WD 11 – 3000 – 173/11 Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag Ausarbeitung Gewährung von Krediten der Europäischen Zentralbank an Marktteilnehmer ohne Banklizenz Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 2 WD 11 – 3000 – 173/11 Gewährung von Krediten der Europäischen Zentralbank an Marktteilnehmer ohne Banklizenz Aktenzeichen: WD 11 – 3000 – 173/11 Abschluss der Arbeit: 27. Oktober 2011 Fachbereich: WD 11: Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 3 WD 11 – 3000 – 173/11 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Vorgaben aus der Satzung des europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank 5 2.1. Offenmarktgeschäfte 6 2.2. Refinanzierungsgeschäfte 7 2.3. Leitlinie EZB/2000/7 8 2.3.1. Rechtsgrundlage der Leitlinie 8 2.3.2. Inhalt der Leitlinie 8 2.3.3. Mindestreservepflicht für ständige Fazilitäten und Offenmarktgeschäfte über Standardtender 9 2.3.4. Weitere Voraussetzungen für die Zulassung als Geschäftspartner 10 2.3.5. Zwischenfazit 10 3. Vereinbarkeit einer Kreditvergabe an die EFSF mit Artikel 123 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union 11 3.1. Norminhalt und Reichweite des Verbots 11 3.1.1. Verbot des direkten Zentralbankkredits 12 3.1.2. Subsumtion 12 3.1.2.1. Die EFSF als gemeinsame Einrichtung von Zentralregierungen 12 3.1.2.2. Die EFSF als öffentliches Unternehmen? 14 3.1.2.3. Zwischenfazit 14 3.2. Ausnahmen 15 4. Abschließende Bewertung 15 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 4 WD 11 – 3000 – 173/11 1. Einleitung Seit mehreren Wochen wird in Politik und Medien über eine sog. Hebelung der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) diskutiert. Hiermit soll eine Vervielfachung des Ausleihvolumens der EFSF von 440 Mrd. Euro erzielt werden. Dabei waren zunächst zwei grundsätzliche Modelle im Gespräch: Banklizenz-Modell:1 Nach diesem insbesondere von Frankreich2 unterstützen Vorschlag soll die EFSF eine Banklizenz bei der Europäischen Zentralbank (EZB) erhalten. Diese soll der EFSF den Zugang zu Krediten der EZB über Wertpapierpensionsgeschäfte ermöglichen . Als Sicherheit für die Kredite der EZB könnte die EFSF gekaufte Staatsanleihen von Eurozonenmitgliedern, die in verstärktem Maße Liquidität benötigen, wie beispielsweise Italien, einreichen.3 Mit den Geldmitteln der EZB könnte die EFSF zusätzliche Kredite vergeben oder neue Staatsanleihen ankaufen, die sie wiederum bei der EZB als Sicherheit verpfänden könnte.4 Commerzbank Research geht davon aus, dass auch bei einem Abschlag der Kreditsumme auf die eingereichten Anleihen um 10 % (auf den Kurswert der Sicherheiten) das zur Verfügung stehende Finanzvolumen der EFSF so verzehnfacht werden könnte, bei einem Abschlag von 15 % könnte es immerhin noch fast versiebenfacht werden.5 Versicherungsmodell:6 Beim Versicherungsmodell emittieren die in Finanzierungsschwierigkeiten geratenen Staaten ihre Staatsanleihen weiterhin eigenständig auf dem Kapitalmarkt. Allerdings versichert die EFSF als eine Art Teilkasko-Versicherung einen Teil des einem Anleger bei einem Zahlungsausfall erlittenen Verlustes ab. Diskutiert wird eine Abdeckungsquote von 20 bis 30 % der Verluste. Es wird davon ausgegangen, dass sich beim Versicherungsmodell durch den Einsatz eines Euros aus der EFSF fünf Euro auf dem Kapitalmarkt von den in Schwierigkeiten geratenen Staaten aufnehmen lassen (Verhältnis 1:5).7 1 S. hierzu Economic Research Commerzbank, Woche im Fokus vom 7. Oktober 2011, S. 3, online abrufbar unter: https://www.commerzbank.de/media/de/research/economicresearch/aktuellesresearch/1007/week.pdf (letzter Abruf: 20. Oktober 2011). 2 Vgl. z.B. Alexander, Spiel mit den zwei Gipfeln, in: Die Welt vom 21.Oktober 2011. 3 Vgl. z. B. Belke, 10 Schritte zum harten Euro, in: Handelsblatt vom 30. September 2011, online abrufbar unter: http://www.handelsblatt.com/politik/international/10-schritte-zum-harten-euro/4676130.html?p4676130=all (letzter Abruf: 20. Oktober 2011). 4 Economic Research Commerzbank, a.a.O. 5 Economic Research Commerzbank, a.a.O. 6 S. hierzu Economic Research Commerzbank, .a.a.O. 7 So z. B. der Finanzvorstand der Allianz Paul Achleitner in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 16. Oktober 2011; Pache, Schäuble will 1000 Mrd. Euro für die EFSF, in: Financial Times Deutschland vom 19. Oktober 2011. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 5 WD 11 – 3000 – 173/11 Das Versicherungsmodell wird in den Varianten des First Loss-Modells und des Second Loss-Modells vertreten.8 Beim First Loss-Modell würde die EFSF im Falle eines Schuldenschnitts immer die ersten Verluste für die Investoren in Höhe von 20 bis 30 % übernehmen . Beim Second Loss-Modell würden die ersten 5 oder 10 % der Verluste vom Anleger getragen werden; erst danach würde die EFSF anteilig für die Verluste als Versicherung einstehen. Achleitner geht beispielsweise davon aus, dass bei einem Second Loss Modell sich Spanien zukünftig mit einem Zinssatz von 4,5 statt 6 % finanzieren könnte.9 In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) vom 17. Oktober 2011 wurde berichtet, dass „in Brüssel“ darauf hingewiesen werde, dass die EFSF nicht unbedingt eine Banklizenz brauche. Theoretisch sei es auch denkbar, dass sich die EFSF ohne Banklizenz Geld bei der Zentralbank beschaffe, um Anleihen angeschlagener Staaten zu kaufen. Es sei ausschließlich Sache der EZB, ob sie dem Fonds Kredit gewähre oder nicht.10 In einem weiteren Presseartikel der FAZ vom 21. Oktober 2011 hieß es, dass die EZB angekündigt habe, die EFSF nicht als Gegenpartei zu akzeptieren .11 Im Folgenden werden die rechtlichen Grundlagen der EZB daraufhin untersucht, ob die EZB tatsächlich ohne Banklizenz Kredite an die EFSF vergeben dürfte. Das Verhalten der EZB ist zum einen an den europäischen Verträgen, insbesondere dem Vertrag über Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), zum anderen an der in einem Protokoll zu den europäischen Verträgen enthaltenen Satzung des europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank (ESZB-Satzung) zu messen. 2. Vorgaben aus der Satzung des europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank Die ESZB-Satzung ist den europäischen Verträgen als Protokoll Nr. 4 beigefügt. Als Protokoll hat die Satzung nach Art. 51 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) damit den Rang von Primärrecht. Die für den Kontext der Fragestellung relevanten Artikel 18 und 19 ESZB-Satzung lauten: Artikel 18: Offenmarkt- und Kreditgeschäfte „18.1. Zur Erreichung der Ziele des ESZB und zur Erfüllung seiner Aufgaben können die EZB und die nationalen Zentralbanken - auf den Finanzmärkten tätig werden, indem sie auf Euro oder sonstige Währungen lautende Forderungen und börsengängige Wertpapiere sowie Edelmetalle endgültig (per Kasse oder Termin) oder im Rahmen von Rückkaufsvereinbarungen kaufen und verkaufen oder entsprechende Darlehensgeschäfte tätigen; 8 S. hierzu Pache, Schäuble will 1000 Mrd. Euro für die EFSF, in: Financial Times Deutschland vom 19. Oktober 2011. 9 Finanzvorstand der Allianz Paul Achleitner in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 16. Oktober 2011 10 Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 17. Oktober 2011, „Keine Banklizenz für Euro-Krisenfonds EFSF“. 11 Frankfurter Allgemein Zeitung vom 21. Oktober 2011, „Merkel darf in Brüssel nicht entscheiden“. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 6 WD 11 – 3000 – 173/11 - Kreditgeschäfte mit Kreditinstituten und anderen Marktteilnehmern abschließen, wobei für die Darlehen ausreichende Sicherheiten zu stellen sind. 18.2. Die EZB stellt allgemeine Grundsätze für ihre eigene Offenmarkt- und Kreditgeschäfte und die der nationalen Zentralbanken auf; hierzu gehören auch die Grundsätze für die Bekanntmachung der Bedingungen, zu denen sie bereit sind, derartige Geschäfte abzuschließen. Artikel 19: Mindestreserven 19.1. Vorbehaltlich des Artikels 2 kann die EZB zur Verwirklichung der geldpolitischen Ziele verlangen , dass die in den Mitgliedstaaten niedergelassenen Kreditinstitute Mindestreserven auf Konten bei der EZB und den nationalen Zentralbanken unterhalten. Verordnungen über die Berechnung und Bestimmung des Mindestreservezolls können vom EZB-Rat erlassen werden. Bei Nichteinhaltung kann die EZB Strafzinsen erheben und sonstige Sanktionen mit vergleichbarer Wirkung verhängen. 19.2. Zum Zwecke der Anwendung dieses Artikels legt der Rat nach dem Verfahren des Artikels 41 die Basis für die Mindestreserven und die höchstzulässigen Relationen zwischen diesen Mindestreserven und ihrer Basis sowie die angemessenen Sanktionen fest, die bei Nichteinhaltung anzuwenden sind.“ 2.1. Offenmarktgeschäfte Art. 18 ESZB-Satzung enthält den rechtlichen Rahmen für die geldpolitischen Geschäfte der EZB. Nach Art. 18.1., 1. Spiegelstrich ESZB-Satzung kann die EZB auf den Finanzmärkten tätig werden, indem sie Forderungen und börsengängige Wertpapiere kauft oder verkauft oder entsprechende Darlehensgeschäfte tätigt. Auf der Grundlage von Art. 18.1., 1. Spiegelstrich tätigt die EZB ihre sog. Offenmarktgeschäfte.12 Von Offenmarktgeschäften wird allgemein dann gesprochen , wenn die Initiative, Geld in Umlauf zu bringen, von der EZB ausgeht.13 Zu ihren Offenmarktgeschäften zählt die EZB folgende Instrumente: Hauptrefinanzierungsgeschäfte, Längerfristige Refinanzierungsgeschäfte, Feinsteuerungsoptionen und strukturelle Operationen.14. Beim Hauptrefinanzierungsgeschäft werden von der EZB wöchentlich Kredite mit einer Laufzeit von zwei Wochen angeboten. Über das Hauptrefinanzierungsgeschäft stellt die EZB dabei im größten Umfang dem Finanzsektor im Eurosystem Geld zur Verfügung.15 Beim längerfristigen Refinanzierungsgeschäft beträgt die Kreditlaufzeit drei Monate.16 Feinsteuerungsoptionen kommen z. B. Kredite mit wenigen Tagen Laufzeit in Betracht.17 Strukturelle Operationen stehen der EZB als 12 Vgl. Gaitanides, Das Recht der Europäischen Zentralbank, 2005, S. 111 f. 13 Heine/Herr, Die Europäische Zentralbank, 2008, S. 69. 14 Vgl. im Einzelnen hierzu: EZB, Durchführung der Geldpolitik im Euro-Währungsgebiet, 2008, S. 9; EZB, Die einheitliche Geldpolitik im Euro-Währungsgebiet, 2002, S. 14 ff.; Gaitanides, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, 2. Auflage 2010, § 31, Rdnr. 37 ff.; Häde, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 4. Auflage 2011, Art. 127 AEUV, Rdnr. 17 ff. 15 Gaitanides, Das Recht der Europäischen Zentralbank, 2005, S. 112. 16 EZB, Die einheitliche Geldpolitik im Euro-Währungsgebiet, 2002, S. 15; Gaitanides, in: Schulze /Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, 2. Auflage 2011, § 31, Rdnr. 40. 17 Gaitandies, Das Recht der Europäischen Zentralbank, 2005, S. 114. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 7 WD 11 – 3000 – 173/11 Reserveinstrument für besondere geldpolitische Situationen zur Verfügung.18 Die genannten Geschäfte werden entweder als Pensionsgeschäfte – so wie es offenbar dem Vorschlag für die Banklizenz-Lösung entspricht (s. Einleitung) – oder in Form von besicherten Krediten durchgeführt .19 Alle genannten Offenmarktschäfte können in Form von Standardtendern, Schnelltendern oder bilateralen Geschäften durchgeführt werden.20 Der Wortlaut von Art. 18.1., 1. Spiegelstrich ESZB-Satzung an sich sagt nichts darüber aus, mit wem die EZB (oder die nationalen Zentralbanken) die genannten Offenmarktgeschäfte abschließen kann. Eine Konkretisierung erhält die ESZB-Satzung jedoch durch die Leitlinie EZB/2000/7 (s. hierzu Ziffer 2.3). 2.2. Refinanzierungsgeschäfte Nach Art. 18.1., 2. Spiegelstrich ESZB-Satzung kann die EZB „Kreditgeschäfte mit Kreditinstituten und anderen Marktteilnehmern abschließen“. Unter den Begriff „Kreditgeschäfte“ fallen als sog. ständige Fazilitäten die Spitzenrefinanzierungsfazilität und die Einlagefazilität.21 Im Gegensatz zu den Offenmarktgeschäften, die auf Initiative der EZB zustande kommen sollen, handelt es sich bei diesen beiden ständigen Fazilitäten um Kreditmöglichkeiten, deren Inanspruchnahme von den Geschäftspartnern der EZB ausgehen soll.22 Voraussetzung für die Tätigung solcher Kreditgeschäfte ist nach dem Wortlaut des Art. 18.1, 2. Spiegelstrich ESZB-Satzung, dass es bei dem Partner des Kreditgeschäfts um ein „Kreditinstitut“ oder um einen „anderen Marktteilnehmer“ handelt. Auch wenn es sich bei der EFSF nicht um ein Kreditinstitut handelt, erscheint es zumindest nach dem Wortlaut der ESZB-Satzung nicht ausgeschlossen, die EFSF als „anderen Marktteilnehmer“ zu verstehen. Denn die EFSF begibt selbst Anleihen am Kapitalmarkt und vergibt Kredite an notleidende Mitgliedstaaten des Euro- Währungsgebiets. Auch hier ist jedoch zu berücksichtigen, dass die EZSB-Satzung durch die Leitlinie EZB/2000/7 konkretisiert wird (s. Ziffer 2.3). 18 Gaitandies, Das Recht der Europäischen Zentralbank, 2005, S. 115. 19 EZB, Durchführung der Geldpolitik im Euro-Währungsgebiet, 2008, S. 15; Gaitanides, in: Schulze /Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, 2. Auflage 2011, § 31, Rdnr. 40. 20 EZB, Durchführung der Geldpolitik im Euro-Währungsgebiet, 2008, S. 8 f. und Fn. 5: Bei Standardtendern erfolgt die Durchführung innerhalb von höchstens 24 Stunden. Schnelltender werden grundsätzlich innerhalb von 90 Minuten durchgeführt. Bei bilateralen Geschäften führt die EZB nur mit einem oder wenigen Geschäfspartnern Geschäfte durch, ohne das Tenderverfahren zu nutzen. Hierzu gehören Operationen, die über die Börse oder über Vermittler durchgeführt werden. 21 S. hierzu EZB, Die einheitliche Geldpolitik im Euro-Währungsgebiet, 2002, S. 22 ff., Gaitanides, in: Schulze /Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, 2. Auflage 2010, § 31, Rdnr. 44 ff. 22 Häde, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 4. Auflage 2011, Art. 127 AEUV, Rdnr. 20. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 8 WD 11 – 3000 – 173/11 2.3. Leitlinie EZB/2000/7 Grundlegend für die Durchführung der Geldpolitik ist die erwähnte Leitlinie EZB/2000/7 über geldpolitische Instrumente und Verfahren des Eurosystems.23 2.3.1. Rechtsgrundlage der Leitlinie Die Leitlinie EZB/2000/7 wurde vom EZB-Rat auf der Grundlage des heutigen Art. 127 Abs. 2, 1. Spiegelstrich AEUV (ex-Art. 105 Abs. 2, 1. Spiegelstrich EGV24) sowie auf Art. 12.1 und 14.3 ESZB-Satzung i.V.m. Art. 3.1, 1. Spiegelstrich, Art. 18.2 und Art. 20 Abs. 1 ESZB-Satzung erlassen . Gem. Art. 127 Abs. 2, 1. Spiegelstrich AEUV besteht eine der grundlegenden Aufgaben des ESZB darin, die Geldpolitik der Union festzulegen und auszuführen. Nach Art. 12.1 der ESZB-Satzung erlässt der EZB-Rat die hierfür erforderlichen „Leitlinien“ und „Beschlüsse“; darunter fallen auch Beschlüsse in Bezug auf die geldpolitischen Zwischenziele, Leitzinssätze und die Bereitstellung von Zentralbankgeld im ESZB. Die EZB kann die Bedingungen für die Inanspruchnahmer der Offenmarktinstrumente oder der ständigen Fazilitäten also jederzeit ändern oder aussetzen .25 Sie kann autonom Recht in diesem Bereich setzen.26 2.3.2. Inhalt der Leitlinie Ziffer 1.4 und Ziffer 2 der Leitlinie EZB/2000/7 bestimmen die allgemeinen Zulassungskriterien, die die sog. Geschäftspartner für den Zugang zu den geldpolitischen Geschäften des ESZB erfüllen müssen: 1. Nach Ziffer 1.4 i.V.m. Ziffer 2.1 der Leitlinie EZB/2000/7 dürfen nur mindestreservepflichtige Institute gem. Art. 19.1. der ESZB-Satzung die ständigen Fazilitäten in Anspruch nehmen und an Offenmarktgeschäften über Standardtender teilnehmen. 2. Nach Ziffer 2.1 muss es sich bei den Geschäftspartnern um finanziell solide Institute handeln . Sie sollen zumindest einer Form der auf EU- bzw. EWR27-Ebene harmonisierten Aufsicht durch die nationalen Behörden unterliegen. Im Hinblick auf ihre besondere EUrechtliche institutionelle Stellung können finanziell solide Institute im Sinne von Art. 123 Abs. 2 AEUV, die einer Aufsicht unterliegen, die einen der Aufsicht durch die zuständigen nationalen Behörden vergleichbaren Standard aufweist, als Geschäftspartner zugelassen werden. Wirtschaftlich solide Institute, die einer nicht harmonisierten Auf- 23 Leitlinie der Europäischen Zentralbank vom 31. August 2000 über geldpolitische Instrumente und Verfahren des Eurosystems, EZB/2000/7, ABl. L 310/1, konsolidierte Fassung online abrufbar unter: http://www.ecb.int/ecb/legal/pdf/02000x0776-20110201-de.pdf (letzter Abruf: 24. Oktober 2011). S. hierzu Bieber /Epiney/Haag, Die Europäische Union, 9. Auflage 2011, § 21, Rdnr. 24. 24 EGV = Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft. 25 Gaitanides, Das Recht der Europäischen Zentralbank, 2005, S. 118. 26 Gaitanides, Das Recht der Europäischen Zentralbank, 2005, S. 176. 27 EWR = Europäischer Wirtschaftsraum. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 9 WD 11 – 3000 – 173/11 sicht durch zuständige nationale Behörden unterliegen, die einen mit der harmonisierten EU/EWR-Aufsicht vergleichbaren Standard aufweisen, können ebenfalls als Geschäftspartner zugelassen werden, z. B. im Euro-Währungsgebiet ansässige Niederlassungen von Instituten, die außerhalb des EWR gegründet worden sind. 3. Die Geschäftspartner müssen sämtliche operationalen Kriterien erfüllen, die in vertraglichen oder öffentlich-rechtlichen Regelungen der betreffenden nationalen Zentralbank (oder der EZB) niedergelegt sind, um eine effiziente Durchführung der geldpolitischen Geschäfte des Eurosystems zu gewährleisten. Ziffer 1.4 und Ziffer 2.2 der Leitlinie EZB/2000/7 schreiben für andere Formen von Offenmarktgeschäften ergänzend vor: „Für die Teilnahme an Feinsteuerungsinstrumenten kann das Eurosystem eine begrenzte Anzahl von Geschäftspartnern auswählen. Devisenswapgeschäfte, die aus geldpolitischen Gründen durchgeführt werden, werden mit devisenmarktaktiven Instituten abgeschlossen . Der Kreis der Geschäftspartner ist hierbei auf diejenigen Institute beschränkt, die für Devisenmarktinterventionen des Eurosystems ausgewählt wurden und im Euro-Währungsraum ansässig sind.“ 2.3.3. Mindestreservepflicht für ständige Fazilitäten und Offenmarktgeschäfte über Standardtender Nur mindestreservepflichtige Institute gem. Art. 19.1. der ESZB-Satzung dürfen nach der Leitlinie EZB/2000/7 die ständigen Fazilitäten in Anspruch nehmen und an den in der Praxis wichtigen Offenmarktgeschäften über Standardtender teilnehmen. Die Frage, ob ein Institut der Mindestreservepflicht unterliegt, regelt wiederum die Verordnung (EG) Nr. 1745/2003 der EZB über die Auferlegung einer Mindestreservepflicht.28 Nach Art. 2 der VerordnungNr. 1745/2003 unterliegen nur „Kreditinstitute“ im Sinne von Art. 1 Nr. 1 UAbs. 1 der Richtlinie 2000/12/EG29 bzw. Zweigstellen solcher Kreditinstitute der Mindestreservepflicht. Die Richtlinie 2000/12/EG definiert ein „Kreditinstitut“ u.a. als „ein Unternehmen, dessen Tätigkeit darin besteht, Einlagen oder andere rückzahlbare Gelder des Publikums entgegenzunehmen und Kredite für eigene Rechnung zu gewähren“. Unter bestimmten Voraussetzungen kann die EZB Gruppen von Instituten von der Mindestreservepflicht freistellen (Art. 2 Abs. 2 der Verordnung 1745/2003),30 z. B. solche, deren Einbeziehung in das Mindestreservesystem der EZB nicht zweckmäßig wäre (Variante c)). 28 Verordnung (EG) Nr. 1745/2003 der Europäischen Zentralbank vom 12. September 2003 über die Auferlegung einer Mindestreservepflicht (EZB/2003/9), ABl. L 250/10, geändert durch Verordnung (EG) Nr. 1052/2008 der Europäischen Zentralbank vom 22. Oktober 2008, ABl. L 282/14, konsolidierte Fassung online abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CONSLEG:2003R1745:20081026:DE:PDF (letzter Abruf: 24. Oktober 2011). 29 Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. März 2009 über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute, ABl. L 126/1, zuletzt geändert durch Richtlinie 2006/29/EG der Kommission vom 8. März 2006, konsolidierte Fassung online abrufbar unter: http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CONSLEG:2000L0012:20060329:DE:PDF (letzter Abruf: 24. Oktober 2011). 30 Vgl. zur Mindestreservepflicht ausführlich Gaitanides, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, 2. Auflage 2010, § 31, Rdnr. 54 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 10 WD 11 – 3000 – 173/11 Bei der EFSF handelt es sich nicht um ein Kreditinstitut im Sinne der Richtlinie 2000/12/EG. Sie unterliegt folglich auch nicht der Mindestreservepflicht und kann demnach nach Ziffern 1.4 und 2 der Leitlinie EZB/2000/7 auch nicht – sofern der EZB-Rat insofern keine Ausnahmeregelung treffen würde - die dort genannten Fazilitäten und Offenmarktinstrumente der EZB in Anspruch nehmen. Ziffer 1.6. der Leitlinie EZB/2000/7 bestimmt jedoch ausdrücklich, dass der EZB-Rat die Instrumente , Konditionen, Zulassungskriterien und Verfahren für die Durchführung von geldpolitischen Geschäften jederzeit ändern kann. Es scheint demnach theoretisch nicht ausgeschlossen, dass der EZB-Rat auch nicht-mindestreservepflichtigen Marktteilnehmer seine geldpolitischen Instrumente der Offenmarktgeschäfte im Standardtender und seine ständigen Einlagen zur Verfügung stellt. Hiergegen spricht insbesondere auch nicht der Wortlaut der als Primärrecht vorrangigen ESZB-Satzung. Wie oben dargelegt, schließt der Wortlaut von Art. 18.1 ESZB-Satzung sowohl bzgl. der Offenmarktgeschäfte als auch bzgl. der ständigen Einlagen eine solche Auslegung nicht aus. 2.3.4. Weitere Voraussetzungen für die Zulassung als Geschäftspartner Wie oben dargelegt, ist Voraussetzung für die Zulassung bei der EZB als Geschäftspartner für alle Formen von geldpolitischen Geschäften, dass es sich um finanziell solide Institute handelt, die der Aufsicht durch nationale Behörden unterliegen. Eine Ausnahme wird für Institute im Sinne des Art. 123 Abs. 2 AEUV gemacht, d. h. für Kreditinstitute im öffentlichen Eigentum, die einer vergleichbaren Aufsicht unterliegen. Bei endgültigen Käufen und Verkäufen ist der Kreis der Geschäftspartner von vornherein nicht beschränkt (Ziffer 2.2 S. 1 der Leitlinie EZB 2000/7/EG). 2.3.5. Zwischenfazit Allein unter Berücksichtigung dieses Binnenrechts des ESZB, wie es sich aus der Leitlinie EZB/2000/7 ergibt, ist dem Bericht in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 17. Oktober 2011 zuzustimmen: Die EZB könnte ihre Leitlinien schließlich autonom so gestalten bzw. abändern, dass die EFSF auch ohne Banklizenz Kredite in Anspruch nehmen könnte. Sie könnte die Zulassungskriterien für den Abschluss geldpolitischer Geschäfte mit der EZB bzw. den nationalen Zentralbanken entsprechend ändern.31 Bei dieser Argumentation wurde jedoch bislang Art. 123 AEUV außer Betracht gelassen, der als Primärrecht der Union das Handeln der EZB bindet. 31 Darüber hinaus könnte der EZB-Rat mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen auch über die Anwendung anderer als der oben erwähnten Instrumente der Geldpolitik entscheiden, die er unter Beachtung der Aufgaben des ESZB für zweckmäßig hält. Vgl. Gaitanides, Das Recht der Europäischen Zentralbank, 2005, S. 135. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 11 WD 11 – 3000 – 173/11 3. Vereinbarkeit einer Kreditvergabe an die EFSF mit Artikel 123 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union 3.1. Norminhalt und Reichweite des Verbots Nach der Verbotsnorm des Art. 123 Abs. 1 AEUV ist es weder der EZB noch den nationalen Zentralbanken gestattet, der EU oder den Mitgliedstaaten direkte Kredite zu gewähren oder deren Schuldtitel unmittelbar zu erwerben (sog. monetäre Haushaltsfinanzierung). Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass sich die EU oder die Mitgliedstaaten nicht über die EZB oder die jeweilige nationale Zentralbank zu deren – im Vergleich zu den Kapitalmärkten günstigeren – Bedingungen refinanzieren können, sondern stattdessen ihren Kapitalbedarf unter den geltenden Bedingungen der Finanzmärkte decken.32 Die Möglichkeit eines Mitgliedstaates, sich unter Umgehung der Kapitalmärkte, bei einer Zentralbank – der EZB oder der nationalen Zentralbank – zu refinanzieren, könnte sich andernfalls nach übereinstimmender Meinung in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur inflationsfördernd auswirken.33 Wäre z. B. die EZB vertraglich verpflichtet , den Mitgliedstaaten unbegrenzt Kredite zu gewähren, geriete diese Geldmengenkomponente aus ihrem Kontrollbereich.34 Über die Höhe der monetären Basis würde anstelle der EZB ein nationaler Haushaltsgesetzgeber entscheiden.35 Durch das Verbot der monetären Finanzierung durch die Zentralbanken wird der öffentliche Sektor zu einer Kreditfinanzierung an den Kapitalmärkten gezwungen. Unsolide Haushaltsführung wird dort mit Zinsaufschlägen quittiert.36 Das Verbot gemäß Art. 123 AEUV soll damit die Bemühungen um eine solide Haushaltspolitik fördern. Das Verbot bezieht sich auf zwei Aspekte: die direkten Zentralbankkredite und den unmittelbare Erwerb von Schuldtiteln durch die EZB oder die nationalen Zentralbanken. Die einzelnen Tatbestandsmerkmale des Art. 123 AEUV werden durch die Verordnung (EG) Nr. 3603/9337 (Verordnung 3603/93) inhaltlich konkretisiert. 32 Vgl. zur inhaltsgleichen Norm des Art. 101 EGV: Gnan, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, 6. Auflage 2003, Art. 101 EGV, Rdnr. 3. 33 Gaitanides, Das Recht der Europäischen Zentralbank, 2005, S. 98; Hattenberger, in: Schwarze (Hrsg.), EU- Kommentar, 2. Auflage 2009, Art. 101 EGV, Rdnr. 1. 34 Gaitanides, Das Recht der Europäischen Zentralbank, 2005, S. 98; Kempen, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 1. Auflage 2003, Art. 101 EGV, Rdnr. 1. 35 Vgl. Gaitanides, Das Recht der Europäischen Zentralbank, 2005, S. 98. 36 Häde, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 4. Aufl., 2011, Art. 123 AEUV, Rdnr. 2; Bandilla, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Loseblatt, EL 44 Mai 2011, Art. 123 AEUV, Rdnr. 1. 37 Verordnung (EG) Nr. 3603/93 des Rates vom 13. Dezember 1993 zur Festlegung der Begriffsbestimmungen für die Anwendung der in Art. 104 und 104b Abs. 1 des Vertrages vorgesehenen Verbote, abrufbar unter: http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:31993R3603:DE:HTML (letzter Abruf: 24. Oktober 2011). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 12 WD 11 – 3000 – 173/11 3.1.1. Verbot des direkten Zentralbankkredits Art. 123 Abs. 1 Alt. 1 AEUV verbietet Überziehungs- und andere Kreditfazilitäten bei der EZB und den Zentralbanken der Mitgliedstaaten für die dort genannten Schuldner des öffentlichen Sektors. Das Verbot richtet sich an Gläubiger und Schuldner gleichermaßen und kann ggf. von der Kommission mit einem Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV durchgesetzt werden .38 Definiert wird eine „Überziehungsfazilität“ als „jede Bereitstellung von Mitteln zugunsten des öffentlichen Sektors, deren Verbuchung einen Negativsaldo ergibt oder ergeben könnte“ (Art. 1 Abs. 1 lit. a der Verordnung 3603/93). Als „andere Kreditfazilität“ wird grundsätzlich jede andere bestehende Forderung, „jede Finanzierung von Verbindlichkeiten des öffentlichen Sektors gegenüber Dritten“ und „jede Transaktion mit dem öffentlichen Sektor, die zu einer Forderung an diesen führt oder führen könnte“ bezeichnet (Art. 1 Abs. 1 lit. b der Verordnung 3603/93). 3.1.2. Subsumtion Entscheidend in diesem Kontext zu fragen ist, ob die EFSF ein Schuldner des „öffentlichen Sektors “ ist, dem nach Art. 123 Abs. 1 AEUV grundsätzlich keine Form eines Kredites bereitgestellt werden darf. Art. 3 Abs. 1 der Verordnung 3603/93 definiert als „öffentlichen Sektor“ für die Zwecke dieser Art. 123 AEUV konkretisierenden Verordnung „die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft sowie der Zentralregierungen, regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften, die anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften und die sonstigen Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentliche Unternehmen der Mitgliedstaaten“. Es handelt sich hierbei um eine sehr umfassende Definition, von der angenommen wird, dass sie keine Schlupflöcher gewähren soll.39 Eine Finanzierung der öffentlichen Haushalte durch die EZB sollte „auch nicht durch die Hintertür “ zugelassen werden.40 An die Gründung einer Zweckgesellschaft wie der EFSF war zum Zeitpunkt des Erlasses der Verordnung 3603/93 jedoch nicht gedacht worden. 3.1.2.1. Die EFSF als gemeinsame Einrichtung von Zentralregierungen Die EFSF ist weder eine Einrichtung der EU noch einer Zentralregierung, und sie stellt auch keine Gebietskörperschaft oder andere öffentlich-rechtliche Körperschaft dar. Die EFSF ist am 7. Juni 2010 als eine privatrechtliche Aktiengesellschaft nach luxemburgischen Recht (société anonyme) gegründet worden.41 Die EFSF ist der Form nach folglich auch keine Einrichtung des öffentlichen Rechts. Man könnte deswegen zunächst auf den Gedanken kommen, dass die EFSF als privatrechtliche Gesellschaft dem Verbot des Art. 123 Abs. 1 AEUV entzogen ist. Bei einer 38 Kempen, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 1. Auflage 2003, Art. 101 EGV, Rdnr. 2; Bandilla, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Loseblatt, EL 44 Mai 2011, Art. 123 AEUV, Rdnr. 6; Hattenberger, in: Schwarze (Hrsg.), EU- Kommentar, 2. Auflage 2009, Art. 101 EGV, Rdnr. 1. 39 Bandilla, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Bd. II, Loseblatt, Art. 123 AEUV, Rdnr. 8, Stand: Mai 2011. 40 So Häde, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 4. Auflage 2011, Art. 123 AEUV, Rdnr. 12. 41 Der Gesellschaftervertrag ist online abrufbar unter: http://www.bundesfinanzministerium.de/nn1270/DE/WirtschaftundVerwaltung/Europa/20100609- Schutzschirm-Euro-Anlage-2,templateId=raw,property=publicationFile.pdf (letzter Abruf: 25. Oktober 2011). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 13 WD 11 – 3000 – 173/11 solchen Betrachtung wird jedoch nicht berücksichtigt, dass alle Gesellschafter der EFSF Mitgliedstaaten der Euro-Währungsgebiets sind.42 Jeder Gesellschafter entsendet einen Vertreter in den Vorstand der EFSF, der als Organ der EFSF über die Gewährung von Finanzhilfe und alle die EFSF betreffenden Angelegenheiten entscheidet (Art. 10 EFSF-Rahmenvertrag). Der Zweck der EFSF besteht ferner darin, Mitgliedstaaten der EU mit finanziellen Schwierigkeiten, die Finanzierung zu erleichtern oder Finanzmittel zur Verfügung zu stellen. Der Zweck ist damit ebenfalls öffentlich. All dies spricht dafür, die EFSF trotz ihrer formal privatrechtlichen Gestalt als eine gemeinsame öffentliche Einrichtung von Zentralregierungen im Sinne der Verordnung 3603/93 anzusehen, die nach Sinn und Zweck des Verbots des direkten Zentralbankkredits (s. oben) ebenfalls dem Verbot unterliegen muss. Für diese Argumentation kann man auch einen Umgehungsgedanken heranziehen: Es würde schließlich eine Umgehung des Verbots des direkten Zentralbankkredits gem. Art. 123 Abs. 1 AEUV darstellen, wenn Mitgliedstaaten der EU letztlich nur eine privatrechtliche Gesellschaft gründen müssten, um sich auf diesem Wege über die geldpolitischen Instrumente der EZB finanzieren zu können (Gedanke des deutschen Verfassungsrechts: „Keine Flucht ins Privatrecht“).43 Wie oben angedeutet, wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur davon ausgegangen, dass die Finanzierung der öffentlichen Haushalte durch die EZB „auch nicht durch die Hintertür“ erfolgen soll.44 Auch in den Erwägungsgründen der Verordnung 3603/93 ist die Gefahr erkannt, dass die Mitgliedstaaten das Verbot des Art. 123 Abs. 1 AEUV umgehen könnten. So heißt es in Erwägungsgrund 7: „Die Mitgliedstaaten müssen geeignete Maßnahmen ergreifen, damit die nach Artikel 104 des Vertrages [heute: Art. 123 AEUV] vorgesehenen Verbote wirksam und uneingeschränkt angewendet werden und damit insbesondere das mit diesem Artikel verfolgte Ziel nicht durch den Erwerb auf dem Sekundärmarkt umgangen wird.“45 42 S. EFSF-Rahmenvertrag in seiner geänderten Fassung, unter (A), Ausschussdrucksache 17(21)0683. Der EFSF- Rahmenvertrag ist in seiner geänderten Fassung online abrufbar unter: http://www.nachdenkseiten.de/upload/pdf/110902EFSFRahmenvertragAnpassung.pdf (letzter Zugriff: 21. Oktober 2011). 43 In diesem Sinne auch der Präsident der Deutschen Bundesbank Weidmann in der öffentlichen Anhörung des Haushaltsausschusses am 19. September 2011, Protokoll Nr. 17/62, S. 17. 44 Häde, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 4. Auflage 2011, Art. 123 AEUV, Rdnr. 12; Bandilla, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Bd. II, Loseblatt, Art. 123 AEUV, Rdnr. 8, Stand: Mai 2011. 45 Einfügungen und Hervorhebungen der Verfasserin. Diskutiert wird derzeit auch, ob die EZB mit dem Ankauf von Staatsleihen am Sekundärmarkt das Verbot des Art. 123 Abs. 1 AEUV in unzulässiger Weise umgeht. Dies wird etwa vertreten von Meyer, Unabhängigkeit und Legitimität der EZB im Rahmen der Staatsschuldenkrise, in: Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen 2011, S. 130; Kerber, Der Verfassungsstaat ist ohne Alternative, Die Verfassungsbeschwerden gegen den Eurostabilisierungsmechanismus sowie gegen die Griechenland-Hilfe, S. 73. Kein Verstoß gegen Art. 123 AEUV wird angenommen von Herrmann, EZB-Programm für die Kapitalmärkte verstößt nicht gegen die Verträge – Erwiderung auf Martin Seidel, EuZW 2010, 521, in: Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht 2010, S. 646; Mayer, Die gegenwärtige und künftige Rolle der Europäischen Zentralbank bei der Verhütung und Bewältigung von Finanzkrisen , in: Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft 2011, S. 29. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 14 WD 11 – 3000 – 173/11 3.1.2.2. Die EFSF als öffentliches Unternehmen? Unabhängig von dieser Umgehungsargumentation wäre auch denkbar, die EFSF unter den Begriff „öffentliches Unternehmen“ im Sinne des Art. 3 Abs. 1 der Verordnung 3603/93 zu fassen, und damit dem Verbot des Art. 123 Abs. 1 AEUV zu unterstellen. Als „öffentliche Unternehmen“ im Sinne der Verordnung gelten „Unternehmen, auf die der Staat oder andere Gebietskörperschaften aufgrund von Eigentumsrechten, finanziellen Beteiligungen oder Bestimmungen, die die Tätigkeit der Unternehmen regeln, unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss ausüben können“ (Art. 8 Abs. 1 UAbs. 1 Verordnung 3603/93). Von einem solchen „beherrschenden Einfluss “ wird wiederum ausgegangen, „wenn der Staat oder andere Gebietskörperschaften unmittelbar oder mittelbar a) die Mehrheit des gezeichneten Kapitals des Unternehmens besitzen oder b) über die Mehrheit der mit den Anteilen am Unternehmen verbundenen Stimmrechte verfügen oder c) mehr als die Hälfte der Mitglieder des Verwaltungs- oder Aufsichtsorgans des Unternehmens bestellen können“ (Art. 8 Abs. 1 UAbs. 2 Verordnung 3603/93).46 Fraglich ist hierbei, ob man die EFSF als „Unternehmen“ im Sinne der Verordnung definieren kann. Nachder Unternehmensdefinition des Gerichtshofs derEU (EuGH) für das Wettbewerbsrecht wäre hierfür die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit erforderlich; die Rechtsform und die Art der Finanzierung wären unerheblich.47 Gerade dies scheint bei der EFSF jedoch zweifelhaft: Sie wurde schließlich zur Gewährung von Stabilitätshilfe an Mitgliedstaaten des Euro -Währungsgebiets und damit letztlich zur Stabilisierung der Eurozone insgesamt gegründet – eindeutig im öffentlichen Interesse und nicht zu Erwerbszwecken. Jedoch ist fraglich, ob die Definitionen des Wettbewerbsrechts für die Verordnung 3603/93 eins zu eins übernommen werden können, und ob für die Zwecke der Auslegung des Verbots des Art. 123 Abs. 1 AEUV nicht der Begriff „Unternehmen“ als allgemeiner Oberbegriff für Tätigkeiten von sonstigen mit dem öffentlichen Sektor verbundenen Einrichtungen auf den Finanzmärkten angesehen werden müsste. Die übrigen Anforderungen an ein öffentlichen Unternehmen im Sinne des Art. 8 Verordnung 3603/93 wären jedenfalls erfüllt, da die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets als Gesellschafter der EFSF unzweifelhaft einen beherrschenden Einfluss auf die EFSF ausüben. Sie bürgen zusammen für sämtliche Verbindlichkeiten der EFSF, verfügen über alle Stimmrechte und stellen die Mitglieder im Vorstand der EFSF. An diesen vom Unionsgesetzgeber aufgestellten Kriterien wird - selbst wenn man die EFSF nicht als öffentliches Unternehmen im Sinne von Art. 8 der Verordnung ansehen würde - ersichtlich, dass der Unionsgesetzgeber Konstruktionen wie die EFSF grundsätzlich dem Verbot des direkten Zentralbankkredits unterwerfen will, was wiederum die unter Ziffer 3.1.2.1 getätigte Auslegung stützt. 3.1.2.3. Zwischenfazit Es sprechen damit gute Gründe dafür, dass die Gewährung von Krediten an die EFSF (ohne Banklizenz) durch die EZB gegen das Verbot des Art. 123 Abs. 1 AEUV verstoßen würde. 46 Hervorhebungen durch Verfasserin. 47 EuGH, Rs. C-41/90, Slg. 1991, S. I-1979, Rdnr. 22 – Höfner; s. hierzu Wernicke, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Bd. 2, Loseblatt, Art. 106 AEUV, Rdnr. 15, Stand: März 2011. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 15 WD 11 – 3000 – 173/11 3.2. Ausnahmen Eine Ausnahme vom Verbot des direkten Zentralbankkredits gilt nach Art. 123 Abs. 2 AEUV für die Kreditinstitute im öffentlichen Eigentum. Diese sollen bei der Bereitstellung von Zentralbankkrediten wie private Kreditinstitute behandelt werden und so die geldpolitischen Instrumente der EZB in Anspruch nehmen können.48 Auf der Grundlage von Art. 123 Abs. 2 AEUV können sich so beispielsweise die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) oder die Europäische Investitionsbank (EIB) über die EZB finanzieren.49 Es ist deswegen von Gros und Mayer angenommen worden, dass sich die EFSF - mit einer Banklizenz ausgestattet - als Kreditinstitut im öffentlichen Eigentum über Art. 123 Abs. 2 AEUV der geldpolitischen Instrumente der EZB ohne Verstoß gegen Art. 123 Abs. 1 AEUV bedienen könnte.50 Der Vorstandschef der EFSF Regfing und auch die Bundesregierung sehen demgegenüber auch in einem solchen Fall, aller Voraussicht nach einen Verstoß gegen Art. 123 AEUV.51 Diese Frage wird, da sie nicht Gegenstand der Ausarbeitung ist, hier nicht weiter vertieft. Eine weitere Ausnahme gilt jedenfalls nach Art. 7 der Verordnung 3603/93 für Verpflichtungen des öffentlichen Sektors gegenüber dem Internationalen Währungsfonds (IWF) oder aufgrund der Aktivierung des mittelfristigen Beistands der EU nach Maßgabe des heutigen Art. 143 AEUV52. Finanzierungen des öffentlichen Sektors, die aufgrund der genannten Verpflichtungen erforderlich werden, gelten nicht als Kreditfazilitäten im Sinne von Art. 123 Abs. 1 AEUV. Um diese beiden Ausnahmefälle des Art. 7 der Verordnung 3603/93 handelt es sich vorliegend jedoch nicht. 4. Abschließende Bewertung Es galt in kurzer Zeit einen äußerst komplexen Sachverhalt zu begutachten. Die Verfasser der einschlägigen Normen hatten einen solchen Sachverhalt nicht im Blick, die Literatur ist nicht ergiebig. Auf dieser Basis ist festzuhalten: Nach hiesiger Einschätzung würde eine Gewährung von Krediten von der EZB an die EFSF ohne Banklizenz wohl einen Verstoß gegen Art. 123 Abs. 1 AEUV darstellen. Aus diesem Grund dürfte 48 Khan, in: Geiger/Khan/Kotzur (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 123 AEUV, Rdnr. 7. 49 Gros/Mayer, Refinancing the EFSF via the ECB, CEPS Commentary vom 18. August 2011, S. 4, online abrufbar unter: http://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=gros%20mayer%202011%20article%20123&source=web&cd=5&ved=0 CD0QFjAE&url=http%3A%2F%2Fwww.ceps.eu%2Fceps%2Fdownload%2F5978&ei=t52mTqWaLMTBtAbxru nFDQ&usg=AFQjCNGFKq0x8RId0RYD5qnu6X3sRVo5VQ&cad=rja (letzter Abruf: 25. Oktober 2011). 50 Darauf weisen hin: Gros/Mayer, a.a.O., S. 4. 51 So das Zitat im Handelsblatt vom 17. Oktober 2011, „Rettungsschirm bleibt ohne Banklizenz“. 52 Mitgliedstaaten der EU, die nicht gleichzeitig der Eurozone angehören, können bei Zahlungsbilanzschwierigkeiten unter bestimmten Voraussetzungen einen sog. gegenseitigen Beistand gem. Art. 143 AEUV erhalten. Ein solcher gegenseitiger Beistand der EU wurde bislang im Zuge der Banken- und Finanzkrise Ungarn, Lettland und Rumänien gewährt. Art. 143 AEUV wird sekundärrechtlich ausgestaltet durch die Verordnung (EG) Nr. 332/2002 zur Einführung einer Fazilität des mittelfristigen finanziellen Beistands zur Stützung der Zahlungsbilanz der Mitgliedstaaten, ABl. 2002 L 53/1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 16 WD 11 – 3000 – 173/11 die EZB ihre Leitlinien auch nicht dergestalt ändern, dass sie die EFSF als Geschäftspartner im Sinne des Art. 18 ESZB-Satzung anerkennen würde. Zwar nicht bezogen auf die EFSF, aber auch den künftigen nach ihrem Vorbild ausgestalteten Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) hat die EZB in einer Stellungnahme vom 17. Mai 2011 festgestellt: „[...] Artikel 123 AEUV [würde ] in Bezug auf die Rolle der EZB und des Eurosystems dem ESM nicht erlauben, ein Geschäftspartner des Eurosystems im Sinne von Artikel 18 des ESZB-Satzung zu werden. Bezüglich des Letzteren erinnert die EZB daran, dass das Verbot der monetären Finanzierung in Artikel 123 AEUV sowohl aus Gründen der Haushaltsdisziplin der Mitgliedstaaten als auch zur Einhaltung der Integrität der einheitlichen Geldpolitik und der Unabhängigkeit der EZB und des Eurosystems eine der Säulen der Rechtsstruktur der WWU [Wirtschafts- und Währungsunion] ist.“53 53 Stellungnahme der Europäischen Zentralbank vom 17. März 2011 zu einem Entwurf des Beschlusses des Europäischen Rates zur Änderung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, CON/2011/24, Ziffer 9.