© 2019 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 177/18 Beschränkungen des Versandhandels mit Arzneimitteln Vorgaben des Unionsrechts Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Diese Ausarbeitung dient lediglich der bundestagsinternen Unterrichtung, von einer Weiterleitung an externe Stellen ist abzusehen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 177/18 Seite 2 Beschränkungen des Versandhandels mit Arzneimitteln Vorgaben des Unionsrechts Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 177/18 Abschluss der Arbeit: 18.1.2019 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 177/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Beschränkung von Boni für EU-ausländische Apotheken 4 2.1. Hintergrund 4 2.1.1. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs 4 2.1.2. Vorschläge zur Begrenzung von Boni durch EU-ausländische Versandapotheken 6 2.2. Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit 6 2.2.1. Beschränkung von Boni auf EUR 2,50 je abgegebener Packung 7 2.2.2. Beschränkung von Boni bei Überschreiten einer Umsatzgrenze 8 2.3. Rechtfertigung des Eingriffs 8 2.3.1. Maßstab 8 2.3.2. Rechtfertigung der Beschränkung von Boni auf EUR 2,50 je abgegebener Packung sowie der Beschränkung von Boni bei Überschreiten einer Umsatzgrenze 10 2.4. Ergebnis 10 3. Verbot des Versandhandels vs. Eingriff in Preisgestaltung 11 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 177/18 Seite 4 1. Fragestellung Der Fachbereich Europa wurde um Begutachtung der Frage gebeten, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Beschränkung von sog. Boni für EU-ausländische Versandapotheken1 vor dem Hintergrund der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) mit dem Unionsrecht vereinbar wäre (Ziff. 2). Zudem wird in der Ausarbeitung untersucht, ob ein Eingriff in die freie Preisgestaltung von Arzneimitteln unionsrechtlich weniger bedenklich ist, als ein ganzheitliches Verbot des Arzneimittelversandhandels (Ziff. 3).2 2. Beschränkung von Boni für EU-ausländische Apotheken 2.1. Hintergrund Vor einer rechtlichen Bewertung der geplanten Beschränkung von Boni für EU-ausländische Versandapotheken soll zunächst die einschlägige Rechtsprechung des EuGH (Ziff. 3.1.1.) sowie die geplanten Regelungen des Bundesgesundheitsministeriums dargestellt werden (Ziff. 3.1.2). 2.1.1. Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs Der Versandhandel von Arzneimitteln war bereits mehrfach Gegenstand der Rechtsprechung des EuGH. Im Rahmen des Verfahrens in der Rs. C-322/01 (Deutscher Apothekenverband/DocMorris) hatte der EuGH die Frage der Vereinbarkeit des bis zur Reform geltenden nationalen Verbots des Versandhandels mit Arzneimitteln (§ 43 Arzneimittelgesetz AMG a.F.) sowie des Verbots des Inverkehrbringens von nicht in Deutschland zugelassenen Arzneimitteln (§ 73 Abs. 1 AMG a.F.) mit dem Primärrecht zu entscheiden. Dabei hat der im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens angerufene EuGH in seinem Urteil vom 11.12.2003 insbesondere festgehalten, dass ein nationales Versandhandelsverbot3 gegen die Grundsätze des freien Warenverkehrs nach ex-Art. 28 ff. Vertrag über die Europäische Gemeinschaft (EG) (nunmehr: Art. 34 ff. Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, AEUV) verstößt.4 Im Einklang mit dieser Entscheidung (aber unabhängig davon) wurde der Versandhandel und elektronische Handel auch mit RX-Arzneimitteln in 1 Mit dem Begriff „Boni“ werden die von den EU-ausländischen Versandapotheken gewährten Rabatte auf verschreibungspflichtige Medikamente bezeichnet. 2 Vgl. hierzu „Kein Verbot des Arzneimittel-Versands aber zusätzliche Millionen für Apotheker?“, Handelsblatt vom 11.12.2018, zuletzt abgerufen am 18.01.2019. 3 Beispielsweise § 43 Abs. 1 AMG a.F.: „Arzneimittel [...], die nicht durch die Vorschriften des § 44 oder der nach § 45 Abs. 1 erlassenen Rechtsverordnung für den Verkehr außerhalb der Apotheken freigegeben sind, dürfen außer in den Fällen des § 47 berufs- oder gewerbsmäßig für den Endverbrauch nur in Apotheken und nicht im Wege des Versandes in den Verkehr gebracht werden. Außerhalb der Apotheken darf [...] mit den nach Satz 1 den Apotheken vorbehaltenen Arzneimitteln kein Handel getrieben werden.“ 4 Zu den Vorlagefragen vgl. EuGH, Urteil vom 11.12.2003, Rs. C-322/01 (Deutscher Apothekerverband), Rn. 44. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 177/18 Seite 5 Deutschland mit Änderung des AMG durch das Gesetz vom 14. November 2003 ermöglicht.5 Der bis dahin weder geregelte noch überwachte Versandhandel von RX- und OTC-Arzneimitteln6 sollte mit dem Ziel des besseren Verbraucherschutzes durch die Änderung des AMG geregelt, kontrolliert und überwacht werden.7 Eine weitere Entscheidung des EuGH befasste sich mit der in § 78 Abs. 2 AMG festgesetzten Preisbindung verschreibungspflichtiger Arzneimittel.8 In dem am 19.10.2016 ergangenen Urteil in der Rs. C-148/15 (Deutsche Parkinson) hatte der EuGH darüber zu entscheiden, ob und unter welchen Bedingungen die deutsche Preisbindung bei RX-Arzneimitteln mit der primärrechtlichen Warenverkehrsfreiheit gemäß Art. 34 AEUV vereinbar ist.9 Der EuGH stellte in seiner Entscheidung zunächst fest, dass die deutsche Preisbindung in den Schutzbereich der Warenverkehrsfreiheit eingreift und als Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung im Sinne von Art. 34 AEUV anzusehen sei. Dieser Eingriff für RX-Arzneimittel in den Schutzbereich der Warenverkehrsfreiheit war nach Ansicht des EuGH auch nicht nach Art. 36 AEUV gerechtfertigt. Zwar erlaube Art. 36 AEUV, so der EuGH, einem Mitgliedstaat die Beibehaltung oder Einführung von Maßnahmen, die den Handelsverkehr verbieten oder beschränken , wenn diese Maßnahmen u. a. zum Schutz der Gesundheit oder des Lebens von Menschen gerechtfertigt seien10, allerdings sei im vorliegenden Fall kein hinreichender Nachweis da- 5 BGBl. I 2003, S. 2190. Zur Kritik an der Rabattwerbung für apothekenpflichtige, jedoch nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel infolge des Wegfalls der Preisbindung vgl. BT-Plenarprot. 15/125, 11415 C ff. 6 Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel werden als OTC-Arzneimittel (over the counter) bezeichnet. 7 Vgl. BT-Drs. 15/1525, S. 165. 8 Gemäß § 78 Abs. 2 des Arzneimittelgesetzes (AMG) ist für Arzneimittel, die vom Verkehr außerhalb der Apotheken ausgeschlossen sind, ein einheitlicher Apothekenabgabepreis zu gewährleisten. Hierfür sieht die Arzneimittelpreisverordnung („AMPreisV“) vor, dass der Hersteller für sein Arzneimittel einen Preis festzusetzen hat (§ 1), auf den dann noch Großhandelszuschläge (§ 2) und Apothekenzuschläge (§ 3) aufgeschlagen werden. Die AMPreisV gilt dabei gemäß § 78 Abs. 1 AMG auch für Arzneimittel, die gemäß § 73 Abs. 1 S. 1 Nr. 1a AMG, d. h. im Wege des Versandes an den Endverbraucher von einer Apotheke eines EU-Mitgliedstaates oder EWR- Vertragsstaates nach Deutschland verbracht werden. Außerdem enthält § 7 Abs. 1 Nr. 2 des Heilmittelgesetzes ein Verbot von Preisnachlässen auf verschreibungspflichtige Arzneimittel. 9 Urteil des EuGH vom 19.10.2016, Rs. C-148-15 (Deutsche Parkinson). In dem der Entscheidung zugrundliegenden Sachverhalt hatte die Deutsche Parkinson Vereinigung e.V. (DPV) in Kooperation mit der niederländischen Versandapotheke DocMorris ein Bonussystem beworben, das verschiedene Boni für verschreibungspflichtige, nur über Apotheken erhältliche Parkinson-Medikamente bei deren Bezug durch die Mitglieder der DPV von DocMorris vorsah. Nach Ansicht der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs e. V. (ZBW) verstieß das beworbene Bonusmodell in unlauterer Weise (§ 4 Nr. 11 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG)) gegen die gesetzliche Festlegung eines einheitlichen Apothekenabgabepreises (§ 78 Abs. 1 S. 4 AMG, §§ 1 und 3 AMPreisV). Das Landgericht Düsseldorf hatte der Klage der ZBW erstinstanzlich stattgegeben. Das mit der Berufung der DPV befasste Oberlandesgericht Düsseldorf hatte dem EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens Fragen vorgelegt. 10 EuGH, Urteil vom 19.10.2016, Rs. C-148/15 (Deutsche Parkinson) (siehe Fn. 9), Rn. 24. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 177/18 Seite 6 für erbracht worden, dass das Gebot eines einheitlichen Apothekenabgabepreises für RX-Arzneimittel zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen im Sinne von Art. 36 AEUV geeignet ist.11 Maßnahmen des deutschen Gesetzgebers ergingen in der Folge der Entscheidung des EuGH unmittelbar nicht. 2.1.2. Vorschläge zur Begrenzung von Boni durch EU-ausländische Versandapotheken Im Nachgang des Urteils vom 19. Oktober 2016 zur Unanwendbarkeit der deutschen Festpreise für verschreibungspflichtige Arzneimittel auf EU-ausländische Versandapotheken belebt nun ein neuer Vorschlag des Bundesgesundheitsministeriums mit dem Ziel der Regelung der Preisstruktur von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln die politische Diskussion um den europäischen Arzneimittelversandhandel. Der Umstand, dass deutsche Präsenzapotheken an einen deutschen Festpreis für verschreibungspflichtige Medikamente gebunden sind, wohingegen EU-ausländische Versandapotheken nach der Rechtsprechung des EuGH der Preisbindung nicht unterliegen sollen, wird aus deutscher Sicht weiterhin als regelungsbedürftig angesehen. Nach den von Bundesgesundheitsminister Spahn am 11.12.2018 vorgestellten Plänen für den Apothekenmarkt in Deutschland sollen daher die Präsenzapotheken in Deutschland weiter gefördert und der rabattfähige EU-ausländischen Versandhandel in Deutschland beschränkt werden. Konkret sehen die Vorschläge des Bundesgesundheitsministers im Hinblick auf den Arzneimittelversandhandel folgende Regelungen vor: Begrenzung der Boni für ausländische Apotheken auf EUR 2,50 EUR je abgegebener Packung (unabhängig des Preises des jeweiligen Arzneimittels). Evaluierung der Marktanteile des ausländischen Versandhandels im RX-Markt: Sofern der Marktanteil des ausländischen Versandhandels 5 % übersteigt, sollen die Möglichkeiten zur Boni-Gewährung überprüft und reduziert werden.12 Ein Referentenentwurf wurde vom Bundesgesundheitsminister für Ende Januar angekündigt.13 2.2. Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit Es ist zunächst zu prüfen, ob die vorgeschlagenen Begrenzungen der Boni von EU-ausländischen Versandapotheken einen Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit gemäß Art. 34 AEUV darstellen. 11 Vgl. Generalanwalt Szpunar, Schlussanträge vom 2.6.2016 zu Rs. C-148/15 (Deutsche Parkinson), Rn. 44 ff. 12 Vgl. hierzu: „Das sind Spahns Pläne für den Apothekenmarkt im Detail“ DAZ.online, 11.12.2018“, zuletzt abgerufen am 18.01.2019; ferner „Kein Verbot des Arzneimittel-Versands aber zusätzliche Millionen für Apotheker ?“, Handelsblatt vom 11.12.2018, zuletzt abgerufen am 18.01.2019. 13 Siehe „Kein Verbot des Arzneimittel-Versands aber zusätzliche Millionen für Apotheker?“, Handelsblatt vom 11.12.2018, zuletzt abgerufen am 18.01.2019. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 177/18 Seite 7 Das Verbot des Art. 34 AEUV erfasst grundsätzlich jede Maßnahme der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, die Einfuhren zwischen Mitgliedstaaten unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern.14 Allerdings soll ein Eingriff nach der Rechtsprechung des EuGH in der verb. Rs. C-267/91 und C-268/91 (Keck und Mithouard) nicht vorliegen, sofern die Anwendung nationaler Bestimmungen, die bestimmte Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und sofern sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren.15 Für die in Deutschland gesetzliche Preisbindung hat der EuGH einen Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit bereits angenommen. Nach Ansicht des EuGH in der Entscheidung Rs. C-148/15 (Deutsche Parkinson) ist die Preisbindung bei Arzneimitteln grundsätzlich als Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung im Sinne von Art. 34 AEUV anzusehen . Zur Begründung führte der EuGH insoweit aus, dass die Preisbindung zwar für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gleichermaßen gelte, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben. Jedoch berührt die gesetzliche Preisbindung die Abgabe von Arzneimitteln durch im Inland ansässige Apotheken und die Abgabe von Arzneimitteln durch in anderen Mitgliedstaaten ansässige Apotheken nicht in gleicher Weise.16 Nach Ansicht des Gerichtshofes ist der Preiswettbewerb für Versandapotheken aufgrund ihres eingeschränkten Leistungsangebots vor Ort ein wichtigerer Wettbewerbsfaktor als für traditionelle Apotheken, weil es von ihm abhänge, ob Versandapotheken einen unmittelbaren Zugang zum deutschen Markt finden und auf diesem konkurrenzfähig bleiben.17 2.2.1. Beschränkung von Boni auf EUR 2,50 je abgegebener Packung Zunächst ist zu prüfen, ob bereits die Beschränkung der Boni auf EUR 2,50 je abgegebener Packung einen Eingriff in Art. 34 AEUV als Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung darstellt. Ob ein Eingriff in Art. 34 AEUV besteht, ist entsprechend der Entscheidung des EuGH vom 19.10.2016, Rs. C-148/15 (Deutsche Parkinson) davon abhängig, ob der nun durch den Vorschlag weiterhin zugelassene Preiswettbewerb in der Rabattspanne von EUR 2,50 je abgegebener Packung ausreicht, um den EU-ausländischen Versandapotheken den Zugang zum deutschen Markt in ausreichender Weise zu ermöglichen.18 Ein Eingriff in Art. 34 AEUV dürfte somit nicht vorliegen, sollte die Preisspanne zur Sicherstellung eines Marktzugangs ausreichen. In jedem Fall wäre bei der Bewertung zu berücksichtigen, dass die Begrenzung der Boni absolut, d. h. ohne Rücksicht auf den Verkaufspreis des einzelnen Arzneimittels, 14 Grundsätzlich, EuGH, Urteil vom 11.7.1974, Rs. 8/74 (Dassonville); ferner EuGH, Urteil vom 11.09.2008, Rs. C-141/07 (Kommission/Deutschland), Rn. 28. 15 Zu diesen Kriterien vgl. EuGH, Urteil vom 24.11.1993, verb. Rs. C-267/91 und C-268/91 (Keck und Mithouard), Rn. 16. 16 Zu diesen Kriterien vgl. EuGH, Urteil vom 24.11.1993, verb. Rs. C-267/91 und C-268/91 (Keck und Mithouard), Rn. 16. 17 EuGH, Urteil vom 19.10.2016, Rs. C-148/15 (Deutsche Parkinson) (siehe Fn. 9), Rn. 24. 18 EuGH, Urteil vom 19.10.2016, Rs. C-148/15 (Deutsche Parkinson) (siehe Fn. 9), Rn. 24. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 177/18 Seite 8 erfolgen soll. Dies hätte zur Folge, dass bei Arzneimitteln mit vergleichsweise geringen Verkaufspreisen die Spanne der zulässigen Boni relativ gesehen größer ist als bei Arzneimitteln mit höheren Verkaufspreisen. Da hierzu jedoch keine entsprechenden Daten vorliegen, kann eine abschließende Bewertung dieser Frage jedoch an dieser Stelle nicht erfolgen. 2.2.2. Beschränkung von Boni bei Überschreiten einer Umsatzgrenze Ähnlich verhält es sich im Hinblick auf die vorgeschlagene Begrenzung von Boni nach Überschreitung einer Schwelle von 5 % Marktanteil des ausländischen Versandhandels. Der Grundgedanke der vorgeschlagenen Regelung sieht vor, dass EU-ausländische Versandapotheken nur solange rabattierte verschreibungspflichtige Medikamente verkaufen dürfen, bis dieser Versandhandel insgesamt einen Marktanteil von 5 % erreicht. Sofern der Marktanteil des ausländischen Versandhandels 5 % übersteigt, sollen die Möglichkeiten zur Boni-Gewährung überprüft und reduziert werden. Auch insoweit hängt das Vorliegen eines Eingriffes von dem Umstand ab, ob durch die geplante Maßnahme, der weiterhin zugelassene Preiswettbewerb ausreicht, um den EU-ausländischen Versandapotheken den Zugang zum deutschen Markt in ausreichender Weise zu ermöglichen.19 Zunächst ist in diesem Zusammenhang bereits unklar, auf welcher Grundlage ein Marktanteil von 5 % als Nachweis für einen ausreichenden Marktzugang ermittelt wurde. Zudem bestehen Bedenken, ob durch eine – wie angedacht – generelle Betrachtung des Marktzugangs das Vorliegen eines Eingriffs sicher bewertet werden kann. Es ist zumindest fraglich, ob für den einzelnen EU-ausländischen Versandapotheker auch nach Überschreiten der (bereits in der beabsichtigten Höhe fragwürdigen generellen) relevanten Schwelle ein ausreichender Zugang zum deutschen Markt besteht. Da auch insoweit keine relevanten Daten vorliegen, kann diese Frage nicht abschließend beantwortet werden. 2.3. Rechtfertigung des Eingriffs Eingriffe in die Warenverkehrsfreiheit gemäß Art. 34 AEUV können u. a. gemäß Art. 36 AEUV gerechtfertigt sein. Gemäß Art. 36 AEUV können Eingriffe in die Warenverkehrsfreiheit insbesondere aus Gründen der öffentlichen Sittlichkeit, Ordnung und Sicherheit, zum Schutze der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren oder Pflanzen, des nationalen Kulturguts von künstlerischem, geschichtlichem oder archäologischem Wert oder des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt sein. 2.3.1. Maßstab Ein Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit kann somit insbesondere zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen gerechtfertigt sein (Art. 36 AEUV). Nationale Maßnahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit nehmen dabei nach Ansicht des EuGH unter den vom Vertrag geschützten Gütern und Interessen die Gesundheit und das Leben von Menschen den höchsten Rang ein. Daher besitzen die Mitgliedstaaten mangels einer Vollharmonisierung einen weiten Wertungsspielraum bei der Entscheidung, auf welchem Niveau sie den Schutz der Gesundheit 19 EuGH, Urteil vom 19.10.2016, Rs. C-148/15 (Deutsche Parkinson) (siehe Fn. 9), Rn. 24. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 177/18 Seite 9 der Bevölkerung gewährleisten wollen und wie dieses Niveau erreicht werden soll.20 Der EuGH führt insoweit wörtlich aus: „Insbesondere kann das Erfordernis, die regelmäßige Versorgung des Landes für wichtige medizinische Zwecke sicherzustellen, eine Behinderung des innergemeinschaftlichen Handelsverkehrs im Rahmen von Art. 36 AEUV rechtfertigen, da dieses Ziel unter den Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen fällt (vgl. Urteil vom 28. März 1995, Evans Medical und Macfarlan Smith, C-324/93, EU:C:1995:84, Rn. 37).“21 Innerhalb dieses Handlungsspielraums müssen Beschränkungen von Grundfreiheiten, die sich aus staatlichen Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen ergeben, verhältnismäßig sein. Die fragliche Maßnahme muss dazu geeignet sein, die Verwirklichung des verfolgten legitimen Ziels zu gewährleisten, und sie darf nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.22 Letzteres ist dann nicht der Fall, wenn die Gesundheit oder das Leben von Menschen genauso wirksam durch Maßnahmen geschützt werden können, die den Handel in der Union weniger beschränken.23 Dabei setzt die Geeignetheit für die Erreichung des geltend gemachten Ziels voraus, dass die Maßnahme dem Anliegen gerecht wird, dieses Ziel in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen.24 Zudem müssen die Rechtfertigungsgründe, auf die sich ein Mitgliedstaat berufen kann, von einer Untersuchung zur Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit der von diesem Mitgliedstaat erlassenen Maßnahme sowie von genauen Angaben zur Stützung seines Vorbringens begleitet sein. Dementsprechend muss ein nationales Gericht, wenn es eine nationale Regelung darauf prüft, ob sie zum Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen nach Art. 36 AEUV gerechtfertigt ist, mit Hilfe statistischer Daten, auf einzelne Punkte beschränkter Daten oder anderer Mittel objektiv prüfen, ob die von dem betreffenden Mitgliedstaat vorgelegten Beweise bei verständiger Würdigung die Einschätzung erlauben, dass die gewählten Mittel zur Verwirklichung der verfolgten Ziele geeignet sind, und ob es möglich ist, diese Ziele durch Maßnahmen zu erreichen, die den freien Warenverkehr weniger einschränken.25 Ein vergleichbarer Darlegungsmaßstab dürfte auch im Hinblick auf die vom EuGH in der bereits erwähnten Entscheidung vom 11.12.2003, Rs. C-322/01 (Deutscher Apothekerverband/DocMor- 20 EuGH, Urteil vom 7.3.1989, Rs. C-215/87 (Schumacher), Rn. 17; EuGH, Rs. C-148/15 (Deutsche Parkinson) (Fn. 9), Rn. 30. 21 EuGH, Rs. C-148/15 (Deutsche Parkinson) (siehe Fn. 9), Rn. 30. 22 EuGH, Rs. C-148/15 (Deutsche Parkinson) (siehe Fn. 9), Rn. 35 mit Verweis auf EuGH, Rs. C-333/14 (The Scotch Whisky Association u. a.), (siehe Fn. 22), Rn. 54. 23 EuGH, Urteil vom 7.3.1989, Rs. C-215/87 (Schumacher) (siehe Fn. 20), Rn. 17 f. 24 EuGH, Urteil vom 21.12.2011, Rs. C-28/09 (Kommission/Österreich), Rn. 126; EuGH, Urteil vom 19.05.2009, verb. Rs. C-171/07 und C-172/07 (Apothekerkammer des Saarlandes u. a.), Rn. 42. 25 EuGH, Rs. C-148/15 (Deutsche Parkinson) (siehe Fn. 9), Rn. 36 mit Verweis auf EuGH, Rs. C-333/14 (The Scotch Whisky Association u. a.) (Fn. 22), Rn. 59. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 177/18 Seite 10 ris) anerkannten Rechtfertigung von Arzneimittelfestpreisen aufgrund eines zwingenden Allgemeininteresses gelten.26 In der genannten Entscheidung stellte der EuGH im Hinblick auf die mögliche Rechtfertigung von gesetzlichen Arzneimittelfestpreisen fest, dass jedenfalls nicht ausgeschlossen werden könne, „dass eine erhebliche Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen kann, der eine derartige Beschränkung rechtfertigen kann.“ In der folgenden Entscheidung Rs. C- 148/15 (Deutsche Parkinson)27 geht der EuGH auf diesen Rechtfertigungsgrund jedoch nicht ein.28 2.3.2. Rechtfertigung der Beschränkung von Boni auf EUR 2,50 je abgegebener Packung sowie der Beschränkung von Boni bei Überschreiten einer Umsatzgrenze Hinsichtlich der Rechtfertigung eines etwaigen Eingriffs (siehe oben) durch die geplante Beschränkung von Boni auf EUR 2,50 je abgegebener Packung bzw. der Beschränkung von Boni bei Überschreiten einer Umsatzgrenze ist zu berücksichtigen, dass diese Maßnahmen eine im Vergleich zu einer absoluten Festpreisbindung geringere Intensität aufweisen, indem sie in gewissen Grenzen einen Preiswettbewerb zulassen. Der Rechtsprechung des EuGH in der Rs. C-148/15 (Deutsche Parkinson) folgend, müsste auch insoweit der fundierte Nachweis erbracht werden, dass die geplante Einschränkung des Preiswettbewerbs geeignet und erforderlich ist, um Gefahren der sicheren Bereitstellungen von Gesundheitsgütern abzuwenden.29 Mangels des Vorliegens entsprechender Daten kann eine abschließende Einschätzung an dieser Stelle jedoch nicht erfolgen. 2.4. Ergebnis Im Ergebnis kann mangels des Vorliegens entsprechender Daten keine abschließende Einschätzung zur Vereinbarkeit der vom Bundesgesundheitsministerium geplanten Maßnahmen zur Preisgestaltung von Arzneimitteln im Versandhandel mit dem Unionsrecht erfolgen. Der Rechtsprechung des EuGH folgend ist für die Bewertung des Vorliegens eines Eingriffs in die Warenverkehrsfreiheit die Feststellung erforderlich, ob der durch die Vorschläge des Bundesgesundheitsministeriums weiterhin zugelassene Preiswettbewerb ausreicht, um den EU-ausländischen Apotheken den Zugang zum deutschen Markt in ausreichender Weise zu ermöglichen. Hierzu liegen jedoch keine relevanten Daten vor. 26 EuGH, Urteil vom 11.12.2003, Rs. C-322/01 (Deutscher Apothekerverband) (siehe Fn. 4), Rn. 122 m. w. N. 27 Siehe Fn. 9. 28 Anders hingegen Generalanwalt Szpunar, Schlussanträge vom 2.6.2016 zu Rs. C-148/15 (Deutsche Parkinson), Rn. 41 ff. 29 EuGH, Rs. C-148/15 (Deutsche Parkinson) (siehe Fn. 9), Rn. 36 mit Verweis auf EuGH, Rs. C-333/14 (The Scotch Whisky Association u. a.) (Fn. 22), Rn. 59. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 177/18 Seite 11 Soweit ein Eingriff durch die vom Bundesgesundheitsministerium vorgestellten Maßnahmen vorliegt , könnte dieser im Rahmen von Art. 36 AEUV gerechtfertigt sein. Eine Rechtfertigung erfordert jedoch nach Ansicht des EuGH zur Erreichung des beabsichtigten Ziels das Vorliegen geeigneter und erforderlicher Maßnahmen, die durch objektiv nachprüfbare Beweise nachgewiesen werden müssen. Im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH ist zur Rechtfertigung der fundierte Nachweis zu erbringen, dass die geplante Einschränkung des Preiswettbewerbs geeignet und erforderlich ist, um Gefahren der sicheren Bereitstellungen von Gesundheitsgütern abzuwenden . 3. Verbot des Versandhandels vs. Eingriff in Preisgestaltung Zur Beantwortung der Frage, ob ein Verbot des Versandhandels bzw. die beschriebenen Eingriffe in die Preisgestaltung europarechtlich bedenklich sind, ist zunächst der Bewertungsmaßstab zu bestimmen. Als Bewertungsmaßstab bietet sich die Intensität eines möglichen Eingriffs in die Warenverkehrsfreiheit an, da sich anhand dessen die Anforderungen an eine Rechtfertigung ergeben . Für die Bewertung der Eingriffsintensität erscheint eine rein juristische Bewertung wie auch eine Bewertung aus einer wirtschaftlichen Perspektive denkbar. Legt man einen rein juristischen Maßstab bei der Bewertung der Frage der Eingriffsintensität an, so führt ein Verbot des Arzneimittelversandhandels, zu einer vollständigen Untersagung jeglichen Versandhandels und damit zu einer maximalen Beeinträchtigung für EU-ausländische Versandapotheken . Maßnahmen zur Preisgestaltung, durch die Begrenzung von Boni, lassen dagegen einen Versandhandel im Grundsatz zu. Preisgestaltende Maßnahmen sind daher aus einer rein juristischen Sichtweise in ihrer Intensität grundsätzlich mit geringeren Beeinträchtigungen für EU-ausländische Versandapotheken verbunden als ein ganzheitliches Verbot des Arzneimittelversandhandels . Eine andere Betrachtung könnte sich bei einer wirtschaftlichen Betrachtung ergeben. Je nach Intensität des Eingriffs in die Preisgestaltung variiert demnach die Beeinträchtigung für eine EUausländische Versandapotheke beim Eintritt in den deutschen Markt. Denkbar sind soweit Eingriffe in die Preisgestaltung, die für EU-ausländische Versandapotheken nicht unmittelbar spürbar sind hin zu Beeinträchtigungen, die aufgrund ihrer Stärke einem Verbot gleichkämen. Letzteres könnte bspw. dann der Fall sein, wenn eine Beschränkung der Möglichkeit zur Gewährung von Boni die den EU-ausländischen Versandapotheken zur Verfügung stehenden Kostenvorteile aufwiegt und ein Markteintritt für diese Apotheken aufgrund dessen wirtschaftlich nicht mehr möglich ist. Allerdings liegen im Hinblick auf die geplante Beschränkung von Boni durch den Vorschlag des Bundesgesundheitsministeriums hinsichtlich der Eingriffsintensität keine relevanten Daten vor, so dass eine abschließende Bewertung an dieser Stelle nicht erfolgen kann (siehe oben unter Ziff. 2.4). - Fachbereich Europa -