Wirkungen von Resolutionen des VN-Sicherheitsrates auf europäisches Sekundärrecht Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Wirkungen von Resolutionen des VN-Sicherheitsrates auf europäisches Sekundärrecht Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 183/14 Abschluss der Arbeit: 10. November 2014 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Verhältnis von Unionsrecht und allgemeinem Völkerrecht 4 3. Verhältnis von Unionsrecht und Resolutionen des VN- Sicherheitsrates 5 4. Wirkung von Resolutionen des VN-Sicherheitsrates auf den europäischen Gesetzgeber 6 1. Fragestellung Im Rahmen der Strategie der Vereinten Nationen (VN) zur Bekämpfung des Terrorismus1 hat der VN-Sicherheitsrat am 24. September 2014 die Resolution 2178(2014)2 erlassen, in der er den Terrorismus erneut als schwere Bedrohung des Weltfriedens anerkennt, die Mitgliedstaaten zur Terrorismusbekämpfung in all seinen Facetten verpflichtet und die Relevanz der Umsetzung der bereits in diesem Bereich erlassenen Resolutionen3 betont. Vor diesem Hintergrund geht die Ausarbeitung auf die Frage ein, welche Wirkungen Resolutionen des VN-Sicherheitsrates auf das Sekundärrecht der Europäischen Union (EU) haben und ob aus einer Sicherheitsratsresolution die Pflicht folgt, europäisches Sekundärrecht zu ändern. Im Hinblick auf die Geltung des Völkerrechts für und in der Unionsrechtsordnung und somit für potenzielle Pflichten des europäischen Gesetzgebers ist zwischen dem allgemeinen Völkerrecht und VN-Sicherheitsratsresolutionen zu unterscheiden. 2. Verhältnis von Unionsrecht und allgemeinem Völkerrecht Resolutionen des VN-Sicherheitsrates haben gemäß Art. 25, 41 der Charta der Vereinten Nationen (CVN)4 Geltung für die Mitgliedstaaten der VN und binden diese. Resolutionen des VN-Sicherheitsrates haben jedoch nicht per se Vorrang vor dem Unionsrecht. Denn obgleich das europäische Primärrecht auf völkerrechtlichen Verträgen beruht, das Unionsrecht somit aus dem Völkerrecht entstanden und nach monistischem Verständnis Teil des Völkerrechts ist, begründet das Unionsrecht eine neue, eigenständige Rechtsordnung. Obwohl sie mit der bestehenden Völkerrechtsordnung verbunden ist, unterscheidet sie sich dennoch von dieser und bedarf zur Rechtfertigung ihres Bestandes und zu ihrer Ausformung nicht des Völkerrechts .5 1 Vgl. die Resolution des Sicherheitsrates A/RES/60/288 vom 20. September 2006. 2 S/RES/2178 vom 24.September 2014, abrufbar unter http://www.un.org/en/ga/search/view_doc.asp?symbol =S/RES/2178%20(2014). 3 Hierzu zählen S/RES/1267 vom 15.10.1999; S/RES/1333 vom 19.12.2000; S/RES/1371 vom 28.09.2001; S/RES/1624 vom 14.09.2005; S/RES/1989 vom 17.06.2011; S/RES/2129 vom 17.12.2013 und S/RES/2161 vom 17.06.2014. 4 Gesetz zum Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur Charta der Vereinten Nationen vom 6. Juni 1973, BGBl. II S. 430. 5 EuGH, Rs. 26/62 (Van Gend&Loos); EuGH, Rs. 4/64 (Costa/E.N.E.L.); EuGH, Rs. 294/83 (Les Verts/Parlament); EuGH, verb. Rs. C-63/90 und C-67/90 (Portugal und Spanien/Rat). Unionsrecht und allgemeines Völkerrecht stehen in einem dualistischen Verhältnis zueinander.6 Das allgemeine Völkerrecht gilt für die Union als eigenständiges Völkerrechtssubjekt gemäß Art. 47 EUV als integrierender Bestandteil der Unionsrechtsordnung ipso iure und steht neben dem Primärrecht gleichrangig über dem Sekundärrecht.7 Die Union ist verpflichtet, ihre Befugnisse unter Beachtung des Völkerrechts auszuüben, im Lichte des Völkerrechts auszulegen und völkerrechtliche Verpflichtungen gebührend zu berücksichtigen.8 3. Verhältnis von Unionsrecht und Resolutionen des VN-Sicherheitsrates Demgegenüber entfaltet die sich aus Art. 25 CVN ergebende Verbindlichkeit von Sicherheitsratsresolutionen keine unmittelbare Wirkung innerhalb der Unionsrechtsordnung.9 Die EU ist entsprechend Art. 4 Abs. 1 CVN mangels Staatsqualität nicht unmittelbar an die CVN gebunden.10 Die EU tritt durch Hoheitsrechtsübertragung von Seiten der Mitgliedstaaten nicht in deren völkerrechtliche Rechte und Pflichten ein, da deren souveräne Staatlichkeit durch die partielle Hoheitsrechtsübertragung zwar relativiert wird, als solche aber erhalten bleibt. Die Bestimmungen der CVN gelten als völkervertragliche Bestimmungen nur in den Mitgliedstaaten – welche zugleich auch der Union verpflichtet bleiben.11 Die Geltungskraft von VN-Recht erfolgt in der EU auf Grundlage und im Rahmen der an die Union übertragenen Befugnisse, welche sich wiederum aus der staatlichen Souveränität der Mitgliedstaaten ableitet. Sicherheitsratsresolutionen gelten nicht unmittelbar für die EU als eigenständige Rechtsordnung, sondern nur mittelbarer auf Grund der übertragenen staatlichen Hoheitsrechte. Dementsprechend ist für das Verhältnis von VN- Recht und Unionsrecht letzteres maßgeblich. Folglich kann VN-Recht auf die Unionsrechtsordnung nur unter den im Unionsrecht selber normierten Bedingungen einwirken. Ein Geltungsoder Anwendungsvorranges des VN-Rechts und mithin eine Reaktionspflichten für den europäischen Gesetzgeber müssen sich aus dem Unionsrecht ergeben. Einen solchen Anwendungs- bzw. Umsetzungsbefehl sieht das Unionsrecht jedoch nicht vor. 6 Vgl. Griller, „Die Bindung der Europäischen Union an das Recht der Vereinten Nationen unter besonderer Berücksichtigung der Rechtswirkungen von Beschlüssen des Sicherheitsrates im Unionsrecht“ in EuR Beiheft 2012, S. 119 m.w.N. 7 Vgl. EuGH, Rs. C-240/09 (Lesoochranárske zoskupenie VL), Rn. 30; EuGH, Rs C-366/10 (Air Transport Association of America), Rn. 73. 8 EuGH, Rs. C-286/90 (Poulsen und Diva Navigation), Rn. 9 ff.; EuGH, Rs. C-162/96 (Racke), Rn. 45 f.; EuGH, Rs. T-115/94 (Opel Austria), Rn. 90 ff.; EuGH, Rs. C-284//95 (Safety Hi-Tech); EuGH, Rs. C-402/05 P (Kadi), Rn. 291 f. 9 Vgl. Internationaler Gerichtshof (IGH), Beschluss vom 14. April 1992 (Libyan Arab Jamahiriya vs. United States of America), ICJ Reports 1992, S. 16, Rn. 42; Bernhardt, in: Simma (Hrsg.), Die Charta der Vereinten Nationen, 1991, Art. 103, Rn. 5. 10 EuG, Rs. T-184/95 (Dorsch Consult), Rn. 74. 11 EuGH, Rs. C-324/93 (Evans Dedical), Rn. 27; EuGH, Rs. C-124/95 (Centro-Com), Rn. 56. Dies verdeutlicht zunächst Art. 351 AEUV im Hinblick auf die Pflichten aus der CVN als ältere völkerrechtliche Verpflichtung.12 Der Zweck der Norm erschöpft sich jedoch darin, unter dem Primat des Geltungs- und Anwendungsvorrangs des Unionsrechts spezifische intertemporale Probleme der mit dem Unionsrecht konfligierenden internationalen Verträge unter Wahrung des völkerrechtlichen Grundsatzes pacta sunt servanda zu lösen.13 Darüber hinaus ergibt sich aus Art. 347 AEUV ein implizierter Vorrang des Unionsrechts gegenüber der CVN impliziert. Die Norm geht nicht von einem unbedingten Vorrang der Verpflichtungen aus, die die Mitgliedstaaten „im Hinblick auf die Aufrechterhaltung des Friedens und der internationalen Sicherheit übernommen haben“. Diesem Wortlaut nach bezieht sich Art. 347 AEUV unmittelbar auf die Ziele und Grundsätze der VN gemäß Art. 1 und 2 CVN. Die Mitgliedstaaten der EU sollen sich jedoch im Konfliktfall lediglich „miteinander ins Benehmen setzten, um zu verhindern, dass solche Verpflichtungen das Funktionieren des gemeinsamen Marktes beeinträchtigen “. 4. Wirkung von Resolutionen des VN-Sicherheitsrates auf den europäischen Gesetzgeber Mit Blick auf die Eigenständigkeit der europäischen Rechtsordnungen resultieren aus einer Sicherheitsratsresolution grundsätzlich keine unmittelbaren Rechtspflichten für den europäischen Gesetzgeber. Zwar bleiben die EU-Mitgliedstaaten als VN-Mitgliedstaaten völkerrechtlich dazu verpflichtet, gemäß Art. 25, 48 CVN alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Umsetzung der Resolutionen zu gewährleisten.14 Dies ergibt sich aus der autonom in den staatlichen Rechtsordnungen durch Öffnungs- und Kollisionsklauseln geregelten Wirkung des Völkerrechts auf das staatliche Recht.15 In diesem Rahmen haben sie gemäß Art. 103 CVN den Vorrang von Verpflichtungen aus der CVN unabhängig von sonstigen völkerrechtlichen Verpflichtungen anerkannt. Zugleich unterliegen sie den Bindungen des Unionsrechts. Mit Blick auf ihre gleichzeitig bestehende Bindung an das Unionsrecht sind Kollisionen mit ihren völkerrechtlichen Pflichten durch völkerrechtskonforme Auslegung des primären und sekundären Unionsrechts aufzulösen.16 12 EuGH, Rs. 812/79 (Burgoa); Osteneck, Die Umsetzung von VN-Wirtschaftssanktionen durch die Europäische Gemeinschaft, 2004, S. 232. 13 EuGH, Rs. 10/61 (Kommission/Italien), Slg. 1962, 23; EuGH, Rs. 804/79 (Kommission/Vereinigtes Königreich), Slg. 1981, 1045; EuGH, Rs. 266/81 (SIOT), Slg. 1983, 731. 14 Vgl. EuGH, Rs. C-177/95 (Ebony Maritime), Rn. 27. 15 Vgl. Meng, Das Recht der Internationalen Organisationen, 1979, S. 136, vgl. beispielhaft auch das „Gesetz zum Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zur Charta der Vereinten Nationen“ vom 6. Juni 1973 (BGBl. 1973 II S. 430) gemäß Art. 59 Abs. 2 GG sowie BVerfGE 74, 358 (370); 121, 135 (154 ff.). 16 EuGH, Rs. T-115/94 (Opel Austria), Rn. 101; EuGH, Rs. C-286/90 (Poulsen und Diva Navigation), Rn. 9 ff.; EuGH, Rs. C-431/05 (Merck Genéricos). Dementsprechend ergibt sich eine Reaktionspflicht innerhalb der europäischen Rechtsordnung nur auf Grund und im Rahmen der VN-Verpflichtungen der Mitgliedstaaten. So kann der Rat gemäß Art. 29 EUV in Reaktion auf Resolutionen des VN-Sicherheitsrates einen gemeinsamen Standpunkt annehmen und darin feststellen, dass ein Tätigwerden der Union im Rahmen der ihr durch die Verträge verliehenen Befugnisse im Einklang mit einer bestimmten Resolution des Sicherheitsrates erforderlich ist.17 In Bezug auf Wirtschaftssanktionen gegen Individuen oder Drittstaaten kann der Rat auf Betreiben der Mitgliedstaaten zudem Maßnahmen auf Grundlage der Art. 75, 215 AEUV ergreifen, sofern sich ein entsprechender Handlungsauftrag aus der jeweiligen Resolution ergibt.18 Schließlich können sich aus einer Resolution des VN-Sicherheitsrates Folgen für die Anwendung des Sekundärrechts ergeben. So können völkerrechtliche Verpflichtungen und entsprechende Sicherheitsinteressen Beschränkung im Rahmen eines Sekundärrechtstatbestandes rechtfertigen, und der Anwender einer Sekundärrechtsnorm hat – beispielsweise wenn mit der Anwendung ein Grundrechtseingriff einhergeht – einen Ausgleich der widerstreitenden Interessen auf Ebene der Eingriffsrechtfertigung vorzunehmen. Hierbei ist zu beachten, dass VN-Sicherheitsratsresolutionen das Unionsrecht nicht unmittelbar, sondern nur unter den durch die Verfassungsgrundsätze der Union aufgestellten Voraussetzungen durchdringen können. Dies bedeutet insbesondere, dass auf die Umsetzung einer VN-Sicherheitsratsresolution abzielende Maßnahme die europäischen Grundrechte achten müssen.19 - Fachbereich Europa - 17 Vgl. beispielsweise den Gemeinsamen Standpunkt 2002/402 in Bezug auf die Resolutionen 1267(1999), 1333(2000) und 1390(2002). 18 Vgl. beispielsweise die Verordnung Nr. 881/2002 vom 27. Mai 2002, ABl. L139/9 als Reaktion auf S/RES/1267 (1999), S/RES/1333 (2000), S/RES/1373 (2001) und S/RES/1390 (2002). 19 EuGH, verb. Rs. C-402/05 P und C-415/05 P (Kadi u.a.).