© 2014 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 195/14 Fragen zur direkten Bankenrekapitalisierung durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 195/14 Seite 2 Fragen zur direkten Bankenrekapitalisierung durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 195/14 Abschluss der Arbeit: 31. Oktober 2014 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 195/14 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Derzeitige Ausgestaltung der Haftung und der möglichen Finanzhilfen für Banken 4 2.1. Haftung 4 2.2. Bankenrekapitalisierung 5 3. Pläne zur Einrichtung eines Instruments zur direkten Bankenrekapitalisierung 5 3.1. Hintergründe 5 3.2. Derzeitiger Stand der Ausgestaltung der direkten Bankenrekapitalisierung 6 3.2.1. Konditionalität 7 3.2.2. Empfänger der Finanzhilfen 7 3.2.3. Ausgestaltung der Rekapitalisierung (Haftungskaskade) 7 4. Folgerungen für die Haftung des Sitzstaates 8 5. Ergebnis 9 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 195/14 Seite 4 1. Fragestellung Die Fragestellung geht von der Annahme aus, dass Verluste des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) insbesondere dann denkbar seien, wenn ein Mitgliedstaat, der Finanzhilfen empfangen hat, seinen turnusmäßigen Rückzahlungen bzw. Zinszahlungen im Innenverhältnis gegenüber dem ESM nicht nachkommt, der ESM jedoch im Außenverhältnis gegenüber seinen Gläubigern Refinanzierungskosten seiner Finanzhilfeinstrumente zu tragen hat und beispielsweise zur Zahlung von Zinsen auf Anleihen verpflichtet ist. Im Rahmen der geplanten direkten Bankenrekapitalisierung durch den ESM komme dem Sitzstaat des betroffenen Finanzinstituts insofern eine besondere Aufgabe zu, dass er die direkte Bankenrekapitalisierung koordinieren muss. Vor diesem Hintergrund geht die Ausarbeitung auf die Frage ein, welche Folgen daran anknüpfen, wenn ein Finanzinstitut abgewickelt werden muss, dass vorher eine Finanzhilfe im Rahmen des Instruments der direkten Bankenrekapitalisierung vom ESM erhalten hat. Wäre in einem solchen Fall der ESM-Mitgliedstaat, in dem das betroffene Finanzinstitut seinen Sitz hat, in einer besonderen Haftungsposition, haftet der Staat gemäß dem ESM-Kapitalschlüssel oder haftet er gar nicht? 2. Derzeitige Ausgestaltung der Haftung und der möglichen Finanzhilfen für Banken 2.1. Haftung Die Grundlage der gegenwärtigen Haftung der ESM-Vertragsstaaten bildet das genehmigte Stammkapital, das die ESM-Anteilseigner nach einem in Anhang I des ESM-Vertrages (ESMV) festgelegten Schlüssel bereitstellen, der sich an den Anteilen dieser Staaten am EZB-Kapital orientiert .1 Die Haftung der ESM-Mitgliedstaaten ist dabei unter allen Umständen auf ihren Anteil am genehmigten Stammkapital begrenzt (Art. 8 Abs. 5 S. 1 ESMV). Diese Beschränkung gilt absolut und für alle Arten von Kapitalabrufen, insbesondere auch jenen nach Art. 9 ESMV oder Art. 25 ESMV. Erleidet der ESM Verluste, so werden diese durch den Rückgriff auf den Reservefonds und das eingezahlte Kapital ausgeglichen. Das Direktorium des ESM kann in diesem Fall mit einfacher Mehrheit nicht eingezahltes Kapital abrufen, um bei Verlusten die Höhe des eingezahltem Kapitals wiederherzustellen (Art. 9 Abs. 2 ESMV). In dem Fall, dass die Mittel des Reservefonds und das eingezahlte Kapital nicht ausreichen, um die Verluste des ESM auszugleichen, kann der Geschäftsführende Direktor des ESM nicht eingezahltes Kapital abrufen, um die Zahlungsfähigkeit des ESM sicherzustellen (Art. 9 Abs. 3 ESMV). Art. 25 Abs. 2 ESMV sieht vor, dass für den Fall, dass ein ESM-Mitgliedstaat seiner Verpflichtung zur Einzahlung seines Kapitals nicht nachkommt , dies zeitweilig auch die anderen Staaten – zur Sicherstellung der Funktionsfähigkeit des ESM – anteilig auszugleichen haben. Auch in diesen Fällen bleibt die Haftung der ESM-Mitgliedstaaten unter allen Umständen auf ihren Anteil am genehmigten Stammkapital begrenzt (Art. 8 Abs. 5 S. 1 ESMV). 1 BGBl. 2012 II S. 981. Der Anteil Deutschlands beträgt 27,1464 %, dies entspricht rund 22 Mrd. Euro einzuzahlendem und rund 168 Mrd. Euro abrufbarem Kapital. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 195/14 Seite 5 2.2. Bankenrekapitalisierung Für seine Aufgabe der Bereitstellung von Stabilitätshilfen stehen dem ESM derzeit fünf verschiedene Finanzhilfeinstrumente zur Verfügung (Art. 14–18 ESMV). Alle Instrumente dürfen nur dann gewährt werden, wenn die grundlegenden Bedingungen des Art. 3 ESMV, strenge Konditionalität und die Gefährdung der Finanzstabilität, vorliegen (Art. 12 Abs. 1 S. 1 ESMV). Dies impliziert die Notwendigkeit der Ausschöpfung aller alternativen Möglichkeiten der Krisenbewältigung , bevor als ultima ratio eine Stabilitätshilfe in Betracht kommt.2 Die Gestaltung der konkreten Bedingungen und Auflagen orientiert sich an der Angemessenheit im Hinblick auf das jeweilige Finanzhilfeinstrument (Art. 12 Abs. 1 S. 1 ESMV). Der ESM-Vertrag sieht bislang lediglich die Möglichkeit vor, Finanzinstitute indirekt über ESM- Finanzhilfen an den betreffenden Mitgliedstaat zu rekapitalisieren (Art. 15 ESM-Vertrag). Liegen die Schwierigkeiten eines Mitgliedstaats vorwiegend im Bankensektor, kann dieser ein Darlehen zur indirekten Rekapitalisierung von Kreditinstituten beantragen (Art. 15 ESMV). Hierzu muss der betroffene Mitgliedstaat eine solide Finanz- und Wirtschaftspolitik nachweisen und darlegen, dass weder Privatsektorlösungen noch eine Rekapitalisierung der Institute durch eigene Mittel möglich sind (Art. 3 Abs. 1 und 3 ESM Guideline on Financial Assistance for the Recapitalisation of Financial Institutions3 (im Folgenden: Guideline). Der ESMV sieht vor, dass diese Finanzhilfe nicht direkt vom ESM an ein Finanzinstitut, sondern als Darlehen an einen Mitgliedstaat gewährt und ausgezahlt wird. Dieser bleibt für die Rückzahlung und für die Einhaltung der vereinbarten bankensektor- und institutsspezifischen Auflagen verantwortlich. Eine Überwachung der Umsetzung der Auflagen erfolgt durch die Kommission im Benehmen mit der EZB und den europäischen Aufsichtsbehörden (Art. 5 Abs. 2 S. 1 Guideline). 3. Pläne zur Einrichtung eines Instruments zur direkten Bankenrekapitalisierung 3.1. Hintergründe Der ESMV sieht derzeit keine direkte Rekapitalisierung von Banken vor. In Artikel 19 des ESM- Vertrags ist jedoch vorgesehen, dass der Gouverneursrat die Liste der vorgesehenen Finanzhilfeinstrumente überprüfen und aufgrund einvernehmlicher Entscheidung nach Art. 5 Abs. 6 lit. i) des ESMV Änderungen vornehmen kann.4 Im Hinblick auf diese Option haben die Staats- und Regierungschefs der Eurozone am 29. Juni 2012 im Grundsatz beschlossen, die Handlungsmöglichkeiten des ESM um das Instrument der 2 Stellungnahme der EZB v. 17. 3. 2011, CON/2011/24, ABl. EU Nr. C 140 v. 11. 5. 2011, S. 8. 3 Abrufbar unter http://www.esm.europa.eu/pdf/ESM%20Guideline%20on%20recapitalisation%20of%20financial %20institutions.pdf. 4 Gemäß Art. 2 Abs. 2 ESMV-Ratifizierungsgesetz ist vor dem Beschluss des ESM-Gouverneursrats nach Art. 19 ESMV eine Ermächtigung des deutschen Vertreters durch ein vom Bundestag zu beschließendes Gesetz erforderlich . Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 195/14 Seite 6 direkten Bankenrekapitalisierung zu erweitern.5 Die direkte Bankenrekapitalisierung durch den ESM soll erst möglich sein, wenn eine Zusammenführung von Haftung und Kontrolle durch die Einführung einer effektiven, europäischen Bankenaufsicht gewährleistet ist.6 Dementsprechend haben die Mitglieder des Euro-Währungsgebiets ebenfalls am 29. Juni 2012 beschlossen, einen einheitlichen Bankenaufsichts- und Abwicklungsmechanismus unter Führung der Europäischen Zentralbank (EZB) einzurichten.7 Zur Vorbereitung des erforderlichen Beschlusses des ESM-Gouverneursrates gemäß Art. 19 ESMV hat sich die Eurogruppe am 20. Juni 2013 auf die wesentlichen Eckpunkte (sog. main features ) des geplanten neuen ESM-Finanzhilfeinstruments der direkten Bankenrekapitalisierung verständigt und den Rahmen für die weiteren Verhandlungsschritte gesetzt. Die Finanzminister der Eurozone einigten sich u. a. auf die Begrenzung der Mittel für die direkte Bankenrekapitalisierung auf 60 Mrd. Euro, auf die Grundvoraussetzungen für die Hilfegewährung,8 eine angemessene Lastenteilung9 sowie auf die Möglichkeit einer rückwirkenden Anwendung des Instruments. Derzeit wird weiterhin über die Ausgestaltung der Leitlinien verhandelt, in denen die Durchführungsmodalitäten der Finanzhilfe in Form einer direkten Rekapitalisierung von Instituten, einschließlich insbesondere der Anspruchsvoraussetzungen für das ersuchende ESM-Mitglied und das betreffende Institut sowie der Zuweisung spezifischer Aufgaben an den Geschäftsführenden Direktor, die Europäische Kommission, die EZB und gegebenenfalls den IWF festgelegt werden.10 3.2. Derzeitiger Stand der Ausgestaltung der direkten Bankenrekapitalisierung Der Vorschlag für einen Beschluss nach Art. 19 ESMV nimmt ausdrücklich auf die Voraussetzungen der Art. 3, 12 und 13 ESM-Vertrag (Zweck des ESM, ultima Ratio-Grundsatz, Konditionalität , Antrag durch ESM-Mitgliedstaat) Bezug. Die Gewährung von Stabilitätshilfen in 5 Gipfelerklärung der Mitglieder des Euro-Währungsgebietes vom 29. Juni 2012, abrufbar unter http://www.consilium .europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/de/ec/131365.pdf. 6 Gipfelerklärung der Mitglieder des Euro-Währungsgebietes vom 29. Juni 2012, abrufbar unter http://www.consilium .europa.eu/uedocs/cms_data/docs/pressdata/de/ec/131365.pdf. 7 Vgl. hierzu BT-Drs. 18/2576 und BT-Drs. 18/2575. 8 Antrag des betroffenen ESM-Mitgliedstaats, die Systemrelevanz des zu rekapitalisierenden Finanzinstituts sowie die Konditionalität von Leistung und Gegenleistung. 9 Sog. Haftungskaskade und Gläubigerbeteiligung („Bail-in“). 10 Zu den Leitlinien vgl. BT-Drs. 18/2577, S. 11 sowie das Übermittlungsschreiben des BMF vom 25. September 2014: Durchführungsbestimmungen zum Instrument der direkten Bankenrekapitalisierung durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM); Beteiligung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages gemäß ESMFinG, EUFIN 279/2014, sowie die Anlagen hierzu. Die Leitlinien können vom ESM-Direktorium erst verabschiedet werden, nachdem der Haushaltsausschuss des Bundestages zugestimmt hat (§ 5 Abs. 2 Nr. 3 ESM- FinG). Zudem wird im Zuge der Einrichtung des neuen ESM-Finanzhilfeinstruments eine Modifikation des ESMFinG, vgl. BT-Drs. 18/2577. 11 . Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 195/14 Seite 7 Form der direkten Rekapitalisierung von Finanzinstituten durch den ESM setzt voraus, dass das betreffende Institut der Aufsicht durch die EZB unterliegt. 3.2.1. Konditionalität Entsprechend Art.3 und 12 ESMV soll die Gewährung einer Finanzhilfe in der Form der direkten Rekapitalisierung von Finanzinstituten nur auf Antrag eines ESM-Mitgliedstaats und entsprechend Art. 12 des ESMV unter strengen Auflagen erfolgen. Hierbei ist gemäß Art. 1 Abs. 4 des Leitlinienentwurfs zwischen (finanz-)sektorspezifischer, makro-ökonomischer und einer institutionsspezifischen Konditionalität zu unterscheiden. Die Auflagen im Sinne von Art. 12 ESMV werden in Vereinbarungen mit dem antragstellenden Mitgliedstaat in Form eines Memorandum of Understanding (MoU, Art. 4 Abs. 7 a) Leitlinienentwurf) sowie mit den jeweils unterstützten Finanzinstituten (beispielsweise im Hinblick auf Fragen der Vergütung des Managements oder die Dividendenpolitik des Instituts) festgeschrieben. Die Auflagen werden in einer Vereinbarung zwischen ESM, dem betroffenen ESM-Mitgliedstaat und dem Institut verbindlich geregelt. Für die Erfüllung dieser Auflagen ist der antragstellende Staat verantwortlich. 3.2.2. Empfänger der Finanzhilfen Gemäß Art. 12 Abs. 1 ESMV kann der ESM nur einem ESM-Mitglied Stabilitätshilfe zur Wahrung der Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets und unter strengen Auflagen gewähren. ESM-Mitglieder sind nach Art. 1 Abs. 2 ESM-Vertrag ausschließlich die ESM-Vertragsparteien, d.h. die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets. Vor diesem Hintergrund ist in Art. 4 Abs. 1 und 3 des Leitlinienentwurfs festgelegt, dass auch bei der direkten Bankenrekapitalisierung der betroffene ESM-Mitgliedstaat die Stabilitätshilfe zur Rekapitalisierung eines Finanzinstituts erhält („…financial assistance to the benefit of the ESM Member.“). Mit dem neuen Instrument sollen – anders als bei der indirekten Bankenrekapitalisierung – die zur Stützung eines betroffenen Finanzinstituts verwandten ESM-Mittel nicht auf die Staatsverschuldung des jeweiligen ESM-Mitgliedstaats angerechnet werden. Während die in Art. 15 ESMV bereits vorgesehene Finanzhilfe zur indirekten Rekapitalisierung von Finanzinstituten voraussetzt, dass diese einem ESM-Mitglied gewährt wird, welcher die erhaltenen Hilfszahlungen an die hilfebedürftigen Finanzinstitute oder an einen staatlichen Bankenrestrukturierungsfonds weiterreicht, soll das geplante Instrument der direkten Bankenrekapitalisierung so ausgestaltet sein, dass die Hilfeleistungen ohne eine Belastung des jeweiligen Staatshaushalts direkt einem in Not geratenen Kreditinstitut vom ESM zur Verfügung gestellt werden können. Mit Blick auf die Vorgabe des Art. 12 Abs. 1 ESMV soll dies dadurch erreicht werden, dass der ESM als für den antragstellenden ESM-Mitgliedstaat handelnder Beauftragter (Art. 4 Abs. 4 S. 2 Leitlinienentwurf ) die Stabilitätshilfe direkt an das Finanzinstitut im Wege der Rekapitalisierung ausreicht , um auf diese Weise das Ziel zu erreichen, die Kreditwürdigkeit des betreffenden Staates durch die Rettung einer systemrelevanten Bank nicht zu gefährden. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass die Rekapitalisierung des betroffenen Instituts zu einer Erhöhung der Staatsschuld des jeweiligen ESM-Mitglieds führt. 3.2.3. Ausgestaltung der Rekapitalisierung (Haftungskaskade) Bevor es zu einer direkten Bankenrekapitalisierung durch den ESM kommt, müssen zunächst private Kapitalquellen herangezogen und seitens der Anteilseigner und der Gläubiger hinreichende Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 195/14 Seite 8 Beiträge geleistet werden (Bail-in, Art. 8 Leitlinienentwurf); im Anschluss würde zunächst der im Rahmen des einheitlichen Abwicklungsmechanismus geschaffene Fonds zur Rekapitalisierung herangezogen werden.12 Zudem muss der betreffende ESM-Mitgliedstaat gemäß Art. 9 des Leitlinienentwurfs einen eigenen finanziellen Beitrag zur Rekapitalisierung zu leisten. Im Übrigen soll sich die erforderlichenfalls anschließende Lastenteilung zwischen dem ESM und dem betroffenen Mitgliedstaat so gestalten, dass der Mitgliedstaat seine Finanzinstitute zunächst selbst rekapitalisieren muss, bis ein hartes Kernkapital von 4,5 % erreicht ist (Common Equity Tier 1). Erst wenn diese Quote erfüllt ist, kommen direkte Bankenhilfen aus dem ESM in Betracht . Wenn ein Finanzinstitut die Quote von 4,5 % an hartem Kernkapital bereits erreicht, muss der Mitgliedstaat gleichwohl noch einen Eigenbetrag leisten: in den ersten beiden Jahren nach dem Inkrafttreten des neuen Instruments in Höhe von 20 % des gesamten öffentlichen Beitrags, danach in Höhe von 10 %. Damit sollen die „Bail-in-Grundsätze“ der künftigen Abwicklungsrichtlinie für die direkte Bankenrekapitalisierung an gelten.13 Im Hinblick auf Haftungsfragen ist schließlich zu berücksichtigen, dass der ESM durch die unmittelbare Übernahme privater Bankrisiken eine andere Rolle als bei der Anwendung der sonstigen ESM-Hilfsinstrumente haben soll, wo er rechtlich und wirtschaftlich ausschließlich zu einem ESM-Mitgliedstaat in Beziehung tritt. 4. Folgerungen für die Haftung des Sitzstaates Vor dem Hintergrund der im ESMV vorgesehenen Haftungsverteilung einerseits und der projektierten Ausgestaltung des Instruments der direkten Bankenrekapitalisierung befindet sich das ESM-Mitglied, in dem das hilfeempfangende Institut seinen Sitz hat, nicht in einer Haftungsposition , die von seiner sonstigen Haftung als ESM-Vertragsstaat abweicht. Denn die Haftung für Verluste, die aus einer direkten Bankenrekapitalisierung folgen können, erfolgt nicht auf Grundlage der Leitlinien, sondern im Rahmen des ESMV. Die Einführung des neuen Hilfeinstruments ändert nicht die in Art. 25 ESMV festgelegte Haftung der ESM-Mitglieder. Dementsprechend bleibt auch der Sitzstaat wie alle übrigen Vertragsstaaten in seiner Haftung bspw. durch Kapitalabrufe für mögliche Verluste des ESM. Dies verdeutlicht zunächst der Umstand, dass das neue Instrument auf Grundlage von Art. 19 ESMV eingerichtet wird. Dies bedeutet, dass der ESMV und damit auch die Haftungsbedingungen des ESMV unverändert bleiben. 12 Verordnung (EU) Nr. 806/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Juli 2014 zur Festlegung einheitlicher Vorschriften und eines einheitlichen Verfahrens für die Abwicklung von Kreditinstituten und bestimmten Wertpapierfirmen im Rahmen eines einheitlichen Abwicklungsmechanismus und eines einheitlichen Abwicklungsfonds sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010, ABl. L 225/1, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32014R0806&from=DE sowie den Entwurf eines Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 21. Mai 2014 über die Übertragung von Beiträgen auf den einheitlichen Abwicklungsfonds und über die gemeinsame Nutzung dieser Beiträge, BT-Drs. 18/1576. Zu den Einzelheiten hierzu vgl. Referat PE 2, EU-Sachstand „Das zwischenstaatliche Abkommen zur Abwicklungsfinanzierung in der Bankenunion („Intergovernmental Agreement“ – IGA)“ vom 30. September 2014. 13 Vgl. Referat PE 2, EU-Sachstand „Direkte Bankenrekapitalisierung durch den ESM“ vom 20. März 2014. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 195/14 Seite 9 Durch die Einführung des Instruments der direkten Bankenrekapitalisierung entsteht auch keine neue, über die grundsätzliche Haftung für den ESM hinausgehende Haftungsposition. Zwar handelt der ESM während des gesamten Verfahrens als Beauftragter des ESM-Mitglieds und dieses ist formal die um Hilfe ersuchende Entität. Zudem ist das ESM-Mitglied zur Durchsetzung der Auflagen sowie der Durchführung der weiteren Reformen verpflichtet. Es ist jedoch – anders als im Fall der indirekten Bankenrekapitalisierung – nicht Schuldner der Finanzhilfe. Die Hilfegewährung erfolgt durch direkte Zahlung an das Institut auf Antrag des Sitzstaates. Dementsprechend entstehen einerseits eine besondere Rechtsbeziehung zwischen dem ESM und dem Mitgliedstaat u.a. im Hinblick auf die Auflagen, andererseits entsteht durch die Vereinbarung über eine Finanzhilfefazilität eine gesonderte, auf Rückzahlung gerichtete Vereinbarung zwischen dem ESM und dem Hilfe empfangenden Institut. Eine Rechtsbeziehung zwischen dem ESM-Mitglied und dem ESM im Hinblick auf die Rückzahlung der Hilfeleistung entsteht hingegen nicht. Das durch die Haftungskaskade14 begrenzte Rückzahlungs- und damit auch das Insolvenzrisiko wird vielmehr vom ESM – mithin von der Gesamtheit der ESM-Vertragsstaaten – getragen und nicht ergänzend durch den Finanzhilfen beantragenden Sitzstaat. Dass im Rahmen der direkten Bankenrekapitalisierung keine besondere Haftungsposition für den betreffenden Mitgliedstaat entsteht, entspricht gerade dem Sinn und Zweck der Einführung des neuen Hilfsinstruments. Denn anders als im Fall der indirekten Bankenrekapitalisierung soll mit der Hilfeleistung keine Erhöhung der Staatsschuld des betreffenden Staates durch die Rückzahlungsansprüche des ESM einhergehen. 5. Ergebnis Aus der im ESMV Haftungsverteilung einerseits sowie dem in den ausgestaltenden Leitlinien vorgesehenen Verfahren direkten Bankenrekapitalisierung andererseits ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der ESM-Mitgliedstaat in einer besonderen Haftungsposition wäre, wenn ein auf seinem Gebiet ansässige Finanzinstitut abgewickelt werden muss, obgleich es zuvor ESM- Hilfen empfangen hat. 14 Siehe oben 3.2.3.