Europäische Vorgaben und ihre mögliche Wirkung auf die Kinder- und Jugendhilfe - Ausarbeitung - © 2008 Deutscher Bundestag WD 11 - 3000 - 179/08 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Europäische Vorgaben und ihre Mögliche Wirkung auf die Kinder- und Jugendhilfe Ausarbeitung WD 11 - 3000 - 179/08 Abschluss der Arbeit: 3. September 2008 Fachbereich WD 11: Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W. - 3 - 1. Einleitung Ursprünglich als reine Wirtschaftsgemeinschaft entwickelt, erlangen soziale Aspekte auch im Recht der Europäischen Gemeinschaft eine stetig größere Bedeutung. Dies hat Auswirkungen auf das nach wie vor zu großen Teilen auf mitgliedstaatlicher Ebene geregelte Sozialrecht, auch auf den Teilbereich des Kinder- und Jugendhilferechts. Dabei wirken weniger konkrete sozialrechtliche Vorgaben der EG auf das mitgliedstaatliche Recht ein. Vielmehr hat das Kinder- und Jugendhilferecht in Deutschland durch die besondere Form des Korporatismus die Grenzen zwischen klassischer öffentlicher Leistungsverwaltung und privatwirtschaftlichem Angebot, das den Regeln des Wettbewerbs unterliegt, geöffnet. In diesen Bereichen können gemeinschaftsrechtliche Implikationen auf das Kinder- und Sozialhilferecht einwirken. 2. Kompetenzen der EG im Bereich der Sozialpolitik Die Kompetenzen der EG im Bereich der Sozialpolitik im Titel XI des EG-Vertrags sind begrenzt. Die Sozialpolitik steht in engem Zusammenhang mit der Wirtschaftspolitik und hat sich vor allem aus der besonderen Bedeutung der Arbeitnehmerfreizügigkeit für den Gemeinsamen Markt entwickelt. Dabei werden die Regelungen, die Eingang in das Primärrecht gefunden haben, als Kompromiss zwischen einer primär wirtschaftsliberalen Auffassung und einem besonderen Schutz vor sozialem „Dumping“ verstanden .1 Die Zuständigkeitsverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten ist bis heute wesentlich durch das Konzept einer nur akzessorischen Sozialpolitik geprägt;2 es handelt sich um Kompetenzen der EG um solche, die die Ausrichtung der EG auf den Binnenmarkt flankieren.3 Der größte Teil der Maßnahmen der EG im Bereich der Sozialpolitik dient allein der Unterstützung der Mitgliedstaaten. Titel XI des EG-Vertrags setzt sich aus drei Kapiteln zusammen, von denen das erste die Sozialvorschriften, das zweite den Europäischen Sozialfonds und das dritte die allgemeine und berufliche Bildung und Jugend betrifft. Im ersten Kapitel legt Art. 136 EGV einzelne Ziele der europäischen Sozialpolitik fest; Art. 137 EGV präzisiert, in welchen Teilbereichen die Mitgliedstaaten unterstützt werden sollen; die folgenden Artikel geben verfahrensrechtliche Vorgaben, die unter anderem die Einbindung der Sozialpartner betreffen. Die angesprochenen Vorschriften beziehen sich ihrem Inhalt nach – wohl der Entwicklung der europäischen Sozialpolitik geschuldet – vor allem auf Belange von Arbeitnehmern. Neben den dort vorgesehenen 1 Hierzu ausführlich, Bieber/Epiney/Haag, Die Europäische Union, 7. Aufl. 2006, § 22 Rdnr. 1 ff. 2 Kingreen, EuR 2007, Beiheft 1, S. 43 (45). 3 Krebber, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 136 Rn. 1; Kingreen, Thorsten, EuR 2007, Beiheft 1, S. 43 (44). - 4 - beschränkten Kompetenzen wird im Bereich der Europäischen Sozialpolitik weithin die offene Methode der Koordinierung4 als weiches Instrument der Angleichung der Beschäftigungs - und Sozialstandards in den Mitgliedstaaten angewandt; die EG kann auch hier keine verbindlichen Harmonisierungsvorschriften vorgeben, sondern lediglich ein koordiniertes Verhalten der Mitgliedstaaten anregen. Das mitgliedstaatliche Kinder- und Jugendhilferecht ist von diesen Vorgaben jedenfalls unmittelbar nicht betroffen. Der allgemeinen und beruflichen Bildung und der Jugend ist ein eigenes Kapitel im EG- Vertrag gewidmet. Aspekte, die die Kinder- und Jugendhilfe im Sinne des SGB VIII betreffen, werden jedoch auch in Artikel 149 EGV nicht ausdrücklich genannt. Dort geht es, wie die Überschrift des Kapitels des EG-Vertrags bereits andeutet, vor allem um Aspekte der Bildung. Die grenzüberschreitende Vernetzung von Bildungseinrichtungen zum Beispiel durch die Annerkennung von Abschlüssen ist Ziel dieser Rechtsetzungskompetenzen . Die Förderung einzelner Personengruppen, insbesondere von Jugendlichen , wird in Artikel 150 EGV ausgeführt. So soll die Tätigkeit der Gemeinschaft unter anderem das Ziel der Verbesserung der beruflichen Ausbildung und Weiterbildung zur Erleichterung der beruflichen Eingliederung und Eingliederung in den Arbeitsmarkt verfolgen. Auch in diesem Rechtsbereich bleibt die Verantwortung für die Ausgestaltung der Politikbereiche bei den Mitgliedstaaten; die Aufgaben der EG beschränken sich auf die Förderung, Unterstützung und Ergänzung der mitgliedstaatlichen Maßnahmen unter Ausschluss jeglicher Harmonisierung.5 3. Rechtsprechung des EuGH zu Sozialleistungen Die nur punktuellen Zuständigkeiten der EG im Bereich des Bildungs- und Sozialrechts hinderten den EuGH nicht, seit dem Ende der 1990er Jahre eine Rechtsprechungslinie zur Unionsbürgerschaft zu verfolgen, die weit reichende Auswirkungen im sozialrechtlichen Bereich hat. Ein besonders Merkmal dieser Rechtsprechung ist, dass sozialrechtliche Ansprüche von Unionsbürgern in Mitgliedstaaten, deren Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen, nicht mehr – wie bis dahin in einigen Sekundärrechtsakten vorgesehen6 – von der Arbeitnehmereigenschaft des Betroffenen abhängig gemacht werden. Seine Ursprünge hat diese Rechtsprechungslinie in einem Urteil, in dem es um die Frage ging, ob auch Ausländer, die sich rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufhalten, Anspruch auf das dort gewährte Erziehungsgeld hätten.7 Viele weitere dieser Entscheidun- 4 Vgl. hierzu , „Die Offene Methode der Koordinierung“, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages, Europa-Thema Nr. 1/06 vom 19. Dezember 2005. 5 Ruffert, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 149 Rn. 3. 6 Vgl. insofern z. B. die sog. Wanderarbeitnehmerverordnung 1408/71, nunmehr ersetzt durch die Verordnung EG 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, ABl. L 166/1 v. 30.4.2004. 7 EuGH, Rs. C-85/96 (Martinez Sala), Slg. 1998, I.2691, Rn. 62 ff. - 5 - gen bezogen sich auf Fragen der sozialen Absicherung von Studierenden und auch die Gewährung von Sozialhilfe an Unionsbürger aus anderen Mitgliedstaaten war Gegenstand der Rechtsprechung des EuGH.8 Dieser entwickelte bestimmte sozialrechtliche Ansprüche insbesondere aus dem allgemeinen Freizügigkeitsrecht des Art. 18 EGV, das jedem Unionsbürger ein Aufenthaltsrecht gewährt, und aus den Art. 12 und 17 EGV. Dabei wird eine Abgrenzung zwischen den einzelnen Rechtsgrundlagen nicht immer eindeutig vorgenommen wird. Die Rechtsprechung des EuGH scheint dabei angesichts der Bandbreite der Entscheidungen nicht auf einige spezielle Bereiche des Sozialrechts beschränkt zu sein. Den Entscheidungen ist jedoch gemeinsam, dass jeweils die Gruppe der Anspruchsberechtigten für bestimmte Sozialleistungen, die allein den Staatsangehörigen eines bestimmten Mitgliedstaates zustanden, erweitert wurde; es ging stets um die Gleichbehandlung zwischen Unionsbürgern. Vorgaben inhaltlicher Art, die sich z. B. auf die Vergabemodalitäten von Sozialleistungen oder die konkrete Ausgestaltung derselben bezogen, wurden in dieser Rechtsprechungslinie des EuGH nicht thematisiert. 4. Vorhaben der Europäischen Union, die die Kinder- und Jugendhilfe betreffen Angesichts der beschränkten Kompetenzen, die die Europäische Union oder die Europäische Gemeinschaft im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe hat, sind Vorhaben in diesem Bereich, die in einem Rechtsetzungsakt münden werden, nicht ersichtlich. Wie sich jedoch aus den Schlussfolgerungen des Rates beim Frühjahrsgipfel im März 20089 ergibt, bleibt die Sozialpolitik insbesondere auch im Hinblick auf Kinder und Jugendliche ein wichtiges Thema der europäischen Debatte. So wird dort festgestellt, dass vermehrt Anstrengungen unternommen werden sollen, um für Frauen und Männer die Vereinbarkeit von Beruf und Familienleben zu verbessern. Hierzu sollten die Mitgliedstaaten vermehrt hochwertige Kinderbetreuungseinrichtungen zu erschwinglichen Preisen bereitstellen. Eine sogenannte Europäische Allianz für Familien könne zum Erreichen dieser Ziele beitragen. In einer Mitteilung der Kommission10 die die Förde- 8 Exemplarisch kann hier für die Fragen der Ausbildung auf die Urteile EuGH, Rs. C-184/99 (Grelczyk), Slg. 2001, I-6793; Rs. C-209/03 (Bidar), Slg. 2005, I-2119 und Rs. C-11 und 12/06 (Morgan und Bucher), Slg. 2007, I-9161; und für die Fragen der Sozialhilfe auf das Urteil EuGH, Rs. C-456/02 (Trojani), Slg. 2004, I-7573, verwiesen werden. Ausführlich zu dieser Rechtsprechung : Düsterhaus, Studierende Unionsbürger: Entwicklung und Bedeutung einer besonders privilegierten Rechtsstellung, integration 2006, S. 122 ff. 9 Ratsdok. 7652/1/08; im Internet abrufbar unter: http://www.consilium.europa.eu/ueDocs/cms_Data/docs/pressData/de/ec/99429.pdf 10 Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Europäischen Wirtschaftsund Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen. Förderung der umfassenden Beteiligung junger Menschen an Bildung, Beschäftigung und Gesellschaft vom 5.9.2007, KOM(2007) 498. - 6 - rung der umfassenden Beteiligung junger Menschen an Bildung, Beschäftigung und Gesellschaft betraf, wurde zuvor im Jahr 2007 auf die bestehenden Probleme, die vielen jungen Menschen auf dem Arbeitsmarkt begegnen, hingewiesen. Hierzu hat die Kommission eine Reihe von neuen Initiativen vorgeschlagen, die Brücken zwischen den Bereichen Bildung und Beschäftigung schlagen und eine aktive Bürgerschaft junger Menschen entwickeln sollen. Konkreter den Bereich Kinder- und Jugendhilfe betreffend, hat die Europäische Kommission ebenfalls im Jahr 2007 eine Mitteilung über die Dienstleistungen von allgemeinem Interesse unter Einschluss von Sozialdienstleistungen: Europas neues Engagement erlassen.11 Hierin geht es zwar – wie bereits im Titel angekündigt – allgemein um Dienstleistungen und nicht nur um solche, die die Kinder- und Jugendhilfe betreffen. Gleichwohl sind auch diese Dienstleistungen im Sozialsektor umfasst. Dabei richtet die Mitteilung sich ausdrücklich auch an Kommunen und private Erbringer von sozialen Dienstleistungen. Bei diesen, so die Ansicht der Kommission, sind die Kenntnisse über die spezifischen Anforderungen, die der EG-Vertrag an die Erbringung dieser Dienstleistungen stellt, nicht hinreichend ausgeprägt. 5. Weitere Vorgaben des EG-Vertrags, die Auswirkungen auf die Materie der Kinder- und Jugendhilfe haben könnten Angesichts dieser Rechtslage scheint es unwahrscheinlich, dass das nationale Kinderund Jugendhilferecht von sekundärrechtlichen Bestimmungen der EG, die sich ausdrücklich auf diese Rechtsmaterie beziehen, geregelt wird. Allerdings könnten bestimmte Normen des Primärrechts, die viele Rechtsmaterien überlagern, auch Auswirkungen auf das Kinder- und Jugendhilferecht haben. So sieht dies auch die Kommission: In einem Weißbuch zu Dienstleistungen von allgemeinem Interesse aus dem Jahr 200412 hat die Kommission gefordert, den Gemeinwohlauftrag bei Sozial- und Gesundheitsdienstleistungen umfassend zu berücksichtigen. Gleichzeitig stellt sie fest: „Obgleich für die Festlegung der Aufgaben und Ziele bei Sozial- und Gesundheitsdienstleistungen grundsätzlich die Mitgliedstaaten zuständig sind, haben die Regeln der Gemeinschaft dennoch u. U. Auswirkungen auf das Instrumentarium für die Erbringung der Leistungen und auf die Finanzierung.“ 11 Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschaftsund Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Begleitdokument zu der Mitteilung „Ein Binnenmarkt für das Europa des 21. Jahrhunderts“. Dienstleistungen von allgemeinem Interesse unter Einschluss von Sozialdienstleistungen: Europas neues Engagement vom 20.11.2007; KOM(2007)725 endg. 12 KOM(2004)374 endg. - 7 - 5.1. Anwendbarkeit des Europäischen Wirtschafts- und Wettbewerbsrechts Zu den dort angesprochenen Regeln der Gemeinschaft gehört vor allem das Wettbewerbsrecht , zu dem auch das Beihilfenrecht gezählt wird.13 Das Europäische Wettbewerbsrecht ist in den Art. 81 ff. EGV geregelt und basiert auf dem Ziel des EG- Vertrags, ein System der offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb zu schaffen (Art. 4 Abs. 1 EGV) sowie dieses vor Verfälschungen zu schützen (Art. 3 Abs. 1 lit. g EGV).14 Es dient dazu, wettbewerbswidrige Absprachen nach Art. 81 EGV, die Ausnutzung einer marktbeherrschenden Stellung nach Art. 82 EGV und wettbewerbsverzerrende staatliche Beihilfen nach Art. 87 EGV zu vermeiden, um eine Abwehr von Konkurrenzen aus anderen Mitgliedstaaten durch Beschränkungen oder Bevorzugung von nationalen Unternehmen zu verhindern.15 Ob das europäische Wirtschafts- und Wettbewerbsrecht im konkreten Fall Anwendung findet, hängt davon ab, ob die handelnden Akteure als „Unternehmen“, die in den Wettbewerb eingreifen, eingeordnet werden können. Der Begriff des Unternehmens wird zwar in Art. 81, 82, 86 und 87 ff. EGV benutzt; der EG-Vertrag selbst enthält jedoch keine Definition des Unternehmensbegriffs. Der EuGH nutzt in ständiger Rechtsprechung den sog. funktionellen Unternehmensbegriff, wonach ein Unternehmen „jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art der Finanzierung“ ist.16 Eine Tätigkeit ist dann als „wirtschaftlich“ anzusehen, wenn sie darauf abzielt, Güter und Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten .17 Dabei kommt es nicht auf die Absicht einer Gewinnerzielung an.18 Maßgeblich sind die Teilnahme an einem bereits vorhandenen oder einem möglichen Markt und die etwaige Nutzung einer Marktposition: Dies ist jedenfalls bei einer Entgeltfinanzierung der Fall, kann aber auch durch den Erhalt von Subventionen geschehen.19 Auch öffentlich -rechtliche Einrichtungen können Unternehmen sein, sofern sie wirtschaftliche Tätigkeiten ausüben.20 13 Vgl. hierzu die Ausarbeitung . 14 Schweitzer/Hummer/Obwexer, Europarecht – Das Recht der Europäischen Union, 2007, Rn. 1710. 15 Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 87, Rn. 2. 16 EuGH, Rs. C-41/90 (Hörner u. Elfer), Slg. 1991, I-1979, Rn. 21; EuGH Rs. C-218/00 (INAIL), Slg. 2002, I- 691, Rn. 22 f. 17 EuGH, Rs. C-218/00 (INAIL), Slg. 2002, I-691, Rn. 23. 18 EuGH, Rs. 209 – 215, 218/78 (Van Landewyck/Kommission), Slg. 1980, 3125, Rn. 88; Rs. C- 244/94 (Fédération francaise des sociétés d’assurance u. a.), Slg. 1995, I-4022, Rn. 21; Weiß, in: Calliess/Ruffert, EUV/EGV, 3. Aufl. 2007, Art. 81 Rn. 25; Hänlein/Kruse, NZS 2000, S. 165 (167). 19 Luthe, Wettbewerb, Vergabe und Rechtsanspruch im „Sozialraum“ der Jugendhilfe, NDV 2001, 247, S. 8. 20 EuGH, Rs. 155/73 (Sacchi), Slg. 1974, 409. - 8 - Demnach fallen Tätigkeiten hoheitlicher Gewalt oder in Bezug auf ausschließlich soziale Zwecke nicht unter den Unternehmensbegriff.21 Eine alleinige Zuordnung zum öffentlichen Recht ist nicht ausreichend, um von einer hoheitlichen Maßnahme, die die Unternehmenseigenschaft ausschließen würde,22 auszugehen; dies ergibt sich bereits aus Art. 86 EGV. Vielmehr muss es sich in diesen Fällen um eine sachlich-inhaltliche hoheitliche Tätigkeit handeln.23 Dieser Fall wird – auch bei primär entgeltlichen Tätigkeiten – dann angenommen, wenn die Tätigkeit auch dem Allgemeininteresse dient und deren Erbringung mit Vorrechten verknüpft ist, die hoheitlicher Natur sind.24 Ein wesentlicher Anhaltspunkt für die Beurteilung, ob eine wirtschaftliche Betätigung und damit ein „Unternehmen“ vorliegen, besteht darin, ob die Tätigkeit ihrer Art nach nur von öffentlichen Einrichtungen ausgeübt werden kann. Dies wird insbesondere an der Vergleichbarkeit mit einer Betätigung privater Unternehmer gemessen, wobei es insbesondere auf ein Gesamtbild der Betätigung ankommt.25 Ob Träger von Sozialleistungen als Unternehmen i. S. d. europäischen Wettbewerbsrechts einzuordnen sind, ist im jeweiligen Einzelfall zu ermitteln. Diese sind jedenfalls nicht grundsätzlich von der Unternehmenseigenschaft ausgeschlossen. Nach der Rechtsprechung des EuGH sind die Begriffe „wirtschaftlich“ und „sozial“ keine generellen Gegensätze. Im Urteil Sodemare26 hat der EuGH lediglich festgestellt, dass die wettbewerbsrechtlichen Vorschriften der EG keine Tätigkeiten erfassen, die rein sozialen Zwecken ohne Gewinnerzielungsabsicht gewidmet sind. - Fachbereich Europa - 21 Generalanwalt am EuGH Cosmas, Rs. C-343/95 (Diego Cali u.a.) Slg. 1997, I-1547 Rn. 41. 22 EuGH, Rs. 94/74 (Igav/ENCC), Slg. 1975, 699 Rn. 33, 35; Rs. 30/87 (Bodson/Pompes Funèbrées), Slg. 1988, 2479 Rn. 18. 23 EuGH, Rs. C-343/95 (Diego Cali u.a.) Slg. 1997, I-1580 Rn. 6 ff. 24 Eilmansberger, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, vor Art. 81 Rn. 26. 25 Vgl. Generalanwalt am EuGH Tesauro, Rs. C-159 und 160/91 (Poucet und Pistre), Slg. 1993, I-664 Rn. 12; EuGH, Rs. C-475/99 (Ambulanz Glöckner), Slg. 2001, I-8089 Rn. 20. 26 EuGH, Rs. C-70/95 (Sodemare) Slg. 1997, I-3395 Rn. 43, 46.