© 2015 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 152/15 Aussetzen des Familiennachzugs Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 152/15 Seite 2 Aussetzen des Familiennachzugs Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 152/15 Abschluss der Arbeit: 17.11.2015 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 152/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Vereinbarkeit mit der Familienzusammenführungsrichtlinie 4 3. Vereinbarkeit mit der Qualifikationsrichtlinie 5 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 152/15 Seite 4 1. Fragestellung Die Ausarbeitung befasst sich mit dem Vorhaben, den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten für zwei Jahre auszusetzen. Es wird geprüft, inwiefern dieses Vorhaben mit der Familienzusammenführungsrichtlinie 2003/86/EG1, insbesondere deren Art. 5 Abs. 4 vereinbar ist (2.), und inwiefern dieses Vorhaben im Einklang mit der Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU2 steht, insbesondere mit Art. 23 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 2 (3.). 2. Vereinbarkeit mit der Familienzusammenführungsrichtlinie Nach Art. 3 Abs. 1 der Familienzusammenführungsrichtlinie findet diese Anwendung, wenn der Zusammenführende im Besitz eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten Aufenthaltstitels mit mindestens einjähriger Gültigkeit ist, begründete Aussicht darauf hat, ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht zu erlangen, und seine Familienangehörigen Drittstaatsangehörige sind, wobei ihre Rechtsstellung unerheblich ist. Die Familienzusammenführungsrichtlinie beinhaltet nach Art. 3 Abs. 2 lit. c keine Rechte auf Familiennachzug, wenn dem Zusammenführenden der Aufenthalt in einem Mitgliedstaat aufgrund subsidiärer Schutzformen gemäß internationalen Verpflichtungen , einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Praktiken der Mitgliedstaaten genehmigt wurde oder er um die Genehmigung des Aufenthalts aus diesem Grunde nachsucht und über seinen Status noch nicht entschieden wurde. Mithin gilt das Recht auf Nachzug aus der Familienzusammenführungsrichtlinie nur für anerkannte Flüchtlinge und Drittstaatsangehörige mit begründeter Aussicht auf den Erhalt des dauerhaften Aufenthaltsrechts3, nicht aber für subsidiär Schutzberechtigte . Art. 5 Abs. 4 der Familienzusammenführungsrichtlinie gibt vor, dass der Antrag auf Familiennachzug innerhalb von neun Monaten nach Einreichung schriftlich beschieden werden muss. Art. 8 eröffnet die Möglichkeit einer Begrenzung der Antragstellung in zeitlicher Hinsicht. Nach Art. 8 Abs. 1 der Familienzusammenführungsrichtlinie dürfen die Mitgliedstaaten verlangen, dass sich der Zusammenführende während eines Zeitraums, der zwei Jahre nicht überschreiten darf, rechtmäßig auf ihrem Hoheitsgebiet aufgehalten hat, bevor seine Familienangehörigen ihm nachreisen. Es ist den Mitgliedstaaten demnach möglich, eine zweijährige Wartefrist vorzugeben, bevor der Drittstaatsangehörige Familiennachzug beantragen kann. Dieser Antrag ist dann wiederum innerhalb von neun Monaten zu bescheiden. In Bezug auf Flüchtlinge enthält Art. 12 Abs. 2 der Familienzusammenführungsrichtlinie jedoch eine Ausnahmeregelung. So können die Mitgliedstaaten , abweichend von Art. 8 nicht von einem Flüchtling verlangen, dass er sich während 1 Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung, ABl. 2003, L 251/12, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32003L0086&from=DE. 2 Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. 2011, L 337/9, abrufbar unter http://eur-lex.europa .eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2011:337:0009:0026:de:PDF. 3 Walter, Familienzusammenführung in Europa, 2009, S. 166. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 152/15 Seite 5 eines bestimmten Zeitraums in ihrem Hoheitsgebiet aufgehalten hat, bevor seine Familienangehörigen ihm nachreisen. Diese Sonderreglung gilt jedoch nur für anerkannte Flüchtlinge. Subsidiär Schutzberechtigte besitzen – wie oben dargestellt – nach Art. 3 Abs. 2 der Familienzusammenführungsrichtlinie kein Recht auf Familiennachzug auf der Grundlage dieser Richtlinie. 3. Vereinbarkeit mit der Qualifikationsrichtlinie In Art. 23 der Qualifikationsrichtlinie wird vorgegeben, dass die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen , dass der Familienverband aufrechterhalten werden kann. Nach Art. 23 Abs. 2 tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass die Familienangehörigen der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, die selbst nicht die Voraussetzungen für die Gewährung dieses Schutzes erfüllen, gemäß den nationalen Verfahren Anspruch auf die in den Artikeln 24 bis 35 genannten Leistungen haben, soweit dies mit der persönlichen Rechtsstellung des Familienangehörigen vereinbar ist. Art. 24 regelt den Anspruch auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels. Aus dem Verweis des Art. 23 Abs. 2 auf Art. 24 der Qualifikationsrichtlinie könnte sich ein Anspruch auf Familiennachzug (durch den Anspruch auf die Ausstellung eines Aufenthaltstitels) ableiten lassen. Allerdings sind als Familienangehörige nach Art. 2 lit. j der Qualifikationsrichtlinie nur die Mitglieder der Familie der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, zu qualifizieren, die sich im Zusammenhang mit dem Antrag auf internationalen Schutz in demselben Mitgliedstaat aufhalten, sofern die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat. Das bedeutet nach dem Wortlaut des Art. 2 lit. j im Umkehrschluss, dass in Bezug auf Familienmitglieder, die sich nicht im Mitgliedstaat befinden, in welchem der subsidiär Schutzberechtigte sich aufhält, kein Anspruch nach Art. 23 Abs. 2 der Qualifikationsrichtlinie besteht. Auf dieser Grundlage wird differenziert, dass die Familienzusammenführungsrichtlinie den Nachzug von Familienmitgliedern regele, die sich noch im Heimatstaat aufhalten, die Qualifikationsrichtlinie hingegen die Aufrechterhaltung des bereits in einem Mitgliedstaat bestehenden Familienverbundes .4 Aus der Qualifikationsrichtlinie folge mithin kein Anspruch auf Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte.5 Diese Trennung wird allerdings nicht überall so deutlich vorgenommen. Verschiedene deutsche Kommentierungen zu § 29 AufenthG sprechen im Zusammenhang mit Art. 23, 24 Qualifikationsrichtlinie von dem Recht auf Familiennachzug.6 Die Rechtslage ist also nicht eindeutig. In diesem Zusammenhang sind die Ausführungen der EU- Kommission in ihrem Grünbuch zum Recht auf Familienzusammenführung von in der EU lebenden Drittstaatsangehörigen von Interesse. Dort hielt die Kommission fest, dass sich das Recht auf Familiennachzug zwischen Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten unterscheide. Sie 4 VG Münster, Urt v. 30.7.2009, Rs. 8 K 169/09 (zitiert nach juris); Musekamp, Deutsche Migrationspolitik im Prozess der Europäisierung des Politikfeldes, 2004, S. 89. 5 Walter, Familienzusammenführung in Europa, 2009, S. 175.; Lübbe, Die Angst vor der syrischen Großfamilie: Familiennachzug für Syrer aussetzen?, VerfBlog, 2015/11/12, abrufbar unter http://www.verfassungsblog .de/die-angst-vor-der-syrischen-grossfamilie-familiennachzug-fuer-syrer-aussetzen. 6 Huber/Göbel-Zimmermann, Ausländer- und Asylrecht, 2. Aufl. 2008, Rn. 749; Hoffmann, in: Hofmann/Hoffmann , HK-AuslR, 1. Aufl. 2008, § 29 AufenthG, Rn. 18 ff. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 152/15 Seite 6 schreibt: „Deshalb soll eine stärkere Annäherung der Rechte von Personen mit Anspruch auf subsidiären Schutz und den Rechten, die Flüchtlingen gewährt werden, angestrebt werden, wie in der Neufassung der Anerkennungsrichtlinie [in dieser Ausarbeitung als Qualifikationsrichtlinie bezeichnet] hervorgehoben wurde. Damit stellt sich die Frage, ob eine solche Annäherung nicht auch in Bezug auf die Familienzusammenführung stattfinden sollte, wozu der Anwendungsbereich der Richtlinie [gemeint ist die Familienzusammenführungsrichtlinie] auf bestimmte Personengruppen geändert werden müsste.“7 Bisher ist eine solche Änderung nicht erfolgt. Die wohl h.M. kommt zu dem Ergebnis, dass subsidiär Schutzberechtigten nach Art. 23 in Verbindung mit Art. 24 Qualifikationsrichtlinie kein Recht auf Familiennachzug zusteht, sondern nur ein Recht auf die Aufrechterhaltung des Familienverbandes der bereits in einem Mitgliedstaat befindlichen Familienmitglieder. Die Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten für zwei Jahre ist nach dieser Ansicht unionsrechtskonform. 7 Kommission, Grünbuch zum Recht auf Familienzusammenführung von in der Europäischen Union lebenden Drittstaatsangehörigen (Richtlinie 2003/86/EG), KOM(2011) 735 endgültig, abrufbar unter http://eur-lex.europa .eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2011:0735:FIN:DE:PDF.