© 2019 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 170/18 Begleitpersonal bei Sammelflügen zur Rückführung von Drittstaatsangehörigen nach der Entscheidung 2004/573/EG Begriff, Aufgaben und Qualifikation Sachstand Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 170/18 Seite 2 Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Begriff des Begleitpersonals 7 „Begleitpersonal“ 7 „Übriges ordnungsgemäß ernanntes Begleitpersonal“ 8 Weitere in der Entscheidung 2004/573/EG aufgeführte Personen 8 4. Einsatzbereiche des Begleitpersonals an Bord des Flugzeugs 9 Phase vor dem Abflug in Abflug- oder Transitflughäfen 9 Verfahren während des Flugs 10 4.2.1. Sicherheitsmaßnahmen an Bord des Luftfahrzeugs 10 4.2.2. Anwendung von Zwangsmaßnahmen 10 Transitphase 11 Ankunftsphase 11 5. Ausbildung der Begleitpersonen 12 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 170/18 Seite 4 1. Fragestellung Der Fachbereich ist um Erläuterung ersucht worden, wie die in den Gemeinsamen Leitlinien zur Entscheidung 2004/573/EG1 („Gemeinsame Leitlinien“) verwandten Begriffe „Begleitpersonal“ und „übriges ordnungsgemäß ernanntes Begleitpersonal“ bei Rückführungen gemäß Art. 8 der Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG2 („Rückführungsrichtlinie“) auszulegen sind.3 Im Folgenden soll dargestellt werden, in welchem europarechtlichen Rahmen Sammelflüge zur Rückführung stattfinden (Ziff. 2), welche Personen an den Rückführungen beteiligt sind (Ziff. 3), welche Aufgaben und Befugnisse das Begleitpersonal an Board von Sammelflügen zur Rückführung von Drittstaatsangehörigen hat (Ziff. 4) und über welche Qualifikation die Begleitpersonen verfügen müssen (Ziff. 5). 2. Rechtlicher Rahmen Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) Mit der Rückführungsrichtlinie hat der Europäische Gesetzgeber gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger festgelegt .4 Gemäß Art. 288 UA 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) sind Richtlinien für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet sind, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, jedoch verbleibt den Mitgliedstaaten die Wahl der Form und der Mittel. Unter illegalem Aufenthalt ist nach der Legaldefinition in Art. 3 Nr. 2 der Rückführungsrichtlinie die Anwesenheit von Drittstaatsangehörigen zu verstehen, die v. a. nicht oder nicht mehr die Voraussetzungen für die Einreise in einen Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt erfüllen. Zentrale Regelung der Rückführungsrichtlinie ist die in Art. 6 geregelte Rückkehrentscheidung. Darunter ist nach der Legaldefinition in Art. 3 Nr. 4 Rückführungsrichtlinie die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme zu verstehen, mit der der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird. Nach Art. 6 Abs. 1 Rückführungsrichtlinie sind die Mitgliedstaaten – vorbehaltlich der in 1 Entscheidung des Rates vom 29. April 2004 betreffend die Organisation von Sammelflügen zur Rückführung von Drittstaatsangehörigen, die individuellen Rückführungsmaßnahmen unterliegen, aus dem Hoheitsgebiet von zwei oder mehr Mitgliedstaaten (2004/573/EG) mit den Gemeinsamen Leitlinien für Sicherheitsvorschriften bei gemeinsamen Rückführungen auf dem Luftweg, ABl. L 261/28 vom 06.08.2004, zuletzt abgerufen am 04.01.2019. 2 Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger, ABl. L 348/98 vom 24.12.2008 zuletzt abgerufen am 04.01.2019; zum Hintergrund der Rückführungsrichtlinie Hailbronner, ZAR 2005, 349, 350 ff. 3 Die Rückführungsrichtlinie verwendet die Begriffe des „Begleitpersonals“ und „übriges ordnungsgemäß ernanntes Begleitpersonal“ selbst nicht. 4 Zum Inhalt der Rückführungsrichtlinie siehe Hörich, ZAR 2011, 281; ferner den Sachstand PE 6 -3000- 030/18 vom 16.02.2018, Seite 4. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 170/18 Seite 5 Art. 6 Abs. 2 bis 5 Rückführungsrichtlinie bestehenden Ausnahmen – verpflichtet, gegen alle illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen . Sofern der Ausreisepflichtige die ihm nach Art. 7 Rückführungsrichtlinie eröffnete Möglichkeit der freiwilligen Ausreise nicht nutzt, bzw. ihm diese nicht eingeräumt wurde, ergreifen die Mitgliedstaaten alle erforderlichen Maßnahmen zur Vollstreckung der Rückkehrentscheidung , Art. 8 Abs. 1 Rückführungsrichtlinie. Unter die „erforderlichen Maßnahmen“ fällt insbesondere die Abschiebung, die nach Art. 3 Nr. 5 Rückführungsrichtlinie als „tatsächliche Verbringung aus dem Mitgliedsstaat“ verstanden wird. Vorgaben für die Durchführung von Abschiebungen auf dem Luftweg enthält Art. 8 Abs. 5 Rückführungsrichtlinie . Diese Vorschrift sieht vor, dass die Mitgliedstaaten bei der Durchführung von Abschiebungen auf dem Luftweg den Gemeinsamen Leitlinien für Sicherheitsvorschriften bei gemeinsamen Rückführungen auf dem Luftweg im Anhang zur Entscheidung 2004/573/EG Rechnung tragen. Empfehlung 2017/2338 (Anhang Rückkehr-Handbuch) Regelungen zur Durchführung von Maßnahmen gemäß der Rückführungsrichtlinie finden sich zudem im Anhang „Rückkehr-Handbuch“ zur Empfehlung 2017/23385. Ziel der Empfehlung 2017/2338 ist die Sicherstellung einer einheitlichen Anwendung der in der Rückführungsrichtlinie vorgesehenen Normen und Verfahren von allen zuständigen Behörden.6 Den Mitgliedstaaten wird durch die Empfehlung 2017/2338 daher aufgegeben, das Rückkehr- Handbuch den betroffenen Behörden ihres Landes, die für die Durchführung rückkehrbezogener Aufgaben zuständig sind, zu übermitteln und die betreffenden Behörden anzuweisen, das Handbuch als wichtigstes Instrument bei der Durchführung dieser Aufgaben heranzuziehen, Ziff. 2 der Empfehlung 2017/2338. Das Rückkehr-Handbuch enthält umfassende Ausführungsbestimmungen zu den in der Rückführungsrichtlinie vorgesehenen Maßnahmen. Allerdings sollen diese Bestimmungen keine rechtlich bindenden Verpflichtungen für die Mitgliedstaaten begründen und keine neuen Rechte und Pflichten festlegen7. Dies entspricht dem allgemeinen Grundsatz in Art. 288 UA 5 AEUV, dass Empfehlungen rechtlich nicht verbindlich sind.8 5 Empfehlung (EU) 2017/2338 der Kommission vom 16. November 2017 für ein gemeinsames „Rückkehr-Handbuch “, das von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten bei der Durchführung rückkehrbezogener Aufgaben heranzuziehen ist, Abl. EU L 339/83, zuletzt abgerufen am 04.01.2019. 6 Vgl. Erwägungsgrund Nr. 2. 7 Vgl. Vorwort zur Empfehlung 2017/2338. 8 Zum Rechtscharakter von Empfehlungen, vgl. Ruffert, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage 2016, Art. 288 AEUV, Rn. 95 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 170/18 Seite 6 Richtlinie 2003/110/EG Ziel der Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg ist es, Maßnahmen zur gegenseitigen Unterstützung der zuständigen Behörden bei unbegleiteten und begleiteten Rückführungen auf dem Luftweg auf den Transitflughäfen der Mitgliedstaaten festzulegen.9 Hierzu trifft die Richtlinie 2003/110/EG u. a. Regelungen zu Unterstützungsmaßnahmen durch Mitgliedstaaten, die im Falle von Transitaufenthalten erforderlich werden können.10 Entscheidung 2004/573/EG nebst Gemeinsamer Leitlinien Die Entscheidung 2004/573/EG, auf die Art. 8 Nr. 5 Rückführungsrichtlinie verweist, regelt die Koordination gemeinsamer Rückführungen von Drittstaatsangehörigen auf dem Luftweg, die individuellen Rückführungsmaßnahmen unterliegen, aus zwei oder mehr Mitgliedstaaten, Art. 1 Entscheidung 2004/573/EG. Rechtsgrundlage der Entscheidung war ex. Art. 63 Abs. 3 lit. b) des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (Nizza) („EGV“). Nach dieser Vorschrift konnte der Rat gemäß dem Verfahren des ex. Art. 67 EGV innerhalb eines Zeitraums von fünf Jahren nach Inkrafttreten des Vertrags von Amsterdam einwanderungspolitische Maßnahmen im Bereich der illegalen Einwanderung und des illegalen Aufenthalts, einschließlich der Rückführung solcher Personen, die sich illegal in einem Mitgliedstaat aufhalten, beschließen. Bei der gewählten Rechtsform der Entscheidung handelt es sich um die Vorform des heutigen Beschlusses i. S. v. Art. 288 UA. 4 AEUV.11 Ebenso wie der heutige Beschluss war die Entscheidung gemäß ex. Art. 249 Abs. 4 EGV in allen ihren Teilen für diejenigen verbindlich, die sie bezeichnet .12 Gemäß Art. 9 richtet sich die Entscheidung 2004/573/EG an die Mitgliedstaaten. Von dem Grundsatz der Verbindlichkeit weichen die im Anhang der Entscheidung 2004/573/EG aufgeführten Gemeinsamen Leitlinien für Sicherheitsvorschriften bei gemeinsamen Rückführungen auf dem Luftweg ab. Nach dem Erwägungsgrund Nr. 10 der Entscheidung sollen diese Leitlinien bei der Durchführung der Entscheidung (lediglich) eine nützliche Orientierungshilfe bieten, insoweit jedoch unverbindlich sein. Diese Formulierung legt zunächst nahe, dass den Gemeinsamen Leitlinien keine rechtliche Bindungswirkung zukommen soll. Auch spricht die Formulie- 9 Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg, ABl. L 321/26 vom 06.12.2003, zuletzt abgerufen am 04.01.2019. 10 Vgl die Aufzählung in Art. 5 Richtlinie 2003/110/EG. Hierunter fallen bspw. die notärztliche Versorgung von Drittstaatsangehörigen und ggf. Begleitkräften bzw. deren Verpflegung. 11 Ruffert, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Auflage, 2016, Art. 288 AEUV, Rn. 85. 12 Zur Verbindlichkeit der Entscheidung i. S. v. Art. 249 EGV, Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, 40. Aufl. 2010, Art. 249 EGV, Rn. 196 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 170/18 Seite 7 rung in Art. 8 Nr. 5 Rückführungsrichtlinie nicht für eine rechtliche Bindungswirkung der Leitlinien : „Bei der Durchführung der Abschiebungen auf dem Luftweg tragen die Mitgliedstaaten den Gemeinsamen Leitlinien […] Rechnung“.13 Eine verbindliche Anwendung der Gemeinsamen Leitlinien ergibt sich auch nicht aus dem Verweis im Anhang „Rückkehr-Handbuch“ zur Empfehlung 2017/2338.14 Zwar verweist Ziff. 7.1 des Anhangs „Rückkehr-Handbuch“ zur Empfehlung 2017/2338 ausdrücklich auf die Gemeinsamen Leitlinien, allerdings werden, wie sich aus dem Vorwort zum Anhang „Rückkehr-Handbuch“ der Empfehlung 2017/2338 ergibt, aus dem Handbuch keine rechtlich bindenden Verpflichtungen für die Mitgliedstaaten begründet und keine neuen Rechte und Pflichten festgelegt. 3. Begriff des Begleitpersonals In den Gemeinsamen Leitlinien werden verschiedene Personen, die im Rahmen von Sammelflügen zum Einsatz kommen, genannt. Im Folgenden soll daher eine kurze Abgrenzung der verschiedenen Personen erfolgen (Ziff. 3.1. bis Ziff. 3.3.). „Begleitpersonal“ Der Begriff des Begleitpersonals ist in der Entscheidung 2004/573/EG ausdrücklich definiert. Gemäß Art. 2 lit. f handelt es sich bei dem Begleitpersonal um „das Sicherheitspersonal, das mit der Begleitung von Drittstaatsangehörigen auf Sammelflügen beauftragt ist, sowie die mit der medizinischen Versorgung betraute Personen und die Dolmetscher“. Diese Definition deckt sich inhaltlich mit dem in der Richtlinie über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (2003/110/EG)15 verwandten Begriff der „Begleitkräfte “. Gemäß Ziff. 1.2.3. der Gemeinsamen Leitlinien kann ein teilnehmender Mitgliedstaat private Sicherheitsdienste als Begleitpersonal einsetzen.16 In diesem Fall haben die Behörden des Mitgliedstaats dafür Sorge zu tragen, dass sich mindestens ein amtlicher Vertreter dieses Landes an Bord des Luftfahrzeugs befindet. Die Begleitpersonen sind nicht bewaffnet. Sie können Zivilkleidung tragen, an der ein Erkennungszwecken dienendes Zeichen angebracht ist, Ziff. 1.2.5. der Gemeinsamen Leitlinien. Die Zahl der erforderlichen Begleitpersonen wird auf der Grundlage einer Analyse der potenziellen Gefahren und nach gegenseitiger Absprache im Einzelnen festgelegt. In den meisten Fällen 13 A. A. Hörich, ZAR 2005 281, 285. 14 Siehe dazu oben (Fn. 5). 15 Gemäß Art. 2 lit. d der Richtlinie 2003/110/EG sind Begleitkräfte „alle Personen des ersuchenden Mitgliedstaats , die mit der Begleitung des Drittstaatsangehörigen beauftragt sind, einschließlich der mit der Wahrnehmung der medizinischen Versorgung betrauten Personen sowie Sprachmittler“. 16 Die abschiebenden Staaten sollen insoweit verantwortlich sein für begleitendes Personal, das nach ihren Instruktionen handelt, gleichgültig ob es sich um Beamte oder um beauftragte Privatpersonen handelt: Hailbronner , ZAR 2005, 349, 359. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 170/18 Seite 8 sollte mindestens die gleiche Anzahl an Begleitpersonen wie rückzuführender Personen an Bord sein. Erforderlichenfalls (z. B. auf Langstreckenflügen) wird ein Ersatzteam zur Unterstützung bereitgestellt , Ziff. 1.2.6. der Gemeinsamen Leitlinien.17 „Übriges ordnungsgemäß ernanntes Begleitpersonal“ Anders als der Begriff des Begleitpersonals wird das „übrige ordnungsgemäß ernannte Begleitpersonal “ in der Entscheidung 2004/573/EG nicht definiert. Eine konkrete Bezugnahme findet sich allein in Ziff. 1.2.5. der Gemeinsamen Leitlinien. Dort heißt es wörtlich: „Die Begleitpersonen sind nicht bewaffnet. Sie können Zivilkleidung tragen, an der ein Erkennungszwecken dienendes Zeichen angebracht ist. Das übrige ordnungsgemäß ernannte Begleitpersonal trägt ebenfalls ein spezielles Zeichen.“18 Eine weitere Verwendung des Begriffs erfolgt in der Entscheidung 2004/573/EG einschließlich der Gemeinsamen Leitlinien sowie in der Rückführungsrichtlinie nicht. Es bleibt anhand des Wortlauts unklar, welche Personen mit dieser Formulierung gemeint sein sollen. Einschlägige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist hierzu nicht ersichtlich. Möglicherweise sind von dem „übrigen ordnungsgemäß ernannten Begleitpersonal“ das in der Definition in Art. 2 lit. f der Entscheidung 2004/573/EG genannte medizinische Personal und Dolmetscher erfasst. Dafür spräche in systematischer Hinsicht, dass Art. 2 lit. f der Entscheidung 2004/573/EG bei der Bestimmung des Begriffs „Begleitpersonal“ zwischen dem mit der Begleitung von Drittstaatsangehörigen auf Sammelflügen beauftragten Sicherheitspersonal und im Übrigen den mit der medizinischen Versorgung betrauten Personen und Dolmetscher unterscheidet. Weitere in der Entscheidung 2004/573/EG aufgeführte Personen Die Entscheidung 2004/573/EG nennt daneben „Vertreter“ und „Leiter“ als Personen, die an der Durchführung von Sammelflügen beteiligt sind. Mindestens zwei „Vertreter“ werden von den an einem Sammelflug teilnehmenden Mitgliedstaaten für den Fall entsandt, dass die Begleitpersonen ausschließlich vom organisierenden Mitgliedstaat bereitgestellt werden. Diese Vertreter, die über denselben Status wie die Begleitpersonen verfügen, sind mit der Übergabe der Drittstaatsangehörigen, für die sie zuständig sind, an die Behörden des Ziellands betraut, Art. 5 lit. b) der Entscheidung 2004/573/EG sowie Ziff. 1.2.1. der Gemeinsamen Leitlinien. Der organisierende Mitgliedstaat ernennt gem. Ziff. 3.1. lit. a) der Gemeinsamen Leitlinien unter seinen Begleitern einen „Leiter“ der Rückführung. Dieser legt einen umfassenden Sicherheitsund Überwachungsplan fest, der an Bord des Luftfahrzeugs anzuwenden ist (Bewegungen in der 17 Ähnliche (unverbindliche) Bestimmungen zu Begleitpersonen bei Abschiebungen finden sich in den am 4.5.2005 durch das Ministerkomitee des Europarats völkerrechtlich (kein Unionsrecht) verabschiedeten 20 Leitlinien zur erzwungenen Rückkehr. Twenty Guidelines of the Commitee of Ministers of the Council of Europe on forced, return dated 4.5.2005, CM(2005)40-final. 18 Hervorhebung durch den Verfasser. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 170/18 Seite 9 Kabine, Mahlzeiten usw.). Alle Begleitpersonen müssen vor Beginn der Rückführung über diesen informiert werden. 4. Einsatzbereiche des Begleitpersonals an Bord des Flugzeugs Die Gemeinsamen Leitlinien unterteilen das Verfahren zur Durchführung von gemeinsamen Rückführungen auf dem Luftweg und die diesbezüglichen Tätigkeiten des Begleitpersonals in die Phase vor dem Abflug in Abflug- oder Transitflughäfen (Ziff. 4.1.), das Verfahren während des Flugs (Ziff. 4.2.), die Transitphase (Ziff. 4.3.) und die Ankunftsphase (Ziff. 4.4.). Phase vor dem Abflug in Abflug- oder Transitflughäfen Die Phase vor dem Abflug in Abflug- oder Transitflughäfen unterteilen die Leitlinien in die Unterabschnitte „Beförderung zum und Aufenthalt im Flughafen“ (Ziff. 2.1. der Gemeinsamen Leitlinien ) sowie „Einchecken, an Bord gehen und Sicherheitskontrollen vor dem Start“ (Ziff. 2.2. der Gemeinsamen Leitlinien). Nach dem Einchecken und dem Passieren der Sicherheitskontrollen werden die rückzuführenden Personen vom Personal des Mitgliedstaats, in dem die Rückführung beginnt, an Bord des Sammelflugs gebracht; dabei wird das Personal des Mitgliedstaats gegebenenfalls von den zur Rückführung ernannten Begleitpersonen unterstützt, Ziff. 2.2. lit. f der Gemeinsamen Leitlinien. Zur Durchführung dabei erforderlicher Zwangsmaßnahmen gibt es im Unterabschnitt zu Ziff. 2.2. der Gemeinsamen Leitlinien keine Regelungen. Stattdessen ist im Unterabschnitt Ziff. 2.1. der Gemeinsamen Leitlinien geregelt, dass der Mitgliedstaat, in dem die Rückführung beginnt, für die Ausübung von Hoheitsrechten zuständig ist. Die Befugnisse der Begleitpersonen aus den anderen teilnehmenden Mitgliedstaaten sind auf Selbstverteidigungsmaßnahmen beschränkt. Sind keine Strafverfolgungsbeamte aus dem Mitgliedstaat, in dem die Rückführung beginnt, anwesend oder sollen die Strafverfolgungsbeamten unterstützt werden, können die Begleitpersonen bei einer unmittelbaren und ernsthaften Gefahr angemessene Maßnahmen ergreifen, um zu verhindern, dass die rückzuführende Person flieht, sich selbst oder Dritten Schaden zufügt oder Eigentum beschädigt . Zwar befindet sich diese Vorschrift nicht im Unterabschnitt zum Boarding (Ziff. 2.2. der Gemeinsamen Leitlinien), allerdings sprechen Sinn und Zweck dafür, dass die vorgenannten Regelungen auch im Rahmen des Boardings entsprechende Anwendung finden. Denn auch im Rahmen des Boardings können Zwangsmaßnahmen erforderlich werden. Insoweit dürften – solange sich die Rückzuführenden auf dem Flughafengelände befinden – einheitliche Bestimmungen gelten . Ferner ist das Begleitpersonal bei der Durchführung von Zwangsmaßnahmen an Art. 8 Abs. 4 Rückführungsrichtlinie gebunden. Diese Vorschrift sieht vor, dass, sofern die Mitgliedstaaten – als letztes Mittel – von Zwangsmaßnahmen zur Durchführung der Abschiebung von Widerstand leistenden Drittstaatsangehörigen Gebrauch machen, diese Maßnahmen verhältnismäßig sein müssen und nicht über die Grenzen des Vertretbaren hinausgehen dürfen. Die Zwangsmaßnahmen müssen gemäß Art. 8 Abs. 4 Rückführungsrichtlinie ferner nach dem einzelstaatlichen Recht im Einklang mit den Grundrechten stehen und dürfen nur unter gebührender Berücksichtigung der Menschenwürde und körperlichen Unversehrtheit des betreffenden Drittstaatsangehörigen angewandt werden. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 170/18 Seite 10 Verfahren während des Flugs Die Leitlinien unterscheiden im Hinblick auf Verfahren während des Flugs u. a. zwischen den Sicherheitsmaßnahmen an Bord des Luftfahrzeugs (Ziff. 3.1 der Gemeinsamen Leitlinien) sowie der Anwendung von Zwangsmaßnahmen (Ziff. 3.2 der Gemeinsamen Leitlinien). 4.2.1. Sicherheitsmaßnahmen an Bord des Luftfahrzeugs Der vom organisierenden Mitgliedstaat ernannte Leiter der Rückführung legt einen umfassenden Sicherheits- und Überwachungsplan fest, der an Bord des Luftfahrzeugs anzuwenden ist und über den alle Begleitpersonen vor dem Beginn der Rückführung informiert werden, Ziff. 3.1. lit. a) der Gemeinsamen Leitlinien. Weitere Bestimmungen regeln das Zusammensetzen von Rückzuführenden mit gleichem Zielland und gleichem verantwortlichen Mitgliedstaat in der Passagierkabine sowie die Pflicht zum Anlegen des Sicherheitsgurtes während des gesamten Flugs, Ziff. 3.1 lit. b) und c) der Gemeinsamen Leitlinien. Im Fall eines größeren Zwischenfalls an Bord (d. h. eines störenden Verhaltens, das den Vollzug der Rückführung oder die Sicherheit der an Bord befindlichen Personen gefährden kann) übernimmt der vom organisierenden Mitgliedstaat ernannte Leiter der Rückführung in enger Zusammenarbeit mit dem Flugkapitän oder aufdessen Anweisung das Kommando, um die Ordnung an Bord wieder herzustellen, Ziff. 3.1. lit. d) der Gemeinsamen Leitlinien.19 4.2.2. Anwendung von Zwangsmaßnahmen Besondere Aufmerksamkeit widmen die Gemeinsamen Leitlinien der Anwendung von Zwangsmaßnahmen während des Flugs. Grundsätzlich sind bei der Anwendung von Zwangsmaßnahmen die Rechte des Einzelnen gebührend zu achten, Ziff. 3.2. lit. a) der Gemeinsamen Leitlinien. Zwangsmaßnahmen können bei rückkehrunwilligen oder Widerstand leistenden Personen angewandt werden. Diese müssen jedoch angemessen sein und dürfen nicht über die Grenzen des Vertretbaren hinausgehen. Die Würde und körperliche Unversehrtheit der rückzuführenden Personen müssen gewahrt werden. Im Zweifelsfall ist die Rückführung, einschließlich der Anwendung rechtmäßiger Zwangsmaßnahmen , die durch den Widerstand und die Gefährlichkeit der rückzuführenden Person gerechtfertigt sind, nach dem Grundsatz „keine Rückführung um jeden Preis“ abzubrechen, Ziff. 3.2. lit. b) der Gemeinsamen Leitlinien. Konkret muss bei jeglichen Zwangsmaßnahmen die freie Atmung des Rückzuführenden gewährleistet sein. Bei der Anwendung von körperlicher Gewalt ist dafür Sorge zu tragen, dass der Rückzuführende in einer aufrechten Position verbleibt, die eine unbeeinträchtigte Atmung gewährleistet , Ziff. 3.2. lit. c) der Gemeinsamen Leitlinien. Die Immobilisierung Widerstand leistender Personen kann durch Maßnahmen erreicht werden, die deren Würde und körperliche Unversehrtheit nicht berühren, Ziff. 3.2. lit. d) der Gemeinsamen Leitlinien. 19 Die Hoheitsbefugnisse des Flugkapitäns ergeben sich im Fall von strafbaren Handlungen an Bord des Flugzeugs insbesondere aus Art. 5 ff. des völkerrechtlichen Abkommens über strafbare und bestimmte andere an Bord von Luftfahrzeugen begangene Handlungen vom 14.09.1963, zuletzt abgerufen am 04.01.2019. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 170/18 Seite 11 Der organisierende Mitgliedstaat und alle teilnehmenden Mitgliedstaaten einigen sich vor der Rückführung auf eine Liste erlaubter Zwangsmaßnahmen. Die Verabreichung von Beruhigungsmitteln , mit denen die Rückführung erleichtert werden soll, ist unbeschadet etwaiger Notmaßnahmen zur Gewährleistung der Flugsicherheit verboten, Ziff. 3.2. lit. e) der Gemeinsamen Leitlinien . Die Begleitpersonen werden über die erlaubten und verbotenen Zwangsmaßnahmen in Kenntnis gesetzt, Ziff. 3.2. lit. f) der Gemeinsamen Leitlinien. Rückzuführende Personen, bei denen Zwangsmaßnahmen angewendet wurden, bleiben während der gesamten Flugdauer unter ständiger Kontrolle, Ziff. 3.2. lit. g) der Gemeinsamen Leitlinien. Über die Aufhebung oder die vorübergehende Aufhebung von Zwangsmaßnahmen entscheidet schließlich der Leiter der Rückführung oder sein Stellvertreter, Ziff. 3.2. lit. h) der Gemeinsamen Leitlinien. Auch während des Flugs findet das bereits angesprochene Gebot der Verhältnismäßigkeit gemäß Art. 8 Abs. 4 Rückführungsrichtlinie Anwendung.20 Transitphase Für den Fall, dass im Rahmen der Rückführung ein Transit durch einen Mitgliedstaat erforderlich wird, findet insoweit nach Ziff. 4. der Gemeinsamen Leitlinien die Richtlinie (2003/110/EG) über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnehmen auf dem Luftweg21 Anwendung. Gemäß Art. 7 Abs. 1 UA 1 der Richtlinie 2003/110/EG beschränken sich die Befugnisse der Begleitkräfte bei der Durchführung der Durchbeförderung auf Notwehr. Darüber hinaus können die Begleitkräfte, wenn keine Strafverfolgungsbehörden des Durchführungsbeförderungsmitgliedstaats zugegen sind oder zur Unterstützung der Strafverfolgungsbeamten, in vernünftiger und verhältnismäßiger Weise auf eine unmittelbar bevorstehende schwerwiegende Gefahr reagieren, um zu verhindern, dass der Drittstaatsangehörige flüchtet und dabei sich oder Dritte verletzt oder Sachschaden verursacht. Die Begleitkräfte müssen unter allen Umständen die Rechtsordnung des ersuchten Mitgliedstaats einhalten, Art. 7 Abs. 1 UA 2 der Richtlinie 2003/110/EG. Ankunftsphase Bei der Ankunft ist der organisierende Mitgliedstaat (unter Einbindung der teilnehmenden Mitgliedstaaten ) für die Kontaktaufnahme zu den Behörden des Ziellands zuständig, Ziff. 5 lit a) der Gemeinsamen Leitlinien. 20 Siehe dazu oben unter Ziff. 4.1. Ebenso treffen die schon erwähnten völkerrechtlich vereinbarten 20 Leitlinien des Ministerkomitees des Europarats zur erzwungenen Rückkehr ergänzende (unverbindliche) Regelungen zu möglichen Zwangsmaßnahmen bei Abschiebungen (Fn. 17). 21 Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg, (siehe Fn. 15). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Sachstand PE 6 - 3000 - 170/18 Seite 12 Der organisierende Mitgliedstaat und jeder teilnehmende Mitgliedstaat überstellen die aus ihrem Land rückzuführenden Personen den Behörden des Ziellandes wobei die jeweiligen Vertreter des organisierenden Mitgliedstaats und der teilnehmenden Mitgliedstaaten dafür zuständig sind, bei der Ankunft den örtlichen Behörden die rückzuführenden Personen zu übergeben. Die Begleitpersonen verlassen das Luftfahrzeug in der Regel nicht, Ziff. 5 lit c) der Gemeinsamen Leitlinien. Bei der Übergabe an die örtlichen Behörden tragen die rückzuführenden Personen keine Handschellen und unterliegen auch keinen anderen Zwangsmaßnahmen, Ziff. 5 lit. e) der Gemeinsamen Leitlinien. Die Überstellung der rückzuführenden Personen findet außerhalb des Luftfahrzeugs statt - entweder am Fuß der Gangway oder in einem dafür geeigneten Raum im Flughafen, Ziff. 5 lit. f) der Gemeinsamen Leitlinien. 5. Ausbildung der Begleitpersonen Ziff. 1.2.4. der Gemeinsamen Leitlinien trifft Vorgaben zu den erforderlichen Qualifikationen der Begleitpersonen. Die auf Sammelflügen eingesetzten Begleitpersonen müssen danach einen speziellen Rückführungslehrgang absolviert haben. Zusätzlich sollten die auf Sammelflügen eingesetzten Begleitpersonen möglichst mit den Rückführungsstandards des organisierenden Mitgliedstaats und des teilnehmenden Mitgliedstaats vertraut sein. Die Mitgliedstaaten sind daher angehalten , Informationen über die in ihrem Land veranstalteten Lehrgänge zur Einweisung in die begleitete Rückführung aus dem Luftweg auszutauschen und sich gegenseitig zur Teilnahme an diesen Lehrgängen einzuladen, Ziff. 1.2.4. der Gemeinsamen Leitlinien. Weitere Vorgaben zur Qualifikation des Begleitpersonals trifft die Entscheidung 2004/573/EG nicht. Unklar bleibt anhand der Gemeinsamen Leichtlinien ferner, welche konkreten Inhalte im Rückführungslehrgang zu vermitteln sind. – Fachbereich Europa –