Deutscher Bundestag Pauschalbesteuerung von Bahnunternehmen in Frankreich Vereinbarkeit mit dem Recht der Europäischen Union Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 11 – 3000 – 226/10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 226/10 Seite 2 Pauschalbesteuerung von Bahnunternehmen in Frankreich Vereinbarkeit mit dem Recht der Europäischen Union Aktenzeichen: WD 11 – 3000 – 226/10 Abschluss der Arbeit: 25. Oktober 2010 Fachbereich: WD 11: Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 226/10 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Verstoß gegen Sekundärrecht 4 2.1. Richtlinie 91/440/EWG 5 2.2. Richtlinie 2001/14/EG 7 3. Grundfreiheiten als Prüfmaßstab? 8 3.1. Einschlägigkeit der Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV? 8 3.2. Ausnahmevorschrift des Art. 58 AEUV 9 3.3. Zwischenfazit 9 4. Sondervorschriften für den Verkehr in Art. 90 ff. AEUV 9 4.1. Stillhalteverpflichtung des Art. 92 AEUV 10 4.1.1. Unionsrechtliche Harmonisierung? 11 4.1.2. Auslegung des Art. 92 AEUV 11 4.1.3. Zwischenfazit 13 4.2. Beseitigung von Diskriminierung, Art. 95 AEUV 14 4.3. Verbotene Unterstützungsmaßnahme, Art. 96 AEUV 14 5. Verstoß gegen steuerliche Vorschriften der EU 15 6. Verstoß gegen Wettbewerbsregeln 16 6.1. Verstoß gegen das Beihilfeverbot (Art. 107 AEUV) 17 6.2. Die Vorschrift des Art. 116 AEUV 17 7. Zusammenfassung 18 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 226/10 Seite 4 1. Einleitung In Frankreich wurde am 1. Januar 2010 als Ersatz für die abgeschaffte Gewerbesteuer1 u. a. die „Imposition Forfaitaire sur les Entreprises de Réseau“ (IFER) eingeführt.2 Dabei handelt es sich um eine Pauschalbesteuerung von Bahnunternehmen, die den französischen Gebietskörperschaften zugute kommt. Die Steuer wird auf Fahrzeuge erhoben, die zum Zwecke der Geschäftstätigkeit oder im Rahmen von internationalen Gruppierungen im Vorjahr auf dem staatlichen französischen Schienennetz für Personenverkehrsleistungen eingesetzt wurden. Sie gilt damit für Hochgeschwindigkeitsverkehre in Kooperation mit dem SNCF ebenso wie für den grenzüberschreitenden Regionalverkehr. Im Gegensatz zur ehemaligen Gewerbesteuer, die vom Standort der Betriebsstätte abhing, wird die neue Steuer auch von Unternehmen ohne feste Niederlassung in Frankreich erhoben.3 Die IFER-Steuer ist unabhängig von der Nutzungsintensität der Infrastruktur durch ein Fahrzeug zu zahlen. Unternehmen, deren Fahrzeuge nur anteilig in Frankreich eingesetzt werden, werden also überproportional belastet – im Extremfall reicht eine einmalige Nutzung. Nach Mitteilung des Verkehrsministeriums Rheinland-Pfalz führt diese Maßnahme im grenzüberschreitenden Schienenpersonennahverkehr zu Belastungen für die den Betrieb durchführende DB Regio AG von rund 500.000 € im Jahr. Angaben für den Fernverkehr der DB AG liegen noch nicht vor. Hier könnte die zu entrichtende Steuer zu höheren Fahrpreisen führen. Nach Angaben der Europäischen Kommission (Kommission) wird der Sachverhalt gerade von ihr geprüft. Die nachfolgende Prüfung orientiert sich an dem vom Auftraggeber vorgegebenen Prüfrahmen. 2. Verstoß gegen Sekundärrecht Art. 91 AEUV ermächtigt die EU zum Erlass von Sekundärrecht zur Ausgestaltung der gemeinsamen Verkehrspolitik. Der Eisenbahnsektor war in der Vergangenheit in vielen Mitgliedstaaten staatlich geprägt und der Betrieb von Infrastruktur und die Erbringung von Verkehrsdienstleis- 1 Frz. „Taxe professionnelle“. 2 Article 1599 quater A i.V.m. Article 1635-0 quinquies des Code général des impôts, online abrufbar unter: http://legifrance.gouv.fr/affichCode.do;jsessionid=4DE07A601FB151E9C0B78A065F2EB826.tpdjo17v_2?idSecti onTA=LEGISCTA000022887651&cidTexte=LEGITEXT000006069577&dateTexte=20101018 und http://www.legifrance.gouv.fr/affichCodeArticle.do;jsessionid=9AF489C98DB3CF1553E86E5AF600781C.tpdjo0 4v_2?idArticle=LEGIARTI000021641600&cidTexte=LEGITEXT000006069577&dateTexte=20101018 (letzter Abruf : 19. Oktober 2010). 3 Für einen Vergleich der Systeme vgl. den Artikel „Réforme de la taxe professionnelle“ auf der Seite des französischen Wirtschafts- und Arbeitsministeriums, online abrufbar unter: http://www.minefe.gouv.fr/actus/reformetaxe -professionnelle.html (letzter Abruf: 19. Oktober 2010). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 226/10 Seite 5 tungen als organisatorische Einheit konzipiert.4 Er ist daher bislang weniger als die Bereiche Telekommunikation und Energie Gegenstand einer Marktöffnung durch das Unionsrecht gewesen.5 2.1. Richtlinie 91/440/EWG Die Richtlinie 91/440/EWG zur Entwicklung von Eisenbahnunternehmen in der Gemeinschaft6 garantiert Eisenbahnunternehmen bestimmte Zugangsrechte im grenzüberschreitenden Schienenverkehr .7 Gemäß Art. 10 Abs. 3f der Richtline 91/440/EWG können die Mitgliedstaaten die für den Personenverkehr auf der Schiene zuständige Behörde ermächtigen, bei den Eisenbahnunternehmen , die Personenverkehrsdienste anbieten, auf den Betrieb von Strecken, die in den Zuständigkeitsbereich dieser Behörde fallen und zwischen zwei Bahnhöfen in diesem Mitgliedstaat liegen, eine Abgabe zu erheben. In diesem Fall haben die Eisenbahnunternehmen, die inländische oder grenzüberschreitende Personenverkehrsdienste auf der Schiene anbieten, die gleiche Abgabe auf den Betrieb von Strecken zu entrichten, die in den Zuständigkeitsbereich dieser Behörde fallen. Unter „grenzüberschreitenden Personenverkehrsdienste“ versteht die Richtlinie dabei Dienste zur Beförderung von Fahrgästen, bei denen der Zug mindestens eine Grenze eines Mitgliedstaats überquert, und deren Hauptzweck die Beförderung von Fahrgästen zwischen Bahnhöfen in verschiedenen Mitgliedstaaten ist (Art. 3 RL 91/440/EWG). Es ist explizit festgehalten, dass die Abgabe der Behörde zur Finanzierung von öffentlichen Dienstleistungsverpflichtungen im Rahmen von im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht geschlossenen Verträgen über öffentlichen Dienstleistungen dienen soll.8 Die Einnahmen aus solchen Abgaben, die als Ausgleichsleistung gezahlt werden, dürfen einen Betrag nicht übersteigen, der erforderlich ist, um die bei der Erfüllung der betreffenden öffentlichen Dienstleistungsverpflichtung angefallenen Kosten unter Berücksichtigung der entsprechenden Quittungen und einer angemessenen Gewinnmarge für die Erfüllung dieser Verpflichtungen ganz oder zum Teil zu decken. Mit den öffentlichen Dienstleistungsverpflichtungen dürften Maßnahmen zum Ausgleich gemeinwirtschaftlicher Leistungen verstanden 4 Vgl. Sendmeyer, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxi, 2. Auflage 2010, § 34, Rdnr. 60; Maier/Dopheide, Europäischer Schienengüterverkehr nach dem Ersten EU- Eisenbahnpaket: Freie Bahn für alle?, Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht (EuZW) 2003, S. 456 (456). 5 Maier/Dopheide, Europäischer Schienengüterverkehr nach dem Ersten EU-Eisenbahnpaket: Freie Bahn für alle?, EuZW 2003, S. 456 (456). 6 Richtlinie des Rates vom 29. Juli 1991 zur Entwicklung der Eisenbahnunternehmen in der Gemeinschaft, ABl. L 237 v. 24.8.1991, S. 25, konsolidierte Fassung online abrufbar unter: http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CONSLEG:1991L0440:20100412:DE:PDF (letzter Abruf: 25. Oktober 2010). 7 Vgl. hierzu Epiney/Gruber, Verkehrsrecht in der EU, 2001, S. 219 ff; Sendmeyer, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, § 34, Rdnr. 64 ff. 8 Vgl. auch Erwägungsgrund 13 der Änderungsrichtlinie 2007/58/EG, online abrufbar unter: http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2007:315:0044:0050:DE:PDF (letzter Abruf: 25. Oktober 2010). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 226/10 Seite 6 werden, d. h. von Leistungen, die ein Verkehrsunternehmen im eigenwirtschaftlichen Interesse nicht, nicht im gleichen Umfang oder nicht zu gleichen Bedingungen übernehmen würde.9 Nach der Richtlinie muss die Abgabe mit dem Gemeinschaftsrecht im Einklang stehen und insbesondere den Grundsätzen der Fairness, der Transparenz, der Nichtdiskriminierung und der Verhältnismäßigkeit, insbesondere zwischen dem durchschnittlichen Preis der Dienstleistung für Personen und der Höhe der Abgabe, entsprechen. Der Gesamtbetrag der gemäß diesem Absatz erhobenen Abgaben darf die wirtschaftliche Rentabilität des Personenverkehrsdienstes auf der Schiene, auf den sie erhoben werden, nicht gefährden (Art. 10 Abs. 3f UAbs. 4 RL 91/440/EWG). Es ist fraglich, ob es sich bei der Pauschalsteuer um eine „Abgabe“ im Sinne der Richtlinie 91/440/EWG handelt. Nur dann wäre der Anwendungsbereich der Richtlinie eröffnet und die Abgabe in ihrem Umfang und ihrer Form an Art. 10 Abs. 3f der Richtlinie zu messen. Der Begriff „Abgabe“ wird in der Richtlinie selbst nicht definiert. Auch in der Rechtsgrundlage für die Richtlinie , Art. 91 AEUV, findet sich keine Definition. Der Begriff „Abgabe gleich welcher Art“ wird jedoch in Art. 110 AEUV verwendet. Wegen dem Zusatz „gleich welcher Art“ wird der Begriff Abgabe in diesem Kontext denkbar weit verstanden und erfasst alle Abgaben unabhängig von der Bezeichnung und der Art der Erhebung und unabhängig davon, ob es sich um eine Sonderabgabe handelt oder ob sie einem besonderen Zweck dient.10 Die Richtlinie verwendet indessen nur den Begriff „Abgabe“ und ist damit enger als der in Art. 110 AEUV verwandte Begriff. Man könnte deswegen auf einen engeren Anwendungsbereich schließen. Gegen eine derart weite Auslegung könnte auch die grundsätzliche Steuerhoheit der Mitgliedstaaten sprechen.11 Ferner spricht für einen engeren Anwendungsbereich, der nicht auch Steuern erfasst, dass die Abgabe nach der Richtlinie gerade zweckgebunden als Ausgleichsverpflichtung für die öffentliche Dienstleistungsverpflichtung erhoben werden soll. Andererseits soll die Richtlinie der Liberalisierung des Personenverkehrs dienen und den Eisenbahnunternehmen spätestens ab dem 1. Januar 2010 das Recht auf Zugang zur Infrastruktur in allen Mitgliedstaaten gewähren, um Fahrgäste an einem beliebigen Bahnhof auf einer grenzüberschreitenden Strecke aufzunehmen und an einem anderen abzusetzen (Art. 10 Abs. 3a der RL 91/440/EWG). Als Ausgleichsleistung soll ggf. eine Abgabe auferlegt werden dürfen, die sich dann aber an Art. 10 Abs. 3f der Richtlinie messen lassen muss. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift wäre der Begriff „Abgabe“ damit weit auszulegen und würde alle denkbaren Abgaben den Voraussetzungen in Art. 10 Abs. 3f der Richtlinie unterwerfen. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass für die Einbeziehung der vorliegenden Pauschalsteuer in den Anwendungsbereich der Richtlinie Pro- und Contra-Argumente zu finden sind. 9 Vgl. Mückenhausen, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EU-Verträge, 5. Auflage 2010, Art. 93 AEUV, Rdnr. 7. 10 EuGH, Rs. 74/76, Slg. 1977, S. 557, Rdnr. 19 – Ianelli/Meroni; Rs. C-90/94, Sgl. 1997, S. I-4085, Rdnr. 37 – Haahr Petroleum/Abenra Havn. Vgl. hierzu Wolffgang, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EU-Verträge, 5. Auflage 2010, Art. 110 AEUV, Rdnr. 17; Khan, in: Geiger/Khan/Kotzur (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Auflage 2010, Art. 110 AEUV, Rdrn. 11 ff. 11 Hierzu Wolffgang, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EU-Verträge, 5. Auflage 2010, Vorb. Art. 110-113, Rdnr. 6. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 226/10 Seite 7 Würde man die Pauschalsteuer als „Abgabe“ im Sinne des Art. 10 Abs. 3f der Richtlinie werten, müssten die oben genannten Anforderungen an die Abgabe jedenfalls erfüllt sein. Dies ist im Hinblick auf die Erforderlichkeit der Abgabe als „Ausgleichsleistung für die öffentliche Dienstleistungsverpflichtung “, der zulässigen Höhe der Abgabe (nicht über das erforderliche Maß hinaus ) und die Grundsätze der Fairness, Nichtdiskriminierung und Verhältnismäßigkeit zweifelhaft . Die Pauschalsteuer wird schließlich – soweit ersichtlich – nicht zum Ausgleich für öffentliche Dienstleistungsverpflichtungen erhoben. Ferner wirkt die Richtlinie faktisch diskriminierend für ausländische Bahnunternehmen, da ausländische Züge regelmäßig nur geringere Strecken auf dem französischen Schienennetz zurücklegen werden als ihre französischen Konkurrenten und daher verhältnismäßig härter von einer Pauschalsteuer betroffen sein dürften. Gem. Art. 10 Abs. 4 der Richtlinie 91/440/EWG prüft die Kommission auf Ersuchen eines Mitgliedstaats oder von sich aus die Frage der Anwendung und der Durchsetzung dieses Artikels. 2.2. Richtlinie 2001/14/EG Die Richtlinie 2001/14/EG über die Zuweisung von Fahrwegkapazitäten und die Erhebung von Entgelten für die Nutzung der Eisenbahninfrastruktur12 soll dafür sorgen, dass die Infrastruktur und die einzelnen Fahrwege in nichtdiskriminierender Weise an die zugelassenen Eisenbahnunternehmen zugewiesen werden.13 Sie ist Teil des sog. Ersten Eisenbahnpakets, welches für die Eisenbahnunternehmen in der EU den nicht-diskriminierenden Zugang zur Eisenbahninfrastruktur sicherstellen soll.14 Die Richtlinie setzt für den gesamten inländischen und grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehr die Grundsätze und das Verfahren für die Festlegung und Berechnung der Nutzungsentgelte und die Zuweisung von Fahrwegkapazität fest. Die Nutzungsentgelte sind an den „Betreiber der Infrastruktur“ zu entrichten. „Betreiber der Infrastruktur“ ist dabei die Einrichtung oder ein Unternehmen, die bzw. das insbesondere für die Einrichtung und Unterhaltung der Fahrwege der Eisenbahn zuständig ist.15 Die Richtlinie stellt in den Artikeln 4 bis 12 Anforderungen an die Betreiber der Infrastruktur für die Festsetzung der von den Eisenbahnunternehmen zu zahlenden Nutzungsentgelte auf. Nach Artikeln 4 bis 12 der Richtlinie ist das Nutzungsentgelt diskriminierungsfrei16 grundsätzlich in Höhe der Kosten festzulegen, die unmittelbar auf Grund des Zugbetriebs anfallen17. Nach Art. 30 der Richtlinie 2001/14/EG haben die Mitgliedstaaten eine vom Infrastrukturbetreiber unabhängi- 12 Richtlinie 2001/41/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2001 über die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn und die Erhebung von Entgelten für die Nutzung der Eisenbahninfrastrutkur , ABl. 2001 L 75 vom 15.3.2001, S. 29, konsolidierte Fassung online abrufbar unter: http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CONSLEG:2001L0014:20071204:DE:PDF (letzter Abruf: 22. Oktober 2010). 13 Sendmeyer, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2. Auflage 2010, § 34, Rdnr. 70 f. 14 Brandenberg, Entwicklungen in der Eisenbahnregulierung aus europäischer Sicht, EuZW 2009, S. 359 (359). 15 Art. 2 h) der Richtlinie 2001/41/EG. 16 Art. 4 Abs. 5 der Richtlinie 2001/14/EG. 17 Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2001/14/EG. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 226/10 Seite 8 ge Regulierungsstelle einzurichten, welche insbesondere gewährleistet, dass die Entgelte nichtdiskriminierend und entsprechend den Maßgaben dieser Richtlinie festgesetzt werden.18 Die Richtlinie findet auf den vorliegenden Fall jedoch keine Anwendung, da es sich um eine vom französischen Staat erhobene Steuer auf Zugteile handelt und nicht um an den Betreiber der Infrastruktur zu entrichtende Nutzungsentgelte. 3. Grundfreiheiten als Prüfmaßstab? Die Grundfreiheiten dienen der Durchsetzung des Binnenmarkt-Konzepts und sollen ungerechtfertigte Beschränkungen verhindern und beseitigen.19 Der EuGH misst auch das nationale Steuerrecht grundsätzlich am Maßstab der Grundfreiheiten und prüft, ob die jeweiligen Normen zu Diskriminierungen oder Beschränkungen führen.20 Auch in den Bereichen, in denen das Steuerrecht noch nicht harmonisiert ist, schützt das Unionsrecht den Steuerzahler „in vergleichbarer Situation“ unionsweit vor materieller Ungleichbehandlung, die sich bei der Anwendung des Steuerrechts ergeben kann.21 Die Grundfreiheiten umfassen die Warenverkehrsfreiheit (Artikel 28 bis 37 AEUV, die Arbeitnehmerfreizügigkeit (Artikel 45 bis 48 AEUV), die Niederlassungsfreiheit (Artikel 49 bis 55 AEUV), die Dienstleistungsfreiheit (Artikel 56 bis 62 AEUV) und die Kapital- und Zahlungsverkehrsfreiheit (Artikel 63 bis 66 AEUV). Als Auffangtatbestand verbietet Art. 18 AEUV jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. 3.1. Einschlägigkeit der Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV? Welche der Grundfreiheiten heranzuziehen ist, hängt vom Gegenstand der Besteuerung ab. Die Dienstleistungsfreiheit des Art. 56 AEUV ist angesprochen, wenn die Erbringung einer Dienstleistung besteuert wird. Unter den Dienstleistungsbegriff fallen insbesondere gewerbliche, kaufmännische , handwerkliche und freiberufliche Tätigkeiten (Art. 57 Abs. 2 AEUV). Dienstleistungen auf dem Gebiet des Verkehrs könnten grundsätzlich ebenfalls unter die Dienstleistungsfreiheit zu subsumieren sein.22 18 Diese Aufgabe nimmt in Deutschland die Bundesnetzagentur wahr. Sendmeyer, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2. Auflage 2010, § 34, Rdnr. 70. 19 Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, 2005, S. 43 f. 20 Weber-Grellet, Neu-Justierung der EuGH-Rechtsprechung, Deutsches Steuerrecht (DStR) 2009, S. 1229. 21 Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, 2004, S. 215. 22 Vgl. Epiney/Gruber, Verkehrsrecht in der EU, 2001, S. 99. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 226/10 Seite 9 3.2. Ausnahmevorschrift des Art. 58 AEUV Die Ausnahmevorschrift des Art. 58 Abs. 1 AEUV bewirkt jedoch, dass die Dienstleistungsfreiheit des Art. 51 AEUV im Bereich „Verkehr“ nicht unmittelbar anwendbar ist.23 Für Dienstleistungen auf dem Gebiet des Verkehrs gelten stattdessen die Sondervorschriften der Artikel 90 bis 100 AEUV. Der Titel „Verkehr“ im AEUV gilt gem. Art. 100 Abs. 1 AEUV für Beförderungen im Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehr. Der Begriff „Verkehr“ ist dabei weit zu verstehen und erfasst neben der eigentlichen Beförderung auch alle damit in engem Zusammenhang stehenden Rahmenbedingungen der Verkehrsmärkte und der dazugehörigen Infrastruktur.24 Die Besteuerung von in Frankreich verkehrenden Schienenfahrzeugen fällt damit in den Titel „Verkehr “ des AEUV. Die Grundsätze des freien Dienstleistungsverkehrs gelten lediglich insofern auch für den Verkehrssektor , als dass das Sekundärrecht der EU im Bereich der Verkehrspolitik im Lichte der Dienstleistungsfreiheit des Art. 58 AEUV auszulegen ist.25 3.3. Zwischenfazit Die Grundfreiheit der Dienstleistungsfreiheit scheidet als direkter Prüfungsmaßstab für den vorliegenden Sachverhalt aus. 4. Sondervorschriften für den Verkehr in Art. 90 ff. AEUV Der Grund für die Existenz der Sondervorschriften für die Dienstleistungsfreiheit im Bereich „Verkehr“ liegt in der traditionell starken Reglementierung und die gemeinwirtschaftlichen Bindungen weiter Bereiche des Verkehrs, die es nicht ohne Weiteres zuließen, den Verkehr in gleicher Weise wie andere Dienstleistungsbereiche zu liberalisieren.26 Primäres Ziel der Gemeinsamen Verkehrspolitik im Sinne des Art. 90 AEUV ist dennoch die Errichtung des Binnenmarktes (Art. 3 Abs. 3 S. 1 EUV).27 Dieser erfordert den freien Verkehrsfluss über die Grenzen der einzelnen Mitgliedstaaten hinaus und damit einen gemeinsamen Verkehrsmarkt, der den Verkehrsun- 23 Holoubek, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2. Auflage 2009, Art. 52 EGV, Rdnr. 1. 24 Vgl. EuGH, Rs. 97/78, Slg. 1978, S. 2311, Rdnr. 5 – Schumalla; verb. Rs. C-184/02 und C-223/02, Slg. 2004, S. I- 7789, Rdnr. 29; Sendmeyer, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2. Auflage 2010, § 34, Rdnr. 1. 25 Holoubek, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2. Auflage 2009, Art. 52 EGV, Rdnr. 3. 26 Mückenhausen, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EU-Verträge, 5. Auflage 2010, Vorbem. Art. 90-100 AEUV, Rdnr. 3. 27 Art. 90 AEUV verpflichtet die gemeinsame Verkehrspolitik auf „die Ziele der Verträge“. Hierzu gehört gem. Art. 3 Abs. 3 S 1 AEUV die Errichtung des Binnenmarktes. Boeing, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Art. 70 EGV, Rdnr. 21, EL 22 August 2003. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 226/10 Seite 10 ternehmen aus allen Mitgliedstaaten offen steht und in dem der unverfälschte Wettbewerb sichergestellt ist.28 4.1. Stillhalteverpflichtung des Art. 92 AEUV Gemäß Art. 92 AEUV darf ein Mitgliedstaat bis zum Erlass der in Art. 91 Abs. 1 AEUV genannten Vorschriften die verschiedenen, am 1. Januar 195829 oder, im Falle später beigetretener Staaten, zum Zeitpunkt ihres Beitritts auf diesem Gebiet geltenden Vorschriften in ihrem unmittelbaren oder mittelbaren Auswirkungen auf die Verkehrsunternehmer anderer Mitgliedstaaten im Vergleich zu den inländischen Verkehrsunternehmen nicht ungünstiger gestalten, es sei denn, dass der Rat einstimmig eine Maßnahme billigt, die eine Ausnahmeregelung gewährt. Art. 92 AEUV beinhaltet damit eine Stillhalteverpflichtung, die es den Mitgliedstaaten bis zu einer unionsrechtlichen Regelung nach Art. 91 Abs. 1 AEUV untersagt, die Stellung von Verkehrsunternehmen anderer Mitgliedstaaten gegenüber dem Status Quo nachteilig zu verändern. Dies betrifft sowohl Veränderungen durch einseitige Rechtsakte als auch durch eine neue Verwaltungspraxis .30 Art. 92 AEUV ist unmittelbar anwendbar.31 Verkehrsunternehmen können sich wegen Verstoßes gegen Art. 92 AEUV direkt an die Gerichte des Mitgliedstaates wenden, dem ein Verstoß zur Last gelegt wird.32 Ferner kann die Einhaltung des Art. 92 AEUV von den anderen Mitgliedstaaten, der Kommission und wohl auch den betroffenen Verkehrsunternehmern beim EuGH zum Gegenstand eines Verfahrens gemacht werden.33 Der Rat kann, ohne eine Regelung nach Art. 91 AEUV zu beschließen, einstimmig eine Ausnahme von Art. 92 AEUV billigen. Nach dem Wortlaut des Art. 92 AEUV ist dies jedoch nur eine „Ausnahmeregelung“, was nicht nur die Begründungslast für eine derartige Entscheidung erhöht, sondern auch ohne Weiteres deren Verbindung mit Befristungen, Auflagen und Bedingungen legitimiert.34 28 Sendmeyer, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2. Auflage 2010, § 34, Rdnr. 4; Boeing, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Art. 70 EGV, Rdnr. 22 ff.; Jung, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), Das Verfassungsrecht der EU, 3. Auflage 2007, Art. 70 EGV, Rdnr. 15. 29 In-Krafttreten des Vertrags zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. 30 EuGH, Rs. C-184/91 u. 221/91, Slg. 1993, S. I-1633, Rdnr. 15 – Oorburg/van Messem. 31 Khan, in: Geiger/Khan/Kotzur (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Auflage 2010, Art. 92 AEUV, Rdnr. 2; Epiney/Gruber, Verkehrsrecht in der EU, 2001, S. 108. 32 Mückenhausen, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EU-Verträge, 5. Auflage 2010, Art. 92 AEUV, Rdnr. 3; Boeing, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Art. 72 EGV, Rdnr. 7, EL 22, August 2003; Erdmenger, in: von der Groeben /Thiesing/Ehlermann (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, 5. Auflage 1997, Art. 76 EGV aF, Rdnr. 15. 33 Stadler, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2. Auflage 2009, Art. 72 EGV, Rdnr. 2; Erdmenger, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, 5. Auflage 1997, Art. 76 EGV aF, Rdnr. 15. 34 Khan, in: Geiger/Khan/Kotzur (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Auflage 2010, Art. 92 AEUV, Rdnr. 2; Stadler, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2. Auflage 2009, Art. 72 EGV, Rdnr. 2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 226/10 Seite 11 Art. 92 AEUV ist insbesondere auch anwendbar auf Maßnahmen auf dem Gebiet der steuerlichen Behandlung des Verkehrs. Die Einbeziehung verkehrsspezifischer Abgaben bzw. spezifischer Verkehrssteuern wird in der Literatur trotz der eigentlichen Abgabenhoheit der Mitgliedstaaten anerkannt.35 Geht man davon aus, dass es sich bei der Pauschalsteuer auf Züge um eine verkehrsspezifische Steuer handelt, wäre die Anwendbarkeit von Art. 92 AEUV also gegeben. 4.1.1. Unionsrechtliche Harmonisierung? Ein Verstoß gegen Art. 92 AEUV käme vorliegend von vornherein nicht in Betracht, wenn der Bereich „Steuern auf Zugteile“ schon abschließend unionsrechtlich harmonisiert wäre und die zu beurteilende Sachverhaltskonstellation in den Anwendungsbereich des Sekundärrechts fallen würde. Denn das Verbot des Art. 92 AEUV gilt nur „bis zum Erlass der in Artikel 91 Abs. 1 genannten Vorschriften“. Diese Frage kann hier jedoch im Hinblick auf die Richtlinie 91/440/EWG nicht abschließend geklärt werden. (vgl. hierzu Ziffer 2.1). Im Bereich der Autobahngebühren ist z. B. mit der Richtlinie 1999/62/EG über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung der Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge eine Harmonisierung erfolgt: Die Richtlinie gestattet den Mitgliedstaaten, Autobahngebühren einzuführen und dies durch Senkung der – nur von einheimischen Verkehrsunternehmen zu zahlenden – Kraftfahrzeugsteuer bis auf den vorgesehenen EU-Mindestsatz ganz oder teilweise auszugleichen.36 4.1.2. Auslegung des Art. 92 AEUV Sinn und Zweck des Art. 92 AEUV ist zu verhindern, dass die Einführung einer gemeinsamen Verkehrspolitik durch solche nationalen Maßnahmen erschwert oder behindert wird, die den wirtschaftlichen Status Quo unmittelbar oder mittelbar zu Lasten der ausländischen Verkehrsunternehmer ändern.37 Inhaltlich bedeutet die Stillhalteverpflichtung für die Mitgliedstaaten ein besonderes Diskriminierungsverbot und stellt damit einen Anwendungsfall des Diskriminierungsverbots in Art. 18 AEUV dar.38 Bis zu einem Urteil des EuGH im Jahr 1992 war die Auslegung dieses Diskriminierungsverbots in Art. 92 AEUV in der Rechtswissenschaft umstritten. Nach einer Auffassung war der Abstand, der bei Inkrafttreten des Vertrages zwischen der Rechts- 35 Schreiber, Vereinbarkeit der Umlegung der Kfz-Steuer auf die Mineralölsteuer mit Art. 76 EGV, EuZW 1995, S. 206 (206); Erdmenger, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, 5. Auflage 1997, Art. 76 EGV aF, Rdnr. 2. 36 Richtlinie 1992/62/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 1999 über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge, ABl. 1999 L 187 vom 20- 7.1999, S. 42, online abrufbar unter: http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CONSLEG:1999L0062:20070101:DE:PDF (letzter Abruf: 25. Oktober 2010). 37 EuGH, Rs. C-195/90, Slg. 1992, S. I-3141, Rdnr. 20 – Straßenbenutzungsgebühr; Basedow, Anmerkung zum ebengenannten Urteil des EuGH, Juristenzeitung (JZ) 1992, S. 870 (872); Heselhaus, Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben für Straßenbenutzungsgebühren für den Schwerverkehr, EuZW 1993, S. 311 (312). 38 Jung, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), Das Verfassungsrecht der EU, 3. Auflage 2007, Art. 72 EGV, Rdnr. 2; Schreiber, Vereinbarkeit der Umlegung der Kfz-Steuer auf die Mineralölsteuer mit Art. 76 EGV, EuZW 1995, S. 206 (207); Epiney/Gruber, Verkehrsrecht in der EU, 2001, S. 111. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 226/10 Seite 12 lage ausländischer und inländischer Unternehmer bestand, starr beizubehalten.39 Das würde bedeuten , dass auch Vorzugsstellungen ausländischer Unternehmer nicht beseitigt werden können. Nach einer anderen Ansicht war jede Veränderung der Stellung ausländischer Unternehmer bis hin zur Gleichstellung mit inländischen Unternehmen zulässig und lediglich eine Schlechterstellung der ausländischen Unternehmen gegenüber inländischen Unternehmen unter das Verbot des Art. 92 AEUV zu subsumieren.40 Diese lange ungeklärte Frage ist durch das Urteil des EuGH in der Rechtssache „Deutsche Straßenbenutzungsgebühren “41 zu Gunsten der erstgenannten starren Ansicht entschieden: Dem Urteil des EuGH lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Deutschland hatte 1990 eine Schwerverkehrsabgabe für die Benutzung von Bundesautobahnen und Bundesstraßen außerhalb geschlossener Ortschaften für alle LKW mit einem Gesamtgewicht über 18 Tonnen beschlossen.42 Gleichzeitig sollte (befristet) die KFZ-Steuer für deutsche LKWs mit dem Argument einer Angleichung der Wettbewerbsbedingungen reduziert werden: Ausländische LKWs sollten verstärkt zur Straßenerhaltung Beiträge leisten, während die Beiträge der deutschen in der Summe gleich bleiben sollten.43 Nachdem die Kommission vom Beschluss des Gesetzes durch den Bundestag erfahren hatte, hat sie gegen die Bundesrepublik Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren gem. Art. 258 AEUV eingeleitet. Der EuGH entschied, dass eine Kombination von einer von allen LKW-Unternehmern erhobene Straßenbenutzungsgebühr und einer Steuererleichterung, die lediglich den deutschen LKW- Unternehmern zu Gute kommt, ein Verstoß gegen Art. 92 AEUV (ex-Art. 76 EWGV44) ist.45 Diese Kombination bewirke, „dass die Lage der Verkehrsunternehmen der anderen Mitgliedstaaten im Vergleich zu der der inländischen Verkehrsunternehmen in einem für erstere ungünstigen Sinne verändert wird“.46 Der EuGH entscheidet sich damit für eine Gesamtbetrachtung beider Maßnahmen . Das Vorbringen der deutschen Regierung, damit würde nur eine Vorzugstellung ausländischer Unternehmer beseitigt, da die von ihnen zu entrichtende Kraftfahrzeugsteuer im Ver- 39 Wägenbaur, Rechtsfragen der Stillhaltungsverpflichtung, Sociaal-Economische Wetgeving 1964, S. 169 (179 ff.), zitiert nach Heselhaus, Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben für Straßenbenutzungsgebühren für den Schwerverkehr , EuZW 1993, S. 311 (312). 40 Erdmenger, in: Groeben/Thiesing/Ehlermann, EWGV, 4. Auflage 1991, Art. 76, Rdnr. 9-11; Ebenroth /Fischer/Sorek, Betriebsberater 1989, S. 1566 (1567).Vgl. zum Streitstand Boeing, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Art. 72 EGV, Rdnr. 6 mwN, EL 22 August 2003. 41 EuGH, Rs. C-195/90, Slg. 1992, S. I-3141 – Straßenbenutzungsgebühr. 42 Gesetz über Gebühren für die Benutzung von Bundesfernstraßen mit schweren Lastfahrzeugen vom 30. April 1990, BGBl. 1990 I S. 826. 43 Gesetzesbegründung, BT-Drs. 11/6336, S. 10, online abrufbar unter: http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/11/063/1106336.pdf (letzter Abruf: 21. Oktober 2010). 44 Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. 45 EuGH, Rs. C-195/90, Slg. 1992, S. I-3141, 1. Leitsatz – Straßenbenutzungsgebühr. 46 EuGH, Rs. C-195/90, Slg. 1992, S. I-3141, Rdnr. 23 – Straßenbenutzungsgebühr. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 226/10 Seite 13 gleich zur Besteuerung in Deutschland viel niedriger sei, wurde im Ergebnis zurückgewiesen.47 Eine Änderung einer bestehenden Rechtslage einseitig zu Lasten der Verkehrsunternehmen der anderen Mitgliedstaaten ist damit als eine Behinderung der Durchführung der im AEUV vorgesehenen gemeinsamen Verkehrspolitik anzusehen.48 Ggf. könnte eine solche Behinderung der Durchführung der gemeinsamen Verkehrspolitik durch sachliche Gründe/wichtige öffentliche Interessen gerechtfertigt sein. So erwägt auch der EuGH in seinem Urteil zur Schwerverkehrsabgabe Aspekte des Umweltschutzes, die er jedoch nicht als erwiesen ansieht.49 Möglich ist lediglich der nationale Erlass verkehrspolitischer Vorschriften, die sich für inländische und Verkehrsunternehmer anderer Mitgliedstaaten gleich ungünstig auswirken, z. B. zur Verbesserung des Umweltschutzes.50 4.1.3. Zwischenfazit Geht man mit dem unter Ziffer 1 dieser Ausarbeitung zu Grunde liegenden Sachverhalt davon aus, dass die Einführung der pauschalen Besteuerung von Bahnunternehmen in Frankreich verbunden ist mit einer Abschaffung der Gewerbesteuer für Bahnunternehmen, liegt eine dem Urteil des EuGH im Fall der deutschen Straßenbenutzungsgebühren vergleichbarer Sachverhalt vor. Denn die gleichzeitige Abschaffung der Gewerbesteuer würde – genauso wie im deutschen Fall des EuGH – wiederum – soweit aus hiesiger Perspektive abschätzbar - die französischen gegenüber den deutschen Bahnunternehmen begünstigen, da anzunehmen ist, dass nur diese Gewerbesteuer an ihrem Niederlassungsort Frankreich zahlen.51 Soweit die zugrundegelegten Annahmen zutreffen, liegt damit ein Verstoß der pauschalen Besteuerung von Bahnunternehmen (verbunden mit der Abschaffung der Gewerbesteuer) gegen Art. 92 AEUV nahe. Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich. Grundlegende Voraussetzung für diese Annahme ist jedoch, dass die EU den Bereich Pauschalsteuern für Züge noch nicht sekundärrechtlich geregelt hat (vgl. hierzu Ziffer 2.1). 47 EuGH, Rs. C-195/90, Slg. 1992, S. I-3141, Rdnr. 24, 26, 28, 30 – Straßenbenutzungsgebühr; Jung, in: Calliess /Ruffert (Hrsg.), Das Verfassungsrecht der EU, 3. Auflage 2007, Art. 72 EGV, Rdnr. 4. 48 Stadler, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2. Auflage 2009, Art. 72 EGV, Rdnr. 4. 49 EuGH, Rs. C-195/90, Slg. 1992, S. I-3141, Rdnr. 31 – Straßenbenutzungsgebühr. Vgl. zu der Möglichkeit der Rechtfertigung eines Verstoßes gegen Art. 92 AEUV ausführlich Epiney/Gruber, Verkehrsrecht in der EU, 2001, S. 114 f. 50 EuGH, Rs. C-195/90, Slg. 1992, S. I-3141, Rdnr. 21 – Straßenbenutzungsgebühr; Rs. 302/86, Slg. 1988, S. 4607 – Pfandflaschen; Stadler, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2. Auflage 2009, Art. 73 EGV, Rdnr. 5. 51 Bis 2010 waren Betriebe in Frankreich verpflichtet, Gewerbesteuer zu zahlen. Dagegen brauchte ein deutsches Unternehmen, das keine Betriebsstätte in Frankreich hat, sondern nur ein Verbindungsbüro oder eine Einkaufsstelle betreibt, nach dem deutsch-französischen Doppelbesteuerungsabkommen keine Gewerbesteuer zu entrichten . Vgl. Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern, geändert durch Revisionsprotokoll vom 9. Juni 1969, BGBl. II S. 719, und durch das Zusatzabkommen vom 21. Dezember 2001, BGBl. II S. 2372. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 226/10 Seite 14 4.2. Beseitigung von Diskriminierung, Art. 95 AEUV Nach Art. 95 Abs. 1 AEUV sind im Verkehr innerhalb der Union Diskriminierungen verboten, die darin bestehen, dass ein Verkehrsunternehmer in denselben Verkehrsverbindungen für die gleichen Güter je nach ihrem Herkunfts- oder Bestimmungsland unterschiedliche Frachten und Beförderungsbedingungen anwendet.52 Unter „Frachten“ werden dabei Tarife des Güterverkehrs verstanden, und unter „Beförderungsbedingungen“ Rechtsnormen und vertragliche Bestimmungen einschließlich der AGB, die den Abschluss und die Erfüllung eines Beförderungsvertrages regeln.53 Die französische Republik hat im zu beurteilenden Sachverhalt den Bahnunternehmen keine Frachten oder Beförderungsbedingungen auferlegt. 4.3. Verbotene Unterstützungsmaßnahme, Art. 96 AEUV Art. 96 Abs. 1 AEUV enthält ein Verbot der von einem Mitgliedstaat auferlegten Frachten und Beförderungsbedingungen, die in irgendeiner Weise der Unterstützung oder dem Schutz eines oder mehrerer bestimmter Unternehmen oder Industrien dienen, es sei denn, dass die Kommission die Genehmigung hierzu erteilt. Die Vorschrift betrifft nur Gütertransporte innerhalb der EU und soll damit ebenso wie Art. 95 AEUV eine Beeinträchtigung des freien Warenverkehrs in der EU verhindern.54 Es handelt sich um eine Spezialregelung zum Beihilfeverbot des Art. 107 AEUV.55 Ebenso wie für Art. 95 AEUV ist für den vorliegenden Fall festzuhalten, dass es sich bei der Auferlegung der Pauschalsteuer in Verbindung mit der Abschaffung der Gewerbesteuer nicht um eine „Fracht“ oder „Beförderungsbedingung“ handelt, die den Güterverkehr betrifft und damit zu einer Beeinträchtigung des freien Warenverkehrs führt. 52 Auf der Grundlage von Art. 95 Abs. 3 AEUV hat der Rat jedoch schon 1961 eine das Diskriminierungsverbot konkretisierende Verordnung erlassen, so dass etwaige Diskriminierungen in erster Linie hieran zu messen sind. Gem. Art. 4 der Verordnung sind im Verkehr innerhalb der Gemeinschaft die Diskriminierungen verboten, die darin bestehen, dass ein Verkehrsunternehmer auf denselben Verkehrsverbindungen für die gleichen Güter je nach ihrem Herkunfts- oder Bestimmungsland unterschiedliche Frachten und Beförderungsbedingungen anwendet . Es ist ferner verboten, Tarife zu erstellen oder Frachten und Beförderungsbedingungen gleich welcher Art festzulegen, deren Anwendung eine Diskriminierung im Sinne des Absatzes 1 darstellen würde. Verordnung Nr. 11 über die Beseitigung von Diskriminierungen auf dem Gebiet der Frachten und Beförderungsbedingungen gemäß Art. 79 Absatz (3) des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, ABl. L 52 vom 16.8.1960, S. 1121, geändert durch Verordnung (EWG) Nr. 3626/84 des Rates vom 19. Dezember 1984, ABl. L 335 vom 22.12.1984, S. 4 und Verordnung (EG) Nr. 569/2008 des Rates vom 12. Juni 2008, ABl. L 161 vom 20.6.2008, S. 1, online abrufbar unter: http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CONSLEG:1960R0011:20080710:DE:PDF (letzter Abruf: 20. Oktober 2010). 53 Khan, in: Geiger/Khan/Kotzur (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Auflage 2010, Art. 95 AEUV, Rdnr. 1. 54 Stadler, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2. Auflage 2009, Art. 76 EGV, Rdnr. 1. 55 Mückenhausen, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EU-Verträge, 5. Auflage 2010, Art. 96 AEUV, Rdnr. 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 226/10 Seite 15 5. Verstoß gegen steuerliche Vorschriften der EU Nur wenige Normen des primären Unionsrechts befassen sich ausdrücklich mit dem Themenkomplex „Steuern“: Im AEUV existiert ein Kapitel „Steuerliche Vorschriften“, das die Artikel 110 bis 113 AEUV umfasst. Es beinhaltet Diskriminierungsverbote, die an die Mitgliedstaaten gerichtet sind. Sie bezwecken die Verhinderung einer steuerlichen Diskriminierung im Bereich des Binnenmarktes, um auf diese Weise einen möglichst unverfälschten Wettbewerb zu ermöglichen . Wenn auch die grundsätzliche Steuerhoheit bei den Mitgliedstaaten verblieben ist, ist ihnen in jedem Fall untersagt, Waren aus der EU bei der Einfuhr durch höhere Abgaben zu diskriminieren (Art. 110 AEUV) bzw. einheimische Waren bei der Ausfuhr durch höhere Abgaben zu diskriminieren (Art. 111 AEUV). Art. 112 AEUV ergänzt Artikel 110 und 111 AEUV im Hinblick auf eine mögliche Erstattung direkter Abgaben.56 Diese Diskriminierungsverbote betreffen damit ausschließlich den Warenverkehr innerhalb der EU. Im vorliegenden Fall könnte Art. 110 AEUV einschlägig sein. Hiernach erheben die Mitgliedstaaten auf Waren aus anderen Mitgliedstaaten weder unmittelbar noch mittelbar höhere inländische Abgaben gleich welcher Art, als gleichartige inländische Waren unmittelbar oder mittelbar zu tragen haben. Grundsätzlich ist Art. 110 AEUV neben Art. 92 AEUV anwendbar.57 Zu prüfen ist damit zunächst, ob es sich bei der Pauschalbesteuerung von Zügen in Frankreich um eine Abgabe auf Waren im Sinne des Art. 110 AEUV handelt. Der von Art. 110 AEUV erfasste Kreis von Abgaben wird grundsätzlich weit ausgelegt.58 Typischerweise werden indirekte Steuern wie Umsatzsteuern und besondere Verbrauchssteuern hierunter gefasst.59 Auch die mit der in Frage stehenden Pauschalsteuer vergleichbare KFZ-Steuer gilt als Steuer im Sinne des Art. 110 AEUV.60 Aus dieser Vergleichbarkeit könnte sich die Anwendbarkeit des Art. 110 AEUV ergeben; man müsste hierfür sondern auf den Zug als „Ware“ abstellen. Es müsste ferner eine Diskriminierung vorliegen. Eine unmittelbare Ungleichbehandlung kann sich aus einem höheren Abgabensatz ergeben, aus der Möglichkeit von Steuervergünstigungen oder aus einer unterschiedlichen Bemessungsgrundlage.61 Grundsätzlich werden von der in Frage stehenden Pauschalsteuer inländischen und ausländische Bahnunternehmen in gleicher Weise 56 Thiele, Das Europäische Steuerrecht – Eine Herausforderung für den nationalen Gesetzgeber, ZEuS 2006, S. 41 (60). 57 Heselhaus, Gemeinschaftsrechtliche Vorgaben für Straßenbenutzungsgebühren für den Schwerverkehr, EuZW 1993, S. 311 (313); Wolffgang, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EU-Verträge, 5. Auflage 2010, Art. 110 AEUV, Rdnr. 10. 58 Voß, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Art. 90 EGV, Rdnr. 14, EL 15, Jan. 2000; Khan, in: Geiger /Khan/Kotzur (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Auflage 2010, Art. 110 AEUV, Rdnr. 11; Stumpf, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2. Auflage 2009, Art. 90 EGV, Rdnr. 12. 59 Voß, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Art. 90 EGV, Rdnr. 17, EL 15, Jan. 2000; Stumpf, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2. Auflage 2009, Art. 90 EGV, Rdnr. 14. 60 EuGH, Rs. C-343/90, Slg. 1992, S. I-4673; Voß, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Art. 93 EGV, Rdnr. 40, EL 15, Jan. 2000; Epiney/Gruber, Verkehrsrecht in der EU, 2001, S. 188, 198. 61 Khan, in: Geiger/Khan/Kotzur (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Auflage 2010, Art. 110 AEUV, Rdrn. 18 mwN. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 226/10 Seite 16 betroffen. Verboten sind jedoch auch mittelbare Diskriminierungen. Sie liegen vor, wenn die Abgabe zwar nicht formal an die Herkunft der Ware anknüpft, aber typischerweise die inländische Produktion faktisch begünstigt.62 Knüpft man an die Ware „Zug“ an, könnte ein solche faktische Benachteiligung zu bejahen sein, da typischerweise ausländische Züge im Vergleich zu inländischen überproportional belastet werden, da sie im Regelfall wohl seltener auf französischen Strecken verkehren. Im Übrigen profitieren französische Unternehmen faktisch zusätzlich vom Wegfall der Gewerbesteuer. Eine Rechtfertigung einer möglichen Diskriminierung im Sinne von Art. 110 Abs. 1 AEUV über wirtschaftspolitische, soziale, umwelt- oder regionalpolitische Zwecke ist jedenfalls nicht möglich.63 In seinem Urteil von 1992 zur deutschen Schwerverkehrsabgabe hat der EuGH sich ebenfalls mit der Rüge eines Verstoßes gegen den (heutigen) Art. 110 AEUV befasst. Er hat hierzu festgestellt, dass die diskriminierenden Wirkungen, die das deutschen Gesetz über die Schwerverkehrsabgabe möglicherweise auf eingeführte Waren hat, jedenfalls nur die unmittelbare Folge des Umstands wären, dass das Gesetz die Verkehrsunternehmen der anderen Mitgliedstaaten unter Verletzung von Art. 92 AEUV schwerer trifft als die inländischen Verkehrsunternehmen. Es brauche folglich nicht geprüft werden, ob das Gesetz auch Art. 110 AEUV zuwiderlaufe.64 6. Verstoß gegen Wettbewerbsregeln Zu den im vorliegenden Fall möglicherweise relevanten Wettbewerbsregeln zählen in erster Linie die Regeln zur Beihilfeaufsicht (Art. 107 ff. AEUV). Das Kartellverbot (Art. 101 AEUV) und das Verbot missbräuchlichen Verhaltens marktmächtiger Unternehmen (Art. 102 AEUV) sind nach der Konzeption des AEUV „unternehmensgerichtete“ Vorschriften.65 Sie zielen darauf, die Vorteile des durch die Grundfreiheiten erreichten Abbaus staatlicher Markthindernisse nicht durch auf privater Initiative beruhende Wettbewerbsbeschränkungen zu gefährden.66 Demzufolge kann die vom französischen Staat eingeführte Pauschalsteuer keinen Verstoß gegen Artikel 101 und 102 AEUV darstellen. 62 Wernsmann, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2. Auflage 2010, § 30, Rdnr. 55; Khan, in: Geiger/Khan/Kotzur (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Auflage 2010, Art. 110 AEUV, Rdrn. 20 mwN. 63 Wernsmann, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2. Auflage 2010, § 30, Rdnr. 58. 64 EuGH, Rs. C-195/90, Slg. 1992, S. I-3141, Rdnr. 35 – Straßenbenutzungsgebühr. 65 Eine Konkretisierung für den Verkehrsbereich erfährt Art. 101 AEUV durch die Verordnung (EG) Nr. 169/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Anwendung von Wettbewerbsregeln auf dem Gebiet des Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehrs, ABl. L 61 S. 1, online abrufbar unter: http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2009:061:0001:0005:DE:PDF (letzter Abruf: 22. Oktober 2010). 66 Epiney/Gruber, Verkehrsrecht in der EU, 2001, S. 122. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 226/10 Seite 17 6.1. Verstoß gegen das Beihilfeverbot (Art. 107 AEUV) Gemäß Art. 107 Abs. 1 AEUV sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, sofern sie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Soweit Art. 93 i.V.m. 100 AEUV nicht eingreift, können auch Beihilfen im Bereich des Verkehrs uneingeschränkt an den Artikeln 107 bis 109 AEUV überprüft werden.67 Fraglich ist jedoch, ob die Beihilfevorschriften überhaupt auf Steuern Anwendung finden, was bezogen auf indirekte Steuern schon zweifelhaft ist.68 Nach der Rechtsprechung des EuGH können zumindest Steuervergünstigungen für bestimmte Begünstigte als verbotene Beihilfen aus staatlichen Mitteln qualifiziert werden.69 Bei der Pauschalsteuer handelt es sich jedoch um eine Belastung und nicht um eine Vergünstigung. Eine französische Bahnunternehmen begünstigende Regelung könnte sich hier allenfalls aus einer Gesamtbetrachtung der Auferlegung der Pauschalsteuer und dem Wegfall der Gewerbesteuer erbeben. Erforderlich ist jedoch in jedem Fall eine Bestimmtheit der Beihilfe. Das Kriterium der Bestimmtheit der Beihilfe ist das entscheidende Tatbestandsmerkmal, um staatliche Fördermaßnahmen , die unterschiedslos der gesamten Wirtschaft zu Gute kommen, aus dem unionsrechtlichen Beihilfebegriff auszuscheiden.70 So sollen allgemeine Maßnahmen der Konjunktur- und Wirtschaftspolitik nicht vom Beihilfebegriff erfasst sein, wie z. B. eine generelle Absenkung des Körperschaftssteuersatzes.71 Insgesamt scheint sich damit die in Frankreich eingeführte Pauschalsteuer in Verbindung mit dem Wegfall der Gewerbesteuer eher nicht als Beihilfe zu Gunsten der französischen Bahnen darzustellen, da es sich bei dem Wegfall der Gewerbesteuer um eine Maßnahme handelt, die der gesamten französischen Wirtschaft zu Gute kommt. Abschließend sei darauf hingewiesen, dass der EuGH jedenfalls im Fall über die deutsche Straßenverkehrsabgabe auf eine Prüfung anhand der allgemeinen Beihilferegelungen verzichtet hat. 6.2. Die Vorschrift des Art. 116 AEUV Art. 116 Abs. 1 AEUV gibt der Kommission auf, mit den Mitgliedstaaten in Beratungen zu treten, wenn sie feststellt, dass vorhandene Unterschiede in den Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten die Wettbewerbsbedingungen auf dem Binnenmarkt verfälschen und dadurch eine Verzerrung hervorrufen. Führen diese Beratungen nicht zur Beseitigung der Verzerrung, so erlassen das Europäische Parlament und der Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfah- 67 Kreuschitz, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EU-Verträge, 5. Auflage 2010, Vorbem. Art. 107-109 AEUV mwN auf die Rechtsprechung des EuGH. 68 Vgl. die ausführliche Darstellung bei Helios, Indirekte Steuern als Gegenstand des EG-Beihilfenrechts, Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (EWS) 2005, S. 208 (211). 69 EuGH, Rs. C-6/97, Slg. 1999, S. I-2981, Rdnr. 16; Wernsmann, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht , Handbuch für die deutsche Rechtspraxis, 2. Auflage 2010, § 30, Rdnr. 5, 74. 70 Helios, Indirekte Steuern als Gegenstand des EG-Beihilfenrechts, EWS 2005, S. 208 (209) mwN. 71 Kreuschitz, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EU-Verträge, 5. Auflage 2010, Art. 107 AEUV, rdnr. 20 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 226/10 Seite 18 ren die erforderlichen Richtlinien oder alle in den Verträgen vorgesehenen zweckdienlichen Maßnahmen (Art. 116 Abs. 2 AEUV). Art. 117 AEUV eröffnet darüber hinaus für die Kommission die Möglichkeit eines präventiven Einschreitens, wenn durch die Gesetzgebungspläne eines Mitgliedstaats „auch nur entfernt die Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung“ zu befürchten ist.72 In der bisherigen Praxis der EU haben beide Vorschriften keine nennenswerten Rolle gespielt.73 Dies liegt vor allem daran, dass es sich als schwierig erwiesen hat, die konkreten Auswirkungen unterschiedlicher Rechts- und Verwaltungsvorschriften auf die Kostenbelastungen einzelner Industriezweige zu ermitteln. Voraussetzung für eine Anwendbarkeit von Artikeln 116 und 117 AEUV sind jedenfalls „spezifische Wettbewerbsverzerrungen“, d. h. solche, die einerseits gewisse Wirtschaftszweige gegenüber anderen Wirtschaftszweigen des gleichen Mitgliedstaates begünstigen oder benachteiligen, während andererseits eine entsprechende Begünstigung oder Belastung dieses Wirtschaftszweigs in anderen Mitgliedstaaten nicht besteht.74 Auch vorliegend besteht die praktische Schwierigkeit zu ermitteln, ob durch die Pauschalsteuer eine spezifische Wettbewerbsverzerrung entsteht; eine Bewertung kann aufgrund des nicht eindeutig abgeklärten Sachverhalts insofern nicht erfolgen. 7. Zusammenfassung Zusammenfassend ist festzustellen, dass nicht eindeutig zu klären ist, ob die Pauschalsteuer auf Zugteile in den Anwendungsbereich der Richtlinie 91/440/EWG fällt. Dann müsste sie sich jedenfalls an den dort genannten Voraussetzungen an eine Abgabe messen lassen. Es sprechen Gründe dafür, dass sie diesen Anforderungen nicht gerecht würde. Falls die Pauschalsteuer nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 91/440/EWG fällt, würde in der vorliegenden Sachverhaltskonstellation ein Verstoß gegen Art. 92 AEUV nahe liegen. Ein Verstoß gegen Art. 110 AEUV könnte ebenfalls vorliegen. Alle anderen geprüften Rechtsnormen scheinen dem französischen Konzept nicht entgegenzustehen. - Fachbereich Europa - 72 Vgl. Khan, in: Geiger/Khan/Kotzur (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 117 AEUV, Rdnr. 1. 73 Fischer, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EU-Verträge, 5. Auflage 2010, Art. 116, 117, Rdrn. 1, Herrnfeld, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2. Auflage 2009, Art. 97 EGV, Rdnr. 2. 74 Herrnfeld, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2. Auflage 2009, Art. 97 EGV, Rdnr. 2; Fischer, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EU-Verträge, 5. Auflage 2010, Art. 116, 117 AEUV, Rdnr. 2.