© 2015 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 171/14 Möglichkeiten eines Opt-Outs einzelner EU-Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Bestimmungen über ein Investor-Staat-Streitverfahren im Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA) und der Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 171/14 Seite 2 Möglichkeiten eines Opt-Outs einzelner EU-Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Bestimmungen über ein Investor-Staat-Streitverfahren im Comprehensive Economic and Trade Agreement (CETA) und der Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 171/14 Abschluss der Arbeit: 23. Oktober 2014 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 171/14 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Prämissen des Opt-Outs eines Mitgliedstaates 4 2.1. Klärung des Begriffs eines Opt-Outs 4 2.2. Folgerungen für die Prüfung der Möglichkeit eines Opt-Outs 5 3. Unionsrechtliche Voraussetzungen für eine Opt-Out 6 3.1. Unionsrechtliche Qualifizierung des CETA als gemischtes Abkommen oder als EU-Abkommen 7 3.1.1. EU-Abkommen 7 3.1.2. Gemischtes Abkommen 7 3.1.3. Qualifizierung des CETA als EU-Abkommen oder als gemischtes Abkommen 8 3.2. Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für das ISDS-Kapitel 9 3.2.1. Unionsrechtliche Grundlagen der Einführung von ISDS- Bestimmungen 9 3.2.2. Unionsrechtlicher Investitionsbegriff 10 3.2.3. Argumente für eine Zuständigkeit der EU 11 3.2.4. Argumente für eine Zuständigkeit der Mitgliedstaaten 13 3.2.5. Bewertung 14 4. Völkerrechtliche Voraussetzungen eines Opt-Outs 14 4.1. Abschluss und Wirkung völkerrechtlicher Verträge 15 4.2. Prämissen eines völkervertraglichen Vorbehalts 16 4.3. Bedeutung für den Abschluss des CETA und des TTIP 17 4.3.1. Vorbemerkung 17 4.3.2. Möglichkeit eines völkerrechtlichen Vorbehalts 17 5. Zusammenfassung 18 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 171/14 Seite 4 1. Fragestellung Die Ausarbeitung geht auf die Frage ein, welche rechtlichen Möglichkeiten eines Opt-Outs im Hinblick auf die Anwendung der Regeln über ein Investor-Staat-Streitverfahren (Investor-State Dispute Settlement – im Folgenden: ISDS) in Kapitel 10, Section 6, Art. X.17 bis X.43.1. (im Folgenden : ISDS-Kapitel) des Comprehensive Economic and Trade Agreements (CETA)1 zwischen der Europäischen Union (EU) und Kanada für die EU-Mitgliedstaaten bestehen und ob die diesbezüglichen Ergebnisse auch auf die Verhandlungen für eine Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) zwischen der EU und den Vereinigten Staaten von Amerika übertragen werden können. 2. Prämissen des Opt-Outs eines Mitgliedstaates 2.1. Klärung des Begriffs eines Opt-Outs Zunächst bedarf es einer Klärung des Begriffs des Opt-Outs. Im Bereich des Unionsrechts kann der Begriff beispielsweise Ausnahmeregelungen (Opt-Out-Klauseln) auf Primärrechtsebene bezeichnen , die es einzelnen Mitgliedstaaten erlauben, sich in einem bestimmten Bereich nicht an der gemeinschaftlich vereinbarten Zusammenarbeit zu beteiligen.2 Daneben kann den Mitgliedstaaten auch auf sekundärrechtlicher Ebene ein Opt-Out für konkrete Bestimmungen gewährt werden.3 Im Bereich des Völkerrechts bezeichnet der Begriff des Opt-Outs insbesondere die Situation , in der eine Internationale Organisation mit der Mehrheit ihrer Mitglieder neue Regeln bestimmt , die jedoch nur für solche Mitgliedstaaten verbindlich werden, die hiergegen keine formellen Einwände erhoben haben.4 Die Fragestellung zielt ab auf den Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrages zwischen Kanada und der EU und ihren Mitgliedstaaten. Dementsprechend wird der Begriff des Opt-Outs für die 1 Europäische Kommission, CETA Consolidated text (1. August 2014), Rats-Dok. 259/14, Eingang Deutscher Bundestag : 8. August 2014, abrufbar unter http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2014/september/tradoc _152806.pdf. 2 Zum Opt-Out Dänemarks, Irlands und des Vereinigten Königreichs vgl. Thym, Binnendifferenzierung der EU- Integration, in: Hatje/Müller-Graff (Hrsg.), EnzEuR, Band 1, Europäisches Organisations- und Verfassungsrecht, 2014, § 5, Rn. 35 ff. 3 Zur aktuellen Diskussion um ein Opt-Out im Hinblick auf den Anbau von gentechnisch veränderten Organismen vgl. den Vorschlag der Kommission vom 13. Juli 2010 für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2001/18/EG betreffend die den Mitgliedstaaten eingeräumte Möglichkeit , den Anbau von GVO auf ihrem Hoheitsgebiet zu beschränken oder zu untersagen, KOM(2010) 375 endg., abrufbar unter http://new.eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/?qid=1393861282794&uri=CELEX:52010PC0375 sowie hierzu den EU-Sachstand, Neuer Vorschlag zur Errichtung eines „Opting-Out“ im Zusammenhang mit gentechnisch veränderten Organismen (GVO), PE 3 v. 14. März 2014, PE-Dok 102/2014, abrufbar unter http://www.bundestag.btg/Wissen/Europa/Sachstandsberichte /2014/PA10/EU-Sachstand_Opting-Out-GVO.pdf. 4 Vgl. zu diesem sog. Opt-Out-Verfahren Art. 22 Constitution oft he World Health Organization, 14 UNTS 186, abrufbar unter http://www.who.int/governance/eb/who_constitution_en.pdf sowie Art. 38, Art. 51 Abs. 1 und Art. 90 lit. a Chicago Convention, 15 UNTS 295, abrufbar unter http://www.icao.int/publications /Documents/7300_cons.pdf. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 171/14 Seite 5 vorliegende Ausarbeitung verstanden als eine Ausnahmeregelung, die es einem Mitgliedstaat der EU erlaubt, sich in einem konkreten Bereich nicht an der im Übrigen vereinbarten Zusammenarbeit im Rahmen bzw. auf Grundlage des CETA zu beteiligen. Dieser Wirkung – d.h. der Ausschluss oder die Einschränkung der sich aus dem Vertrag ergebenden rechtlichen Verpflichtung – entspricht völkerrechtlich die Option, beim Abschluss eines multilateralen Vertrages einen Vorbehalt im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. d des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge (WVK)5 anzubringen, um so die Nichtanwendbarkeit einzelner Bestimmungen des Vertrages zu erklären. Ein Vorbehalt bezeichnet die schriftlich abgegebene (Art. 23 Abs. 1 WVK) einseitige Erklärung einer Vertragspartei, die bezweckt, die Rechtswirkung einzelner Vertragsbestimmungen auszuschließen oder zu ändern (Art. 2 lit. d WVK).6 Damit ist ein solcher rechtsändernder Vorbehalt von solchen Erklärungen abzugrenzen, durch welche vertragliche Pflichten im Sinne einer Interpretationserklärung lediglich präzisiert werden (Art. 31 Abs. 2 WVK). Ein Vorbehalt dient vielmehr dem Zweck, multilateralen Vertragswerken einen möglichst großen Beteiligtenkreis zu erschließen und auch solche Staaten als Vertragsparteien zu gewinnen, die mit den Zielen und Inhalten eines Abkommens größtenteils übereinstimmen und nur einzelne Bestimmungen nicht mittragen wollen.7 Dementsprechend kann eine Vertragspartei durch einen Vorbehalt die Geltung einzelner Vertragsbestimmungen für sich ausschließen.8 2.2. Folgerungen für die Prüfung der Möglichkeit eines Opt-Outs Eine solche Erklärung erfordert einen entsprechenden völkervertraglichen Freiraum der Mitgliedstaaten . Das bedeutet, dass die Mitgliedstaaten über eine völkervertragliche Vertragsabschlussfähigkeit verfügen, deren Ausübung nicht durch das europäische Primärrecht gesperrt ist. Grundsätzlich verfügen die Mitgliedstaaten als souveräne Staaten gemäß Art. 6 WVK über eine unbeschränkte völkerrechtliche Vertragsabschlussfreiheit. Gemäß Art. 5 WVK finden jedoch die Regeln der WVK und somit auch Art. 6 WVK auf die völkerrechtliche „Gründungsurkunde einer internationalen Organisation“ sowie auf die völkerrechtlichen Verträge, die „im Rahmen einer internationalen Organisation angenommen“ werden, nicht unbeschränkt, sondern „unbeschadet aller einschlägigen Vorschriften der Organisation“ Anwendung.9 Das bedeutet, dass die Regelungen des europäischen Primärrechts in ihrem Anwendungsbereich die WVK bis zur Grenze des ius cogens abbedingen bzw. verdrängen können. 5 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969, BGBl. 1974 II 1285. 6 Vitzthum, Völkerrecht, 2007, S. 55. 7 v. Arnauld, Völkerrecht, 2012, Rn. 211. 8 Vgl. eingehend Kühner, Vorbehalte zu multilateralen völkerrechtlichen Verträgen, 1986, S. 192 ff. 9 Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 1984, § 677, S. 436; Geiger, Die völkerrechtliche Beschränkung der Vertragsschlußfähigkeit von Staaten, 1979, S. 166 ff. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 171/14 Seite 6 Dementsprechend haben die Mitgliedstaaten die Ausübung ihrer völkerrechtlichen Vertragsabschlussfähigkeit durch die europäischen Gründungsverträge in dem Maße beschränkt, in dem der EU Hoheitsrechte übertragen wurden.10 Infolge der Übertragung von Hoheitsrechten besteht auf der europäischen Ebene eine eigenständige, gemäß Art. 5 Abs. 2 EUV auf bestimmte Sachmaterien beschränkte völkerrechtliche Vertragsabschlussfähigkeit der EU, die sich über die in derselben Sachmaterie bestehende völkerrechtliche Vertragsabschlussfähigkeit der Mitgliedstaaten legt. Die Mitgliedstaaten behalten mithin die aus ihrer Souveränität fließende Vertragsabschlussfähigkeit , nehmen aber die Ausübung dieser Fähigkeit in dem Maße zurück, in dem die EU ihre eigenständige Vertragsabschlussfähigkeit begründet. Das Maß der Beschränkung der Mitgliedstaaten zur Ausübung ihrer Vertragsabschlussfähigkeit ergibt sich aus der europäischen Kompetenzordnung. Wird die Zuständigkeit zum Tätigwerden in einem bestimmten Sachbereich primärrechtlich der Union zugewiesen, so entfaltet diese Kompetenzverteilungsnorm gemäß Art. 2 Abs. 1 AEUV eine Sperrwirkung für ein Handeln der Mitgliedstaaten in dem der Union zugewiesenen Sachbereich.11 Vor diesem Hintergrund stellt sich somit zunächst die Frage, ob die Mitgliedstaaten im Rahmen der europäischen Kompetenzordnung im Hinblick auf das ISDS-Kapitel des CETA vertragsschlussbefugt sind (hierzu 3.). Ist diese Frage zu bejahen, so stellt sich in einem zweiten Schritt die Frage nach der völkervertraglichen Zulässigkeit eines Opt-Outs bzw. der Anbringung eines völkervertraglichen Vorbehalts (hierzu 4.). 3. Unionsrechtliche Voraussetzungen für eine Opt-Out Die Möglichkeit eines Opt-Outs durch einen EU-Mitgliedstaat setzt – ungeachtet der völkerrechtlichen Bestimmung des Begriffs – voraus, dass der betreffende Mitgliedstaat hierzu im Rahmen der Unionsrechtsordnung befugt ist. Dies wiederum setzt voraus, dass die EU und die Mitgliedstaaten bei dem Abschluss des CETA zu beteiligen sind. Ob und in welcher Form dies der Fall ist, richtet sich danach, ob das CETA insgesamt als bilaterales Handelsabkommen nach Art. 207 AEUV zwischen der EU und Kanada (im Folgenden: EU-Abkommen) oder als multilaterales gemischtes Abkommen zwischen Kanada und der EU sowie ihren Mitgliedstaaten (im Folgenden: gemischtes Abkommen) abgeschlossen wird (hierzu 3.1.) und ob die Mitgliedstaaten konkret eine Zuständigkeit im Bereich der Regeln des ISDS-Kapitels besitzen (hierzu 3.2.). 10 EuGH, Rs. 26/62 (van Gend & Loos), Slg. 1963, 3, 25; EuGH, Rs. 6/64 (Costa/ENEL), Slg. 1964, 1253, 1269. 11 EuGH, Rs. C-114/12 (Kommission/Rat), Rn. 65 ff.; EuGH, Gutachten 1/13 (Haager Übereinkommen), Rn. 67 ff.; vgl. hierzu Bauerschmidt, Die Sperrwirkung im Europarecht, EuR 2014, S. 277 ff. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 171/14 Seite 7 3.1. Unionsrechtliche Qualifizierung des CETA als gemischtes Abkommen oder als EU-Abkommen 3.1.1. EU-Abkommen Die EU kann gem. Art. 207 iVm Art. 216 AEUV Handelsabkommen mit Drittstaaten und anderen internationalen Organisationen abschließen. Dabei ermächtigt Art. 216 AEUV zum Vertragsschluss und Art. 207 AEUV bestimmt den – gem. Art. 2 Abs. 6, 3 Abs. 1 lit. e) AEUV in die ausschließliche Zuständigkeit der Union fallenden – Vertragsgegenstand der gemeinsamen Handelspolitik . Die Mitgliedstaaten sind nicht befugt, in dem von Art. 207 AEUV erfassten Politikbereich eigene Handelsabkommen abzuschließen (Art. 2 Abs. 1 1. HS AEUV). Die gemeinsame Handelspolitik gem. Art. 207 AEUV erfasst alle Maßnahmen, die den Handelsverkehr – also den Warenaustausch – mit dritten Staaten regeln, sowie alle Maßnahmen, deren Hauptzweck in der Beeinflussung der Handelsströme und des Handelsvolumens liegt.12 So werden gem. Art. 207 Abs. 1 AEUV vor allem die Änderung von Zollsätzen, der Abschluss von Zoll- und Handelsabkommen, die den Handel mit Waren und Dienstleistungen betreffen, die Handelsaspekte des geistigen Eigentums , die ausländischen Direktinvestitionen, die Vereinheitlichung der Liberalisierungsmaßnahmen , die Ausfuhrpolitik sowie handelspolitische Schutzmaßnahmen von der Vorschrift erfasst . Die Aufzählung der Gegenstände der Handelspolitik ist jedoch nicht abschließend, d.h. die Union ist nicht auf die genannten Instrumente beschränkt.13 Handelt es sich bei dem CETA um ein reines Handelsabkommen im Sinne des Art. 207 AEUV, muss es nur das Ratifizierungsverfahren der EU durchlaufen und nicht (zusätzlich) die Ratifizierungsverfahren der 28 Mitgliedstaaten gemäß deren verfassungsrechtlichen Vorschriften.14 Gleichwohl werden auch die Mitgliedstaaten durch ein EU-Abkommen verpflichtet, und die Regelungen des Abkommens gelten auch in den nationalen Rechtsordnungen. 3.1.2. Gemischtes Abkommen Betrifft ein Abkommen mit Drittstaaten aber Gegenstände, die nicht vollständig in den handelspolitischen Kompetenzbereich der Union fallen, sondern auch in den Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten, wird das Abkommen als gemischtes Abkommen abgeschlossen.15 Darunter versteht man völkerrechtliche Verträge, die die EU gemeinsam mit den Mitgliedstaaten auf der 12 Vgl. den Überblick bei Nettesheim/Duvigneau, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 2. Auflage 2012, Art. 207 AEUV, Rn. 6 ff. 13 Vgl. den Überblick bei Hahn, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 4. Auflage 2011, Art. 207 AEUV, Rn. 40 f. 14 In Deutschland erfolgt die Ratifizierung völkerrechtlicher Verträge gemäß Art. 59 Abs. 2 Grundgesetz (GG). Vgl. hierzu Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Urteil vom 30. Juni 2009, 2 BvE 2/08 u. a., Rdnr. 373, BVerfGE 123, 267 (amtliche Sammlung der Entscheidungen des BVerfG); Bungenberg, Außenbeziehungen und Außenhandelspolitik , Europarecht (EuR) 2009, S. 195, 204. 15 Zum Status eines völkerrechtlichen Vertrags als gemischtes Abkommen vgl. EuGH, Gutachten 1/94 (GATS), Rn. 98 und 105; EuGH, Gutachten 1/78 (Internationales Naturkautschukübereinkommen), Rn. 2; EuGH, Gutachten 2/91 (ILO-Übereinkommen) Rn. 13 und 39. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 171/14 Seite 8 Grundlage sowohl von Unions- als auch von mitgliedstaatlichen Kompetenzen abschließt.16 Ein „gemischtes Abkommen“ muss obligatorisch dann geschlossen werden, wenn die Abkommensmaterie sowohl Zuständigkeitsbereiche der EU als auch Bereiche betrifft, die in die ausschließliche , nicht auf die EU übertragene Zuständigkeit der Mitgliedstaaten oder in die zwischen Union und Mitgliedstaaten gem. Art. 4 AEUV geteilten Zuständigkeiten fallen.17 Betrifft ein Abkommen also auch weitere, über Art. 207 EUV hinausgehende Materien, so könnte hierfür keine ausschließliche Kompetenz der EU gegeben sein, sodass eine Ratifikation auch durch die Mitgliedstaaten erforderlich wäre. 3.1.3. Qualifizierung des CETA als EU-Abkommen oder als gemischtes Abkommen Die konkrete Qualifizierung einer Übereinkunft als gemischtes Abkommen oder als EU-Abkommen wird zunächst durch den Anwendungsbereich des Unionsrechts und den Regelungsumfang des betreffenden Abkommens bestimmt.18 Hierfür sind ex ante die Kompetenzen zu beurteilen, die durch das Abkommen potenziell berührt werden.19 Mit Blick auf die Wahrnehmung der gemeinsamen Handelspolitik gemäß Art. 133 EGV (nun: Art. 207 AEUV) hat der EuGH festgestellt, dass die Norm dann maßgeblicher Anhaltspunkt ist, wenn sich ein Abkommen „unmittelbar und sofort“ auf den Handel auswirkt.20 Für die Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Union und Mitgliedstaaten bei Abkommen im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik (vgl. Art. 207 Abs. 6 AEUV) stellt der EuGH sowohl auf das vorherrschende Ziel als auch auf die vorherrschenden Elemente des Abkommens ab.21 Dementsprechend stellt sich die Frage, ob sich das Abkommen ausschließlich auf Aspekte der Gemeinsamen Handelspolitik beschränkt oder darüber hinaus weitere Materien betrifft, die nicht vom Anwendungsbereich der Gemeinsamen Handelspolitik erfasst sind. Vor diesem Hintergrund ist die konkrete Qualifizierung des CETA zwischen der Kommission und dem Rat bzw. den Mitgliedstaaten weiterhin umstritten. Während die Kommission die Auffassung vertritt, dass das CETA ein reines EU-Abkommen ist, gehen der Rat bzw. die Mitgliedstaaten davon aus, dass es sich bei dem CETA um ein gemischtes Abkommen handelt. Für letztere Ansicht spricht der Regelungsgehalt des Vertragstextes im Kontext des zugrundeliegenden Verhandlungsmandats des Rates an die Kommission. Die Notwendigkeit, das CETA als gemisch- 16 Vgl. Vranes, Gemischte Abkommen und die Zuständigkeit des EuGH – Grundlagen und neuere Entwicklungen in den Außenbeziehungen, Europarecht (EuR) 2009, S. 44 (45). 17 Vgl. Bollrath, Die Vertragsschlusskompetenz der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Gemeinsamen Handelspolitik, 2008, S. 63; Bungenberg, Going Global? The EU Common Commercial Policy after Lisbon, in: Herrmann/Terhechte (Hrsg.), European Yearbook of International Economic Law 2010, S. 123 (133). 18 Vgl. EuGH, Gutachten 1/03 (Lugano Konvention), Rn. 126. 19 Vgl. Haag, in: Bieber/Epiney/Haag (Hrsg.), Die Europäische Union, § 33 Rn. 18. 20 EuGH, Rs. C-94/03 (Kommission/Rat), Rn. 42; vgl. auch EuGH, Gutachten 1/94 (WTO), Rn. 33 ff. 21 EuGH, Rs. C-268/94 (Portugal/Rat), Rn. 35 ff.; EuGH, Gutachten 2/00 (Cartagena), Rn. 20 ff. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 171/14 Seite 9 tes Abkommen zu schließen, ließe sich insbesondere auf dem weiten Investitionsbegriff in Kapitel 10 des CETA sowie auf die Bestimmungen über Verkehrsdienstleistungen in den Kapiteln 11 und 16 des CETA stützen.22 Dieses Ergebnis entspräche zudem der bisherigen Vertragsschlusspraxis der Union und der Mitgliedstaaten sowie dem Umstand, dass bereits im Verhandlungsmandat ausdrücklich auf Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten Bezug genommen wurde. Jedenfalls angesichts der Notwendigkeit einer Zustimmung des Rates zum Abschluss des CETA erscheint es wahrscheinlich, dass das CETA als gemischtes Abkommen abzuschließen und somit auch eine Zustimmung der Mitgliedstaaten entsprechend ihren jeweiligen innerstaatlichen Vorschriften erforderlich ist. Dieses Zustimmungserfordernis eröffnete den Weg, um grundsätzlich ein Opt-Out anstreben bzw. einen völkervertraglichen Vorbehalt anbringen zu können. 3.2. Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für das ISDS-Kapitel Vor dem Hintergrund der Differenzierung zwischen gemischten Abkommen und EU-Abkommen hängt das Bestehen einer Möglichkeit für ein konkretes Opt-Out vom ISDS-Kapitel bzw. das Anbringen eines entsprechenden Vorbehalts aus der Binnenperspektive des Unionsrechts davon ab, ob die Mitgliedstaaten in dem konkreten Bereich zuständig sind. Verfügt hingegen die EU über eine ausschließliche Zuständigkeit in diesem Bereich, so sind die Mitgliedstaaten nur noch über ihre Mitwirkung im Rat beteiligt, der über Aushandlung und Abschluss der Abkommen einen Beschluss fasst und über den Handelspolitischen Ausschuss Vorgaben für die Verhandlungen machen kann. Fraglich ist somit, ob die EU alleine in der Lage ist, ISDS-Klauseln in Investitionsschutzverträge aufzunehmen oder ob dieser Bereich in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt. 3.2.1. Unionsrechtliche Grundlagen der Einführung von ISDS-Bestimmungen Internationale Wirtschaftsbeziehungen manifestieren sich nicht nur im (Welt-)Handel mit Waren und Dienstleistungen, sondern auch in grenzüberschreitenden Investitionen.23 Durch den Einsatz von Kapital oder anderen Ressourcen in ausländischen Staaten sollen Vermögenswerte geschaffen und mit diesen eine Rendite erwirtschaftet werden.24 Die (rechtliche) Behandlung derartiger Investitionen und zugleich ihre Förderung erfolgten regelmäßig durch Investitionsförderungsund –schutzverträge (IFV).25 Inhaltlich regeln die bestehenden IFVs zum einen die Zulassung 22 Vgl. eingehend Mayer, „Stellt das geplante Freihandelsabkommen der EU mit Kanada (Comprehensive Economic and Trade Agreement, CETA) ein gemischtes Abkommen dar?“, Rechtsgutachten für das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie vom 28. August 2014, abrufbar unter http://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion /PDF/C-D/ceta-gutachten-einstufung-als-gemischtes-abkommen,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache =de,rwb=true.pdf. 23 Schöbener/Herbst/Perkams, Internationales Wirtschaftsrecht, 2010, Kap. 4, Rn. 1. 24 Schöbener/Herbst/Perkams, Internationales Wirtschaftsrecht, 2010, Kap. 4, Rn. 1. 25 Herdegen, Internationales Wirtschaftsrecht, 2011, § 23, Rn. 8. Nach Angaben der Germany Trade & Invest wurden die derzeit weltweit meisten IVFs von Deutschland abgeschlossen (141, davon sind 126 in Kraft), abrufbar unter http://www.gtai.de/GTAI/Navigation/DE/Trade/Recht-Zoll/wirtschafts-und-steuerrecht,did=56586.html. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 171/14 Seite 10 von Auslandsinvestitionen und zum anderen deren Schutz.26 Ziel solcher Verträge ist die Schaffung eines sicheren Rechtsrahmens für diesen Bereich der internationalen Wirtschaftsbeziehungen .27 Zu diesem Zweck enthalten IFVs einerseits materielle Schutzrechte (z.B. Inländergleichbehandlung , Meistbegünstigung, Schutz vor entschädigungsloser Enteignung etc.). Andererseits etablieren sie als eine besondere Form des Investitionsschutzes Streitbeilegungsmechanismen zur Durchsetzung dieser Rechte im Verhältnis zwischen (privaten) Investoren und dem Staat, in welchem die Investition getätigt wird. Anknüpfungspunkt dieser materiellen und verfahrensrechtlichen Regelungen ist der Begriff der Investition. Im Hinblick auf eine potenzielle Sperrwirkung für ein Handeln der Mitgliedstaaten zur Ausübung ihrer Vertragsabschlussfähigkeit stellt sich somit die Frage, ob der Bereich des verfahrensrechtlichen Investitionsschutzes durch ISDS-Regelungen in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten oder der EU fällt. 3.2.2. Unionsrechtlicher Investitionsbegriff Fraglich ist, ob die Regelungen des CETA, welche den Bereich Investitionen betreffen, gem. Art. 3 Abs. 1 lit. e), 207 Abs. 1 S. 1 AEUV in die ausschließliche Zuständigkeit der EU für die gemeinsame Handelspolitik fallen. Das wäre der Fall, wenn der Investitionsbegriff des CETA dem in die ausschließliche Zuständigkeit der Union fallenden Begriff der ausländischen Direktinvestition gem. Art. 207 Abs. 1 S. 1 AEUV, zu dem auch deren Schutz gehört28, entsprechen würde. Der Begriff der ausländischen Direktinvestition findet sich im Primärrecht in den Art. 64 Abs. 2, 207 Abs. 1 AEUV, ohne hier jedoch definiert zu werden. Anhaltspunkte zur Bestimmung des Begriffs ergeben sich sekundärrechtlich aus der Begriffsbestimmung in der Richtlinie 88/361/EWG29 sowie in Nr. 6.1 Anhang II (Definitionen nach Art. 10) der Verordnung (EG) Nr. 184/200530. Danach liegt dem Begriff der ausländischen Direktinvestition das Verständnis einer internationalen Investition zugrunde, die von einem Direktinvestor getätigt wird, um eine langfristige Beteiligung 26 Schöbener/Herbst/Perkams, Internationales Wirtschaftsrecht, 2010, Kap. 4, Rn. 103. 27 Schöbener/Herbst/Perkams, Internationales Wirtschaftsrecht, 2010, Kap. 4, Rn. 103. 28 Weiß, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 207 AEUV, Rn. 40; Schill, Luxembourg Limits, Conditions for Investor-State Dispute Settlement under Future EU Investment Agreements, in: Bungenberg/Reinisch/Tietje (Hrsg.), EU and Investment Agreements, 2013, S. 37 ff. 29 Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24. Juni 1988 zur Durchführung von Artikel 67 des Vertrages, ABl. L 178/11, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:31988L0361&qid=1408630689611&from=DE. 30 Verordnung (EG) Nr. 184/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Januar 2005 betreffend die gemeinschaftliche Statistik der Zahlungsbilanz, des internationalen Dienstleistungsverkehrs und der Direktinvestitionen , ABl. L 35/23, zuletzt geändert durch die Verordnung (EU) Nr. 519/2013 der Kommission vom 21. Februar 2013, ABl. L 158/7, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02005R0184-20140101&qid=1408623107786&from=DE. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 171/14 Seite 11 an einem in einem anderen Wirtschaftsgebiet ansässigen Unternehmen einschließlich eines entsprechenden Kontrollerwerbs zu erhalten.31 Dieses Verständnis einer ausländischen Direktinvestition entspricht der allgemeinen Auffassung, die von einer solchen Investition eine grenzüberschreitende Beteiligung am Kapital oder an Stimmrechten eines Unternehmens mit dem Ziel, eine langfristige Beteiligung an einem in einer anderen Volkswirtschaft ansässigen Unternehmen durch den Erwerb von mindestens 10 % der Stammaktien bzw. des Stimmrechts zu erwerben umfasst sieht, wovon auch Beteiligungskapital, reinvestierte Gewinne und sonstige Anlagen im Zusammenhang mit Transaktionen zwischen verbundenen Unternehmen erfasst werden.32 Demgegenüber sollen grenzüberschreitende Investitionen, die nicht auf Kontrolle, sondern lediglich auf die Verzinsung des eingesetzten Kapitals abzielten, als sog. Portfolioinvestitionen nicht unter den Begriff der ausländischen Direktinvestitionen fallen.33 In diesem Sinne hat auch der EuGH im Kontext von Art. 56 Abs. 1 EG (nunmehr: Art. 63 AEUV) zwischen Direktinvestitionen (Form der Beteiligung an einem Unternehmen durch Besitz von Aktien, die die Möglichkeit verschafft , sich tatsächlich an der Verwaltung dieser Gesellschaft und deren Kontrolle zu beteiligen) und Portfolioinvestitionen (Erwerb von Wertpapieren auf dem Kapitalmarkt allein in der Absicht einer Geldanlage, ohne auf die Verwaltung und Kontrolle des Unternehmens Einfluss nehmen zu wollen) unterschieden.34 3.2.3. Argumente für eine Zuständigkeit der EU Vor diesem Hintergrund ließe sich einerseits vertreten, dass der Bereich des ISDS in die ausschließliche Zuständigkeit der EU fällt, da diese alle Fragen in Bezug auf ausländische Investitionen abdeckt.35 Diese Auffassung könnte zunächst auf den Zweck eines ISDS gestützt werden, 31 Communication from the European Community and its Member States, 16 April 2002, WTO Doc. WT/WGTI/W/15, Rn. 8 ff., abrufbar unter http://trade.ec.europa.eu/doclib/docs/2004/july/tradoc_111123.pdf; Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen - Auf dem Weg zu einer umfassenden europäischen Auslandsinvestitionspolitik , KOM(2010) 343 endg., S. 4 f. mit Nachweisen zur Rechtsprechung des EuGH, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52010DC0343&qid=1408624304848&from=DE; EuGH, Rs. C-446/04 (Test Claimants), Rn. 180 f. 32 EZB, Monatsbericht August 2014, S. X; OECD Benchmark Definition of Foreign Direct Investment, Fourth Edition 2008, S. 17 f., abrufbar unter http://www.oecd.org/daf/inv/investmentstatisticsandanalysis/40193734.pdf. 33 Communication from the European Community and its Member States, 16 April 2002, WTO Doc. WT/WGTI/W/15, Rn. 20; KOM(2010) 343 endg., S. 4 f. 34 EuGH, verb. Rs. C-282/04 und C-283/04 (Kommission/Niederlande), Rn. 19 mit Verweis auf EuGH, Rs. C-222/97 (Trummer und Mayer), Rn. 21; EuGH, Rs. C-483/99 (Kommission/Frankreich), Rn. 36 f.; EuGH, Rs. C-98/01 (Kommission/Vereinigtes Königreich), Rn. 39 f. 35 Vgl. den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Schaffung der Rahmenbedingungen für die Regelung der finanziellen Zuständigkeit bei Investor-Staat-Streitigkeiten vor Schiedsgerichten , welche durch völkerrechtliche Übereinkünfte eingesetzt wurden, deren Vertragspartei die Europäische Union ist, KOM(2012) 335 endg., S. 3, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52012PC0335&qid=1413988338626&from=DE. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 171/14 Seite 12 ausländische Investitionen und damit Eigentumsrechte vor ungerechtfertigten Zugriffen des Aufnahmestaates zu schützen. Mit Blick auf die grundrechtliche Position ließe sich aus den Art. 17 und 51 Abs. 1 der Grundrechtecharta (GRCh)36 folgern, dass Eingriffe in Eigentumsrechte an Europäischen Grundrechten zu messen sind, wenn damit eine Grundfreiheit beeinträchtigt wird.37 Zudem ist es Praxis der EU, völkerrechtliche Streitschlichtungsklauseln in reine EU-Abkommen aufzunehmen.38 Schließlich könnte man mit Blick auf die Kompetenz aus Art. 63 AEUV und dem in Art. 3 Abs. 2 AEUV niedergelegten Grundsatz der impliziten Außenkompetenzen argumentieren, dass auch Portfolioinvestitionen in die Zuständigkeit der EU fallen.39 So lässt sich beispielsweise hinsichtlich der Frage, ob auch Portfolioinvestitionen dem Begriff der ausländischen Direktinvestitionen unterfallen, insbesondere im Hinblick auf die Verwendung des Begriffs im Rahmen der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 64 Abs. 2 AEUV), auch die Auffassung vertreten, dass das Kapitel über den Abbau von Beschränkungen des Kapital- und Zahlungsverkehrs im Hinblick auf Direkt- und Portfolioinvestitionen zwar die Möglichkeit des Abschlusses internationaler Abkommen über Investitionen , einschließlich Portfolioinvestitionen, nicht ausdrücklich vorsehe. Da aber internationale Investitionsabkommen den Geltungsbereich der im AEUV-Kapitel über den Kapital- und Zahlungsverkehr vorgegebenen gemeinsamen Regeln berührten, ergäbe sich daraus implizit die ausschließliche Zuständigkeit der Union für den Abschluss von Abkommen in diesem Bereich.40 Diese weite Auslegung und Begründung einer ausschließlichen Zuständigkeit könnte sich auf die mit der sog. AETR-Rechtsprechung des EuGH41 entwickelten Parallelität zwischen der Innenkompetenz und der Außenkompetenz stützen und fände vorliegend ihre primärrechtliche Grundlage in den Art. 3 Abs. 2 i. V. m. 63 ff. AEUV.42 36 Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. C 326/391, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legalcontent /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:12012P/TXT&from=DE. 37 Hoffmeister, Aktuelle Rechtsfragen in der Praxis der europäischen Außenhandelspolitik, ZEuS 2013, S. 385 (391) mit Verweis auf EuGH, Gutachten 1/91 (EWR), Rn. 40. 38 Vgl. den Beschluß 98/181/EG, EGKS, Euratom des Rates und der Kommission vom 23. September 1997 über den Abschluß des Vertrags über die Energiecharta und des Energiechartaprotokolls über Energieeffizienz und damit verbundene Umweltaspekte durch die Europäischen Gemeinschaften, ABl. L 69/1, abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:31998D0181&from=DE sowie Hoffmeister, Aktuelle Rechtsfragen in der Praxis der europäischen Außenhandelspolitik, ZEuS 2013, S. 385 (391). 39 Vgl. Europäische Kommission, Mitteilung vom 7. Juli 2010 zur europäischen Auslandsinvestitionspolitik, KOM(2010) 343 endg., S. 8, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUri- Serv.do?uri=COM:2010:0343:FIN:DE:PDF; Hoffmeister, Aktuelle Rechtsfragen in der Praxis der europäischen Außenhandelspolitik, ZEuS 2013, S. 385 (390). 40 KOM(2010) 343 endg., S. 9; vgl. hierzu Herrmann, Die Zukunft der mitgliedstaatlichen Investitionspolitik nach dem Vertrag von Lissabon, EuZW 2010, S. 207 (209). 41 EuGH, Rs. 22/70 (AETR), Rn. 22; EuGH, Gutachten 1/76 (Stillegungsfonds); EuGH, Rs. C-476/98 (Open Skies), Rn. 83; EuGH, Gutachten 1/03 (Übereinkommen von Lugano), Rn. 125 ff. 42 Zum Streitstand vgl. Bungenberg, Europäischer Internationaler Investitionsschutz, in: von Arnauld, EnzEuR, Band 10 – Europäische Außenbeziehungen, 2014, § 13, Rn. 13. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 171/14 Seite 13 3.2.4. Argumente für eine Zuständigkeit der Mitgliedstaaten Demgegenüber ließe sich vertreten, dass das CETA sowohl ausländische Direktinvestitionen im Sinne von Art. 207 Abs. 1 AEUV, als auch sog. Portfolioinvestitionen umfasst. Fallen bei einer entsprechenden Auslegung des Begriffs der ausländischen Direktinvestition, auf die auch das Bundesverfassungsgericht verweist,43 nur solche Investitionen in die ausschließliche Zuständigkeit der EU gem. Art. 3 Abs. 1 lit. e), 207 Abs. 1 S. 1 AEUV, die dem Kontrollerwerb eines Unternehmens dienen, so fielen auch die ISDS-Bestimmungen nicht in die ausschließliche Zuständigkeit der EU. So deutet beispielsweise die Formulierung in Kapitel 10, Article X.3 „asset that an investor owns or controls“ darauf hin, dass ausländische Direktinvestitionen von den Regelungen des CETA erfasst werden sollen. Die anschließenden Formulierungen gehen jedoch darüber hinaus und legen ein umfassendes Verständnis des Investitionsbegriffs im CETA nahe. Zudem differenziert die Definition des Begriffs der Investition im Gegensatz beispielsweise zu der Definition der OECD44 nicht zwischen ausländischen Direktinvestitionen und Portfolioinvestitionen. Angesichts des weiten, nicht explizit auf ausländische Direktinvestitionen beschränkten Investitionsbegriffs in Teil 10 des CETA lässt sich somit vertreten, dass auch Portfolioinvestitionen vom CETA erfasst sein sollen. In diesem Fall ginge der Regelungsbereich des CETA im Bereich der Investitionen über die ausschließliche Zuständigkeit der EU gem. Art. 3 Abs. 1 lit. e), 207 Abs. 1 S. 1 AEUV hinaus, und das CETA wäre insbesondere aufgrund der insoweit geteilten Zuständigkeit als gemischtes Abkommen abzuschließen mit der entsprechenden Möglichkeit eines konkret auf das ISDS-Kapitel bezogenen Opt-Outs eines Mitgliedstaates. Dass auch die Kompetenzbereiche der Mitgliedstaaten betroffen sind, könnte sich insbesondere aus den Regeln zur Haftung im Rahmen des ISDS (Kapitel 10, Art. X.20. Abs. 3 und 4 CETA) ergeben , wonach die Kommission über die Antragsgegnerschaft im ISDS-Verfahren verfügt. Hierzu wird vertreten, dass es auch bei einer vorrangigen Inanspruchnahme eines Mitgliedstaates bei einer gemeinschaftlichen Haftung von Mitgliedstaaten und EU bliebe.45 Dementsprechend könnten 43 BVerfGE 123, 267 (421): „Mit der Erweiterung der gemeinsamen Handelspolitik auf "ausländische Direktinvestitionen " (Art. 207 Abs. 1 AEUV), wird der Europäischen Union auch für diesen Bereich eine ausschließliche Kompetenz zugewiesen. Allerdings spricht vieles dafür, dass der Begriff "ausländische Direktinvestitionen" nur diejenigen Investitionen umfasst, die dem Kontrollerwerb eines Unternehmens dienen (vgl. Tietje, Die Außenwirtschaftsverfassung der EU nach dem Vertrag von Lissabon, 2009, S. 15 f.). Dies hätte zur Folge, dass die ausschließliche Kompetenz nur für Investitionen dieses Typs besteht, während darüber hinausgehende Investitionsschutzverträge als gemischte Abkommen geschlossen werden müssten.“ 44 Vgl. OECD Benchmark Definition of Foreign Direct Investment, Fourth Edition 2008, S. 17. 45 Für die Fragen der Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen gegen die Union vgl. KOM(2012) 335 endg., S. 8 f. (1.5.), abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52012PC0335&qid=1413988338626&from=DE sowie die Art. 15 bis 19 des Vorschlags . Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 171/14 Seite 14 beim Ausfall des angegriffenen Mitgliedstaates Haftungsansprüche auf andere Mitgliedstaaten zukommen. Für eine solche Haftungskonstruktion bestehe jedenfalls keine Unionskompetenz.46 3.2.5. Bewertung Maßgeblich für die Frage, ob das ISDS-Kapitel des CETA in die ausschließliche Zuständigkeit der EU fällt und somit eine Sperrwirkung für ein Handeln der Mitgliedstaaten zur Ausübung ihrer Vertragsabschlussfähigkeit besteht, ist die Bewertung des Investitionsbegriffs sowohl im Unionsrecht als auch im CETA. Im Hinblick auf den unionsrechtlichen Investitionsbegriff sprechen aus hiesiger Sicht sowohl der Wortlaut des Art 207 Abs. 1 AEUV, der Normzweck als auch die Entstehungsgeschichte der Norm dafür, weiterhin – entsprechend der Rechtsprechung des EuGH47 vor Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages – zwischen ausländischen Direktinvestitionen und Portfolioinvestitionen zu unterscheiden. Soweit die EU für Regelungen von Investitionsarten zuständig ist, die nicht ausländische Direktinvestitionen sind, teilt sie sich diese Zuständigkeit mit den Mitgliedstaaten gemäß Art. 4 Abs. 2 AEUV. Angesichts dieser auslegungsfähigen Sachlage weisen Bungenberg48 und Herrmann49 jedoch zutreffend darauf hin, dass letztlich dem EuGH im Rahmen von Art. 19 Abs. 1 EUV die Aufgabe zukommt , die Reichweite der Kompetenz des Art. 207 AEUV im Kontext und im Lichte des internationalen Investitionsschutzrechts zu bestimmen. 4. Völkerrechtliche Voraussetzungen eines Opt-Outs Ausgehend von der Annahme, dass das ISDS-Kapitel des CETA sowohl Portfolioinvestitionen als auch ausländische Direktinvestitionen erfasst und nur letztere in die ausschließliche Zuständigkeit der EU gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. e), 207 Abs. 1 S. 1 AEUV fallen, bestünde grundsätzlich keine unionsrechtliche Sperrwirkung für ein völkervertragliches Handeln der Mitgliedstaaten. Dementsprechend stellt sich die Frage, unter welchen Bedingungen ein EU-Mitgliedstaat ein Opt- Out vornehmen bzw. einen entsprechenden Vorbehalt im Hinblick auf das ISDS-Kapitel anbringen kann. 46 Mayer, „Stellt das geplante Freihandelsabkommen der EU mit Kanada (Comprehensive Economic and Trade Agreement, CETA) ein gemischtes Abkommen dar?“, Rechtsgutachten für das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie vom 28. August 2014, S. 16, abrufbar unter http://www.bmwi.de/BMWi/Redaktion/PDF/C-D/cetagutachten -einstufung-als-gemischtes-abkommen,property=pdf,bereich=bmwi2012,sprache=de,rwb=true.pdf. 47 EuGH, verb. Rs. C-282/04 und C-283/04 (Kommission/Niederlande), Rn. 18 f.; EuGH, Rs. C-446/04 (Test Claimants in the FII Group Litigation), Rn. 181 f.; EuGH, Rs. C-171/08 (Kommission/Portugal), Rn. 49 zum Begriff der Direktinvestition in Bezug auf den freien Kapitalverkehr gem. Art. 57 EGV (jetzt: Art. 64 AEUV). 48 Bungenberg, Europäischer Internationaler Investitionsschutz, in: von Arnauld, EnzEuR, Band 10 – Europäische Außenbeziehungen, 2014, § 13, Rn. 13. 49 Herrmann, Die Zukunft der mitgliedstaatlichen Investitionspolitik nach dem Vertrag von Lissabon, EuZW 2010, S. 207 (209). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 171/14 Seite 15 4.1. Abschluss und Wirkung völkerrechtlicher Verträge Die Ausgestaltung und insbesondere die Frage der räumlichen und sachlichen Reichweite der einzelnen Bestimmungen eines völkerrechtlichen Vertrages obliegen dem gegenseitigen Willen der Vertragsparteien. Nach Paraphierung50, Unterzeichnung und seiner Ratifikation51 durch die Vertragsparteien tritt ein völkerrechtlicher Vertrag in Kraft. Mit dem Inkrafttreten eines Abkommens trifft die Vertragsparteien die grundsätzlich unbedingte Pflicht, sich an den Vertrag zu halten (pacta sunt servanda, Art. 26 WVK). Für die Unionsrechtsordnung bedeutet dies, dass die von der Union nach Art. 218 ggf. i.V.m. Art. 207 AEUV geschlossenen völkerrechtlichen Verträge als EU-Abkommen gemäß Art. 216 Abs. 2 AEUV für die Union und für die Mitgliedstaaten unionsrechtlich verbindlich sind. Sie werden mit ihrem Abschluss „integrierender Bestandteil der Gemeinschaftsrechtsordnung“52. Gemischte Abkommen haben in der Unionsrechtsordnung denselben Status und erzeugen dieselben Wirkungen gemäß Art. 216 Abs. 2 AEUV wie reine EU-Abkommen, soweit es um Bestimmungen geht, die in die Zuständigkeit der Union fallen.53 Bestimmungen im Zuständigkeitsbereich der (ausschließlichen) Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten können hingegen nicht unmittelbar in der Unionsrechtsordnung wirksam sein.54 Trotz dieser Binnendifferenzierung im Hinblick auf die Ratifikationserfordernisse und die Bindungswirkung werden sowohl die Mitgliedstaaten als auch die Union aufgrund des Vertrauensschutzes im internationalen Völkerrechtsverkehr völkerrechtlich an die Gesamtheit der Regelungen des gemischten Abkommens gebunden, soweit das Abkommen dem Wortlaut nach oder auf andere Weise nicht zwischen der EU und ihren Mitgliedstaaten differenziert.55 Mit Blick auf diese grundsätzlich gemeinsame völkerrechtliche Verpflichtung von Union und Mitgliedstaaten erfolgt der Abschluss des Abkommens im Namen der Union durch den Rat regelmäßig erst dann, wenn die Ratifikation durch die Mitgliedstaaten abgeschlossen ist. Dadurch soll verhindert werden, dass ein Abkommen nicht in allen Teilen unionsweit gilt. Auch gemischte Abkommen werden insgesamt integrierender Bestandteil des Unionsrechts .56 50 Paraphierung bezeichnet die Festlegung des authentischen Textes als Verhandlungsergebnis, vgl. Art. 10 WVK. 51 In Abgrenzung zu dem ebenfalls mit dem Begriff der Ratifikation bezeichneten internen Zustimmungsverfahren bezeichnet Ratifikation völkerrechtlich die nach außen gerichtete verbindliche Erklärung eines Völkerrechtssubjekts , durch den Vertrag völkerrechtlich gebunden zu sein. Vgl. insoweit die Abgrenzung zwischen Art. 59 Abs. 1 und Abs. 2 GG. 52 St. Rspr., vgl. EuGH, Rs. 104/81 (Kupferberg), Rn. 18; EuGH, Rs. C-344/04 (IATA), Rn. 36. 53 EuGH, Rs. C-13/00 (Kommission/Irland), Rn. 14; EuGH, Rs. C-459/03 (MOX Plant), Rn. 80 ff.; EuGH, Rs. 127/86 (Demirel), Rn. 13 ff. 54 Vgl. EuGH, verb. Rs. C-300/98 und C-392/98 (Dior), Rn. 48. 55 Vgl. EuGH, Gutachten 2/91 (ILO), Rn. 36; EuGH, Gutachten 1/94 (WTO), Rn. 108. 56 St. Rspr., vgl. EuGH, Rs. 181/73 (Haegmann), Rn. 6; EuGH, Rs. C-459/03 (Mox Plant), Rn. 82. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 171/14 Seite 16 4.2. Prämissen eines völkervertraglichen Vorbehalts Ein Vorbehalt muss bereits vor Unterzeichnung und Ratifikation erklärt werden (Art. 2 Abs. 1 lit. d) WVK). Eine nachträgliche Einschränkung der Vertragsbindung verstieße gegen den Grundsatz pacta sunt servanda und ist daher ausgeschlossen. Gemäß Art. 17 WVK erfordert ein Opt-Out durch einen entsprechenden Vorbehalt zum Vertrag die konsensuale Absprache der Vertragsparteien dahingehend, dass bestimmte Normen für eine Vertragspartei nicht gelten. Dementsprechend bedürfen Vorbehalte der Annahme durch die anderen Vertragsparteien (Art. 20 Abs. 2, Art. 23 Abs. 1 WVK).57 Dabei gilt der Grundsatz der Reziprozität , d.h. die wechselseitigen Rechte und Pflichten sollen sich im wechselseitigen Verhältnis decken.58 Das Erheben eines Vorbehalts entfaltet relative vertragsbezogene Rechtsverhältnisse , d.h. zwischen Parteien, die keinen Vorbehalt erhoben haben, gilt der Vertrag vollinhaltlich (Art. 21 Abs. 2 WVK), während zwischen Parteien, die einen Vorbehalt erklärt haben, und solchen , die diesen angenommen oder keinen Einspruch erklärt haben, der Vorbehalt in dem im Vorbehalt vorgesehenen Ausmaß (Art. 20 Abs. 4, Art. 21 Abs. 1 WVK) gilt:59 Für den Fall der Annahme des Vorbehalts durch eine andere Vertragspartei gilt die Vertragsbindung im Verhältnis beider Parteien nur in dem durch den Vorbehalt eingeschränkten Umfang (Art. 21 Abs. 1 und 2 WVK). Bei der Ablehnung des Vorbehalts durch eine andere Vertragspartei tritt der Vertrag im Verhältnis zu dieser Partei in Kraft, bleibt jedoch mangels eines entsprechenden Konsenses zwischen den Parteien außer Anwendung, soweit der Vorbehalt reicht (Art. 21 Abs. 3 WVK). Lehnt eine andere Vertragspartei jedoch den Vorbehalt ab und widerspricht zugleich einem Inkrafttreten des Vertrags zwischen sich und dem Staat, der den Vorbehalt erklärt, so tritt der Vertrag zwischen diesen Parteien überhaupt nicht in Kraft (Arg. ex. Art. 20 Abs. 4 lit. b, Art. 21 Abs. 3 WVK).60 Im Hinblick auf die Anbringung eines rechtsändernden Vorbehalts ist zu beachten, dass das Anbringen von Vorbehalten mit Blick auf den Erhalt der Kohärenz61 eines Vertrages bereits im Vertrag selbst gemäß Art. 19 lit. a, b WVK verboten sein kann. Zudem sind gemäß Art. 19 lit. c) WVK solche Vorbehalte unzulässig, die „mit dem Ziel und Zweck des Vertrages unvereinbar sind“.62 57 Vitzthum, Völkerrecht, 2007, S. 56. 58 v. Arnauld, Völkerrecht, 2012, Rn. 214. 59 Für die Wirkungen eines Vorbehalts in den verschiedenen Fallgruppen vgl. Kühner, Vorbehalte zu multilateralen völkerrechtlichen Verträgen, 1986, S. 192 ff. 60 v. Arnauld, Völkerrecht, 2012, Rn. 214; Vitzthum, Völkerrecht, S. 56.. 61 Kühner, Vorbehalte zu multilateralen völkerrechtlichen Verträgen, 1986, S. 206 ff. 62 Vgl. v. Arnauld, Völkerrecht, 2012, Rn. 219 ff.; Walter, in Dörr/Schmalenbach (Hrsg.), Vienna Convention on the Law of Treaties, 2012, Art. 19, Rn. 66 ff.; Villiger, Commentary on the 1969 Vienna Convention on the Law of Treaties, 2009, Art. 19, Rn. 12 ff. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 171/14 Seite 17 4.3. Bedeutung für den Abschluss des CETA und des TTIP 4.3.1. Vorbemerkung Sofern es sich bei dem CETA bzw. dem TTIP-Abkommen um einen gemischten Vertrag handelt, werden auch die Mitgliedstaaten Vertragspartei. In diesem Fall bestünde sowohl für die EU als auch für jeden Mitgliedstaat als Vertragspartei die Möglichkeit, einen rechtsändernden Vorbehalt im Hinblick auf das ISDS-Kapitel anzubringen. Für die Frage, ob diese Möglichkeit für die EU oder die Mitgliedstaaten besteht, ist entscheidend, ob der Bereich des Investitionsschutzes in die Zuständigkeit der EU oder die der Mitgliedstaaten fällt. Sofern man davon ausgeht, dass der Bereich des Investitionsschutzes umfassend in die Zuständigkeit der EU fällt, ist im Hinblick auf die Anwendung der Bestimmungen der WVK zum Vorbehalt anzumerken, dass diese nicht unmittelbar auf Verträge unter Beteiligung der EU anwendbar sind. Die EU ist kein Vertragsstaat und könnte auch keiner werden, da der Beitritt nur Staaten offensteht (Art. 81, 83 WVK) und zudem nur auf Staaten Anwendung findet (Art. 1 WVK).63 Die WVK findet nur Anwendung auf Verträge zwischen Staaten, nicht aber auf solche mit oder zwischen Internationalen Organisationen. Jedoch muss die EU ihre Befugnisse unter Beachtung des Völkerrechts ausüben. Auch wenn die WVK für die EU nicht unmittelbar verbindlich ist, so finden deren Regeln jedenfalls insoweit Anwendung, wie sie Bestimmungen enthalten, die insofern Ausdruck des allgemeinen Völkerrechts sind, als sie auf die Kodifizierung von Regeln des Völkergewohnheitsrechts abzielen.64 4.3.2. Möglichkeit eines völkerrechtlichen Vorbehalts Gegenwärtig befindet sich das CETA in der Phase, in der die Verhandlungen von der Kommission und der kanadischen Seite zwar für abgeschlossen erklärt worden sind.65 Die Verhandlungen wurden jedoch bislang weder durch Paraphierung des Abkommens förmlich abgeschlossen, noch ist eine Unterzeichnung des Abkommens oder gar dessen Ratifikation nach Abschluss der jeweiligen internen Zustimmungsverfahren erfolgt. Somit befindet sich das Abkommen in einem Stadium, in dem das Anbringen eines Vorbehalts grundsätzlich noch möglich ist. Das CETA enthält zahlreiche Vorbehalte in den einzelnen Regelungsbereichen, nicht aber – anders als beispielsweise Art. 33566 des Handelsübereinkommens zwischen der Europäischen 63 Ein der WVK entsprechendes Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen (UNTS Vol. 1155, S. 331) ist weder in Kraft getreten, noch wurde es von der EU unterzeichnet. 64 EuGH, Rs. C-286/90 (Poulsen und Diva Navigation), Rn. 9 ff.; EuGH, Rs. C-162/96 (Racke), Rn. 45 f.; EuGH, Rs. T-115/94 (Opel Austria), Rn. 90 ff. 65 Vgl. Referat PE 4 (EU-Verbindungsbüro), Diskussionen über das umfassende Wirtschafts- und Handelsabkommen der EU mit Kanada (CETA), Bericht aus Brüssel 12/2014, PE-Dok 204/2014. 66 Art. 335 (Vorbehalte): „Dieses Übereinkommen sieht keine Vorbehalte im Sinne des Wiener Vertragsrechtsübereinkommens vor“. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 171/14 Seite 18 Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits sowie Kolumbien und Peru andererseits67 – Bestimmungen , durch die Vorbehalte ausdrücklich ausgeschlossen würden. Dies spricht dafür, dass weitergehende Vorbehalte einer Vertragspartei hinsichtlich eines gesamten Regelungsbereichs de jure grundsätzlich nicht gemäß Art. 19 lit. a), b) WVK unzulässig sind. Jedoch könnten die in der Präambel des CETA zum Ausdruck kommenden Ziele gegen die Zulässigkeit eines Vorbehalts gemäß Art. 19 lit. c) WVK sprechen. Das CETA zielt ab auf eine gegenseitige Öffnung der Märkte im jeweiligen räumlichen Anwendungsbereich des Abkommens. So bestimmt Kapitel 2 (Initial Provisions and general Definitions), Section B (Initial Provisions), Article X.03 (Establishment of the Free Trade Area): “The Parties to this Agreement, consistent with Article XXIV of the GATT 1994 and Article V of the GATS, hereby establish a free trade area.” Dies betrifft auf Seiten der EU den Europäischen Binnenmarkt, der als „Raum ohne Binnengrenzen “ (Art. 26 Abs. 2 AEUV) durch die Beseitigung der Hindernisse für den freien Waren-, Personen -, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten gekennzeichnet ist und der mithin die Gesamtheit aller Mitgliedstaaten umfasst. Dementsprechend setzt eine Anwendung eines einheitlichen Freihandels- und Investitionsschutzabkommens – dem Sinn und Zweck eines solchen Abkommens entsprechend – voraus, dass innerhalb des einheitlichen Marktes, der durch das Abkommen geöffnet werden soll, keine Vorbehalte einzelner Mitgliedstaaten angebracht werden.68 Letztlich dürfte jedoch für die Frage der Zulässigkeit eines Vorbehalts entscheidend sein, wie Kanada als Vertragspartner des CETA entsprechend den unter 4.2. dargestellten Möglichkeiten auf die Erklärung eines Vorbehalts reagiert. 5. Zusammenfassung Auf Grundlage der vorstehend dargestellten Maßstäbe erscheint es grundsätzlich möglich, dass ein Mitgliedstaat einen völkerrechtlichen Vorbehalt im Hinblick auf das ISDS-Kapitel anbringen kann. Dies setzt allgemein voraus, dass das CETA als gemischtes Abkommen abgeschlossen wird und somit sowohl die Mitgliedstaaten als auch die EU Vertragsparteien werden. Aus der Binnenperspektive der europäischen Kompetenzverteilung heraus betrachtet setzt ein Vorbehalt zudem voraus, dass die Bestimmungen des ISDS im Hinblick auf den Begriff der Investition in die 67 Beschluss 2012/735/EU des Rates vom 31. Mai 2012 zur Unterzeichnung — im Namen der Union — des Handelsübereinkommens zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits sowie Kolumbien und Peru andererseits und über die vorläufige Anwendung dieses Übereinkommens, ABl. Nr. L 354/1, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32012D0735&qid=1413811387332&from=DE; Handelsübereinkommen vom 26. Juni 2012 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits sowie Kolumbien und Peru andererseits, ABl. Nr. L 354/3, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cellar:06994b68-59ad- 11e2-9294-01aa75ed71a1.0004.01/DOC_2&format=PDF; Gesetz zu dem Handelsübereinkommen vom 26. Juni 2012 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits sowie Kolumbien und Peru andererseits . BGBl. II 2013, S. 434. 68 “Europe is a single market, so you can have only one trade and economic agreement that must apply to all member states”