© 2016 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 206/14 Unionsrechtliche Voraussetzungen für einen Einsatz von Körperscannern Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 206/14 Seite 2 Unionsrechtliche Voraussetzungen für einen Einsatz von Körperscannern Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 206/14 Abschluss der Arbeit: 20. November 2014 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 206/14 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Unionsrechtliche Grundlagen für den Einsatz von Sicherheitsscannern 4 2.1. Fragestellung 4 2.2. Antwort 4 2.2.1. Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage 4 2.2.2. Regelungsebene 4 3. Verordnung (EG) Nr. 272/2009 als ausreichende Rechtsgrundlage für den Regelbetrieb von Körperscannern 6 3.1. Fragestellung 6 3.2. Antwort 6 3.2.1. Systematik der europäischen Regelungen zum den Schutz der Zivilluftfahrt 6 3.2.2. Verordnung (EG) Nr. 272/2009 als Rechtsgrundlage für den Regelbetrieb von Körperscannern 7 4. Unionsrechtliche Rahmenbedingungen für den Einsatz von Sicherheitsscannern 8 4.1. Fragestellung 8 4.2. Antwort 9 4.2.1. Allgemeine Anforderungen an die gesetzliche Regelung von Körperscannern 9 4.2.2. Materielle Anforderungen 10 4.2.3. Prämissen für eine gesetzlich verpflichtende Kontrolle von Fluggästen durch den Einsatz von Körperscannern 11 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 206/14 Seite 4 1. Einleitung Die Ausarbeitung setzt sich mit unionsrechtlichen Fragen in Zusammenhang mit dem Einsatz von Körperscannern auf europäischen Flughäfen für die Kontrolle von Fluggästen auseinander. Hintergrund der Fragestellung bildet die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage zum Ausbau von Körperscannern an Flughäfen, BT-Drs. 18/1880. 2. Unionsrechtliche Grundlagen für den Einsatz von Sicherheitsscannern 2.1. Fragestellung Bedarf der Betrieb von Körperscannern einer gesetzlichen Grundlage und wenn ja, muss dies auf der europäischen oder der mitgliedstaatlichen Ebene erfolgen? 2.2. Antwort 2.2.1. Notwendigkeit einer gesetzlichen Grundlage Als Körperscanner bzw. Sicherheitsscanner werden Geräte bezeichnet, die in der Lage sind, die von kontrollierten Personen unter der Kleidung mitgeführten metallischen und nichtmetallischen Gegenstände zu erkennen.1 In Abhängigkeit von den technischen Eigenschaften eines Körperscanners und den Regeln für seine Verwendung können mit dem Einsatz insbesondere Eingriffe in die Grundrechte auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG, Art. 3, 35 GRCh2), die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 1 GRCh), die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG, Art. 10 GRCh) sowie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung bzw. den Schutz personenbezogener Daten (Art. 2 Abs. 1 iVm Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 GRCh) verbunden sein.3 Ein Eingriff in grundrechtliche Gewährleistungen steht sowohl im deutschen Recht als auch im Unionsrecht unter dem Vorbehalt eines den Eingriff legitimierenden Gesetzes. 2.2.2. Regelungsebene Für den Einsatz von Körperscannern an EU-Flughäfen stellt sich somit die Frage, ob der Einsatz eine gesetzliche Grundlage im nationalen Recht oder im Unionsrecht haben muss. Dies richtet sich primär nach der Zuständigkeitsverteilung zwischen den Mitgliedstaaten und der Union. 1 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über den Einsatz von Sicherheitsscannern auf EU-Flughäfen, KOM(2010) 311 endg., S. 9. 2 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. C 326/391, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legalcontent /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:12012P/TXT&from=DE. 3 KOM(2010) 311 endg., S. 13 ff.; vgl. hierzu Esser/Gruber, Einsatz von Körperscannern zur Terrorismusbekämpfung . im Einklang mit der Europäischen Menschenrechtskonvention?, in: ZIS 5/2011, S. 379 ff. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 206/14 Seite 5 Der Politikbereich Verkehr ist gemäß Art. 4 Abs. 2 lit. g) AEUV Teil der zwischen der Union und den Mitgliedstaaten geteilten Zuständigkeit. Gemäß Art. 2 Abs. 2 AEUV können die Mitgliedstaaten in diesem Bereich gesetzgeberisch – und somit auch grundrechtsbeschränkend – tätig werden , sofern und soweit die Union ihre Zuständigkeiten nicht ausgeübt hat. Seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 wurden von der Europäischen Union (EU) eine Reihe von Maßnahmen erarbeitet, die Terroranschlägen oder Angriffe auf die Sicherheit der Bürger verhindern sollen. In Reaktion auf diese Gefährdungslage wurden auf Grundlage von Art. 100 Abs. 2 iVm Art. 91 Abs. 1 lit. c) AEUV (vormals Art. 80 Abs. 2 iVm Art. 71 Abs. 1 lit. c EGV) verschiedene EU-Verordnungen erlassen, um beispielsweise einen sicheren Einheitlichen Europäischen Luftraum (Single European Sky I und II)4 sowie einen gemeinsamen Rahmen für die Sicherheit in der Zivilluftfahrt5 zu schaffen. Mit Blick auf die der EU im Bereich der Luftverkehrssicherheit übertragenen Zuständigkeiten und die in diesem Rahmen ergangenen Unionsrechtsakte – auch betreffend den Einsatz von Körperscannern 6 – in Form von Verordnungen, die gem. Art. 288 Abs. 2 AEUV unmittelbar in jedem Mitgliedstaat gelten, beruht die für Grundrechtseinschränkungen erforderliche gesetzliche Grundlage grundsätzlich auf Unionsrecht. Dementsprechend wird auch die Grundrechtskonformität des Einsatzes von Körperscannern primär durch die EU-Grundrechte bestimmt. Die in der Unionsrechtsordnung garantierten Grundrechte finden in allen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen Anwendung.7 Soweit die EU-Grundrechte die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Unionsrechts (Art. 51 Abs. 1 S. 1 GRCh) binden, ermächtigt Art. 52 Abs. 1 GRCh auch zu Grundrechtseinschränkungen durch nationale Rechtsvorschriften. Nur sofern ein Regelungsbereich in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt bzw. ein entsprechender Handlungsspielraum autonom durch die Mitgliedstaaten ausgeübt werden kann, muss diese Ausübung den Anforderungen der nationalen Grundrechte entsprechen. Für die Regelungen zum Einsatz von Körperscannern bedeutet dies, dass die Entscheidung darüber , Körperscanner zu installieren oder nicht, in der Zuständigkeit und in der Freiheit der Mitgliedstaaten liegt. Sofern sich die Mitgliedstaaten jedoch für die Installation von Körperscannern entscheiden, müssen sie – unbeschadet ihres Rechts, strengere Maßnahmen zu ergreifen – den von der EU für alle Mitgliedstaaten festgelegten Vorschriften und Mindestforderungen für einen kohärenten europäischen Raum der Flugsicherheit entsprechen. 4 Für das Second Single European Sky Package vgl. die Verordnung (EG) Nr. 1070/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 549/2004, (EG) Nr. 550/2004, (EG) Nr. 551/2004 und (EG) 552/2004 im Hinblick auf die Verbesserung der Leistung und Nachhaltigkeit des europäischen Luftverkehrssystems, ABl. L 300/34, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32009R1070&qid=1416407718136&from=DE. 5 Verordnung (EG) Nr. 300/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2008 über gemeinsame Vorschriften für die Sicherheit in der Zivilluftfahrt und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2320/2002, ABl. L 97/72, konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/AUTO/?uri=CELEX:02008R0300-20100201&qid=1416332004313. 6 Siehe hierzu unten unter 3. 7 EuGH, Rs. C-390/12 (Pfleger), Rn. 31 ff. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 206/14 Seite 6 3. Verordnung (EG) Nr. 272/2009 als ausreichende Rechtsgrundlage für den Regelbetrieb von Körperscannern 3.1. Fragestellung Stellt die Verordnung (EG) Nr. 272/2009 eine ausreichende Rechtsgrundlage für den Regelbetrieb von Körperscannern dar? 3.2. Antwort 3.2.1. Systematik der europäischen Regelungen zum den Schutz der Zivilluftfahrt Die Sicherheit der Zivilluftfahrt wird in der EU im Wesentlichen durch drei Verordnungen geregelt: Der rechtliche Rahmen und die Grundstandards für die Sicherheit der Luftfahrt sind in der Verordnung (EG) Nr. 300/20088 des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Vorschriften für die Sicherheit in der Zivilluftfahrt festgelegt. Die gemeinsamen Grundstandards für die den Schutz der Zivilluftfahrt gemäß Art. 4 Abs. 1 Verordnung (EG) Nr. 300/2008 werden im Anhang der Verordnung konkretisiert und umfassen gemäß Nr. 4.1. des Anhangs die Kontrolle von Fluggästen und Handgepäck.9 Weitere Einzelheiten bzw. allgemeine Maßnahmen zur Ergänzung der im Anhang der Verordnung (EG) Nr. 300/2008 genannten gemeinsamen Grundstandards sind in den Durchführungsbestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 272/200910 geregelt. Sie enthält insbesondere ein Verzeichnis der zulässigen Kontrollmethoden in Flughäfen, die Teil der gemeinsamen Grundstandards für die Sicherheit der Zivilluftfahrt gemäß der Verordnung (EG) Nr. 300/2008 sind. 8 Verordnung (EG) Nr. 300/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2008 über gemeinsame Vorschriften für die Sicherheit in der Zivilluftfahrt und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 2320/2002, ABl. L 97/72, konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/AUTO/?uri=CELEX:02008R0300-20100201&qid=1416332004313. 9 „Alle Fluggäste, die ihren Ausgangsflug antreten, umsteigen oder weiterfliegen, sowie ihr Handgepäck sind zu kontrollieren, um zu verhindern, dass verbotene Gegenstände in die Sicherheitsbereiche und an Bord eines Luftfahrzeugs gebracht werden.“ 10 Verordnung (EG) Nr. 272/2009 der Kommission vom 2. April 2009 zur Ergänzung der im Anhang der Verordnung (EG) Nr. 300/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates festgelegten gemeinsamen Grundstandards für die Sicherheit der Zivilluftfahrt, ABl. L 91/7, konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32009R0272&qid=1416331831977&from=DE. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 206/14 Seite 7 Die im Anhang der Verordnung (EG) Nr. 272/2009 vorgesehenen Maßnahmen zur Ergänzung der in der Verordnung (EG) Nr. 300/2008 genannten gemeinsamen Grundstandards werden schließlich wiederum durch die Verordnung (EU) Nr. 185/201011 konkretisiert, in der die Kommission detaillierte Maßnahmen hinsichtlich der einzelnen Grundstandards festlegt. 3.2.2. Verordnung (EG) Nr. 272/2009 als Rechtsgrundlage für den Regelbetrieb von Körperscannern In den unionsrechtlichen Vorschriften für die Luftsicherheit sind verschiedene Kontrollverfahren und -technologien vorgesehen, mit denen unter der Kleidung mitgeführte verbotene Gegenstände erkannt werden und unter denen die Mitgliedstaaten eine oder mehrere auswählen können. Sicherheitsscanner zählten zunächst nicht zu den gemeinsamen Grundstandards.12 Auch in den Festlegungen der Kommission gemäß Art. 4 Abs. 3 Verordnung (EG) Nr. 300/2008 zu den Zulässigen Kontrollmethoden im Anhang Teil A der Verordnung (EG) Nr. 272/2009 war für die Kontrolle von Personen zunächst ausdrücklich kein Einsatz von Sicherheitsscannern vorgesehen. Zwar hatte die Kommission deren Einsatz in einem ersten Vorschlag von 2008 vorgesehen. Jedoch hatte das Europäische Parlament am 23. Oktober 2008 eine Entschließung13 zu den Auswirkungen der Sicherheitsmaßnahmen im Flugverkehr und von Ganzkörperscannern auf die Menschenrechte , die Privatsphäre, die persönliche Würde und den Datenschutz verabschiedet und eine tiefer gehende Bewertung der Situation gefordert. Die Kommission hatte einer weiteren Prüfung dieser Sachverhalte zugestimmt und Körperscanner aus ihrem ursprünglichen Legislativvorschlag gestrichen, der schließlich als Verordnung (EG) Nr. 272/2009 erlassen wurde. Der Einsatz von Körperscannern kann jedoch auf Art. 6 Verordnung (EG) Nr. 300/2008 gestützt werden. Danach sind die Mitgliedstaaten unter bestimmten Bedingungen dazu berechtigt, strengere Maßnahmen als im EU-Recht explizit vorgesehen anzuwenden. Hierbei müssen die Mitgliedstaaten auf der Grundlage einer Risikobewertung und in Übereinstimmung mit dem EU- Recht handeln. Die Maßnahmen müssen zudem relevant, objektiv, nichtdiskriminierend und dem jeweiligen Risiko angemessen sein. Sie müssen vorab von der Kommission genehmigt werden und die Kommission ist zudem gem. Art. 6 Abs. 2 Verordnung (EG) Nr. 300/2008 durch die Mitgliedstaaten über die Anwendung von strengeren als die in Art. 4 Verordnung (EG) Nr. 300/2008 genannten Maßnahmen so bald wie möglich nach deren Anwendung zu unterrichten . Damit die auf neuen Technologien beruhenden Kontrollmethoden beurteilt werden können, kann den Mitgliedstaaten zudem gem. Kapitel 12.8 des Anhangs der Verordnung (EU) Nr. 185/2010 11 Verordnung (EU) Nr. 185/2010 der Kommission vom 4. März 2010 zur Festlegung von detaillierten Maßnahmen für die Durchführung der gemeinsamen Grundstandards in der Luftsicherheit, ABl. L 55/1, konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32010R0185&qid=1416331922701&from=DE. 12 Mitteilung KOM(2010) 331 endg., S. 7 f. 13 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 23. Oktober 2008 zu den Auswirkungen der Sicherheitsmaßnahmen im Flugverkehr und von Ganzkörperscannern auf die Menschenrechte, die Privatsphäre, die persönliche Würde und den Datenschutz, P6_TA(2008)0521, abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/sides/get- Doc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P6-TA-2008-0521+0+DOC+XML+V0//DE. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 206/14 Seite 8 gestattet werden, versuchsweise und befristet andere Methoden einzuführen, sofern hierdurch das Sicherheitsniveau insgesamt nicht beeinträchtigt wird. In Ausübung des Rechts, neue technische Verfahren oder Methoden und für einen Zeitraum von längstens 30 Monaten zu erproben, haben mehrere Mitgliedstaaten Sicherheitsscanner vorübergehend eingesetzt. Aufgrund der nach Art. 4 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 300/2008 zu erlassenden Durchführungsvorschriften wurde der Katalog der zulässigen Kontrollmaßnahmen in der Verordnung (EG) Nr. 272/2009 im Jahr 2011 durch die Verordnung (EU) Nr. 1141/201114 um den Einsatz von Sicherheitsscannern erweitert. Zugleich hat die Kommission auf Grundlage von Art. 4 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 300/2008 mit der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1147/201115 spezifische Durchführungsbestimmungen für den Einsatz von Sicherheitsscannern erlassen, die den Einsatz dieser Kontrollmethode einzeln oder in Kombination mit anderen Maßnahmen, als primäres oder sekundäres Mittel und unter bestimmten Bedingungen zulassen, die den Schutz der Grundrechte gewährleisten sollen. Der auf die Verordnung (EG) Nr. 300/2008 gestützte, Anfang Dezember 2011 in Kraft getretene delegierte Rechtsakt stellt es den Mitgliedstaaten grundsätzlich frei zu entscheiden, ob Sicherheitsscanner bei Flughafenkontrollen verwendet werden, legt allerdings Regeln für den Fall des Einsatzes fest. Auf Grundlage des erweiterten Katalogs von zulässigen Kontrollmethoden im Anhang der Verordnung (EG) Nr. 272/2009 muss für den Einsatz von Körperscannern nicht mehr auf die Ausnahmeregelung des Art. 6 Verordnung (EG) Nr. 300/2008 für den Einsatz von strengeren Kontrollmethoden zurückgegriffen werden. Körperscanner sind nunmehr ein nach EU-Recht auch für den Regelbetrieb zugelassenes Kontrollmittel, wobei das Recht der Fluggäste sichergestellt sein muss, die Kontrolle mit einem Sicherheitsscanner zu verweigern und durch eine alternative Kontrollmethode kontrolliert zu werden.16 Die Verordnung (EG) Nr. 272/2009 bildet – entsprechend der Darstellung der Bundesregierung in der BT-Drs. 18/1880 – die rechtliche Grundlage für den Einsatz von Körperscannern für die Luftsicherheitskontrolle. 4. Unionsrechtliche Rahmenbedingungen für den Einsatz von Sicherheitsscannern 4.1. Fragestellung Welche Aspekte müssen für den Regelbetrieb von Körperscannern insbesondere im Hinblick auf den Grundrechtschutz gesetzlich geregelt werden? Unter welchen Voraussetzungen, beispielsweise im Hinblick auf die Kriterien der Angemessenheit oder Erforderlichkeit der Maßnahme, 14 Verordnung (EU) Nr. 1141/2011 der Kommission vom 10. November 2011 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 272/2009 zur Ergänzung der gemeinsamen Grundstandards für die Sicherheit der Zivilluftfahrt bezüglich des Einsatzes von Sicherheitsscannern an EU-Flughäfen, ABl. L 293/22, abrufbar unter http://eur-lex.europa .eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32011R1141&from=DE. 15 Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1147/2011 der Kommission vom 11. November 2011 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 185/2010 zur Durchführung der gemeinsamen Grundstandards in der Luftsicherheit bezüglich des Einsatzes von Sicherheitsscannern an EU-Flughäfen, ABl. L 294/7, abrufbar unter http://eur-lex.europa .eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32011R1147&qid=1416330468839&from=DE. 16 Nr. 4.1.1.10. Anhang Verordnung (EU) Nr. 185/2010. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 206/14 Seite 9 wäre eine gesetzlich verpflichtende Kontrolle von Fluggästen durch Körperscanner überhaupt möglich? 4.2. Antwort 4.2.1. Allgemeine Anforderungen an die gesetzliche Regelung von Körperscannern Aus Sicht des Unionsrechts können die mit dem Einsatz von Körperscannern potenziell verbundenen Grundrechtseingriffe mit Blick auf den für alle Rechte und Freiheiten geltenden Gesetzesvorbehalt des Art. 52 Abs. 1 GRCh zulässig sein.17 Danach setzt die Rechtfertigung von Grundrechtseinschränkungen voraus, dass die Einschränkung „gesetzlich vorgesehen“ ist. Dem unionsrechtlichen Gesetzesvorbehalt kommt dabei insbesondere die Funktion eines rechtsstaatlichen Rechtssatzvorbehalts zu, der hoheitliches Handeln für den Einzelnen berechenbar machen soll.18 Die Anforderungen der gesetzlichen Grundlage werden gewahrt, wenn die Einschränkung durch das Gesetz selbst festgelegt wird oder wenn das Gesetz zu einer Einschränkung ermächtigt. Aus dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes folgt, dass sich Grundrechtseingriffe auf der Rechtsanwendungsebene auf einen abstrakt-generellen Unionsrechtsakt zurückführen lassen können müssen, der die Voraussetzungen des Grundrechtseingriffs hinreichend genau festlegt . Im Hinblick auf die Regelungsdichte von Rechtsakten, auf deren Grundlage Durchführungsbestimmungen ergehen, bedeutet dies, dass sich die Durchführungsbestimmungen der Kommission auf einen vom Rat und ggf. vom Parlament erlassenen Unionsrechtsakt zurückführen lassen müssen, der die wesentlichen Grundzüge der zu regelnden Materie selbst festlegt.19 Unter den Begriff der gesetzlichen Grundlage fallen zunächst Gesetzgebungsakte i.S.v. Art. 289 AEUV sowie delegierte Rechtsakte i.S.v. Art. 290 AEUV. Unter den vorstehenden Prämissen können die konkreten Bedingungen für einen Grundrechtseingriff auch im Rahmen von Durchführungsrechtsakten i.S.v. Art. 291 AEUV geregelt werden. Da die Entscheidung der Mitgliedstaaten für den Einsatz von Körperscannern auf der Verordnung (EG) Nr. 272/2009 beruht, muss die unionsgesetzliche Ausgestaltung auch den weiteren Anforderungen zur Beschränkbarkeit von Unionsgrundrechten gem. Art. 52 GRCh genügen. Das bedeutet, dass mit der Maßnahme legitime Ziele verfolgt werden und der Wesensgehalt der betroffenen Grundrechte sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden.20 17 Zu dem Gesetzesvorbehalt bei Eingriffen der öffentlichen Gewalt in die Sphäre der privaten Betätigung jeder - natürlichen oder juristischen - Person als allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts vgl. EuGH, verb. Rs. 46/87 und 227/88 (Hoechst), Rn. 19. 18 Vgl. hierzu Hilf/Classen, Der Vorbehalt des Gesetzes im Recht der Europäischen Union, in: Osterloh u.a. (Hrsg.), Staat, Wirtschaft, Finanzverfassung, FS Selmer, 2004, S. 71 (78 f.). 19 EuGH, Rs. 25/70 (Köster), Rn. 6. 20 Vgl. EuGH, verb. Rs. C-293/12 und C-594/12 (Digital Rights Ireland Ltd), Rn. 38 ff. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 206/14 Seite 10 4.2.2. Materielle Anforderungen Die Regelung des Einsatzes von Körperscannern muss zudem auch bestehendes Unionsrecht im Bereich des jeweiligen Unionsgrundrechts achten. Im Hinblick auf den Schutz der körperlichen Unversehrtheit (Art. 3, 35 S. 2 GRCh) muss der Einsatz von Körperscannern insbesondere den Regelungen zum Schutz vor der Gefährdung vor elektromagnetischen Feldern21 oder ionisierender Strahlung22 entsprechen. Hinsichtlich des Schutzes personenbezogener Daten (Art. 8 GRCh) muss der Einsatz von Körperscannern insbesondere den Bestimmungen der Richtlinie 95/46/EG genügen.23 Vor diesem Hintergrund ist festzustellen, dass wesentliche Aspekte bereits im Anhang der Verordnung (EU) Nr. 185/2010 geregelt sind, welche den Einsatz von Körperscannern gemäß der Verordnung (EG) Nr. 272/2009 weiter konkretisiert. So wird hierin festgelegt, dass die Scanner nicht dazu dienen dürfen, Bilder zu speichern, zu kopieren, auszudrucken oder abzurufen. Auch der unbefugte Zugang oder die unbefugte Verwendung der Bilder ist zu untersagen. Des Weiteren muss der Mitarbeiter, der das Bild auswertet, sich an einem Ort befinden, von dem aus er den kontrollierten Fluggast nicht sehen kann. Ferner müssen die Fluggäste über die Bedingungen, unter denen die Kontrolle mit den Sicherheitsscannern erfolgt, unterrichtet werden. Die Fluggäste haben das Recht, die Kontrolle mit Scanner zu verweigern, und müssen ggf. auf andere Weise 21 Richtlinie 2013/35/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über Mindestvorschriften zum Schutz von Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch physikalische Einwirkungen (elektromagnetische Felder) (20. Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/40/EG, ABl. L 179/1, abrufbar unter http://eur-lex.europa .eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32013L0035&from=DE; Richtlinie 2006/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2006 über Mindestvorschriften zum Schutz von Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch physikalische Einwirkungen (künstliche optische Strahlung) (19. Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 391/89/EWG), ABl. L 114/3, konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/AUTO/?uri=CELEX:02006L0025-20140101&qid=1416418249041. 22 Richtlinie 96/29/EURATOM des Rates vom 13. Mai 1996 zur Festlegung der grundlegenden Sicherheitsnormen für den Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmer und der Bevölkerung gegen die Gefahren durch ionisierende Strahlungen, ABl. L 159/1, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /EN/TXT/PDF/?uri=CELEX:01996L0029-20000513&qid=1416418304922&from=DE. 23 Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, ABl. L 281/31, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/AUTO/?uri=CELEX:01995L0046- 20031120&qid=1416415236082; vgl. hierzu auch den Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, KOM(2012)11 endg., abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUri- Serv/LexUriServ.do?uri=COM:2012:0011:FIN:DE:PDF sowie den Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Aufdeckung, Untersuchung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr, KOM(2012) 10 endg., abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2012:0010:FIN:DE:PDF. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 206/14 Seite 11 kontrolliert werden. Darüber hinaus sind nur Sicherheitsscanner, die keine ionisierende Strahlung (Röntgenstrahlen) emittieren, in die Liste der erlaubten Methoden der Fluggastkontrolle aufgenommen worden. 4.2.3. Prämissen für eine gesetzlich verpflichtende Kontrolle von Fluggästen durch den Einsatz von Körperscannern Die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1147/2011 legt Regeln für den Einsatz von Sicherheitsscannern fest. Gemäß Nr. 4.1.1.10. Anhang Verordnung (EU) Nr. 185/2010 ist der Einsatz von Körperscannern für die Passagiere freiwillig bzw. von der Einwilligung der zu kontrollierenden Personen abhängig. Diese ist jedoch im Falle ihrer Ablehnung einer Untersuchung mit einem Körperscanner dazu verpflichtet, sich anderweitigen Sicherheitskontrollen zu unterziehen, die ebenso wirksam wie Körperscanner sind und bei denen die umfassende Achtung der Rechte und der Würde der zu kontrollierenden Personen gewährleistet wird. Dieser Ansatz, der auf der Freiwilligkeit der zu untersuchenden Person aufbaut, beruht auf der Erwägung, dass in diesem Fall Grundrechtsbedenken im Hinblick die Respektierung der Menschenwürde , den Datenschutz oder religiöse Überzeugungen ein wesentlich geringeres Gewicht zukommt.24 Eine gesetzlich verpflichtende Kontrolle von Fluggästen ausschließlich durch Körperscanner müsste dementsprechend begründen, dass sie – unter Berücksichtigung der Einschätzungsprärogative des europäischen Gesetzgebers – erforderlich ist und den von der Union anerkannten , dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen entspricht. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfordert, dass die Handlungen der Unionsorgane geeignet sind, die mit der fraglichen Regelung zulässigerweise verfolgten Ziele zu erreichen, und nicht die Grenzen dessen überschreiten , was zur Erreichung dieser Ziele geeignet und erforderlich ist.25 Vor diesem Hintergrund lässt sich im Hinblick auf die Erforderlichkeit einer gesetzlich verpflichtenden Kontrolle von Fluggästen ausschließlich durch den Einsatz von Körperscannern feststellen, dass Maßnahmen zum Schutz des Luftverkehrs und zur Vorbeugung terroristischer Handlungen zwar von größter Bedeutung für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit sind und dass ihre Wirksamkeit in hohem Maß von der Nutzung moderner Detektionstechniken abhängen kann.26 Eine solche dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung erscheint jedoch für sich genommen die Erforderlichkeit einer Untersuchungspflicht ausschließlich durch Ganzkörperscanner nicht rechtfertigen zu können. Ausweislich der derzeit im Anhang der Verordnung (EG) Nr. 272/2009 aufgeführten Verfahren für die Kontrolle von Personen gibt es zur Erreichung des Ziels gleich geeignete Mittel, die für den Betroffenen weniger einschneidend wirken. - Fachbereich Europa - 24 KOM(2010) 311 endg., Rn. 55. 25 St. Rspr., vgl. EuGH, Rs. C-343/09 (Afton Chemical), Rn. 45; EuGH, verb. Rs. C-581/10 und C-629/10 (Nelson u. a.), Rn. 71; EuGH, Rs. C-283/11 (Sky Österreich), Rn. 50; EuGH, Rs. C-101/12 (Schaible), Rn. 29. 26 Vgl. dementsprechend die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 23. Oktober 2008 (o. Fn. 13), Rn. 13 ff.