Deutscher Bundestag Die unionsrechtliche Zulässigkeit des unbegrenzten Ankaufs von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 11 – 3000 – 153/12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 153/12 Seite 2 Die unionsrechtliche Zulässigkeit des unbegrenzten Ankaufs von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank Aktenzeichen: WD 11 – 3000 – 153/12 Abschluss der Arbeit: Datum 24.09.2012 Fachbereich: WD 11: Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 153/12 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Hintergrund der Programme für Anleihenkäufe 4 2.1. „Securities Market Programm“ 2010 4 2.2. „Outright Monetary Transactions“ 2012 5 3. Aufgaben und Struktur der EZB 6 3.1. Aufgaben 6 3.2. Struktur 6 3.3. Unabhängigkeit 6 4. Grundsätzliche unionsrechtliche Zulässigkeit des Ankaufs von Staatsanleihen 7 5. Die Vereinbarkeit eines unlimitierten Ankaufs von Staatsanleihen mit Unionsrecht 8 5.1. Vereinbarkeit mit den Zielen und Aufgaben des ESZB, Art. 127 AEUV 8 5.1.1. Argumente gegen eine Vereinbarkeit des OMT-Programms mit Art. 127 AEUV 8 5.1.2. Argumente für eine Vereinbarkeit des OMT-Programms mit Art. 127 AEUV 9 5.1.3. Bewertung der Vereinbarkeit des OMT-Programms mit Art. 127 AEUV 10 5.2. Vereinbarkeit mit Art. 125 AEUV 10 5.3. Vereinbarkeit mit Art. 123 AEUV 10 5.3.1. Norminhalt 11 5.3.2. Normzweck 11 5.3.3. Diskussion der Vereinbarkeit mit Art. 123 AEUV 12 5.3.3.1. Argumente für eine Vereinbarkeit des OMT-Programms mit Art. 123 AEUV 12 5.3.3.2. Argumente gegen eine Vereinbarkeit des OMT-Programms mit Art. 123 AEUV 12 5.3.3.3. Einfluss der institutionellen Stellung der EZB 13 5.3.3.4. Bewertung der Vereinbarkeit des OMT-Programms mit Art. 123 AEUV 13 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 153/12 Seite 4 1. Einleitung Am 6. September 2012 entschied der EZB-Rat, geldpolitische Outright-Geschäfte (Outright Monetary Transactions – OMTs) an den Sekundärmärkten für Staatsanleihen im Eurogebiet durchzuführen , um Störungen des Preisbildungsprozesses an diesen Märkten durch dem Volumen nach unbegrenzte Anleihenkäufe zu beheben.1 In diesem Kontext vertritt die Deutsche Bundesbank die Auffassung, „dass insbesondere Staatsanleihekaufe des Eurosystems kritisch zu bewerten und nicht zuletzt mit erheblichen stabilitätspolitischen Risiken verbunden sind. Entscheidungen über eine möglicherweise noch deutlich umfassendere Vergemeinschaftung von Solvenzrisiken sollten bei der Finanzpolitik beziehungsweise den Regierungen und Parlamenten angesiedelt sein und nicht über die Notenbankbilanzen erfolgen.“2 Die widerstreitenden Auffassungen werfen die Frage auf, ob ein unbegrenzter Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB von der Kompetenz der EZB gedeckt ist. Zum besseren Verständnis werden zunächst die Hintergründe der Programme für Anleihenkäufe (2) sowie Aufgaben, Struktur, Organisation und Unabhängigkeit der EZB dargestellt (3), um nach der Erörterung der grundsätzlichen Zulässigkeit von Anleihenkäufen durch die EZB (4) die Frage des unbegrenzten Anleihenkaufs zu diskutieren (5). 2. Hintergrund der Programme für Anleihenkäufe 2.1. „Securities Market Programm“ 2010 Ausgangspunkt der Ankäufe von Staatsanleihen durch die EZB in Reaktion auf die Verschuldungskrise ist das „Programm für die Wertpapiermärkte“ (Securities Market Programm – SMP) vom 10. Mai 2010.3 Das Programm wird für einen nicht bestimmten Zeitraum und ohne beabsichtigtes Interventionsvolumen durchgeführt. Das SMP ermächtigt die EZB und die Zentralbanken des Eurosystems, vorübergehend zugelassene marktfähige Schuldtitel, die von den Zentralstaaten oder öffentlichen Stellen der Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, begeben werden, auf dem Sekundärmarkt anzukaufen. Dabei entscheidet der EZB-Rat über den Umfang der Interventionen .4 1 Zu der bislang nicht veröffentlicht Entscheidung vgl. die Pressemitteilungen der EZB vom 6.9.2012 (Measures to preserve collateral availability, abrufbar unter http://www.ecb.int/press/pr/date/2012/html/pr120906_2.en.html; Technical features of Outright Monetary Transactions, abrufbar unter http://www.ecb.int/press/pr/date/2012/html/pr120906_1.en.html#); Presseerklärung von EZB-Präsident Draghi vom 6. September, abrufbar unter https://www.ecb.int/press/pressconf/2012/html/is120906.en.html 2 Deutsche Bundesbank, Monatsbericht August 2012, S. 26; vgl. auch „Zur Diskussion um Sekundärmarktkäufe des künftigen Europäischen Stabilitätsmechanismus“, in: Deutsche Bundesbank, Monatsbericht Februar 2011, S. 73. 3 Beschluss der Europäischen Zentralbank vom 14. Mai 2010 zur Einführung eines Programms für die Wertpapiermärkte , EZB/2010/5, 2010/281/EU, ABl. 2010 L 124/8. 4 4. Erwägungsgrund des Beschlusses der Europäischen Zentralbank vom 14. Mai 2010 zur Einführung eines Programms für die Wertpapiermärkte, EZB/2010/5, 2010/281/EU, ABl. 2010 L 124/8. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 153/12 Seite 5 Die EZB verfolgt mit diesem Programm das Ziel, durch den Ankauf von Staatsanleihen den starken Spannungen insbesondere an den Märkten für Staatsanleihen entgegenzuwirken. Ziel des Programms ist es, Störungen an den Wertpapiermärkten zu beheben und einen angemessenen geldpolitischen Transmissionsmechanismus5 wiederherzustellen. Insgesamt sollen so Tiefe und Liquidität für den Markt und die Durchführbarkeit der auf Preisstabilität gerichteten Geldpolitik sichergestellt werden.6 2.2. „Outright Monetary Transactions“ 2012 Die Entscheidung vom 9. September 2012 über Outright-Geschäfte7 (OMT) betrifft an sich standardisierte Offenmarktgeschäfte im geldpolitischen Handlungsrahmen des Eurosystems.8 Diese Operationen sind vom Eurosystem grundsätzlich dafür vorgesehen, die strukturelle Liquiditätsposition des Finanzsektors gegenüber dem Eurosystem anzupassen. Im Rahmen seiner krisenbedingten geldpolitischen Sondermaßnahmen hat der EZB-Rat weitergehende geldpolitische Outright-Ankäufe mit veränderter Zielsetzung beschlossen. Zentrales Element der OMTs besteht darin, die Finanzierungsbedingungen der Realwirtschaft besser mit den Leitzinsen der EZB in Einklang zu bringen und zugleich die Staatsanleihenmärkte gegen gravierende Schwierigkeiten abzusichern.9 Das Ankaufprogramm soll auf das Anleihen mit ein- bis dreijährigen Laufzeiten beschränkt sein und im Volumen unbegrenzt, jedenfalls aber ausreichend sein. Notwendige Voraussetzung für die OMTs ist eine mit EFSF bzw. ESM verbundene strenge Konditionalität eines vollständigen makroökonomischen Anpassungsprogramms oder eines vorsorglichen Programms. Eine OMT soll nur dann erfolgen, wenn sie aus geldpolitischer Sicht geboten und solange die mit dem Programm verbundene Konditionalität erfüllt ist.10 5 Vgl. Deutsche Bundesbank, Glossar: „Der Transmissionsmechanismus beschreibt, wie sich die Änderung einer geldpolitischen Handlungsvariablen (z. B. des Leitzinses) auf ökonomische Variablen (wie Preisniveau, Produktion und Beschäftigung) überträgt. Die Transmission geldpolitischer Maßnahmen kann sich über unterschiedliche „Kanäle“ vollziehen, wobei sich manche Wirkungen sehr rasch einstellen können, andere hingegen viel Zeit benötigen. Art und Umfang der Wirkungen auf das Endziel sind häufig unsicher.“ 6 2. Erwägungsgrund des Beschlusses der Europäischen Zentralbank vom 14. Mai 2010 zur Einführung eines Programms für die Wertpapiermärkte, EZB/2010/5, 2010/281/EU, ABl. 2010 L 124/8. 7 Hierdurch wird der definitive Kauf oder Verkauf von Vermögenswerten wie beispielsweise Wertpapieren durch eine Zentralbank für eigene Rechnung am offenen Markt (Offenmarktgeschäft) verstanden, vgl. Deutsche Bundesbank , Glossar, Stichwort Outright-Geschäft. 8 Anhang I Nr. 1.3. der Leitlinien der Europäischen Zentralbank vom 20. September 2011 über geldpolitische Instrumente und Verfahren des Eurosystems, EZB/2011/14, 2011/817/EU, ABl. L 331/1. 9 Pressemitteilung der EZB vom 6.9.2012 (Measures to preserve collateral availability), abrufbar unter http://www.ecb.int/press/pr/date/2012/html/pr120906_2.en.html; EZB-Monatsbericht, September 2012, S. 7-10. 10 Pressemitteilung der EZB vom 6.9.2012 (Technical features of Outright Monetary Transactions), abrufbar unter http://www.ecb.int/press/pr/date/2012/html/pr120906_1.en.html#). EZB-Monatsbericht, September 2012, S. 11. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 153/12 Seite 6 3. Aufgaben und Struktur der EZB 3.1. Aufgaben Die EZB verfügt über eigene Rechtspersönlichkeit und betreibt gemeinsam mit den nationalen Zentralbanken im institutionellen Rahmen des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) die primäre Aufgabe, Preisstabilität zu gewährleisten (Art. 127 Abs. 1 AEUV). Durch den Verweis auf die Grundsätze des Art. 119 AEUV wird das ESZB in Art. 127 Abs. 1 AEUV gleichzeitig verpflichtet , die Grundsätze der liberalen europäischen Wirtschaftsverfassung zu achten. Das Hinwirken auf Preisstabilität muss trotz seiner herausragenden Gewichtung auch mit entgegenstehenden Zielen der EU wie etwa der Sicherstellung eines hohen Beschäftigungsniveaus in Einklang gebracht werden und kann daher nicht im Sinne eine strikten Nullinflation verstanden werden. Dem Begriff der Preisstabilität ist daher ein gewisser Beurteilungsspielraum und bezüglich der Erreichung der Zielsetzung ein Einschätzungs- und Prognosespielraum beizumessen. Der EZB-Rat hat in eigener Definition des Begriffs Preisstabilität festgelegt, dass „mittelfristig eine Preissteigerungsgrenze von nahe 2%“ beibehalten werden solle.11 Um dieses Ziel zu erreichen werden dem ESZB in Art. 127 Abs. 2 AEUV vier grundlegende Aufgabenbereiche zugewiesen. Zu den vorliegend relevanten Aufgaben der EZB gehört nach Art. 127 Abs. 2 unter anderem die Festlegung und Ausführung der Geldpolitik, welche in Art. 18 ESZB- Satzung präzisiert wird.12 Zudem obliegt dem ESZB gem. Art. 127 Abs. 2 AEUV die Durchführung von Devisengeschäften, der Verwaltung der Währungsreserven der Mitgliedstaaten und die Förderung des reibungslosen Funktionierens der Zahlungssysteme.13 Nach Art. 127 Abs. 5 AEUV trägt die EZB zur reibungslosen Durchführung der von den zuständigen Behörden zur Stabilisierung des Finanzsystems ergriffenen Maßnahmen bei. Schließlich kann der Rat der EU nach Art. 127 Abs. 6 AEUV der EZB einstimmig besondere Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute und sonstige Finanzinstitute mit Ausnahme von Versicherungsunternehmen übertragen. 3.2. Struktur Die EZB wie auch das ESZB wird vom EZB-Rat geleitet und von einem EZB-Direktorium verwaltet . Das Direktorium besteht gemäß Art. 283 Abs. 2 AEUV aus dem Präsidenten, dem Vizepräsidenten und weiteren vier Mitgliedern; diese werden für die Dauer von acht Jahren vom Europäischen Rat ernannt. Der EZB-Rat besteht nach Art. 283 Abs. 1 AEUV aus den Mitgliedern des Direktoriums und den Präsidenten der nationalen Zentralbanken der Mitgliedstaaten der Eurozone. 3.3. Unabhängigkeit Vorrangiges Ziel des ESZB ist die Sicherstellung von Preisstabilität in der Europäischen Union (Art. 127, Art. 282 Abs. 3 S. 3 AEUV). Zu diesem Zweck ist es erforderlich, dass das ESZB und 11 Pressemitteilung der EZB vom 8. Mai 2003, abrufbar unter http://www.ecb.int/press/pr/date/2003/html/pr030508_2.de.html 12 Häde, in: Calliess/Ruffert, Kommentar zum EUV/AEUV, 4. Aufl., Art. 127 AEUV, Rn. 9 ff. 13 Häde, in: Calliess/Ruffert, Kommentar zum EUV/AEUV, 4. Aufl., Art. 127 AEUV, Rn. 9 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 153/12 Seite 7 insbesondere die EZB von den politischen Staats- und Regierungschefs in der EU und in den Mitgliedstaaten unabhängig sind.14 Art. 130 AEUV normiert daher, dass weder die EZB noch eine nationale Zentralbank noch ein Mitglied ihrer Beschlussorgane bei der Wahrnehmung der durch die Verträge und die Satzung des ESZB und der EZB übertragenen Befugnisse, Aufgaben und Pflichten sowie Weisungen von Organen, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der EU, Regierungen der Mitgliedstaaten oder anderen Stellen einholen oder entgegennehmen darf. Obzwar die EZB gemäß Art. 13 EUV Organ der EU ist, werden trotz ihrer Organstellung die Rechtsakte der EZB nicht der EU, sondern unmittelbar der EZB zugerechnet. Ein Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB kann ebenso nicht auf Ermächtigungen der Mitgliedstaaten zurückgehen, sondern gilt stets als eine autonome Handlung der EZB bzw. des ESZB. 4. Grundsätzliche unionsrechtliche Zulässigkeit des Ankaufs von Staatsanleihen Maßgebliche Vorschrift für die Beurteilung der grundsätzlichen Vereinbarkeit des Erwerbs von Staatsanleihen mit der Mandat der EZB ist der Art. 127 ff. AEUV konkretisierende Art. 18 EZB- Satzung15, welcher die sog. Offenmarkt- und Kreditgeschäfte regelt. Danach ist es der EZB zur Erreichung ihrer Ziele und zur Erfüllung ihrer Aufgaben unter anderem gestattet, durch den Kauf und Verkauf von börsengängigen Wertpapieren auf den Finanzmärkten tätig zu werden. Die durch die EZB am Finanzmarkt erworbene Staatsanleihen fallen unter den von Artikel 18.1 1. Spiegelstrich ESZB-Satzung verwendeten Begriff der börsengängigen Wertpapiere. Der Begriff „börsengängige Wertpapiere“ ist weit auszulegen und umfasst alle Vermögenswerte, die auf den Finanzmärkten gehandelt werden.16 Börsengängige Wertpapiere sind dabei alle Vermögenswerte, die an einem geregelten Markt im Sinne der RL 2004/39/EG zum Handel zugelassen sind und die auf den Finanzmärkten gehandelt werden.17 Hierunter fallen auch marktfähige staatliche Schuldtitel , welche zur Refinanzierung an den Kapitalmärkten emittiert werden.18 Staatsanleihen sind festverzinsliche Wertpapiere, mit denen sich ihr Emittent (die öffentliche Hand) am Kapitalmarkt Geld leihen kann. Wie Aktien werden auch Staatsanleihen an der Börse zugelassen und gehandelt . Dementsprechend und ausweislich Art. 18.1 1. Spiegelstrich der EZB-Satzung bleibt der mittelbare Erwerb von Schuldtiteln an den Kapitalmärkten (Sekundärmarktkäufe) durch die EZB ebenso grundsätzlich zulässig wie eine Offenmarktpolitik der Zentralbank.19 14 Häde, in: Calliess/Ruffert, Kommentar zum EUV/AEUV, 4. Aufl., Art. 282 AEUV, Rn. 44 ff. 15 Protokoll (Nr. 4) über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der EZB, ABl. C 115 v. 9.5.2008, S. 230. 16 Weenink, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, 6. Auflage 2003, Art. 18 Protokoll (Nr. 18) über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank, Rn. 1 ff. 17 ABl. 2004 Nr. L 145/1. 18 Vgl. Leitlinie der Europäischen Zentralbank vom 2. August 2012 über zusätzliche zeitlich befristete Maßnahmen hinsichtlich der Refinanzierungsgeschäfte des Eurosystems und der Notenbankfähigkeit von Sicherheiten und zur Änderung der Leitlinie EZB/2007/9, EZB/2012/18 (2012/476/EU); EZB 19 Vgl. Deutsche Bundesbank, Monatsbericht August 2012, S. 62. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 153/12 Seite 8 5. Die Vereinbarkeit eines unlimitierten Ankaufs von Staatsanleihen mit Unionsrecht Das neue OMT unterscheidet sich quantitativ von dem bisherigen SMP dadurch, dass der Umfang von Anleihenkäufen im neuen Programm nicht von weiteren Entscheidungen des EZB-Rates abhängig ist, sondern vielmehr anfänglich „unbegrenzt, jedenfalls aber ausreichend“ sein soll. Damit stellt sich in Parallele zu der Diskussion über das SMP die Frage, ob das neue OMT vom Handlungsauftrag der EZB erfasst wird.20 Als Organ der EU werden die Handlungsbefugnisse der EZB nicht allein durch ihre Kompetenzen, sondern durch das Recht der Europäischen Union insgesamt determiniert. Damit bemisst sich die Bewertung sowohl nach den dem ESZB und insbesondere der EZB zugewiesenen Kompetenzen (Art. 127 AEUV) als auch nach dem allgemeinen unionsrechtlichen Rahmen der Währungsunion (insbesondere Art. 123, 125 AEUV). Ob der unbegrenzte Ankauf von Staatsanleihen durch die EZB mit diesen Maßstäben vereinbar ist, kann aufgrund des politisch-ökonomischen Charakters der Normen mit dem Instrument der juristischen Auslegung nur eingeschränkt beantwortet werden. Aufgrund des der EZB einzuräumenden Beurteilungs- , Einschätzungs- und Prognosespielraums bei den zu treffenden Entscheidungen ist bereits der Prüfungsmaßstab, an dem das Verhalten der EZB zu messen ist, nicht klar definierbar. Das Recht kann insoweit bei wirtschaftpolitischen Fragestellungen höchstens Grenzen aufzeigen, innerhalb derer die konkreten Entscheidungen der politischen Institutionen über Inhalte und Prioritäten fallen. 5.1. Vereinbarkeit mit den Zielen und Aufgaben des ESZB, Art. 127 AEUV 5.1.1. Argumente gegen eine Vereinbarkeit des OMT-Programms mit Art. 127 AEUV Mit Blick auf die Gewährleistung von Preisstabilität als primäre Aufgabe des ESZB lässt sich vertreten , dass die OMTs gegen dieses Primärziel verstoßen und die EZB mit der Ankündigung eines a priori unlimitierten Anleihenprogramms außerhalb ihrer unionsrechtlich radizierten Zuständigkeiten handelt: Soweit die EZB die aufgekauften Anleihen bis zur Fälligkeit behält und so vom Markt nimmt, könnte die politische Steuerungsflexibilität begrenzt und so ein „moral hazard “-Verhalten der emittierenden Staaten unterstützt werden, was wiederum die Preisstabilität langfristig gefährden könnte.21 In Bezug auf Art. 127 Abs. 5 AEUV wird angeführt, die Stabilisierung der Finanzsysteme dürfe nicht vom ESZB verfolgt werden. Sie ob liege vielmehr den Behörden der Mitgliedstaaten, denen die Aufsicht über die Finanzmärkte übertragen sei.22 Das ESZB sei hingegen auf die bloße Mitwirkung bei der Aufsicht und Überwachung der Kreditwirtschaft beschränkt. 20 Vergleiche die eingehenden Ausführungen in der Ausarbeitung von Alexander Hoffmann, Der Ankauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank, WD11 – 3000 – 121/11. 21 Horn, Die EZB als Gläubigerin der letzten Instanz, in: Wirtschaftsdienst 2012, S. 84; EZB-Monatsbericht, September 2012, S. 11. 22 Zu den bisherigen SMP vgl. Seidel, Der Ankauf nicht markt- oder börsengängiger Staatsanleihen, namentlich Griechenlands, durch die Europäische Zentralbank und durch nationale Zentralbanken – rechtlich nur fragwürdig oder Rechtsverstoß, in: Zeitschrift für Europäisches Wirtschaftsrecht 2010, S. 521. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 153/12 Seite 9 Ihr unbegrenztes Engagement könnte durch die Konditionalität der OMTs die Unabhängigkeit der EZB in Frage stellen. Ist die strenge und wirksame Konditionalität im Sinne von EFSF und ESM notwendige Voraussetzung für eine OMT, so ist das Handeln der EZB – jedenfalls aus deutscher Sicht – auf der Vorstufe der Kaufentscheidung (Vorliegen der Bedingungen für ein OMT) bedingt durch die im Rahmen von EFSF und ESM notwendige parlamentarische Zustimmung zu den dortigen Anpassungs- und Unterstützungsprogrammen. Die Unabhängigkeit der EZB als alleiniger geldpolitischer Entscheidungsträger könnte zudem dadurch gefährdet werden, dass die Ankündigung des unlimitierten Kaufs von Staatsanleihen von Eurostaaten mit gravierenden finanziellen Schwierigkeiten beinhaltet, dass die EZB speziell Anleihen solcher Staaten ankauft, die unter dem Misstrauen der Märkte leiden. Würde sie das nicht tun, wäre dies eine Misstrauenskundgebung für diese Staatsanleihen. Um dies zu vermeiden geriete die EZB entgegen ihrer garantierten Unabhängigkeit potenziell in die politische Zwangslage, mit ihren Käufen die Finanzierung der Staatshaushalte solcher Staaten auch tatsächlich zu erleichtern. Schließlich könnten trotz der notwendigen Aufnahme in ein EFSF/ESM-Anpassungsprogramm die betreffenden Regierungen des Euro-Raumes mit der Emission neuer Anleihen über das Wachstum der Zentralbankmenge entscheiden, und die EZB gerietedurch ihre Offenmarktpolitik in die Abhängigkeit der Fiskalpolitik. 5.1.2. Argumente für eine Vereinbarkeit des OMT-Programms mit Art. 127 AEUV Diesen Argumenten lässt sich entgegnen, dass die zulässigen geldpolitischen Operationen des ESZB durchaus das Ziel der Finanzsystemstabilität mitverfolgen dürften.23 Art. 127 Abs. 5 AEUV könne dem nicht entgegenstehen, da diese Vorschrift dem Eurosystem über die Zuständigkeit für die Geldpolitik hinaus zusätzliche Zuständigkeiten einräume und nicht etwa eine Beschränkung der zuvor normierten geldpolitischen Aufgabenstellung bewirke. Einem künftigen „moral hazard “ der von Anleihenkäufen betroffenen Staaten steht entgegen, dass sie notwendig einem vollständigen makroökonomischen Anpassungsprogramm oder einem vorsorglichen Programm von EFSF bzw. ESM unterliegen müssen. Die bisherige Zurückhaltung der Mitgliedstaaten, sich den Bedingungen der EFSF zu unterwerfen sowie der Vorschlag der Kommission, Mitgliedstaaten mit gravierenden finanziellen Schwierigkeiten ein Finanzhilfeersuchen an EFSF bzw. ESM zu empfehlen,24 spricht dafür, dass die Mitgliedstaaten eher fiskalpolitische Anstrengungen unternehmen würden als sich fiskalpolitische Souveränitätsbeschränkungen durch EFSF/ESM- Auflagen zu unterwerfen. Gegen eine Beschränkung der Unabhängigkeit der EZB spricht der Umstand, dass zwar jede OMT die Aufnahme des emittierenden Staates in ein konditioniertes Finanzhilfenprogramm von EFSF/ESM voraussetzt, aber die tatsächliche Durchführung des OMT und dessen konkreter Umfang im Einzelfall in der unabhängigen Entscheidung verbleiben und auch – auf der Vorstufe – die Initiative zu den Staatsanleihekäufen in Unabhängigkeit getroffen und nicht auf Maßgaben 23 Zu den bisherigen SMP vgl. Herrmann, EZB-Programme für die Kapitalmärkte verstößt nicht gegen die Verträge – Erwiderung auf Martin Seidel in EuZW 2010, 521, in: Zeitschrift für Europäisches Wirtschaftsrecht 2010, S. 646. 24 Vorschlag KOM(2011) 819 vom 23. November 2011 für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Ausbau der wirtschafts- und haushaltspolitischen Überwachung von Mitgliedstaaten, die von gravierenden Schwierigkeiten in Bezug auf ihre finanzielle Stabilität im Euro-Währungsgebiet betroffen oder bedroht sind. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 153/12 Seite 10 der Staats- und Regierungschefs bzw. der Finanzminister zurückzuführen sind. Für die Kompetenzgemäßheit des OMT-Programms spricht zudem, dass Käufe notwendig konditioniert sein müssen um zu verhindern, dass sich ein Mitgliedstaat bewusst bzw. mangels Anreizwirkung in die Situation begibt. Hier wäre vielmehr im umgekehrten Fall der Einfluss der EZB begrenzt: Wenn eine unabhängige Zentralbank demokratisch legitimierten Regierungen bindende Auflagen machen kann, würden grundlegende demokratische Prinzipien wie das Budgetrecht des Parlaments verletzt.25 Schließlich ließe sich das OPT-Programm mit dem Ziel der Stabilisierung der Euro-Zone auch als Unterstützung der allgemeinen Wirtschaftspolitik der Union gemäß Art. 127 Abs. 1 S. 2 AEUV verstehen. Auch in dem Fall müsste eine Gefährdung der mittelfristigen Geldwertstabilität ausgeschlossen sein. Ein potenziell unbegrenzter Anleihenkauf dürfte nicht mit einer unbegrenzten Ausweitung der Geldmenge einhergehen, sondern die EZB müsste die Liquidität mit geeigneten Maßnahmen wieder abschöpfen.26 Bezüglich der Erreichung der Zielsetzung Preisstabilität besitzt die EZB einen weiten Einschätzungs- und Prognosespielraum. Die EZB besitzt bei der Wahl der Instrumente und Maßnahmen ein weites währungspolitisches Ermessen.27 Eine Verletzung von Art. 127 AEUV wird daher nur dann in Betracht kommen, wenn die Maßnahmen der EZB eine Geldentwertung besonders begünstigen. 5.1.3. Bewertung der Vereinbarkeit des OMT-Programms mit Art. 127 AEUV Diese substanziellen Argumente für die Wahrung des Art. 127 AEUV legen im Umkehrschluss nahe, dass durch das OMT-Programm die Handlungsbefugnisse von EZB bzw. ESZB gem. Art. 127 AEUV nicht überschritten werden. 5.2. Vereinbarkeit mit Art. 125 AEUV Indem die EZB zugleich durch ihre nicht bevorrechtigte Stellung das wirtschaftliches Risiko eines Ausfalls des Emittenten übernimmt, ließe sich das unlimitierte Ankaufprogramm für Staatsanleihen als gem. Art. 125 AEUV unzulässige Vergemeinschaftung von Schulden deuten. Bei einem Forderungsausfall müssten alle anderen Mitgliedstaaten der Währungsunion entsprechend ihres Anteils am Kapital der EZB für Verluste einstehen. Jedoch wird der von Art. 125 AEUV abgesicherte haushalts- und fiskalpolitische Eigenstand der Mitgliedstaaten nicht aufgehoben, da eine OMT konditioniert nur bei Aufnahme in ein Anpassungsprogramm im Rahmen von EFSF/ESM erfolgt. 5.3. Vereinbarkeit mit Art. 123 AEUV Fraglich ist, das OMT-Programm gegen das Verbot des unmittelbaren Erwerbs von Schuldtiteln und das Verbot der monetären Haushaltsfinanzierung gemäß Art. 123 AEUV verstößt. 25 Vgl. Horn, die EZB als Gläubigerin der letzten Instanz, in: Wirtschaftsdienst 2012, S. 84. 26 Vgl. Geldmarktsteuerung und Liquiditätsbedarf, in: Deutsche Bundesbank, Monatsbericht August 2012, S. 23 ff. 27 Potacs, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl., Art. 127, Rn. 5. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 153/12 Seite 11 5.3.1. Norminhalt Art. 123 AEUV untersagt der EZB und den nationalen Zentralbanken eine Gewährung von direkten Krediten an die EU oder die Mitgliedstaaten oder den Erwerb von Staatsanleihen am Sekundärmarkt , der auf von den Kapitalmärkten unabhängige Finanzierung der Haushalte der Mitgliedstaaten zielt (sog. monetäre Haushaltsfinanzierung).28 Das Verbot umfasst alle Arten von Krediten einschließlich Kreditfazilitäten (die Finanzierung von Verbindlichkeiten des öffentlichen Sektors gegenüber Dritten und jede Transaktion mit dem öffentlichen Sektor, die zu einer Forderung an diesen führt oder führen könnte29) und Überziehungsfazilitäten (die Bereitstellung von Mitteln zugunsten des öffentlichen Sektors, deren Verbuchung einen Negativsaldo ergibt oder ergeben könnte30). 5.3.2. Normzweck Durch das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung soll eine unmittelbare Refinanzierung der EU oder der Mitgliedstaaten über die EZB oder die jeweilige nationale Zentralbank zu deren – im Vergleich zu den Kapitalmärkten günstigeren – Bedingungen ausgeschlossen werden. Die Mitgliedstaaten sind so für ihren Refinanzierungsbedarf den Kapitalmärkten auf Grundlage der Bewertung ihrer Bonität ausgesetzt und tragen das Risiko für haushalts- und fiskalpolitisches Fehlverhalten . Dieser Druck soll die mitgliedstaatliche Haushaltsdisziplin sicherstellen.31 Das Verbot der monetären Finanzierung ist zudem von entscheidender Bedeutung, um die Gewährleistung von Preisstabilität als das vorrangige Ziel der Geldpolitik der Zentralbanken sowie die Unabhängigkeit der EZB und des Eurosystems sicherzustellen.32 Eine Refinanzierung der Mitgliedstaaten unter Umgehung der Kapitalmärkte bei einer Zentralbank könnte inflationsfördernd wirken.33 Vor dem Hintergrund des Normzwecks von Art. 123 AEUV muss das Verbot weit ausgelegt werden , um seine strikte Anwendung zu gewährleisten.34 Das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung des Art. 123 AEUV umfasst jegliche Finanzierung der Verpflichtung des öffentlichen Sektors gegenüber Dritten sowie – allgemeiner – jede Form der Finanzierung der öffentlichen Haushalte durch die EZB und die nationalen Zentralbanken.35 28 BVerfG, Urteil vom 12. September 2012, 2 BvR 1390/12, Rn. 278 sowie Rn. 276 zu dem Normzweck der Sicherung der verfassungsrechtlichen Anforderungen des Demokratiegebots. 29 Art. 1 Abs. 1 lit. b VO (EG) 3603/93, ABl. 1993 Nr. L 332/1. 30 Art. 1 Abs. 1 lit. a VO (EG) 3603/93, ABl. 1993 Nr. L 332/1. 31 Vgl. Häde, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), Kommentar zum EUV/AEUV, 4. Auflage 2012, Art. 123 AEUV, Rn. 3. 32 Stellungnahme der EZB vom 17.3.2011 (CON/2011/24, ABl. EG C 140 v. 11.5.2011, S. 8, Anm. 9). 33 Vgl. Gaitanides, Das Recht der Europäischen Zentralbank, 2005, S. 98; Kempen, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 1. Auflage 2003, Art. 101 EGV, Rn. 1; Hattenberger, in: Schwarze (Hrsg.), EU Kommentar, 2. Auflage 2009, Art. 101 EGV, Rn. 1. 34 EZB Konvergenzbericht Mai 2012, S. 32. 35 VO (EG) Nr. 3603/93 des Rates vom 13. Dezember 1993; EZB Konvergenzbericht Mai 2012, S. 32. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 153/12 Seite 12 5.3.3. Diskussion der Vereinbarkeit mit Art. 123 AEUV 5.3.3.1. Argumente für eine Vereinbarkeit des OMT-Programms mit Art. 123 AEUV Ausgehend vom Normzweck betrifft das Verbot der monetären Haushaltsfinanzierung primär den unmittelbaren Erwerb von Schuldtiteln von öffentlichen Emittenten durch die Zentralbanken. Der Erwerb von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt bleibt gestattet, solange dadurch dem Staatssektor kein unmittelbarer Vorteil erwächst. Das ist grundsätzlich nicht der Fall, wenn am Sekundärmarkt erworbene Anleihen zuvor schon dem Preisbildungsmechanismus des Marktes – insbesondere mit Blick auf die Bonität des Emittenten – ausgesetzt waren. Werden Staatsanleihen nicht direkt von öffentlicheren Emittenten, sondern mittelbar am Kapitalmarkt angekauft, führen Sekundärmarktkäufe nicht zu einer direkten Finanzierungsbeziehung zwischen dem öffentlichen Sektor und den Zentralbanken. Das Instrument der Offenmarktpolitik darf jedoch nicht zur Umgehung des Verbotsziels nach Art. 123 Abs. 1 AEUV eingesetzt werden.36 Insbesondere darf der Erwerb von Staatsanleihen hochverschuldeter Länder am Sekundärmarkt keinen Finanzierungscharakter annehmen. Der geldpolitische Steuerungscharakter eines an sich zulässigen Anleihenkaufs schlägt dann in einen Finanzierungscharakter um, wenn Anleihen zu einem Wert erworben werden, oder als Sicherheiten akzeptiert werden, die sie am Markt nicht mehr erzielen würden der Kauf ausschließlich der Stützung eines Mitgliedstaates dient.37 Ausweislich seiner Zielvorgaben dient das OMT-Programm nicht final dem Zweck einer unmittelbaren Finanzierung öffentlicher Haushalte. Obzwar die Zusicherung , Schuldtitel minderer Bonität zu kaufen, mittelfristig eine marktgerechte Verbesserung der Konditionen einzelner mitgliedstaatlicher Kreditaufnahmen erwarten lässt, ist dies lediglich notwendige Nebenfolge der Primärziele, u.a. die Refinanzierungsbedingungen der Realwirtschaft mit den Leitzinsen der EZB in Einklang zu bringen und die Finanzierungsbedingungen von Banken zu verbessern.38´ Auf Grundlage dieser Erwägungen wäre das OMT-Programm nicht gegen das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung gerichtet. 5.3.3.2. Argumente gegen eine Vereinbarkeit des OMT-Programms mit Art. 123 AEUV Mit Blick auf die Wirkungen des OMT-Programms lässt sich jedoch auch dessen Verstoß gegen das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung feststellen: Das – an sich unionsrechtlich zulässige – Ziel der Verbesserung der Sicherungsfunktion von Staatsanleihen impliziert, dass durch Anleihenkäufe die Anleihenzinsen der betroffenen Staaten und damit auch ihre Refinanzierungskosten gesenkt werden. Dies folgt durch das OMT-Programm insbesondere daraus, dass die EZB faktisch als „Lender of last Resort“ fungiert und ihr Handeln als besondere „Kreditausfallversicherung“ für die Käufer auf dem Primärmarkt wirkt. Das Ankaufversprechen der EZB und die zugrundelie- 36 7. Erwägungsgrund VO (EG) Nr. 3603/93 des Rates vom 13. Dezember 1993. 37 Vgl. Hattenberger, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl., Art., 123, Rn. 6; Frenz/Ehlenz, Der Euro ist gefährdet: Hilfsmöglichkeiten bei drohendemStaatsbankrott?, EuropäischesWirtschafts- und Steuerrecht (EWS) 2010, S. 65 (67). 38 Vgl. EZB Monatsbericht September 2012, S. 7 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 153/12 Seite 13 gende Selbstverpflichtung zur Kursstabilisierung bedeutet eine Monetarisierungsgarantie für staatliche Schuldtitel, und die privaten Inhaber staatlicher Anleihen werden von ihren Risiken befreit. Die Anleihenzinsen sinken infolge der Risikominimierung. Die so erleichterte Emission von Anleihen trüge wiederum zur mittelbaren Finanzierung der Haushalte der betreffenden Staaten bei, wobei die Spanne der Zinshöhen mit und ohne „EZB-Kreditausfallversicherung“ ist letztlich der Betrag ist, der den emittierenden Staaten unmittelbar zugutekommt. 5.3.3.3. Einfluss der institutionellen Stellung der EZB Diese für und wider die Unionsrechtmäßigkeit des OPT-Programms streitenden Argumente müssen wiederum im Lichte der Unabhängigkeit und des weiten Einschätzungs- und Prognosespielraums der EZB bezüglich der Erreichung des Primärziels „Preisstabilität“ betrachtet werden. In ihrer Unabhängigkeit (Art. 282 Abs. 3 S. 3 AEUV) besitzt die EZB bei der Wahl der Instrumente und Maßnahmen für die Steuerung der Geldpolitik ein weites währungspolitisches Ermessen.39 Dieses umfasst auch die Entscheidung, auf welche Weise sie auf die Preisstabilität Einfluss nehmen und ihrer Stabilität des Finanzsystems insgesamt gerecht werden will. Ohne eine neue politische Entscheidung40 über den Zuschnitt des Handlungsrahmens der EZB sind ihre Entscheidung wegen ihres weiten Handlungsspielraums hinzunehmen, solange diese nicht unter keinem vertretbaren Gesichtspunkt mit dem primärrechtlich festgelegten Handlungsspielraum der EZB vereinbar sind und sie nicht evident gegen primärrechtliche Grenzen verstoßen. Dies ist jedoch – soweit aus dem vorliegenden OMT-Programm ersichtlich – nicht der Fall: Mit o.g. Begründung ist das OMT-Programm Teil der Steuerung der Geldpolitik im Sinne von Art. 127 AEUV, es wird nicht evident von der „in Kauf genommenen Nebenfolge“ monetärer Haushaltsfinanzierung dominiert und die projektierten Anleihenkäufe haben auch wegen der Konditionierung durch die EFSF/ESM-Programme keine primäre Finanzierungsfunktion. Zudem sollen die Käufe von Maßnahmen zur Verhinderung einer Ausweitung der Geldmenge begleitet werden, und die EZB besitzt weiterhin rechtlich das alleinige Letztentscheidungsrecht über die Durchführung einer OMT. 5.3.3.4. Bewertung der Vereinbarkeit des OMT-Programms mit Art. 123 AEUV Vor dem Hintergrund der Unabhängigkeit und des weiten Einschätzungs- und Prognosespielraums der EZB verstößt das OMT-Programm nicht evident gegen das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung . 39 Potacs, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl., Art. 127, Rn. 5; Gaitanides, Das Recht der Europäischen Zentralbank , 2005, S. 102 ff. 40 Vgl. BVerfG, Urteil vom 12. September 2012, 2BvR 1390/12, Rn. 222.