WD 11 – 3000 – 194/10 Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag Ausarbeitung Vereinbarkeit der Atomgesetznovellen mit Europarecht Bestehen einer Meldepflicht gegenüber der EU-Kommission WD 11 – 3000 – 194/10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 2 WD 11 – 3000 – 194/10 Vereinbarkeit der Atomgesetznovellen mit Europarecht Bestehen einer Meldepflicht gegenüber der EU-Kommission Aktenzeichen: WD 11 – 3000 – 194/10 Abschluss der Arbeit: 16. September 2010 Fachbereich: WD 11: Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. WD 11 – 3000 – 194/10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 3 WD 11 – 3000 – 194/10 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Europarechtliche Grundlagen 4 2.1. Die Europäische Atomgemeinschaft (Euratom) 4 2.2. Subsumtion unter Art. 37 Euratom-Vertrag 5 2.2.1. Ableitung radioaktiver Stoffe 5 2.2.2. Plan einer Ableitung 5 2.2.3. Änderung eines Plans 7 2.2.4. Zeitpunkt der Mitteilungspflicht 8 2.3. Mitteilungspflicht nach Art. 33 Euratom-Vertrag 8 2.4. Sekundärrechtliche Vorschriften 9 3. Beihilfenrechtliche Aspekte 9 3.1. Euratom-Vertrag 10 3.2. Art. 107 AEUV 10 4. Mitteilungspflicht der Änderung von Sicherheitsauflagen 11 4.1. Wesentlicher Inhalt der Richtlinie 11 4.2. Berichtspflichten 12 5. Ergebnis 12 WD 11 – 3000 – 194/10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 4 WD 11 – 3000 – 194/10 1 . E i n l e i t u n g Die Bundesregierung plant zwei Änderungsgesetze zum Atomgesetz. Mit der 11. Novelle zum Atomgesetz soll die beschlossene Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke gesetzlich geregelt werden; die 12. Novelle, mit der die Richtlinie 2009/71/Euratom vom 25. Juni 2009 über einen Gemeinschaftsrahmen für die nukleare Sicherheit kerntechnischer Anlagen umgesetzt werden soll, betrifft Anforderungen hinsichtlich der Sicherheit. Einzelheiten dieser Novellen sind bisher nicht bekannt. Eine rechtliche Prüfung kann daher nur abstrakt und kursorisch erfolgen. 2 . Europarechtliche Grundlagen 2.1. Die Europäische Atomgemeinschaft (Euratom) Euratom wurde durch die Römischen Verträge 1957 als selbständige Organisation neben der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) gegründet. Ziel war, die Bildung und Entwicklung von Kernenergie in Europa zur Sicherung der Energieversorgung voranzutreiben. Gleichzeitig sollte durch einheitliche Sicherheitsstandards und durch strenge Bestimmungen zur Handhabung von spaltbarem Material ein größtmöglicher Schutz der Bevölkerung gewährleistet werden. Dementsprechend beinhaltet der Euratom-Vertrag Regelungen zur Forschungsförderung, zum Gesundheitsschutz und zur Überwachung der Sicherheit. Der Euratom-Vertrag überträgt der Gemeinschaft keine ausschließliche Zuständigkeit. Die Nutzung der Kernenergie verbleibt im Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten, insbesondere bleibt es ihnen überlassen, inwieweit sie Atomstrom nutzen wollen.1 Die Mitgliedstaaten unterliegen jedoch gewissen Meldepflichten. So sollen sie die Kommission über ihre Kernforschungsprogramme unterrichten (Art. 16 Euratom-Vertrag). Jeder Mitgliedstaat ist verpflichtet, allgemeine Angaben über jeden Plan zur Ableitung radioaktiver Stoffe zu übermitteln (Art. 37 Euratom- Vertrag). Sollte die Gefahr bestehen, dass es dadurch zu Auswirkungen in den Hoheitsgebieten anderer Mitgliedstaaten kommt, ist die Zustimmung der Kommission erforderlich. Außerdem sollen die Mitgliedstaaten Entwürfe von Übereinkommen, die sie mit Drittstaaten abschließen, der Kommission übermitteln (Art. 103 Euratom-Vertrag), da grundsätzlich solche Abkommen auf Ebene der Euratom abgeschlossen werden sollen. Von Bedeutung ist hier Art. 37 Euratom-Vertrag. Dieser lautet: „Jeder Mitgliedstaat ist verpflichtet, der Kommission über jeden Plan zur Ableitung radioaktiver Stoffe aller Art die allgemeinen Angaben zu übermitteln, aufgrund deren festgestellt werden kann, ob die Durchführung dieses Plans eine radioaktive Verseuchung des Wassers, des Bodens oder des Luftraums eines anderen Mitgliedstaats verursachen kann. Die Kommission gibt nach Anhörung der in Artikel 31 genannten Sachverständigengruppe innerhalb einer Frist von sechs Monaten ihre Stellungnahme ab.“ WD 11 – 3000 – 194/10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 5 WD 11 – 3000 – 194/10 Als Auslegungshilfe für diesen Artikel hat die Kommission 1999 eine Empfehlung2 bekanntgegeben . Empfehlungen gehören zu den nicht verbindlichen Rechtsakten der Europäischen Union,3 dennoch kommen ihnen eine große praktische und politische Bedeutung zu.4 2.2. Subsumtion unter Art. 37 Euratom-Vertrag Zu prüfen ist, inwiefern Art. 37 Euratom-Vertrag auf den vorliegenden Sachverhalt Anwendung findet. 2.2.1. Ableitung radioaktiver Stoffe Die Empfehlung der Kommission definiert Ableitung als „jede geplante Entsorgung oder unvorhergesehene Freisetzung radioaktiver Stoffe in gasförmiger, flüssiger oder fester Form in der bzw. in die Umwelt“, die mit dem Betrieb von Kernreaktoren, der Lagerung von bestrahltem Kernbrennstoff und von radioaktiven Abfällen in Zusammenhang steht (Ziffern 1.1, 1.6 und 1.8 der Empfehlung). Der Betrieb von Kernkraftwerken bringt die Notwendigkeit der Entsorgung radioaktiver Stoffe mit sich; diese Notwendigkeit wird bei einem fortgesetzten Betrieb der deutschen Kernkraftwerke bestehen bleiben. Wie aus dem Bericht zu den Stellungnahmen der Kommission nach Art. 37 Euratom-Vertrag in der Zeit von Juli 1994 bis Dezember 20035 und den bisher erfolgten Stellungnahmen insgesamt ersichtlich ist, führen nur irreguläre Vorgänge – soll heißen: Vorgänge, die über den normalen Ablauf eines Kernkraftwerks in Betrieb hinausgehen – zu einer Meldepflicht nach Art. 37 Euratom-Vertrag. Solche Vorgänge sind insbesondere die Abschaltung und der Abbau eines Kernkraftwerks, die Erweiterung einer Anlage sowie die Zwischenlagerung von radioaktivem Abfall auf dem Gelände des Kraftwerks.6 Der Betrieb des Kraftwerks als solches wird bereits zum Zeitpunkt des Genehmigungsverfahrens für den Bau notifiziert. 2.2.2. Plan einer Ableitung Fraglich ist jedoch, ob die Entsorgung dieser radioaktiven Stoffe, die durch die Verlängerung der Laufzeit anfallen werden, jetzt geplant ist bzw. wird. Die deutschen Atomkraftwerke wurden erst nach der Gründung von Euratom gebaut. Für ihre Inbetriebnahme und den geplanten Betrieb (sowohl in Bezug auf die Größe des Kraftwerks als auch in Bezug auf die Laufzeit) musste das 2 Empfehlung der Kommission vom 6. Dezember 1999 zur Anwendung des Artikels 37 des Euratom-Vertrages (1999/829/Euratom). 3 Vgl. Art. 288 Abs. 5 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union. 4 Vgl. Streinz, Rudolf, Europarecht, Heidelberg 2005, Rn. 496. 5 Bericht der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament – Bericht über die Durchführung des Artikels 37 des Euratom-Vertrags von Juli 1994 bis Dezember 2003, KOM(2005) 85 endg.; die Anhänge sind im SEK- Dokument SEK(2005) 343 (Ratsdokument 7353/05) enthalten. 6 SEK(2005) 343, Annex III, S. 30 ff. In dem genannten Zeitraum wurden für deutsche Kernkraftwerke (ausgenommen die Anlagen zu Forschungszwecken) elf Stellungnahmen der Kommission eingeholt, die noch betriebene Kernkraftwerke betrafen. Alle bezogen sich auf die Zwischenlagerung von bestrahlten Kernbrennstoffen. WD 11 – 3000 – 194/10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 6 WD 11 – 3000 – 194/10 Verfahren des Art. 37 Euratom-Vertrag bereits damals eingehalten werden. Eine Begrenzung der Laufzeit war nicht vorgesehen.7 Das bedeutet, dass die damalige Stellungnahme der Kommission grundsätzlich auch die mit einem zeitlich unbegrenzten Betrieb verbundenen üblichen Vorgänge umfasst haben muss. Erst mit dem sog. Atomkonsens im Jahr 2000 wurde eine Stilllegung der deutschen Atomkraftwerke beschlossen. Erst dann änderte sich auch die Zielsetzung der deutschen Atompolitik: weg von der Förderung der friedlichen Nutzung hin zu ihrer geordneten Beendigung (§ 1 Atomgesetz ). Damals wurden erstmalig die Restlaufzeiten der einzelnen Kraftwerke festgelegt. Da aber die Betreiber die zugeteilten Strommengen auf andere Kraftwerke übertragen können, liegt das tatsächliche Abschaltdatum der Kraftwerke weiterhin im Ungewissen. Der Abbruch eines Atomkraftwerkes fällt zwar ebenso wie der Betrieb in den Anwendungsbereich des Art. 37 Euratom-Vertrag.8 Die Übermittlung der „allgemeinen Angaben“ ist aber erst ein Jahr vor Erteilung der Genehmigung für den Betreiber erforderlich,9 nicht schon dann, wenn der gesetzgeberische Beschluss zum zukünftigen Verzicht auf Kernkraft gefasst wird. Aus diesem Umstand kann geschlossen werden, dass im Rahmen von Euratom bisher noch keine Mitteilungspflicht über die Stilllegung der Kraftwerke, die nach dem Atomkonsens als erstes vom Netz genommen werden sollten, im Sinne von Art. 37 Euratom-Vertrag bestanden hat, da der Artikel nicht greift, wenn erst ein abstrakter Beschluss – selbst wenn in Gesetzesform – getroffen wird, sondern erst, wenn es um die Genehmigung für den Abbau eines konkreten Kraftwerks geht. Entsprechend sind auch bisher keine durch das Ausstiegsgesetz bedingten Notifizierungsverfahren durchgeführt worden. Die jetzt beschlossene Laufzeitverlängerung ist im Grunde eine Rückkehr zum damaligen Stand einer zeitlich nicht befristeten Laufzeit der Kraftwerke. Aus Sicht der Euratom dürfte es keinen Unterschied machen, ob ein Kraftwerk, dessen Stilllegung zwar politisch beschlossen war, aber noch nicht begonnen wurde, dann doch noch weiterhin betrieben wird. Den Sicherheitsbedenken , die der Betrieb eines Atomkraftwerkes begegnet, ist aus Sicht der Euratom durch die Überwachung der Sicherheit nach Kapitel VII des Euratom-Vertrages, beispielsweise durch die Entsendung von Inspektoren, genüge getan. Ein im Auftrag von Greenpeace Deutschland e. V. erstelltes Gutachten11 kommt zu dem Ergebnis, dass die geplante Gesetzesänderung eine Mitteilungspflicht bereits jetzt auslöst. Der Verfasser ist 7 Vgl. §§ 7, 17 Abs. 1 Atomgesetz, die ausdrücklich eine Befristung der Genehmigung zum Betrieb eines Atomkraftwerkes untersagen. 8 Vgl. Ziff. 1.9 der Empfehlung. 9 Vgl. Ziff. 5.1 der Empfehlung. 11 Wollenteit, Ullrich, Kurzgutachten zu der Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland, vor einer gesetzlichen Verlängerung der Laufzeiten deutscher Atomkraftwerke ein Mitteilungsverfahren nach Art. 37 des Euratom- Vertrages durchzuführen, abrufbar unter http://www.greenpeace.de/fileadmin/gpd/userupload/themen/atomkraft/RechtsgutachtenMeldepflicht.pdf (Stand: 08.09.2010). 1 Vgl. den Erwägungspunkt 9 der Richtlinie 2009/71/Euratom vom 25. Juni 2009 über einen Gemeinschaftsrahmen für die nukleare Sicherheit kerntechnischer Anlagen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 7 WD 11 – 3000 – 194/10 der Ansicht, dass durch die Laufzeitverlängerung „über das bisher zugelassene Maß hinaus weitere Ableitungen radioaktiver Stoffe in die Umwelt erfolgen werden“12. Diese seien „bis dahin nicht gestattet“ gewesen.13 Dem kann m.E. nicht zugestimmt werden: Ursprünglich, also bei dem Mitteilungsverfahren für die Inbetriebnahme der Kraftwerke, wurden, so ist zu vermuten, die Angaben gemacht, die sich auf die Ableitung radioaktiver Stoffe bei normalen Betrieb während der voraussichtlichen Laufzeit des Kraftwerkes beziehen.14 Durch die jetzige Laufzeitverlängerung ändert sich, da bis 2000 keine Fristen für den Betrieb der Atomkraftwerke galten, an der ursprünglichen Planung nichts oder doch nur wenig. Eine generelle Stilllegung der Atomkraftwerke in Deutschland, der „Atomausstieg“, wurde ja erst nachträglich beschlossen. Der Beschluss , die Kernkraftwerke doch länger in Betrieb zu halten, ist lediglich der Ausstieg vom Atomausstieg, der bezüglich des Betriebes der Kraftwerke zu keiner im Vergleich zum ursprünglichen Konzept erhöhten Ableitung radioaktiver Stoffe führt.15 Das Gutachten bezieht sich aber lediglich auf die Situation seit dem Atomkonsens, ohne zu berücksichtigen, dass für den Betrieb der Atomkraftwerke bereits ein Verfahren nach Art. 37 Euratom-Vertrag durchgeführt worden war, als die Genehmigungen zum Betrieb der Anlagen ohne zeitliche Befristung erteilt werden sollten. 2.2.3. Änderung eines Plans Fraglich ist, ob die Laufzeitverlängerung als Änderung eines bestehenden Plans zur Ableitung radioaktiver Stoffe angesehen werden kann. Ziff. 4.1.a der Empfehlung lautet: „Will ein Mitgliedstaat einen Plan zur Ableitung radioaktiver Stoffe ändern, zu dem eine Stellungnahme im Rahmen des Artikels 37 bereits erfolgt ist, so sind die allgemeinen Angaben mit mindestens den in einem Einheitsformblatt nach Anhang 4 aufgeführten Informationen dann vorzulegen, wenn die Genehmigungswerte oder die entsprechenden Erfordernisse für die Ableitung radioaktiver Stoffe weniger streng sind als in dem bestehenden Plan oder wenn die möglichen Folgen des im Genehmigungsverfahren bewerteten Referenzunfalls schwerwiegender sind.“ Abzustellen ist nach der hier vertretenen Ansicht auf den Plan, wie er bei Inbetriebnahme der Kraftwerke bestanden hat. Eine Mitteilungspflicht würde dann nur bestehen, wenn durch die Laufzeitverlängerung weniger strenge Vorgaben eingeführt würden, als die ursprüngliche Genehmigung voraussetzte. Ist dies nicht der Fall und bedarf die Änderung des Plans auch keiner erneuten Genehmigung durch die staatliche Behörde, kann die Kommission die Vorlage der all- 12 Wollenteit, Kurzgutachten, S. 7. 13 Wollenteit, Kurzgutachten, S. 8. 14 Vgl. das Formblatt zu den nach Art. 37 Euratom-Vertrag erforderlichen allgemeinen Angaben in Anhang 1 der Empfehlung , die aber erst 1999 veröffentlicht wurde. Die Empfehlung basiert auf älteren Fassungen. 15 Anders läge der Fall, wenn in Vorbereitung der baldigen Stilllegung der Betreiber eines Kraftwerkes bereits Maßnahmen getroffen hätte, beispielsweise einen Reaktor heruntergefahren hätte, die er jetzt wieder rückgängig machen würde und dadurch ein erhöhtes Maß an radioaktiven Stoffen entstehen würde. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 8 WD 11 – 3000 – 194/10 gemeinen Angaben zwar verlangen, der Mitgliedstaat muss aber nicht von sich aus die Planänderung mitteilen.16 In Bezug auf Maßnahmen, die über den normalen Betrieb hinausgehen, gilt das oben17 Gesagte: Der nur politische Beschluss, der keine unmittelbaren Folgen nach sich zieht, ist nicht mitteilungspflichtig . Erst das konkrete Vorhaben zur Abschaltung eines bestimmten Kraftwerks oder zur Ableitung radioaktiver Stoffe aus einem bestimmten Kraftwerk fällt in den Anwendungsbereich des Art. 37 Euratom-Vertrag. 2.2.4. Zeitpunkt der Mitteilungspflicht Auch wenn man der hier vertretenen Ansicht nicht folgt, besteht zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Mitteilungspflicht. Die Empfehlung der Kommission stellt ausdrücklich auf die Erteilung der Genehmigung zur Ableitung oder den Beginn der Tätigkeit, wenn keine Genehmigung erforderlich ist, ab. Die Frist von „möglichst ein(em) Jahr, mindestens aber sechs Monate(n)“ gilt also nicht schon für den politischen Beschluss oder die Gesetzesnovelle, die die Voraussetzungen späterer Ableitungen ermöglicht. Denn dadurch würde es der Kommission möglich werden, auf die politische Entscheidung, ob der Mitgliedstaat Kernenergie nutzen möchte oder nicht, durch eine Stellungnahme Einfluss zu nehmen, was einem Eingriff in die ausschließliche Kompetenz der Mitgliedstaaten gleichkommen würde. 2.3. Mitteilungspflicht nach Art. 33 Euratom-Vertrag18 Art. 33 Euratom-Vertrag, der im Kapitel „Gesundheitsschutz“ steht, lautet: „Jeder Mitgliedstaat erlässt die geeigneten Rechts- und Verwaltungsvorschriften, um die Beachtung der festgesetzten Grundnormen sicherzustellen, und trifft die für den Unterricht, die Erziehung und Berufsausbildung erforderlichen Maßnahmen. Die Kommission erlässt die geeigneten Empfehlungen, um die auf diesem Gebiet in den Mitgliedstaaten geltenden Bestimmungen miteinander in Einklang zu bringen. Zu diesem Zweck haben die Mitgliedstaaten der Kommission diese Bestimmungen nach dem Stande im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Vertrags sowie die späteren Entwürfe gleichartiger Bestimmungen bekannt zu geben. Etwaige Empfehlungen der Kommission zu diesen Entwürfen sind innerhalb von drei Monaten nach deren Mitteilung zu erlassen.“ Unter Grundnormen sind gemäß Art. 30 Euratom-Vertrag zu verstehen: die zulässigen Höchstdosen , die ausreichende Sicherheit gewähren; die Höchstgrenze für die Aussetzung gegenüber schädlichen Einflüssen und für schädlichen Befall sowie die Grundsätze für die ärztliche Überwachung der Arbeitskräfte. Es ist nicht bekannt, dass die Bundesregierung im Zuge der Laufzeitverlängerung eine Änderung der Vorschriften über den Gesundheitsschutz beabsichtigt. Eine Bekanntgabepflicht nach Art. 33 Euratom-Vertrag ist nach bisherigem Kenntnisstand daher zu verneinen. 16 Ziff. 4.1.b der Empfehlung. 17 S. 6. 18 Vgl. Wollenteit, Kurzgutachten, S. 11. 1 Vgl. den Erwägungspunkt 9 der Richtlinie 2009/71/Euratom vom 25. Juni 2009 über einen Gemeinschaftsrahmen für die nukleare Sicherheit kerntechnischer Anlagen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 9 WD 11 – 3000 – 194/10 2.4. Sekundärrechtliche Vorschriften Eine Mitteilungspflicht könnte sich aus zwei Richtlinien der Euratom ergeben, wenn sie hier einschlägig sind. Die Richtlinie 96/29/Euratom vom 13. Mai 1996 zur Festlegung der grundlegenden Sicherheitsnormen für den Schutz der Gesundheit der Arbeitskräfte und der Bevölkerung gegen die Gefahren durch ionisierende Strahlungen befasst sich, wie der Titel besagt, mit gesundheitlichen Aspekten des Betriebs eines Atomkraftwerks. Da bisher keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Verlängerung der Laufzeiten eine Änderung der diesbezüglichen Regelungen im deutschen Recht nach sich ziehen wird, ist der Anwendungsbereich der Richtlinie schon nicht eröffnet. Die Richtlinie 2009/71/Euratom vom 25. Juni 2009 über einen Gemeinschaftsrahmen für die nukleare Sicherheit kerntechnischer Anlagen19 ist seit dem 22. Juli 2009 in Kraft, muss aber erst bis zum 22. Juli 2011 von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Deutschland plant die Umsetzung in der 12. Atomgesetznovelle. Bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist dürfen die Mitgliedstaaten keine Maßnahmen erlassen, die das Ziel der Richtlinie gefährden.20 Die Richtlinie verfolgt das Ziel, durch einen Gemeinschaftsrahmen zu einer kontinuierlichen Verbesserung der nuklearen Sicherheit beizutragen und deshalb zu gewährleisten, dass sich in den Mitgliedstaaten die innerstaatlichen Schutzvorkehrungen auf einem hohen Niveau befinden (Art. 1 der Richtlinie). Im übrigen betont die Richtlinie die alleinige Zuständigkeit der Mitgliedstaaten , über ihren „Energiemix“ selbst zu entscheiden (Erwägungspunkt 9 der Richtlinie). Wie bereits oben ausgeführt, ist bisher nicht bekannt, dass die Verlängerung der Laufzeiten zu einer Absenkung des gesetzlichen Schutzniveaus führt. Eine Mitteilungspflicht ergibt sich daher wohl auch nicht aus der Richtlinie 2009/71/Euratom. 3. Beihilfenrechtliche Aspekte Der Förderfondsvertrag zwischen der Bundesregierung, vier Energieversorgungsunternehmen und Kernkraftwerks-Betreibergesellschaften vom 6. September 2010 sieht vor, dass sich die Beiträge zum Fonds zur Förderung der nachhaltigen Energieversorgung in bestimmten Fällen reduzieren , falls beispielsweise die Zahlungen nach dem Förderfondsvertrag mit Steuern oder einer ähnlichen Geldleistungspflicht belastet werden sollten. Fraglich ist, ob diese Begünstigung der Atomkraftwerksbetreiber eine staatliche Beihilfe im Sinne des Europarechts darstellt. Dazu bedarf es überhaupt einer Vorschrift, die staatliche Beihilfen im Bereich des Atomrechts betrifft. 19 Dazu sogleich unter 4.1. 20 Vgl. Streinz, Europarecht, Rn. 460. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 10 WD 11 – 3000 – 194/10 3.1. Euratom-Vertrag Der Euratom-Vertrag enthält keine Regelung zur Beihilfenkontrolle. Bei Gründung der Euratom war der „schnelle“ Ausbau der Kernenergie in Europa das Ziel der Gemeinschaft.21 Dieses Ziel konnte nur durch finanzielle Förderung durch die Mitgliedstaaten und die Gemeinschaft erreicht werden, so dass eine Wettbewerbskontrolle dem Ziel des Vertrages widersprochen hätte. Das vierte Kapitel des Euratom-Vertrages enthält Bestimmungen über Investitionspläne der Betreiber . Sie müssen das Vorhaben der Kommission mindestens drei Monate im Voraus anzeigen; die Kommission kann die Pläne mit den Betreibern erörtern und ihre Auffassung dem betreffenden Mitgliedstaat mitteilen. In keinem Fall ist die Investition von der Zustimmung der Kommission abhängig. 3.2. Art. 107 AEUV22 Umstritten ist, ob die beihilfenrechtlichen Bestimmungen des AEUV auf die Euratom anwendbar sind. Die Kommission hat sich bisher, wenn auch nicht eindeutig, ablehnend geäußert, so beispielsweise , als es um die in Deutschland geltende steuerliche Privilegierung von Rückstellungen für die Entsorgung von Brennelementen ging.23 Bei einer anderen Gelegenheit24 betonte sie: „Die Bestimmungen über die Verpflichtung zum Aufbau von Reserven für Nuklearschäden, die Entsorgung von Brennelementen und die Außerbetriebnahme fallen unter die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten .“ Auch die europäischen Gerichte haben die Beihilferegelungen der Europäischen Gemeinschaft nicht auf die die Euratom betreffenden Sachverhalte angewandt.25 In der Literatur finden sich sowohl Befürworter als auch Gegner einer Anwendbarkeit.26 Durch den Vertrag von Lissabon wurde der ehemalige Art. 305 Abs. 2 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) („Dieser Vertrag beeinträchtigt nicht die Vorschriften des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft.“) aufgehoben. Diese Regelung war durch die institutionelle Verklammerung der drei rechtlich selbständigen europäischen Gemeinschaften EGKS, Euratom und EWG erforderlich. Die Regelungen des EGV fanden subsidiär 21 Vgl. die Präambel des Euratom-Vertrages. 22 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union. 23 Vgl. die Entscheidung C(2001) 3967 endg. in dem Verfahren Stadtwerke Schwäbisch Hall u.a. gegen Kommission. 24 Antwort auf eine schriftliche Anfrage, E-2650/98, Amtsblatt C 135 vom 14.05.1999, S. 85. 25 Vgl. die Rechtssache T-92/02, Urteil vom 26.01.2006, bestätigt durch EuGH, C-176/06, Urteil vom 29.11.2007. 26 Stellvertretend: befürwortend: Pechstein, Matthias, Elektrizitätsbinnenmarkt und Beihilfenkontrolle im Anwendungsbereich des Euratom-Vertrages, EuZW 2001, S. 307 (S. 311); ablehnend: Grunwald, Jürgen, Das Energierecht der Europäischen Gemeinschaften, Berlin 2003, S. 235 ff. 1 Vgl. den Erwägungspunkt 9 der Richtlinie 2009/71/Euratom vom 25. Juni 2009 über einen Gemeinschaftsrahmen für die nukleare Sicherheit kerntechnischer Anlagen. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 11 WD 11 – 3000 – 194/10 Anwendung, wenn die spezielleren Verträge von Euratom und EGKS eine Materie überhaupt nicht bzw. nicht abschließend regelten.27 Im Verfassungsentwurf und im Vertrag von Lissabon wurde die Euratom bewusst28 aus dem einheitlichen Rahmen der Europäischen Union ausgeklammert und blieb als eigenständige Organisation bestehen. Art. 305 EGV wurde gestrichen; stattdessen erhielt der Euratom-Vertrag eine Verweisungsvorschrift auf den AEUV (Art. 106a Euratom-Vertrag), die aber hauptsächlich institutionelle Regelungen betrifft. Dies kann als Indiz dafür angesehen werden, dass die Euratom weiterhin in materieller Hinsicht von der Europäischen Union getrennt bleiben soll. Es spricht folglich viel dafür, die Möglichkeit einer Beihilfenkontrolle der Euratom zu verneinen, weswegen die Prüfung, ob hier überhaupt eine Beihilfe vorliegt, entfallen kann. 4. Mitteilungspflicht der Änderung von Sicherheitsauflagen Die Richtlinie 2009/71/Euratom schafft einen einheitlichen Rahmen für die Sicherheit kerntechnischer Anlagen. Die Umsetzungsfrist läuft bis zum 22. Juli 2011. 4.1. Wesentlicher Inhalt der Richtlinie Die Richtlinie fordert ein hohes Niveau der nuklearen Sicherheit für Arbeitskräfte und Bevölkerung (Art. 1 lit. b der Richtlinie). Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, klare Regelungen über die Zuweisung der Verantwortlichkeit und die Koordinierung zwischen den zuständigen staatlichen Stellen zu schaffen (Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie). Der bestehende nationale Rahmen soll an den jetzigen Erkenntnisstand angepasst werden (Art. 4 Abs. 2 Richtlinie). Die Mitgliedstaaten richten eine unabhängige Regulierungsbehörde ein, die für den Bereich der nuklearen Sicherheit kerntechnischer Anlagen zuständig ist (Art. 5 Richtlinie). Die Verantwortung für den Betrieb liegt in erster Linie bei dem Genehmigungsinhaber, der die Verantwortung nicht delegieren darf (Art. 6 Abs. 1 Richtlinie). Die Mitgliedstaaten haben sicherzustellen, dass die Genehmigungsinhaber die Sicherheit der Anlage regelmäßig überprüfen und kontinuierlich verbessern (Art. 6 Abs. 2 Richtlinie). Dafür haben die Genehmigungsinhaber dauerhaft angemessene finanzielle und personelle Mittel bereitzuhalten (Art. 6 Abs. 5 Richtlinie). Die Mitgliedstaaten haben dafür zu sorgen, dass alle Beteiligten ihre Kenntnisse und Fähigkeiten auf dem Gebiet der nuklearen Sicherheit aufrechterhalten und ausbauen (Art. 7 Richtlinie). Die Mitgliedstaaten haben die Öffentlichkeit über die Regulierungstätigkeit zu informieren, sofern dadurch nicht andere Interessen gefährdet werden (Art. 8 Richtlinie). 27 Vgl. Schmalenbauch, Kirsten, in: Calliess, Christian/Ruffert, Matthias, EUV/EGV Kommentar, 3. Auflage, München 2007, Art. 305, Rn. 5. 28 Im Verfassungskonvent wurde die Verschmelzung der beiden Gemeinschaften zu einer einzigen Rechtspersönlichkeit befürwortet, vgl. Farnleitner, Hannes u.a., CONV (358/02), vom 22.10.2002, und Hänsch, Klaus, CONV (344/02), vom 14.10.2002. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 12 WD 11 – 3000 – 194/10 4.2. Berichtspflichten Nach Art. 9 der Richtlinie legen die Mitgliedstaaten zum ersten Mal bis zum 22. Juli 2014 einen Bericht über ihre Maßnahmen zur Durchführung der Richtlinie vor. Danach erstatten sie alle drei Jahre Bericht. Mindestens alle zehn Jahre soll eine Selbstbewertung ihrer nationalen Vorschriften unter Hinzuziehung internationaler Experten erfolgen. Über die Ergebnisse berichten sie der Kommission und den anderen Mitgliedstaaten. Unabhängig davon haben die Mitgliedstaaten die Kommission unverzüglich über die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die für die Umsetzung der Richtlinie erforderlich sind, in Kenntnis zu setzen. Sie teilen der Kommission den Wortlaut der wichtigsten innerstaatlichen Umsetzungsmaßnahmen mit (Art. 10 Richtlinie). 5. Ergebnis Es besteht zum jetzigen Zeitpunkt keine Mitteilungspflicht gegenüber der Kommission. Art. 37 Euratom-Vertrag ist nicht schon dann einschlägig, wenn ein politischer Beschluss gefasst wird, sondern erst dann, wenn sich der Beschluss in einem konkreten Vorhaben bezüglich eines bestimmten Kernkraftwerks realisiert. Denn die Entscheidung über die Nutzung der Kernenergie unterfällt der ausschließlichen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Im Bereich der Atompolitik findet keine Beihilfenkontrolle durch die Kommission statt. - Fachbereich Europa -