© 2019 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 173/18 Forstschäden-Ausgleichsgesetz und Unionsrecht Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Diese Ausarbeitung dient lediglich der bundestagsinternen Unterrichtung, von einer Weiterleitung an externe Stellen ist abzusehen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 173/18 Seite 2 Forstschäden-Ausgleichsgesetz und Unionsrecht Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 173/18 Abschluss der Arbeit: 13. Februar 2019 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 173/18 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. § 2 ForstSchAusglG 4 2.1. Zur Möglichkeit autonomer mitgliedstaatlicher Einfuhrbeschränkungen 4 2.1.1. Innerunionale Einfuhrbeschränkungen 4 2.1.2. Einfuhrbeschränkungen gegenüber Drittstaaten 6 2.2. Ergebnis 7 3. §§ 3 bis 7 ForstSchAusglG 7 3.1. Vorliegen von Steuervergünstigungen 7 3.2. Überblick über das EU-Beihilferecht 7 3.2.1. Materielles EU-Beihilferecht 8 3.2.2. EU-Beihilfeverfahren 8 3.2.2.1. Vorabnotifizierung und Beihilfeverfahren 9 3.2.2.2. Freistellung von der Notifizierung und ex-post-Kontrolle 10 3.2.2.3. Rechtswidrige Beihilfen 10 3.3. Beihilferechtliche Relevanz der Steuervergünstigungen nach den §§ 3 bis 7 ForstSchAusglG 10 3.3.1. Beihilfetatbestandliche Relevanz nach Art. 107 Abs. 1 AEUV 11 3.3.1.1. Unternehmen bzw. wirtschaftliche Tätigkeit 11 3.3.1.2. Finanzierung aus staatlichen Mitteln 11 3.3.1.3. Begünstigung 12 3.3.1.4. Selektivität 12 3.3.1.5. Auswirkungen auf Handel und Wettbewerbsbeschränkung 13 3.3.1.6. Zwischenergebnis 13 3.3.2. Rechtfertigung 13 3.3.3. Ergebnis 15 4. Sonstige Vorschriften des ForstSchAusglG 16 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 173/18 Seite 4 1. Fragestellung Vor dem Hintergrund der Dürreschäden im Forstbereich im Jahr 2018 ist der Fachbereich Europa beauftragt worden, zu untersuchen, ob das Forstschäden-Ausgleichsgesetz (im Folgenden: Forst- SchAusglG)1 mit dem Unionsrecht vereinbar ist. Einer besonderen Betrachtung soll dabei zum einen § 2 ForstSchAusglG (2.) unterzogen werden. Zum anderen sind die steuerrelevanten Vorschriften der §§ 3 ff. ForstSchAusglG in EU-beihilferechtlicher Sicht zu erörtern (3.). Nachdem anschließend kurz auf die sonstigen Vorschriften des ForstSchAusglG eingegangen wird (4.), schließt die Ausarbeitung mit einer Zusammenfassung (5.). 2. § 2 ForstSchAusglG § 2 ForstSchAusglG ermöglicht unter bestimmten Voraussetzungen eine Beschränkung der Einfuhr von Holz und Holzerzeugnissen der ersten Bearbeitungsstufe auf Grundlage des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG).2 Bereits ihrem Wortlaut nach („soweit es mit dem Recht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vereinbar ist“) schließt die Vorschrift einen Verstoß gegen das Unionsrecht bei ihrer Anwendung und damit ihre Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht aus. Für die Praxis und den tatsächlichen Anwendungsbereich dieser Vorschrift stellt sich mit Blick auf diesen Unionsrechtsvorbehalt die Frage, ob autonome mitgliedstaatliche Einfuhrbeschränkungen zulässig wären (2.1.) oder, ob die Vorschrift nur bei entsprechenden sekundärrechtlichen Vorgaben der EU aktiviert werden kann (2.2.). 2.1. Zur Möglichkeit autonomer mitgliedstaatlicher Einfuhrbeschränkungen Hinsichtlich autonomer mitgliedstaatlicher Einfuhrbeschränkungen ist zwischen innerunionalen (2.1.1.) und solchen gegenüber Drittstaaten außerhalb der Europäischen Union (EU) zu unterscheiden (2.1.2.). 2.1.1. Innerunionale Einfuhrbeschränkungen Betrachtet man den grenzüberschreitenden Handel mit Holz und Holzprodukten innerhalb der EU, dann sind Einfuhrverbote unionsrechtlich nur dann zulässig, wenn sie mit der Warenverkehrsfreiheit nach Art. 28, 34 AEUV3 vereinbar sind. 1 Gesetz zum Ausgleich von Auswirkungen besonderer Schadensereignisse in der Forstwirtschaft (Forstschäden- Ausgleichsgesetz), zul. geä. durch Art. 412 der Verordnung vom 31.8.2015 (BGBl. I S. 1474). 2 Außenwirtschaftsgesetz (AWG), zul. geä. durch Art. 4 des Gesetzes vom 20.7.2017 (BGBl. I S. 2789). 3 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (Konsolidierte Fassung), ABl. C 202 vom 26. Oktober 2012, S. 47. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 173/18 Seite 5 Waren i. S. d. Art. 28 ff. AEUV sind solche Gegenstände, die einen Handelswert haben und daher Gegenstand von Handelsgeschäften sein können.4 Dazu zählen auch Holz und Holzerzeugnisse der ersten Bearbeitungsstufe. Art. 34 AEUV verbietet zunächst nicht gerechtfertigte mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen für diese Waren. Mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sind alle staatlichen Maßnahmen, die die Einfuhr von Waren vollständig oder z. T. verbieten.5 Dazu zählen auch Einfuhrbeschränkungen wie sie nach § 2 ForstSchAusglG erlassen werden können. Eingriffe dieser Art könnten jedoch gerechtfertigt sein. Hierfür müsste allerdings ein legitimer Rechtfertigungsgrund verfolgt werden, der nicht allein in der Verwirklichung wirtschaftlicher Ziele bestehen darf.6 Aus den Gesetzesmaterialien zu § 2 ForstSchAusglG folgt, dass das Ziel dieser Vorschrift in der Abmilderung schwerwiegender Störungen des Rohholzmarktes durch außerordentliche Holznutzungen in Form von Kalamitätsnutzungen liegt.7 Diese Zielsetzung lässt sich auch § 1 Abs. 1 ForstSchAusglG entnehmen („um erhebliche und überregionale Störungen des Rohholzmarktes durch außerordentliche Holznutzungen zu vermeiden, die infolge […] (Kalamitätsnutzungen), erforderlich werden.“). Eine anderweitige Zweckrichtung der Regelungen des ForstSchAusglG lässt sich weder der ursprünglichen Gesetzesbegründung, noch den Materialien zu den Änderungen dieser Vorschriften entnehmen. Vor diesem Hintergrund bleibt weder für die Anwendung der geschriebenen Rechtfertigungsgründe nach Art. 36 S. 1 AEUV, etwa den Schutz des Lebens von Pflanzen8, noch für die vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) anerkannten sog. ungeschriebenen Rechtfertigungsgründe der zwingenden Erfordernisse des Allgemeinwohls (sog. Cassis-Formel), wie bspw. den Umweltschutz ,9 Raum. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass autonome mitgliedstaatliche Einfuhrbeschränkungen gegenüber Holzeinfuhren aus anderen Mitgliedstaaten, die mit den Zielsetzungen des § 2 Forst- SchAusglG vorgenommen werden, mit der Warenverkehrsfreiheit nach Art. 28, 34 AEUV nicht vereinbar wären. Sie scheiden daher als Anwendungsfall für § 2 ForstSchAusglG aus. 4 EuGH, Rs. 7/68 (Kunstschätze I), Slg. 1968, S. 633, 642; EuGH, Rs. C-2/90 (Abfalltransport), Slg. 1992, S. I-4431, Rn. 26. 5 EuGH, Rs. 2/73 (Geddo), Slg. 1973, S. 865, Rn. 7. 6 Vgl. insoweit Art. 36 S. 1 AEUV sowie zu den zwingenden Gründen des Allgemeinwohls bspw. EuGH, Rs. C-120/95 (Decker), Slg. 1998, S. I-1831, Rn. 39. 7 Bundestagsdrucksache 10/1394 vom 3.5.1984, S. 1 f. 8 Vgl. EuGH, Rs. C-169/89, Slg. 1990, S. I-2143, Rn. 16. 9 EuGH, Rs. C-2/90 (Abfalltransport), Slg. 1992, S. I-4431, Rn. 29 ff.; EuGH, Rs. C-379/98 (PreussenElektra), Slg. 2001, S. I-2099, Rn. 72 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 173/18 Seite 6 2.1.2. Einfuhrbeschränkungen gegenüber Drittstaaten Autonome Einfuhrbeschränkungen nach § 2 ForstSchAusglG könnten auch gegenüber Holzeinfuhren aus Drittstaaten verhängt werden, also gegenüber Holz und Holzerzeugnisse der ersten Bearbeitungsstufe , welche keine Unionswaren oder Waren aus Drittstaaten i. S. d. Art. 28 ff. AEUV sind. Denn insoweit greift die Warenverkehrsfreiheit nicht. Es ist daher zu prüfen, ob dies unionsrechtlich zulässig sein könnte. Handelsmaßnahmen gegenüber Drittstaaten fallen allerdings in die gesamte Außenhandelspolitik nach Art. 207 AEUV und damit unter die ausschließliche Zuständigkeit der EU nach Art. 3 Abs. 1 lit. e AEUV. Demzufolge kann in diesem Bereich allein die EU verbindliche Rechtsakte erlassen und die Mitgliedstaaten können nur insoweit tätig werden, sie Unionsrechtsakte durchführen oder von der EU dazu ermächtigt worden sind (Art. 2 Abs. 1 AEUV). Gestützt auf Art. 207 Abs. 2 AEUV wurden mit der Verordnung (EU) Nr. 2015/47810 gemeinsame Regeln für die Einfuhr von Waren mit Ursprung in Drittländern in die EU erlassen. Als Waren i. S. v. Art. 1 Abs. 1 Verordnung (EU) Nr. 2015/478 gilt für Holz und Holzerzeugnisse der ersten Bearbeitungsstufe gemäß Art. 1 Abs. 2 Verordnung (EU) Nr. 2015/478 der Grundsatz, dass die Einfuhr in die EU frei ist, d. h. keinen mengenmäßigen Beschränkungen unterliegt. Etwas anderes gilt nach Art. 1 Abs. 2 Verordnung (EU) Nr. 2015/478 nur für Schutzmaßnahmen gemäß Kapitel V (Art. 15 ff.) Verordnung (EU) Nr. 2015/478. Hiernach kann aber lediglich die Kommission von sich aus oder auf Antrag eines Mitgliedstaates mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen einführen (Art. 15 Abs. 1 S. 1 Verordnung (EU) Nr. 2015/478), nicht jedoch ein Mitgliedstaat selbst. Der nationale Ordre-Public-Vorbehalt11 des Art. 24 Abs. 2 lit. a Verordnung (EU) Nr. 2015/478 erfasst ebenfalls keine Einfuhrbeschränkungen i. S. d. § 2 ForstSchAusglG. Der allein in Betracht kommende Rechtfertigungsgrund des Schutzes von Pflanzen ist hier aus demselben Grund abzulehnen wie derjenige, der oben bereits gegen das Vorliegen des gleichlautenden Rechtfertigungsgrundes des Art. 36 S. 1 AEUV angeführt worden ist. Wegen der Übereinstimmung der Gründe kann insoweit die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 36 S. 1 AEUV herangezogen werden.12 Somit besteht auch für autonome mitgliedstaatliche Einfuhrbeschränkungen i. S. d. § 2 Forst- SchAusglG gegenüber Holz aus Drittstaaten im Lichte der Verordnung (EU) Nr. 2015/478 kein Raum. 10 Verordnung (EU) Nr. 2015/478 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2015 über eine gemeinsame Einfuhrregelung, ABl. L 83 vom 27.3.2015, S. 16. 11 Pünder/Kjellsson, Grundzüge des Außenwirtschaftsrechts, Jura 2016, S. 894, 901. 12 Vgl. Dalkilic/Terhechte, in: Krenzler/Herrmann/Niestedt, EU-Außenwirtschafts- und Zollrecht, 6. EL Oktober 2015, Art. 24 Einfuhr-VO, Rn. 5. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 173/18 Seite 7 2.2. Ergebnis Aus dem Vorstehenden folgt, dass auf § 2 ForstSchAusglG nur zurückgegriffen werden kann, wenn das (sekundäre) Unionsrecht selbst entsprechende Einschränkungen vorsehen würde, die durch die Mitgliedstaaten entsprechend umgesetzt werden. Hierauf wird auch in der Gesetzbegründung zur geltenden Fassung des § 2 ForstSchAusglG hingewiesen.13 Damit ist § 2 ForstSchAusglG zwar aufgrund des Unionsrechtsvorbehalts mit dem Unionsrecht vereinbar. Der Vorbehalt führt jedoch letztlich dazu, dass sich der tatsächliche Anwendungsbereich der Vorschrift in Maßnahmen zur Durchführung entsprechender unionsrechtlicher Rechtsakte erschöpft. Für autonome mitgliedstaatliche Maßnahmen bietet er keinen Raum. 3. §§ 3 bis 7 ForstSchAusglG Im Hinblick auf die steuerrechtlichen Vorschriften des ForstSchAusglG (§§ 3 bis 7) stellt sich die Frage, ob diese mit dem EU-Beihilferecht (Art. 107 bis 109 AUEV) vereinbar sind. Denn die Einräumung von Steuervergünstigungen ist in der Regel beihilferelevant. Nachfolgend wird daher zunächst dargelegt, inwieweit die §§ 3 bis 7 ForstSchAusglG Steuervergünstigungen regeln (3.1.). Sodann wird das EU-Beihilferecht überblicksartig dargestellt (3.2.) und im Anschluss daran die beihilferechtliche Relevanz der §§ 3 bis 7 ForstSchAusglG erörtert (3.3.). 3.1. Vorliegen von Steuervergünstigungen Die §§ 3 bis 7 ForstSchAusglG regeln folgende Steuervorteile für Forstwirte: § 3 ForstSchAusglG ermöglicht unter bestimmten Voraussetzungen die Bildung einer den steuerlichen Gewinn mindernden Rücklage zur Bildung eines betrieblichen Ausgleichfonds. Im Zusammenhang mit Beschränkungen des ordentlichen Holzeinschlags nach § 1 ForstSchAusglG steht den Betroffenen gemäß § 4 ForstSchAusglG ein erhöhter Betriebsausgabenabzug zu und diese können nach § 4a ForstSchAusglG im Hinblick auf das eingeschlagene und unverkaufte Kalamitätsholz ihre Steuerschuld stunden. § 5 ForstSchAusglG regelt für Einkünfte aus Kalamitätsnutzungen in bestimmten Konstellationen die Geltung des geminderten, einheitlichen Steuersatzes des § 34b Abs. 3 Nr. 2 Einkommenssteuergesetz. Gemäß § 7 ForstSchAusglG kann der Bewertungsabschlag für den Mehrbestand an inländischen Holzwaren im Sinne der Vorschrift erhöht werden. 3.2. Überblick über das EU-Beihilferecht Das EU-Beihilferecht lässt sich in materielle (3.2.1.) und formal-verfahrensrechtliche Bestimmungen (3.2.2.) aufteilen. 13 Stellungnahme der Bundesregierung zum Gesetzentwurf des Bundesrates „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Forstschäden-Ausgleichsgesetzes, BT-Drucksache 10/1394 vom 3.5.1984, S. 9 ff., S. 11. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 173/18 Seite 8 3.2.1. Materielles EU-Beihilferecht Den materiellen Kern des EU-Beihilferechts bildet das an die Mitgliedstaaten gerichtete grundsätzliche Verbot staatlicher Beihilfen. Nach Art. 107 Abs. 1 AEUV sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen . Diesem Normtext werden mehrere Merkmale entnommen, die kumulativ erfüllt sein müssen, um von dem Vorliegen einer Beihilfe ausgehen zu können: Neben der aus staatlichen Mitteln gewährten Begünstigung an Unternehmen gehören hierzu die Selektivität (Begünstigung nur bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige), die Wettbewerbsverfälschung und die Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels.14 Fehlt es nur an einem der Merkmale, so liegt keine Beihilfe nach Art. 107 Abs. 1 AEUV vor und das EU-Beihilferecht findet keine Anwendung .15 Sind die Merkmale des Art. 107 Abs. 1 AEUV hingegen erfüllt, so ist dies nicht gleichbedeutend mit einer Unionsrechtswidrigkeit der betreffenden nationalen Maßnahme. Denn das in dieser Vertragsvorschrift geregelte Beihilfeverbot gilt nicht absolut, sondern nur insoweit, als in den Verträgen nichts anderes bestimmt ist. Zu diesen „anderen Bestimmungen“ zählen vor allem Art. 107 Abs. 3 AEUV und die dort aufgeführten Fallgruppen.16 Danach können Beihilfen unter bestimmten Voraussetzungen als mit dem Binnenmarkt vereinbar und insoweit gerechtfertigt bzw. als unionsrechtlich zulässig angesehen werden. Gerechtfertigt sind auch solche Beihilfen, welche die Vorgaben einer Fallgruppe des Art. 107 Abs. 2 AEUV (zwingende Legalausnahmen) erfüllen. 3.2.2. EU-Beihilfeverfahren Der Vollzug des EU-Beihilferechts obliegt auf Grundlage von Art. 108 AEUV vor allem der Kommission .17 In verfahrenstechnischer Hinsicht sind dabei zwei Ansätze zu unterscheiden: eine pri- 14 Siehe zu den einzelnen Merkmalen und der dazu ergangenen Rechtsprechung die sog. Beihilfemitteilung der Kommission: Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl.EU 2016 Nr. C 262/1 (letztmaliger Abruf am 13.02.19). In dieser Mitteilung erläutert die Kommission unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EuGH die einzelnen Merkmale des Beihilfetatbestandes. 15 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 24.07.2003, Rs. C-280/00 (Altmark Trans), Rn. 74, mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung. 16 Ein weitere primärrechtliche Vorschrift in diesem Zusammenhang ist Art. 106 Abs. 2 AEUV für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind oder den Charakter eines Finanzmonopols haben. 17 Zu den wenigen, zum Teil auf Ausnahmesituationen beschränkten Kompetenzen des Rates im EU-Beihilfenrecht nach Art. 107 Abs. 3 lit. e, Art. 108 Abs. 2 UAbs. 3 sowie Art. 109 AEUV vgl. allgemein Frenz, Handbuch Europarecht, Band 3: Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 1224 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 173/18 Seite 9 märrechtlich vorgesehene ex-ante-Prüfung (siehe unter 3.2.2.1.) und eine sekundärrechtlich geprägte ex-post-Kontrolle (siehe unter 3.2.2.2.). Besonderheiten gelten für sog. rechtwidrige Beihilfen (3.2.2.3.). 3.2.2.1. Vorabnotifizierung und Beihilfeverfahren Nach Art. 108 Abs. 2 und 3 AEUV sowie der sekundärrechtlichen Konkretisierung dieser Bestimmungen in Gestalt der Beihilfenverfahrensordnung (Beihilfe-VerfO)18 können mitgliedstaatliche Vorhaben zum einen vorab (präventiv) überprüft werden. Verfahrensrechtlicher Ausgangspunkt ist hierbei die Pflicht der Mitgliedstaaten, Beihilfen vor ihrer Einführung bei der Kommission anzumelden (Notifizierungspflicht, vgl. Art. 108 Abs. 3 S. 1 AEUV19). Diese prüft sodann, ob eine Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV vorliegt und – wenn das der Fall ist – ob sie insbesondere nach Art. 107 Abs. 3 AEUV gerechtfertigt werden kann oder sogar gemäß Art. 107 Abs. 2 AEUV gerechtfertigt ist.20 Erst im Anschluss hieran darf der betreffende Mitgliedstaat die Beihilfe gewähren (sog. Durchführungsverbot, vgl. Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV21). Von hoher praktischer Bedeutung sind an dieser Stelle zahlreiche Sekundärrechtsakte, in denen die Kommission einerseits ihre Ermessenspraxis u. a. zur Auslegung des Art. 107 Abs. 3 AEUV und andererseits die beihilferechtliche Rechtsprechung der Unionsgerichte zum Beihilfetatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV verschriftlicht hat, um die Rechtssicherheit (Vorhersehbarkeit) und Transparenz ihres Entscheidungsprozesses zu erhöhen.22 Zu diesen Rechtsakten gehören überwiegend nicht verbindliche Maßnahmen, die – ähnlich wie nationale Verwaltungsvorschriften – zumindest eine Selbstbindung der Kommission begründen.23 Diese nichtverbindlichen Maßnahmen werden in Form von (zum Teil bereichsspezifischen) Leitlinien, Unionsrahmen und Mitteilungen24 erlassen. Beziehen sich die unverbindlichen Vorschriften auf die Rechtfertigungstatbestände etwa des Art. 107 Abs. 2 und 3 AEUV, gewährleistet die Einhaltung der in den Vorschriften enthaltenen Vorgaben in der Regel einen positiven Ausgang des Beihilfeverfahrens. 18 Verordnung (EU) Nr. 2015/1589 des Rates vom 13. Juli 2015 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 108 AEUV, ABl.EU 2015 Nr. L 248/9 (letztmaliger Abruf am 13.02.19). 19 Vgl. auch Art. 2 Abs. 1 Beihilfe-VerfO (Fn. 18). 20 Vgl. auch Art. 4, 6, 7 Beihilfe-VerfO (Fn. 18). 21 Vgl. auch Art. 3 Beihilfe-VerfO (Fn. 18). 22 Cremer, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 107 AEUV, Rn. 4. 23 Vgl. bspw. EuGH, Urt. v. 5.10.2000, Rs. C-288/96 (Deutschland/Kommission), Rn. 62; EuGH, Urt. v. 7.03.2002, Rs. C-310/99 (Italien/Kommission), Rn. 52. 24 Ein Gesamtüberblick über die verschiedenen Rechtsakte findet sich auf den Seiten der Generaldirektion Wettbewerb der Kommission (Stand vom 15.04.2014, letztmaliger Abruf am 13.02.19). Zur Frage der Rechtsverbindlichkeit der ermessenskonkretisierenden Kommissionsakte vgl. Frenz (Fn. 17), Rn. 747 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 173/18 Seite 10 Zu erwähnen ist für die tatbestandliche Seite des Art. 107 Abs. 1 AEUV die 2016 erlassene sog. Beihilfemitteilung, in welcher die Kommission den Beihilfetatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV anhand der bisherigen Rechtsprechung erläutert.25 3.2.2.2. Freistellung von der Notifizierung und ex-post-Kontrolle Neben der primärrechtlich vorgegebenen (präventiven) ex-ante Kontrolle eröffnet das Primärrecht die Möglichkeit, Beihilfen auch ohne vorherige Anmeldung und Kommissionsüberprüfung zu gewähren, soweit bestimmte vorab bekannte materielle und formale Anforderungen eingehalten werden.26 Diese Anforderungen ergeben sich v. a. aus sog. Freistellungsverordnungen, die die Kommission auf Grundlage von Art. 108 Abs. 4 AEUV in Verbindung mit einer sie dazu ermächtigenden Verordnung des Rates im Sinne des Art. 109 AEUV erlassen kann.27 Bei Einhaltung der jeweiligen Vorgaben werden die Mitgliedstaaten von der Pflicht zur (vorherigen) Notifizierung des Beihilfevorhabens und seiner Vorab-Kontrolle nach Art. 108 Abs. 2 und 3 AEUV freigestellt. Die Kommission kann die ihr gleichwohl anzuzeigende Gewährung solcher Beihilfen jedoch nachträglich kontrollieren. 3.2.2.3. Rechtswidrige Beihilfen Wurde eine Beihilfe der Kommission nicht nach Art. 108 Abs. 3 S. 1 AEUV notifiziert und entspricht sie auch keinem Freistellungstatbestand, so handelt es sich im Lichte der Beihilfeverfahrensordnung um eine rechtswidrige Beihilfe.28 Diese kann von der Kommission während eines daraufhin eingeleiteten Beihilfeverfahrens ausgesetzt werden; möglich ist auch die Anordnung ihrer einstweiligen Rückforderung.29 Eine den betreffenden Mitgliedstaaten treffende endgültige Rückforderungsentscheidung kann hingegen nur ergehen, wenn die Beihilfe auch in materieller Hinsicht mit dem Binnenmarkt unvereinbar ist, d.h. inhaltlich nicht gerechtfertigt werden kann.30 3.3. Beihilferechtliche Relevanz der Steuervergünstigungen nach den §§ 3 bis 7 ForstSchAusglG In Bezug auf beide Ebenen wurde mit Blick auf den Erlasszeitpunkt der steuerlichen Vorschriften aus den 1970iger Jahren eine elektronische Anfrage an das Bundesministerium für Ernährung 25 Siehe oben Fn. 14. 26 Dieser Bereich des Beihilferechts wurde im Zuge der 2014 durchgeführten Beihilferechtsreform („State Aid Modernisation “) ausgebaut, vgl. Soltész, Das neue europäische Beihilferecht, NJW 2014, S. 3128, 3130. 27 Bei der Verordnung des Rates auf Grundlage von Art. 109 AEUV handelt es sich um die Verordnung (EU) 2015/1588 des Rates vom 13. Juli 2015 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf bestimmte Gruppen horizontaler Beihilfen, ABl.EU 2015 Nr. L 248/1 (letztmaliger Abruf am 13.02.19). 28 Siehe Art. 1 Buchst. f Beihilfe-VerfO (Fn. 18). 29 Siehe Art. 13 Beihilfe-VerfO (Fn. 18). 30 Vgl. Art. 16 Beihilfe-VerfO (Fn. 18). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 173/18 Seite 11 und Landwirtschaft (BMEL) gerichtet und um beihilferechtliche Beurteilung aus ministerieller Sicht gebeten. In der Antwort hat das BMEL mitgeteilt, dass „[d]as Forstschäden-Ausgleichsgesetz […] aufgrund der damaligen allgemeinen Rechtsauffassung beihilferechtlich nicht notifiziert worden [ist]. Ob die aufgeworfenen beihilferelevanten Fragen Anlass zu einer neuen Beurteilung dieses komplexen Themenbereichs geben, ist Gegenstand einer intensiven Prüfung innerhalb der Bundesregierung.“31 Vor diesem Hintergrund ist im Folgenden zunächst zu prüfen, ob die Steuervergünstigungen der §§ 3 bis 7 ForstSchAusglG den Beihilfetatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllen (3.3.1.). Sodann ist der Frage einer eventuellen Rechtfertigung dieser Maßnahmen nachzugehen (3.3.2.). 3.3.1. Beihilfetatbestandliche Relevanz nach Art. 107 Abs. 1 AEUV Die tatbestandliche Relevanz der §§ 3 bis 7 ForstSchAusglG wird im Folgenden anhand der einzelnen Beihilfemerkmale dargestellt (3.3.1.1. bis 3.3.1.6.). 3.3.1.1. Unternehmen bzw. wirtschaftliche Tätigkeit Beihilfen müssen sich zunächst auf ein Unternehmen bzw. eine wirtschaftliche Tätigkeit beziehen . Unternehmen im Sinne des EU-Beihilferechts ist jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von der Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung.32 Unter wirtschaftlicher Tätigkeit ist jede Tätigkeit zu verstehen, die im Anbieten von Waren und Dienstleistungen auf einem Markt besteht.33 Da sich die steuerrechtlichen Vorschriften des ForstSchAusglG an Forstwirte und damit Unternehmen im Sinne dieser Definition richten, ist dieses Merkmal des Beihilfetatbestands erfüllt. 3.3.1.2. Finanzierung aus staatlichen Mitteln Daneben fordert Art. 107 Abs. 1 AEUV, dass die in Frage stehenden Maßnahmen aus staatlichen Mitteln finanziert werden. Die beiden Voraussetzungen34 der staatlichen Zurechenbarkeit der Entscheidung über die Gewährung der Mittel an Unternehmen und der Qualifizierung dieser Mittel als staatliche liegen bei den §§ 3 bis 7 ForstSchAusglG vor, da diese Vorschriften Steuervergünstigungen regeln. Denn diese stellen wegen dem damit für den Staat einhergehenden Einnahmeverzicht eine Übertragung staatlicher Mittel an die begünstigten Unternehmen dar und sind aufgrund ihrer gesetzlichen Anordnung dem Staat zuzurechnen.35 31 E-Mail vom 1. Februar 2019. 32 Beihilfemitteilung (Fn. 14), Rn. 7. 33 Beihilfemitteilung (Fn. 14), Rn. 12. 34 Siehe hierzu allgemein Beihilfemitteilung (Fn. 14), Rn. 38 ff. 35 Vgl. Beihilfemitteilung (Fn. 14), Rn. 39 f. bzw. Rn. 51. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 173/18 Seite 12 3.3.1.3. Begünstigung Die ferner gemäß Art. 107 Abs. 1 AEUV erforderliche Begünstigung – von der Kommission auch als Vorteil bezeichnet – besteht bei Steuervergünstigungen in der wirtschaftlichen Vergünstigung, die aus der Befreiung von wirtschaftlichen Lasten, die ein Unternehmen üblicherweise zu tragen hat, resultiert.36 Bei den in §§ 3 bis 7 ForstSchAusglG geregelten Steuervergünstigungen geht es dabei entweder um die Zahlung von Steuern in einer geringeren Höhe oder zu einem späteren Zeitpunkt. 3.3.1.4. Selektivität Des Weiteren muss die Begünstigung „an bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige“ fließen und damit selektiven Charakter aufweisen. Im Hinblick auf steuerliche Maßnahmen im Besonderen und Maßnahmen zur Verringerung der normalen Belastungen von Unternehmen im Allgemeinen wurde in der Rechtsprechung des EuGH eine dreistufige Prüfung entwickelt, um zu bestimmen, ob es sich dabei um allgemeine oder selektive Maßnahmen handelt.37 Auf der ersten Stufe ist dabei das Bezugssystem zu ermitteln, das für die Beurteilung der Maßnahme und ihrer etwaigen Selektivität anzuwenden ist.38 Steht dieses fest, ist auf der zweiten Stufe zu fragen, ob die betreffende Maßnahme eine Abweichung von diesem System darstellt oder ob sie systemkonform ist.39 Nur wenn eine Abweichung anzunehmen ist, kann eine Selektivität vorliegen, soweit nicht – auf der dritten Stufe – eine Rechtfertigung dieser Abweichung durch die Natur oder den inneren Aufbau des Bezugssystems in Betracht kommt.40 Die in den §§ 3 bis 7 ForstSchAusglG geregelten Steuervergünstigungen betreffen die Einkommenssteuer , welche hier folglich das Bezugssystem darstellen dürfte. Da die Vergünstigungen lediglich Forstwirten zugutekommen, ist nicht ersichtlich, dass es sich bei den §§ 3 bis 7 Forst- SchAusglG um systemkonforme Regelungen handelt. Für diese Ausnahmen vom Referenzsystem ist auch keine Rechtfertigung, die sich aus der Natur und dem inneren Aufbau des Systems ergibt, erkennbar. Die mit den Vergünstigungen verfolgten Zwecke sind hierbei nicht zu berücksichtigen , sondern vielmehr im Rahmen der Rechtfertigung des möglicherweise vorliegenden Beihilfetatbestands von Belang. Mithin spricht viel dafür, dass es sich bei den Steuervergünstigungen nach den §§ 3 bis 7 ForstSchAusglG um selektive Maßnahmen im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV handelt. Einschränkend ist aber zu bedenken, dass auf allen drei Stufen der Selektivitätsprüfung Wertungen vorzunehmen sind, die – je nach Argumentation und Perspektive – zu einem anderen Ergeb- 36 Vgl. Beihilfemitteilung (Fn. 14), Rn. 68, siehe dort insb. Fn. 105. 37 Vgl. Beihilfemitteilung (Fn. 14), Rn. 126 ff. 38 Vgl. Beihilfemitteilung (Fn. 14), Rn. 132 ff. 39 Vgl. Beihilfemitteilung (Fn. 14), Rn. 135 ff. 40 Vgl. Beihilfemitteilung (Fn. 14), Rn. 138 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 173/18 Seite 13 nis führen können. Soweit ersichtlich, wurde die Selektivität der §§ 3 bis 7 ForstSchAusglG bisher weder durch die Kommission noch durch die Unionsgerichte untersucht, so dass eine abschließende Beurteilung an dieser Stelle nicht möglich ist. 3.3.1.5. Auswirkungen auf Handel und Wettbewerbsbeschränkung Geht man von der Selektivität der genannten Vorschriften aus, dann dürften auch die Merkmale der Handelsauswirkungen und Wettbewerbsbeschränkungen vorliegen,41 an die in der Regel keine hohen Anforderungen gestellt werden. Dass vorliegend eine besondere Konstellation vorliegt , die eines oder beider dieser Merkmale ausschließt, etwa ein nahezu ausschließlich lokaler Bezug der Steuervergünstigungen, ist nämlich nicht erkennbar. 3.3.1.6. Zwischenergebnis Unterstellt man – mit guten Gründen – die Selektivität der in den §§ 3 bis 7 ForstSchAusglG geregelten Steuervergünstigungen, dann handelt es sich bei diesen Maßnahmen um tatbestandliche Beihilfen im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV. 3.3.2. Rechtfertigung Hiervon ausgehend stellt sich die Frage nach der (beihilferechtlichen) Rechtfertigung dieser Maßnahmen . Wie sich aus der oben zitierten Auskunft des BMEL ergibt, wurden die steuerlichen Bestimmungen der §§ 3 bis 7 ForstSchAusglG der Kommission nicht notifiziert.42 Entsprechende Freistellungstatbestände lagen zum damaligen Zeitpunkt – soweit ersichtlich – nicht vor, so dass diese Maßnahmen – ihre Tatbestandsmäßigkeit nach Art. 107 Abs. 1 AEUV unterstellend – als sog. rechtswidrige Beihilfen anzusehen sind.43 Eine endgültige Rückforderung auf ihrer Grundlage bereits gewährter Steuervergünstigungen könnte im Fall eines Beihilfeverfahrens von der Kommission allerdings nur verlangt werden, wenn diese Maßnahmen auch in materieller Hinsicht mit dem Binnenmarkt unvereinbar sind. Hierfür kommt es allerdings nicht auf die zum jetzigen Zeitpunkt maßgeblichen Rechtfertigungsmaßstäbe an, sondern auf die Kriterien, die zur Zeit der Beihilfegewährung galten.44 Soweit ersichtlich und bekannt, lagen in den 1970iger Jahren keine (verbindlichen und unverbindlichen ) Sekundärrechtsvorschriften im Bereich Forstwirtschaft vor, in denen die Kommis- 41 Vgl. Beihilfemitteilung (Fn. 14), Rn. 185 ff., insbesondere 186 f., 190, 192, 196 f. 42 Siehe oben unter 3.3., S. 11. 43 Siehe hierzu oben unter 3.2.2.3., S. 11. 44 Vgl. die Bekanntmachung der Kommission über die zur Beurteilung unrechtmäßiger staatlicher Beihilfen anzuwendenden Regeln, ABl.EU 2002 Nr. C 119/22. Siehe auch Werner, in: Münchener Kommentar, Europäisches und Deutsches Wettbewerbsrecht, Band 3 Beihilfe- und Vergaberecht, 2011, Art. 108 AEUV, Rn. 57. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 173/18 Seite 14 sion ihre Ermessenspraxis zu den heute in Art. 107 Abs. 2 und 3 AEUV geregelten und im Wesentlichen gleichlautenden Rechtfertigungstatbeständen (ex. Art. 92 Abs. 2 und 3 EWG-Vertrag) verschriftlich hatte. Vielmehr dürften Prüfung etwaiger Beihilfemaßnahmen in diesem Bereich unmittelbar am Maßstab dieser primärrechtlichen Bestimmungen erfolgt sein. Von welchen Kriterien sich die Kommission hierbei im Einzelnen leiten ließ, lässt sich aus heutiger Sicht nicht ohne weiteres rekonstruieren. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass das EU-Beihilferecht zum damaligen Zeitpunkt insgesamt bei weitem nicht die Regelungstiefe und -dichte aufwies, wie dies heute der Fall ist.45 Vor diesem Hintergrund lassen sich an dieser Stelle keine belastbaren Aussagen zu einer eventuellen Rechtfertigung der §§ 3 bis 7 ForstSchAusglG treffen. Ergänzend sei auf die derzeit geltenden Sekundärrechtsakte der Kommission hingewiesen, in denen diese ihre heutige Ermessenspraxis im Bereich der Forstwirtschaft u. a. zur Auslegung des Art. 107 Abs. 2 AEUV verschriftlicht oder die sie auf der Grundlage von Art. 108 Abs. 4 AEUV in Verbindung mit einer sie dazu ermächtigenden Verordnung des Rates im Sinne des Art. 109 AEUV erlassen hat. Von besonderer Relevanz für Beihilfen im Zusammenhang mit Naturkatastrophen, Schädlingsbefall und sonstigen Schadensereignissen, die Kalamitätsnutzungen zur Folge haben, ist dabei die Rahmenregelung der Europäischen Union für staatliche Beihilfen im Agrar- und Forstsektor und in ländlichen Gebieten 2014-202046 (im Folgenden: Rahmenregelung). Diese enthält in ihrem Kapitel 2 Regelungen hinsichtlich Beihilfen speziell für den Forstsektor. Unter anderem subsumiert die Kommission danach etwa Beihilfen für die Vorbeugung gegen Schäden und Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands von Wäldern nach Waldbränden, Naturkatastrophen, Naturkatastrophen gleichzusetzenden widrigen Witterungsverhältnissen, sonstigen widrigen Witterungsverhältnissen etc. und Ereignissen im Zusammenhang mit dem Klimawandel unter Art. 107 Abs. 2 Buchst. b AEUV oder ggf. Art. 107 Abs. 3 Buchst. c AEUV, wenn die gemeinsamen Bewertungsgrundsätze der Rahmenregelung eingehalten und weitere Voraussetzungen erfüllt sind.47 Zu beachten ist allerdings, dass nach der Rahmenregelung keine Beihilfen für Einkommensverluste infolge der o. g. Schadensereignisse gewährt werden dürfen.48 45 Deutlich wird dies etwa mit Blick auf das grundlegende Lehrwerk von Hans Peter Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht , 1972, und die dortigen Ausführungen zum Beihilferecht, S. 669 ff., die sich auf die primärrechtlichen Vorschriften beschränken. 46 Kommission, Rahmenregelung der Europäischen Union für staatliche Beihilfen im Agrar- und Forstsektor und in ländlichen Gebieten 2014-2020, ABl.EU 2014 Nr. C 204/1 (letztmaliger Abruf am 13.02.19). 47 Siehe Rn. 519 ff. der Rahmenregelung (Fn. 46). 48 Vgl. Rn. 526 der Rahmenregelung (Fn. 46). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 173/18 Seite 15 In der allgemeinen Freistellungsverordnung (im Folgenden: AGVO)49 werden in Art. 50 ebenfalls Vorgaben zu Beihilfen zur Bewältigung der Folgen bestimmter Naturkatastrophen gemacht. Nach Art. 50 Abs. 1 AGVO entfällt die Anmeldepflicht nach Art. 108 Abs. 3 AEUV, sofern die Voraussetzungen des 1. Kapitels der AGVO und des Art. 50 AGVO erfüllt sind. Von dieser Vorschrift erfasst werden jedoch nur bestimmte, dort aufgezählte natürliche Schadensereignisse, wie bspw. Erdbeben, Orkane und Vulkanausbrüche, nicht aber Schadensereignisse nicht natürlichen Ursprungs . Neben den materiell ausgerichteten Sekundärrechtsakten ist noch auf die sog. De-minimis-Beihilfen hinzuweisen. Darunter versteht man staatliche Maßnahmen, bei denen allein aufgrund ihrer wertmäßigen Höhe davon ausgegangen wird, dass sie nicht alle Tatbestandsmerkmale des Art. 107 Abs. 1 AEUV erfüllen und daher von der Anmeldepflicht nach Art. 108 Abs. 3 AEUV ausgenommen sind.50 Obgleich es sich dabei um eine tatbestandliche Frage handelt, werden die De-minimis-Vorgaben in der Praxis als Element der Rechtfertigungseben betrachtet. Nach der für den Forstsektor geltenden allgemeinen De-minimis-Verordnung gelten solche staatlichen Vergünstigungen als De-minimis-Beihilfen, bei denen der Gesamtbetrag der einem einzigen Unternehmen von einem Mitgliedstaat gewährten Maßnahme in einem Zeitraum von drei Steuerjahren 200 000 EUR nicht übersteigt.51 Darüber hinaus müssen noch weitere Voraussetzungen erfüllt sein.52 3.3.3. Ergebnis Bei den steuerlichen Regelungen der §§ 3 bis 7 ForstSchAusglG dürfte es sich um Beihilfen im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV handeln. Eine abschließende Beurteilung ist jedoch insbesondere im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der Selektivität nicht möglich. Unterstellt man die Tatbestandsmäßigkeit nach Art. 107 Abs. 1 AEUV, so handelt es sich dabei um sog. rechtswidrige Beihilfen, da sie zum damaligen Zeitpunkt von der Kommission nicht notifiziert wurden und entsprechende Freistellungstatbestände – soweit ersichtlich – nicht vorlagen. Die materielle Vereinbarkeit der §§ 3 bis 7 ForstSchAusglG mit dem EU-Beihilferecht hängt sodann davon ab, ob sie zum Zeitpunkt ihrer Gewährung hätten gerechtfertigt werden können. Die damals geltenden Maßstäbe lassen sich im Rahmen der vorliegenden Ausarbeitung nicht ohne weiteres rekonstruieren , so dass keine belastbaren Aussagen zu einer eventuellen beihilferechtlichen Rechtfertigung der §§ 3 bis 7 ForstSchAusglG getroffen werden können. 49 Verordnung (EU) Nr. 651/2014 der Kommission vom 17. Juni 2014 zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Gruppen von Beihilfen mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl.EU 2014 Nr. L 187/1 (letztmaliger Abruf am 13.02.19). Eine konsolidierte Fassung mit nachträglichen Änderungen liegt ebenfalls vor (letztmaliger Abruf am 13.02.19). 50 Vgl. Art. 3 Abs. 1 Verordnung (EU) Nr. 1407/2013 der Kommission vom 18. Dezember 2013 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf De-minimis-Beihilfen , ABl.EU 2013 Nr. L 352/1. 51 Vgl. Art. 3 Abs. 2 Verordnung (EU) Nr. 1407/2013 (Fn. 50). 52 Vgl. Art. 3 ff. Verordnung (EU) Nr. 1407/2013 (Fn. 50). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 173/18 Seite 16 4. Sonstige Vorschriften des ForstSchAusglG Die übrigen Bestimmungen des Forstschäden-Ausgleichsgesetzes bieten in ihrem abstrakt-generellen Gehalt keine Anhaltspunkte für eine Prüfung am Maßstab des primären Unionsrechts, insbesondere der Grundfreiheiten, der EU-Grundrechte oder des Beihilferechts. – Fachbereich Europa –