WD 11 – 3000 – 210/11 Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag Ausarbeitung Europarechtliche Bewertung eines Umschlagsverbots von Kernbrennstoffen und von Atommüll in deutschen Häfen Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 2 WD 11 – 3000 – 210/11 Europarechtliche Bewertung eines Umschlagsverbots von Kernbrennstoffen und von Atommüll in deutschen Häfen Aktenzeichen: WD 11 – 3000 – 210/11 Abschluss der Arbeit: 20. Januar 2012 Fachbereich: WD 11: Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 3 WD 11 – 3000 – 210/11 Inhaltsverzeichnis 1 . E i n l e i t u n g 4 2 . Vertrag über die Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft 4 3 . Zulässige Begrenzung der Warenverkehrsfreiheit (Art. 28 ff. AEUV) ? 10 4 . Regelungen im Sekundärrecht zur Beförderung gefährlicher Stoffe 12 4.1. Richtlinie 2008/68/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. September 2008 über die Beförderung gefährlicher Güter im Binnenland 12 4.2. Verordnung(Euratom)Nr.1493/93desRatesvom8.Juni1993 über die Verbringung radioaktiver Stoffe zwischen den Mitgliedstaaten 12 4.3. Richtlinie2006/117/EuratomdesRatesvom20.November2006 über die Überwachung und Kontrolle der Verbringung radioaktiver Abfälle und abgebrannter Brennelemente 12 5 . E r g e b n i s 13 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 4 WD 11 – 3000 – 210/11 1 . E i n l e i t u n g Nachfolgend soll der Frage nachgegangen werden, ob ein im Recht eines Bundeslandes der Bundesrepublik Deutschland vorgesehenes Verbot, in einem Hafen Kernbrennstoffe umzuschlagen, mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar ist. Diese Frage hat vor dem Hintergrund hohe Aktualität, dass die Bremische Bürgerschaft derzeit eine Änderung des Bremischen Hafenbetriebsgesetzes berät, der eine Teilentwidmung seiner Häfen vorsieht mit dem Ziel, den Umschlag von Kernbrennstoffen dort (weitgehend) auszuschließen. Der Gesetzentwurf sieht dazu folgende Ergänzung des § 2 Abs. 2 Bremischen Hafenbetriebsgesetzes vor: “(2) Die Bremischen Häfen sind als Universalhäfen gewidmet und stehen offen für den Umschlag aller zulässigen Güter. Die Häfen sind als öffentliche Einrichtung wichtiger Teil der Bremischen Gesamtwirtschaft, die auf Nachhaltigkeit und Erneuerbare Energien ausgerichtet ist. Ausgeschlossen ist im Hafengebiet deshalb der Umschlag von Kernbrennstoffen im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 2 des Atomgesetzes des Bundes (AtG). Der Senat kann allgemein oder im Einzelfall Ausnahmen zulassen, insbesondere für Kernbrennstoffe, die unter die Regelung in § 2 Abs. 2 Satz 2 AtG (Arzneimittel usw.) fallen oder nur in geringen Mengen im Umschlagsgut enthalten sind.“1 Die für derartige Vorhaben bestehenden europarechtlichen Spielräume sind anhand des geltenden europäischen Primär- und Sekundärrechts zu ermitteln. Zunächst stellt sich die Frage, ob ein Umschlagsverbot für Kernbrennstoffe/nukleare Reststoffe mit den in den europäischen Verträgen verbürgten Grundfreiheiten in Einklang steht. 2 . Vertrag über die Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft Im Bereich des Primärrechts ist für die zu begutachtende Fragestellung der Vertrag über die Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG)2 das vorrangig geltende Europäische Vertragswerk . Die für den Handel mit Gütern im Bereich der Kernenergie einschlägige Regelung in Art. 93 Satz 1 EAG verbietet alle mengenmäßigen Beschränkungen der Ein- und Ausfuhr für die in den Listen A1 und A2 und im Grundsatz der in der Liste B im Anhang IV des EAG aufgeführten Erzeugnisse. Die in den Anwendungsbereich des EAG fallenden radioaktiven Stoffe sind in der Anlage A13 aufgeführt. Insb. erfasst diese Liste Uranerze, Uranoxyd, Anorganische Verbindungen des 1 Bremische Bürgerschaft, Landtag, 18. Wahlperiode, Dr. 17/96 vom 2.11.2011, abrufbar unter: http://www.hafenausschuss.bremischebuerger - schaft.de/sixcms/media.php/13/Vorlage%20zu%20TOP%20I.3%20%C4nderung%20des%20Bremischen%20H afenbetriebsgesetzes18-96a93.pdf 2 Konsolidierte Fassung, ABl. Nr. C 84 vom 30. März 2010 abrufbar: http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2010:084:0001:0112:DE:PDF 3 abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/de/treaties/dat/12006A/12006AAN4.htm Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 5 WD 11 – 3000 – 210/11 natürlichen Urans außer Oxyd und Hexafluorid, Organische Verbindungen des natürlichen Urans, natürliches Uran, plutoniumhaltige Legierungen etc. Die Liste A1 der Anlage IV EAG enthält allerdings nicht alle radioaktiven Stoffe. Insb. abgebrannte Brennelemente werden in dieser Liste nicht aufgeführt.4 Im Schrifttum ist die Frage umstritten, ab nicht in der Liste A1 Anhang IV aufgeführte radioaktive Stoffe dem Anwendungsbereich des Art. 93 EAG unterliegen.5 Teilweise wird dies unter Hinweis auf den abschließenden Charakter der Liste A1 der Anlage IV verneint, so dass insb. für (abgebrannte ) Kernbrennstoffe Art. 93 EAG keine Anwendung fände.6 Eine andere Literaturauffassung begründet die Zugehörigkeit auch nicht in der Liste A1 Anlage IV EAG genannter Kernbrennstoffe zum Anwendungsbereich des Art. 93 EAG mit dem aus Art. 2 lit. g) EAG abgeleiteten Gebot der weiten Auslegung der marktfreiheitlichen Regelungen des Euratomvertrages7, zum anderen damit, dass die Liste A1 den Verwendungszweck der in ihr aufgelisteten Stoffe nicht ausweist .8 Die Bezugnahme dieser Literaturmeinung auf Art. 2 lit. g) EAG spricht allerdings nicht für eine Anwendbarkeit des Art. 93 EAG auch für nicht in der Liste A1 aufgeführte Stoffe. Art. 2 lit. g) EAG hat folgenden Wortlaut: „Zur Erfüllung ihrer Aufgabe hat die Gemeinschaft nach Maßgabe des Vertrags ausgedehnte Absatzmärkte und den Zugang zu den besten technischen Mitteln sicherzustellen, und zwar durch die Schaffung eines Gemeinsamen Marktes für die besonderen auf dem Kerngebiet verwendeten Stoffe und Ausrüstungen, durch den freien Kapitalverkehr für Investitionen auf dem Kerngebiet und durch die Freiheit der Beschäftigung für die Fachkräfte innerhalb der Gemeinschaft.“ Diese Norm fordert die Schaffung eines umfassenden Gemeinsamen Marktes für die besonderen auf dem Kerngebiet verwendeten Stoffe und Ausrüstungen , wobei das Merkmal „besonderen“ deutlich macht, dass kein umfassender Gemeinsamer Markt für auf dem Kerngebiet verwendeten Stoffe und Ausrüstungen zu schaffen ist, insb. nicht für die nicht in der Liste A1 EAG genannten abgebrannten Kernbrennstoffe. Es sprechen daher die besseren Gründe dafür, den Anwendungsbereich des Art. 93 EAG auf die in Liste A1 EAG aufgeführten Stoffe begrenzt zu sehen. 4 worauf auch die Anwaltskanzlei Göhmann in ihrem Gutachten zu der Frage, ob die Durchführung von Atomtransporten auf dem Gebiet des Landes Bremen in rechtlich zulässiger Weise unterbunden werden kann, vom 22.02.2011 auf S. 7 (abrufbar unter http://www.hafenausschuss.bremischebuergerschaft .de/sixcms/media.php/13/TOP%203%20Gutachten%20G%F6hmann.pdf) verweist. 5 König/Müller, Das Verbot der Abgabe von Kernbrennstoffen gemäß § 9 a I 2 AtG auf dem Prüfstein des Gemeinschaftsrechts , EuZW 2007, S. 139 (140) 6 Komorowski, Europa- und völkerrechtliche Probleme eines bundesgesetzlichen Wiederaufarbeitungsverbots, NUR 2000, S. 432 (433); diese Frage erörtert auch Heller, Konfliktstoff: Wiederaufarbeitungsverbot unvereinbar mit Euratom-Vertrag?, atw 2002, S. 122 7 in Art. 2 lit. g EAG heißt es: „Zur Erfüllung ihrer Aufgabe hat die Gemeinschaft nach Maßgabe des Vertrags ausgedehnte Absatzmärkte und den Zugang zu den besten technischen Mitteln sicherzustellen, und zwar durch die Schaffung eines Gemeinsamen Marktes für die besonderen auf dem Kerngebiet verwendeten Stoffe und Ausrüstungen , durch den freien Kapitalverkehr für Investitionen auf dem Kerngebiet und durch die Freiheit der Beschäftigung für die Fachkräfte innerhalb der Gemeinschaft.“ 8 Koenig/Müller, EuZW 2007, S. 139 (141) Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 6 WD 11 – 3000 – 210/11 Soweit das EAG für radioaktive Stoffe Anwendung findet, stellt sich die weitere Frage, ob ein Verbot, in einem Hafen radioaktive Stoffe/Kernbrennstoffe umzuschlagen, als mengenmäßige Beschränkung der Ein- und Ausfuhr i.S.d. Art 93 EAG zu qualifizieren ist. Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) umschreibt die mengenmäßige Beschränkung der Ein- und Ausfuhr in seiner Entscheidung Geddo gegen Ente Nazionale Risi wie folgt: „Das Verbot mengenmäßiger Beschränkungen erstreckt sich auf sämtliche Maßnahmen, die sich, je nach Fallage, als eine gänzliche oder teilweise Untersagung der Einfuhr, Ausfuhr oder Durchfuhr darstellen. Zu den Maßnahmen mit gleicher Wirkung gehören, über die vorgenannten Verbote hinaus, auch sonstige Behinderungen ohne Rücksicht auf ihre Bezeichnung oder ihre Anwendungsart, die sich in gleicher Weise auswirken.“9 Ein Verbot, bestimmte Güter in einem Hafen umzuschlagen, wäre demgemäß kein Ein- oder Ausfuhrverbot i.S.d. Art 93 EAG, da ein regionales, auf einen einzelnen Hafen oder einzelne Häfen beschränktes Umschlagsverbot von seinem Regelungsgehalt kein Ein- oder Ausfuhrverbot beinhaltete . Die Annahme eines entsprechenden Verbotes würde aus einem weiteren Grunde scheitern , folgte man der Ansicht, dass das Verbot der mengenmäßigen Beschränkung der Ein- und Ausfuhr nur solche Beschränkungen umfasste, die sich auf das Gebiet eines Mitgliedstaates als Ganzes bezögen, nicht aber Ein- und Ausfuhrverbote, die sich auf einen Teil eines Staatsgebietes – wie ein auf einen Hafen begrenztes Umschlagverbot - begrenzten. Eine derartige Maßnahme ließe sich allenfalls als eine Maßnahme gleicher Wirkung qualifizieren.10 Fraglich ist aber, ob diese Verbotsalternative Art. 93 EAG vorsieht. Anders als Art. 34 und 35 AEUV umfasst der Wortlaut des Art. 93 EAG nicht das Verbot, Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten zu unterlassen. Das in Art. 93 EAG statuierte Verbot der mengenmäßigen Beschränkung der Ein- und Ausfuhr schließt daher nur Regelungen aus, die Beschränkungen der Ein- und Ausfuhr zum Inhalt haben, nicht aber Regelungen, die – ohne Ein- und Ausfuhrbeschränkungen zum Inhalt haben – eine entsprechende Wirkung hervorrufen können. Eine ergänzende Anwendung der Art. 34 und 35 AEUV wäre neben der spezielleren Regelung in Art. 93 EAG ausgeschlossen, was schon daraus folgt, dass Art. 106a Abs. 1 EAG die Geltung der Art. 34, 35 AEUV ausschließt. Das EAG ist mithin in seinem Geltungsbereich gegenüber dem AEUV das speziellere Regelwerk.11 Im Schrifttum wird hingegen vertreten, im Wege der Auslegung könne die Verbotsvariante der Maßnahmen gleicher Wirkung auch in Art. 93 EAG hineingelesen werden.12 9 EuGH, 12.07.1973, Rs. 2/73 Rdn. 7, Slg. 1973, S. 865 10 Kingreen, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV. Das Verfassungsrecht der Europäischen Union mit Europäischer Grundrechtscharta, Kommentar, 4. Aufl. 2011, Art. 34 – 36 Rdn. 366 11 Zur Bedeutung des Art. 106a Abs. 3 EAG als Abgrenzung des EAG zum AEUV vgl. Frenz/Ehlenz, Due europäische Atompolitik nach dem Vertrag von Lissabon und aktuelle Fragen des Atommüllexports, RDE 2011, S. 41 (42) 12 Papenkort, Der Euratom-Vertrag im Lichte des Vertrags über eine Verfassung für Europa,2008, S. 43 f.; Grunwald , Das Energierecht der Europäischen Gemeinschaften, S. 268 f.; Lukes, Das Verhältnis des EAG-Vertrags zum EWG/EG-Vertrag, in Festschrift für Everling, Band 1, S. 741 (752); a.A. Komorowski, NUR 2000, S. 432 ff.; Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 7 WD 11 – 3000 – 210/11 Folgte man dieser Ansicht, so wäre zusätzlich zu beachten, dass die Judikatur des EuGH für Beschränkungen der Ein- und Ausfuhrfreiheit unterschiedliche Prüfungsmaßstäbe entwickelt hat. Beschränkungen der Einfuhrfreiheit beurteilten sich nach den grundlegenden Entscheidungen des EuGH, insb. nach den in der Dassonville, Cassis des Dijon, Keck und Mithouard- Entscheidung entwickelten Prüfungsmaßstäbe. Danach wären - auch im Rahmen des Art. 93 EAG, soweit man der Ansicht folgte, dass auch dieser Vorschrift das Merkmal der Maßnahmen gleicher Wirkung zu entnehmen sei - alle nationalen Maßnahmen unzulässig, die geeignet sind, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern.13 Den Verbotstatbestand der Maßnahmen gleicher Wirkung erfüllte prinzipiell jede Handelsbeschränkung; dieser setzt insb. keine spürbare Beeinträchtigung des Binnenhandels voraus .14 Im Übrigen können auch nur für einen Teil eines Hoheitsgebietes geltende Beschränkungen des Handelsverkehr als Maßnahme gleicher Wirkung gelten.15 Da mit einem Umschlagsverbot die Einfuhr von radioaktiven Stoffen über einen Hafen, für das dieses gelten soll, nicht mehr möglich wäre, hätte dies Auswirkungen auf den Handel von Kernbrennstoffen im Binnenmarkt. Es liegt auch keine in der Rechtsprechung des EuGH anerkannte Ausnahme vor, die der Annahme einer Maßnahme gleicher Wirkung entgegenstünde. Denn bei dem Umschlagsverbot handelt es sich nicht um eine Verkaufs- und Vertriebsmodalität, die nach der Keck-Rechtsprechung16 nicht als Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit gewertet werden. Das in Frage stehende Umschlagsverbot wäre daher als Maßnahme zu werten, die eine gleiche Wirkung wie ein Einfuhrverbot erzeugte. Der EuGH fordert im Bereich der Ausfuhrbeschränkungen eine hinreichende Intensität einer Handelsbeschränkung, damit diese als Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Ausfuhrbeschränkung gelten kann. In ständiger Rechtsprechung umschreibt er diesen Prüfungsmaßstab wie folgt: „Diese Bestimmung bezieht sich auf nationale Maßnahmen, die spezifische Beschränkungen der Ausfuhrströme bezwecken oder bewirken und damit unterschiedliche Bedingungen für den Binnenhandel innerhalb eines Mitgliedstaats und seinen Außenhandel schaffen, so daß die nationale Produktion oder der Binnenmarkt des betroffenen Staates zum Nachteil der Produktion oder des Handels anderer Mitgliedstaaten einen besonderen Vorteil erlangt.“17 Scheuing, Europarechtliche Aspekte einer Beendigung der Kernenergienutzung in der Bundesrpublik Deutschland , EuR 2000, S. 1 (19) 13 EuGH, 1. 07.1974, Rs. 8/74, Slg. 1974, 837 (853). 14 EuGH, Rs. 16/83, Slg. 1984, 1299; 15 EuGH, 3.12.1998, Rs. C-67/97, Slg. 1998, I-8033 16 EuGH, 24.11.1993, C-267/91, C-268/91, Slg. 1993, I-6097 17 EuGH, 8.11.1979, Rs. 15/79, Slg. 1979, S. 3409; seither ständige Rechtsprechung; vgl. EuGH, 20.05.2003, Rs. C- 108/01, Slg. 2003, I-5121; Rs. C-205/07, Slg. 2008, I-9947 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 8 WD 11 – 3000 – 210/11 Ein Umschlagsverbot für radioaktive Stoffe ließe sich ausgehend von diesem Prüfungsmaßstab als spezifische Beschränkung der Ausfuhrströme deuten; ein Umschlagsverbot würde zwar von seinem Regelungsgehalt keine Ausfuhrbeschränkung beinhalten; da die Ausfuhr insb. von Kernbrennstoffen vermutlich nur über wenige geeignete Seehäfen erfolgen kann, könnte ein Umschlagsverbot – abhängig von den Kapazitäten anderer Häfen, über denen der Export erfolgen könnte – vermutlich für einen Hafen bereits zu einer Beschränkung der Ausfuhrströme führen. Die Voraussetzungen für eine Maßnahme gleicher Wirkung dürften – legt man die von der Rechtsprechung des EuGH entwickelten Maßstäbe zugrunde– gleichwohl nicht erfüllt zu sein, da diese verlangt, dass eine Beschränkung der Ausfuhrströme zu einer ungleichen Behandlung des Binnen - und des Außenhandels eines Mitgliedstaates führen müsse.18 Interpretiert man wie der EuGH die Ausfuhrfreiheit lediglich als Diskriminierungsverbot19, wäre ein für einen oder für bestimmte Häfen geltendes Umschlagsverbot keine „Maßnahme gleicher Wirkung“, da – soweit ersichtlich – die inländische Produktion oder der inländische Handel bzw. der Binnenmarkt des Staates insgesamt, in dem ein regional begrenztes Umschlagsverbot gilt, dadurch keinen besonderen Vorteil erlangte. Inländische wie ausländische Unternehmen wären von dieser Beschränkung des Vertriebsweges in gleicher Weise betroffen. Das für einen Hafen statuierte Umschlagsverbot für radioaktive Stoffe erfüllte – wie soeben dargelegt – den Verbotstatbestand des Art. 93 EAG, als gute Gründe dafür sprechen, dieses als Einfuhrverbot gleicher Wirkung zu deuten, allerdings nur unter der Prämisse, dass im Wege der Auslegung die Verbotsvariante derMaßnahmengleicherWirkungauch inArt. 93 EAGhineingelesenwerden könnte. Diese Frage ist höchstrichterlich noch nicht entschieden. Es stellte sich ausgehend von diesem Zwischenergebnis die weitere Frage, ob ein als Verstoß gegen Art. 93 EAG gewertetes Umschlagsverbot gerechtfertigt werden könnte. Da das EAG explizit keine Rechtfertigungsgründe für Beschränkungen der Warenverkehrsfreiheit nach Art. 93 EAG regelt, stellt sich zunächst die Frage, ob die im Bereich des AEUV geltenden Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit auch für das EAG herangezogen werden können. Diese Frage ist im Schrifttum bislang kaum behandelt worden; einzelne Literaturstimmen lehnen dies mit Blick auf den abschließenden Charakter des EAG ab.20 Statt dessen soll im Wege der Analogie Schranken der Warenverkehrsfreiheit aus dem EAG abgeleitet werden können. Aus einer entsprechenden Anwendung des Art. 96 Abs. 1 2. Halbsatz EAG wird abgeleitet, dass Handelshemmnisse zulässig seien, soweit sie zum Schutz gemeinschaftsrechtlich anerkannter Allgemeinbelange – aus grundlegenden Erfordernissen der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit und der Volksgesundheit - erforderlich sind.21 18 EuGH, 8.11.1979, Rs. 15/79, Slg. 1979, S. 3409 19 EuGH, 9.06.1992, Rs. C-47/90, Slg. 1992, I-3669 20 Schmidt-Preuß, in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht II, 2002, § 60 Rdn. 19 21 Schmidt-Preuß, in: Rengeling (Hrsg.), Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht II § 60 Rdn. 94; Papenkort, Der Euratom-Vertrag im Lichte des Vertrags über eine Verfassung für Europa, 2008, S. 44 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 9 WD 11 – 3000 – 210/11 Die öffentliche Sicherheit ist betroffen, soweit für die Existenz eines Staates wesentliche Fragen der inneren und äußeren Sicherheit, insb. das „Funktionieren seiner Wirtschaft..., das seiner Einrichtungen und seiner wichtigen öffentlichen Dienste und ...das Überleben seiner Bevölkerung“ in Frage stehen.22 Die öffentliche Ordnung ist betroffen, soweit „eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“.23 Der EuGH gesteht in seiner Rechtsprechung den Mitgliedstaaten ein weites Ermessen zu, diesen Rechtfertigungsgrund zur Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Werteordnung auszufüllen und auszulegen.24 Beschränkungen wären auch aus Gründen der Volksgesundheit möglich, was nur in Betracht käme, falls vom Umschlag der in Anlage A1 Anlage aufgeführten radioaktiven Stoffe Gesundheitsgefahren ausgingen. Risiken infolge des Brennstofftransports – Strahlenrisiko der Bevölkerung, Unfallgefahren, Gefahr der Proliferation25– dürften den Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit infolge eines für einen einzelnen Hafen geltenden Umschlagsverbotes kaum legitimieren, da durch ein lokal geltendes Umschlagsverbot Brennstofftransporte in- und außerhalb Deutschlands nicht verhindert und damit auch nicht die damit verbundenen Gefahren nicht ausgeschlossen werden können. Soweit man annähme, die vorliegend untersuchte Regelung diene einem die Warenverkehrsfreiheit begrenzenden Schutzgut, müsste sich diese in einem weiteren Prüfungsschritt als dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerecht werdender Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit erweisen . Die als Schutzgut der öffentlichen Sicherheit schützenswerten nationalen Interessen sind mit dem Grundsatz des freien Warenverkehrs im Binnenmarkt Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit eines strikten Umschlagsverbotes abzuwägen. Das Ergebnis dieser Abwägung hinge maßgebend davon ab, ob mit weniger eingriffsintensiven Mitteln als einem Umschlagsverbot in einem Hafen die damit verfolgten schutzwürdigen Interessen gewahrt werden können. Klärungsbedürftig und an dieser Stelle nicht abschließend zu beantworten ist die Frage, ob mit dem Verladen von radioaktiven Stoffen insb. für die mit dem Verladen befassten Arbeitnehmer möglicherweise entstehenden Gesundheitsgefahren mit geeigneten Schutzvorkehrungen verhindert werden können, was eine Rechtfertigung eines für einen Hafen geltenden Umschlagsverbots von radioaktiven Stoffen ausschlösse. Mit Blick auf den derzeit erreichten Diskussionsstand zur Warenverkehrsfreiheit im Geltungsbereich des Euratom-Vertrags wäre ein Umschlagsverbot radioaktiver Stoffe wohl nur mit dem EAG vereinbar, soweit man der Auffassung folgte, Art. 93 EAG statuiere abweichend zu Art. 28 ff. AEUV nur das Verbot der mengenmäßigen Beschränkung der Ein- und Ausfuhr der in Liste A1 Anlag IV erfassten radioaktiven Stoffe, nicht aber das Verbot von Maßnahmen gleicher Wirkung. Sieht man hingegen im Anschluss zahlreicher Literaturstimmen auch dieses Verbot von Art. 93 EAG umfasst, bestehen Zweifel, ob sich ein nur für einen Hafen geltendes Verbot, radioaktive 22 EuGH, 10.07.1984, Rs. 72/83, Slg 1984, S. 2727 23 EuGH, Rs. C-36/02, Slg. 2004, I-9609 24 EuGH, 14.12.1979, Rs. 34/79, Slg. 1979, S. 3795 25 in diesem Zusammenhang sind internationale Verpflichtungen wie insb. aus dem Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen denkbare Beschränkungen der Warenverkehrsfreiheit; vgl. dazu auch Everling, RIW Beilage 2 zu Heft 3/1993, S. 10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 10 WD 11 – 3000 – 210/11 Stoffe umzuschlagen, anhand der zur Begrenzung der Warenverkehrsfreiheit anerkannten Gründe rechtfertigen ließe. 3. Zulässige Begrenzung der Warenverkehrsfreiheit (Art. 28 ff. AEUV) ? Ein Anwendungsbereich der Regelungen in Art. 28 ff. AEUV zur Warenverkehrsfreiheit besteht im Bereich von atomaren Stoffen nur in dem Maße, in der das EAG keine Anwendung findet. Eine Sperrwirkung des EAG für die Regelungen zur Warenverkehrsfreiheit des AEUV besteht für die in Liste A1 Anhang IV erfassten radioaktiven Brennstoffen. Für nicht in dieser Liste erfasste radioaktive Brennstoffe und die ebenfalls dort nicht aufgeführten abgebrannten Brennstoffe sind Art. 28 ff. AEUV anwendbar. Tragende Gründe für die Annahme, Art. 93 EAG sei darüber hinaus eine abschließende, die Anwendung der Normen zur Warenverkehrsfreiheit im AEUV für Kernbrennstoffe ausschließende Regelung26, wurden nicht dargelegt und sind auch nicht ersichtlich. Radioaktive Stoffe - und zwar sowohl die rezyklischen Stoffe als auch die radioaktiven Abfälle - sind Waren i.S.d. Art. 28 ff. AEUV.27 Auch Abfälle gelten als Waren. Als solche gelten alle Gegenstände und Stoffe, soweit sie grenzüberschreitend verbracht werden und Gegenstand des Handelsverkehrs sind. Der EuGH setzt für die Warenqualität nicht voraus, dass Abfallstoffe einen Handelswert haben müssen und fordert hierfür nicht ihre Wiederverwertbarkeit. Für den EuGH ist hierfür allein maßgebend, dass es sich um Gegenstände handelt, „die über die Grenze verbracht werden, um Handelsgeschäfte durchzuführen...“.28 Während ein Teil der Literatur hieraus folgert, dass der EuGH damit auch die Streifrage, ob abgebrannte Brennelemente Warenqualität haben, dahin entschieden habe, dass hierfür der Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit nach Art. 28 ff. AEUV eröffnet worden sei29, wird gegen diese Folgerung eingewandt, dass bzgl. radioaktiver Stoffe kein Handelsverkehr stattfinde.30 Um eine Abgrenzung von verwertbarem, rückführbarem und nicht rückführbarem Abfall zu vermeiden werden nach Ansicht zahlreicher Autoren radioaktive Abfälle einheitlich dem Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit nach dem AEUV zugeschlagen.31 Die bereits im Zusammenhang mit dem Euratom-Vertrag dargestellten Gründe sprächen auch dafür, dass ein Umschlagsverbot für in den Anwendungsbereich des Art. 34 AEUV fallende radioaktive Stoffe zu einem Einfuhrverbot gleicher Wirkung führte. Demgegenüber führte ein Um- 26 So Komorowski, NUR 2000, S. 432 (433) 27 Rossnagel, Europäische Marktfreiheiten und atomrechtliche Entsorgungsvorsorge, DÖV 1996, S. 984 (989) 28 EuGH,9.07.1992, Rs. C-2/90, Slg. 1992, I-4431 29 Everling, Die Wiederaufbereitung abgebrannter Brennelemente in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, RIW Beilage 2 zu Heft 3/1993, S. 5; Pernice, EG-rechtliche Rahmenbedingungen der Atomrechtsreform : zum Referentenentwurf zur Änderung des Atomgesetzes vom 21.12.1992, EuZW 1993, S. 497 (499) 30 Roßnagel, DÖV 1996, S. 987 31 vgl. nur Roßnagel, DÖV 1996, S. 987; allgemein zur Wareneigenschaft von Abfällen Frenz, Handbuch Europarecht . Band 1. Europäische Grundfreiheiten, 2. Aufl. 2012, Rdn. 826 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 11 WD 11 – 3000 – 210/11 schlagsverbot für einen Hafen nicht zu einer mengenmäßigen Ausfuhrbeschränkung gleicher Wirkung i.S.d. Art. 35 AEUV.32 Das zu einer möglichen Rechtfertigung eines Einfuhrverbotes gleicher Wirkung im Kontext zum EAG Ausgeführte gilt auch für die in den Anwendungsbereich des Art. 34 AEUV fallenden atomaren Brennstoffen bzw. radioaktiven Abfällen. Zusätzlich ist insb. mit Blick auf den Umschlag von in den Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit des AEUV fallenden radioaktiven Abfällen auf folgendes hinzuweisen: Das Verladen radioaktiver Abfälle kann möglicherweise besondere Gefahren für die Gesundheit der mit dem Verladen befassten Arbeitnehmer mit sich bringen. Die Frage, ob diese mit geeigneten Schutzvorkehrungen verhindert werden können, muss für diese Fallgruppe gesondert beantwortet werden. Das Verladen radioaktiver Abfälle wirft auch die Frage auf, ob hierdurch die Warenverkehrsfreiheit begrenzende Schutzgüter betroffen sein können wie etwa der Aspekt des Umweltschutzes, die nicht in Art. 36 AEUV als Rechtfertigungsgründe genannt sind. Im Bereich des AEUV sind neben den kodifizierten Rechtfertigungsgründen in Art. 36 AEUV, wozu bereits im Kontext zum EAG Stellung bezogen wurde, ungeschriebene Rechtfertigungsgründe für eine Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit zu berücksichtigen. Richterrechtlich hat der EuGH seit seiner Cassis de Dijon-Entscheidung33 ungeschriebene Rechtfertigungsgründe entwickelt, die „zwingenden Erfordernisse des Allgemeinwohls/-interesses“.34 Es handelt sich hierbei um einen nicht abgeschlossenen Kanon, der weiterhin richterrechtlich fortgebildet wird.35 Von den bisher entwickelten Spezifizierungen der zwingenden Erfordernisse des Allgemeinwohls, als solche werden der Verbraucherschutz, die Lauterkeit des Handelsverkehrs , der Umweltschutz, der Schutz der Systeme sozialer Sicherheit, wirksame steuerliche Kontrolle , kulturelle Zwecke, insb. Medienvielfalt und die Sicherheit des Straßenverkehrs genannt, könnte als tragender Grund für eine Rechtfertigung eines Umschlagsverbots von Kernbrennstoffen bzw. von atomarem Abfall allenfalls der Aspekt Umweltschutz erwogen werden. Soweit ersichtlich hat sich der EuGH mit einer derartigen Fragestellung noch nicht befasst. Für die Rechtfertigung des in Frage stehenden Umschlagsverbots unter dem Aspekt des Umweltschutzes als zwingendes Erfordernis des Allgemeinwohls könnte sprechen, dass der Umweltschutz mit Inkrafttreten der Charta der Grundrechte der Europäischen Union in Art. 37 der Charta primärrechtlich verbürgt ist und der EuGH den Mitgliedstaaten einen weiten Einschätzungsspielraum 32 Dazu oben 2. 33 EuGH, 20.02.1979, Rs. 120/78, Slg. 1979, S. 649, Rdnr. 8. 34 Zur Herleitung solcher zwingenden Erfordernisse des Allgemeininteresses durch den EuGH vgl. Von Wilmowsky, in: Ehlers (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 2009, § 12 IV 1, Rdnr. 12; Haratsch/Koenig/Pechstein, Europarecht, 2010, Rdnr. 843 ff. 35 Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, 2009, Rdnr. 835. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 12 WD 11 – 3000 – 210/11 bei der Ausgestaltung einer vorsorgenden Umweltpolitik zugesteht.36 Mit einem sektoralen, nur für einen Hafen begrenztes Umschlagsverbot ließen sich allerdings Zielsetzungen im Bereich des Umweltschutzes, etwa die Vermeidung ökologischer Gefahren durch Transporte von Kernbrennstoffen bzw. atomaren Abfallprodukten und durch deren Entsorgung, wohl nicht verwirklichen. 4. Regelungen im Sekundärrecht zur Beförderung gefährlicher Stoffe Nachfolgend wird überprüft, inwieweit ein Verbot des Umschlags von Kernbrennstoffen/von atomarem Abfall an Regelungen im Sekundärrecht gemessen werden kann. 4.1. Richtlinie 2008/68/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. September 2008 über die Beförderung gefährlicher Güter im Binnenland37 Diese Richtlinie ermöglicht es Mitgliedstaaten, aus Gründen der Sicherheit der Beförderung strengere nationale Vorschriften auf die innerstaatliche Beförderung gefährlicher Güter mit Fahrzeugen , Eisenbahnwagen und Binnenschiffen anzuwenden, die in ihrem Hoheitsgebiet zugelassen oder in Betrieb genommen werden. Diese Regelung findet zwar auch für das Ein- und Ausladen von Gütern sowie für den Umschlag von einem auf einen anderen Verkehrsträger Anwendung , allerdings auch nur begrenzt auf Binnenwasserstraßen (Art. 1 Richtlinie 2008/68/EG). Im Übrigen sieht Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Anhang III der Richtlinie nur Beförderungsbeschränkungen von Stoffen im Schifffahrtsverkehr vor, die Dioxine und Furane enthalten, nicht aber für atomare Stoffe/Brennelemente. 4.2. Verordnung (Euratom) Nr. 1493/93 des Rates vom 8. Juni 1993 über die Verbringung radioaktiver Stoffe zwischen den Mitgliedstaaten38 Diese Verordnung regelt das Verbringen umschlossener Strahlenquellen oder radioaktiver Abfälle von einem Mitgliedstaat in einem anderen, normiert allerdings keine Ermächtigung, die Beförderung radioaktiver Stoffe zu untersagen.39 4.3. Richtlinie 2006/117/Euratom des Rates vom 20. November 2006 über die Überwachung und Kontrolle der Verbringung radioaktiver Abfälle und abgebrannter Brennelemente40 Ziel dieser Richtlinie ist es, zum Schutz der Bevölkerung ein Gemeinschaftssystem zur Überwachung und Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung radioaktiver Abfälle und abgebrannter Brennelemente zu schaffen (Art. 1 Richtlinie 2006/117/Euratom). Art. 3 dieser Richtli- 36 dazu Kingreen, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, Kommentar, AEUV Art. 34-36 Rdn. 214 37 ABl. L 260 vom 30.09.2008, S. 13, abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2008:260:0013:0059:DE:PDF 38 Abl. L 148 vom 19.06.1993, S. 1 abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:1993:148:0001:0007:DE:PDF 39 Dazu näher Schroeder, Die Euratom – auf dem Weg zu einer Umweltgemeinschaft, DVBl 1995, S. 322 ff. unter Überschrift 6. Transport nuklearer Reststoffe 40 ABl. L 337 vom 5.12.2006, S. 21, abrufbar unter Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 13 WD 11 – 3000 – 210/11 nie verdeutlicht, dass das Recht der Mitgliedstaaten, über die Ausfuhr abgebrannter Brennelemente zur Wiederaufbereitung selbst zu entscheiden, nicht angetastet werden soll. Sie weist ferner darauf hin, dass dabei die Grundsätze des gemeinsamen Marktes im Nuklearbereich, insb. des freien Warenverkehrs zu beachten sind. Ein Exportverbot wird nur für Ausfuhren in bestimmte Drittländer außerhalb der Gemeinschaft normiert (Art. 16 Richtlinie 2006/117/Euratom), im übrigen nur die Genehmigungspraxis der in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallenden Verbringung von nuklearen Abfällen. 5. Ergebnis Ein für einen Hafen geltendes Umschlagsverbot für nukleare Stoffe, Kernbrennstoffe und atomaren Abfallstoffe ist an den Regelungen des Vertrages über die Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft zu messen, soweit in der Liste A1 der Anlage IV dieses Vertrages aufgeführte Stoffe hiervon betroffen sind. Prüfungsmaßstab für Handelsbeschränkungen bzgl. der nicht in der Liste A1 der Anlage IV aufgeführten Stoffe sind die im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union garantierten Grundfreiheiten. Mit Blick auf den derzeit erreichten Diskussionsstand zur Warenverkehrsfreiheit im Geltungsbereich des Euratom-Vertrags wäre ein Umschlagsverbot radioaktiver Stoffe wohl nur mit dem EAG vereinbar, soweit man der Auffassung folgte, Art. 93 EAG statuiere abweichend zu Art. 28 ff. AEUV nur das Verbot der mengenmäßigen Beschränkung der Ein- und Ausfuhr der in Liste A1 Anlage IV erfassten radioaktiven Stoffe, nicht aber das Verbot von Maßnahmen gleicher Wirkung. Sieht man hingegen auch dieses Verbot von Art. 93 EAG umfasst, bestehen Zweifel, ob sich ein nur für einen Hafen geltendes Verbot, radioaktive Stoffe umzuschlagen, auf die zur Begrenzung der Warenverkehrsfreiheit anerkannten Gründe stützen ließe. Es bestehen auch Zweifel, ob ein sektorales, nur für einen Hafen begrenztes Umschlagsverbot solcher Stoffe, die nicht dem Anwendungsbereich des EAG unterfallen, mit den Grundsätzen der Warenverkehrsfreiheit nach Art. 28 ff. AEUV vereinbar wäre. Um dies sicherzustellen müssten hierfür hinreichend gewichtige, als Einschränkungen der Warenverkehrsfreiheit anerkannte Gründe angeführt werden können. Dem Sekundärrecht der Europäischen Union lässt sich – soweit ersichtlich – ein Verbot, in einem Hafen nukleare Stoffe umzuschlagen, nicht entnehmen. - Fachbereich Europa -