© 2015 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 221/14 Fragen zu den Ratifikationserfordernissen des Comprehensive Economic and Trade Agreements (CETA) Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 221/14 Seite 2 Fragen zu den Ratifikationserfordernissen des Comprehensive Economic and Trade Agreements (CETA) Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 221/14 Abschluss der Arbeit: 30. Dezember 2014 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 221/14 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Hintergrund 4 3. Abgrenzung von EU-Abkommen und gemischten Abkommen 5 3.1. EU-Abkommen 5 3.2. Gemischtes Abkommen 5 3.3. Maßstäbe zur Abgrenzung von EU-Abkommen und gemischten Abkommen 6 3.4. Bewertung des CETA 7 3.4.1. Maßstäbe der Bewertung 7 3.4.2. Vorläufige Einschätzung der Argumente für das Vorliegen eines gemischten Abkommens 8 3.4.2.1. Investitionen 8 3.4.2.1.1. Bestimmungen des CETA 8 3.4.2.1.2. Bestimmungen des Unionsrechts 9 3.4.2.1.3. Folgerungen 11 3.4.2.2. Verkehrsdienstleistungen 13 3.4.2.2.1. Anforderungen des Unionsrechts 13 3.4.2.2.2. Regelungen im CETA 13 3.4.2.2.3. Folgerungen 14 3.4.2.3. Strafrechtliche Bestimmungen im Rahmen des Rechts am geistigen Eigentum 16 3.4.2.3.1. Regelungen im CETA 16 3.4.2.3.2. Folgerungen 16 3.5. Ergebnis 18 4. Vorläufige Anwendung des CETA vor Inkrafttreten 18 4.1. Ratifikation 19 4.1.1. Ratifikation von Unionsabkommen 19 4.1.1.1. Unionales Ratifikationsverfahren 20 4.1.1.2. Beteiligungsrechte des Bundestages 20 4.1.2. Ratifikation von gemischten Abkommen 21 4.1.2.1. Kombination der Ratifikationsverfahren von EU und Mitgliedstaaten 21 4.1.2.2. Beteiligungsrechte des Bundestages 22 4.2. Vorläufige Anwendung 23 4.2.1. Regelung zur vorläufigen Anwendung 23 4.2.2. Bestimmungen des CETA zur vorläufigen Anwendbarkeit 23 4.2.3. Verfahren zur vorläufigen Anwendung 24 4.2.4. Wirkung der vorläufigen Anwendung 25 4.2.5. Beendigung der vorläufigen Anwendung 25 4.3. Zusammenfassung 26 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 221/14 Seite 4 1. Fragestellung Die Ausarbeitung geht auf Fragen zum Ratifikationsprozess des zwischen der Europäischen Union (EU) und Kanada ausgehandelten Comprehensive Economic and Trade Agreements (CETA) ein. Mit Blick auf die Beteiligungsmöglichkeiten nationaler Parlamente geht die Ausarbeitung insbesondere auf die Prämissen einer vorläufigen Anwendbarkeit des Abkommens sowie auf die Fragen ein, ob das CETA als gemischtes Abkommen oder als EU-Abkommen abgeschlossen und ratifiziert werden muss. 2. Hintergrund Auf Grundlage der Empfehlung der Europäischen Kommission (KOM) vom 2. April 20091 hat der Rat die Kommission am 27. April 2009 der Kommission ein Mandat erteilt, ein Abkommen über wirtschaftliche Integration mit Kanada auszuhandeln. Zugleich hat der Rat die entsprechenden Verhandlungsleitlinien erlassen und beschlossen, den in Art. 133 des Vertrags über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV, jetzt: Art. 207 Abs. 3 UAbs. 3 S. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)) vorgesehenen Sonderausschuss einzusetzen. Auf der Basis dieses Handlungsrahmens sowie der Vorarbeiten2 der Kommission zusammen mit der kanadischen Regierung über die Festlegung des Geltungsbereichs eines vertieften EU-Kanada- Wirtschaftsabkommens begannen die Verhandlungen im Mai 2009. Am 18. Oktober 2013 haben die EU und Kanada eine politische Einigung („political breakthrough package“) über die wesentlichen Elemente des CETA erzielt. Auf Grundlage dieser Einigung hat die Kommission einen konsolidierten Textentwurf für das CETA übermittelt.3 Ergänzend hierzu wurde eine erste Einigung über die Ausgestaltung eines Investor-Staat-Streitschlichtungsverfahrens (ISDS) erzielt. Auf dieser Grundlage wurden seitdem die Details der technischen Umsetzung von den Vertragsparteien erarbeitet. Nunmehr hat die Kommission die finale Textfassung des CETA übermittelt, und am 26. September 2014 wurde im Rahmen eines EU-Kanada- Gipfels der Abschluss der Verhandlungen erklärt. Die derzeit stattfindende Rechtsförmlichkeitsprüfung des CETA soll im Frühjahr 2015 abgeschlossen sein. Danach wird das Abkommen in die 24 Amtssprachen der EU übersetzt. Voraussichtlich im März/April 2015 könnte das Europäische Parlament eine Entschließung zum CETA verabschieden. Der Rat wird voraussichtlich nicht vor Herbst 2015 mit der Unterzeichnung des Abkommens befasst werden. An den entsprechenden Ratsbeschluss werden sich die Zustimmungsverfahren im Europäischen Parlament und in den Mitgliedstaaten anschließen. 1 Empfehlung der Kommission an den Rat zur Ermächtigung der Kommission zur Aufnahme von Verhandlungen über ein Abkommen über wirtschaftliche Integration mit Kanada, 12.06.2009, Rats. Dok. 9036/09 2 Europäische Kommission, Joint Report on the EU-Canada Scoping Exercise vom 5. März 2009, online abrufbar unter http://trade.ec.europa.eu/doclib/html/142470.htm. 3 Europäische Kommission, CETA – Draft Table of Contents for a Consolidated CETA vom 26.09.2014. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 221/14 Seite 5 3. Abgrenzung von EU-Abkommen und gemischten Abkommen Ob und in welcher Form die EU und die Mitgliedstaaten bei dem Abschluss völkerrechtlicher Verträge und ihrer vorläufigen Anwendung zu beteiligen sind, richtet sich zunächst danach, um welche Art von völkerrechtlichem Vertrag es sich handelt. Für den Abschluss des CETA kommen der Abschluss als bilaterales Handelsabkommen nach Art. 207 AEUV zwischen der EU und Kanada (im Folgenden: EU-Abkommen) oder als multilaterales gemischtes Abkommen zwischen Kanada und der EU sowie ihren Mitgliedstaaten (im Folgenden: gemischtes Abkommen) in Betracht . 3.1. EU-Abkommen Die EU kann gem. Art. 207 iVm Art. 216 AEUV Handelsabkommen mit Drittstaaten und anderen internationalen Organisationen abschließen. Dabei ermächtigt Art. 216 AEUV zum Vertragsschluss , und Art. 207 AEUV bestimmt den – gem. Art. 2 Abs. 6, 3 Abs. 1 lit. e) AEUV in die ausschließliche Zuständigkeit der Union fallenden – Vertragsgegenstand der gemeinsamen Handelspolitik . Die Mitgliedstaaten sind nicht befugt, in dem von Art. 207 AEUV erfassten Politikbereich eigene Handelsabkommen abzuschließen (Art. 2 Abs. 1 1. HS AEUV). Die gemeinsame Handelspolitik gem. Art. 207 AEUV erfasst alle Maßnahmen, die den Handelsverkehr – also den Warenaustausch – mit dritten Staaten regeln, sowie alle Maßnahmen, deren Hauptzweck in der Beeinflussung der Handelsströme und des Handelsvolumens liegt.4 So werden gem. Art. 207 Abs. 1 AEUV vor allem die Änderung von Zollsätzen, der Abschluss von Zoll- und Handelsabkommen, die den Handel mit Waren und Dienstleistungen betreffen, die Handelsaspekte des geistigen Eigentums , die ausländischen Direktinvestitionen, die Vereinheitlichung der Liberalisierungsmaßnahmen , die Ausfuhrpolitik sowie handelspolitische Schutzmaßnahmen von der Vorschrift erfasst . Die Aufzählung der Gegenstände der Handelspolitik ist jedoch nicht abschließend, d.h. die Union ist nicht auf die genannten Instrumente beschränkt.5 3.2. Gemischtes Abkommen Betrifft ein Abkommen mit Drittstaaten aber Gegenstände, die nicht vollständig insbesondere in den handelspolitischen Kompetenzbereich der Union fallen, sondern auch in den Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten, wird das Abkommen als gemischtes Abkommen abgeschlossen.6 Darunter versteht man völkerrechtliche Verträge, die die EU unter Mitwirkung der Mitgliedstaaten auf der Grundlage sowohl von Unions- als auch von mitgliedstaatlichen Kompetenzen abschließt .7 Ein „gemischtes Abkommen“ muss obligatorisch dann geschlossen werden, wenn die 4 Vgl. den Überblick bei Nettesheim/Duvigneau, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 2. Auflage 2012, Art. 207 AEUV, Rn. 6 ff. 5 Vgl. den Überblick bei Hahn, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 4. Auflage 2011, Art. 207 AEUV, Rn. 40 f. 6 Zum Status eines völkerrechtlichen Vertrags als gemischtes Abkommen vgl. EuGH, Gutachten 1/94 (GATS), Rn. 98 und 105; EuGH, Gutachten 1/78 (Internationales Naturkautschukübereinkommen), Rn. 2; EuGH, Gutachten 2/91 (ILO-Übereinkommen) Rn. 13 und 39. 7 Vgl. Vranes, Gemischte Abkommen und die Zuständigkeit des EuGH – Grundlagen und neuere Entwicklungen in den Außenbeziehungen, Europarecht (EuR) 2009, S. 44 (45). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 221/14 Seite 6 Gegenstände des Abkommens sowohl Zuständigkeitsbereiche der EU als auch Bereiche betreffen, die in die ausschließliche, nicht auf die EU übertragene Zuständigkeit der Mitgliedstaaten oder in die zwischen Union und Mitgliedstaaten gem. Art. 4 AEUV geteilten Zuständigkeiten fallen.8 Betrifft ein Abkommen also auch weitere, über Art. 207 EUV hinausgehende Materien, so könnte hierfür keine ausschließliche Kompetenz der EU gegeben sein, sodass eine Ratifikation auch durch die Mitgliedstaaten erforderlich wäre. 3.3. Maßstäbe zur Abgrenzung von EU-Abkommen und gemischten Abkommen Die konkrete Qualifizierung einer Übereinkunft als gemischtes Abkommen oder als EU-Abkommen wird zunächst durch den Anwendungsbereich des Unionsrechts und den Regelungsumfang des betreffenden Abkommens bestimmt.9 Hierfür sind ex ante die Kompetenzen zu beurteilen, die durch das Abkommen potenziell berührt werden.10 Mit Blick auf die Wahrnehmung der gemeinsamen Handelspolitik gemäß Art. 133 EGV (nun: Art. 207 AEUV) hat der EuGH festgestellt, dass die Norm dann maßgeblicher Anhaltspunkt ist, wenn sich ein Abkommen „unmittelbar und sofort“ auf den Handel auswirkt.11 Für die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Union und Mitgliedstaaten bei Abkommen im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik (vgl. Art. 207 Abs. 6 AEUV) stellt der EuGH sowohl auf das vorherrschende Ziel als auch auf die vorherrschenden Elemente des Abkommens ab.12 Dementsprechend stellt sich die Frage, ob sich das Abkommen auf Aspekte der Gemeinsamen Handelspolitik beschränkt oder darüber hinaus weitere Materien betrifft, die nicht vom Anwendungsbereich der Gemeinsamen Handelspolitik erfasst sind. Daneben sind auch politische Erklärungen im Rahmen der Mandatserteilung oder der Verhandlungen für die Qualifizierung einer Übereinkunft als EU-Abkommen oder gemischtes Abkommen von Bedeutung. Die politischen Erklärungen bringen den Willen der Mitgliedstaaten oder der Unionsorgane zum Ausdruck, welches Verhandlungsergebnis erzielt werden soll. Dies verdeutlichen die neueren bilateralen Handelsabkommen, die als gemischte Abkommen geschlossen worden sind.13 Dies resultiert u.a. daraus, dass durch die Beteiligung aller Mitgliedstaaten ein politisches Signal des gemeinsamen Interesses an einer umfassenden Vertiefung der wechselseitigen 8 Vgl. Bollrath, Die Vertragsschlusskompetenz der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Gemeinsamen Handelspolitik, 2008, S. 63; Bungenberg, Going Global? The EU Common Commercial Policy after Lisbon, in: Herrmann/Terhechte (Hrsg.), European Yearbook of International Economic Law 2010, S. 123 (133). 9 Vgl. EuGH, Gutachten 1/03 (Lugano Konvention), Rn. 126. 10 Vgl. Haag, in: Bieber/Epiney/Haag (Hrsg.), Die Europäische Union, § 33 Rn. 18. 11 EuGH, Rs. C-94/03 (Kommission/Rat), Rn. 42; vgl. auch EuGH, Gutachten 1/94 (WTO), Rn. 33 ff. 12 EuGH, Rs. C-268/94 (Portugal/Rat), Rn. 35 ff.; EuGH, Gutachten 2/00 (Cartagena), Rn. 20 ff. 13 Vgl. Hahn, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 4. Auflage 2011, Art. 207 AEUV, Rn. 11 f.; Kumin/Bittner, Die „gemischten“ Abkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dritten Völkerrechtssubjekten andererseits, in: EuR-Beiheft 2/2012, S. 75 (76 ff.). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 221/14 Seite 7 Beziehungen gesendet werden soll.14 Dementsprechend wurden auf Veranlassung der Mitgliedstaaten Handelsverträge gezielt um Regelungsgegenstände angereichert, die von der ausschließlichen Vertragskompetenz der Union nicht erfasst waren.15 3.4. Bewertung des CETA Fraglich ist ob das CETA als reines Unionsabkommen nach Art. 207 iVm. Art. 218 AEUV oder als gemischtes Abkommen abzuschließen ist. 3.4.1. Maßstäbe der Bewertung Der Entwurfstext des CETA16 enthält im Wesentlichen Vorschriften über den Handel und handelsbezogene Bereiche. Hieraus lässt sich folgern, dass die Regelungsbereiche des CETA in die ausschließliche Zuständigkeit der Union gemäß Art. 207 AEUV fallen, was für eine Qualifikation des CETA als EU-Abkommen spräche. Ein Vertrag, der im Kern die gemeinsame Handelspolitik betrifft, muss jedoch nicht auf Regelungen im Sinne des Art. 207 AEUV beschränkt sein. Der Rat besitzt einen weiten Beurteilungsspielraum , die Vertragsverhandlungen durch Materien jenseits von Art. 207 AEUV „anzureichern“, um so die Qualifikation eines Abkommens zu beeinflussen.17 Die Absicht, das Abkommen als ein gemischtes zu schließen, kann sich dabei zunächst aus dem Willen der Mitgliedstaaten bei der Mandatserteilung an die Kommission gem. Art. 207 Abs. 3 iVm Art. 218 Abs. 3 und 4 AEUV ergeben . Eine solche Willensbekundung kann auch zu einem späteren Zeitpunkt im Lichte der vom Abkommen getroffenen Regelungen erfolgen, da die abschließende Entscheidung über die Rechtsgrundlage und somit auch das Ausmaß der Beteiligung der Mitgliedstaaten erst in voller Kenntnis des gesamten und endgültigen Inhalts des Abkommens erfolgen kann. Die Bundesregierung hatte während der Verhandlungen den Standpunkt vertreten, dass das CETA als gemischtes Abkommen abzuschließen sei.18 14 Kumin/Bittner, Die „gemischten“ Abkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dritten Völkerrechtssubjekten andererseits, in: EuR-Beiheft 2/2012, S. 75 (76). 15 Zum Ganzen vgl. Hahn, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Auflage 2011, Rn. 64 ff., insbesondere Rn. 67. 16 Europäische Kommission, CETA – Draft Table of Contents for a Consolidated CETA vom 26.09.2014 uropäische Kommission, CETA; vgl. auch Canada-European Union: Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA) Negotiations, Initial Strategic Environmental Assessment - February 2012, abrufbar unter http://www.international.gc.ca/trade-agreements-accords-commerciaux/agr-acc/eu-ue/initialEA-ceta-aecg- EEinitiale.aspx?lang=eng; Europäische Kommission, Facts and figures of the EU-Canada Free Trade deal vom 18. Oktober 2013, abrufbar unter http://trade.ec.europa.eu/doclib/press/index.cfm?id=974. 17 EuGH, Rs. C-94/03 (Kommission/Rat), Rn. 55; EuGH, Gutachten 2/00 (Cartagena), Rn. 16 f. 18 Vgl. die Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage in BT-Drs. 18/258, BT-Drs. 18/351, S. 8. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 221/14 Seite 8 3.4.2. Vorläufige Einschätzung der Argumente für das Vorliegen eines gemischten Abkommens Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung bereits während der Verhandlungen den Standpunkt vertreten, dass das CETA als gemischtes Abkommen abzuschließen sei.19 Die Bundesregierung sieht mitgliedstaatliche Zuständigkeiten insbesondere im Bereich Investitionsschutz und Verkehrsdienstleistungen berührt. Eine abschließende Aussage zu den genauen Regelungen im Abkommen, die dazu führen, dass es sich um ein gemischtes Abkommen handelt, wird erst nach der Prüfung der betroffenen Fachressorts möglich sein. Mit Blick auf die andauernde Rechtsförmlichkeitsprüfung sowie den Beschluss der (alten) EU- Kommission vom 30. Oktober 2014,20 die Frage der Rechtsnatur des vergleichbaren EU-Singapur- Abkommens vor dem EuGH im Rahmen eines Gutachtens gemäß Art. 218 Abs. 11 AEUV klären zu lassen, ist die folgende Darstellung als eine vorläufige Einschätzung zu verstehen. Aus hiesiger Sicht kommen insbesondere die nachfolgenden Punkte als Kriterien für die Bewertung in Betracht , ob das CETA als gemischtes Abkommen ratifiziert werden muss und welche Teile des CETA somit durch Beschluss des Rates ohne Beteiligung des Europäischen Parlaments oder der nationalen Parlamente vorläufig Anwendung finden können. 3.4.2.1. Investitionen Das Erfordernis, das CETA als gemischtes Abkommen zu ratifizieren, könnte sich auf die Regelungen im Bereich der Investitionen stützen lassen. 3.4.2.1.1. Bestimmungen des CETA Gemäß Section 1: Scope and Definitions des 10. Teils des CETA wird der Begriff der Investition umfassend verstanden. Im Hinblick auf den Anwendungsbereich bestimmt Article X.1: Scope of Application “This Chapter shall apply to measures adopted or maintained by a Party in its territory relating to: (a) investors of the other Party; (b) covered investments; and (c) with respect to Articles X.5 (Performance Requirements), all investments in the territory of the Party.“ Für diesen Anwendungsbereich wird der Begriff der Investition in Article X.3: Definitions definiert als 19 Vgl. die Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage in BT-Drs. 18/258, BT-Drs. 18/351, S. 8. 20 Kommission, Pressemitteilung vom 30. Oktober 2014, abrufbar unter http://europa.eu/rapid/press-release_IP-14- 1235_en.htm Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 221/14 Seite 9 “Every kind of asset that an investor owns or controls, directly or indirectly, that has the characteristics of an investment, which includes a certain duration and other characteristics such as the commitment of capital or other resources, the expectation of gain or profit, or the assumption of risk. Forms that an investment may take include: (a) an enterprise; (b) shares, stocks and other forms of equity participation in an enterprise; (c) bonds, debentures and other debt instruments of an enterprise; (d) a loan to an enterprise; (e) any other kinds of interest in an enterprise; (f) an interest arising from: (i) a concession conferred pursuant to domestic law or under a contract, including to search for, cultivate, extract or exploit natural resources, (ii) a turnkey, construction, production, or revenue-sharing contract, or (iii) other similar contracts; (g) intellectual property rights; (h) any other moveable property, tangible or intangible, or immovable property and related rights; (i) claims to money or claims to performance under a contract; For greater certainty, 'claims to money' does not include claims to money that arise solely from commercial contracts for the sale of goods or services by a natural person or enterprise in the territory of a Party to a natural person or enterprise in the territory of the other Party, domestic financing of such contracts, or any related order, judgment, or arbitral award. Returns that are invested shall be treated as investments. Any alteration of the form in which assets are invested or reinvested does not affect their qualification as investment.” 3.4.2.1.2. Bestimmungen des Unionsrechts Fraglich ist, ob die Regelungen des CETA, welche den Bereich Investitionen betreffen, gem. Art. 3 Abs. 1 lit. e, 207 Abs. 1 S. 1 AEUV in die ausschließliche Zuständigkeit der EU für die gemeinsame Handelspolitik fallen. Das wäre der Fall, wenn der Investitionsbegriff des CETA dem in die ausschließliche Zuständigkeit der Union fallenden Begriff der ausländischen Direktinvestition gem. Art. 207 Abs. 1 S. 1 AEUV entsprechen würde. Der Begriff der ausländischen Direktinvestition findet sich im Primärrecht in den Art. 64 Abs. 2, 207 Abs. 1 AEUV, ohne hier jedoch definiert zu werden. Anhaltspunkte zur Bestimmung des Begriffs ergeben sich sekundärrechtlich aus der Begriffsbestimmung in der Richtlinie 88/361/EWG21 21 Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24. Juni 1988 zur Durchführung von Artikel 67 des Vertrages, ABl. L 178/11, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:31988L0361&qid=1408630689611&from=DE. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 221/14 Seite 10 sowie in Nr. 6.1 Anhang II (Definitionen nach Art. 10) der Verordnung (EG) Nr. 184/200522. Danach liegt dem Begriff der ausländischen Direktinvestition das Verständnis einer internationalen Investition zugrunde, die von einem Direktinvestor getätigt wird, um eine langfristige Beteiligung an einem in einem anderen Wirtschaftsgebiet ansässigen Unternehmen einschließlich eines entsprechenden Kontrollerwerbs zu erhalten.23 Dieses Verständnis einer ausländischen Direktinvestition entspricht der allgemeinen Auffassung, von einer solchen Investition als eine grenzüberschreitende Beteiligungen am Kapital oder an Stimmrechten eines Unternehmens mit dem Ziel, eine langfristige Beteiligung an einem in einer anderen Volkswirtschaft ansässigen Unternehmen durch den Erwerb von mindestens 10 % der Stammaktien bzw. des Stimmrechts zu erwerben, wovon auch Beteiligungskapital, reinvestierte Gewinne und sonstige Anlagen im Zusammenhang mit Transaktionen zwischen verbundenen Unternehmen erfasst werden.24 Demgegenüber sollen grenzüberschreitende Investitionen, die nicht auf Kontrolle, sondern lediglich auf die Verzinsung des eingesetzten Kapitals abzielten, als sog. Portfolioinvestitionen nicht unter den Begriff der ausländischen Direktinvestitionen fallen.25 In diesem Sinne hat auch der EuGH im Kontext von Art. 56 Abs. 1 EG (nunmehr: Art. 63 AEUV) zwischen Direktinvestitonen (Form der Beteiligung an einem Unternehmen durch Besitz von Aktien, die die Möglichkeit verschafft , sich tatsächlich an der Verwaltung dieser Gesellschaft und deren Kontrolle zu beteiligen) und Portfolioinvestitionen (Erwerb von Wertpapieren auf dem Kapitalmarkt allein in der Absicht einer Geldanlage, ohne auf die Verwaltung und Kontrolle des Unternehmens Einfluss nehmen zu wollen) unterschieden.26 22 Verordnung (EG) Nr. 184/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Januar 2005 betreffend die gemeinschaftliche Statistik der Zahlungsbilanz, des internationalen Dienstleistungsverkehrs und der Direktinvestitionen , ABl. L 35/23, zuletzt geändert durch die Verordnung (EU) Nr. 519/2013 der Kommission vom 21. Februar 2013, ABl. L 158/7, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02005R0184-20140101&qid=1408623107786&from=DE. 23 Communication from the European Community and its Member States, 16 April 2002, WTO Doc. WT/WGTI/W/15, Rn. 8 ff., abrufbar unter http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2004/july/tradoc_111123.pdf; Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen - Auf dem Weg zu einer umfassenden europäischen Auslandsinvestitionspolitik , KOM(2010) 343 endg., S. 4 f. mit Nachweisen zur Rechtsprechung des EuGH, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52010DC0343&qid=1408624304848&from=DE; EuGH, Rs. C-446/04 (Test Claimants), Rn. 180 f. 24 EZB, Monatsbericht August 2014, S. X; OECD Benchmark Definition of Foreign Direct Investment, Fourth Edition 2008, S. 17 f., abrufbar unter http://www.oecd.org/daf/inv/investmentstatisticsandanalysis/40193734.pdf. 25 Communication from the European Community and its Member States, 16 April 2002, WTO Doc. WT/WGTI/W/15, Rn. 20; KOM(2010) 343 endg., S. 4 f. 26 EuGH, verb. Rs. C-282/04 und C-283/04 (Kommission/Niederlande), Rn. 19 mit Verweis auf EuGH, Rs. C-222/97 (Trummer und Mayer), Rn. 21; EuGH, Rs. C-483/99 (Kommission/Frankreich), Rn. 36 f.; EuGH, Rs. C-98/01 (Kommission/Vereinigtes Königreich), Rn. 39 f. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 221/14 Seite 11 3.4.2.1.3. Folgerungen Vor diesem Hintergrund der unionsrechtlichen Auslegung des Begriffs der ausländischen Direktinvestition wird vertreten, dass nur solche Investitionen in die ausschließliche Zuständigkeit der EU gem. Art. 3 Abs. 1 lit. e, 207 Abs. 1 S. 1 AEUV fallen, die dem Kontrollerwerb eines Unternehmens dienen.27 Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zum Vertrag von Lissabon im Kontext seiner Beurteilung der Gemeinsamen Handelspolitik dementsprechend ausgeführt: „Mit der Erweiterung der gemeinsamen Handelspolitik auf "ausländische Direktinvestitionen" (Art. 207 Abs. 1 AEUV), wird der Europäischen Union auch für diesen Bereich eine ausschließliche Kompetenz zugewiesen. Allerdings spricht vieles dafür, dass der Begriff "ausländische Direktinvestitionen" nur diejenigen Investitionen umfasst, die dem Kontrollerwerb eines Unternehmens dienen (vgl. Tietje, Die Außenwirtschaftsverfassung der EU nach dem Vertrag von Lissabon, 2009, S. 15 f.). Dies hätte zur Folge, dass die ausschließliche Kompetenz nur für Investitionen dieses Typs besteht, während darüber hinausgehende Investitionsschutzverträge als gemischte Abkommen geschlossen werden müssten.“ 28 Somit stellt sich die Frage, ob der Investitionsbegriff des CETA nur ausländische Direktinvestitionen betrifft und dieser Bereich des CETA damit in die ausschließliche Zuständigkeit der EU fällt. Zwar deutet die Formulierung in Teil 10, Article X.3: Definitions des CETA („asset that an investor owns or controls“) darauf hin, dass ausländische Direktinvestitionen von den Regelungen des CETA erfasst werden sollen. Die anschließenden Formulierungen gehen jedoch darüber hinaus und legen ein umfassendes Verständnis des Investitionsbegriffs im CETA nahe. Zudem differenziert die Definition des Begriffs der Investition im Gegensatz beispielsweise zu der Definition der OECD29 nicht zwischen ausländischen Direktinvestitionen und Portfolioinvestitionen. Angesichts des weiten, nicht explizit auf ausländische Direktinvestitionen beschränkten Investitionsbegriffs in Teil 10 des CETA lässt sich somit vertreten, dass auch Portfolioinvestitionen vom CETA erfasst sein sollen. In diesem Fall ginge der Regelungsbereich des CETA im Bereich der Investitionen über die ausschließliche Zuständigkeit der EU gem. Art. 3 Abs. 1 lit. e, 207 Abs. 1 S. 1 AEUV hinaus, und das CETA wäre aufgrund der insoweit geteilten Zuständigkeit als gemischtes Abkommen abzuschließen. Hierbei ist jedoch darauf hinzuweisen, dass bezüglich der Frage, ob auch Portfolioinvestitionen dem Begriff der ausländischen Direktinvestitionen unterfallen, insbesondere im Hinblick auf die Verwendung des Begriffs im Rahmen der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 64 Abs. 2 AEUV), auch 27 BVerfGE 123, 267 (421) mit Verweis auf Tietje, Die Außenwirtschaftsverfassung der EU nach dem Vertrag von Lissabon, 2009, S. 15 f. 28 BVerfGE 123, 267 (421). 29 Vgl. OECD Benchmark Definition of Foreign Direct Investment, Fourth Edition 2008, S. 17. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 221/14 Seite 12 von der Kommission die Auffassung vertreten wird, dass das Kapitel über den Abbau von Beschränkungen des Kapital- und Zahlungsverkehrs im Hinblick auf Direkt- und Portfolioinvestitionen zwar die Möglichkeit des Abschlusses internationaler Abkommen über Investitionen, einschließlich Portfolioinvestitionen, nicht ausdrücklich vorsehe. Da aber internationale Investitionsabkommen den Geltungsbereich der im AEUV-Kapitel über den Kapital- und Zahlungsverkehr vorgegebenen gemeinsamen Regeln berührten, ergäbe sich daraus implizit die ausschließliche Zuständigkeit der Union für den Abschluss von Abkommen in diesem Bereich.30 Diese weite Auslegung und Begründung einer ausschließlichen Zuständigkeit könnte sich auf die mit der sog. AETR-Rechtsprechung des EuGH31 entwickelten Parallelität zwischen der Innenkompetenz und der Außenkompetenz stützen und fände vorliegend ihre primärrechtliche auf Grundlage in den Art. 3 Abs. 2 3. Alt. i. V. m. 63 ff. AEUV.32 Auch wenn überzeugende Argumente für einen enges Verständnis des Begriffs der ausländischen Direktinvestitionen in Art. 207 Abs. 1 S. 1 AEUV sprechen, lässt sich gegenwärtig der Umfang der ausschließlichen Zuständigkeiten der EU in diesem Bereich nicht abschließend beurteilen.33 Vielmehr bleibt letztlich abzuwarten, wie die Reichweite der Kompetenz des Art. 207 AEUV im Kontext des internationalen Investitionsschutzrechts durch den EuGH im Rahmen seiner Zuständigkeit gemäß Art. 19 Abs. 1 EUV im Verfahren gemäß Art. 218 Abs. 11 AEUV über das mit dem CETA vergleichbare FHA EU-Singapur bestimmt werden wird. Geht man von einem engen Investitionsbegriff aus, so könnten auch die Enteignungs- und Entschädigungsregeln des CETA zum Eigentumsschutz in Kapitel 10 (Investment) Art. X.11 und in Kapitel 15 (Financial Services) sowie die Bestimmungen zur Streitbeilegung in Investitionsschutzstreitigkeiten vor einem Schiedsgericht gemäß Kapitel 10 (Investment), Section 6, Art. X.17 Abs. 1 (Scope of a Claim to Arbitration) die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten betreffen und damit deren Zustimmung zum Abschluss des CETA erforderlich machen.34 30 KOM(2010) 343 endg., S. 9; vgl. hierzu Herrmann, Die Zukunft der mitgliedstaatlichen Investitionspolitik nach dem Vertrag von Lissabon, EuZW 2010, S. 207 (209) sowie Meyer, Gutachten BMWi vom 28. August 2014, S. 12 mit Verweis darauf, dass Direktinvestitionen im Rahmen der Gemeinsamen Handelspolitik im Sinne des Art. 207 AEUV stets einen handelsspezifischen Bezug erforderten und daher mit dem Direktinvestitionsbegriff des Kapitalverkehrskapitels des AEUV gleichgesetzt werden könnten. 31 EuGH, Rs. 22/70 (AETR), Rn. 22; EuGH, Gutachten 1/76 (Stillegungsfonds); EuGH, Rs. C-476/98 (Open Skies), Rn. 83; EuGH, Gutachten 1/03 (Übereinkommen von Lugano), Rn. 125 ff. 32 Vgl. Puig, The Scope oft he New Exclusive Competence oft he European Union with Regard to „Foreign Direct Investment“, in: Legal Issues of Economic Integration 40 (2013), S. 133 (152 ff.); Bungenberg, Europäischer Internationaler Investitionsschutz, in: von Arnauld, EnzEuR, Band 10 – Europäische Außenbeziehungen, 2014, § 13, Rn. 13. 33 Vgl. hierzu Bungenberg, Europäischer Internationaler Investitionsschutz, in: von Arnauld, EnzEuR, Band 10 – Europäische Außenbeziehungen, 2014, § 13, Rn. 13; Herrmann, Die Zukunft der mitgliedstaatlichen Investitionspolitik nach dem Vertrag von Lissabon, EuZW 2010, S. 207 (209). 34 Vgl. hierzu Meyer, Gutachten BMWi vom 28. August 2014, S. 14 ff.; a.A. Puig, The Scope oft he New Exclusive Competence oft he European Union with Regard to „Foreign Direct Investment“, in: Legal Issues of Economic Integration 40 (2013), S. 133 (141 ff.) m.w.N. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 221/14 Seite 13 3.4.2.2. Verkehrsdienstleistungen 3.4.2.2.1. Anforderungen des Unionsrechts Das Erfordernis, das CETA als gemischtes Abkommen zu ratifizieren, könnte sich auf die Regelungen im Bereich der Verkehrsdienstleistungen stützen lassen. Denn die gemeinsame Handelspolitik nach Art. 207 Abs. 1 S. 1 AEUV erfasst zwar grundsätzlich alle Bereiche des Dienstleistungsverkehrs . Hiervon ist jedoch der Verkehrsbereich durch Art. 207 Abs. 5 AEUV ausgenommen . Art. 207 Abs. 5 AEUV verweist für die Aushandlung und den Abschluss von internationalen Abkommen im Bereich des Verkehrs auf die Bestimmungen des Dritten Teils, Titel VI AEUV sowie auf Art. 218 AEUV. Die Bestimmungen des Dritten Teils, Titel VI des AEUV über die gemeinsame Verkehrspolitik (Art. 90 ff. AEUV) fallen nach Art. 4 Abs. 2 lit. g AEUV in die geteilte Zuständigkeit von EU und Mitgliedstaaten. Hierdurch soll verhindert werden, dass der Handel mit solchen Dienstleistungen durch den Abschluss internationaler Abkommen reglementiert werden könnte, die die Union aufgrund ihrer Zuständigkeit für die Gemeinsame Handelspolitik allein schließen würde, um so den Mitgliedstaaten in den sensiblen Bereichen der Art. 90 ff. AEUV eine wirksame Außenkompetenz zu belassen.35 Die Ausnahmeregelung des Art. 207 Abs. 5 AEUV findet nur auf solche Fälle keine Anwendung, in denen der Handel mit Verkehrsdienstleistungen lediglich eine notwendige Ergänzung für die Wirksamkeit der Bestimmungen in den anderen Dienstleistungsbereichen oder von äußerst begrenzter Tragweite ist.36 Weil die Außenkompetenzen der Union im Verkehrsbereich nach Art. 216 Abs. 1 AEUV somit nur unter den engen Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 2 AEUV ausschließlich sind,37 erfordern die auf Art. 91 und Art. 100 Abs. 2 AEUV gestützten Abkommen auch weiterhin einen Abschluss unter Beteiligung der Mitgliedstaaten.38 3.4.2.2.2. Regelungen im CETA Gemäß Art. X-01: Scope umfasst Teil 11 (Cross-Border Trade in Services) des CETA die Bereiche (a) the production, distribution, marketing, sale and delivery of a service; (b) the purchase or use of, or payment for, a service; and, (c) the access to and use of, in connection with the supply of a service, services which are required to be offered to the public generally. 35 EuGH, Gutachten 1/08 (GATS), Rn. 135, 139. 36 EuGH, Gutachten 1/08 (GATS), Rn. 138 ff., 162 ff. 37 Vgl. hierzu Bauerschmidt, Die Sperrwirkung im Europarecht, EuR 2014, S. 277 (283 ff.). 38 Vgl. hierzu beispielsweise den Beschluss 2011/265/EU des Rates vom 16. September 2010 über die Unterzeichnung — im Namen der Europäischen Union — und vorläufige Anwendung des Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Korea andererseits, ABl. L 127/1, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32011D0265&qid=1408636272057&from=DE. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 221/14 Seite 14 Teil 11, Art. X-01 Abs. 2 (e) CETA nimmt bestimmte Luftverkehrsdienstleistungen vom Anwendungsbereich des CETA aus: (e) air services, related services in support of air services and other services supplied by means of air transport18, other than; (i) aircraft repair and maintenance services when an aircraft is withdrawn from service ; (ii) the selling and marketing of air transport services; (iii) computer reservation system services; (iv) ground handling services (v) airport operation services Zudem bekräftigt Teil 11, Art. X-01 Abs. 2 CETA, dass das Kapitel nicht die Rechte und Pflichten der Vertragsparteien berühren soll, die sich aus dem zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten auf der einen Seite und Kanada auf der anderen Seite abgeschlossenen Luftverkehrsabkommen39 ergeben. Darüber hinaus umfasst der 16. Teil des CETA (International Maritime Transport Services) „measures adopted or maintained by a Party relating to the supply of international maritime transport services“. Hierzu wird in Art. 1 des 16. Teils klargestellt, dass „measures adopted or maintained by a Party [relating to] [affecting] the supply of international maritime transport services are also subject to the provisions of the Chapters on Cross-Border Trade in Services (CBTS) and on Investment.“ Der Begriff „international maritime transport services” wird in Art. 5 des 16. Teils definiert als „means the transport of passengers and/or cargo by sea-going vessels between a port of one Party and a port of another Party or of a non-Party, or between a port of one European Union Member State and a port of another European Union Member State, as well as direct contracting with suppliers of other transport services to ensure door-to-door or multimodal transport operations, but not the supply of such other transport services.“ Die für den Bereich „international maritime transport services” in Art. 3 des 16. Teils vereinbarten Verpflichtungen werden durch Art. 4 des 16. Teils dahingehend eingeschränkt, dass die Verpflichtungen auf bestehende , nicht mit den vereinbarten Verpflichtungen vereinbare Regelungen u.a. der Union und ihrer Mitgliedstaaten ausgenommen sind. 3.4.2.2.3. Folgerungen Fraglich ist, ob das CETA Bestimmungen im Bereich des Handels mit Verkehrsdienstleistungen enthält, die unter die Sonderregelung des Art. 207 Abs. 5 AEUV fallen. 39 Beschluss des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 30. November 2009 über die Unterzeichnung und vorläufige Anwendung des Luftverkehrsabkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Kanada andererseits; Luftverkehrsabkommen zwischen Kanada und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten, ABl. L 207/30, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=uriserv :OJ.L_.2010.207.01.0030.01.DEU#L_2010207DE.01003201. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 221/14 Seite 15 Die Frage, ob die Union in Bereich des 16. Teils des CETA alleine oder gemeinsam mit den Mitgliedstaaten entsprechend Art. 207 Abs. 5 AEUV das Abkommen schließen kann, hängt insbesondere von der Tragweite der Bestimmungen des Unionsrechts ab, auf die die Union im Rahmen ihrer begrenzten Einzelermächtigung ihre entsprechende Handlungsbefugnis stützen kann.40 Dementsprechend kommt es einerseits auf die Tragweite des Verkehrsbegriffs in Art. 207 Abs. 5 AEUV und den damit korrespondierenden Regelungen im Bereich der Verkehrspolitik gem. Art. 90 ff. AEUV an. Andererseits ist zu berücksichtigen, ob die Bestimmungen des Abkommens den in die ausschließliche Zuständigkeit der Union fallenden Handel mit Dienstleistungen im Allgemeinen regeln, zu den die insbesondere in den Teilen 11 und 16 des CETA geregelten Transportdienstleistungen nur als Neben- oder Hilfsleistungen gehören.41 Insoweit hat der EuGH zu der Art. 207 Abs. 5 AEUV entsprechenden Vorgängerbestimmung des Art. 133 Abs. 6 UAbs. 3 festgestellt, dass diese Ausnahmebestimmung einen Zuständigkeitskonflikt gegenüber der gemeinsamen Handelspolitik dahingehend löst, dass die Ausnahmebestimmung speziell angibt, dass nicht die Kompetenz für die gemeinsame Handelspolitik, sondern eine andere Vertragsbestimmung (d.h. die Verkehrspolitik) für den Abschluss bestimmter internationaler Abkommen, die a priori auf die eine oder die andere Rechtsgrundlage gestützt werden können, Vorrang hat.42 Denn mit Art. 207 Abs. 5 AEUV soll ein Gleichlauf zwischen der unionsinternen Zuständigkeitsverteilung und der Außenkompetenz hergestellt werden. Zudem ist im Hinblick auf den 16. Teil des CETA anzumerken, dass die Bestimmungen des CETA auf “seagoing vessels between a port of one Party and a port of another Party” und der See- und Luftverkehr von den verkehrspolitischen Bestimmungen der Art. 90 bis 99 AEUV ausgenommen und damit bereits einer unionsrechtlichen Regelung nur begrenzt zugänglich ist.43 Dementsprechend scheinen die Bestimmungen in den Teilen 11 und 16 des CETA nicht im Schwerpunkt den Handel mit Verkehrsdienstleistungen zu betreffen und können auch nicht als eine notwendige Ergänzung für die Wirksamkeit der Bestimmungen des CETA in anderen Dienstleistungsbereichen angesehen werden. Vielmehr lassen sich die Bestimmungen der Teile 11 und 16 des CETA dahingehend verstehen, dass sie sektorspezifische Verpflichtungen der Union und ihrer Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Modalitäten, Bedingungen und Beschränkungen festlegen , nach denen diese den Dienstleistungserbringern aus Kanada Zugang zu den Märkten für bestimmte Leistungen im Luft- und Seeverkehr gewähren.44 Vor diesem Hintergrund lässt sich vertreten , dass die Teile 11 und 16 des CETA im Hinblick auf die Ausnahmebestimmung des Art. 207 Abs. 5 AEUV den Abschluss des CETA sowohl durch die Union als auch durch die Mitgliedstaaten erforderlich machen. 40 Vgl. EuGH, Gutachten 1/08 (GATS), Rn. 112. 41 Vgl. EuGH, Gutachten 1/08 (GATS), Rn. 155 f. 42 EuGH, Gutachten 1/08 (GATS), Rn. 157. 43 Vgl. hierzu Hahn/Dudenhöfer, Auswärtige Annexkompetenzen interner Politiken, in: von Arnauld (Hrsg.), Enz EuR Band 10 – Europäische Außenbeziehungen, 2014, § 15, Rn. 156 ff.; Jung, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 2. Auflage, 2012, Art. 100 AEUV, Rn. 6 ff. m.w.N. 44 Vgl. EuGH, Gutachten 1/08 (GATS), Rn. 168 ff. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 221/14 Seite 16 Jedoch ist darauf hinzuweisen, dass auch die Auffassung vertreten werden könnte, dass die Union mit Blick auf die umfassenden Regelungen der Union insbesondere in den Bereichen des Luft- und Seeverkehrs auch für die gemeinsame Verkehrspolitik eine implizite Außenkompetenz im Sinne des Art. 3 Abs. 2 AEUV besitzt.45 3.4.2.3. Strafrechtliche Bestimmungen im Rahmen des Rechts am geistigen Eigentum Ein weiteres Argument für die Notwendigkeit, das CETA als gemischtes Abkommen zu ratifizieren , könnte sich entsprechend den gemeinsamen Verhandlungen von Union und Mitgliedstaaten über strafrechtliche Bestimmungen im Zusammenhang mit Verletzungen des Rechts am geistigen Eigentum insbesondere aus den im CETA vorgesehenen strafrechtlichen Sanktionen und Verfahren ergeben. 3.4.2.3.1. Regelungen im CETA Teil 22 (Intellectual Property Rights) sieht in Art. 5.6 CETA vor: „Each Party may provide for criminal procedures and penalties to be applied in accordance with its laws and regulations against any person who, without authorisation of the theatre manager or the holder of copyright in a cinematographic work, makes a copy of that work or any part thereof, from a performance of the work in a motion picture exhibition facility open to the public.“ 3.4.2.3.2. Folgerungen Bei der Vorgabe in Teil 22, Art. 5.6 CETA handelt es sich um eine strafrechtliche Bestimmung, die den Abschluss des CETA in Form eines gemischten Abkommens notwendig machen könnte. Die strafrechtliche Kompetenz der Union ist in den Art. 82 ff. AEUV geregelt. Auf dieser Grundlage besitzt die Union eine begrenzte Kompetenz zur Harmonisierung des ansonsten in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallenden Strafrechts.46 Der Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (Dritter Teil, Titel V, Kapitel 4) fällt unter die geteilten Zuständigkeiten der Union und der Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 2 lit. j AEUV, wovon das Vereinigte Königreich, 45 Vgl. EuGH, Rs. C-466/98 (Kommission/Vereinigtes Königreich); Hahn/Dudenhöfer, Auswärtige Annexkompetenzen interner Politiken, in: von Arnauld (Hrsg.), EnzEuR Band 10 – Europäische Außenbeziehungen, 2014, § 15, Rn. 160 f. m.w.N. 46 EuGH, Rs. 203/80 (Casati), Rn. 27; EuGH, Rs. 186/87 (Cowan), Rn. 19; EuGH, Rs. C-176/03 (Kommission/Rat), Rn. 47; EuGH, Rs. C-440/05 (Kommission/Rat), Rn. 66; vgl. auch Böse, in: Böse (Hrsg.), EnzEuR, Band 9 – Europäisches Strafrecht mit polizeilicher Zusammenarbeit, 2014, § 4, Rn. 16. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 221/14 Seite 17 Irland und Dänemark jedoch ausgenommen sind.47 Die Union hat somit keine ausdrückliche Außenkompetenz im Bereich des Straf- und Strafverfahrensrechts. Daher erfordert ein Abkommen in diesem Bereich grundsätzlich die Ratifikation durch die Union und die Mitgliedstaaten.48 Jedoch hat der EuGH bereits vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon anerkannt, dass die Union bestimmte Aspekte des Strafrechts sekundärrechtlich mitregeln darf, wenn diese erforderlich sind, um die volle Wirksamkeit der von ihr erlassenen Rechtsnormen zu gewährleisten.49 Von der so begründeten Zuständigkeit der Union blieben die Bestimmung über die Art und das Maß der anzuwendenden strafrechtlichen Sanktionen ausdrücklich den Mitgliedstaaten vorbehalten .50 Nunmehr wurde mit dem Vertrag von Lissabon diese strafrechtliche Annexkompetenz in Art. 82 Abs. 2 AEUV normiert. Dieser Befund galt nach früherer Rechtslage nur für die Binnenrechtsetzung , nicht aber auch für die Außenkompetenz, da es nach Art. 133 Abs. 6 EGV eines Gleichlaufs von Vertragsschlusskompetenzen mit den internen Zuständigkeiten bedurfte.51 Mit Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon ist die umfassende Außenkompetenz des Art. 207 Abs. 1 AEUV nicht mehr durch fehlende Binnenzuständigkeiten begrenzt. Dementsprechend wird angenommen , dass die Union in den Grenzen des Art. 207 Abs. 6 AEUV auch Abkommen mit Verpflichtungen eingehen kann, für die ihr unionsintern die Umsetzungskompetenz fehlt.52 Dabei richtet sich die Frage, ob das Abkommen als gemischtes ratifiziert werden muss, insbesondere danach, ob ein handelspolitischer Schwerpunkt besteht.53 Insofern ist auch von Bedeutung, ob die konkrete Bestimmung eine notwendige Ergänzung für die Wirksamkeit der zugrundeliegenden Regelung ist und als von äußerst begrenzter Tragweite angesehen werden kann.54 Vor dem Hintergrund der vorstehend dargestellten Kompetenzabgrenzung ist die Regelung in Teil 22, Art. 5.6 CETA nicht zwingend als eine Bestimmung anzusehen, die konkrete strafrechtliche Sanktionen festlegt und damit Zuständigkeitsbereiche der Mitgliedstaaten berührt. Dies ergibt sich zunächst daraus, dass die Regelung des CETA mit Blick auf Art. 3 Abs. 2 AEUV auch vor dem Hintergrund der bestehenden Regelungen des Unionsrechts zum Schutz des geistigen 47 Das Vereinigte Königreich und Irland verfügen über ein Eintrittsrecht („opt-in“) gemäß dem Protokoll (Nr. 21) über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich des Raums der Freiheit der Sicherheit und des Rechts; Dänemark ist nach Art. 1 Abs. 1 S. 1 des Protokolls (Nr. 22) über die Position Dänemarks ausgenommen . 48 Vedder, Die Außenbeziehungen der EU und die Mitgliedstaaten: Kompetenzen, gemischte Abkommen, völkerrechtliche Verantwortlichkeit und Wirkungen des Völkerrechts, EuR 2007, 57ff,63. 49 EuGH, Rs. C-176/03 (Kommission/Rat), Rn. 48; EuGH, Rs. C-440/05 (Kommission/Rat), Rn. 66 ff. 50 EuGH, Rs. C-440/05 (Kommission/Rat), Rn. 70; vgl. hierzu BVerfGE 123, 267 (412). 51 Vgl. EuGH, Gutachten 1/94 (WTO), Rn. 77, 88; GA Kokott, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-13/07 (Kommission /Rat), Rn. 152. 52 Vgl. Hahn, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 2. Auflage, 2012, Art. 207 AEUV, Rn. 64 ff. m.w.N. 53 EuGH, Gutachten 2/00 (Cartagena-Protokoll); EuGH, Rs. C-94/03 (Kommission/Rat) 54 EuGH, Gutachten 1/94 (WTO), Rn. 51, 67; EUGH, Rs. C-268/94 (Portugal/Rat), Rn. 75. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 221/14 Seite 18 Eigentums bewertet werden muss, welcher auf Ebene der Union eine autonome Bedeutung hat.55 In diesem Kontext wurde beispielsweise die Richtlinie 2004/4856 erlassen, um unbeschadet der Bestimmungen der Richtlinie 2001/29 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums ein umfassendes Maß an Harmonisierung zu gewährleisten. Laut dem 28. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/4857 „stellen in geeigneten Fällen auch strafrechtliche Sanktionen ein Mittel zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums dar“, ohne dass durch entsprechende Regelungen die innerstaatliche Vorschriften der Mitgliedstaaten betreffend strafrechtliche Verfahren und Strafen bei Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums verletzt werden. Angesichts der bestehenden Regelungen des Unionsrechts im Bereich der Durchsetzung des Rechts am geistigen Eigentum und vor diesem Hintergrund, dass die Regelung auch im Rahmen des Teils 22 des CETA primär der Durchsetzung entsprechender Gewährleistungen dient, erscheint die Regelung in Teil 22, Art. 5.6 CETA als eine Bestimmung, die von der ausschließlichen Zuständigkeit der Union gem. Art. 207 Abs. 1 S. 1 AEUV erfasst wird und damit nicht die Notwendigkeit des Abschlusses eines gemischten Abkommens zu begründen vermag. 3.5. Ergebnis Der Regelungsgehalt des Vertragstextes des CETA spricht im Kontext des zugrundeliegenden Verhandlungsmandats des Rates an die Kommission dafür, dass es als gemischtes Abkommen der EU und der Mitgliedstaaten abzuschließen ist. Dieses Ergebnis entspräche der bisherigen Vertragsschlusspraxis der Union und der Mitgliedstaaten sowie dem Umstand, dass bereits im Verhandlungsmandat ausdrücklich auf Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten Bezug genommen wurde. Die Annahme der Notwendigkeit, das CETA als gemischtes Abkommen zu schließen, ließe sich insbesondere auf dem weiten Investitionsbegriff in Teil 10 des CETA sowie auf den Bestimmungen über Verkehrsdienstleistungen in den Teilen 11 und 16 des CETA stützen. Für die jeweils möglichen Gegenargumente wird auf die entsprechenden Passagen dieser Ausarbeitung verwiesen. 4. Vorläufige Anwendung des CETA vor Inkrafttreten Im Hinblick auf die Fragen nach einer vorläufigen Anwendung des CETA, die diesbezüglich bestehenden Einflussmöglichkeiten der nationalen Parlamente und den die vorläufige Anwendung 55 EuGH, Rs. C-135/10 (SCF), Rn. 75 ff.; GA Sharpston, Schlussanträge zu Rs. C-351/12 (OSA), Rn. 25. 56 Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, ABl. L 157/45, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32004L0048&qid=1408706043746&from=DE. 57 Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, ABl. L 167/10, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32001L0029&qid=1408705956051&from=DE. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 221/14 Seite 19 legitimierenden politischen Prozess ist zunächst begrifflich zwischen den Verfahren der Ratifikation des Abkommens und den Verfahren zur vorläufigen Anwendung des Abkommens zu differenzieren . Die Ratifikationsverfahren zielen ab auf das Inkrafttreten des Abkommens. Zur Ratifikation des jeweiligen Abkommens kann es erst kommen, wenn im Rahmen der Verhandlungen eine Einigung auf ein konkretes Abkommen erzielt wurde. Der Begriff Ratifizierung bezeichnet einerseits den Abschluss des innerstaatlichen bzw. unionsinternen Genehmigungsverfahrens (innerstaatliche Ratifikation) für einen völkerrechtlichen Vertrag. Die innerstaatliche Ratifikation besteht in der Regel aus der Zustimmung des Gesetzgebers (des Parlaments), ggf. ergänzt um bzw. ersetzt durch eine Volksabstimmung, sowie der Unterschrift des Staatsoberhaupts (eigentliche Ratifikation ).58 Entsprechendes gilt gemäß den nachfolgenden Ausführungen für die unionsinterne Ratifikation . Andererseits bezeichnet der Begriff der Ratifikation im Völkerrecht die Notifizierung und Hinterlegung des unterzeichneten völkerrechtlichen Vertrages, der ihm zur Wirksamkeit verhilft (völkerrechtliche Ratifikation).59 Die innerstaatliche bzw. unionsinterne Ratifikation geht der völkerrechtlichen Ratifikation voraus . Von der Frage des Inkrafttretens und der jeweiligen Zustimmungserfordernisse sind die vorläufige Anwendung eines Abkommens und der hierfür erforderliche Abschluss der internen Genehmigungsverfahren zu differenzieren. Zur Klarstellung werden im Folgenden zunächst die Verfahrensvoraussetzungen zur Ratifikation eines EU-Abkommens bzw. eines gemischten Abkommens dargestellt (hierzu 4.1.); anschließend werden im Abgrenzung hierzu die Prämissen einer vorläufigen Anwendung des Abkommens erläutert (hierzu 4.2.). 4.1. Ratifikation 4.1.1. Ratifikation von Unionsabkommen Handelt es sich bei dem CETA um ein reines Handelsabkommen im Sinne des Art. 207 AEUV, muss es nur das Ratifizierungsverfahren der EU durchlaufen und nicht (zusätzlich) die Ratifizierungsverfahren der 28 Mitgliedstaaten gemäß deren verfassungsrechtlichen Vorschriften.60 58 Vgl. BVerfG, Urteil vom 19.6.2012, 2 BvE 4/11, Rn. 91 ff. 59 Vgl. Nettesheim, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 69. Ergänzungslieferung 2013, Art. 59 GG, Rn. 173 ff. 60 In Deutschland erfolgt die Ratifizierung völkerrechtlicher Verträge gemäß Art. 59 Abs. 2 Grundgesetz (GG). Vgl. hierzu Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Urteil vom 30. Juni 2009, 2 BvE 2/08 u. a., Rdnr. 373, BVerfGE 123, 267 (amtliche Sammlung der Entscheidungen des BVerfG); Bungenberg, Außenbeziehungen und Außenhandelspolitik , Europarecht (EuR) 2009, S. 195, 204. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 221/14 Seite 20 Gleichwohl werden auch die Mitgliedstaaten gem. Art. 216 Abs. 2 AEUV durch ein EU-Abkommen verpflichtet, und die Regelungen des Abkommens gelten auch in den nationalen Rechtsordnungen . 4.1.1.1. Unionales Ratifikationsverfahren Nach Abschluss der Vertragsverhandlungen verläuft das unionale Ratifikationsverfahren dergestalt , dass der Vertragstext am Ende der Verhandlungen durch die beteiligten Parteien und deren Delegationsleiter durch Paraphierung zunächst vorläufig fixiert wird.61 Die anschließende Unterzeichnung des Abkommens obliegt gem. Art. 218 Abs. 5 AEUV dem Rat, der alternativ die Kommission zur Unterzeichnung des Abkommens ermächtigen kann. Der Rat genehmigt das ausgehandelte und unterschriebene, aber noch nicht ratifizierte Abkommen durch Beschluss (Art. 218 Abs. 2 AEUV). Dabei entscheidet dieser in der Regel mit qualifizierter Mehrheit (Art. 218 Abs. 8 UAbs. 1 iVm Art. 207 Abs. 4 UAbs. 1 AEUV). In den Fällen des Art. 218 Abs. 8 UAbs. 2 sowie Art. 207 Abs. 4 UAbs. 2 und 3 AEUV ist Einstimmigkeit erforderlich. Das Europäischen Parlament (EP) ist im Rahmen der Unterzeichnung unverzüglich und umfassend zu informieren (Art. 218 Abs. 10 AEUV). Erst mit dem Abschluss des Abkommens wird die EU als Völkerrechtssubjekt gem. Art. 47 EUV Vertragspartei, und das Abkommen wird für die Union völkerrechtlich verbindlich. Der völkerrechtliche Abschluss erfolgt nach dem durch das Völkerrecht dafür vorgesehenen Akt.62 Als Akt der förmlichen Bestätigung und als Ausdruck des völkerrechtlichen Bindungswillens63 korrespondiert auf Unionsseite ein Beschluss des Rates, der die unionsrechtliche Genehmigung des Abkommens und zugleich die Ermächtigung zum völkerrechtlichen Abschluss des Abkommens darstellt (Art. 218 Abs. 6 AEUV). Die Art der Beteiligung des EP bei dem Abschluss von völkerrechtlichen Verträgen der Union ergibt sich aus Art. 207 Abs. 3 iVm Art. 218 Abs. 6 AEUV. Gemäß Art. 207 Abs. 2 AEUV gilt im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik das ordentliche Gesetzgebungsverfahren. Daraus folgt, dass der Abschluss des CETA als EU-Abkommen gemäß Art. 207 Abs. 3 iVm 218 Abs. 6 lit. a) Abs. v) AEUV nur nach Zustimmung des EP erfolgen kann. 4.1.1.2. Beteiligungsrechte des Bundestages Die Mitgliedstaaten können im Fall eines EU-Abkommens zwar durch den Vertrag gebunden, nicht aber selbst Vertragspartner des Abkommens werden. Daher kommt es für den Abschluss des Abkommens auch auf die völkerrechtliche Vertretungsmacht und die Mitwirkungsrechte des Bundestages nach Art. 59 GG nicht an. Die Bundesrepublik Deutschland hat der EU das Recht 61 Vgl. Art. 9 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen, BGBl. II 1990 S. 1415. 62 Vgl. Art. 11 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen, BGBl. II 1990 S. 1415. 63 Vgl. Art. 11 Abs. 2 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen, BGBl. II 1990 S. 1415. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 221/14 Seite 21 zum Abschluss von reinen Handelsabkommen mit der Zustimmung zu den Unionsverträgen bereits übertragen. Ein Erfordernis eines weiteren Zustimmungsgesetzes des Bundes zu dem Abkommen wäre insofern systemwidrig. 4.1.2. Ratifikation von gemischten Abkommen 4.1.2.1. Kombination der Ratifikationsverfahren von EU und Mitgliedstaaten Wird das CETA als gemischtes Abkommen geschlossen, so hängt sein Inkrafttreten von der Ratifikation durch alle Vertragsparteien, d.h. Kanada, die EU und jeden einzelnen EU-Mitgliedstaat und nicht etwa nur von der Ratifikation durch eine gewisse Anzahl von Vertragsparteien ab. Das Abkommen ist von jedem Mitgliedstaat separat zu ratifizieren, da die Mitgliedstaaten neben der EU unmittelbar in ihrer Eigenschaft als Völkerrechtssubjekte Vertragsparteien des gemischten Abkommens werden. Auch für gemischte Abkommen kommt seitens der EU das Verfahren nach Art. 207 iVm Art. 218 AEUV zur Anwendung. Die Beschlüsse des Rates werden jedoch nicht mit qualifizierter Mehrheit, sondern einstimmig gefasst. Die gemeinsame Beteiligung von Union und Mitgliedstaaten wirkt sich insbesondere auf den zeitlichen Ablauf des unionsinternen Abschlussprozesses aus. Grundsätzlich besteht mit Blick auf die einheitliche völkerrechtliche Vertretung der Union und um unvollständige Abschlüsse zu vermeiden das Ziel, dass gemischte Abkommen in der EU und den Mitgliedstaaten möglichst gleichzeitig in Kraft treten und dass daher auch die Hinterlegung der Ratifikationsurkunden von Union und Mitgliedstaaten gleichzeitig erfolgt.64 Eine Verpflichtung für ein solches gleichzeitiges Vorgehen besteht jedoch nicht.65 Auch wenn die EU und die meisten Mitgliedstaaten bereits ein Abkommen ratifiziert haben, lässt sich auch aus dem Loyalitätsprinzip gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV keine zwingende Pflicht der Mitgliedstaaten ableiten, so bald wie möglich das Abkommen zu un- 64 Vgl. Breier, Die geschlossene völkerrechtliche Vertretung der Gemeinschaft am Beispiel der 3. Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention in Kyoto, in: EuZW 1999, S. 11 ff.; vgl. auch beispielhaft Art. 3 der Entscheidung des Rates vom 14. Oktober 1988 über den Abschluss des Wiener Übereinkommens zum Schutz der Ozonschicht und des Montrealer Protokolls über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen, 88/540/EWG, ABl. L 297/9: „Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um soweit möglich die gleichzeitige Hinterlegung […] der Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsinstrumente […] durch die Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten zu ermöglichen.“, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUri- Serv/LexUriServ.do?uri=CELEX:31988D0540:DE:HTML. 65 Vgl. Heliskoski, Mixed Agreements as a Technique for Organizing the International Relations of the European Community and Its Member States, 2001, S. 134. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 221/14 Seite 22 terzeichnen und die Ratifikationsurkunden zu hinterlegen, damit die Union ebenfalls unterzeichnen und ihr Ratifikationsverfahren abschließen kann.66 Dementsprechend wird die EU ein Abkommen in der Regel nicht ratifizieren, bevor nicht alle Mitgliedstaaten ebenfalls ihre nationalen Ratifizierungsverfahren erfolgreich abgeschlossen haben.67 Erfordert das Inkrafttreten eines gemischten Abkommens die Ratifikation durch sämtliche Vertragsparteien , so hat die unterbleibende Ratifikation durch einen Mitgliedstaat zur Folge, dass das Abkommen auch bei einer bereits erfolgten Ratifikation durch die EU und durch die übrigen Mitgliedstaaten nicht umfassend in Kraft treten könnte.68 Die fehlende Ratifizierung durch einen Mitgliedstaat führt bei gemischten Abkommen einerseits zu einem potenziell verzögerten Inkrafttreten , da die Regelungsbereiche, die mitgliedstaatliche Kompetenzen betreffen, nur nach Maßgabe der nationalen Rechtsordnungen wirksam werden.69 4.1.2.2. Beteiligungsrechte des Bundestages Da die Bundesrepublik Deutschland bei einem Abschluss als gemischtes Abkommen selbst auch Vertragspartner des jeweiligen Abkommens würde, käme es auf die Regelungen für den Abschluss völkerrechtlicher Verträge durch den Bund an. Maßgeblich ist diesbezüglich Art. 59 Abs. 2 GG. Danach bedürfen Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, der Zustimmung oder Mitwirkung 66 Für die Diskussion um eine Pflicht zur Teilnahme bzw. Ratifikation des Abkommens auch bei rechtlichen oder politischen Widerständen im betreffenden Mitgliedstaat mit Blick auf das Loyalitätsprinzip (Art. 4 Abs. 3 EUV) und die Grundsätze der geschlossenen völkerrechtlichen Vertretung und der einheitlichen Geltung des Unionsrechts vgl. Neframi, International Responsibility of the European Community and of the Member States under Mixed Agreements, in: Cannizzaro (Hrsg.), The European Union as an Actor in International Relations, 2002, S. 193 (198 ff.) sowie Kumin/Bittner, Die „gemischten“ Abkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dritten Völkerrechtssubjekten andererseits, EuR-Beiheft 2/2012, S. 75 (82) mit Verweis auf die Erwägungsgründe 8 bis 10 der Entscheidung 2004/294/EG des Rates vom 8. März 2004 zur Ermächtigung der Mitgliedstaaten, die Vertragsparteien des Pariser Übereinkommens vom 29. Juli 1960 über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie sind, das Änderungsprotokoll zu diesem Übereinkommen im Interesse der Gemeinschaft zu ratifizieren oder diesem beizutreten, ABl. Nr. L 97/53. 67 Vgl. Rosas, The European Union and Mixed Agreements, in: Dashwood/Hillion, The General Law of E.C. External Relations, 2000, S. 200 (207 f.); vgl. auch Art. 102 Euratom-Vertrag: „Falls außer der Gemeinschaft ein oder mehrere Mitgliedstaaten an den Abkommen und Vereinbarungen mit einem dritten Staat, einer zwischenstaatlichen Einrichtung oder einem Angehörigen eines dritten Staates beteiligt sind, so können diese Abkommen und Vereinbarungen erst in Kraft treten, wenn alle beteiligten Mitgliedstaaten der Kommission mitgeteilt haben, dass sie nach den Vorschriften ihrer innerstaatlichen Rechtsordnung anwendbar geworden sind.“, ABl. C 84/1, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUri- Serv.do?uri=OJ:C:2010:084:0001:0112:DE:PDF. 68 Vgl. Sattler, Gemischte Abkommen und gemischte Mitgliedschaften der EG und ihrer Mitgliedstaaten, 2007, S. 139 mit Verweis auf den Fall des Abkommens über die Beteiligung der 10 neuen Mitgliedstaaten am EWR. Italien weigerte sich, das Abkommen zu ratifizieren mit der Folge, dass auch die EG das Abkommen zunächst nicht ratifiziert hat. 69 Vgl. Hermann, Das Abschlussverfahren völkerrechtlicher Verträge der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1973, S. 125. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 221/14 Seite 23 der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes . Der Abschluss völkerrechtlicher Verträge ist dementsprechend in zwei Fällen an ein parlamentarisches Zustimmungsgesetz gebunden: Zum einen bei Verträgen, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln (Art. 59 Abs. 2 S. 1 1. Alt. GG) und zum anderen bei den sogenannten „gesetzesinhaltlichen Verträgen“ (Art. 59 Abs. 2 S. 1 2. Alt. GG).70 4.2. Vorläufige Anwendung 4.2.1. Regelung zur vorläufigen Anwendung Die völkerrechtliche Bindungswirkung zwischen den Vertragsparteien (pacta sunt servanda, Art. 26 WVK71) tritt zwar grundsätzlich erst mit dem Inkrafttreten des Abkommens, also zu dem Zeitpunkt ein, der von den Vertragsparteien vereinbart wurde (Art. 24 Abs. 1 WVK). Eine Ausnahme davon bildet die vorläufige Anwendung eines völkerrechtlichen Vertrages gemäß Art. 25 WVK. Gemäß Art. 25 Abs. 1 lit. a) WVK kann ein völkerrechtlicher Vertrag bereits vor seinem Inkrafttreten vorläufig angewandt werden, wenn dies in dem Vertrag vorgesehen ist. 4.2.2. Bestimmungen des CETA zur vorläufigen Anwendbarkeit Der konsolidierte Vertragstext des CETA72 sieht unter Nr. 36 (Final Provisions) in Art. X.06: Entry into Force folgende Regelungen zum Inkrafttreten und zur vorläufigen Anwendbarkeit des Abkommens vor: “1. The Parties shall approve this Agreement in accordance with their own procedures. 2. This Agreement shall enter into force on the first day of the second month following the date on which the Parties have notified each other that the procedures referred to in the first paragraph have been completed. The Parties may by mutual agreement fix another date. 3. (a) This Agreement shall be provisionally applied from the first day of the month following the date on which the parties have notified each other that their respective relevant procedures have been completed. The Parties may by mutual agreement fix another date. (b) If a Party cannot provisionally apply certain provisions of this Agreement, it shall so notify the other Party. If the other Party objects to this notification, the Agreement shall not be provisionally applied. If the other Party does not object to this notification within 10 days, 70 Vgl. BVerfGE 1, 372 (380 ff.). 71 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969, BGBL. 1985 II S. 926. 72 Europäische Kommission, CETA – Draft Table of Contents for a Consolidated CETA vom 26.09.2014. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 221/14 Seite 24 the provisions of this Agreement which have not been notified by either Party shall be provisionally applied by both Parties from the first day of the month following this notification, provided the Parties have exchanged notifications under sub-paragraph (a). (c) The provisional application of the Agreement may be terminated by written notice of either Party. Such termination shall take effect on the first day of the second month following notification. (d) If this Agreement, or certain provisions thereof, is provisionally applied, the term “entry into force of this Agreement” shall be understood to mean the date of provisional application . The [Trade Committee] and other bodies established by this Agreement may exercise their functions during the provisional application of the Agreement. If the provisional application of the Agreement is terminated under sub-paragraph (c), any decisions adopted in the exercise of these functions will cease to be effective. 4. The Parties shall submit notifications under this article to the General Secretariat of the Council of the European Union and Canada's Department of Foreign Affairs, Trade and Development or their respective successors.]” Die Bestimmungen des CETA sehen somit besondere Vorschriften zum Inkrafttreten und zur vorläufigen Anwendbarkeit des Abkommens vor seiner Ratifikation durch die Vertragsparteien vor. Diesbezüglich ist zu beachten, dass derzeit noch in der Diskussion steht, ob lediglich die EU oder auch ihre Mitgliedstaaten Vertragsparteien werden, d.h. ob das CETA als gemischtes Abkommen oder als ausschließliches EU-Abkommen abgeschlossen werden muss. Dementsprechend enthält der CETA-Vertragstext derzeit keine Bestimmungen zur Definition der Vertragsparteien. Vielmehr wird in Art. X.06: Entry into Force auf die Notwendigkeit einer Revision der Bestimmungen hingewiesen: „Negotiators’ note: article to be reviewed once term ‘Party’ has been defined.” 4.2.3. Verfahren zur vorläufigen Anwendung Insofern ist Voraussetzung für eine vorläufige Anwendung des CETA zum einen der Abschluss der internen Genehmigungsverfahren für eine vorläufige Anwendbarkeit in Kanada sowie in der EU und zum anderen die gegenseitige Notifizierung derselben. Denkbar ist auch eine vorläufige Anwendbarkeit zwischen Kanada und einem (einzelnen) EU-Mitgliedstaat. Dann müsste in dem jeweiligen Mitgliedstaat ein entsprechendes internes Genehmigungsverfahren für eine vorläufige Anwendbarkeit durchgeführt werden. Für die vorläufige Anwendbarkeit des CETA zwischen der EU und Kanada kommt es hingegen weder auf den Abschluss der unionsinternen und/oder mitgliedstaatlichen Ratifikationsverfahren hinsichtlich des CETA insgesamt noch auf die Durchführung eines innerstaatlichen Genehmigungsverfahrens hinsichtlich der vorläufigen Anwendung in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten an. Die Anforderungen an das interne Genehmigungsverfahren für eine vorläufige Anwendbarkeit in der EU sind in Art. 218 Abs. 5 AEUV geregelt. Nach dieser Vorschrift erlässt der Rat auf Vorschlag des Verhandlungsführers (der Kommission) grundsätzlich mit qualifizierter Mehrheit (Art. 218 Abs. 8 iVm. Art. 238 Abs. 2 AEUV) einen Beschluss, mit dem die Unterzeichnung der Übereinkunft und deren vorläufige Anwendung vor dem Inkrafttreten genehmigt werden. Eine Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 221/14 Seite 25 Beteiligung des Europäischen Parlaments oder der mitgliedstaatlichen Parlamente ist nicht vorgesehen . 4.2.4. Wirkung der vorläufigen Anwendung Durch den Beschluss der vorläufigen Anwendung und durch seine Notifizierung gegenüber Kanada , das diese Erklärung ebenfalls abzugeben hat, werden schon vor Inkrafttreten des Abkommens völkerrechtliche Rechte und Pflichten (Außenwirkung) für die EU und damit indirekt für die EU-Mitgliedstaaten begründet.73 Durch die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung werden die Vertragspartner schon vor dem Inkrafttreten des Abkommens zur Ausführung der Vertragsbestimmungen verpflichtet.74 Im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten (Innenwirkung) bewirkt der Ratsbeschluss über die vorläufige Anwendung, dass jedenfalls die Regelungen aus dem Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Union (insbesondere gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. e, 207 AEUV oder Art. 3 Abs. 2 AEUV) schon vor Inkrafttreten des Abkommens als Teil des Unionsrechts dem Vorrang des Unionsrechts unterliegen.75 Regelungen betreffend die mitgliedstaatliche Zuständigkeit werden hingegen von der vorläufigen Anwendung ausgenommen.76 4.2.5. Beendigung der vorläufigen Anwendung Die Anwendung des Abkommens bleibt insofern vorläufig, als dass sie dann endet, wenn die Beendigung von der anderen Partei notifiziert wird oder wenn der Vertrag nach erfolgreicher Ratifikation in Kraft tritt und somit die provisorische Bindung der Vertragsparteien in eine endgültige übergeleitet wird.77 73 Krieger, in Dörr/Schmalenbach (Hrsg.), Vienna Convention on the Law of Treaties, 2012, Art. 25, Rn. 29 m.w.N. 74 Krenzler, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, Wuppertal 1963, S. 58 m.w.N. 75 Für die vorläufige Anwendung des Abkommens über die Beteiligung der Mitgliedstaaten am EWR vgl. den 5. Erwägungsgrund des Beschlusses des Rates vom 30. März 2004 über die vorläufige Anwendung des Übereinkommens über die Beteiligung der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik am Europäischen Wirtschaftsraum und der vier Nebenabkommen , 2004/368/EG, ABl. L 130/1, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUri- Serv.do?uri=CELEX:32004D0368:DE:HTML. 76 Vgl. beispielsweise den Beschluss 2012/735/EU des Rates vom 31. Mai 2012, mit dem u.a. die Unterzeichnung des Handelsübereinkommens zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Peru und Kolumbien andererseits durch den Präsidenten des Rates im Namen der Union genehmigt und seine vorläufige Anwendbarkeit mit Ausnahme der Art. 2, 202 Abs. 1, 291 und 292 des Handelsabkommens nach Abschluss der dafür erforderlichen Verfahren erklärt worden ist. 77 Vgl. Art. 25 Abs. 2 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen, BGBl. II 1990 S. 1415. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 221/14 Seite 26 Weiterhin wird die vorläufige Anwendung beendet, wenn die EU gemäß Art. 25 Abs. 2 WVK Kanada die Beendigung der Bindungswirkung bzw. die Absicht, nicht Vertragspartei zu werden (ausdrückliche Ratifikationsverweigerung), notifiziert.78 Zudem wurde vereinzelt vertreten, dass die vorläufige Anwendung eines völkerrechtlichen Vertrages auch endet, wenn aus dem Zeitablauf auf eine Nichtratifikation geschlossen werden könne.79 Da vorliegend weder eine Ratifikationsfrist vereinbart wurde noch die Möglichkeit besteht , an Hand des Vertragstextes einen Zeitpunkt festzulegen, nach dem die Ratifizierung verspätet wäre, ist von einer unbeschränkten Fortdauer der vorläufigen Anwendung des Handelsabkommens bis zur ausdrücklichen Ratifikationsverweigerung durch die EU, Kanada – im Falle des Vorliegens eines gemischten Abkommens – der mitgliedstaatlichen Vertragspartner auszugehen. Damit tritt zwar während des Zeitraums der vorläufigen Anwendung eine inhaltliche, aber noch keine endgültige völkerrechtliche Bindungswirkung im Hinblick auf die für vorläufig anwendbar erklärten Vorschriften ein. Eine vorläufige Anwendung des Abkommens kann dessen eigentliches Inkrafttreten insgesamt nicht ersetzten.80 Die Vertragsparteien müssen bei einer vorläufigen Vertragsanwendung vor Ratifikation jederzeit mit der Möglichkeit der Verweigerung der Ratifikation rechnen. Die vorläufige Anwendung des Abkommens endet jedoch erst mit der entsprechenden Notifikation einer gescheiterten Ratifikation. Zusammengefasst bliebe das CETA somit im Falle seiner vorläufigen Anwendung völkerrechtlich solange vorläufig anwendbar, bis es in Kraft tritt oder entweder Kanada oder die hierfür in der Unionsrechtsordnung zuständige EU die vorläufige Anwendbarkeit einseitig durch entsprechende Notifikation beendet. 4.3. Zusammenfassung Angesichts der geplanten bzw. potenziell wesentlichen Inhalte des geplanten Abkommens und vor dem Hintergrund der sich aus Art. 73 Abs. 1 Nr. 5 GG für den Bund ergebenden ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz für Handelsverträge und den Waren- und Zahlungsverkehr mit dem Ausland, ist davon auszugehen, dass es eines parlamentarischen Zustimmungsgesetzes des Bundes für den Abschluss des Abkommens bedürfte. 78 Krenzler, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, Wuppertal 1963, S. 81. 79 Krenzler, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, Wuppertal 1963, S. 88. 80 Art. 25 Abs. 2 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen, BGBl. II 1990 S. 1415. Vgl. auch Sattler, a.a.o, S. 139 mit Verweis auf den Abschluss des Abkommens über Handel, Entwicklung und Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Südafrika andererseits. Italien hatte in Reaktion auf die vorläufige Anwendung des Abkommens durch die EG erklärt, nicht mehr Vertragspartei des Abkommens werden zu wollen. Nachdem auf inhaltliche Vorbehalte Italiens eingegangen wurde, entschärfte sich die Situation, und das Abkommen trat in Kraft, vgl. Beschluss des Rates vom 26. April 2004 über den Abschluss des Abkommens über Handel, Entwicklung und Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Südafrika andererseits, 2004/441/EG, ABl. L 127/109, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUri- Serv.do?uri=CELEX:32004D0441:DE:HTML. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 221/14 Seite 27 Entsprechend der hier vertretenen Auffassung, wonach insbesondere die Kapitel 10, 11 und 16 des CETA nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der EU gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. e AEUV und/oder Art. 3 Abs. 2 AEUV fallen, bedürfte auch eine vorläufige Anwendung dieser Teile des CETA einer parlamentarischen Zustimmung.