Deutscher Bundestag Zur Vereinbarkeit eines Minarettverbots sowie eines Burka- und/oder Kopftuchverbots mit dem Recht der Europäischen Union Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste © 2009 Deutscher Bundestag WD 11 – 3000 – 15/10 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 15/10 Seite 2 Zur Vereinbarkeit eines Minarettverbots sowie eines Burka- und/oder Kopftuchverbots mit dem Recht der Europäischen Union Ausarbeitung: WD 11 – 3000 – 15/10 Abschluss der Arbeit: 3. März 2010 Fachbereich: WD 11: Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 15/10 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Primärrechtliche Vorgaben 4 1.1. Grundlegende Werte der Europäischen Union 4 1.2. Die Religionsfreiheit 4 1.3. Gleichheitssätze und Diskriminierungsverbote 5 2. Sekundärrechtliche Vorgaben 6 3. Vereinbarkeit eines Minarettverbots mit dem Recht der Europäischen Union 6 3.1. Religionsfreiheit 6 3.1.1. Grundrechtsadressat und Anwendungsbereich 6 3.1.2. Schutzbereich 7 3.1.3. Beeinträchtigung und Rechtfertigung 8 3.2. Gleichheitssätze und Diskriminierungsverbote 8 3.2.1. Allgemeine Gleichheitssätze 8 3.2.2. Diskriminierungsverbote 9 4. Vereinbarkeit eines Burka- und/oder Kopftuchverbots mit dem Recht der Europäischen Union 9 4.1. Religionsfreiheit 9 4.2. Gleichheitssätze und Diskriminierungsverbote 9 4.2.1. Allgemeine Gleichheitssätze 9 4.2.2. Diskriminierungsverbote 9 4.3. Die Gleichbehandlungs-Rahmenrichtlinie 2000/78/EG 10 4.3.1. Vorgaben der Richtlinie 10 4.3.2. Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung 11 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 15/10 Seite 4 Im November 2009 hat sich der damalige schwedische Ratsvorsitz der Europäischen Union (EU) sowohl im Ministerkomitee des Europarats als auch im Ständigen Rat der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zu dem Ergebnis des Schweizer Referendums hinsichtlich eines Verbots, Minarette zu errichten, geäußert: Ein Verbot, Minarette zu errichten, könnte mit europarechtlichen Vorgaben unvereinbar sein. Auch einem Verbot, eine Burka oder ein Kopftuch zu tragen, könnten europarechtliche Regelungen entgegenstehen. 1. Primärrechtliche Vorgaben 1.1. Grundlegende Werte der Europäischen Union Art. 2 des Vertrags über die Europäische Union in der Fassung des Vertrags von Lissabon (EUV) legt die grundlegenden Werte fest, auf die sich die EU gründet. Dies sind die Achtung der Menschenwürde , Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören (Art. 2 S. 1 EUV). Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet (Art. 2 S. 2 EUV). Für den Fall, dass ein Mitgliedstaat der EU die in Art. 2 EUV genannten grundlegenden Werte schwerwiegend verletzt, sind gemäß Art. 7 Abs. 3 S. 1 EUV empfindliche Sanktionen gegenüber diesem Mitgliedstaat möglich. 1.2. Die Religionsfreiheit Neben der Gedanken- und Gewissensfreiheit gewährt Art. 10 der Charta der Grundrechte der EU (EU-Grundrechte-Charta) die Religionsfreiheit. Mit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon zum 1. Dezember 2009 ist die EU-Grundrechte-Charta gemäß Art. 6 Abs. 1 EUV rechtsverbindlich geworden. Die Verträge der EU und die Charta der Grundrechte der EU sind damit rechtlich gleichrangig (Art. 6 Abs. 1 S. 1 2. Halbsatz EUV). Ausnahmen bestehen allerdings gemäß Art. 1 des Protokolls über die Anwendung der Charta der Grundrechte der EU auf Polen und das Vereinigte Königreich2 (Protokoll Nr. 30) für diese beiden Mitgliedstaaten. Insbesondere ordnet Art. 1 Abs. 2 des Protokolls Nr. 30 an, dass mit Titel IV der Charta der Grundrechte der EU keine für Polen oder das Vereinigte Königreich geltenden einklagbaren Rechte geschaffen werden. Gemäß Art. 1 des Protokolls über die Anwendung der Charta der Grundrechte der EU auf die Tschechische Republik findet das Protokoll Nr. 30 auch auf 2 Protokoll über die Anwendung der Charta der Grundrechte der Europäischen Union auf Polen und das Vereinigte Königreich vom 31. Dezember 2007, ABl. Nr. C 306, S. 154. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 15/10 Seite 5 die Tschechische Republik Anwendung.3 Die Staatsangehörigen des Vereinigten Königreichs, Polens und der Tschechischen Republik können somit keine eigenen Rechtspositionen und Ansprüche aus der EU-Grundrechte-Charta einklagen, so dass derzeit noch nicht von einem einheitlich und systematisch kodifizierten europäischen „Religionsrecht“ gesprochen werden kann.4 Gemäß Art. 22 der EU-Grundrechte-Charta achtet die Union die Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen. Art. 6 Abs. 2 EUV legt fest, dass die EU der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) beitritt. Die Grundrechte, wie sie die EMRK gewährleistet, sind als allgemeine Grundsätze Teil des Unionsrechts. Dies gilt auch für die Grundrechte, wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben (Art. 6 Abs. 3 EUV). Die Religionsfreiheit ist in Art. 9 EMRK gewährleistet. Darüber hinaus gehört sie zum festen Bestand der Verfassungen aller Mitgliedstaaten der EU5 und ist damit Bestandteil des Unionsrechts . Die Religionsfreiheit betreffend kommt es auf diese Weise in der EU zu einer Parallelgeltung verschiedener Rechtsquellen. 1.3. Gleichheitssätze und Diskriminierungsverbote Einen allgemeinen Gleichheitssatz normiert Art. 20 der Charta der Grundrechte der EU, nach dem alle Personen vor dem Gesetz gleich sind. Art. 21 EU-Grundrechte-Charta legt den Grundsatz der Nichtdiskriminierung fest. Dessen Abs. 1 verbietet unter anderem Diskriminierungen wegen der Religion oder der Weltanschauung. Einen Gleichheitsgrundsatz für die Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der EU enthält Art. 9 EUV, wonach die Union in ihrem gesamten Handeln den Grundsatz der Gleichheit ihrer Bürgerinnen und Bürger achtet. Ein Diskriminierungsverbot aus Gründen der Staatsangehörigkeit besteht gemäß Art. 18 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Art. 19 Abs. 1 AEUV ermächtigt den Rat, gemäß einem besonderen Gesetzgebungsverfahren und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments (EP) einstimmig geeignete Vorkehrungen zu treffen , um Diskriminierungen unter anderem aus Gründen der Religion oder Weltanschauung zu bekämpfen. Gemäß Art. 19 Abs. 2 AEUV können das EP und der Rat gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren die Grundprinzipien für Fördermaßnahmen der EU unter Ausschluss jeglicher Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten zur Unterstützung der Maßnahmen festlegen, die die Mitgliedstaaten treffen, um zur Verwirklichung der Bekämpfung von Diskriminierungen beizutragen. 3 Schlussfolgerungen des Vorsitzes zu der Tagung des Europäischen Rates in Brüssel (29. und 30. Oktober 2009), Anlage 1, (Ratsdok. 15265/1/09). 4 So Krimphove, Europäisches Religions- und Weltanschauungsrecht, in Europarecht (EuR) 2009, Heft 3, Rn. 332. 5 Bernsdorff in Meyer, Kommentar zur Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2. Auflage 2006, Rn. 2. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 15/10 Seite 6 2. Sekundärrechtliche Vorgaben Die Religions- und die Religionsausübungsfreiheit betreffend existieren nur wenige sekundärrechtliche Regelungen.6 Zur Bekämpfung von Diskriminierungen wurden in den letzten Jahren insbesondere vier Richtlinien erlassen: Die Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft7 (EG- Diskriminierungsverbots-Richtlinie), die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf8 (Gleichbehandlungs-Rahmenrichtlinie), die Richtlinie 2002/73/EG des EP und des Rates vom 23. September 2002 zur Änderung der Richtlinie 76/207/EG des Rates zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen9 (revidierte EG-Gleichbehandlungsrichtlinie) sowie die Richtlinie 2004/113/EG des Rates vom 13. Dezember 2004 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen10 (EG-Dienstleistungen-Gleichberechtigungsrichtlinie). Hinsichtlich eines Burka- und/oder Kopftuchverbots könnte die Richtlinie 2000/78/EG von Bedeutung sein. Sie normiert ein Diskriminierungsverbot für den arbeitsrechtlichen Bereich Beschäftigung und Beruf. Im Gegensatz zu den anderen Antidiskriminierungs-Richtlinien gehört hier ausdrücklich die Zugehörigkeit zu einer Religion oder Weltanschauung zu den geschützten Merkmalen. 3. Vereinbarkeit eines Minarettverbots mit dem Recht der Europäischen Union 3.1. Religionsfreiheit Gemäß Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der EU hat jede Person das Recht auf Gedanken -, Gewissen- und Religionsfreiheit. Dieses Recht umfasst die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu wechseln, und die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder gemeinsam mit anderen öffentlich oder privat durch Gottesdienst, Unterricht, Bräuche und Riten zu bekennen. 3.1.1. Grundrechtsadressat und Anwendungsbereich Art. 51 Abs. 1 S. 1 der Charta der Grundrechte der EU legt fest, dass die Charta für die Organe und Einrichtungen der EU unter Einhaltung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der EU gilt. Dementsprechend haben sie die Rechte zu achten, sich an die Grundsätze zu halten und deren Anwendung gemäß ihren jeweili- 6 Krimphove, Europäisches Religions- und Weltanschauungsrecht, in EuR 2009, Heft 3, Rn. 340. 7 ABl. Nr. L 180 S. 22. 8 ABl. Nr. L 303 S. 16. 9 ABl. Nr. L 269 S. 15. 10 ABl. Nr. L 373 S. 37. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 15/10 Seite 7 gen Zuständigkeiten zu fördern. Eine verpflichtende Bindung besteht damit nur für die Organe und Einrichtungen der EU, während die Mitgliedstaaten lediglich im Fall der Durchführung von EU-Recht an die EU-Grundrechte-Charta gebunden sind. Der Anwendungsbereich des Art. 10 EU- Grundrechte-Charta ist somit gering.11 Die Kompetenz, ein Bauverbot bzw. eine Baugenehmigung für Minarette zu erteilen, fällt nicht in den Zuständigkeitsbereich der EU-Organe, sondern in den der Mitgliedstaaten. Ein mitgliedstaatliches Verbot, Minarette zu errichten, wäre damit nicht an Art. 10 EU- Grundrechte-Charta zu messen, da die Mitgliedstaaten im Fall eines solchen Verbots kein Unionsrecht durchführen. In seinem personellen Anwendungsbereich ist Art. 10 EU-Grundrechte-Charta nicht beschränkt, vielmehr handelt es sich um einen menschenrechtlichen Grundbestand.12 Er steht unabhängig von der Staatsangehörigkeit jeder natürlichen Person zu. Soweit es sich um die kollektive Religionsfreiheit handelt, können auch Personenvereinigungen, also juristische Personen, aus ihm berechtigt sein. Art. 10 Abs. 1 EU-Grundrechte-Charta kommt in erster Linie die Funktion eines Abwehrrechts zu. Für die Adressaten besteht darüber hinaus ein Rücksichtnahmegebot und die Pflicht zur Schaffung rechtlicher Sicherungen, wenn das Grundrecht sonst nicht effektiv ausgeübt werden könnte. Darüber hinaus kann sich die Grundrechtsgewährleistung des Art. 10 EU- Grundrechte-Charta zu einer Verpflichtung verdichten, gegen störende Dritte einzuschreiten.13 3.1.2. Schutzbereich Gemäß der Erläuterung des Präsidiums des Europäischen Konvents zu Art. 10 der Charta der Grundrechte der EU entspricht das in Art. 10 Abs. 1 EU-Grundrechte-Charta garantierte Recht dem Recht, das durch Art. 9 EMRK gewährleistet ist, und hat nach Art. 52 Abs. 3 EU- Grundrechte-Charta die gleiche Bedeutung und die gleiche Tragweite wie dieses.14 Hinsichtlich des sachlichen Gewährleistungsgehalts dürfte Art. 10 Abs. 1 EU-Grundrechte-Charta (schon wegen des im Vergleich zu Art. 9 Abs. 1 EMRK praktisch identischen Wortlauts) dessen Schutzstandard zumindest ebenbürtig sein.15 Insofern ist auf die Ausführungen zu verweisen, im Rahmen derer die Vereinbarkeit eines Minarettverbots mit völkerrechtlichen Vorgaben geprüft wird. Eine strikte Bindung der Union an Gehalt und Auslegung von Art. 9 EMRK besteht allerdings nicht: Das Recht aus Art. 10 EU-Grundrechte-Charta ist (jedenfalls in Teilbereichen) anders zu konzipieren als die EMRK als völkerrechtlicher Vertrag.16 So kann sich auf der Ebene des Schutzbereichs ein weitergehender Schutz aus sonstigen Bestimmungen des Unionsrechts ergeben. Für den Bereich der korporativen Religions- und Weltanschauungsfreiheit ist hier Art. 17 Abs. 1 AEUV zu nennen, der festlegt, dass die Union den Status, den Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften genießen, achtet 11 Krimphove, Europäisches Religions- und Weltanschauungsrecht, in EuR 2009, Heft 3, Rn. 332. 12 Bernsdorff in Meyer, Kommentar zur Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Rn. 1. 13 Fn. 12, Rn. 15. 14 (Überarbeitete) Erläuterungen zur Charta der Grundrechte, ABl. 2007/C 303/02. 15 Mückl, Die Religions- und Weltanschauungsfreiheit im Europäischen Unions- und Gemeinschaftsrecht , in Haratsch/Janz/Rademacher/Schmahl/Weiß (Hrsg.), Religion und Weltanschauung im säkularen Staat, 2001, S. 181 bis 213. 16 Fn. 15. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 15/10 Seite 8 und ihn nicht beeinträchtigt. In gleicher Weise achtet die Union den Status, den weltanschauliche Gemeinschaften nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften genießen (Art. 17 Abs. 2 AEUV) und pflegt mit den Kirchen und Gemeinschaften in Anerkennung ihrer Identität und ihres besonderen Beitrags einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog. 3.1.3. Beeinträchtigung und Rechtfertigung Die EU-Grundrechte-Charta verzichtet auf einen differenzierten Beschränkungsvorbehalt und enthält in Art. 52 eine einheitliches dreistufiges Schrankensystem, das für alle Grundrechte gleichermaßen – und somit auch für Art. 10 – gilt.17 Art. 52 EU-Grundrechte-Charta regelt die Tragweite der durch die Charta garantierten Rechte. Art. 52 Abs. 1 S. 1 EU-Grundrechte-Charta legt fest, dass jede Einschränkung der Ausübung der in der Charta anerkannten Rechte und Freiheiten gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten muss. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkungen nur vorgenommen werden, wenn sie notwendig sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen (Art. 52 Abs. 1 S. 2 EU-Grundrechte-Charta). Gemäß Art. 52 Abs. 2 EU-Grundrechte-Charta erfolgt die Ausübung der durch die Charta anerkannten Rechte, die in den Verträgen der EU begründet sind, im Rahmen der darin festgelegten Bedingungen und Grenzen. Art. 52 Abs. 3 EU-Grundrechte-Charta legt fest, dass soweit die Charta Rechte enthält, die den durch die EMRK garantierten Rechten entsprechen , sie die gleiche Bedeutung und Tragweite haben, wie sie ihnen in der EMRK verliehen wird. Dabei soll diese Bestimmung dem nicht entgegenstehen, dass das Recht der Union einen weiter gehenden Schutz gewährt (Art. 52 Abs. 3 S. 2 EU-Grundrechte-Charta). In seinen Erläuterungen zu Art. 10 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der EU hat das Präsidium des Europäischen Konvents verdeutlicht, dass auch die Schrankenregelung des Art. 9 Abs. 2 EMRK auf Art. 10 Abs. 1 EU-Grundrechte-Charta zu übertragen ist. Bei Einschränkungen muss daher Art. 9 Abs. 2 EMRK gewahrt werden. Auch die Rechtfertigung eines Minarettverbots betreffend ist somit auf die Ausführungen hinsichtlich der Völkerrechtskonformität eines solchen Verbots zu verweisen. 3.2. Gleichheitssätze und Diskriminierungsverbote 3.2.1. Allgemeine Gleichheitssätze Gemäß Art. 20 der Charta der Grundrechte der EU sind alle Personen vor dem Gesetz gleich. Auch an diesen allgemeinen Gleichheitssatz sind die Mitgliedstaaten nur bei der Durchführung von Unionsrecht gebunden, was bei der Erteilung eines Minarettverbots nicht der Fall wäre. Gemäß Art. 9 S. 1 EUV achtet die Union in ihrem gesamten Handeln den Grundsatz der Gleichheit ihrer Bürgerinnen und Bürger. Unionsbürger ist, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates besitzt (Art. 9 S. 2 EUV). Da im Falle eines Minarettverbots durch einen Mitgliedstaat nicht die EU handelt, ist auch Art. 9 S. 1 EUV nicht einschlägig. 17 Durner in Maunz/Dürig, Grundgesetz, 55. Ergänzungslieferung 2009, Rn. 49. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 15/10 Seite 9 3.2.2. Diskriminierungsverbote Art. 21 Abs. 1 EU-Grundrechte-Charta verbietet Diskriminierungen (unter anderem) wegen der Religion. Allerdings ist auch diese Norm im Falle eines Minarettverbots nicht einschlägig. Art. 18 AEUV verbietet jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit und ist daher in dieser Fallkonstellation ebenfalls nicht anwendbar. Sekundärrechtliche Vorgaben, gegen die ein Minarettverbot verstoßen könnte, bestehen nicht. Auch ist bisher kein entsprechender Fall beim Gerichtshof der EU (EuGH) anhängig gewesen. 4. Vereinbarkeit eines Burka- und/oder Kopftuchverbots mit dem Recht der Europäischen Union 4.1. Religionsfreiheit Die Erteilung eines Kopftuchverbots fällt in den Zuständigkeitsbereich der Mitgliedstaaten. Dies gilt auch für ein Verbot, eine Burka zu tragen. Da die Mitgliedstaaten im Fall solcher Verbote kein Unionsrecht durchführen, sind sie nicht an Art. 10 der Charta der Grundrechte der EU gebunden, so dass ein Burka- und/oder Kopftuchverbot nicht in den Anwendungsbereich der EU-Grundrechte-Charta fiele. 4.2. Gleichheitssätze und Diskriminierungsverbote 4.2.1. Allgemeine Gleichheitssätze Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 20 EU-Grundrechte-Charta wäre nicht anwendbar. Auch der allgemeine Gleichheitsgrundsatz des Art. 9 S. 1 EUV wäre nicht einschlägig, da im Falle eines Burka- und/oder Kopftuchverbots durch einen Mitgliedstaat nicht die EU handelt. 4.2.2. Diskriminierungsverbote Aus denselben Gründen, die einer Anwendbarkeit von Art. 10 und Art. 20 der Charta der Grundrechte der EU entgegenstünden, wäre auch das Diskriminierungsverbot des Art. 21 EU- Grundrechte-Charta nicht einschlägig. Ebenso wenig fiele die Fallkonstellation eines Burkaund /oder Kopftuchverbots in den Anwendungsbereich von Art. 18 AEUV. . Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 15/10 Seite 10 4.3. Die Gleichbehandlungs-Rahmenrichtlinie 2000/78/EG 4.3.1. Vorgaben der Richtlinie Die Richtlinie 2000/78/EG legt einen allgemeinen Rahmen für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf fest. Sie normiert ein Diskriminierungsverbot für den arbeitsrechtlichen Bereich und begründet damit erste Ansätze eines „Europäischen Religionsrechts “ im Sekundärrecht der EU.19 Den Geltungsbereich der Richtlinie bestimmt deren Art. 3. Erwägungsgrund Nr. 11 der Richtlinie stellt fest, dass Diskriminierungen wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung die Verwirklichung der im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV - in der Fassung bis 30. November 2009) festgelegten Ziele (insbesondere die Erreichung eines hohen Beschäftigungsniveaus , eines hohen Maßes an sozialem Schutz, die Hebung des Lebensstandards und der Lebensqualität , den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt, die Solidarität und die Freizügigkeit ) unterminieren können. Daher sollte jede unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung (u.a.) wegen der Religion oder Weltanschauung in den von der Richtlinie abgedeckten Bereichen (Beschäftigung und Beruf) gemeinschaftsweit untersagt werden (Erwägungsgrund Nr. 12). Erwägungsgrund Nr. 23 stellt fest, dass unter sehr begrenzten Bedingungen eine unterschiedliche Behandlung gerechtfertigt sein kann, wenn ein Merkmal, das (u.a.) mit der Religion oder Weltanschauung zusammenhängt, eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt , sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt. Opfer von Diskriminierungen wegen (u.a.) der Religion oder Weltanschauung sollten über einen angemessenen Rechtsschutz verfügen. Um einen effektiveren Schutz zu gewährleisten, sollte auch die Möglichkeit bestehen, dass sich Verbände oder andere juristische Personen unbeschadet der nationalen Verfahrensordnungen bezüglich der Vertretung und Verteidigung vor Gericht bei einem entsprechenden Beschluss der Mitgliedstaaten im Namen eines Opfers oder zu seiner Unterstützung an einem Verfahren beteiligen (Erwägungsgrund Nr. 29). Gemäß Art. 2 i.V.m. Art. 1 der Richtlinie 2000/78/EG darf es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierungen (u.a.) auf Grund der Zugehörigkeit zu einer Religion oder Weltanschauung geben. Gemäß Art. 2 Abs. 2 Buchstabe a der Richtlinie 2000/78/EG liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Person wegen der Religion oder Weltanschauung in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Für den Fall eines Burka- und/oder Kopftuchverbots im Geltungsbereich (Art. 3) der Richtlinie könnten Frauen, deren Religionszugehörigkeit das Tragen einer Burka oder eines Kopftuch vorschreibt , beispielsweise dadurch benachteiligt werden, dass das Tragen der Burka oder des Kopftuchs einer Einstellung entgegensteht. Um eine mittelbare Diskriminierung handelt es sich dagegen, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen mit einer bestimmten Religion oder Weltanschauung gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können (Art. 2 Abs. 2 Buchstabe b der Richtlinie 2000/78/EG). Frauen, die ein Kopftuch oder eine Burka tragen, könnten beispielsweise dadurch ungleich behandelt werden, dass in einem Berufsfeld eine bestimmte Kleiderordnung besteht, die mit dem Tragen einer Burka oder eines Kopftuches unvereinbar ist. Eine solche mittelbare Diskriminie- 19 So Krimphove, Europäisches Religions- und Weltanschauungsrecht, in EuR 2009, Heft 3, Rn. 340. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 15/10 Seite 11 rung kann jedoch gerechtfertigt sein, wenn diese Vorschriften durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind (Art. 2 Abs. 2 Buchstabe b i) der Richtlinie 2000/78/EG). Im Fall eines Burka- und/oder Kopftuchverbots im Bereich Beschäftigung und Beruf kann somit eine Diskriminierung aus Gründen der Zugehörigkeit zu einer Religion vorliegen, die gegen das Verbot der Artikel 1 und 2 der Richtlinie 2000/78/EG verstieße. Solche Verbote können allerdings gerechtfertigt sein. 4.3.2. Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung Die Richtlinie 2000/78/EG enthält zunächst in Art. 5 allgemeine Rechtfertigungsgründe für eine Ungleichbehandlung. Danach berührt die Richtlinie nicht die im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Maßnahmen, die in einer demokratischen Gesellschaft für die Gewährung der öffentlichen Sicherheit, die Verteidigung der Ordnung und die Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind. Der Wortlaut dieser Einschränkung ist dem Wortlaut von Art. 9 Abs. 2 EMRK nachgebildet, so dass im Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78/EG eine ähnliche Rechtsprechung existiert, wie sie der EGMR hinsichtlich Art. 9 Abs. 2 EMRK hervorgebracht hat.20 Hinsichtlich der Frage, ob die in Art. 9 Abs. 2 EMRK (und Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG) aufgeführten Gründe zur Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung ein Burka- und/oder Kopftuchverbot rechtfertigen können, wird auf die Ausführungen des völkerrechtlichen Teils der Ausarbeitung verwiesen. Darüber hinaus enthält die Richtlinie 2000/78/EG auch spezifische Rechtfertigungsgründe: Gemäß Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass eine Ungleichbehandlung wegen eines Merkmals, das im Zusammenhang mit einem der in Art. 1 der Richtlinie genannten Diskriminierungsgründe steht, keine Diskriminierung darstellt, wenn das betreffende Merkmal aufgrund der Art einer bestimmten beruflichen Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern es sich um einen rechtmäßigen Zweck und eine angemessene Anforderung handelt. Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie enthält „religionsspezifische“ Rechtfertigungsgründe für eine Ungleichbehandlung in Bezug auf berufliche Tätigkeiten innerhalb von Kirchen und anderen öffentlichen oder privaten Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht. In solchen Fällen können die Mitgliedstaaten Bestimmungen in ihren zum Zeitpunkt der Annahme dieser Richtlinie geltenden Rechtsvorschriften beibehalten oder in künftigen Rechtsvorschriften Bestimmungen vorsehen, die bestehende einzelstaatliche Gepflogenheiten widerspiegeln. Danach stellt eine Ungleichbehandlung wegen der Religion oder Weltanschauung einer Person keine Diskriminierung dar, wenn die Religion oder die Weltanschauung dieser Person nach der Art dieser Tätigkeiten oder der Umstände ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung angesichts des Ethos der Organisation darstellt . 20 Fn. 19. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 15/10 Seite 12 Für die Beurteilung, ob ein Burka- und/oder Kopftuchverbots nach Art. 4 der Richtlinie 2000/78/EG gerechtfertigt sein kann, ist somit der Kontext maßgeblich, in dem ein solches Verbot ergeht oder besteht. Die Europäische Kommission hat am 2. Juli 2008 einen Vorschlag für eine Richtlinie des Rates angenommen, die darauf abzielt, den Schutz vor Diskriminierungen (u.a.) aus Gründen der Religion oder der Weltanschauung auf Bereiche außerhalb des Arbeitsplatzes auszuweiten.21 Die vorgeschlagene Richtlinie soll bestehende Rechtsvorschriften22 ergänzen und Diskriminierungen in den Bereichen Sozialschutz, einschließlich der sozialen Sicherheit und Gesundheitsdienste, soziale Vergünstigung, Bildung sowie Zugang zu Gütern und Dienstleistungen einschließlich Wohnraum verbieten.23 Am 30. November 2009 hat der (damalige) schwedische Vorsitz den Rat Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz über den Stand der Erörterungen hinsichtlich des Richtlinienentwurfs unterrichtet. Es sind jedoch noch weitere umfangreiche Beratungen zu einer Reihe von Fragen nötig.24 Nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon zum 1. Dezember 2009 wäre Art. 19 Abs. 1 AEUV Rechtsgrundlage für die vorgeschlagene Richtlinie. - Fachbereich Europa - 21 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ungeachtet der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung, 2. Juli 2008, KOM (2008) 426 endgültig. 22 Insbesondere die Richtlinien 2000/43/EG, 2000/78/EG und 2004/113/EG. 23 Vgl. zum aktuellen Stand: Bericht des Vorsitzes des Rates der Europäischen Union vom 17. November 2009 für den Ausschuss der Ständigen Vertreter/Rat (Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz), Sachstandsbericht zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ungeachtet der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung (Ratsdok. 15575/09). 24 Mitteilung an die Presse, 2980. Tagung des Rates Beschäftigung, Sozialpolitik, Gesundheit und Verbraucherschutz , Brüssel, den 30. November bis 1. Dezember 2009 (16611/1/09 REV 1 [Presse 348]), S. 13.