Moderner Konservatismus und die Vision Europas Entwicklung seit der Regierungszeit Konrad Adenauers - Ausarbeitung - © 2008 Deutscher Bundestag WD 11 - 161/08 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages Moderner Konservatismus und die Vision Europas Entwicklung seit der Regierungszeit Konrad Adenauers Ausarbeitung WD 11 - 161/08 Abschluss der Arbeit: 26.6.2008 Fachbereich WD 11: Europa Hinweise auf interne oder externe Unterstützung bei der Recherche bzw. Abfassung des Textes Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Die Arbeiten der Wissenschaftlichen Dienste sind dazu bestimmt, Mitglieder des Deutschen Bundestages bei der Wahrnehmung des Mandats zu unterstützen. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Diese bedürfen der Zustimmung des Direktors beim Deutschen Bundestag. - 3 - 1. Einleitung Grundlagen der konservativen Politik sind das christliche Verständnis vom Menschen und seiner Verantwortung vor Gott. Grundwerte wie Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit werden daraus abgeleitet. Bundeskanzler a.D. Konrad Adenauer, der sich engagiert für diese Werte einsetzte, gehörte zu den „Vätern“ und großen Gründern der europäischen Wirtschaftsintegration. Er wirkte nicht nur am wichtigsten Ereignis des europäischen Einigungsprozesses der Nachkriegszeit mit, sondern vertrat bereits 1919 die Ansicht, dass nur die ständige Versöhnung zwischen den Völkern und die Bildung einer Völkergemeinschaft zur „Rettung Europas“ führen werden.1 Die von ihm vorangetriebene Unterzeichnung der Römischen Verträge 1957 war ein Meilenstein der europäischen Integration. Adenauers Wirken spiegelt sich im Bild Adenauers mit seiner Vision vom "europäischen Haus" wider: "Die Einheit Europas war ein Traum von wenigen. Sie wurde eine Hoffnung für viele."2 2. Entwicklung von 1949 bis heute Europa wollte die Lehren aus seiner Geschichte ziehen: Nicht die blutigen Schlachtfelder sollten das Schicksal dominieren, sondern die Verhandlungstische, nicht Armeen, sondern rechtsstaatliche Regeln, nicht Gewalt, sondern Freiheit. "Vereinigte Staaten von Europa" - mit dieser Vision gab Winston Churchill bereits 1946 in seiner "Züricher Rede" die entscheidende Richtung vor. Und dennoch standen am Anfang auch Enttäuschungen . Obwohl sich eine breite Volksbewegung der Idee vom vereinten Europa verschrieben hatte, scheiterten die Pläne von den Vereinigten Staaten von Europa bald an den Realitäten der Nachkriegszeit. Ein bescheideneres Programm – verglichen mit dem großen europäischen Traum – wurde durch die Gründung des Europarates (1949) realisiert . Die nächste Hoffnung auf eine weitreichende Einigung Europas brachte die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS). Mit ihr wurde einer der sensibelsten Wirtschaftsbereiche supranational integriert. Im Licht dieses Teilerfolgs strebte man die Vereinheitlichung der Verteidigungspolitik in der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) an. Darüber sollte die Europäische Politische Gemeinschaft (EPG) mit ihrer Verfassung die EGKS und die Europäische Verteidigungsge- 1 "Griechenland und Deutschland in der EU - das Erbe Konrad Adenauers und Konstantinos Karamanlis im neuen europäischen Kontext", Vortrag von Prof. Dr. Georgios Papastamkos, Mitglied des EP zum Symposium "Konrad Adenauer und Konstantinos G. Karamanlis", Akademie der Konrad- Adenauer-Stiftung, Berlin 10. März 2005, vgl. www.epped .eu/Press/pintouch05/docs/050315adenauer-karamanlis.doc (24.6.2008). 2 vgl. http://www.kas.de/wf/doc/kas_10159-544-1-30.pdf (25.6.2008). - 4 - meinschaft (EVG) politisch einrahmen. Diese Vision scheiterte am ablehnenden Votum der französischen Nationalversammlung 1954. Aber der Moment des Scheiterns war Anlass zur Einberufung der Konferenz von Messina durch die Regierungen der sechs EGKS-Mitglieder. Sie mussten einen Kompromiss finden zwischen der deutschen Perspektive eines gemeinsamen Markts und der französischen Tradition einer beschützten Nationalökonomie, sowie dem deutschen Wunsch nach Kontrolle des gesamten Atomsektors mit den französischen Interessen, den militärischen Teil auszuklammern. Der Kompromiss gelang, und am 25. März 1957 wurde das neue Europa der Freiheit und des Rechts vertraglich besiegelt. Entscheidende Visionen waren für Jahrzehnte prägend : Zielperspektive, Institutionalisierung und Erweiterung. Als die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft feierlich beschlossen wurde, war vielen nicht klar, dass die Zollunion bereits mit verfassungsähnlichen Institutionen ausgestattet wurde und damit die Perspektive auf eine Europäische Gemeinschaft, also eine politische Vereinigung der Länder Westeuropas, eröffnete. Das pazifistische Motiv der sechs Gründungsstaaten und Hauptakteure war, nie wieder einen Krieg zwischen den Nationalstaaten zu erleben.3 Es waren überwiegend katholische Politiker, die die europäische Integration ausgelöst haben: Alcide de Gasperi, Konrad Adenauer und Robert Schuman. Diese Tatsache trug wohl auch dazu bei, dass sie eine gemeinsame Sprache fanden, gemeinsame politische Ziele hatten und dass sie in einer national geprägten Zeit eine gemeinsame Vorstellung von der Zukunft Europas hatten.4 In der Gründungsphase der europäischen Integration waren vor allem christdemokratische Parteien in den verschiedenen Ländern die treibenden Kräfte. Die sozialistischen und liberalen Kräfte begeisterten sich wenig für Europa, die Sozialisten noch weniger als die Liberalen. Die christliche Demokratie, die seinerzeit nicht nur in Deutschland und Italien, sondern auch in Frankreich stark war, bildete eine Nova im europäischen Parteiensystem, nicht gebunden an die Vergangenheit, auch nicht in gleichem Maß an nationalstaatliche Rücksichten wie andere Parteien. Die "Nouvelles Equipes Internationales", das erste europäische Parteibüro der christlichen Demokraten , befand sich in Brüssel. Die Europapolitik spielte in der Programmatik der christdemokratischen Parteien von Anfang an eine große Rolle. 3 Vgl. http://www.blaetter.de/artikel.php?pr=2552 (24.6.2008). 4 Hans Maier "Es fehlt ein gemeinsames Europagefühl" Ein Gespräch mit Hans Maier über Europa und das Christentum aus: Herder Korrespondenz, 2/2007, S. 70-75. Hans Maier (geb. 1931), von 1962 bis 1987 Professor für politische Wissenschaft in München; von 1970 bis 1986 bayrischer Kultusminister ; 1988 bis 1999 Inhaber des Münchner "Guardini-Lehrstuhls" für christliche Weltanschauung , Religions- und Kulturtheorie. - 5 - Der Bau des Hauses Europa verlief nicht ohne Rückschläge. Es gab immer wieder Phasen , in der die ökonomische und politische Einigung nur mühsam vorankam und sich Pessimismus breitzumachen drohte.5 Trotz aller sozialen, ethnischen und religiösen Differenzen brauche Europa eine politische Identität, eine Seele, mahnte der frühere Kommissionspräsident , Jacques Delors, an. Auf der Suche nach dieser Seele, der Identität Europas, wurde vielfach auf seinen religiösen Hintergrund, die Prägung durch die christlichen Wurzeln, verwiesen.6 Wichtige Etappen auf dem Weg waren die Süderweiterung 1986, der Maastrichter Vertrag über die Bildung der Europäischen Union 1992, die Verwirklichung des Binnenmarktes 1993, die Erweiterung um Finnland, Schweden und Österreich 1995, der Vertrag von Amsterdam 1997 mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt und der Vertrag von Nizza von 2003 . Ein Meilenstein in der Geschichte der EU war die Einführung des Euro als Bargeld am 1. Januar 2002 in zwölf Staaten der Union. Die gemeinsame Währung machte die Einigung Europas unumkehrbar. Nächste Etappe war die Erweiterung des Hauses Europa um die Länder Mittel-, Ost- und Südosteuropas 2004 und 2007. Aus dem „Europa der sechs“ ist bis zum heutigen Tag ein „Europa der 27“ geworden. Es zählt fast eine halbe Milliarde Einwohner, und zwei Drittel von ihnen zahlen mit einer gemeinsamen Währung, dem Euro. Der Vertrag von Lissabon, der im Dezember 2007 unterzeichnet wurde, sollte der Europäischen Union eine einheitliche Struktur und Rechtspersönlichkeit geben, den Vertrag von Maastricht ablösen und den 2005 in Frankreich und den Niederlanden abgelehnten Vertrag über eine Verfassung für Europa (VVE) ersetzen. Nach dem Ratifikationszeitplan sollte er vor den Wahlen zum EP zum 1. Januar 2009 in Kraft treten. 19 Mitgliedstaaten haben ihn bisher ratifiziert. Jedoch fand in Irland am 12. Juni 2008 ein Referendum statt, bei dem der Reformvertrag abgelehnt wurde, so dass die Reformen erneut stocken. 3. Aktuelle Stimmen zu Europa Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel ist der Preis "Vision for Europe" (Vision für Europa ) der Edmond-Israel-Stiftung verliehen worden. In ihrer Dankesrede sagte sie, Europa müsse für die Menschen fassbarer werden. Ein "höchstes Maß an Transparenz" innerhalb der europäischen Politik müsse das Ziel sein.7 Aber dieses Europa werde nur gelingen, wenn es sich wieder darauf besinne, woraus es entstanden ist. Das sei ein ge- 5 Vgl. http://www.kas.de/wf/doc/kas_10159-544-1-30.pdf (25.6.2008). 6 Was eint Europa? Christentum und kulturelle Identität, Günter Buchstab, Freiburg 2008. 7 Vgl. http://www.bundeskanzlerin.de/nn_4922/Content/DE/Artikel/2001-2006/2006/11/2006-11-14- european-vision-award.html (25.6.2008). - 6 - meinsames Verständnis von Werten, Freiheit, Demokratie und der Würde jedes einzelnen Menschen. Auf dieser Grundlage habe sich Europa nach den Schrecknissen des Zweiten Weltkriegs nur entwickeln können, weil Menschen in der Lage waren, über tiefe Kluften Brücken zu bauen, indem sie die gleichen Werte geteilt haben. Europa sei mehr als nur eine Vielzahl von Regelungen, es sei ein gemeinsames Werteverständnis, das gemeinsam nach außen getragen werden müsse. Bundeskanzler a.D. Dr. Helmut Kohl sprach 2007 vor Studierenden über die Vision Europas.8 Das „Haus Europa“ stehe zwar noch im Rohbau, aber es entwickele sich. Es sei erbaut aus den Quellen der Aufklärung und des Christentums. Die Zusammenarbeit zwischen den heute 27 Mitgliedern müsse, so Kohl, erst geregelt werden, bevor weitere Mitglieder aufgenommen werden könnten. „Von Adenauer habe ich eines gelernt: Unseren kleinsten Nachbar, Luxemburg, müssen wir gut behandeln. Wenn die Luxemburger gut über uns reden, reden alle gut über uns. Wenn sie schlecht von uns reden, dann sprechen alle schlecht von uns.“ Weiter betonte er: „Kleine Nationen werden soviel wie große gelten und durch ihren Beitrag für die gemeinsame Sache Ruhm erringen können .“ Und so habe keiner das Recht, auf den anderen mit Herablassung zu reagieren, betonte Kohl. Europa brauche kein „Direktorium“. Es gelte das Prinzip der Subsidiarität . Zugleich unterstrich er, dass Europa auch ein Europa der Kulturen und ein Europa der Jugend sei. In der 2. Freiburger Europa-Rede im Mai 2008 erklärte Prof. Dr. Hans-Gert Pöttering, dass der Dialog mit der islamischen Welt zu den wichtigen Zukunftsaufgaben der EU zähle. Er müsse auf Wahrhaftigkeit und gegenseitiger Toleranz gründen.9 Es sei nicht mit diesen Prinzipien vereinbar, dass ein Moslem, der in einem arabischen Land zum Christentum übertrete, mit dem Tode bestraft werden könne. Im vielfältigen Europa der 27 sei ein geduldiger, „interkultureller Dialog“ gefragt: „Einander Zuhören! Voneinander Lernen! Europa beginne nicht in Brüssel, sondern dort, wo wir Zuhause sind. Die Friedensfrage sei die eigentliche Zukunftsfrage des 21. Jahrhunderts: Das Recht wahrt am Ende den Frieden“. Mit dem Vertrag von Lissabon seien beste Voraussetzungen für einen dauerhaften Frieden in Europa gegeben. Im Rahmen der Europawoche war Ministerpräsident a.D. Prof. Dr. Bernhard Vogel am 6. Mai 2008 zu Gast in Oberkirch.10 Das "Haus Europa" sei momentan noch nicht 8 Rede „Europa – woher und wohin“ Helmut Kohls vor Studierenden der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät im Kupferbau am 23. Januar 2007. 9 Die europäische Perspektive - Werte, Politik, Wirtschaft, 2. Freiburger Europa Rede mit Prof. Dr. Pöttering am 27. Mai 2008 vgl. http://www.kas.de/proj/home/pub/91/1/dokument_id- 13825/index.html (24.6.2008). 10 „Quo vadis Europa?“: Prof. Dr. Bernhard Vogel 2008 in Oberkirch http://www.oberkirch.de/inhalt/aktuelles/pages/pdf_rundblick/rundblick_kw18_2008.pdf (25.6.2008). - 7 - wetterfest und müsse mit der Unterstützung seiner Bürger weitergebaut werden. Wer nach Deutschland komme, solle ein offenes Haus finden, dabei jedoch auch die Hausordnung , das Grundgesetz, achten. Nachdem die Visionen der Gründerväter Europas Wirklichkeit geworden sind, sei es nun an der Zeit, dass die Jugend neue Visionen entwickle .11 Europäer teilten eine über 2.000jährige Geschichte, eine reiche kulturelle Vergangenheit und Gegenwart mit gemeinsamen Werten und Vorstellungen von der politischen und wirtschaftlichen Ordnung unseres Kontinentes. Das sei bei Zukunftsentscheidungen Europas die vorgegebene Richtung. Das Spezifische und Verbindende einer europäischen Identität leitet sich vor allem daraus ab, dass es gelungen ist, die Traditionsstränge Antike, Christentum und Aufklärung miteinander zu verbinden und sie in einer gegenseitigen kritischen Spannung zu halten. Dr. Richard von Weizsäcker, Bundespräsident a.D. hielt bei der Verleihung des Internationalen Karlspreises zu Aachen an François Mitterrand, Staatspräsident der Republik Frankreich a.D., und Helmut Kohl, Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland a.D., am 1. November 1988 die Laudatio.12 Der Karlspreis wird für hervorragende Verdienste um die europäische Einigung verliehen. Das Herzstück der europäischen Einigung sei seit Kriegsende die Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland. Ihr Motor sei und bleibe die deutsch-französische Zusammenarbeit, die letztlich für den europäischen Erfolg entscheidend sein werde, und zwar gemeinsam. Ihre Basis bildeten griechische Philosophie, Christentum und Römisches Recht. Von Weizäcker warf die Frage auf: „Sind sie nicht Europäer wie wir, in derselben europäischen Geschichte und Kultur verwurzelt, einer Kultur, die in Straßburg wie in Krakau zu Hause ist, die von Salamanca über Prag bis Kiew reicht, die ohne Ionesco und Kafka, ohne Flaubert und Dostojewski, ohne Siegfried Lenz und Christa Wolf nicht zu verstehen ist? Menschen mit denselben Aspirationen wie wir?“ Gemeinsam mit der Europäischen Volkspartei (EVP), dem Zusammenschluss der christlich-demokratischen und bürgerlichen Parteien der Mitte, setzt sich die CDU für ein starkes und bürgernahes Europa ein. In ihrem Europamanifest 2004 unterstreicht die CDU, dass sie mit ihren Schwesterparteien von Beginn an entscheidend zur europäischen Integration und zum Aufbau eines vereinigten Europas in Frieden und Freiheit beigetragen.13 Europa stehe für Freiheit, Frieden, Toleranz, Rechtsstaatlichkeit und die universellen Menschenrechte. Diese Werte müssten gegen Fremdenfeindlichkeit, Intole- 11 „Was eint Europa?". Prof. Dr. Bernhard Vogel der KAS 2007 in Berlin, http://www.kas.de/wf/doc/kas_10159-544-1-30.pdf (25.6.2008). 12 vgl. http://www.karlspreis.de/index.php?id=13&doc=30&r=2 (25.6.2008). 13 Europa-Manifest der CDU, Beschluss des Bundesvorstands am 22. März 2004 vgl. http://www.cdu.de/europa_2004/europa-manifest/22_03_04_europamanifest.pdf (26.6.2008). . - 8 - ranz, Fundamentalismus und Angriffe von innen und außen verteidigt werden. Die CDU spricht sich für ein freundschaftlich geprägtes, partnerschaftliches Verhältnis zur Türkei aus. Das Land sei ein traditioneller Freund Deutschlands und ein verlässlicher Verbündeter der transatlantischen Allianz, dem das Konzept der „Privilegierten Partnerschaft“ statt eines Beitritts Rechnung trage.14 Es gibt Konzepte, die die Geschichte der europäischen Einigung. Seit vielen Jahren hält sich nun schon die Idee, die EU nicht im Gleichschritt, sondern in unterschiedlichen Geschwindigkeiten fortentwickeln.15 Berühmt wurde das Schäuble-Lamers-Papier von 1994,16 in dem die beiden deutschen Christdemokraten den Begriff vom "Kerneuropa " prägten: Ein kleiner Zirkel, bestehend aus Deutschland, Frankreich und den Beneluxstaaten sollte enger kooperieren, als die anderen Staaten. Vor Schäuble/Lamers hatte damals unter anderem bereits der französische Premierminister Edouard Balladur explizit ein "Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten" eingefordert. Der Begriff Kerneuropa wurde in den vergangenen Jahren im Zusammenhang mit unterschiedlichen Bemühungen um eine europäische Einigung immer wieder aufgegriffen. Dabei wurden verschiedene Ausprägungsformen wie das das Modell eines „Europa der zwei Geschwindigkeiten “ und das Konzept der „Abgestuften Integration“ diskutiert. In jüngster Zeit hat man von dieser Idee jedoch wieder Abstand genommen, da sie nach Meinung ihrer Gegner Europa eher spalte als einige. Insbesondere Bundeskanzlerin Merkel lehnt einen solchen Zusammenschluss weniger europäischer Staaten ab. Wolfgang Schäuble, ehedem ein Verfechter dieser Idee, stimmte der Parteichefin zu und stufte seine alten Überlegungen als untauglich für die jetzige Situation ein.17 4. Konservative Initiativen Die Paneuropa-Union ist die älteste europäische Einigungsbewegung. Sie tritt für ein politisch und wirtschaftlich geeintes, demokratisches und friedliches Europa auf Grundlage des christlich-abendländischen Wertefundaments ein. Die Paneuropa-Union wurde 1922 von Richard Nikolaus Graf von Coudenhove-Kalergi unter dem Eindruck des Ersten Weltkriegs gegründet. Sie hat die Vision eines in Freiheit, Recht und Frieden geein- 14 vgl. http://www.cdu.de/europa_2004/europa-manifest/22_03_04_europamanifest.pdf (26.6.2008). 15 vgl. http://www.europa-digital.de/aktuell/dossier/esvp/esvu.shtml (26.6.2008). 16 vgl. http://www.cducsu.de/upload/schaeublelamers94.pdf (26.6.2008). 17 vgl.http://www.focus.de/politik/ausland/karl-lamers-cdu-aussenpolitiker-warnt-vor-schockstarreder -eu_aid_312676.html(26.6.2008). - 9 - ten Europa.18 Das Ideal der Paneuropabewegung, ein nach christlichen Wertvorstellungen aufgebautes Europa.19 Historische Mitglieder der Paneuropa-Union waren unter anderem Albert Einstein, Thomas Mann, Franz Werfel, Salvador de Madariaga, Charles de Gaulle, Aristide Briand , Konrad Adenauer, Franz Josef Strauß, Bruno Kreisky und Georges Pompidou. Ab 1933 von den Nationalsozialisten in Deutschland verboten, wurde sie nach dem Zweiten Weltkrieg wiedergegründet. Präsident der internationalen Paneuropa-Union war von 1973 bis 2004 Otto von Habsburg, der nun internationaler Ehrenpräsident ist. Präsident der Paneuropa-Union Deutschland ist der CSU-Europa-Abgeordnete Bernd Posselt. Seit 1975 besteht ebenfalls eine Jugendorganisation, die Paneuropa-Jugend. Die deutsche Paneuropa-Union steht der CSU sowie den Vertriebenenverbänden nahe. Das Netzwerk Europäische Bewegung Deutschland ist der überparteiliche Zusammenschluss von 145 Interessengruppen aus nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen: Wirtschafts- und Berufsverbände, Gewerkschaften, Bildungsträger, wissenschaftliche Institute, Stiftungen, Parteien und Unternehmen. Die Gründung der Europäischen Bewegung geht auf den Haager Europa-Kongreß im Mai 1948 zurück. Ziel des Kongresses war es, die verschiedenen Europaverbände unter einem Dach zusammenzuführen. Das Netzwerk organisiert Europa-Kommunikation und Europäische Vorausschau im Dialog mit EU-Akteuren auf nationaler und europäischer Ebene. Die Landesverbände der Europäischen Bewegung versuchen, vor allem die Jugend für den europäischen Gedanken zu begeistern. Aus der Sicht einiger Landesverbände hat die Vision von 1948 an Zugkraft verloren. 20 Es fehle an Persönlichkeiten mit Visionskraft für die Ausgestaltung des Hauses Europa und die Zustimmung der Bürger sei im Schwinden. Dabei sei die EU nicht unverletzlich und nicht selbstverständlich. Man müsse ständig an ihr arbeiten. Die Aktion Europa ist als Partnerschaftsnetzwerk von der Bundesregierung in Zusammenarbeit mit der Vertretung der Europäischen Kommission in Deutschland, dem Informationsbüro des Europäischen Parlaments für Deutschland, den Bundesländern, kommunalen Spitzenverbänden und Vereinen ins Leben gerufen worden. Sie soll dazu beitragen, die Kenntnisse über die Europäische Union in Deutschland zu vertiefen, die Bedeutung der europäischen Zusammenarbeit für das Leben jedes Einzelnen erkennbar zu machen und einen regen Austausch zwischen europapolitisch Interessierten zu befördern . Dazu werden unter dem Dach der Aktion Europa Projekte entwickelt und durch- 18 vgl. http://www.paneuropa.org/de/grundsatz.htm (25.6.2008). 19 „Es gibt ein großes und herrliches Land, das sich selbst nicht kennt … Es heißt Europa." Die Diskussion um die Paneuropaidee in Deutschland, Frankreich und Großbritannien 1922 – 1933 Verena Schöberl, Berlin 2008. 20 Frieden in Europa war die zentrale Vision auf dem 1. Kongress der Europäischen Bewegung in Den Haag 1948, vgl. http://www.eb-bayern.de/D.htm (25.6.2008). - 10 - geführt, für die die Europäische Kommission jährlich zusätzliche Mittel aus ihrem Haushalt zur Verfügung stellt.21 Der Arbeitskreis Europäische Integration e.V. (AEI) ist eine interdisziplinäre wissenschaftliche Vereinigung, die sich die Beschäftigung mit Fragen der europäischen Integration und der EU-Entwicklung zum Ziel gesetzt hat. Er wurde 1969 gegründet und zu seinen Mitbegründern zählen der erste Präsident der EG-Kommission, Prof. Dr. Walter Hallstein, sowie Staatssekretär Prof. Dr. Alfred Müller-Armack. Zu den gegenwärtig rund 430 Mitgliedern des AEI gehören neben Hochschullehrern (vor allem der Rechts-, Wirtschafts- und Politikwissenschaft sowie der Geschichte) und Mitarbeitern von Forschungsinstituten Angehörige verschiedenster Institutionen und Organisationen, deren Arbeitsschwerpunkt auf dem Gebiet der EU-Integration liegt. Das Institut für Europäische Politik verbindet in seiner Arbeit die Analyse aktueller Probleme mit der Ausleuchtung langfristiger Entwicklungstrends der Europapolitik. Ein besonderes Augenmerk der Institutsarbeit gilt dem Auf- und Ausbau des Regelwerks für europäisches Regieren sowie der Entwicklung europäischer Verfassungsstrukturen. Zahlreiche weitere Initiativen engagieren sich für Europa und viele von Ihnen haben konservative Gründer, Präsidenten und Kuratoriumsmitglieder.22 Annex: Reformbemühungen in Europa: Der Beginn der achtziger Jahre war von einer intensiven Reformdiskussion gekennzeichnet . Trotz zahlreicher Anläufe hatte die Europäische Gemeinschaft nach einem Vierteljahrhundert nicht den Sprung zu einer politischen Union geschafft. Die Notwendigkeit einer umfassenden Reform der EG und die sinkende Popularität des Europa- Gedankens bewogen den früheren Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher 1981 zu einer neuen Europa-Initiative.23 Zentrale Ziele waren: die Entscheidungsprozesse sollten effizienter gestaltet werden, u. a. durch den Abbau der Führungsposition des Europäischen Rates, durch erweiterte Kompetenzen des Europäischen Parlaments und durch die Abkehr vom Einstimmigkeitsprinzip im Ministerrat, 21 vgl. http://www.aktion-europa.diplo.de/aktion-europa/de/Startseite.html (25.6.2008) 22 vgl. Gesamtüberblick über die Mitglieder der Europäischen Bewegung http://europaeischebewegung .de/index.php?id=1364 (15.6.2008). 23 vgl. http://www.europa-digital.de/aktuell/dossier/vertraege/vertrag2.shtml (24.6.2008). - 11 - die Sicherheitspolitik sollte in die Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ) einbezogen werden und unter dem gemeinsamen Dach des Europäischen Rates verbunden werden, die Zusammenarbeit im kulturellen und politischen Bereich sollte ausgebaut werden. Es bedurfte noch zahlreicher Gipfeltreffen und einer personellen Veränderung, bis sich die Mitgliedstaaten auf ein erstes Reformpaket einigen konnten. Mit Jacques Delors stand der Europäischen Kommission ab 1985 ein Präsident vor, der die Integration der Gemeinschaft energisch förderte, indem er die Vollendung des Binnenmarkts konsequent vorantrieb. Dazu sollten die Römischen Verträge von 1957 ergänzt und die politischen Entscheidungsstrukturen verbessert werden: Stärkung des Mehrheitsprinzips im Rat sowie der Stellung des 1979 erstmals direkt gewählten Europäischen Parlaments durch Einführung des neuen Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen Rat und Parlament . Im Februar 1986 unterzeichnet, trat die Neuausrichtung der Gemeinschaft in Form der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) im Juli 1987 in Kraft. Der Zeitplan sah vor, dass der Europäische Binnenmarkt bis Ende 1992 in allen Feldern verwirklicht sein sollte. Zug um Zug wurde dieses Programm durch klare Zeitlimits und Kontrollen der Kommission bei zugleich enger Abstimmung mit dem Rat umgesetzt. Die Vorgaben der Gemeinschaft schlugen nun in deutlich erhöhtem Maße auf die einzelstaatliche Gesetzgebung in den Mitgliedsländern durch. Mit der Einführung einer Europahymne und der Übernahme der Flagge des Europarats für die EG markierte die EEA auch symbolisch einen Aufbruch der Gemeinschaft zu neuen Zielen. Gemeinsam sorgten Mitterrand und Kohl für das Zusammentreten von Regierungskonferenzen zur Wirtschafts- und Währungsunion (Finanzminister) und zur politischen Union (Außenminister ) noch im Dezember 1990. Ihrem Vorschlag gemäß sollten Umweltpolitik, Einwanderung und Asylrecht, Gesundheit und Drogenbekämpfung vergemeinschaftet werden, eine europäische Staatsbürgerschaft eingeführt und eine Gemeinsame Außenund Sicherheitspolitik (GASP) auf den Weg gebracht werden. In dem am 7. Februar 1992 in Maastricht von den Außenministern unterzeichneten Vertrag über die Europäische Union (geläufig auch als „Maastrichter Vertrag“ oder „Unionsvertrag“) war außerdem die Zusammenarbeit in der Justiz- und Innenpolitik festgeschrieben sowie die Einführung einer gemeinsamen Währung bis spätestens zum 1. Januar 1999 vereinbart. Mehr als die erst bei wenigen ins Bewusstsein gedrungene Unionsbürgerschaft hat – bereits vor dem Euro – der Abbau der Grenzkontrollen und Grenzanlagen zwischen den Bürgern der am Schengener Abkommen beteiligten Mitgliedstaaten ein Gefühl europäischer Zusammengehörigkeit wecken können. Die als Bestandteil des Binnenmarkts in der Einheitlichen Europäischen Akte festgeschriebene Freizügigkeit des Personenverkehrs wurde durch das 1985 in Schengen getroffene Ab- - 12 - kommen zunächst von den Beneluxstaaten, Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland auf den Weg gebracht, ohne dass aber die dazu nötige polizeiliche Zusammenarbeit und Vereinheitlichung der Visa die Durchführung schon gestattet hätte. In einem zweiten Abkommen (Schengen II) wurden 1990 solche der Sicherheit dienenden Regelungen getroffen, erst ab 1995 die Freizügigkeit aber tatsächlich praktiziert. Zum 1. Januar 1999 wurde der Euro als Buchgeld eingeführt, zum 1. Januar 2002 als alleiniges Bargeldzahlungsmittel in sämtlichen Teilnehmerländern. Der Vertrag von Amsterdam wurde von den EU-Staats- und Regierungschefs am 2. Oktober 1997 unterzeichnet. Er trat am 1. Mai 1999 in Kraft und ergänzt den Vertrag von Maastricht, löst diesen aber nicht ab. Er sollte ursprünglich dazu dienen, die Europäische Union nach der Osterweiterung handlungsfähig zu halten. Eine durchgreifende Reform der EU scheiterte allerdings und machte weitere Reformen nötig. Der Vertrag wurde am 11. Dezember 2000 beim Europäischen Rat in Nizza von den Staats- und Regierungschefs beschlossen und trat nach der Ratifizierung am 1. Februar 2003 in Kraft. Auch er sollte die EU an die geänderte Situation nach der Erweiterung anpassen, doch die Mitgliedstaaten konnten sich nicht auf die notwendigen institutionellen Reformen einigen. Auch bei der Osterweiterung brachten verschiedene „Altmitglieder“ ihre Sonderinteressen ins Spiel. Anpassungs- und Übergangsregelungen waren im Agrarbereich und bei der Freizügigkeit der Arbeitnehmer häufiger Verhandlungsgegenstand im Rat und auf den Gipfeltreffen der Regierungschefs. Der Beitritt von zwölf neuen Mitgliedstaaten zur EU erfolgte am 1. Mai 2004 bzw. am 1. Januar 2007. Mit der Berufung eines Europäischen Konvents zur Ausarbeitung eines EU- Verfassungsvertrags versuchte der Europäische Rat im Dezember 2001, die Blockade der eigenen Handlungsfähigkeit zu durchbrechen. Der auch mit Vertretern der MOE- Beitrittskandidaten besetzte Konvent tagte vom 28. Februar 2002 bis 20. Juli 2003 und legte einen Entwurf vor, der u. a. in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und bei der Entscheidungsfindung im Rat deutliche Effizienzverbesserungen vorsah. Seit dem 4. Oktober 2003 beriet eine Regierungskonferenz über den Entwurf, gelangte aber wiederum nur mühsam zu einem Kompromiss. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte sich dafür eingesetzt, in die Präambel des europäischen Verfassungsvertrags einen Bezug auf Gott aufzunehmen. Die CDU-Vorsitzende erinnerte an das „klare Bekenntnis“ des Grundgesetzes zur „Verantwortung vor Gott und den Menschen“.24 Andere forderten die Erwähnung des „christlichen Humanismus“ oder der „universellen christlichen Werte“.25 Letztlich sind aber die Bemühungen um einen Gottesbezug in der Präambel der Verfassung gescheitert. 24 Vgl. http://www.focus.de/politik/ausland/eu-verfassung_aid_123057.html (26.6.2008). 25 Vgl. http://www.die-tagespost.de/Archiv/titel_anzeige.asp?ID=4340 (26.6.2008). - 13 - Nach der Unterzeichnung des Vertrags am 29. Oktober 2004 in Rom hätte er am 1. November 2006 in Kraft treten sollen. Mit den ablehnenden Plebisziten der Franzosen und der Niederländer hat der Ratifizierungsprozess durch zwei Gründerstaaten der EU aber so schwere Rückschläge erlitten, dass der Europäische Rat stattdessen im Oktober 2007 den Vertrag von Lissabon beschlossen hat, der ebenfalls auf eine institutionelle Stärkung der Gemeinschaft zielt. Diesen Vertrag haben bisher 19 Mitgliedstaaten ratifiziert und er sollte zum 1. Januar 2009 in Kraft treten. Mit dem ablehnenden irischen Referendum vom 12. Juni 2008 ist der Ratifizierungsprozess ins Stocken geraten. Bis zum Europäischen Rat im Oktober 2008 sollen die Iren die Gelegenheit erhalten, ihre Auffassung zu überdenken. Sollten sie bei ihrer Haltung bleiben, wird über Modelle des weiteren Fortschreitens auch ohne die Zustimmung aller Mitgliedstaaten nachgedacht werden. - Fachbereich Europa -