© 2014 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 173/14 Fragen zur vorläufigen Anwendung des Comprehensive Economic and Trade Agreements (CETA) Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 173/14 Seite 2 Fragen zur vorläufigen Anwendung des Comprehensive Economic and Trade Agreements (CETA) Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 173/14 Abschluss der Arbeit: 10. Oktober 2014 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 173/14 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 3. Bestimmungen des CETA zur vorläufigen Anwendbarkeit 5 4. Prämissen der Ratifikationserfordernisse 6 4.1. EU-Abkommen 6 4.1.1. Inhaltliche Voraussetzungen 6 4.1.2. Ratifikationserfordernisse 7 4.2. Gemischtes Abkommen 8 4.2.1. Inhaltliche Voraussetzungen 8 4.2.2. Ratifikationserfordernisse 9 4.3. Vorläufige Anwendung 10 4.3.1. Regelung zur vorläufigen Anwendung 11 4.3.2. Wirkung der vorläufigen Anwendung 11 4.3.3. Beendigung der vorläufigen Anwendung 12 4.3.4. Auswirkungen einer nicht erfolgenden Ratifizierung des Abkommens durch einen Mitgliedstaat auf die vorläufige Anwendung des Abkommens 13 4.3.4.1. Vorläufige Anwendung des Abkommens 13 4.3.4.2. Völkerrechtliche Folgen einer nicht erfolgenden Ratifikation 13 4.3.4.3. Unionsrechtliche Folgen einer nicht erfolgenden Ratifikation 14 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 173/14 Seite 4 1. Fragestellung Die Ausarbeitung geht auf die Frage ein, ob in dem zwischen der Europäischen Union (EU) und Kanada ausgehandelten Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA) eine vorläufige Inkraftsetzung durch die EU-Institutionen vorgesehen ist, bevor eine eventuelle Ratifizierung durch die Mitgliedstaaten erfolgt, und wenn ja, welche Konsequenzen eine Ablehnung eines mitgliedstaatlichen Parlaments (d.h. in Deutschland des Bundestages oder des Bundesrates) für die Anwendung des Abkommens hätte. 5 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 173/14 Seite 5 3. Bestimmungen des CETA zur vorläufigen Anwendbarkeit Der konsolidierte Vertragstext des CETA sieht unter Nr. 36 (Final Provisions) in Art. X.06: Entry into Force folgende Regelungen zum Inkrafttreten und zur vorläufigen Anwendbarkeit des Abkommens vor: “1. The Parties shall approve this Agreement in accordance with their own procedures. 2. This Agreement shall enter into force on the first day of the second month following the date on which the Parties have notified each other that the procedures referred to in the first paragraph have been completed. The Parties may by mutual agreement fix another date. 3. (a) This Agreement shall be provisionally applied from the first day of the month following the date on which the parties have notified each other that their respective relevant procedures have been completed. The Parties may by mutual agreement fix another date. (b) If a Party cannot provisionally apply certain provisions of this Agreement, it shall so notify the other Party. If the other Party objects to this notification, the Agreement shall not be provisionally applied. If the other Party does not object to this notification within 10 days, the provisions of this Agreement which have not been notified by either Party shall be provisionally applied by both Parties from the first day of the month following this notification, provided the Parties have exchanged notifications under sub-paragraph (a). (c) The provisional application of the Agreement may be terminated by written notice of either Party. Such termination shall take effect on the first day of the second month following notification. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 173/14 Seite 6 (d) If this Agreement, or certain provisions thereof, is provisionally applied, the term “entry into force of this Agreement” shall be understood to mean the date of provisional application . The [Trade Committee] and other bodies established by this Agreement may exercise their functions during the provisional application of the Agreement. If the provisional application of the Agreement is terminated under sub-paragraph (c), any decisions adopted in the exercise of these functions will cease to be effective. 4. The Parties shall submit notifications under this article to the General Secretariat of the Council of the European Union and Canada's Department of Foreign Affairs, Trade and Development or their respective successors.]” Die Bestimmungen des CETA sehen somit besondere Vorschriften zum Inkrafttreten und zur vorläufigen Anwendbarkeit des Abkommens vor seiner Ratifikation durch die Vertragsparteien vor. Diesbezüglich ist zu beachten, dass derzeit noch in der Diskussion steht, ob lediglich die EU oder auch ihre Mitgliedstaaten Vertragsparteien werden, d.h. ob das CETA als gemischtes Abkommen oder als ausschließliches EU-Abkommen abgeschlossen werden muss. Dementsprechend enthält der CETA-Vertragstext derzeit keine Bestimmungen zur Definition der Vertragsparteien. Vielmehr wird in Art. X.06: Entry into Force auf die Notwendigkeit einer Revision der Bestimmungen hingewiesen: „Negotiators’ note: article to be reviewed once term ‘Party’ has been defined.” 4. Ratifikationserfordernisse des CETA Vor diesem Hintergrund ist auch die Antwort auf die Frage, welche Konsequenzen eine Ablehnung eines mitgliedstaatlichen Parlaments für die Anwendung (d.h. die vorläufige Anwendbarkeit ) des Abkommens hätte, davon abhängig, ob und in welcher Form die EU und die Mitgliedstaaten bei dem Abschluss völkerrechtlicher Verträge zu beteiligen sind. Dies wiederum richtet sich danach, um welche Art von völkerrechtlichem Vertrag es sich handelt. Für den Abschluss des CETA kommen der Abschluss als bilaterales Handelsabkommen nach Art. 207 AEUV zwischen der EU und Kanada (im Folgenden: EU-Abkommen) oder als multilaterales gemischtes Abkommen zwischen Kanada und der EU sowie ihren Mitgliedstaaten (im Folgenden: gemischtes Abkommen) in Betracht. 4.1. EU-Abkommen 4.1.1. Inhaltliche Voraussetzungen Die EU kann gem. Art. 207 iVm Art. 216 AEUV Handelsabkommen mit Drittstaaten und anderen internationalen Organisationen abschließen. Dabei ermächtigt Art. 216 AEUV zum Vertragsschluss , und Art. 207 AEUV bestimmt den – gem. Art. 2 Abs. 6, 3 Abs. 1 lit. e) AEUV in die ausschließliche Zuständigkeit der Union fallenden – Vertragsgegenstand der gemeinsamen Handelspolitik . Die Mitgliedstaaten sind nicht befugt, in dem von Art. 207 AEUV erfassten Politikbereich eigene Handelsabkommen abzuschließen (Art. 2 Abs. 1 1. HS AEUV). Die gemeinsame Handelspolitik gem. Art. 207 AEUV erfasst alle Maßnahmen, die den Handelsverkehr – also den Waren- Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 173/14 Seite 7 austausch – mit dritten Staaten regeln, sowie alle Maßnahmen, deren Hauptzweck in der Beeinflussung der Handelsströme und des Handelsvolumens liegt.10 So werden gem. Art. 207 Abs. 1 AEUV vor allem die Änderung von Zollsätzen, der Abschluss von Zoll- und Handelsabkommen, die den Handel mit Waren und Dienstleistungen betreffen, die Handelsaspekte des geistigen Eigentums , die ausländischen Direktinvestitionen, die Vereinheitlichung der Liberalisierungsmaßnahmen , die Ausfuhrpolitik sowie handelspolitische Schutzmaßnahmen von der Vorschrift erfasst . Die Aufzählung der Gegenstände der Handelspolitik ist jedoch nicht abschließend, d.h. die Union ist nicht auf die genannten Instrumente beschränkt.11 4.1.2. Ratifikationserfordernisse Handelt es sich bei dem CETA um ein reines Handelsabkommen im Sinne des Art. 207 AEUV, muss es nur das Ratifizierungsverfahren der EU durchlaufen und nicht (zusätzlich) die Ratifizierungsverfahren der 28 Mitgliedstaaten gemäß deren verfassungsrechtlichen Vorschriften.12 Gleichwohl werden auch die Mitgliedstaaten gem. Art. 216 Abs. 2 AEUV durch ein EU-Abkommen verpflichtet, und die Regelungen des Abkommens gelten auch in den nationalen Rechtsordnungen . Nach Abschluss der Vertragsverhandlungen verläuft das unionale Ratifikationsverfahren dergestalt , dass der Vertragstext am Ende der Verhandlungen durch die beteiligten Parteien und deren Delegationsleiter durch Paraphierung zunächst vorläufig fixiert wird.13 Die anschließende Unterzeichnung des Abkommens obliegt gem. Art. 218 Abs. 5 AEUV dem Rat, der alternativ die Kommission zur Unterzeichnung des Abkommens ermächtigen kann. Der Rat genehmigt das ausgehandelte und unterschriebene, aber noch nicht ratifizierte Abkommen durch Beschluss (Art. 218 Abs. 2 AEUV). Dabei entscheidet dieser in der Regel mit qualifizierter Mehrheit (Art. 218 Abs. 8 UAbs. 1 iVm Art. 207 Abs. 4 UAbs. 1 AEUV). In den Fällen des Art. 218 Abs. 8 UAbs. 2 sowie Art. 207 Abs. 4 UAbs. 2 und 3 AEUV ist Einstimmigkeit erforderlich. Das Europäischen Parlament (EP) ist im Rahmen der Unterzeichnung unverzüglich und umfassend zu informieren (Art. 218 Abs. 10 AEUV). 10 Vgl. den Überblick bei Nettesheim/Duvigneau, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 2. Auflage 2012, Art. 207 AEUV, Rn. 6 ff. 11 Vgl. den Überblick bei Hahn, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 4. Auflage 2011, Art. 207 AEUV, Rn. 40 f. 12 In Deutschland erfolgt die Ratifizierung völkerrechtlicher Verträge gemäß Art. 59 Abs. 2 Grundgesetz (GG). Vgl. hierzu Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Urteil vom 30. Juni 2009, 2 BvE 2/08 u. a., Rdnr. 373, BVerfGE 123, 267 (amtliche Sammlung der Entscheidungen des BVerfG); Bungenberg, Außenbeziehungen und Außenhandelspolitik , Europarecht (EuR) 2009, S. 195, 204. 13 Vgl. Art. 9 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen, BGBl. II 1990 S. 1415. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 173/14 Seite 8 Erst mit dem Abschluss des Abkommens wird die EU als Völkerrechtssubjekt gem. Art. 47 EUV Vertragspartei, und das Abkommen wird für die Union völkerrechtlich verbindlich. Der völkerrechtliche Abschluss erfolgt nach dem durch das Völkerrecht dafür vorgesehenen Akt.14 Als Akt der förmlichen Bestätigung und als Ausdruck des völkerrechtlichen Bindungswillens15 korrespondiert auf Unionsseite ein Beschluss des Rates, der die unionsrechtliche Genehmigung des Abkommens und zugleich die Ermächtigung zum völkerrechtlichen Abschluss des Abkommens darstellt (Art. 218 Abs. 6 AEUV). Die Art der Beteiligung des EP bei dem Abschluss von völkerrechtlichen Verträgen der Union ergibt sich aus Art. 207 Abs. 3 iVm Art. 218 Abs. 6 AEUV. Gemäß Art. 207 Abs. 2 AEUV gilt im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik das ordentliche Gesetzgebungsverfahren . Daraus folgt, dass der Abschluss des TTIP als EU-Abkommen gemäß Art. 207 Abs. 3 iVm 218 Abs. 6 lit. a) Abs. v) AEUV nur nach Zustimmung des EP erfolgen kann. 4.2. Gemischtes Abkommen 4.2.1. Inhaltliche Voraussetzungen Betrifft ein Abkommen mit Drittstaaten aber Gegenstände, die nicht vollständig in den handelspolitischen Kompetenzbereich der Union fallen, sondern auch in den Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten, wird das Abkommen als gemischtes Abkommen abgeschlossen.16 Darunter versteht man völkerrechtliche Verträge, die die EU unter Mitwirkung der Mitgliedstaaten auf der Grundlage sowohl von Unions- als auch von mitgliedstaatlichen Kompetenzen abschließt.17 Ein „gemischtes Abkommen“ muss obligatorisch dann geschlossen werden, wenn die Gegenstände des Abkommens sowohl Zuständigkeitsbereiche der EU als auch Bereiche betreffen, die in die ausschließliche, nicht auf die EU übertragene Zuständigkeit der Mitgliedstaaten oder in die zwischen Union und Mitgliedstaaten gem. Art. 4 AEUV geteilten Zuständigkeiten fallen.18 Betrifft ein Abkommen also auch weitere, über Art. 207 EUV hinausgehende Materien, so könnte hierfür keine ausschließliche Kompetenz der EU gegeben sein, sodass eine Ratifikation auch durch die Mitgliedstaaten erforderlich wäre. 14 Vgl. Art. 11 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen, BGBl. II 1990 S. 1415. 15 Vgl. Art. 11 Abs. 2 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen, BGBl. II 1990 S. 1415. 16 Zum Status eines völkerrechtlichen Vertrags als gemischtes Abkommen vgl. EuGH, Gutachten 1/94 (GATS), Rn. 98 und 105; EuGH, Gutachten 1/78 (Internationales Naturkautschukübereinkommen), Rn. 2; EuGH, Gutachten 2/91 (ILO-Übereinkommen) Rn. 13 und 39. 17 Vgl. Vranes, Gemischte Abkommen und die Zuständigkeit des EuGH – Grundlagen und neuere Entwicklungen in den Außenbeziehungen, Europarecht (EuR) 2009, S. 44 (45). 18 Vgl. Bollrath, Die Vertragsschlusskompetenz der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Gemeinsamen Handelspolitik, 2008, S. 63; Bungenberg, Going Global? The EU Common Commercial Policy after Lisbon, in: Herrmann/Terhechte (Hrsg.), European Yearbook of International Economic Law 2010, S. 123 (133). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 173/14 Seite 9 4.2.2. Ratifikationserfordernisse Wird das CETA als gemischtes Abkommen geschlossen, so hängt sein Inkrafttreten von der Ratifikation durch alle Vertragsparteien, d.h. Kanada, die EU und jeden einzelnen EU-Mitgliedstaat und nicht etwa nur von der Ratifikation durch eine gewisse Anzahl von Vertragsparteien ab. Das Abkommen ist von jedem Mitgliedstaat separat zu ratifizieren, da die Mitgliedstaaten neben der EU unmittelbar in ihrer Eigenschaft als Völkerrechtssubjekte Vertragsparteien des gemischten Abkommens werden. Auch für gemischte Abkommen kommt seitens der EU das Verfahren nach Art. 207 iVm Art. 218 AEUV zur Anwendung. Die Beschlüsse des Rates werden jedoch nicht mit qualifizierter Mehrheit, sondern einstimmig gefasst. Die gemeinsame Beteiligung von Union und Mitgliedstaaten wirkt sich insbesondere auf den zeitlichen Ablauf des unionsinternen Abschlussprozesses aus. Grundsätzlich besteht mit Blick auf die einheitliche völkerrechtliche Vertretung der Union und um unvollständige Abschlüsse zu vermeiden das Ziel, dass gemischte Abkommen in der EU und den Mitgliedstaaten möglichst gleichzeitig in Kraft treten und dass daher auch die Hinterlegung der Ratifikationsurkunden von Union und Mitgliedstaaten gleichzeitig erfolgt.19 Eine Verpflichtung für ein solches gleichzeitiges Vorgehen besteht jedoch nicht.20 Auch wenn die EU und die meisten Mitgliedstaaten bereits ein Abkommen ratifiziert haben, lässt sich auch aus dem Loyalitätsprinzip gemäß Art. 4 Abs. 3 EUV keine zwingende Pflicht der Mitgliedstaaten ableiten, so bald wie möglich das Abkommen zu un- 19 Vgl. Breier, Die geschlossene völkerrechtliche Vertretung der Gemeinschaft am Beispiel der 3. Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonvention in Kyoto, in: EuZW 1999, S. 11 ff.; vgl. auch beispielhaft Art. 3 der Entscheidung des Rates vom 14. Oktober 1988 über den Abschluss des Wiener Übereinkommens zum Schutz der Ozonschicht und des Montrealer Protokolls über Stoffe, die zu einem Abbau der Ozonschicht führen, 88/540/EWG, ABl. L 297/9: „Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um soweit möglich die gleichzeitige Hinterlegung […] der Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsinstrumente […] durch die Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten zu ermöglichen.“, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUri- Serv/LexUriServ.do?uri=CELEX:31988D0540:DE:HTML. 20 Vgl. Heliskoski, Mixed Agreements as a Technique for Organizing the International Relations of the European Community and Its Member States, 2001, S. 134. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 173/14 Seite 10 terzeichnen und die Ratifikationsurkunden zu hinterlegen, damit die Union ebenfalls unterzeichnen und ihr Ratifikationsverfahren abschließen kann.21 Dementsprechend wird die EU ein Abkommen in der Regel nicht ratifizieren, bevor nicht alle Mitgliedstaaten ebenfalls ihre nationalen Ratifizierungsverfahren erfolgreich abgeschlossen haben.22 Erfordert das Inkrafttreten eines gemischten Abkommens die Ratifikation durch sämtliche Vertragsparteien , so hat die unterbleibende Ratifikation durch einen Mitgliedstaat zur Folge, dass das Abkommen auch bei einer bereits erfolgten Ratifikation durch die EU und durch die übrigen Mitgliedstaaten nicht umfassend in Kraft treten könnte.23 Die fehlende Ratifizierung durch einen Mitgliedstaat führt bei gemischten Abkommen einerseits zu einem potenziell verzögerten Inkrafttreten , da die Regelungsbereiche, die mitgliedstaatliche Kompetenzen betreffen, nur nach Maßgabe der nationalen Rechtsordnungen wirksam werden.24 4.3. Vorläufige Anwendung Von der Frage des Inkrafttretens und der jeweiligen Zustimmungserfordernisse sind die vorläufige Anwendung eines Abkommens und der hierfür erforderliche Abschluss der internen Genehmigungsverfahren zu differenzieren. 21 Für die Diskussion um eine Pflicht zur Teilnahme bzw. Ratifikation des Abkommens auch bei rechtlichen oder politischen Widerständen im betreffenden Mitgliedstaat mit Blick auf das Loyalitätsprinzip (Art. 4 Abs. 3 EUV) und die Grundsätze der geschlossenen völkerrechtlichen Vertretung und der einheitlichen Geltung des Unionsrechts vgl. Neframi, International Responsibility of the European Community and of the Member States under Mixed Agreements, in: Cannizzaro (Hrsg.), The European Union as an Actor in International Relations, 2002, S. 193 (198 ff.) sowie Kumin/Bittner, Die „gemischten“ Abkommen zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dritten Völkerrechtssubjekten andererseits, EuR-Beiheft 2/2012, S. 75 (82) mit Verweis auf die Erwägungsgründe 8 bis 10 der Entscheidung 2004/294/EG des Rates vom 8. März 2004 zur Ermächtigung der Mitgliedstaaten, die Vertragsparteien des Pariser Übereinkommens vom 29. Juli 1960 über die Haftung gegenüber Dritten auf dem Gebiet der Kernenergie sind, das Änderungsprotokoll zu diesem Übereinkommen im Interesse der Gemeinschaft zu ratifizieren oder diesem beizutreten, ABl. Nr. L 97/53. 22 Vgl. Rosas, The European Union and Mixed Agreements, in: Dashwood/Hillion, The General Law of E.C. External Relations, 2000, S. 200 (207 f.); vgl. auch Art. 102 Euratom-Vertrag: „Falls außer der Gemeinschaft ein oder mehrere Mitgliedstaaten an den Abkommen und Vereinbarungen mit einem dritten Staat, einer zwischenstaatlichen Einrichtung oder einem Angehörigen eines dritten Staates beteiligt sind, so können diese Abkommen und Vereinbarungen erst in Kraft treten, wenn alle beteiligten Mitgliedstaaten der Kommission mitgeteilt haben, dass sie nach den Vorschriften ihrer innerstaatlichen Rechtsordnung anwendbar geworden sind.“, ABl. C 84/1, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUri- Serv.do?uri=OJ:C:2010:084:0001:0112:DE:PDF. 23 Vgl. Sattler, Gemischte Abkommen und gemischte Mitgliedschaften der EG und ihrer Mitgliedstaaten, 2007, S. 139 mit Verweis auf den Fall des Abkommens über die Beteiligung der 10 neuen Mitgliedstaaten am EWR. Italien weigerte sich, das Abkommen zu ratifizieren mit der Folge, dass auch die EG das Abkommen zunächst nicht ratifiziert hat. 24 Vgl. Hermann, Das Abschlussverfahren völkerrechtlicher Verträge der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, 1973, S. 125. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 173/14 Seite 11 4.3.1. Regelung zur vorläufigen Anwendung Die völkerrechtliche Bindungswirkung zwischen den Vertragsparteien (pacta sunt servanda, Art. 26 WVK25) tritt zwar grundsätzlich erst mit dem Inkrafttreten des Abkommens, also zu dem Zeitpunkt ein, der von den Vertragsparteien vereinbart wurde (Art. 24 Abs. 1 WVK). Eine Ausnahme davon bildet die vorläufige Anwendung eines völkerrechtlichen Vertrages gemäß Art. 25 WVK. Gemäß Art. 25 Abs. 1 lit. a) WVK kann ein völkerrechtlicher Vertrag bereits vor seinem Inkrafttreten vorläufig angewandt werden, wenn dies – wie im CETA unter Nr. 36 (Final Provisions) in Art. X.06: Entry into Force – in dem Vertrag vorgesehen ist: “This Agreement shall be provisionally applied from the first day of the month following the date on which the parties have notified each other that their respective relevant procedures have been completed. The Parties may by mutual agreement fix another date.” Insofern ist Voraussetzung für eine vorläufige Anwendung des CETA zum einen der Abschluss der internen Genehmigungsverfahren für eine vorläufige Anwendbarkeit in Kanada sowie in der EU und zum anderen die gegenseitige Notifizierung derselben. Denkbar ist auch eine vorläufige Anwendbarkeit zwischen Kanada und einem (einzelnen) EU-Mitgliedstaat. Dann müsste in dem jeweiligen Mitgliedstaat ein entsprechendes internes Genehmigungsverfahren für eine vorläufige Anwendbarkeit durchgeführt werden. Für die vorläufige Anwendbarkeit des CETA zwischen der EU und Kanada kommt es hingegen weder auf den Abschluss der unionsinternen und/oder mitgliedstaatlichen Ratifikationsverfahren hinsichtlich des CETA insgesamt noch auf die Durchführung eines innerstaatlichen Genehmigungsverfahrens hinsichtlich der vorläufigen Anwendung in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten an. Die Anforderungen an das interne Genehmigungsverfahren für eine vorläufige Anwendbarkeit in der EU sind in Art. 218 Abs. 5 AEUV geregelt. Nach dieser Vorschrift erlässt der Rat auf Vorschlag des Verhandlungsführers (der Kommission) grundsätzlich mit qualifizierter Mehrheit (Art. 218 Abs. 8 iVm Art. 238 Abs. 2 AEUV) einen Beschluss, mit dem die Unterzeichnung der Übereinkunft und deren vorläufige Anwendung vor dem Inkrafttreten genehmigt werden. Eine Beteiligung des Europäischen Parlaments oder der mitgliedstaatlichen Parlamente ist nicht vorgesehen. 4.3.2. Wirkung der vorläufigen Anwendung Durch den Beschluss der vorläufigen Anwendung und durch seine Notifizierung gegenüber Kanada , das diese Erklärung ebenfalls abzugeben hat, werden schon vor Inkrafttreten des Abkommens völkerrechtliche Rechte und Pflichten (Außenwirkung) für die EU und damit indirekt für die EU-Mitgliedstaaten begründet.26 Durch die Vereinbarung der vorläufigen Anwendung werden die Vertragspartner schon vor dem Inkrafttreten des Abkommens zur Ausführung der Vertragsbestimmungen verpflichtet.27 25 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969, BGBL. 1985 II S. 926. 26 Krieger, in Dörr/Schmalenbach (Hrsg.), Vienna Convention on the Law of Treaties, 2012, Art. 25, Rn. 29 m.w.N. 27 Krenzler, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, Wuppertal 1963, S. 58 m.w.N. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 173/14 Seite 12 Im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten (Innenwirkung) bewirkt der Ratsbeschluss über die vorläufige Anwendung, dass jedenfalls die Regelungen aus dem Bereich der ausschließlichen Zuständigkeit der Union (insbesondere gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. e, 207 AEUV oder Art. 3 Abs. 2 AEUV) schon vor Inkrafttreten des Abkommens als Teil des Unionsrechts dem Vorrang des Unionsrechts unterliegen.28 Regelungen betreffend die mitgliedstaatliche Zuständigkeit werden hingegen von der vorläufigen Anwendung ausgenommen.29 4.3.3. Beendigung der vorläufigen Anwendung Die Anwendung des Abkommens bleibt insofern vorläufig, als dass sie dann endet, wenn die Beendigung von der anderen Partei notifiziert wird oder wenn der Vertrag nach erfolgreicher Ratifikation in Kraft tritt und somit die provisorische Bindung der Vertragsparteien in eine endgültige übergeleitet wird.30 Weiterhin wird die vorläufige Anwendung beendet, wenn die EU gemäß Art. 25 Abs. 2 WVK Kanada die Beendigung der Bindungswirkung bzw. die Absicht, nicht Vertragspartei zu werden (ausdrückliche Ratifikationsverweigerung), notifiziert.31 Zudem wurde vereinzelt vertreten, dass die vorläufige Anwendung eines völkerrechtlichen Vertrages auch endet, wenn aus dem Zeitablauf auf eine Nichtratifikation geschlossen werden könne.32 Da vorliegend weder eine Ratifikationsfrist vereinbart wurde noch die Möglichkeit besteht , an Hand des Vertragstextes einen Zeitpunkt festzulegen, nach dem die Ratifizierung verspätet wäre, ist von einer unbeschränkten Fortdauer der vorläufigen Anwendung des Handelsabkommens bis zur ausdrücklichen Ratifikationsverweigerung durch die EU, Kanada – im Falle des Vorliegens eines gemischten Abkommens – der mitgliedstaatlichen Vertragspartner auszugehen. Damit tritt zwar während des Zeitraums der vorläufigen Anwendung eine inhaltliche, aber noch keine endgültige völkerrechtliche Bindungswirkung im Hinblick auf die für vorläufig anwendbar 28 Für die vorläufige Anwendung des Abkommens über die Beteiligung der Mitgliedstaaten am EWR vgl. den 5. Erwägungsgrund des Beschlusses des Rates vom 30. März 2004 über die vorläufige Anwendung des Übereinkommens über die Beteiligung der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik am Europäischen Wirtschaftsraum und der vier Nebenabkommen , 2004/368/EG, ABl. L 130/1, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUri- Serv.do?uri=CELEX:32004D0368:DE:HTML. 29 Vgl. beispielsweise den Beschluss 2012/735/EU des Rates vom 31. Mai 2012, mit dem u.a. die Unterzeichnung des Handelsübereinkommens zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Peru und Kolumbien andererseits durch den Präsidenten des Rates im Namen der Union genehmigt und seine vorläufige Anwendbarkeit mit Ausnahme der Art. 2, 202 Abs. 1, 291 und 292 des Handelsabkommens nach Abschluss der dafür erforderlichen Verfahren erklärt worden ist. 30 Vgl. Art. 25 Abs. 2 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen, BGBl. II 1990 S. 1415. 31 Krenzler, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, Wuppertal 1963, S. 81. 32 Krenzler, Die vorläufige Anwendung völkerrechtlicher Verträge, Wuppertal 1963, S. 88. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 173/14 Seite 13 erklärten Vorschriften ein. Eine vorläufige Anwendung des Abkommens kann dessen eigentliches Inkrafttreten insgesamt nicht ersetzten.33 Die Vertragsparteien müssen bei einer vorläufigen Vertragsanwendung vor Ratifikation jederzeit mit der Möglichkeit der Verweigerung der Ratifikation rechnen. Die vorläufige Anwendung des Abkommens endet jedoch erst mit der entsprechenden Notifikation einer gescheiterten Ratifikation. Zusammengefasst bliebe das CETA somit im Falle seiner vorläufigen Anwendung völkerrechtlich solange vorläufig anwendbar, bis es in Kraft tritt oder entweder Kanada oder die hierfür in der Unionsrechtsordnung zuständige EU die vorläufige Anwendbarkeit einseitig durch entsprechende Notifikation beendet. 4.3.4. Auswirkungen einer nicht erfolgenden Ratifizierung des Abkommens durch einen Mitgliedstaat auf die vorläufige Anwendung des Abkommens 4.3.4.1. Vorläufige Anwendung des Abkommens Das CETA würde im Fall seiner vorläufigen Anwendung bereits vor seinem Inkrafttreten völkerrechtliche Bindungswirkung zwischen Kanada einerseits sowie der EU andererseits (Außenwirkung ) entfalten. Auf der anderen Seite würde ihm ein entsprechender Ratsbeschluss gem. Art. 218 Abs. 5 AEUV im Verhältnis zu den Mitgliedstaaten insofern Innenwirkung ermöglichen, als dass es als Teil des Unionsrechts dessen Anwendungsvorrang unterliegt. Zur Beantwortung der Frage nach den Folgen einer gescheiterten Ratifikation des CETA in einem Mitgliedstaat ist für seine vorläufige Anwendung zwischen diesen beiden Wirkungen der vorläufigen Anwendung zu unterscheiden. 4.3.4.2. Völkerrechtliche Folgen einer nicht erfolgenden Ratifikation Das Schicksal der vorläufigen Anwendung hängt entsprechend der völkervertraglichen Ratio einer vorläufigen Anwendung aus Sicht des Völkerrechts nicht von der Ratifikation und/oder dem Inkrafttreten des Abkommens selbst ab. Völkerrechtlich bleibt die vorläufige Anwendung des Abkommens so lange unberührt, bis die EU gemäß Art. 25 Abs. 2 WVK Kanada ihre Absicht, nicht Vertragspartei des Abkommens zu werden, notifiziert.34 Insofern hätte eine gescheiterte Ratifikation des Abkommens in einem Mitgliedstaat völkerrechtlich keine Auswirkungen auf seine vorläufige Anwendung. 33 Art. 25 Abs. 2 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen, BGBl. II 1990 S. 1415. Vgl. auch Sattler, a.a.o, S. 139 mit Verweis auf den Abschluss des Abkommens über Handel, Entwicklung und Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Südafrika andererseits. Italien hatte in Reaktion auf die vorläufige Anwendung des Abkommens durch die EG erklärt, nicht mehr Vertragspartei des Abkommens werden zu wollen. Nachdem auf inhaltliche Vorbehalte Italiens eingegangen wurde, entschärfte sich die Situation, und das Abkommen trat in Kraft, vgl. Beschluss des Rates vom 26. April 2004 über den Abschluss des Abkommens über Handel, Entwicklung und Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Republik Südafrika andererseits, 2004/441/EG, ABl. L 127/109, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUri- Serv.do?uri=CELEX:32004D0441:DE:HTML. 34 Krieger, in Dörr/Schmalenbach (Hrsg.), Vienna Convention on the Law of Treaties, 2012, Art. 25, Rn. 1. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 173/14 Seite 14 4.3.4.3. Unionsrechtliche Folgen einer nicht erfolgenden Ratifikation Durch den erforderlichen Ratsbeschluss gem. Art. 218 Abs. 5 AEUV über die vorläufige Anwendung des Abkommens würden die Regelungen des CETA zum Teil des Unionsrechts und nähmen insofern am Vorrang des Unionsrechts teil. Diese Wirkung bliebe solange bestehen, bis der Ratsbeschluss keine Wirkung mehr entfaltet. Allein eine gescheiterte Ratifikation in einem Mitgliedstaat hat insofern keine unionsrechtlichen Folgen für die vorläufige Anwendung des vorläufig anwendbaren, d.h. in die Zuständigkeit der EU fallenden Teils des Abkommens. Das Unionsrecht sieht jedoch keine Regelung für eine Aufhebung des Ratsbeschlusses nach Art. 218 Abs. 5 AEUV im Fall der gescheiterten Ratifikation eines vorläufig anwendbar erklärten völkerrechtlichen Vertrages vor. Es besteht keine Rechtspflicht, die vorläufige Anwendung des Abkommens im Falle des Scheiterns der Ratifikation zu beenden. Art. 218 AEUV regelt in Abs. 5 lediglich die Genehmigung der vorläufigen Anwendung vor dem Inkrafttreten, nicht aber ihre Rücknahme. Auch aus Art. 4 Abs. 2 und 3 EUV ließe sich mit Blick auf die Aufgabe der EU zur Durchführung der gemeinsamen Handelspolitik gem. Art. 207 AEUV schwerlich ein Anspruch auf Beendigung der vorläufigen Anwendung im Falle einer gescheiterten Ratifikation herleiten. Grundsätzlich bestünde aber eine entsprechende Handlungsmöglichkeit des Rates, d.h. dass er wiederum durch Beschluss entscheiden könnte, die vorläufige Anwendung des Handelsteils zu beenden und dadurch seine Vorschriften wieder aus dem Unionsrecht zu „entfernen“. Dies lässt sich auf Art. 218 Abs. 9 1. Hs. AEUV stützen, wonach der Rat befugt ist, die Aussetzung der Anwendung einer Übereinkunft zu beschließen. Wenn er die Aussetzung der Anwendung völkerrechtlicher Verträge beschließen kann, muss es ihm auch möglich sein, im Falle der gescheiterten Ratifikation die Beendigung der vorläufigen Anwendung eines völkerrechtlichen Vertrages zu beschließen . Jedenfalls aber handelt es sich bei einem Beschluss zur Aufhebung bzw. Änderung des Ratsbeschlusses über die vorläufige Anwendung um einen actus contrarius zu dem Beschluss über die Genehmigung der vorläufigen Anwendung.35 Mangels einer abweichenden ausdrücklichen Regelung muss dieser actus contrarius unter Einhaltung der Verfahrensvorschriften für den Erstbeschluss gefällt werden können. Fraglich ist, ob hierfür eine Zustimmung des Europäischen Parlaments erforderlich wäre. Dagegen spricht, dass der Rat die vorläufige Anwendung des Handelsteils gemäß Art. 218 Abs. 5 AEUV ohne Beteiligung des Parlaments beschließen kann, so dass – actus contrarius – ein entsprechender Aufhebungs-bzw. Änderungsbeschluss ebenfalls keine Zustimmung des Europäischen Parlaments bedürfte. Andererseits steht der Beschluss über die Beendigung der vorläufigen Wirkung des Abkommens in einem engen Sachzusammenhang zum Abschluss einer internationalen Übereinkunft in Bereichen, für die gem. Art. 207 Abs. 2 AEUV das ordentliche Gesetzgebungsverfahren gilt, so dass sich hierauf die Notwendigkeit einer Zustimmung des Parlaments entsprechend Art. 207 Abs. 3 i.V.m. 218 Abs. 6 UAbs. 2 lit. a v) AEUV stützen ließe. 35 Für die analoge Anwendung von Art. 218 Abs. 6 AEUV zur Kündigung eines völkerrechtlichen Vertrages als actus contrarius zum Vertragsschluss vgl. Lorenzmeier, in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 46. EL 2011, Art. 218, Rn. 59 mwN. Vgl. auch den Beschluss des Rates über die Auflösung des Kooperationsabkommens EWG – Jugoslawien vom 25.11.1991, ABL. 1991 L 325/23 und Zustimmung des EP vom 20.11.1991, ABl. 1991 C 326/82. Zur actus-contrarius-Doktrin im Allgemeinen vgl. Bleckmann, Die actus-contrarius -Doktrin, JuS 1988, 174 ff. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 173/14 Seite 15 Unabhängig von der Frage eines Zustimmungserfordernisses durch das Europäische Parlament bestünde jedenfalls – sofern politisch gewollt – rechtlich die Möglichkeit, die vorläufige Anwendung des Handelsabkommens bei gescheiterter Ratifikation in einem Mitgliedstaat durch entsprechenden Ratsbeschluss zu beenden.