rs. C-434/02, Slg. 2004, I-11825, Rdnr. 37 ff; Urteil vom 7. September 2004, Rs. C-210/03, Slg. 2004, I-11893. 28 EuGH, Urteil vom 14. Dezember 2004, Rs. C-434/02, Slg. 2004, I-11825, Rdnr. 39. 29 So die Kritik von Ludwigs, Art. 95 EG als allgemeine Kompetenz zur Regelung des Binnenmarkts oder als „begrenzte Einzelermächtigung“?, EuZW 2006, S. 417. 30 Richtlinie 2003/33/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Werbung und Sponsoring zugunsten von Tabakerzeugnissen , ABl. 2003 L152 S. 16. 31 EuGH, Urteil vom 12. Dezember 2006, Rs. C-380/03, Slg. 2006, I-11573 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 10 WD 11 – 3000 – 261/10 im Vergleich zur Richtlinie von 1998 auf ein totales Werbeverbot von Tabakerzeugnissen. Verboten ist Tabakwerbung in Rundfunkprogrammen, Zeitungen, Zeitschriften und im Internet; untersagt ist auch das Sponsoring von Rundfunkprogrammen. Ausgenommen sind jedoch Publikationen, die sich ausschließlich an Beschäftigte im Tabakhandel richten und solche, die nicht primär für den gemeinschaftlichen Binnenmarkt bestimmt sind. Weiterhin erlaubt ist Tabakwerbung in sogenannten Rauchergenussmagazinen, die sich ausschließlich an Raucher wenden. In seiner Würdigung führte der EuGH aus, dass zwar eine bloße Feststellung von Unterschieden zwischen nationalen Regelungen nicht ausreiche, um eine Maßnahme auf Art. 95 EGV zu stützen , doch im Fall von Unterschieden, „die geeignet sind, die Grundfreiheiten zu beeinträchtigen und sich auf diese Weise unmittelbar auf das Funktionieren des Binnenmarktes auswirken, etwas anderes“ gelte.32 Der Handel mit Presse- und anderen Druckerzeugnissen sowie die werbende Tätigkeit in den Medien der Informationsgesellschaft und des Rundfunks habe grenzüberschreitenden Charakter. Angesichts divergierender Vorschriften über die Tabakwerbung in den einzelnen Mitgliedstaaten stelle ein einheitliches Verbot der Werbung sicher, dass der Handel mit Druckerzeugnissen und der freie Verkehr von Dienstleistungen zwischen den Mitgliedstaaten nicht aufgrund nationaler Vorschriften behindert werden.33 Unerheblich sei, dass die Verbote auch für nationale oder lokale Werbeträger ohne grenzüberschreitende Wirkung gelten würden, das nicht für jede Situation, die von einer auf Art. 95 EGV gestützten Maßnahme erfasst sei, ein tatsächlicher Zusammenhang mit dem freien Verkehr zwischen den Mitgliedstaaten bestehen müsse, sofern die Maßnahme – wie vorliegend – tatsächlich die Marktbedingungen verbessere.34 Nach ständiger Rechtsprechung könne der Gemeinschaftsgesetzgeber bei Vorliegen der Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Art. 95 EGV einen Rechtsakt auf diese Grundlage stützen , auch wenn dem Gesundheitsschutz maßgebliche Bedeutung zukomme. 2.1.4. Aus den Urteilen des EuGH abgeleiteter Prüfungsmaßstab Die erste Voraussetzung, die nach den bisherigen Urteilen des EuGH für ein Zurückgreifen auf die Binnenmarktkompetenz erfüllt sein muss, ist das Bestehen unterschiedlicher Rechts- und Verwaltungsvorschriften in den Mitgliedstaaten. Aus diesen bestehenden unterschiedlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften in den Mitgliedstaaten müsste sich wiederum ein Binnenmarkthindernis ergeben, was nach den Urteilen des EuGH vorliegt, wenn Grundfreiheiten beeinträchtigt werden oder Wettbewerbsverzerrungen entstehen. Schließlich kann ein Rechtsakt auf Art. 114 AEUV (ex-Art. 95 EGV) gestützt werden, wenn er maßgeblich der Harmonisierung der nationalen Vorschriften über den Schutz der Gesundheit gegenüber dem Tabakkonsum dient, solange damit zugleich das Funktionieren des Binnenmarkts verbessert wird. 2.1.5. Anwendung des Prüfungsmaßstabs auf die Änderungsvorschläge der Kommission Im Folgenden wird auf Basis des obigen Prüfungsmaßstabs ermittelt, ob Art. 114 AEUV für die Einführung der Optionen 1-5 Kompetenzgrundlage sein kann. Der Prüfung werden stets die im 32 EuGH, Urteil vom 12. Dezember 2006, Rs. C-380/03, Slg. 2006, I-11573, Rdnr. 37. 33 EuGH, Urteil vom 12. Dezember 2006, Rs. C-380/03, Slg. 2006, I-11573, Rdnr. 69 ff. 34 EuGH, Urteil vom 12. Dezember 2006, Rs. C-380/03, Slg. 2006, I-11573, Rdnr. 80. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 11 WD 11 – 3000 – 261/10 Konsultationspapier und im Abschlussbericht enthaltenen Angaben als Tatsachen zugrunde gelegt . Änderungsvorschlag 1: In den Mitgliedstaaten gibt es seit den letzten Jahren eine starke Diversifizierung des Marktes von Tabakprodukten. Neben den herkömmlichen Tabakprodukten ist mittlerweile auch ein Anstieg des Angebots von neuartigen Tabakprodukten wie z. B. Wasserpfeifen, elektronische Zigaretten oder Kräuterzigaretten zu verzeichnen. Die gegenwärtigen Regelungen der Tabakproduktrichtlinie sind auf diese Produktvarianten nicht anwendbar. Für die neuen Produkte gibt es zwar zum Teil nationale gesetzliche Regelungen. Diese variieren aber zwischen den Mitgliedstaaten. Denkbar ist, dass die Einführung einheitlicher Bestimmungen für neuartige Tabakprodukte auf EU-Ebene zugleich auch positive Auswirkungen auf den zwischenstaatlichen Handel und damit auf das Funktionieren des EU-Binnenmarktes hätte. Art. 114 AEUV käme insoweit als Kompetenzgrundlage in Betracht. Änderungsvorschlag 2: Abschreckende Bilder auf Zigarettenverpackungen informieren Untersuchungen zufolge den Verbraucher besser über die mit dem Rauchen verbundenen Risiken als rein schriftliche Warnhinweise. Eine solche Maßnahme würde daher das Ziel verfolgen, den Gesundheitsschutz zu verbessern. Gleiches gilt für die Einführung von Einheitsverpackungen. Diese könnten weniger attraktiv auf Verbraucher wirken, zumal die über die bisherigen Verpackungsdesigns vermittelten Botschaften (z. B. Verkörperung eines Lebensgefühls, Anpreisung als Luxus- /Trendartikel) entfielen. Die Verkaufsmenge von Zigaretten in Einheitsverpackungen mag in der Folge schneller abnehmen und damit positive Auswirkungen auf den Gesundheitsschutz haben. Den Abdruck von abschreckenden Bildern auf Zigarettenverpackungen haben bislang einige Mitgliedstaaten vorgeschrieben, in anderen Mitgliedstaaten bestehen derartige Vorgaben nicht.35 Durch die Einführung einheitlicher Regelungen für das äußere Design von Zigarettenverpackungen wären die betroffenen Hersteller nicht gehalten, den jeweiligen nationalen Bestimmungen angepasste Verpackungsdesigns zu produzieren. Zumindest unter diesem Aspekt ließe sich vertreten , dass die die Funktionsweise des Binnenmarkts gestärkt werden soll, sodass eine Heranziehung von Art. 114 AEUV als Kompetenzgrundlage möglich erscheint. Änderungsvorschlag 3: Die Regelungen zur Offenlegung und Registrierung von Zusatzstoffen in Tabakprodukten sind gegenwärtig von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat verschieden. Diese Tatsache führt zu Problemen bei der Auswertung der Daten durch nationale Behörden. Zugleich ist den Tabakherstellern und -importeuren aufgrund der unterschiedlichen Berichtformate die Bereitstellung von Informationen erschwert. Eine Vereinheitlichung der Offenlegung und Registrierung von Inhaltsstoffen erscheint demnach geeignet, das Funktionieren des EU-Binnenmarktes zu erleichtern . Eine Heranziehung von Art. 114 AEUV als Kompetenzgrundlage erscheint damit möglich . Änderungsvorschlag 4: Für die Verwendung von Zusatzstoffen in Tabakprodukten gibt es zwischen den Mitgliedstaaten ebenfalls uneinheitliche nationale Regelungen. Entsprechend existieren national variierende Positiv-und Negativlisten. In der Folge können Zusatzstoffe, die Tabakprodukten in einem Mitgliedstaat zugeführt werden dürfen, in anderen Mitgliedstaaten verboten sein. Eine daher für jeden Mitgliedstaat vorzunehmende Neuanpassung des Tabakprodukts in 35 Es liegen keine Erkenntnisse darüber vor, ob es bisher Mitgliedstaaten gibt, in denen ein einheitliches Verpackungsdesign vorgeschrieben ist. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 12 WD 11 – 3000 – 261/10 Bezug auf seine Zusatzstoffe legt den Schluss nahe, dass der Warenverkehr in dieser Hinsicht nur erschwert möglich ist. Eine einheitliche Regelung in der EU, die in allen Mitgliedstaaten die gleichen Zusatzstoffe erlaubt bzw. verbietet, würde somit das Funktionieren des EU-Binnenmarktes positiv beeinflussen. Art. 114 AEUV käme daher als Kompetenzgrundlage in Betracht. Änderungsvorschlag 5: Einige Mitgliedstaaten, wie das Vereinigten Königreich und Finnland haben Verbotsregelungen zur Präsentation von Tabakprodukten am Verkaufsort eingeführt bzw. planen deren Einführung, andere Mitgliedstaaten demgegenüber nicht. Ebenso sind innerhalb der EU die nationalen Bestimmungen zur Aufstellung von Tabakprodukt-Verkaufsautomaten uneinheitlich . Fraglich erscheint aber hier, ob die Einführung EU-einheitlicher Regelungen zur Produktpräsentation bzw. zum Aufstellen von Automaten überhaupt Auswirkungen auf das Funktionieren des EU-Binnenmarktes haben kann. So führen die gegenwärtigen sich national unterscheidenden Regelungen zur Präsentation von Tabakprodukten nicht dazu, dass etwa Tabakhersteller hierdurch Veränderungen an den Tabakprodukten selbst vornehmen müssten. Das Tabakprodukt ist ohne seine offene Präsentation im Verkaufsraum bzw. im Automaten lediglich weniger sichtbar. Grenzüberschreitende Effekte werden somit nicht offenbar. Zu dem Nutzen dieser Maßnahme für den Gesundheitsschutz kann keine klare Stellung bezogen werden, da nach den bislang vorliegenden Erkenntnissen nicht abgesehen werden kann, ob der Verbrauch von Tabakprodukten durch eine solche Maßnahme abnehmen würde.36 Im Ergebnis ist zumindest mangels erkennbarem Bezugs zum Funktionieren des EU-Binnenmarktes sehr zweifelhaft, ob dieser Vorschlag auf Art. 114 AEUV als Kompetenzgrundlage gestützt werden kann. 2.1.6. Zwischenergebnis Als erste Einschätzung lässt sich festhalten, dass für die Änderungsvorschlage 1-4 mit Ausnahme des Änderungsvorschlags 5 Art. 114 AEUV als Kompetenzgrundlage in Betracht kommt. 2.2. Revision auf der Grundlage von Art. 168 Abs. 5 AEUV Der Vertrag von Lissabon führt mit Art. 168 Abs. 5 AEUV eine neue Vorschrift im Bereich Gesundheitswesen ein. Hiernach können die EU-Organe nach dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren u. a. „Maßnahmen, die unmittelbar den Schutz der Gesundheit vor Tabakkonsum und Alkoholmissbrauch zum Ziel haben“, erlassen. Dies dürfen sie jedoch nur „unter Ausschluss jeglicher Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten“ (Harmonisierungsverbot). Ein solches Harmonisierungsverbot existierte auch schon in der alten Regelung des Art. 152 Abs. 4 lit. c) EGV. Bislang wurde das Harmonisierungsverbot so verstanden, dass auf der Grundlage von Art. 152 Abs. 4 lit. c) EGV „normative, verbindliche Eingriffe in die von Art. 152 erfassten Bereiche des Gesundheitswesens ganz allgemein ausgeschlossen sein“ sollen.37 Da sich das Harmonisierungsverbot als solches mit dem Vertrag von Lissabon nicht geändert hat, ist davon auszugehen, dass diese Auslegung auch weiterhin Geltung beanspruchen kann. Dies 36 Rand Europe, Assessing the Impacts of Revising the Tobacco Products Directive, Study to support a DG Sanco Impact Assessment, Final report, September 2010, S. XXV, online (auf englisch) abrufbar unter http://ec.europa.eu/health/tobacco/docs/tobaccoiaranden.pdf (Stand: 7.12.10). 37 So Wichard, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 3. Auflage 2007, Art. 152 EGV, Rdnr. 16. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 13 WD 11 – 3000 – 261/10 nimmt auch die Bundesregierung in ihrer Denkschrift zum Vertrag von Lissabon an.38 Auch in der Literatur wird überwiegend davon ausgegangen, dass durch den Vertrag von Lissabon keine Ausweitung der Kompetenzen der Union erfolgt ist.39 Zulässig seien weiterhin nur reine Unterstützungsmaßnahmen , wie typischerweise Aktionsprogramme, der Aufbau von Netzwerken und die Einrichtung spezieller Institutionen.40 Nimmt man diese Auffassungen als Grundlage, so könnte die Revision der Tabakproduktrichtlinie nicht auf Art. 168 Abs. 5 AEUV gestützt werden, da es sich bei den von der Kommission vorgestellten Änderungsoptionen nicht um reine Unterstützungsmaßnahmen handeln würde. Der Ausschluss von Art. 168 Abs. 5 AEUV als Kompetenzgrundlage hat jedoch keine Sperrwirkung für die Heranziehung anderer möglicher Rechtsgrundlagen, wie etwa Art. 114 AEUV. Ebenso ist auch eine Harmonisierung nach anderen Vorschriften nicht ausgeschlossen, solange im deren Voraussetzungen vorliegen.41 3. Prüfung europäischen Sekundärrechts am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes? Fraglich ist, inwieweit deutsche Gerichte – insbesondere das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) – Rechtsakte der EU am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes überprüfen können. Werden die geplanten Maßnahmen durch einen Sekundärrechtsakt eingeführt, sind die Befugnisse des BVerfG zu dessen Überprüfung beschränkt. Denn die Zuständigkeit für die Überprüfung des Unionsrechts besitzt ausschließlich der EuGH.42 Vor nationalen Gerichten, dies schließt das BVerfG ein, erfolgt mithin auch keine Kontrolle dahingehend, ob der Rechtsakt der EU gegen nationales Verfassungsrecht verstößt. Dies entspricht der gefestigten Rechtsprechung des BVerfG. 38 Denkschrift der Bundesregierung zum Vertrag von Lissabon, BT-Drs. 16/8300, S. 181: „Da es sich hier nur um ergänzende Maßnahmen handelt, können Harmonisierungsmaßnahmen, wie im Rahmen der Binnenmarktkompetenz (z. B. Tabakwerberichtlinie), keinesfalls auf diese Vorschrift gestützt werden.“ 39 Schutz der Gesundheit der Bevölkerung vor Tabakkonsum im Vertrag von Lissabon, WD 11-3000- 140/08, S. 6; , Europäischer Verfassungsvertrag und künftige EU-Kompetenzen, Die öffentliche Verwaltung (DÖV) 2004, S. 374 (382); Calliess, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), Verfassung der Europäischen Union, 2005, Art. I-17, Rdnr. 4. 40 S. Lugner, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 152, Rdnr. 40; Fischer, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EU- Verträge, Kommentar nach dem Vertrag von Lissabon, 5. Auflage 2010, Art. 168, Rdnr. 19. 41 Kotzur, in: Geiger/Khan/Kotzur, EUV/AEUV, 5. Auflage 2010, Art. 168 AEUV, Rdnr. 10; es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass diese Ansicht nicht unbestritten ist: So wird in der Literatur auch vertreten, dass die Erweiterung des Abs. 5 gerade als Reaktion der Kompetenzdebatte hinsichtlich des Tabakwerbeverbots erlassen wurde; es sei eine neue Zuständigkeit geschaffen worden, vgl. Calliess, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), Verfassung der Europäischen Union, 2005, Art. I-17, Rdnr. 4. 42 Oppermann, Thomas, Europarecht, 3. Auflage, München 2005, S. 222. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 14 WD 11 – 3000 – 261/10 In seinem „Solange-II-Beschluss“43 hat es seine Zuständigkeit für die Überprüfung von Unionsrecht am Maßstab der Grundrechte des Grundgesetzes verneint, solange ein wirksamer Grundrechtsschutz gegenüber der Hoheitsgewalt der EU generell gewährleistet ist, der demjenigen des Grundgesetzes im Wesentlichen gleichsteht. In der Entscheidung zum Vertrag von Maastricht44 hat es sich für zuständig erklärt zu prüfen, ob sich ein Unionsrechtsakt im Rahmen der der EU eingeräumten Kompetenz halte und auch ob er in Deutschland anwendbar sei. Letztere Zuständigkeit übe es aber in einem „Kooperationsverhältnis“ zum EuGH aus. Dazu hat das BVerfG in einer späteren Entscheidung45 ausgeführt, dass eine Verfassungsbeschwerde gegen einen Unionsrechtsakt von vorneherein unzulässig sei, wenn nicht dargelegt werde, dass der Grundrechtsschutz innerhalb der EU unter den erforderlichen Standard abgesunken sei. Damit hat es zwar seine Zuständigkeit bestätigt, die Hürden für eine Kontrolle von sekundärem Unionsrecht vor dem BVerfG allerdings sehr hoch gelegt. In der Entscheidung zum Vertrag von Lissabon46 hat es erneut zu dieser Frage Stellung genommen : Das BVerfG prüft in einer Ultra-vires-Kontrolle, ob Rechtsakte der europäischen Organe die Grenzen der ihnen eingeräumten Hoheitsrechte einhalten, wenn Rechtsschutz auf europäischer Ebene nicht zu erlangen ist. Darüber hinaus prüft es, ob der unantastbare Kerngehalt der Verfassungsidentität aus Art. 79 Abs. 3 GG gewahrt ist.47 Allerdings sei die Auslegung des Rechtes der EU, sowohl des Primärrechts als auch des Sekundärrechts, nach dem Willen der Verträge der europäischen Gerichtsbarkeit zugewiesen worden.48 Dies führe aber nicht dazu, dass die nationalen Verfassungsgerichte ihre Integrationsverantwortung verlören. Bereits in seinem Maastricht- Urteil aus dem Jahr 199349 habe das BVerfG seine Zuständigkeit bekräftigt, europäische Rechtsakte daraufhin zu überprüfen, ob sie sich im Rahmen der eingeräumten Ermächtigung hielten oder aber eine „vertragsausdehnende Auslegung“ vorliege, die einer unzulässigen Vertragsänderung gleichkomme.50 Es sei eine Konsequenz der weiterhin bestehenden Souveränität Deutschlands, dass „jedenfalls dann, wenn es ersichtlich am konstitutiven Rechtsanwendungsbefehl51 mangelt, die Unanwendbarkeit eines solchen Rechtsakts für Deutschland vom Bundesverfassungsgericht festgestellt wird.“52 43 BVerfG, Beschluss vom 22.10.1986, 2 BvR 197/83, Leitsatz 2. 44 BVerfG, Urteil vom 12.10.1993, 2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92, Leitsätze 5, 7. 45 BVerfG, Beschluss vom 07.06.2000, 2 BvL 1/97, Rn. 63 (Bananenmarktordnung). 46 BVerfG, Urteil vom 30.06.2009, 2 BvE 2/08. 47 BVerfG, Urteil vom 30.06.2009, 2 BvE 2/08, Rn. 240. 48 BVerfG, Urteil vom 30.06.2009, 2 BvE 2/08, Rn. 333. 49 BVerfG, Urteil vom 12.10.1993, 2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92. 50 BVerfG, Urteil vom 30.06.2009, 2 BvE 2/08, Rn. 338. 51 Der Rechtsanwendungsbefehl ergeht dadurch, dass der Übertragung von Hoheitsrechten auf die EU die Zustimmung durch den nationalen Souverän erteilt wird; bricht der Rechtsakt aus der eingeräumten Befugnis aus, liegt in diesem Fall mangels erteilter Zustimmung kein Anwendungsbefehl vor. 52 BVerfG, Urteil vom 30.06.2009, 2 BvE 2/08, Rn. 339. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 15 WD 11 – 3000 – 261/10 Das BVerfG hat in einer Entscheidung vom Juli 201053 seine Aussagen im Lissabon-Urteil bezüglich seiner Prüfungskompetenz relativiert. Es bekräftigt zwar seine Befugnis zu einer Ultra-viresKontrolle, schränkt sie aber insoweit ein, dass sie dem Grundsatz der Europarechtsfreundlichkeit folgen müsse und nur in Frage komme, wenn ein hinreichend qualifizierter Kompetenzverstoß der europäischen Organe vorliege, also offensichtlich sei und zu einer „strukturell bedeutsamen“ Verschiebung des Kompetenzgefüges zulasten der Mitgliedstaaten führe. Das BVerfG würde den Sekundärrechtsakt mithin lediglich dann überprüfen, wenn er einen „ausbrechenden Rechtsakt“ darstellte, der offensichtlich nicht mehr durch die Ermächtigung des Primärrechts gedeckt ist. Eine Prüfung am Maßstab der deutschen Grundrechte ist insbesondere im Hinblick auf die Bananenmarkt-Entscheidung nahezu ausgeschlossen. Unabhängig davon, ob der Rechtsakt einer Überprüfung durch das BVerfG unterliegt, ist auf europäischer Ebene eine Rechtsschutzmöglichkeit jedenfalls gegeben. Jeder Mitgliedsstaat, das Europäische Parlament, der Rat oder die Kommission können in einer Nichtigkeitsklage vor dem EuGH die Rechtswidrigkeit des Rechtsaktes rügen (Art. 263 AEUV). Prüfungsmaßstab kann hier allerdings nur europäisches Recht einschließlich europäischer Grundrechte sein. 4. Prüfung anhand europäischer Grundrechte Die Änderungsvorschläge der Kommission finden ihre Grenze in den Grundrechten der EU. Diese ergeben sich einerseits aus der seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon rechtsverbindlichen Charta der Grundrechte der EU54 (GrCH) (s. den Verweis in Art. 6 Abs. 1 des Vertrages über die Europäische Union (EUV)) und andererseits aus den Grundrechten, wie sie in der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK)55 gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben (s. Art. 6 Abs. 3 EUV). In den schon im Rahmen der Prüfung der Kompetenzgrundlage (s. Ziffer 2.1) angeführten Urteilen des EuGH zur Tabakwerbe- und Tabakproduktrichtlinie hat der EuGH sich (zumeist) auch mit einer möglichen Verletzung europäischer Grundrechte durch die den Tabakherstellern auferlegten Beschränkungen befasst. Geprüft wurden vor allem eine Verletzung der Grundrechte auf freie Berufsausübung und Eigentum und Verstöße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit .56 Im Ergebnis wurde jeweils keine Verletzung von Grundrechten festgestellt. Auch in den hier zu prüfenden Sachverhaltskonstellationen könnte ein Eingriff in die unternehmerischen 53 BVerfG, Beschluss vom 6. Juli 2010, 2 BvR 2661/06. 54 Charta der Grundrechte der Europäischen Union vom 12. Dezember 2007, ABl. Nr. C 303, S. 1. 55 Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten in der Fassung der Bekanntmachung vom 17. Mai 2002, BGBl. II S. 1055. 56 Vgl. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2002, Rs. C-491/01, Slg. 2002, I-11453, Rdnr. 147 ff.; Urteil vom 7. September 2004, Rs. C-210/03, Slg. 2004, I-11893, Rdnr. 7, 72 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 16 WD 11 – 3000 – 261/10 Freiheiten, d. h. das Grundrecht auf Eigentum und das Recht auf freie Berufsausübung bzw. das Recht auf unternehmerische Freiheit vorliegen. Nach der bisher vorgenommenen Untersuchung der Änderungsvorschläge erscheint im Wesentlichen bei den Vorschlägen 2 und 5 (Einführung von Einheitsverpackungen; Verbot der Produktpräsentation ) ein Konflikt mit europäischen Grundrechten denkbar. Nachfolgend wird daher der Frage nachgegangen, ob mit diesen speziellen Maßnahmen gegen die Grundrechte auf Eigentum, freie Berufsausübung und unternehmerische Freiheit zu Unrecht eingegriffen würde. Da noch kein Kommissionsentwurf zur Änderung der Tabakproduktrichtlinie vorliegt, in dem sich weiterführende Informationen etwa zur Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen finden, kann die Prüfung eher allgemeine Aussagen zu möglichen Grundrechtsverletzungen treffen. Der Schwerpunkt der Prüfung liegt somit darauf, die wesentlichen Spannungsfelder zwischen den Änderungsvorschlägen 2 und 5 und den europäischen Grundrechten aufzuzeigen. 4.1. Verletzung des Grundrechts auf Eigentum Das Unionsgrundrecht auf Eigentum ergibt sich zum einen aus Art. 17 GrCH. Gem. Art. 17 Abs. 1 S. 1 GrCH hat jede Person das Recht, ihr rechtmäßig erworbenes Eigentum zu besitzen, zu nutzen, darüber zu verfügen und es zu vererben. Das Eigentumsrecht ergibt sich zum anderen auch aus Art. 1 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK. Diese Eigentumsgarantie der EMRK entspricht im Wesentlichen dem Eigentumsrecht in Art. 17 GrCH.57 Des Weiteren gewährleisten die Verfassungen vieler Mitgliedstaaten das Eigentumsrecht als Grundrecht.58 4.1.1. Schutzbereich Das Eigentumsrecht ist wie im deutschen Verfassungsrecht durch einen normgeprägten Schutzbereich gekennzeichnet, der erst durch den Gesetzgeber näher ausgestaltet werden kann. Wie auch Art. 345 AEUV59 deutlich macht, erlangt das Eigentum seine inhaltliche Bestimmung durch die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen und die Normen des Unionsrechts gemeinsam.60 Unter Berücksichtigung des oben Genannten muss der Begriff des Eigentums in einem weiten Sinn verstanden werden. Davon umfasst ist jedes rechtmäßig erworbene vermögenswerte Recht, das dem Einzelnen so zugeordnet ist, dass er die damit verbundenen Befugnisse nach eigenverantwortlicher Entscheidung und zu seinem privaten Nutzen ausüben darf.61 Geschützt ist nach Art. 17 Abs. 2 GrCH zudem ausdrücklich das geistige Eigentum, damit auch das Markenrecht.62 Noch nicht abschließend geklärt ist, ob vom Schutzbereich des Art. 16 GrCH auch der eingerich- 57 Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 4. Auflage 2009, § 25, Rdnr. 2; Bernsdorff, in: Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 3. Auflage 2011, Art. 17, Rdnr. 1. 58 Bernsdorff, in: Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 3. Auflage 2011, Art. 17, Rdnr. 1 59 Art. 345 AEUV: „Die Verträge lassen die Eigentumsordnung in den verschiedenen Mitgliedstaaten unberührt.“ 60 Callies, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 3. Auflage 2009, § 16.4 III 2, Rdnr. 14. 61 Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2010, Art. 17, Rdnr. 6. 62 Vgl. Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2010, Art. 17, Rdnr. 9. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 17 WD 11 – 3000 – 261/10 tete und ausgeübte Gewerbebetrieb mitumfasst ist.63 Träger des Grundrechts können sowohl natürliche wie juristische Personen sein, nicht jedoch staatliche Stellen.64 4.1.2. Eingriff Nach Art. 17 GrCH liegt ein Eingriff vor, wenn eine eigentumsfähige Position entzogen oder ihre Nutzung, Verfügung oder Verwertung Beschränkungen unterworfen wird.65 4.1.3. Rechtfertigung Ein Eingriff in das Eigentumsgrundrecht kann gleichwohl gerechtfertigt sein. Art. 17 GrCH sieht in diesem Zusammenhang den Entzug des Eigentums aus Gründen des öffentlichen Interesses vor, soweit dieser in einem Gesetz vorgesehen ist und eine angemessene Entschädigung für den Verlust des Eigentums gewährt wird, Art. 17 Abs. 1 S. 2 GrCH. Ferner kann die Nutzung des Eigentums gesetzlich geregelt werden, soweit dies für das Wohl der Allgemeinheit erforderlich ist, Art. 17 Abs. 1 S. 3 GrCH. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sind etwa bloße Nutzungsbeschränkungen rechtmäßig, wenn sie „tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf die verfolgten Ziele unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die so gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet“.66 4.1.4. Vereinbarkeit der Änderungsvorschläge 2 und 5 mit dem Eigentumsgrundrecht Änderungsvorschlag 2: Mit dem Änderungsvorschlag 2 soll das Aussehen von Tabakproduktverpackungen vereinheitlicht werden. Herstellern wäre nur noch erlaubt, Produkt- und Markennamen auf die Verpackungen zu drucken. Die Verpackungen selbst würden eine einheitliche Farbe (z. B. weiß, grau) erhalten und mit gut erkennbaren Gesundheitswarnungen versehen werden. Alternativ wird erwogen, künftig die Abbildung abschreckender Bilder auf Zigarettenverpackungen vorzuschreiben. Da die angekündigten Maßnahmen den Tabakwarenherstellern in weiten Teilen untersagen, die Fläche auf der Zigarettenpackung zum Anbringen ihrer Markendesigns frei zu nutzen, wird ein Eingriff in Form einer Nutzungsbeschränkung in das in Art. 17 Abs. 2 GrCH geschützte Markenrecht als Unterfall des geistigen Eigentums zu bejahen sein. 63 Callies und Jarass lassen diese Frage offen, vgl. Callies, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten , 3. Auflage 2009, § 16.4 III 2, Rdnr. 21; Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2010, Art. 17, Rdnr. 12. 64 Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2010, Art. 17, Rdnr. 17. 65 Calliess, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 3. Auflage 2009, § 16.4 III 2,Rdnr. 24 mwN; ähnlich ist die Eingriffsdefinition bei der EMRK, vgl. Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention , 4. Auflage 2009, § 25, Rdnr. 8. 66 EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2002, Rs. C-491/01, Slg. 2002, I-11453, Rdnr. 149 mwN; EuGH, Urteil vom 28. April 1998, Slg. 1998, I-1953, Rdnr. 21; EuGH, Urteil vom 3. Dezember 1998, Slg. 1998, I-7967, Rdnr. 79. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 18 WD 11 – 3000 – 261/10 Fraglich ist weiter, ob dieser Eingriff gerechtfertigt werden kann. Der von der Kommission verfolgte Zweck des Änderungsvorschlags 2 liegt maßgeblich in der Verbesserung des Gesundheitsschutzes. Zum Erreichen dieses Ziels müssten die Restriktionen bei der Verpackungsgestaltung verhältnismäßig sein. Schließlich darf das Markenrecht der Tabakwarenhersteller nicht in seinem Wesensgehalt angetastet werden. Der EuGH hat in seinem ersten Urteil zur Tabakproduktrichtlinie aus dem Jahr 200267 die Pflicht, auf den Zigarettenpackungen den Teer-, Nikotin- und Kohlenmonoxidgehalt der Zigaretten anzugeben und Warnhinweise über die gesundheitlichen Gefahren dieser Erzeugnisse anzubringen, als noch verhältnismäßig angesehen.68 Auch der Wesensgehalt des Eigentumsrechts sei noch nicht angetastet gewesen.69 Im Einzelnen führte der EuGH aus, dass der prozentuale Anteil der Flächen, die für diese Angaben und Warnhinweise auf bestimmten Seiten der Verpackungen von Tabakerzeugnissen vorzusehen sind, noch genug Raum lasse, um dort andere Angaben, insbesondere bezüglich Zigarettenmarken, anzubringen.70 Überträgt man diese Argumentation auf die in Änderungsvorschlag 2 erwogene Verpflichtung zur Herstellung von Einheitsverpackungen, erscheint es zweifelhaft, ob der Wesensgehalt des Rechts aus Art. 17 Abs. 2 GrCH erneut unangetastet bliebe. Zwar mag im Bezug auf den Gesundheitsschutz der Effekt eintreten, dass Hinweise zur Gefährdung der Gesundheit auf Einheitsverpackungen stärker in den Vordergrund treten als bei den bisherigen Verpackungsdesigns. Bei dieser Maßnahme bliebe dem Tabakwarenhersteller jedoch mit Ausnahme der Anbringung seines Produktnamens die weitere Individualisierung seiner Marke gänzlich verwehrt. Im Gegenteil dürfte die einfarbige Gestaltung von Zigarettenverpackungen eine Individualisierung der Marke nahezu unterbinden. Soweit Tabakwarenhersteller nur verpflichtet wären, abschreckende Bilder auf Zigarettenpackungen abzubilden, könnte auf der Verpackung noch eine geringe Freifläche verbleiben, um die eigene Marke zu präsentieren. Folglich erscheint bei dieser Alternative das Eigentumsgrundrecht weniger betroffen zu sein.71 Die Maßnahme wäre auch geeignet, der Verbesserung Gesundheitsschutzes zu dienen. So wäre der Verbraucher durch die abschreckende Bebilderung in stärkerem Maße auf die mit dem Tabakkonsum einhergehenden Gefahren hingewiesen. Hierbei kann auch auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen aufgebaut werden, dass Warnungen durch Bilder im Vergleich zu Textwarnungen das Bewusstsein der Verbraucher um die mit dem Tabakkonsum 67 EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2002, Rs. C-491/01, Slg. 2002, I-11453. 68 Der EuGH führte zur Verhältnismäßigkeit jedoch keine ausführliche Prüfung durch, sondern stellte nur fest, dass die Beschränkung noch verhältnismäßig sei, s. EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2002, Rs. C-491/01, Slg. 2002, I-11453, Rdnr. 150. 69 EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2002, Rs. C-491/01, Slg. 2002, I-11453, Rdnr. 150ff. Was den Wesensgehalt im Einzelnen ausmacht, ist bislang nicht hinreichend geklärt. Denkbar ist, das sich die Wesensgehaltsgarantie in der Verhältnismäßigkeit erschöpft, vgl. Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2010, Art. 17, Rdnr. 37. 70 EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2002, Rs. C-491/01, Slg. 2002, I-11453, Rdnr. 132, 152, 153. 71 Siehe jedoch die Anmerkungen in Fn. 69. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 19 WD 11 – 3000 – 261/10 einhergehenden Risiken deutlich erhöhen.72 Im Gegenzug verbliebe Tabakwarenherstellern eine Restfläche zur Individualisierung seiner Marke. Die Verpflichtung zur Abbildung abschreckender Bilder auf Zigarettenpackungen erscheint daher den Kriterien der Erforderlichkeit und Angemessenheit eher genügen zu können. Änderungsvorschlag 5: Mit dem Änderungsvorschlag 5 soll die Präsentation von Tabakprodukten untersagt werden. Da es sich bei der Maßnahme eher um ein Verbot der Vermarktung der Marke handelt, ist fraglich, ob dieses auch an Art. 17 GrCH gemessen werden kann. Der EuGH hat in seinem Urteil vom 7. September 2004 die Einführung eines Vermarktungsverbots für Tabakerzeugnisse für den oralen Gebrauch am Grundrecht der Berufsausübung geprüft und die Anwendung des Grundrechts auf Eigentum abgelehnt.73 Das Vermarktungsverbot könne nach dem EuGH zwar die freie Berufsausübung beschränken. Das Eigentumsrecht sei jedoch nicht in Frage gestellt: Ein Vermarktungsverbot könne zwar Marktanteile verändern. Kein Wirtschaftsteilnehmer könne jedoch ein Eigentumsrecht an einem Marktanteil geltend machen, auch dann nicht, wenn er ihn zu einem Zeitpunkt vor der Einführung einer diesen Markt betreffenden Maßnahme besessen hat. Ein solcher Marktanteil stelle nur eine augenblickliche wirtschaftliche Position dar, die den mit einer Änderung der Umstände verbundenen Risiken ausgesetzt ist. Ein Wirtschaftsteilnehmer kann nach dem EuGH auch kein wohlerworbenes Recht oder auch nur berechtigtes Vertrauen auf die Beibehaltung einer bestehenden Situation, die durch Entscheidungen der Gemeinschaftsorgane im Rahmen ihres Ermessens verändert werden, geltend machen. Die obigen Aussagen können auf die Maßnahmen des Änderungsvorschlags 5 übertragen werden, da es sich bei dem Verbot der Produktpräsentation von Tabakprodukten um eine Ausweitung des bisherigen Vermarktungsverbots handeln dürfte. Der Änderungsvorschlag 5 wäre somit nicht an Art. 17 GrCH, sondern allein an der freien Berufsausübung bzw. der unternehmerischen Freiheit zu messen. 4.1.5. Zwischenergebnis Bei der Verpflichtung zu einem einheitlichen (einfarbigen) Design von Zigarettenpackungen bestehen hinreichende Bedenken, ob eine Rechtfertigung noch unter dem Aspekt des Gesundheitsschutzes möglich ist. Ausgehend von der bisherigen Rechtsprechung des EuGH ist eher davon auszugehen, dass mit dieser Maßnahme in den Wesensgehalt von Art. 17 GrCH eingegriffen würde . Die Verpflichtung zur Abbildung von abschreckenden Bildern auf Zigarettenverpackungen lassen dem Tabakwarenhersteller dagegen noch Raum für ein eigenes Markendesign, wobei gleichzeitig eine Steigerung des Gesundheitsschutzes zu erwarten ist. Der Eingriff in Art. 17 GrCH könnte somit noch gerechtfertigt sein. 72 Rand Europe, Assessing the Impacts of Revising the Tobacco Products Directive, Study to support a DG Sanco Impact Assessment, Final report, September 2010, S. XXIV, online (auf englisch) abrufbar unter http://ec.europa.eu/health/tobacco/docs/tobaccoiaranden.pdf (Stand: 7.12.10). 73 EuGH, Urteil vom 7. September 2004, Rs. C-210/03, Slg. 2004, I-11893, Rdnr. 73. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 20 WD 11 – 3000 – 261/10 Das Verbot der Produktpräsentation fällt dagegen nicht in den Schutzbereich von Art. 17 GrCH. 4.2. Verletzung der Grundrechte auf Berufsfreiheit und unternehmerische Freiheit Das Grundrecht der Berufsfreiheit ist in Art. 15 GrCH geschützt. Das Grundrecht auf unternehmerische Freiheit ist in Art. 16 GrCH geregelt, wobei diese im Kern als Ausprägung der Berufsfreiheit zu verstehen ist.74 Der EuGH hat beide Grundrechte aus den allgemeinen Rechtsgrundsätzen abgeleitet.75 Sie schützen zusammengenommen die Berufswahl und die Berufsausübung. Die Berufsfreiheit nach Art. 15 GrCH wird dabei im Wesentlichen auf die Berufstätigkeit der Arbeitnehmer beschränkt, wohingegen Art. 16 GrCH der selbständigen Betätigung Grundrechtsschutz verleiht. 4.2.1. Schutzbereich Art. 15 GrCH und Art. 16 GrCH schützen gemeinsam die umfassende Gewährleistung der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit.76 Art. 15 GrCH schützt die auf gewisse Dauer angelegte entgeltliche Arbeit.77 Art. 16 GrEH setzt eine unternehmerische Betätigung, d. h. eine Wirtschafts- und Geschäftstätigkeit voraus. Vom Schutzbereich umfasst ist die wirtschaftliche Betätigung in allen ihren Ausprägungen, insbesondere die Aufnahme, Durchführung und Beendigung der Betätigung , insbesondere die industrielle und gewerbliche Herstellung von Produkten.78 Ebenso geschützt sind die Art und Weise, wie das Unternehmen betrieben wird. Hierzu gehören auch Werbung und Sponsoring sowie die Wettbewerbsstellung des Wirtschaftsteilnehmers.79 Träger des Grundrechts sind alle natürlichen Personen (Unionsbürger) und Drittstaatsangehörigen mit Zugang zum EU-Arbeitsmarkt sowie juristische Personen.80 74 Vgl. Bernsdorff, in: Meyer (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 3. Auflage 2011, Art. 16 GrCH, Rdnr. 1. 75 Für Art. 15 GrCH s. EuGH, Urteil vom 13. Dezember 1979, Rs. C-44/79, Slg. 1979, 3727; Rs. C-234/85, Slg. 1986, 2897, Rdnr. 8. Für Art. 16 GrCH s. EuGH, Urteil vom 14. Mai 1974, Rs. C-4/73, Slg. 1974, 491, Rdnr. 14; Rs. C- 230/78, Slg. 1979, 2749, Rdnr. 20. 76 Ruffert versteht die Art. 15 und 16 GrCH daher als einheitliches Grundrecht der Berufsfreiheit, s. Ruffert, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 3. Auflage 2009, § 16 I 2, Rdnr. 10. 77 Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2010, Art. 15, Rdnr. 7. 78 Ruffert, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 3. Auflage 2009, § 16.3 I 2, Rdnr. 13; Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2010, Art. 16, Rdnr. 10. 79 Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2010, Art. 16, Rdnr. 9. 80 Bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts muss miunter differenziert werden, s. Ruffert, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 3. Auflage 2009, § 16.3 I 3, Rdnr. 24ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 21 WD 11 – 3000 – 261/10 4.2.2. Eingriff Ein Eingriff in Art. 15 GrCH ist gegeben, wenn etwa die Union im Schutzbereich nachteilige Regelungen trifft oder in sonstiger Weise das Verhalten erheblich behindert. Dies gilt für normative, wie für nicht normative Entwicklungen. In Art. 16 GrCH greift jede Tätigkeit ein, die für den Grundrechtsinhaber im Hinblick auf seine unternehmerische Betätigung einen Nachteil bezweckt oder unmittelbar bewirkt (Sanktions-, Erzwingungsmaßnahmen ).81 Problematisch ist bei Art. 15 und 16 GrCH die Behandlung bei mittelbaren bzw. faktischen Auswirkungen von Rechtsakten, die nicht an den Betroffenen adressiert sind. Bedeutsam ist, ob eine Maßnahme „hinreichend direkte und bedeutsame Auswirkungen auf die freie Berufsausübung“ hat. Die unternehmerische Betätigung muss zudem zwangsläufig mit unsicheren Marktbedingungen umgehen. Etwa eine Intensivierung des Wettbewerbs stellt daher kein Eingriff dar.82 Der EuGH hat die Einschränkung der Berufs- und Unternehmensfreiheit häufiger bejaht, als abgelehnt . Insbesondere sei ein Eingriff in Art. 16 GrCH gegeben, wenn Vorgaben zur Bezeichnung und Aufmachung von Produkten getroffen werden.83 4.2.3. Rechtfertigung Die Beschränkung der Artikel 15, 16 GrCH bedarf einer rechtlichen Grundlage, die hinreichend genau formuliert ist.84 Einschränkungen dürfen nur zu „von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen“ oder zum Schutz der „Rechte und Freiheiten“ anderer erfolgen . Im Übrigen muss der Eingriff verhältnismäßig sein. Darüberhinaus istdieFormulierungdesArt. 16 GrCH85 als Ausgestaltungs-undRegelungsvorbehalt zu verstehen, der dem Gesetzgeber im Vergleich zu Art. 15 GrCH weitreichendere Beschränkungen ermöglicht.86 Im Bereich der Verhältnismäßigkeitsprüfung kanndahernachder Rechtsprechung des EuGH bei der Abwägung zwischen Regelungsziel und Eingriff der Schutz der menschlichen Gesundheit beträchtliche negative Folgen wirtschaftlicher Art rechtfertigen und ist gegenüber wirtschaftlichen Erwägungen grundsätzlich vorrangig.87 Auch das Ausmaß 81 Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2010, Art. 16, Rdnr. 12. 82 Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2010, Art. 16, Rdnr. 13. 83 EuGH, Urteil vom 13. Dezember 1994, Rs. C-306/93, Slg. 1994, I-05555; EuGH, Urteil vom 8. Oktober 1986, Rs. C-234/85, Slg. 1987, I-2289. 84 Ruffert, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 3. Auflage 2009, § 16.3 III 2, Rdnr. 34. 85 Art. 16 GrCH: „Die unternehmerische Freiheit wird nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten anerkannt.“ 86 Auf die Berufsfreiheit besteht ein Recht, die unternehmerische Freiheit wird nur geachtet, s. Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2010, Art. 16, Rdnr. 28. 87 EuGH, Urteil vom 17. Juli 1997, Rs. C-183/95, Slg. 1997, I-04315, Rdnr. 43. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 22 WD 11 – 3000 – 261/10 der Belastung ist für die Prüfung bedeutsam: Belastungen der Berufswahl wiegen schwerer als Belastungen der Berufsausübung. Zu erwähnen ist schließlich, dass der EuGH die gerichtliche Kontrolle bei wirtschaftlichen Betätigungen deutlich zurückgenommen hat. Der EU kommt damit bei dem Erlass einer Maßnahme ein weiter Ermessens- und Beurteilungsspielraum zu. Eine Maßnahme könnte daher nur gegen europäische Grundrechte verstoßen, wenn sie offensichtlich unverhältnismäßig ist.88 4.2.4. Vereinbarkeit mit den Änderungsvorschlägen 2 und 5 Änderungsvorschlag 2: Verbindliche Vorgaben bei der Erstellung des Verpackungsdesigns greifen in den Herstellungsprozess von Tabakprodukten ein und stellen damit zumindest einen Eingriff in die in Art. 16 GrCH verbürgte unternehmerische Freiheit dar. Der Änderungsvorschlag 2 bezweckt im Wesentlichen eine Verbesserung des Schutzes der Gesundheit. Die Maßnahme erscheint zum Erreichen dieses Ziels auch geeignet. Bei der Frage der Erforderlichkeit und Angemessenheit ist jeweils zu berücksichtigen, dass nach dem EuGH der Schutz der menschlichen Gesundheit auch schwerwiegende Folgen wirtschaftlicher Art rechtfertigen kann.89 Die Verpflichtung der Tabakwarenhersteller zu einem einheitlichen (einfarbigen) Design von Zigarettenpackungen stellt einen gravierenderen Eingriff in Art. 16 GrCH dar als die Verpflichtung zur Abbildung von abschreckenden Bildern. Gleichwohl kann aufgrund des der EU vom EuGH zugebilligten weiten Spielraums bei der Beschränkung der unternehmerischen Freiheit bei Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit keine klare Prognose dazu abgegeben werden, ob der EuGH solche Eingriffe noch als gerechtfertigt ansehen würde. Änderungsvorschlag 5: Das Verbot der Produktpräsentation stellt eine Beschränkung der freien Berufsausübung bzw. des Grundrechts auf unternehmerische Freiheit dar.90 Auch diese Maßnahme dient maßgeblich dem Gesundheitsschutz. Sie scheint hierzu auch geeignet, da durch eine eingeschränkte Vermarktungsmöglichkeit von Tabakprodukten der Verbraucher weniger auf Tabakprodukte aufmerksam gemacht wird und seine Kaufbereitschaft in der Folge abnehmen könnte. Jedoch erscheint auch in diesem Fall aufgrund des oben angeführten hohen Stellenwerts des Gesundheitsschutzes fraglich , ob der durch Änderungsvorschlag 5 erfolgende Eingriff noch innerhalb des Rechtfertigungsrahmens der Art. 15 bzw. 16 GrCH bleibt. 88 EuGH, Urteil vom 5. Oktober 1994, Rs. C-280/93, Slg. 1994, I-4973, Rdnr. 90; vgl. auch Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2010, Art. 16, Rdnr. 29. 89 EuGH, Urteil vom 17. Juli 1997, Rs. C-183/95, Slg. 1997, I-04315, Rdnr. 43: „[Dem] Schutz der Volksgesundheit, dessen Gewährleistung die streitige Entscheidung bezweckt, [ist] gegenüber wirtschaftlichen Erwägungen vorrangige Bedeutung beizumessen.“ 90 Vgl. zu dem Vermarktungsverbot für Tabakerzeugnisse zum oralen Gebrauch EuGH, Urteil vom 7. September 2004, Rs. C-210/03, Slg. 2004, I-11893, Rdnr. 73. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 23 WD 11 – 3000 – 261/10 4.3. Ergebnis Die Änderungsvorschläge 2 und 5 stellen Eingriffe in das Eigentumsgrundrecht bzw. in das Grundrecht auf unternehmerischen Freiheit dar. Eine Rechtfertigung der Eingriffe unter dem Gesichtspunkt des Gesundheitsschutzes erscheint beim Eigentumsrecht möglich, soweit allein die Abbildung von abschreckenden Bildern vorgeschrieben werden soll. Bei der Verpflichtung zur Herstellung sog. Einheitsverpackungen ist eher von einem Grundrechtsverstoß auszugehen. Bzgl. des Grundrechts auf unternehmerische Freiheit kann aufgrund des hohen Ranges des Gesundheitsschutzes und der weitreichenden Beschränkungsmöglichkeit von Art. 16 GrCH trotz der hohen Eingriffsintensität eher von einer Rechtfertigung des Eingriffs ausgegangen werden. - Fachbereich Europa -