Deutscher Bundestag Wirkungen des Assoziierungsabkommens zwischen der Europäischen Union und Staaten Zentralamerikas sowie des Handelsübereinkommens zwischen der Europäischen Union einerseits und Kolumbien und Peru andererseits auf die Regulierungsvorhaben der EU im Finanzmarktsektor Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 11 – 3000 – 167/12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 167/12 Seite 2 Wirkungen des Assoziierungsabkommens zwischen der Europäischen Union und Staaten Zentralamerikas sowie des Handelsübereinkommens zwischen der Europäischen Union einerseits und Kolumbien und Peru andererseits auf die Regulierungsvorhaben der EU im Finanzmar Aktenzeichen: WD 11 – 3000 – 167/12 Abschluss der Arbeit: 21.12.2012 Fachbereich: WD 11: Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 167/12 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Inwiefern besteht die Möglichkeit, dass auf deutscher, europäischer oder internationaler Ebene anstehende bzw. diskutierte Regelungsvorhaben im Finanzsektor in Widerspruch stehen zu Festlegungen, die die Europäische Union im Rahmen von Freihandelsabkommen getroffen haben bzw. treffen will? 4 2.1. Die Stellung von Freihandels- und Assoziierungsabkommen in der Unionsrechtsordnung 4 2.1.1. Unionrechtliche Bindungswirkung der Abkommen 4 2.1.2. Unmittelbare Geltung der Abkommen 6 2.1.3. Unmittelbare Wirkung des Abkommens 8 2.2. Ergebnis 9 3. Welche Regulierungsvorhaben könnten aufgrund welcher Festlegungen aus Freihandelsabkommen zur Finanzmarktliberalisierung und Niederlassungsfreiheit unterlaufen werden? 10 4. Wie ist die Möglichkeit zu bewerten, dass ungedeckte Leerverkäufe von Aktien, Anleihen und Kreditausfallversicherungen, die in der EU seit November verboten sind, im Rahmen des Assoziierungsabkommens über Zentralamerika abgewickelt werden können? 11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 167/12 Seite 4 1. Einleitung Die Ausarbeitung geht der Frage nach, welchen Einfluss das zwischen der Europäischen Union einerseits (EU) und Kolumbien und Peru andererseits abgeschlossene Handelsübereinkommen1 (im Folgenden: Handelsübereinkommen) sowie das zwischen der EU und ihrem Mitgliedstaaten einerseits und den zentralamerikanischen Republiken Costa Rica, El Salvador, Guatemala, Honduras , Nicaragua und Panama andererseits abgeschlossene Assoziierungsabkommen2 (im folgenden : Assoziierungsabkommen) auf die europäischen Regulierungsvorhaben im Finanzsektor nehmen können. 2. Inwiefern besteht die Möglichkeit, dass auf deutscher, europäischer oder internationaler Ebene anstehende bzw. diskutierte Regelungsvorhaben im Finanzsektor in Widerspruch stehen zu Festlegungen, die die Europäische Union im Rahmen von Freihandelsabkommen getroffen haben bzw. treffen will? 2.1. Die Stellung von Freihandels- und Assoziierungsabkommen in der Unionsrechtsordnung Die Möglichkeit eines rechtserheblichen Widerspruchs zwischen den Abkommen und den Regelungsvorhaben im Finanzsektor steht in Abhängigkeit zu den Wirkungen der Abkommen in der Unionsrechtsordnung. 2.1.1. Unionrechtliche Bindungswirkung der Abkommen Handels- und Assoziierungsabkommen entsprechen einander in ihren Rechtswirkungen insoweit , dass die Vertragsparteien regelmäßig reziproke Verpflichtungen eingehen. Assoziierungsabkommen im Sinne von Art. 217 AEUV begründen regelmäßig über reine Handelsabkommen hinausgehende Beziehungen zwischen der EU und den Assoziierungspartnerstaaten und sind dadurch gekennzeichnet, dass sie besondere und privilegierte Beziehungen zu einem Drittland schaffen, wonach der Assoziierungspartner zumindest teilweise am Unionssystem teilhaben muss.3 Nach Ratifikation des Abkommens durch die Vertragsparteien entsprechend ihren jeweiligen Verfahren (für die EU gemäß Art. 218 Abs. 6 iVm Abs. 8 AEUV), der Notifizierung des Abschlusses dieser Verfahren gegenüber den anderen Parteien und Hinterlegung der Vertragsurkunden, 1 Handelsübereinkommen zwischen der Europäischen Union einerseits und Kolumbien und Peru andererseits, Ratsdokument-Nr. 14757/11. 2 Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Zentralamerika andererseits, Ratsdokument-Nr. 16396/11; Vorschlag für einen Beschluss des Rates zur Genehmigung der Unterzeichnung und vorläufigen Anwendung des Handelsteils (Teil IV) des Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits und Zentralamerika andererseits KOM(2011) 678 endgültig. 3 EuGH, Rs. 12/86 (Demirel), Rn. 9. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 167/12 Seite 5 entsteht eine völkerrechtliche Bindungswirkung.4 Bei gemischten, sowohl von der Union als auch von den Mitgliedstaaten der EU ratifizierten internationalen Verträgen sind sowohl die Union als auch die Mitgliedstaaten völkerrechtlich gebunden bzw. den Vertragspartner gegenüber unmittelbar völkerrechtlich verpflichtet.5 Zudem entfalten die Regelungen solcher Verträge Rechtsgeltung in der Unionsrechtsordnung. Für das Binnenverhältnis ordnet Art. 126 Abs. 2 AEUV an, dass die von der Union geschlossenen Übereinkünfte sowohl die Union als auch die Mitgliedstaaten unionsrechtlich binden. Diese unionsrechtliche Bindungswirkung tritt mit völkerrechtlichem Inkrafttreten automatisch ein, ohne dass es eines gesonderten Transformationsaktes bedürfte.6 Das Abkommen wird mit seinem internationalen Inkrafttreten integraler Bestandteil der Unionsrechtsordnung.7 Bei gemischten Abkommen entfaltet dieses unmittelbare Wirksamkeit für die Mitgliedstaaten im Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten unter der Verantwortung der nationalen Rechtsordnung.8 Das Abkommen behält gleichwohl seinen völkerrechtlichen Charakter und ist nach völkerrechtlichen Regeln auszulegen, so dass derselbe Rechtsbegriff nach völkerrechtlichen Regeln nach anderen Grundsätzen auszulegen ist als nach unionsrechtlichen Regeln.9 Handelsabkommen können jedoch umgekehrt, sogar wenn sie als gemischte Abkommen geschlossen worden sind, zur völkerrechtskonformen Auslegung von sekundärem autonomem Gemeinschaftsrecht herangezogen werden.10 Jedoch sind Rat und Kommission schon im Stadium der Empfehlung und der Erteilung des Verhandlungsmandats dazu verpflichtet, das ihnen Mögliche zu tun, damit das Handelsabkommen und die Unionsrechtslage vereinbar sind (Art. 207 Abs. 3 UAbs. 2 S. 2 AEUV). Die rechtliche Kontrolle der Vereinbarkeit völkerrechtlicher Verträge der EU mit dem Unionsrecht und umgekehrt obliegt dem EuGH. 4 Vgl. Schlussanträge Gerneralanwältin Kokott, Rs. C-13/07 (WTO-Beitritt Vietnam), Rn. 76 ff, 88 ff.; St. Rspr., vgl. EuGH, Rs. 181/73 (Heagemann), Rn. 5; EuGH, Rs. 12/86 (Demirel), Rn. 7; EuGH, Rs. C-308/06 (Intertanko), Rn. 53; EuGH, Rs. C-301/08 (Bogiatzi), Rn. 23; EuGH, Gutachten 1/91 (EWR I), Rn. 37. 5 Vgl. EuGH, Rs. C-149/96 (Portugal/Rat). 6 St. Rspr., vgl. EuGH, Rs. 181/73 (Heagemann), Rn. 5; EuGH, Rs. 12/86 (Demirel), Rn. 7; EuGH, Rs. C-301/08 (Bogiatzi ), Rn. 23; EuGH, Gutachten 1/91 (EWR I), Rn. 37. 7 St. Rspr., vgl. EuGH, Rs. 181/73 (Heagemann), Rn. 2, 6; EuGH, Rs. C-161/96 (Racke), Rn. 41. 8 Vgl. EuGH, verb. Rs. C-300/98 und C-392/98 (Parfums Christian Dior), Rn. 48. Für die unmittelbare Wirksamkeit völkerrechtlicher Bestimmungen im ausschließlichen Kompetenzbereich der Mitgliedstaaten in der deutschen Rechtsordnung vgl. Kirsten Schmalenbach, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 216 AEUV, Rn. 44. 9 EuGH, Rs. 270/80 (Polydor), Rn. 15 f.; EuGH, Gutachten 1/91 (EWR I), Rn. 14. 10 EuGH, Rs. C-53/96 (Hermès), Rn. 28; EuGH, Rs. C-61/94 (Internationale Übereinkunft über Milcherzeugnisse), Rn. 52. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 167/12 Seite 6 2.1.2. Unmittelbare Geltung der Abkommen Mit ihrem völkerrechtlichen Inkrafttreten finden Freihandels- oder Assoziierungsabkommen grundsätzlich unmittelbare Anwendung in der Unionsrechtsordnung.11 Ein Transformationsakt ist nicht erforderlich. Die unmittelbare rechtliche Geltung der Abkommen in der Unionsrechtsordnung resultiert aus der nach Art. 216 Abs. 2 AEUV bestehenden Pflicht der Mitgliedstaaten gegenüber der Union, die Verpflichtungen aus dem Abkommen einzuhalten.12 Dies ist zudem Ausdruck der Verpflichtung der Union als Rechtsgemeinschaft, auf den Schutz der Rechte zu gewährleisten , die sich für den Einzelnen aus völkerrechtlichen Abkommen dieser Art ergeben.13 In jedem Fall sind die Verpflichtungen aus dem Abkommen nach Treu und Glauben zu erfüllen und jede Partei ist für die vollständige Erfüllung der eingegangenen Verpflichtungen verantwortlich . Hierbei steht es jeder Vertragspartei zu, die zur Erreichung des Ziels innerhalb ihrer Rechtsordnung geeigneten Maßnahmen zu bestimmen, sofern diese Maßnahmen nicht schon in der Übereinkunft selbst festgelegt sind.14 Die Wirkungen, die Handelsabkommen in der EG-Rechtsordnung haben, ergeben sich aus dem Gemeinschaftsrecht. Die von der EG geschlossenen völkerrechtlichen Abkommen sind zwar als „Handlungen“ der Gemeinschaftsorgane sekundäres Gemeinschaftsrecht, jedoch höherrangig als autonomes Unionsrecht15, und auf diese Weise wird im Konfliktfall die Übereinstimmung von bestehendem Sekundärrecht mit Handelsabkommen hergestellt: Die von der EG abgeschlossenen völkerrechtlichen Verträge sind gemäß Art. 216 Abs. 2 AEUV für die Union und für die Mitgliedstaaten unionsrechtlich verbindlich, und die Abkommen werden unabhängig von der Art des innergemeinschaftlichen Abschlussaktes „integrierende Bestandteile der Gemeinschaftsrechtsordnung “:16 Handelsabkommen beruhen auf Handlungen der Unionsorgane und sind daher sekundäres Unionsrecht, jedoch mit Vorrang gegenüber autonomem sekundären Unionsrecht. Handelsabkommen nehmen am Vorrang des Gemeinschaftsrechts gegenüber dem Recht der Mitgliedstaaten teil. Als „integrierender Bestandteil der Unionsrechtsordnung“ haben Freihandels- oder Assoziierungsabkommen an dem Vorrang des Unionsrechts vor entgegenstehenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten teil.17 Die von der Union abgeschlossenen Abkommen sind auch für ihre Organe verbindlich und haben daher Vorrang vor abgeleitetem Unionsrecht bzw. den Rechtsakten der Union.18 Wegen seiner Vorrangstellung vor abgeleitetem Unionsrecht 11 EuGH, Rs. 104/81 (Kupferberg), Rn. 17; EuGH, Rs. C-149/96 (Portugal/Rat), Rn. 34. 12 EuGH Rs. 104/81, Kupferberg, Rn. 11, 13. 13 Vgl. Schlussanträge Generalanwalt La Pergola, Rs. C-262/96, Rn. 6 14 EuGH, Rs. 104/81 (Kupferberg), Rn. 18. 15 EuGH, Rs. C-280/93 (Deutschland/Rat), Rn. 105. 16 EuGH, Rs. 104/81 (Kupferberg), Rn. 18. 17 EuGH, Rs. 17/81 (Pabst und Richarz), Rn. 27. 18 St. Rspr., vgl. EuGH, verb. Rs. 21/72-24/72 (International Fruit Company), Rn. 6; EuGH, Rs. C-61/94 (Kommission / Deutschland), Rn. 52; EuGH, Rs. C-280/93 (Deutschland/Rat), Rn. 111;, Rs. C-228/06 (Soysal u.a. Deutschland ), RN. 59; EuGH, Rs. C-366/10 (Air Transport Association), Rn. 50; EuGH, Rs. C-311/04 (Algemene Scheeps Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 167/12 Seite 7 kann die Gültigkeit eines Unionsrechtsakts durch die Unvereinbarkeit mit derartigen völkerrechtlichen Regeln berührt werden. Die Gültigkeit einer Unionsregelung des Sekundärrechts lässt sich aber nur dann an einem völkerrechtlichen Vertrag zu messen, wenn dessen Art und Struktur dem nicht entgegenstehen und seine Bestimmungen außerdem inhaltlich unbedingt und hinreichend genau erscheinen19. So gehören beispielsweise WTO-Übereinkünfte wegen ihrer Natur und ihrer Systematik grundsätzlich nicht zu den Normen, an denen der EuGH die Rechtmäßigkeit der Handlungen der Unionsorgane misst. Die Rechtmäßigkeit einer Unionshandlung misst sich jedoch dann an einer Regelung des Abkommens, wenn die Union zur Erfüllung einer hierin übernommenen Verpflichtung handelt oder wenn die Unionshandlung ausdrücklich auf eine spezielle Bestimmung des Abkommens verweist.20 Die Gültigkeit eines Unionsrechtsaktes lässt sich nur dann an der jeweiligen Völkerrechtsnorm messen, wenn die Union an sie gebunden ist,21 das Abkommen einer solchen Prüfung nach Art und Struktur dem nicht entgegensteht22 und die geltend gemachte Bestimmung inhaltlich unbedingt und hinreichend genau erscheint in dem Sinne, dass sie eine eindeutige Verpflichtung enthält, deren Erfüllung oder Wirkung nicht vom Erlass eines weiteren Aktes abhängen.23 Handlungen der Unionsorgane sind daher jedenfalls dann nicht an den Bestimmungen des Abkommens zu messen, wenn dieses große Handlungsspielräume bei der Erfüllung der Vertragsziele belässt und es an einer Gegenseitigkeitspflicht bei der Durchführung fehlt.24 In diesem Fall sind die Normen des Abkommens bei der Anwendung des Unionsrechts „so weit wie möglich“ zu berücksichtigen, d.h. das Unionsrecht ist völkerrechtsfreundlich auszulegen.25 Agentuur Dordrecht), Rn. 25; EuGH, Rs. C-308/06 (Intertanko), Rn. 42, EuGH, verb. Rs. C-402/05 P und C- 415/05 P (Kadi u.a. / Rat und Kommission), Rn. 307. 19 Vgl. u. a. EuGH, Rs. C-308/06 (Intertanko), Rn. 45. 20 Vgl.EuGH, Rs. C-377/02 (Van Parys), Rn. 20 sowie die Feststellung des EuGH in der Rs. C-307/99 (OGT Fruchthandelsgesellschaft ), Rn. 28: „…die durch die Verordnung Nr. 404/93 geschaffene und im Folgenden geänderte gemeinsame Marktorganisation für Bananen soll nämlich nicht sicherstellen, dass eine bestimmte, im Rahmen des GATT übernommene Verpflichtung in der Rechtsordnung der Gemeinschaft umgesetzt wird, und verweist auch nicht ausdrücklich auf spezielle Bestimmungen des GATT.“ 21 EuGH, Rs. C-308/06 (Intertanko), Rn. 43 f.; EuGH, verb. Rs. 21/72-24/72 (International Fruit Company), Rn. 7. 22 EuGH, Rs. C-120/06 P und C-121/06 P (FIAMM u. a./Rat und Kommission), Rn. 110. 23 EuGH, Rs. C-213/03 (Pêcheurs de l’étang de Berre), Rn. 39; EuGH, Rs. C-308/06 (Intertanko), Rn. 45; EuGH, Rs. C-344/04 (IATA und ELFAA), Rn. 39; EuGH, Rs. C-240/09 (Lesoochranárske zoskupenie), Rn. 44. 24 EuGH, Rs. C-149/96 (Portugal/Rat), Rn. 36 ff. und 45; EuGH, Rs. C-377/02 (Léon Van Parys), Rn. 49–53; EuGH, Rs. C-210/06 P und C-121/06 P (FIAMM und FIAMM Technologies), Rn. 117 25 EuGH, Verb. Rs. C-300 und 392/98, (Parfums Christian Dior SA), Rn. 47; EuGH, Rs. C-53/96 (Hermès), Rn. 28; EuGH, Rs. C-245/02, (Anheuser-Busch), Rn. 55; EuGH, Rs. C-431/05, (Merck Genéricos-Produtos Farmacêuticos ), Rn. 35; EuGH, Rs. 428/08, (Monsanto Technology), Rn. 72; EuGH, Rs. C-373/08 (Hoesch Metals und Alloys GmbH), Rn. 40. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 167/12 Seite 8 Jedoch haben Abkommen aus Sicht des Unionsrechts keinen Vorrang gegenüber Primärrecht,26 obgleich dies aus völkerrechtlicher Sicht nichts an der Wirksamkeit einer potenziell unionsrechtswidrig eingegangenen Verpflichtung ändert (Art. 46 WVK).27 Abkommen, die unter Verletzung des primären und sekundären Unionsrechts geschlossen wurden, bleiben jedoch für die Union verbindlich und müssen daher gekündigt oder geändert werden.28 Eine unmittelbare Wirkung wird weder dadurch ausgeschlossen, dass das Abkommen nicht-reziproke Regelungen zugunsten des Assoziierungspartners enthält oder dass eine Anerkennung der unmittelbaren Wirkung nicht auf Gegenseitigkeit beruht.29 Soll eine unmittelbare Wirkung des Abkommens ausgeschlossen werden, so ist hierfür im Abkommen selbst oder im Genehmigungsbeschluss des Rates eine ausdrückliche Regelung zu treffen.30 Die Vertragsparteien können vereinbaren, welche Wirkungen die Bestimmungen eines Abkommens in der Rechtsordnung der Vertragsparteien haben sollen.31 Damit sich also ein EU-Mitgliedstaat oder EU-Organ auf die Bestimmungen eines Unionsabkommen berufen kann, um die Rechtmäßigkeit eines Sekundärrechtsaktes anzugreifen, kommt es nicht alleine auf die Bestandteilseigenschaft des Abkommens in der Unionsrechtsordnung an, sondern auf die Wirkung, die das Abkommen in der Unionsrechtsordnung nach dem Willen der Union bzw. der Vertragsparteien haben soll. Ist dieser Wille nicht eindeutig , nähert sich der für die Entscheidung über die Rechtswirkung des Abkommens in der Unionsrechtsordnung zuständige EuGH dieser Frage durch Auslegung des fraglichen Abkommens unter Berücksichtigung von Aufbau, Wortlaut und Telos.32 33 2.1.3. Unmittelbare Wirkung des Abkommens Einzelne Normen von Handelsabkommen können über die Verbindlichkeit des Abkommens hinaus unmittelbare Wirksamkeit entfalten mit der Folge, dass Personen sich vor Gerichten und Behörden auf diese berufen können, sofern Rechtsnatur und Systematik des Abkommens als Ganzes dem nicht entgegenstehen und die konkrete Norm unbedingt und hinreichend klar gefasst ist34 Unmittelbar in der Unionsrechtsordnung geltende völkerrechtliche Bestimmungen können nach 26 EUGH, verb. Rs. C-402/05 P und C-415/05 P (Kadi u.a. / Rat), Rn. 308. 27 Zur Konfliktvermeidung vgl. das Gutachtenverfahren gem. Art. 218 Abs. 11 AEUV 28 EuGH, Rs. C-327/91 (Frankreich/Kommission), Rn. 41 ff; EuGH, verb. Rs. C-317/04 und 318/04 (Parlament/Rat), Rn. 71 ff. 29 EuGH, Rs. C-162/00 (Pokrzeptowicz-Meyer), Rn. 27; EuGH, Rs. 104/81 (Kupferberg), Rn. 27. 30 EuGH, Rs. 104/81 (Kupferberg), Rn. 17. 31 EuGH, Rs. C-149/96, (Portugal/Rat), Rn. 34; EUGH, Rs. C-210/06 P und C-121/06 P, (FIAMM und FIAMM Technologies ), Rn. 108. 32 Kirsten Schmalenbach, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 216 AEUV, Rn. 29 mit Verweis auf EuGH, Rs. C-280/93, Rn. 105 f. (Bundesrepublik Deutschland/Rat); Rs. C-149/96, Rn. 35 und 41 (Portugal/Rat). 33 EuGH, Rs. 104/81 (Kupferberg), Rn. 17; EuGH, Rs. C-280/93 (Deutschland/Rat), Rn. 110. 34 EuGH Rs. 194/81 (Kupferberg), Rn. 22 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 167/12 Seite 9 ständiger Rechtsprechung des EuGH immer dann subjektive Rechte für den Einzelnen begründen , wenn sie unter Berücksichtigung ihres Wortlauts und im Hinblick auf den Sinn und Zweck des Abkommens eine klare und eindeutige Verpflichtung enthalten, deren Erfüllung oder deren Wirkung nicht vom Erlass eines weiteren Aktes abhängt.35 Eine solche unmittelbare, individualrechtsschützende Wirkung der Abkommen setzt unter Zugrundelegung von Sinn, Systematik oder Wortlaut dieser Abkommens voraus, dass die dem Unionsrecht unterliegende Personen berechtigt sind, vor Gericht unter Berufung auf ein internationales Abkommen die Gültigkeit einer Gemeinschaftshandlung in Frage zu stellen.36 Zudem können sich natürliche oder juristische Personen auf Bestimmungen des Abkommens nur dann berufen, wenn – ausgehend von Rechtsnatur und Systematik des Abkommens – die Einzelbestimmungen hinreichend klar und unbedingt sind.37 2.2. Ergebnis Nach vorstehenden Maßstäben besteht grundsätzlich die Möglichkeit, dass das Handelsübereinkommen oder das Assoziierungsabkommen auf die Unionsrechtsordnung und damit auch auf die sekundärrechtlichen Regelungsvorhaben im Finanzmarktsektor Rechtswirkungen erzeugen. Sowohl die EU als auch die Mitgliedstaaten sind Vertragsparteien des Assoziierungsabkommens bzw. im Fall des Handelsübereinkommens ist die EU Vertragspartei. Nach vorstehenden Maßstäben sind die EU und die Mitgliedstaaten völkerrechtlich und unionsrechtlich an die Bestimmungen des Abkommens gebunden. Die Bestimmungen des Handelsübereinkommens bilden mit dessen Inkrafttreten einen integralen Bestandteil der Unionsrechtsordnung. Art und Struktur des Handelsübereinkommens (Einrichtung einer Freihandelszone) stehen seiner maßstabsbildenden Wirkung für die Gültigkeit eines sekundärrechtlichen Regelungsvorhabens im Finanzsektor nicht entgegen. Damit besteht zugleich die Möglichkeit, dass die projektierten Regelungsvorhaben im Finanzmarktsektor im Widerspruch stehen zu den vorrangigen Bindungen aus dem Freihandelsübereinkommen : So soll das Handelsübereinkommen u.a. klare und beiderseits vorteilhafte Regeln für den Handelsaustausch ermöglichen, die gegenseitige Handels- und Investitionstätigkeit fördern und die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Unternehmen auf internationalen Märkten durch Schaffung eines verlässlichen Rechtsrahmens für deren Handels- und Investitionsbeziehungen verbessern (9. und 10. Erwägungsgrund sowie Art. 3, 4 des Handelsübereinkommens). Das Abkommen zielt speziell auf die im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien niedergelassenen Wirtschaftsteilnehmer ab. Beispielsweise gewährleisten die Vertragsparteien hinsichtlich der Kapitalund Zahlungsbilanztransaktionen den freien Kapitalverkehr im Zusammenhang mit Direktinvestitionen 1 in juristische Personen, die nach den Rechtsvorschriften des Empfängerstaats gegründet wurden (Art. 169 Handelsübereinkommen). Damit werden durch das Handelsübereinkommen Vorschriften eingeführt, die direkt und unmittelbar auf spezifische Marktteilnehmer Anwendung finden und diesen Rechte verleihen sollen, die den Vertragsparteien gegenüber geltend gemacht werden können. 35 EuGH, Rs. C-37/98 (Savas), Rn. 39; EuGH, Rs. C-262/96 (Sürül), Rn. 60; EuGH, Rs. C-416/96 (Eddline El-Yassini ), Rn. 25; EuGH, Rs. C-432/92 (Anastasiou), Rn. 23; EuGH, Rs. 469/93 (Chiquita), Rn. 57 Italia). 36 EuGH, verb. Rs. 21/72 bis 24/72 (International Fruit Company), Rn. 19. 37 EuGH, Rs. 104/81, Rn. 22 f. (Kupferberg); EuGH, verb. Rs. C-300 und 392/98 (Parfums Christian Dior SA). Rn. 42. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 167/12 Seite 10 3. Welche Regulierungsvorhaben könnten aufgrund welcher Festlegungen aus Freihandelsabkommen zur Finanzmarktliberalisierung und Niederlassungsfreiheit unterlaufen werden ? Soweit ersichtlich ist eine unmittelbare Wirkung der Regelungen der Abkommen nach vorstehenden Maßstäben nicht vorab ggf. norm- oder bereichsspezifisch ausgeschlossen. Jedoch bedarf es einer konkreten Prüfung im Einzelfall und insbesondere im Kontext des Regelungsgehalts des finanzmarktrechtlichen Regelungsvorhabens, ob eine unmittelbare Wirkung der abkommensrechtlichen Regelungen besteht. Insoweit ist nach dem derzeitigen Stand der Regelungsvorhaben lediglich eine grundsätzliche, nicht tatsächliche Möglichkeit der Einflussnahme abkommensrechtlicher Bestimmungen auf nachfolgende Regelungsvorhaben38 im Finanzsektor festzustellen, die ihrem Regelungsgehalt nach potenzielle Verbindungen zu dem Freihandelsabkommen bzw. zu dem Assoziierungsabkommen aufweisen39: Verordnungsvorschlag zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die EZB40 Verordnungsvorschlag zur Änderung der Verordnung zur Errichtung der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde 41 38 Vgl. den Überblick unter http://ec.europa.eu/internal_market/finances/policy/index_de.htm 39 Dies gilt auch für die Frage, inwieweit die Festlegung zu Finanzdienstleistungen im Teil IV (Handel), Titel III (Niederlassung, Dienstleistungshandel und elektronischer Geschäftsverkehr) bzw. Anhang X des Assoziierungsabkommens EU-Zentralamerika die Regelungsvorhaben unterlaufen könnten. 40 Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank, KOM(2012) 511, endg., online abrufbar unter: http://ec.europa.eu/internal_market/finances/docs/committees/reform/20120912-com-2012-511_de.pdf; vgl. hierzu den Fahrplan für eine Bankenunion, Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat Fahrplan für eine Bankenunion, KOM(2012) 510 endg, online abrufbar unter: http://ec.europa.eu/internal _market/finances/docs/committees/reform/20120912-com-2012-510_de.pdf 41 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 zur Errichtung einer Europäischen Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbehörde) hinsichtlich ihrer Wechselwirkungen mit der Verordnung (EU) Nr. …/… des Rates zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank, KOM (2012) 512, endg., online abrufbar: http://ec.europa.eu/internal_market/finances/docs/committees/reform /20120912-com-2012-512_de.pdf Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 167/12 Seite 11 Verordnungsvorschlag bezüglich der Richtlinie über die Delegierte Verordnung des Rates zur Ergänzung der Richtlinie 2011/61/EU42 des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf Ausnahmen, die Bedingungen für die Ausübung der Tätigkeit, Verwahrstellen, Hebelfinanzierung, Transparenz und Beaufsichtigung.43 Richtlinie über die Verwalter alternativer Investmentfonds (AIFM-Richtlinie)44 Verordnung über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister (European Market Infrastructure Regulation, EMIR) 45 Regelung eines Einlagensicherungssystems46 Regelung eines integrierten Bankenkrisenmanagements47 Reform der Märkte für Finanzinstrumente48 4. Wie ist die Möglichkeit zu bewerten, dass ungedeckte Leerverkäufe von Aktien, Anleihen und Kreditausfallversicherungen, die in der EU seit November verboten sind, im Rahmen des Assoziierungsabkommens über Zentralamerika abgewickelt werden können? Völkerrechtliche Abkommen der EU oder gemischte Abkommen der EU und ihrer Mitgliedstaaten können nach oben ausgeführten Maßstäben auf sekundärrechtliche Regelungen wirken. Von dieser Wirkung ist auch die Verordnung über Leerverkäufe und bestimmte Aspekte von Credit 42 Richtlinie 2011/61/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2011 über die Verwalter alternativer Investmentfonds und zur Änderung der Richtlinien 2003/41/EG und 2009/65/EG und der Verordnungen (EG) Nr. 1060/2009 und (EU) Nr. 1095/2010. 43 Verordnungsvorschlag der Kommission vom 19.12.2012, COM(2012) 8370 final. 44 Richtlinie 2011/61/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2011 über die Verwalter alternativer Investmentfonds und zur Änderung der Richtlinien 2003/41/EG und 2009/65/EG und der Verordnungen (EG) Nr. 1060/2009 und (EU) Nr. 1095/2010, ABl. L 174 vom 01.07.2011, S. 1. 45 Verordnung (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über OTC-Derivate, zentrale Gegenparteien und Transaktionsregister, ABl. L 201 vom 27.7.2012, S. 1. 46 Vorschläge der Kommission für eine Capital Requirements Directive (CRD IV-RL) vom 20.07.2011, KOM(2011) 453; für eine Capital Requirementens Regulation (CRD IV-VO) vom 20.07.2011, KOM(2011) 452; für eine Richtlinie zur Harmonisierung der Einlagensicherung vom 12.07.1010, KOM(2010) 368/2. 47 Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen, KOM(2012) 280 final/2 48 Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Märkte für Finanzinstrumente zur Aufhebung der Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, KOM(2011) 656 endgültig . Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 167/12 Seite 12 Default Swaps49 nicht ausgenommen. Die Bewertung dieser Möglichkeit ist ebenso wie die hieraus zu ziehenden Konsequenzen eine rechtspolitische Fragestellung und keine der rechtlichen Bewertung der Abkommen und ihrer Verbindung zum Unionsrecht. - Fachbereich Europa - 49 Verordnung (EU) Nr. 236/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. März 2012 über Leerverkäufe und bestimmte Aspekte von Credit Default Swaps, ABl. L 86/1.