© 2017 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 146/16 Agrarförderung aus Bundesmitteln und EU-Beihilferecht – Teil I Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Diese Ausarbeitung dient lediglich der bundestagsinternen Unterrichtung, von einer Weiterleitung an externe Stellen ist abzusehen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 146/16 Seite 2 Agrarförderung aus Bundesmitteln und EU-Beihilferecht Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 146/16 Abschluss der Arbeit: 16. Januar 2017 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 146/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Überblick über das EU-Beihilferecht 4 2.1. Anwendbarkeit des EU-Beihilferechts 5 2.2. Materielles EU-Beihilferecht 5 2.3. EU-Beihilfeverfahren 6 2.3.1. Vorabnotifizierung und Beihilfeverfahren 6 2.3.2. Gruppenfreistellungsverordnungen und ex-post-Kontrolle 8 2.3.3. Verfahren bei sog. bestehenden Beihilfen 9 3. Zur Anwendung des EU-Beihilferechts auf die Agrarförderung des Bundes 10 3.1. Zur Reichweite des Art. 42 AEUV 10 3.2. EU-Beihilferecht im Bereich der Gemeinsamen Marktordnung 12 3.3. EU-Beihilferecht im Bereich von Direktzahlungen an Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe 13 3.4. EU-Beihilferecht im Bereich der Förderung ländlicher Entwicklung 14 3.5. Beachtung der zeitlichen Komponente 15 3.5.1. Beurteilung nach der geltenden Rechtslage 15 3.5.2. Spätere sekundärrechtliche Unterwerfung unter das EU- Beihilferecht 15 3.6. Zusammenfassung 17 4. Allgemeine beihilferechtliche Aspekte der Agrarförderung des Bundes 18 4.1. Agrarförderung aus Bundesmitteln und Beihilfetatbestand nach Art. 107 Abs. 1 AEUV 18 4.1.1. Unternehmenseigenschaft von Landwirten 18 4.1.2. Finanzierung aus staatlichen Mitteln 19 4.1.3. Begünstigung 19 4.1.4. Selektivität 20 4.1.4.1. Zu den Voraussetzungen der Selektivität 21 4.1.4.2. Selektivität der Bundesagrarförderung 23 4.1.5. Wettbewerbsverfälschungen und Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels 25 4.1.5.1. Allgemeines 25 4.1.5.2. De-minimis-Beihilfen im Agrarsektor 25 4.1.5.2.1. Materielle Anforderungen 26 4.1.5.2.2. Formale Anforderungen 27 4.2. Notifizierung, Freistellung und bestehende Beihilfen 27 4.3. Zusammenfassung 28 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 146/16 Seite 4 1. Einleitung Vor dem Hintergrund der Milchpreiskrise wird der Fachbereich um Auskunft ersucht, ob verschiedene Fördermaßnahmen des Bundes zugunsten des Agrarbereichs bei der EU-Kommission als Beihilfen zu notifizieren sind oder – soweit sie bereits gewährt werden – tatsächlich notifiziert wurden. Der 25. Subventionsbericht der Bundesregierung zählt für den insoweit einschlägigen Bereich „Ernährung und Landwirtschaft“ insgesamt 11 verschiedene Finanzhilfen und 19 verschiedene Steuervergünstigungen auf.1 Angaben zu den speziell im Zusammenhang mit der Milchpreiskrise in Aussicht gestellten oder bereits gewährten Fördermaßnahmen sind in diesem Bericht nicht enthalten. Die in diesem Zusammenhang geplanten Maßnahmen lassen sich jedoch der Mitteilung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) zum Milchgipfel 2016, der am 30. Mai 2016 stattgefunden hat, entnehmen.2 Sie knüpfen zum Teil an bestehende Förderinstrumente des Bundes an. Angesichts der Vielzahl der im Einzelnen zu untersuchenden Maßnahmen wird der Auftrag aus Gründen der Übersichtlichkeit auf zwei Gutachten aufgeteilt. Im vorliegenden Gutachten wird zunächst ein kurzer Überblick über das EU-Beihilferecht gegeben (2.). Hierbei werden auch die für das Auskunftsersuchen relevanten Kommissionsmaßnahmen berücksichtigt. Anschließend werden die sich für den gesamten Bereich der Bundesagrarförderung stellenden beihilferechtlichen Aspekte beleuchtet. Dabei ist zwischen Fragen der Anwendung des EU-Beihilferechts auf mitgliedstaatliche Agrarförderung einerseits (3.) und rein beihilferechtlichen Gesichtspunkten andererseits zu unterscheiden (4.). Im zweiten Gutachten werden sodann die einzelnen Fördermaßnahmen und ihre jeweiligen Besonderheiten betrachtet, wobei zwischen der von der Milchpreiskrise unabhängigen Agrarförderung und der Förderung im Zusammenhang mit der Milchpreiskrise unterschieden wird. 2. Überblick über das EU-Beihilferecht Das EU-Beihilferecht ist in den Art. 107 ff. AEUV geregelt. Neben Fragen zur Anwendbarkeit dieses Rechtsgebiets (2.1.) ist zwischen materiellen (2.2.) und verfahrensrechtliche Bestimmungen (2.3.) zu unterscheiden. 1 Bericht der Bundesregierung über die Entwicklung der Finanzhilfen des Bundes und der Steuervergünstigungen für die Jahre 2013 bis 2016 (25. Subventionsbericht) vom 2. September 2015, BT-Drs. 18/5940, online abrufbar unter http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/18/059/1805940.pdf (letztmaliger Abruf am 18.01.17), vgl. jeweils Anlage 1, Punkt 1, S. 57, 59-60, sowie Anlage 2, Punkt 1, S. 68, 70-72. 2 BMEL, Milchgipfel 2016, Maßnahmen zur Existenzsicherung der deutschen Landwirtschaft in der aktuellen Milchkrise, online abrufbar unter http://www.bmel.de/SharedDocs/Downloads/Landwirtschaft/Foerderung/Liquiditaetshilfen /ErgebnispapierMilchgifpel.pdf?__blob=publicationFile (letztmaliger Abruf am 18.01.17). Siehe dazu auch die Unterrichtung durch die Bundesregierung vom 07.10. 2016 zu Drs. 314/16, online abrufbar unter https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2016/0301-0400/zu314-16(B).pdf?__blob=publication- File&v=1 (letztmaliger Abruf am 18.01.17). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 146/16 Seite 5 2.1. Anwendbarkeit des EU-Beihilferechts Ausweislich Art. 107 Abs. 1 AEUV gilt das grundsätzliche Beihilfeverbot (dazu sogleich) nur „soweit in den Verträgen nichts anderes bestimmt ist“. Eine die Anwendbarkeit des Beihilferechts auf der Ebene des Primärrechts einschränkende Regelung findet sich u. a. in dem hier relevanten AEUV-Titel über die Landwirtschaft und Fischerei (im Folgenden: GAP). Nach Art. 42 AEUV findet u. a. das EU-Beihilferecht „auf die Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse und den Handel mit diesen nur insoweit Anwendung, als das Europäische Parlament und der Rat dies […] bestimmen .“ Danach steht die Anwendung des EU-Beihilferechts auf den Agrarbereich folglich unter dem Vorbehalt einer sekundärrechtlichen Anordnung. Derartige Anordnungen sind in der Praxis bereits früh getroffen worden, enthalten jedoch zahlreiche Ausnahmen. Nähere Ausführungen hierzu finden sich unten unter 3.1. 2.2. Materielles EU-Beihilferecht Den materiellen Kern des EU-Beihilferechts bildet das an die Mitgliedstaaten gerichtete grundsätzliche Verbot staatlicher Beihilfen. Nach Art. 107 Abs. 1 AEUV sind staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen . Diesem Normtext werden mehrere Merkmale entnommen, die kumulativ erfüllt sein müssen, um von dem Vorliegen einer Beihilfe ausgehen zu können: Neben der aus staatlichen Mitteln gewährten Begünstigung gehört hierzu die Selektivität (Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige), die Wettbewerbsverfälschung und die Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels.3 Fehlt es nur an einem der Merkmale, so liegt keine Beihilfe nach Art. 107 Abs. 1 AEUV vor und das EU-Beihilferecht findet keine Anwendung.4 Sind die Merkmale des Art. 107 Abs. 1 AEUV hingegen erfüllt, so ist dies nicht gleichbedeutend mit einer Unionsrechtswidrigkeit der betreffenden nationalen Maßnahme. Denn das darin geregelte Beihilfeverbot gilt nicht absolut, sondern nur insoweit, als in den Verträgen nichts anderes bestimmt ist. Zu diesen „anderen Bestimmungen“ zählt vor allem Art. 107 Abs. 3 AEUV.5 Danach 3 Siehe zu den einzelnen Merkmalen und der dazu ergangenen Rechtsprechung die sog. Beihilfemitteilung der Kommission: Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, ABl.EU 2016 Nr. C 262/1, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52016XC0719(05)&from=DE (letztmaliger Abruf unter 18.01.17). In dieser Mitteilung erläutert die Kommission unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EuGH die einzelnen Merkmale des Beihilfetatbestandes. 4 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 24.07.2003, Rs. C-280/00 (Altmark Trans), Rn. 74, mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung. 5 Weitere primärrechtliche Vorschriften in diesem Zusammenhang sind Art. 107 Abs. 2 AEUV (zwingende Legalausnahmen ), Art. 93 AEUV für den Verkehrsbereich und Art. 106 Abs. 2 AEUV für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betraut sind oder den Charakter eines Finanzmonopols haben. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 146/16 Seite 6 können Beihilfen unter bestimmten Voraussetzungen als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen werden (Ermessensausnahme). 2.3. EU-Beihilfeverfahren Der Vollzug des EU-Beihilferechts obliegt auf Grundlage von Art. 108 AEUV vor allem der Kommission .6 In verfahrenstechnischer Hinsicht sind dabei zwei Ansätze zu unterscheiden: eine primärrechtlich angelegte ex-ante-Prüfung (siehe unter 2.2.1.) und eine sekundärrechtlich geprägte ex-post-Kontrolle (siehe unter 2.2.2.). Verfahrensrechtliche Besonderheiten gelten für sog. bestehende Beihilfen, die bereits vor dem Inkrafttreten der Verträge und damit dem Anwendungsbeginn des Beihilferechts gewährt wurden (2.2.3.). 2.3.1. Vorabnotifizierung und Beihilfeverfahren Nach Art. 108 Abs. 2 und 3 AEUV sowie der sekundärrechtlichen Konkretisierung in Gestalt der Beihilfenverfahrensordnung (Beihilfe-VerfO)7 können mitgliedstaatliche Vorhaben vorab (präventiv ) überprüft werden. Verfahrensrechtlicher Ausgangspunkt ist hierbei die Pflicht der Mitgliedstaaten , (neue) Beihilfen vor ihrer Einführung bei der Kommission anzumelden (Notifizierungspflicht , vgl. Art. 108 Abs. 3 S. 1 AEUV, Art. 2 Abs. 1 Beihilfe-VerfO). Diese prüft sodann, ob eine Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV vorliegt und – wenn das der Fall ist – ob sie insbesondere nach Art. 107 Abs. 3 AEUV gerechtfertigt werden kann. Erst im Anschluss hieran darf der betreffende Mitgliedstaat die Beihilfe gewähren (sog. Durchführungsverbot, vgl. Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV, Art. 3 Beihilfe-VerfO). Das der Beihilfeverfahrensordnung zugrunde liegende Verfahren besteht aus zwei Stufen: einer vorläufigen Prüfung (Art. 4 Beihilfe-VerfO) und einem sich ggf. anschließenden förmlichen Prüfverfahren (Art. 6-9 Beihilfe-VerfO). Während die Kommission auf der ersten Stufe nur zwei Monate Zeit hat, um eine Entscheidung zu treffen (vgl. Art. 4 Abs. 5 Beihilfe-VerfO), besteht für die zweite Stufe lediglich eine Sollvorgabe von 18 Monaten (vgl. Art. 9 Abs. 6 Beihilfe-VerfO). Eingeleitet wird das förmliche Prüfverfahren nur, soweit die Kommission im Rahmen der vorläufigen Prüfung zu dem Ergebnis gelangt, dass die betreffende staatliche Maßnahme „Anlass zu Bedenken hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt gibt“ (vgl. Art. 4 Abs. 4 Beihilfe- VerfO). Ist die Kommission nach der vorläufigen Prüfung der Ansicht, dass keine Beihilfe vorliegt oder diese keinen Anlass zu entsprechenden Bedenken bietet, so kann sie das Beihilfeverfahren ohne Durchführung eines förmlichen Prüfverfahrens schon auf der ersten Stufe abschließen (vgl. Art. 4 Abs. 2 und 3 Beihilfe-VerfO). Wird eine Beihilfe unter Verstoß gegen das Notifizierungsgebot gewährt, so wird hieraus eine sog. rechtswidrige Beihilfe [vgl. Art. 1 Buchst. f) Beihilfe-VerfO]. Die Kommission kann bei Kenntnis- 6 Zu den wenigen, zum Teil auf Ausnahmesituationen beschränkten Kompetenzen des Rates im EU-Beihilfenrecht nach Art. 107 Abs. 3 lit. e, Art. 108 Abs. 2 UAbs. 3 sowie Art. 109 AEUV, vgl. allgemein, Frenz, Handbuch Europarecht, Band 3: Beihilfe- und Vergaberecht, 2007, Rn. 1224 ff. 7 Verordnung (EU) Nr. 2015/1589 des Rates vom 13. Juli 2015 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 108 AEUV, ABl.EU 2015 Nr. L 248/9, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32015R1589&from=DE (letztmaliger Abruf am 18.01.17). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 146/16 Seite 7 nahme des betreffenden Sachverhalts von Amts wegen ein Verfahren einleiten und den Mitgliedstaat während der Prüfungsdauer ggf. zu einer Aussetzung oder einstweiligen Rückforderung der Beihilfe verpflichten (vgl. Art. 12, 13 Beihilfe-VerfO). Eine Fristbindung besteht hier – anders als bei Verfahrenseinleitung infolge einer Notifizierung – nicht (vgl. Art. 15 Abs. 2 Beihilfe-VerfO). Stellt sich die betreffende Beihilfe schließlich als mit dem Binnenmarkt unvereinbar dar, weil keiner der Rechtfertigungstatbestände eingreift, hat die Kommission die Rückforderung der Beihilfe durch den betreffenden Mitgliedstaat anzuordnen (vgl. Art. 16 Beihilfe-VerfO). Allein der Umstand, dass eine Beihilfe entgegen der Notifizierungspflicht ausgekehrt wurde, berechtigt nicht zur dauerhaften Rückforderung. Von hoher praktischer Bedeutung für das Beihilfeverfahren sind zahlreiche Sekundärrechtsakte, in denen die Kommission einerseits ihre Ermessenspraxis u. a. zur Auslegung des Art. 107 Abs. 3 AEUV und andererseits die beihilferechtliche Rechtsprechung der Unionsgerichte zum Beihilfetatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV verschriftlicht hat, um die Rechtssicherheit (Vorhersehbarkeit ) und Transparenz ihres Entscheidungsprozesses zu erhöhen.8 Zu diesen Rechtsakten gehören sowohl rechtlich verbindliche als auch nicht verbindliche Maßnahmen, wobei letztere – ähnlich wie nationale Verwaltungsvorschriften – zumindest eine Selbstbindung der Kommission begründen .9 Zur Gruppe der erstgenannten Akte zählen etwa die sog. De-Minimis-Verordnungen, in denen festgelegt wird, ab welchen Schwellenwerten der staatlichen Förderung das EU-Beihilferecht überhaupt zur Anwendung gelangt.10 Für den hier relevanten Agrarbereich ist die Agrar-De-Minimis -Verordnung zu beachten.11 Nicht verbindliche Vorschriften werden in Form sog. (zum Teil bereichsspezifischer) Leitlinien, Unionsrahmen und Mitteilungen12 erlassen. Soweit sie sich auf die Rechtfertigungstatbestände des Art. 107 Abs. 3 AEUV beziehen, gewährleistet die Einhaltung der darin enthaltenen Vorgaben in der Regel einen positiven Ausgang des Beihilfeverfahrens. 8 Cremer, in: Callies/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 107 AEUV, Rn. 4. 9 Vgl. bspw. EuGH, Urt. v. 5.10.2000, Rs. C-288/96 (Deutschland/Deutschland), Rn. 62; EuGH, Urt. v. 7.03.2002, Rs. C-310/99 (Italien/Kommission), Rn. 52. 10 Vgl. bspw die Verordnung (EU) Nr. 1407/2013 der Kommission vom 18. Dezember 2013 über die Anwendung der Art. 107 und 108 AEUV auf De-minimis-Beihilfen, ABl.EU 2013 Nr. L 352/1, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32013R1407&qid=1417597248357&from=DE – letztmaliger Abruf am 18.01.17. 11 Verordnung (EU) Nr. 1408/2013 der Kommission vom 18. Dezember 2013 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf De-minimis-Beihilfen im Agrarsektor, ABl.EU 2013 Nr. L 352/9, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32013R1408&qid=1477478881627&from=DE (letztmaliger Abruf am 18.01.17). 12 Ein Gesamtüberblick über die verschiedenen Rechtsakte findet sich auf den Seiten der Generaldirektion Wettbewerb der Kommission unter http://ec.europa.eu/competition/state_aid/legislation/compilation/index_de.html (Stand vom 15.04.2014). Zur Frage der Rechtsverbindlichkeit der ermessenskonkretisierenden Kommissionsakte , vgl. Frenz (Fn. 6), Rn. 747 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 146/16 Seite 8 Vorliegend ist zum einen in allgemeiner Hinsicht die kürzlich erlassene sog. Beihilfemitteilung zu erwähnen, in welcher die Kommission den Beihilfetatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV anhand der bisherigen Rechtsprechung erläutert.13 Zum anderen ist hier auf die für die Rechtfertigungsebene einschlägige Rahmenregelung für staatliche Beihilfen im Agrar- und Forstsektor und in ländlichen Gebieten 2014-2020 hinzuweisen.14 2.3.2. Gruppenfreistellungsverordnungen und ex-post-Kontrolle Neben der primärrechtlich vorgegebenen (präventiven) ex-ante Kontrolle eröffnet das Primärrecht die Möglichkeit, Beihilfen auch ohne vorherige Anmeldung und Kommissionsüberprüfung zu gewähren, soweit bestimmte, vorab bekannte materielle und formale Anforderungen eingehalten werden.15 Diese Anforderungen ergeben sich aus sog. Freistellungsverordnungen, die die Kommission u. a. auf Grundlage von Art. 108 Abs. 4 AEUV in Verbindung mit einer sie dazu ermächtigenden Verordnung des Rates im Sinne des Art. 109 AEUV erlassen kann.16 Bei Einhaltung der jeweiligen Vorgaben werden die Mitgliedstaaten von der Pflicht zur (vorherigen) Notifizierung des Beihilfevorhabens und seiner Vorab-Kontrolle nach Art. 108 Abs. 2 und 3 AEUV freigestellt. Die Kommission kann die gleichwohl zu meldende Gewährung solcher Beihilfen jedoch nachträglich kontrollieren. Für den Agrarbereich ist derzeit die Verordnung zur Feststellung der Vereinbarkeit bestimmter Arten von Beihilfen im Agrar- und Forstsektor und in ländlichen Gebieten mit dem Binnenmarkt in Anwendung der Artikel 107 und 108 AEUV maßgeblich (im Folgenden: Agrar-GVO).17 Das darauf beruhende Kommissionsmonitoring ist in den Art. 9, 12 und 13 Agrar-GVO geregelt. Die in Art. 9 Abs. 2 Agrar-GVO vorgesehene Pflicht für die Mitgliedstaaten zur Internet-Veröffentlichung von bestimmten Informationen über die auf Grundlage dieses Rechtsaktes gewährten Beihilfen besteht allerdings erst ab dem 1. Juli 2016. Sie erfasst zudem nur solche Beihilfen, die ab diesem Zeitpunkt gewährt werden (vgl. Art. 9 Abs. 7 iVm. Art. 52 Agrar-GVO). Einzustellen sind 13 Siehe oben Fn. 3. 14 ABl.EU 2014 Nr. C 204/1, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52014XC0701%2801%29&from=DE (letztmaliger Abruf am 18.01.17). 15 Dieser Bereich des Beihilferechts wurde im Zuge der 2014 durchgeführten Beihilferechtsreform („State Aid Modernisation “) ausgebaut, vgl. Soltész, Das neue europäische Beihilferecht, NJW 2014, S. 3128 (3130). Siehe auch die sog. Transparenzmitteilung der Kommission, ABl.EU 2014 Nr. C 198/30, online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52014XC0627(02)&from=DE (letztmaliger Abruf am 18.01.17), I. Einführung, erster Absatz. 16 Bei der Verordnung des Rates auf Grundlage von Art. 109 AEUV handelt es sich um die Verordnung (EG) Nr. 994/98 vom 7. Mai 1998 über die Anwendung der Artikel 107 und 108 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union auf bestimmte Gruppen horizontaler Beihilfe, ABl.EG 1998 Nr. L 142/1, konsolidierte Fassung online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:01998R0994- 20130820&qid=1430746279772&from=DE – letztmaliger Abruf am 18.01.17. 17 Verordnung (EU) Nr. 702/2014 vom 25. Juni 2014, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32014R0702&from=DE (letztmaliger Abruf am 18.01.17). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 146/16 Seite 9 die Informationen innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach Beihilfegewährung, bei Steuervergünstigungen innerhalb eines Jahres nach dem Abgabetermin für die Steuererklärung, vgl. Art. 9 Abs. 4, 7 Agrar-GVO. 2.3.3. Verfahren bei sog. bestehenden Beihilfen Bestehende Beihilfen sind Gegenstand des Art. 108 Abs. 1 AEUV. Danach werden diese von der Kommission fortlaufend in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten überprüft. Die Kommission schlägt den Mitgliedstaaten zweckdienliche Maßnahmen vor, welche die fortschreitende Entwicklung und das Funktionieren des Binnenmarkts erfordern. Eine ausgestaltende Konkretisierung erfährt Art. 108 Abs. 1 AEUV sodann in der Beihilfeverfahrensordnung . In Art. 1 Buchst. b) Beihilfe-VerfO findet sich eine Definition von fünf Untergruppen bestehender Beihilfen. Dazu zählen zum einen alle Beihilfen, die vor dem Inkrafttreten der Verträge in dem betreffenden Mitgliedstaat bestanden und noch anwendbar sind, vgl. Art. 1 Buchst. b) i) Beihilfe-VerfO. Für Deutschland als Gründungsmitglied der damaligen EWG war dies der 1. Januar 1958.18 Zum anderen fallen darunter genehmigte Beihilfen [Art. 1 Buchst. b) ii) bis iii) Beihilfe-VerfO] sowie zwei weitere Konstellationen, von denen Art. 1 Buchst. b) v) Beihilfe-VerfO vorliegend von Bedeutung sein kann.19 Danach sind auch solche Maßnahmen als bestehende Beihilfen anzusehen , die die zum Zeitpunkt der Einführung nicht als Beihilfen galten, aber später aufgrund der Entwicklung des Binnenmarktes zu Beihilfen wurden, ohne dass sie eine Änderung durch den betreffenden Mitgliedstaat erfahren haben. Das Verfahren der fortlaufenden Überprüfung ist in Art. 21 ff. Beihilfe-VerfO geregelt. Nach Art. 21 Abs. 1 Beihilfe-VerfO holt die Kommission bei dem betreffenden Mitgliedstaat alle erforderlichen Auskünfte ein. Gelangt sie aufgrund dieser Informationen zu der Auffassung, dass die bestehende Beihilfe mit dem Binnenmarkt nicht oder nicht mehr vereinbar ist, so kann sie dem Mitgliedstaat nach Art. 22 Beihilfe-VerfO zweckdienliche Maßnahmen vorschlagen. Diese können entweder eine inhaltliche Änderung der Maßnahme, eine Einführung von Verfahrensvorschriften oder die Abschaffung der Maßnahme zum Inhalt haben. Stimmt der betreffende Mitgliedstaat dem Vorschlag nicht zu und bleibt die Kommission bei ihrer Auffassung, so muss sie ein förmliches Prüfverfahren einleiten, wenn sie zu einem Beihilfeverbot gelangen will, vgl. Art. 23 Abs. 2 Beihilfe-VerfO. Für den hier einschlägigen Kontext ist zum einen von Bedeutung, dass bestehende Beihilfen von den Mitgliedstaaten regelmäßig durchgeführt werden dürfen, solange die Kommission nicht ihre 18 Vgl. Mederer, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Vorbemerkungen zu den Artikeln 107 bis 109 AEUV, Rn. 20. 19 Hier nicht relevant ist der Fall nach Art. 1 Buchst. b) iv) und v) Beihilfe-VerfO. Dieser bezieht sich auf (rückforderbare ) Beihilfen, bei denen nach Art. 17 Beihilfe-VerfO die Rückforderungsverpflichtung verjährt ist. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 146/16 Seite 10 Vertragswidrigkeit (für die Zukunft) festgestellt hat.20 Es besteht bei bestehenden Beihilfen folglich weder eine Notifizierungspflicht nach Art. 108 Abs. 3 AEUV noch kommt ggf. eine Freistellung hiervon in Betracht. Zum anderen stellt sich in Anbetracht der nach Art. 42 AEUV erforderlichen sekundärrechtlichen Anwendungsanordnung für das Beihilferecht die Frage, ob und auf welcher Grundlage mitgliedstaatliche Fördermaßnahmen im Agrarbereich als bestehende oder Neubeihilfen anzusehen sind, wenn sie schon vor der entsprechenden Anwendungsanordnung in Kraft waren. 3. Zur Anwendung des EU-Beihilferechts auf die Agrarförderung des Bundes Wie eingangs ausgeführt, steht die Anwendung des EU-Beihilferechts im Bereich der GAP nach Art. 42 AEUV unter dem Vorbehalt einer sekundärrechtlichen Anordnung durch Parlament und Rat. In mehreren Verordnungen zu unterschiedlichen Bereichen der GAP haben zunächst Rat und später dann Rat und Parlament bereits seit den 1960igern von der sekundärrechtlichen Anordnung Gebrauch gemacht.21 Dies erfolgte allerdings nicht von Anbeginn umfassend. Zudem waren und sind zum einen weiterhin Ausnahmen in den GAP-Rechtsakten von der Anwendung der Art. 107 ff. AEUV vorgesehen. Zum anderen besteht zumindest im Schrifttum Uneinigkeit, wie weit der Vorbehalt in Art. 42 AEUV in sachlicher Hinsicht reicht. Obgleich heute im Grundsatz von einer sekundärrechtlich begründeten Anwendung der Art. 107 ff. AEUV auf mitgliedstaatliche Maßnahmen im Bereich der Landwirtschaft ausgegangen wird, bedarf es in sachlicher und – bei längerfristig bestehender Förderung – ggf. auch in zeitlicher Hinsicht, einer Einzelfallprüfung , ob und in welchem Umfang das EU-Beihilferecht zu beachten ist. Nachfolgend wird kurz auf die Anwendungsreichweite des Art. 42 AEUV eingegangen (3.1.). Sodann sind die einschlägigen GAP-Verordnungen sowie die darin geregelten Ausnahmen von der Anwendung des EU-Beihilferechts darzustellen (3.2. bis 3.4.). Einer gesonderten Betrachtung bedarf die zeitliche Komponente (3.5.) Der Abschnitt endet mit einer Zusammenfassung (3.6.). 3.1. Zur Reichweite des Art. 42 AEUV Der in Art. 42 AEUV enthaltene sekundärrechtliche Anordnungsvorbehalt für das EU-Beihilferecht bezieht sich dem Wortlaut nach nur auf die „Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse und den Handel mit ihnen“ (vgl. Satz 1). Hiervon werden jedenfalls erzeugnisbezogene Fördermaßnahmen erfasst (sog. Agrarmarktrecht – erste Säule der GAP22), soweit sie sich auf Produkte beziehen, die als landwirtschaftliche Erzeugnisse im Sinne der GAP anzusehen sind. Maßgeblich 20 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 18.07.2013, Rs. C-6/12 P (P Oy), Rn. 36. 21 Siehe hierzu Busse, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht, 3. Aufl. 2015, § 25 Agrarrecht, Rn. 301, 302. 22 Vgl. zu den Begrifflichkeiten von Rintelen, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der Europäischen Union, Art. 42 AEUV, 56. Ergänzungslfg., Rn. 51; Busse, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht (Fn. 21), § 25 Agrarrecht, Rn. 29 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 146/16 Seite 11 für letzteres ist nach Art. 38 Abs. 3 AEUV die Aufzählung in Anhang I zu den EU-Verträgen.23 Hieraus folgt, dass (staatliche) Fördermaßnahmen in Bezug auf Erzeugnisse, die dort nicht aufgeführt sind, bereits primärrechtlich uneingeschränkt dem EU-Beihilferecht der Art. 107 ff. AEUV unterfallen. Im Schrifttum umstritten ist hingegen, ob der Vorbehalt des Art. 42 AEUV auch für Maßnahmen greift, die keinen unmittelbaren Erzeugnisbezug aufweisen, sondern allgemein der Landwirtschaft und insbesondere der Entwicklung des ländlichen Raums zugutekommen (sog. Agrarstrukturrecht – zweite Säule der GAP).24 Nach der bisherigen Rechtsetzungspraxis wird von Art. 42 AEUV sowohl im Zusammenhang mit Agrarmarktregelungen der ersten Säule als auch bezüglich Agrarstrukturmaßnahmen nach der zweiten Säule Gebrauch gemacht.25 Diese Streitfrage ist von erheblicher Bedeutung. Denn ein weites Verständnis des Art. 42 AEUV gewährt Parlament und Rat eine von der Kommission unabhängige Steuerungsbefugnis in Bezug auf das EU-Beihilferecht auch im Agrarstrukturbereich. Diese Befugnis kann etwa in der Festlegung von Ausnahmeregelungen zum Ausdruck kommen, die neben die sekundärrechtliche Anwendungsanordnung der Art. 107 ff. AEUV treten. Wäre hingegen von einem engen Verständnis auszugehen, würde das gesamte Agrarstrukturrecht jedenfalls in Bezug auf autonome mitgliedstaatliche Maßnahmen bereits von Primärrechtswegen uneingeschränkt unter Art. 107 ff. AEUV fallen. Soweit ersichtlich, hat der EuGH diese Frage bisher nicht ausdrücklich entschieden. Ein Urteil des Gerichtshofs aus 2006 kann jedoch als implizite Bestätigung des weiten Verständnisses verstanden werden. In dem betreffenden Vorabentscheidungsersuchen ging es um die Gültigkeitsprüfung einer Kommissionsentscheidung, mit der verschiedene italienische Beihilfen im Landwirtschaftssektor für unionsrechtswidrig erklärt wurden.26 Die Beihilfeempfänger trugen u. a. vor, dass das EU-Beihilferecht keine Anwendung auf diese Maßnahmen finden würde.27 Der EuGH stellte insoweit Art. 42 AEUV ins Zentrum seiner Prüfung und untersuchte, ob die in Frage stehenden Beihilfemaßnahmen landwirtschaftliche Erzeugnisse im Sinne der GAP betrafen und im Lichte des einschlägigen Sekundärrechts dem EU-Beihilferecht zu unterwerfen waren.28 In Bezug auf eine der streitigen Maßnahmen stellt der Gerichtshof fest, dass die daraus gewährten Beihilfen sich „nicht auf spezifische Erzeugnisse beziehen, sondern vielmehr allgemeine Hilfen für 23 Die EU-Amtsblattfassung des Anhang I ist online abrufbar etwa unter https://umweltministerium.hessen.de/sites /default/files/media/hmuelv/anhang_i_aeuv_fallende_erzeugnisse.pdf (letztmaliger Abruf am 18.01.17). 24 Vgl. etwa Busse, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht (Fn. 21), § 25 Agrarrecht, Rn. 311 ff.; ders., in: Lenz/Borchard, EU-Verträge, 6. Aufl. 2013, Art. 42 AEUV, Rn. 3, 17, der mit Verweis auf die Praxis auf eine weite Auslegung verweist. Für eine enge, auf den Wortlaut gestützte Auslegung hingegen von Rintelen, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Fn. 22), Art. 42 AEUV, Rn. 54. 25 Vgl. Busse, in: Lenz/Borchard (Fn. 24), Art. 42 AEUV, Rn. 3. 26 EuGH, Urt. v. 23.02.2006, verb. Rs. C-346/03 u. C-529/03 (Atzeni u. a.), Rn. 1 f., 16 f. 27 EuGH, aaO., Rn. 35. 28 EuGH, aaO., Rn. 37. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 146/16 Seite 12 [verschuldete landwirtschaftliche] Betriebe [darstellen].“29 Er ordnete sie sodann dem Anwendungsbereich einer GAP-Verordnung zu, deren Gegenstand Agrarstrukturmaßnahmen waren, und stützte die Anwendung des EU-Beihilferechts auf den dort enthaltenen sekundärrechtlichen Verweis auf die Art. 107 ff. AEUV.30 Damit brachte er implizit zum Ausdruck, dass auch die erzeugnisindifferente Förderung Art. 42 AEUV unterfallen kann, soweit die betreffenden Maßnahmen dem Inhalt nach von einer GAP-Verordnung erfasst werden. Ungeklärt bleibt hierbei freilich, ob und inwieweit die betreffenden Maßnahmen gleichwohl eine (wenigstens mittelbare) Verbindung zu landwirtschaftlichen Erzeugnissen im Sinne der GAP aufweisen müssen. Dessen ungeachtet wird mit Blick auf diese Entscheidung vorliegend ebenfalls von einem weiten Verständnis des Art. 42 AEUV ausgegangen. Danach kommt es auch im Rahmen agrarstruktureller Regelungsbereiche auf eine sekundärrechtliche Anwendungsanordnung hinsichtlich der Art. 107 ff. AEUV an. Fehlt eine solche, ist das EU-Beihilferecht nicht zu beachten, sofern die Maßnahme an sich unter Art. 42 AEUV subsumiert werden kann. 3.2. EU-Beihilferecht im Bereich der Gemeinsamen Marktordnung Zentraler Rechtsakt für das EU-Agrarmarktrecht ist derzeit die Verordnung Nr. 1308/2013 des EP und des Rates über eine gemeinsame Marktorganisation für landwirtschaftliche Erzeugnisse31 (im Folgenden: GMO 2013). Sie erfasst mittlerweile alle landwirtschaftlichen Erzeugnisse im Sinne der GAP, ausgenommen Erzeugnisse der Fischerei und der Aquakultur (vgl. Art. 1 Abs. 1 GMO).32 Die Regelungen zur Anwendung der Art. 107 ff. AEUV findet sich in den Art. 211 ff. GMO 2013: Nach dem Wortlaut des Art. 211 Abs. 1 GMO 2013 finden Art. 107 bis 109 AEUV auf die Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse und den Handel mit diesen Erzeugnissen Anwendung. Art. 211 Abs. 2 GMO 2013 enthält sodann die Grundregel zu den hiervon bestehenden Ausnahmen . Danach findet das EU-Beihilferecht abweichend von Art. 211 Abs. 1 AEUV keine Anwendung auf Zahlungen, die von den Mitgliedstaaten gemäß und in Übereinstimmung mit folgenden Maßnahmen bzw. Bestimmungen geleistet werden: (a) den in dieser Verordnung vorgesehenen Maßnahmen, die ganz oder teilweise von der Union finanziert werden und (b) den Bestimmungen der Art. 213 bis 218 GMO 2013. Während Art. 211 Abs. 2 Buchst. a) GMO 2013 den hier nicht relevanten Fall einer teilweisen oder ganzen Finanzierung der Förderung durch die EU erfasst, ist Art. 211 Abs. 2 Buchst. b) GMO 29 EuGH, aaO., Rn. 47. 30 EuGH, aaO., Rn. 47. 31 ABl.EU 2013 Nr. L 347/671, letzte konsolidierte Fassung online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legalcontent /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02013R1308-20160731&qid=1484129908957&from=DE (letztmaliger Abruf am 18.01.17). Siehe allgemein zur Entwicklung der EU-GMO sowie zum Inhalt, Busse, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach , Europarecht (Fn. 21), § 25 Agrarrecht, Rn. 33 ff. 32 Vgl. auch Busse, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht (Fn. 21), § 25 Agrarrecht, Rn. 304. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 146/16 Seite 13 2013 für den vorliegenden Gutachtenauftrag grundsätzlich von Bedeutung. Denn diese Bestimmung verweist auf verschiedene, in den in Art. 213 bis 218 GMO 2013 speziell geregelte (rein) mitgliedstaatliche Fördermaßnahmen.33 Für Deutschland bestehen in diesem Rahmen mittlerweile keine (fortgeltenden) Sonderregelungen mehr. In der Vorgänger-GMO 200734 fand sich an dieser Stelle die Ausnahme zugunsten des deutschen Branntweinmonopols (vgl. Art. 182 Abs. 4 GMO 2007). Diese wurde allerdings im Jahre 2010 zeitlich bis zum 31. Dezember 2017 befristet.35 Die Fortgeltung dieser Befristungsregelung wurde in Art. 230 Abs. 1 Buchst. f) GMO 2013 angeordnet. Vorbehaltlich der sogleich darzustellenden Verordnung über Direktzahlungen bedeutet dies im Ergebnis, dass die Bundesagrarförderung, soweit sie sich auf die Produktion und den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen im Sinne der GMO 2013 bezieht, nach Art. 211 Abs. 1 GMO 2013 (grundsätzlich) am Maßstab der Art. 107 ff. AEUV zu messen ist. 3.3. EU-Beihilferecht im Bereich von Direktzahlungen an Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe Eine sowohl als Agrarmarkt- als auch als Agrarstrukturregelung zu betrachtende EU-Maßnahme ist die Verordnung Nr. 1307/2013 des EP und des Rates mit Vorschriften über Direktzahlungen an Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe im Rahmen von Stützungsregelungen der Gemeinsamen Agrarpolitik (im Folgenden: Direktzahlungs-VO 2013).36 Sie enthält Vorgaben für verschiedene, finanzielle Fördermaßnahmen, die Landwirten direkt zugutekommen (u. a. die sog. Basisprämienregelung , vgl. Art. 1 Direktzahlungs-VO). Finanziert werden diese Maßnahmen zum Teil (auch) von der EU und zum Teil ausschließlich von den Mitgliedstaaten. Unter beihilferechtlichen Gesichtspunkten knüpft die Direktzahlungs-VO 2013 an die GMO 2013 an. In Art. 13 Direktzahlungs-VO 2013 wird nämlich festgelegt, dass die Art. 107 bis 109 AEUV abweichend von Art. 211 Abs. 1 GMO 2013 keine Anwendung auf Zahlungen finden, die (allein) von den Mitgliedstaaten entsprechend der Direktzahlungs-VO 2013 getätigt werden. Hieraus folgt 33 Etwa nationale Zahlungen für Rentiererzeugnisse in Finnland und Schweden, vgl. Art. 213 GMO 2013, oder nationale Zahlungen für die Destillation von Wein in Krisenzeiten, vgl. Art. 216 GMO 2013. 34 Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 des Rates vom 22. Oktober 2007 über eine gemeinsame Organisation der Agrarmärkte und mit Sondervorschriften für bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse (Verordnung über die einheitliche GMO), ABl.EU 2007 Nr. L 299/1, letzte konsolidierte Fassung online abrufbar unter http://eur-lex.europa .eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02007R1234-20130701&qid=1484130266175&from=DE (letztmaliger Abruf am 18.01.17). 35 Vgl. Verordnung (EU) Nr. 1234/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Dezember 2010 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 des Rates (Verordnung über die einheitliche GMO) hinsichtlich der im Rahmen des deutschen Branntweinmonopols gewährten Beihilfe, ABl.EU 2010 Nr. L 346/11, online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32010R1234&qid=1484130548772&from=DE (letztmaliger Abruf am 18. Januar 2017). 36 ABl.EU 2013 Nr. L 347/608, letzte konsolidierte Fassung online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legalcontent /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02013R1307-20150603&qid=1484130813057&from=DE (letztmaliger Abruf am 18.01.17). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 146/16 Seite 14 eine entsprechende Ergänzung bezüglich der Anwendung der Art. 107 ff. AEUV auf mitgliedstaatliche Fördermaßnahmen betreffend die Produktion und den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen im Sinne der GMO 2013. Soweit derartige Maßnahmen nach der Direktzahlungs -VO 2013 zulässig sind, ist eine Beachtung des EU-Beihilferechts nicht geboten. Art. 13 Direktzahlungs -VO 2013 enthält somit eine weitere Ausnahme von der Anwendung der Art. 107 ff. AEUV nach Art. 211 Abs. 1 GMO 2013. Fraglich ist allerdings, welche Bedeutung Art. 13 Direktzahlungs-VO 2013 für solche Fördermaßnahmen hat, die nicht die Produktion und den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen im Sinne der GMO 2013 betreffen.37 Da Art. 211 Abs. 1 GMO 2013 auf derartige Maßnahmen keine Anwendung findet, greift Art. 13 Direktzahlungs-VO hierfür nicht. Ob und inwieweit bei solchen Maßnahmen das EU-Beihilferecht zu beachten ist, kann sich dann nur aus anderen GAP-Rechtsakten ergeben. 3.4. EU-Beihilferecht im Bereich der Förderung ländlicher Entwicklung Zu solchen Rechtsakten gehört die Verordnung Nr. 1305/2013 des EP und des Rates über die Förderung der ländlichen Entwicklung durch den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER)38 – im Folgenden: ELER-VO. Hierbei handelt es sich um eine ausschließlich die Agrarstruktur betreffende Regelung. Die dort geregelten Maßnahmen haben keinen unmittelbaren Erzeugnisbezug. Inhaltlich enthält auch diese Verordnung Vorgaben für Fördermaßnahmen, die sowohl ganz oder teilweise von der EU finanziert werden als auch für solche, die nur von den Mitgliedstaaten getragen werden. Die sekundärrechtliche Regelung zur Anwendung des EU-Beihilferechts findet sich in Art. 81 ELER-VO.39 Nach ihrem Absatz 1 gelten die Art. 107 ff. AEUV grundsätzlich für mitgliedstaatliche Fördermaßnahmen für die Entwicklung des ländlichen Raums. Die Ausnahmen hiervon sind in Art. 81 Abs. 2 ELER-VO geregelt. Danach findet das EU-Beihilferecht in zwei Fällen keine Anwendung : zum einen auf Zahlungen, die von den Mitgliedstaaten „gemäß und im Einklang mit der vorliegenden Verordnung getätigt werden“, und zum anderen auf die sog. zusätzliche nationale Finanzierung gemäß Art. 82 ELER-VO. Art. 82 ELER-VO bestimmt, dass „Zahlungen, die von den Mitgliedstaaten für Maßnahmen, die in den Anwendungsbereich von Artikel 42 AEUV fallen, getätigt werden und mit denen zusätzliche Finanzmittel für die Entwicklung des ländlichen Raums, für die zu irgendeinem Zeitpunkt während des Programmplanungszeitraums eine Unionsförderung gewährt wird, bereitgestellt werden sollen, werden von den Mitgliedstaaten […] in die Programme zur Entwicklung des ländlichen Raums aufgenommen und, sofern sie die Kriterien nach dieser Verordnung erfüllen, von 37 Beispielsweise die Zahlungen an Junglandwirte, die eine landwirtschaftliche Tätigkeit aufnehmen, Art. 1 Buchst. b) vi), Art. 50 ff. Direktzahlungs-VO. 38 ABl.EU 2013 Nr. L 347/487, letzte konsolidierte Fassung online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legalcontent /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02013R1305-20150523&qid=1484131206378&from=DE (letztmaliger Abruf am 18.01.17). 39 Vgl. hierzu auch Busse, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht (Fn. 21), § 25 Agrarrecht, Rn. 310 f. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 146/16 Seite 15 der Kommission genehmigt.“ Es handelt sich folglich um mitgliedstaatliche Finanzhilfen, die zusätzlich zu einer von der EU aus dem ELER finanzierten Fördermaßnahme gewährt werden.40 Sie sind zudem der Kommission mitzuteilen und von ihr zu genehmigen. 3.5. Beachtung der zeitlichen Komponente Die vorstehend aufgeführten sekundärrechtlichen Anwendungsanordnungen geben die derzeitige Rechtslage wieder. Die darin geregelten Anwendungsanordnungen gelten somit erst seit Inkrafttreten der jeweiligen GAP-Rechtsakte bzw. ihrem Anwendungsbeginn (1. Januar 2014 bzw. 2015).41 Reichen – wie hier – einige Agrarfördermaßnahmen des Bundes zeitlich weiter zurück, gilt es zwei verschiedene Aspekte zu beachten (3.5.1. und 3.5.2.). 3.5.1. Beurteilung nach der geltenden Rechtslage Der erste Aspekt betrifft den zeitlichen Anwendungsbereich der sekundärrechtlichen Anordnungen . Es ist jeweils hinsichtlich der Anwendung des EU-Beihilferechts auf die zum Zeitpunkt der erstmaligen Förderung anwendbaren GAP-Rechtsakte abzustellen. Hierbei können sich Abweichungen zur derzeitigen Rechtslage ergeben. Insoweit sei beispielhaft auf die GMO 2007 und frühere GMOen verwiesen.42 Deren Anwendungsbereich erfasste – anders als bei der GMO 2013 – nicht alle landwirtschaftlichen Erzeugnisse im Sinne des Anhang I, so dass Raum für die Anwendung der (immer noch gültigen) Verordnung Nr. 1184/2006 des Rates zur Anwendung bestimmter Wettbewerbsregeln auf die Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse und den Handel mit diesen Erzeugnissen43 bestand.44 Diese Verordnung sieht in ihrem Art. 3 im Hinblick auf die Beachtung des EU-Beihilferechts vor, dass auf die von der GMO nicht erfassten landwirtschaftlichen Erzeugnisse lediglich Art. 108 Abs. 1 und Absatz 3 Satz 1 AEUV zur Anwendung gelangen. Danach ist der Kommission eine Beihilfeprüfung am Maßstab des Art. 107 AEUV verwehrt. Eine bestehende Förderung ist lediglich als bestehende Beihilfen anzusehen. Für den Fall der Einführung neuer Maßnahmen besteht nur eine Notifizierungspflicht. 3.5.2. Spätere sekundärrechtliche Unterwerfung unter das EU-Beihilferecht Ein im Hinblick auf die zeitliche Dimension gesondert zu betrachtendes Problem betrifft die Frage, wie mit mitgliedstaatlichen Agrarfördermaßnahmen zu verfahren ist, die schon in Kraft 40 Siehe hierzu Busse, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht (Fn. 21), § 25 Agrarrecht, Rn. 311. 41 GMO 2013: 1. Januar 2014, vgl. Art. 232. Direktzahlungs-VO: 1. Januar 2015, vgl. Art. 74. ELER-VO: 1. Januar 2014, vgl. Art. 90. 42 Siehe Busse, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht (Fn. 21), § 25 Agrarrecht, Rn. 304. 43 ABl.EU 2006 Nr. L 214/7, letzte konsolidierte Fassung online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02006R1184-20140101&qid=1484729853177&from=DE (letztmaliger Abruf am 18.01.17). 44 Vgl. Busse, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht (Fn. 21), § 25 Agrarrecht, Rn. 304. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 146/16 Seite 16 waren, bevor sie erstmals von einer sekundärrechtlich Anwendungsanordnung nach Art. 42 AEUV erfasst wurden. Bleiben sie anschließend unverändert, wäre es aus Gründen des Vertrauensschutzes problematisch, sie der uneingeschränkten Anwendung der Art. 107 ff. AEUV zu unterwerfen . Das EU-Beihilferecht an sich begegnet diesem Konflikt mit der oben erwähnten Rechtsfigur der bestehenden Beihilfen und sieht für deren Überprüfung ein anderes Verfahren als für neue Beihilfen vor.45 Insbesondere dürfen bestehende Beihilfen von den Mitgliedstaaten regelmäßig durchgeführt werden, solange die Kommission nicht ihre Vertragswidrigkeit (für die Zukunft) festgestellt hat.46 Es besteht bei bestehenden Beihilfen folglich weder eine Notifizierungspflicht nach Art. 108 Abs. 3 AEUV noch kommt ggf. eine Freistellung hiervon in Betracht. Fraglich ist, ob auch die eben beschriebene Konstellation einer späteren Anordnung nach Art. 42 AEUV dazu führt, dass die betreffende Agrarfördermaßnahme als bestehende Beihilfe angesehen werden könnte. In Betracht kommt insoweit die Fallgruppe in Art. 1 Buchst. b) v) S. 1 Beihilfe- VerfO. Danach gelten auch solche Maßnahmen als bestehende Beihilfen, bei denen nachgewiesen werden kann, dass sie zu dem Zeitpunkt, zu dem sie eingeführt wurden, keine Beihilfe waren und später aufgrund der Entwicklung des Binnenmarktes zu Beihilfen wurden, ohne dass sie eine Änderung durch den betreffenden Mitgliedstaat erfahren haben. Dies gilt nach Art. 1 Buchst. b) v) S. 2 Beihilfe-VerfO allerdings nicht, wenn die Maßnahmen im Anschluss an die Liberalisierung einer Tätigkeit durch Rechtsvorschriften der Union zu Beihilfen wurden. Ab dem für die Liberalisierung festgelegten Termin sind sie nach dieser Vorschrift vielmehr als neue Beihilfen anzusehen. Unter einer Entwicklung des Binnenmarktes im Sinne des Art. 1 Buchst. b) v) S. 1 Beihilfe-VerfO versteht man nach der Rechtsprechung des EuG „eine Änderung der wirtschaftlichen und rechtlichen Gegebenheiten in dem von der fraglichen Maßnahme betroffenen Sektor […].“47 Der Fall einer solchen Änderung kann sich nach der Rechtsprechung „insbesondere durch die Liberalisierung eines Marktes ergeben, der ursprünglich dem Wettbewerb entzogen war […]“.48 Diese Voraussetzungen lassen sich für eine erstmalige Anordnungsanwendung nach Art. 42 AEUV annehmen , da das EU-Beihilferecht erst ab diesem Zeitpunkt in dem betreffenden Bereich Geltung beansprucht . Fraglich ist allerdings, wie in diesem Kontext Art. 1 Buchst. b) v) S. 2 Beihilfe-VerfO zu bewerten ist. Denn er ordnet im Fall einer durch die Union vorgenommenen Liberalisierung die umgekehrte Rechtsfolge an, da die Maßnahme ab dem für die Liberalisierung festgelegten Termin als 45 Siehe oben unter 2.3.3., S. 9. 46 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 18.07.2013, Rs. C-6/12 P (P Oy), Rn. 36. 47 Ständige Rspr., siehe hier EuG, Urt. v. 9.09.2009, verb. Rs. T-227/01 bis T-229/01, T-265/01, T-266/01 und T-270/01 (Diputación Foral de Álava und Gobierno Vasco u. a./Kommission), Rn. 245, mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung. 48 Ständige Rspr., siehe etwa EuG, Urt. v. 24.03.2011, verb. Rs. T-443/08 und T-455/08 (Freistaat Sachsen u. a./Kommission), Rn. 188. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 146/16 Seite 17 neue Beihilfe zu betrachten ist. Vom Wortlaut her führt die Bestimmung zu einer Reduzierung des bisher in der Rechtsprechung zugrunde gelegten Verständnisses des Begriffs der „Entwicklung des Binnenmarktes“ in Bezug auf Liberalisierungen.49 Soweit das Rechtsprechungs-Verständnis bereits im Primärrecht des Art. 108 Abs. 1 AEUV angelegt ist – und darauf deutet die ursprüngliche EuG-Rechtsprechung hin –, dürfte die Einschränkung durch Art. 1 Buchst. b) v) S. 2 Beihilfe-VerfO primärrechtswidrig sein. Betrachtet man die letztgenannte Vorschrift hingegen als zulässige Konkretisierung des Art. 108 Abs. 1 AEUV bezüglich des Begriffs bestehender Beihilfen, so kann sie erst ab dem Zeitpunkt ihres Erlasses Geltung beanspruchen.50 Da diese Einschränkung erst mit der Beihilfe-VerfO 659/199951 eingeführt wurde und dieser Rechtsakt erst zum 16. April 1999 in Kraft getreten ist, wäre die Einschränkung frühestens ab diesem Datum zu beachten. 3.6. Zusammenfassung Soweit die Agrarförderung des Bundes in den Anwendungsbereich des Art. 42 AEUV fällt, bedarf es für eine Anwendung des EU-Beihilferechts einer sekundärrechtlichen Anordnung. Geht die Agrarförderung über den Anwendungsbereich des Art. 42 AEUV hinaus, kommen die Art. 107 ff. AEUV direkt und uneingeschränkt zur Anwendung. Eine sekundärrechtliche Anwendungsanordnung im Sinne des Art. 42 AEUV ergibt sich für Fördermaßnahmen , die sich auf die Produktion und den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen beziehen (sog. Agrarmarktregelungen), nach derzeitiger Rechtslage aus Art. 211 Abs. 1 GMO. Hierbei sind jedoch die (Rück-)Ausnahmen zu beachten, die sich insbesondere aus der Direktzahlungs -VO nach deren Art. 13 ergeben. Für zeitlich vor Inkrafttreten der GMO 2013 ins Werk gesetzte Fördermaßnahmen ist jeweils die zum damaligen Zeitpunkt geltende Rechtslage zu betrachten . Dies schließt die Möglichkeit ein, dass Agrarfördermaßnahmen, die vor einer Anordnung nach Art. 42 AEUV in Kraft gesetzt wurden, lediglich als bestehende Beihilfen im Sinne des Art.108 Abs. 1 AEUV anzusehen sind. Für Maßnahmen, die keinen (unmittelbaren) Erzeugnisbezug aufweisen und der Förderung der ländlichen Entwicklung dienen (sog. Agrarstrukturregelungen), ergibt sich die grundsätzliche Anwendung des EU-Beihilferechts nach derzeitiger Rechtslage aus Art. 81 Abs. 1 ELER-VO. (Rück-)Ausnahmen von dieser Anwendungsanordnung finden sich in Art. 81 Abs. 2 ELER-VO zum einen für mitgliedstaatliche Zahlungen, die auf Grundlage der ELER-VO erfolgen und zum 49 Vgl. insoweit auch EuG, Urt. v. 15.06.2000, verb. Rs. T-298/97, T-312/97, T-313/97, T-315/97, T-600/97 bis T-607/97, T-1/98, T-3/98 bis T-6/98 und T-23/98 (Alzetta u. a./Kommission), Rn. 143 f. 50 So Bierwagen, in: Birnstil/Bungenberg/Heinrich, Europäisches Beihilferecht, 1. Aufl. 2013, Art. 1 VO 659/1999, Rn. 168. 51 Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 93 des EG-Vertrags, ABl.EU 1999 Nr. L 83/1, letzte konsolidierte Fassung online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:01999R0659- 20130820&qid=1484730023904&from=DE (letztmaliger Abruf am 18.01.17). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 146/16 Seite 18 anderen für die sog. zusätzliche nationale Finanzierung nach Art. 82 ELER-VO. Auch insoweit gilt, dass die zum jeweiligen damaligen Zeitpunkt geltende Rechtslage zu betrachten ist. Besteht eine (Rück-)Ausnahme von der jeweils sekundärrechtlich angeordneten Anwendung des EU-Beihilferechts, greifen zwar die Art. 107 ff. AEUV nicht. Notifizierungserfordernisse, materielle Vorgaben sowie ggf. Genehmigungspflichten ergeben sich dann jedoch regelmäßig aus den jeweils einschlägigen GAP-Verordnungen (vgl. bspw. Art. 82 ELER-VO).52 4. Allgemeine beihilferechtliche Aspekte der Agrarförderung des Bundes Im Folgenden werden die Agrarfördermaßnahmen des Bundes zunächst abstrakt im Lichte des Beihilfetatbestandes betrachtet (4.1.). Sodann wird auf die Unterscheidung von Notifizierung und Freistellung einschließlich der Besonderheiten bei bestehenden Beihilfen eingegangen (4.2.). 4.1. Agrarförderung aus Bundesmitteln und Beihilfetatbestand nach Art. 107 Abs. 1 AEUV Wie einleitend ausgeführt, unterscheidet der 25. Subventionsbericht der Bundesregierung in Anknüpfung an den Begriff der Subvention zwei Kategorien: Finanzhilfen und Steuervergünstigungen .53 In beiden Fällen handelt es sich nur dann um Beihilfen im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV, wenn die jeweilige Maßnahme alle Beihilfemerkmale des genannten Artikels erfüllt. Das wird bei den Agrarsubventionen oft der Fall sein, ist aber nicht zwingend. Denn der Subventionsbegriff nach deutschem Recht ist nicht deckungsgleich mit dem der Beihilfe nach EU-Recht. 4.1.1. Unternehmenseigenschaft von Landwirten Obwohl die Unternehmenseigenschaft des Beihilfeempfängers kein spezifisches Beihilfemerkmal ist, wird diese, dem ganzen EU-Wettbewerbsrecht zugrunde liegende Voraussetzungen auch im Rahmen des Art. 107 Abs. 1 AEUV zunehmend gesondert dargestellt.54 Denn auch das EU-Beihilferecht erfasst nur solche Begünstigungen, die Unternehmen gewährt werden. Nach ständiger Rechtsprechung ist Unternehmen jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung.55 Unter wirtschaftlicher Tätigkeit ist jede Tätigkeit zu verstehen, die im Anbieten von Waren und Dienstleistungen auf einem Markt besteht.56 52 Vgl. Busse, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach, Europarecht (Fn. 21), § 25 Agrarrecht, Rn. 316. 53 Vgl. 25. Subventionsbericht (Fn. 1), S. 10, Tz. 9. 54 Vgl. Beihilfemitteilung (Fn. 3), Inhaltsverzeichnis, Punkt 2, Tz. 6 ff. 55 Vgl. Beihilfemitteilung (Fn. 3), Tz. 7, mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. 56 Vgl. Beihilfemitteilung (Fn. 3), Tz. 12, mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 146/16 Seite 19 Diese Voraussetzungen treffen auf Landwirte zu, deren Tätigkeit in dem marktbezogenen Anbieten der von ihnen erzeugten landwirtschaftlichen Produkte besteht. 4.1.2. Finanzierung aus staatlichen Mitteln Die Fördermaßnahmen müssten sodann aus staatlichen Mitteln finanziert werden. Das ist im Sinne des Beihilferechts dann unstreitig der Fall, wenn die damit verbundene Begünstigung unmittelbar durch staatliche Behörden gewährt wird und es sich dabei um staatliche Mittel handelt .57 Die Übertragung staatlicher Mittel kann sowohl in Form direkter Zuschüsse als auch durch staatlichen Einnahmeverzicht erfolgen, wie dies insbesondere bei Steuervergünstigungen der Fall ist.58 Diese Voraussetzungen werden vorliegend in aller Regel erfüllt sein: Laut Subventionsbericht sind Finanzhilfen im Sinne des Berichts und damit auch diejenigen im Bereich von Ernährung und Landwirtschaft Geldleistungen des Bundes an Stellen außerhalb der Bundesverwaltung, die privaten Unternehmen und Wirtschaftszweigen zugutekommen.59 Sie werden weit überwiegend als Zuschüsse gewährt, daneben kommen Darlehen oder Schuldendiensthilfen in Betracht.60 Bei den Steuervergünstigungen handelt es sich nach dem Subventionsbericht um spezielle steuerliche Ausnahmeregelungen, die für die öffentliche Hand zu Mindereinnahmen führen.61 Schließlich handelt es sich auch bei den speziell mit der Milchpreiskrise im Raum stehenden Maßnahmen um Finanzhilfen oder Steuervergünstigungen, so dass diesbezüglich ebenfalls eine Finanzierung aus staatlichen Mitteln vorliegen wird. 4.1.3. Begünstigung Die in Form von Finanzhilfen oder Steuervergünstigungen gewährte Agrarförderung muss sodann eine Begünstigung im Sinne eines finanziellen Vorteils sein. Das ist dann der Fall, wenn es sich dabei um eine wirtschaftliche Vergünstigung handelt, die ein Unternehmen unter normalen Marktbedingungen, d. h. ohne ein Eingreifen des Staates, nicht erhalten könnte.62 Entscheidend 57 Vgl. Beihilfemitteilung (Fn. 3), Rn. 38, 39, 47, jeweils mit Nachweisen aus der Rechtsprechung der Unionsgerichte . 58 Vgl. Beihilfemitteilung (Fn. 3), Rn. 51, jeweils mit Nachweisen aus der Rechtsprechung der Unionsgerichte. 59 Vgl. 25. Subventionsbericht (Fn. 1), S. 10, Tz. 9, Abs. 1. 60 Vgl. 25. Subventionsbericht (Fn. 1), S. 31, Tz. 58. 61 Vgl. 25. Subventionsbericht (Fn. 1), S. 31, Tz. 9, Abs. 1. 62 Vgl. Beihilfemitteilung (Fn. 3), Rn. 66, jeweils mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 146/16 Seite 20 ist dabei allein die Auswirkung der Maßnahme auf das Unternehmen und die Verbesserung seiner finanziellen Lage.63 Dagegen sind Grund oder Ziel des staatlichen Eingreifens ohne Bedeutung .64 Ebenso spielt es keine Rolle, ob der wirtschaftliche Vorteil durch die Gewährung positiver wirtschaftlicher Leistungen erzielt wird oder durch Befreiung von wirtschaftlichen Lasten.65 Für die Frage, ob der finanzielle Vorteil auch unter normalen Marktbedingungen gewährt worden wäre, ist zu prüfen, ob ein marktwirtschaftlich handelnder Wirtschaftsbeteiligter eine derartige finanzielle Begünstigung gewährt hätte oder nicht.66 Ein Kriterium hierfür ist, ob die begünstigten Unternehmen eine unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten angemessene Gegenleistung erbringen . Bei den hier im Raum stehenden Bundesmaßnahmen zur Agrarförderung dürfte es sich in der Regel um finanzielle Vorteile im Sinne des Beihilferechts handeln. Sowohl Finanzhilfen als auch Steuervergünstigungen verbessern die finanzielle Situation der Landwirte. Beide Kategorien von Maßnahmen hätten die Landwirte ohne ein Zutun des Staates zudem nicht erhalten. Denn der Bund handelt hier nicht als marktwirtschaftlicher Akteur, sondern wird ausschließlich als Träger öffentlicher Gewalt aus Gemeinwohlerwägungen tätig.67 Denn die Fördermaßnahmen werden u. a. mit der Sicherung der Existenz land- und forstwirtschaftlicher Betriebe und der sozialen Flankierung des Strukturwandels begründet.68 Darüber hinaus erbringen die Landwirte hierfür keine wirtschaftlich angemessene Gegenleistung an die fördernden staatlichen Stellen. 4.1.4. Selektivität Besondere Bedeutung kommt vorliegend dem Merkmal der Selektivität zu, wonach eine Beihilfe nur dann vorliegt, wenn die aus staatlichen Mitteln gewährte Begünstigung bestimmten Unternehmen oder Produktionszweigen gewährt wird.69 Mit diesem Beihilfemerkmal sollen solche 63 Vgl. Beihilfemitteilung (Fn. 3), Rn. 67. 64 Vgl. Beihilfemitteilung (Fn. 3), Rn. 67. 65 Vgl. Beihilfemitteilung (Fn. 3), Rn. 68. 66 Vgl. Beihilfemitteilung (Fn. 3), Rn. 75. 67 Vgl. zu beihilferechtlichen Beurteilung einer solchen Motivation, Beihilfemitteilung (Fn. 3), Rn. 77, vgl. auch 78 ff. 68 Siehe 25. Subventionsbericht (Fn. 1), S. 31, Tz. 60, 61. 69 Vgl. Beihilfemitteilung (Fn. 3), Rn. 117 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 146/16 Seite 21 staatlichen Maßnahmen aus dem Beihilfebegriff ausgeschlossen werden, die allen Wirtschaftsbeteiligten in gleicher Weise und allgemein zugutekommen.70 Im Folgenden ist das Merkmal sowie die ihn prägenden Voraussetzungen zunächst abstrakt zu beschreiben (3.1.3.1.). Sodann wird auf die Selektivität der hier im Raum stehenden Fördermaßnahmen eingegangen (3.1.3.2.). 4.1.4.1. Zu den Voraussetzungen der Selektivität Ob eine selektive oder eine allgemein wirtschaftspolitische Fördermaßnahme vorliegt, beurteilt die Rechtsprechung grundsätzlich anhand einer gleichheitsrechtlichen Prüfung. Es wird untersucht , ob es neben den durch die betreffende Regelung begünstigten Unternehmen oder Produktionszweigen weitere Unternehmen oder Produktionszweige gibt, die – obwohl sie sich in einer rechtlich oder tatsächlich vergleichbaren Situation wie die erstgenannten befinden – keine finanziellen Vorteile erhalten.71 Ist das der Fall, ist die Selektivität gegeben, ansonsten zu verneinen. Ausgangs- und Bezugspunkt für diese Untersuchung sind die staatlichen Regelungen, im Rahmen derer die Begünstigung gewährt wird. Zur Anwendung gelangt die gleichheitsrechtliche Prüfung vor allem in Konstellationen, in denen es um mitgliedstaatliche Maßnahmen geht, mit denen Unternehmen von Belastungen befreit werden , die sie normalerweise zu tragen haben.72 Hierzu gehören insbesondere Maßnahmen wie Steuer- und Abgabenbefreiungen.73 Für diese Fallgruppe hat sich in der Rechtsprechung eine dreistufige Prüfung herausgebildet:74 Danach ist in einem ersten Schritt zunächst das Bezugssystem zu ermitteln, anhand dessen die Selektivität der steuerlichen Regelungen zu prüfen ist. In einem zweiten Schritt wird untersucht, ob die begünstigende Maßnahme eine Abweichung darstellt, weil sie innerhalb des Bezugssystems zwischen verschiedenen Unternehmen oder Produktionszweigen differenziert, die sich hin- 70 Siehe etwa EuGH, Urt. v. 15.11.2011, verb. Rs. C-106/09 P und C-107/09 P (Kommission/Gibraltar), Rn. 79. Vgl. auch Beihilfemitteilung (Fn. 3), Rn. 117, wenngleich auch in diesen Fällen nicht per se ausgeschlossen ist, dass solche allgemeinen Maßnahmen im Ergebnis nur bestimmte Unternehmen und Produktionszweige begünstigen (vgl. dazu Rn. 118). Siehe zum Zweck dieses Merkmals auch Pache/Pieper, in: Birnstil/Bungenberg/Heinrich, Europäisches Beihilferecht, 2013 (im Folgenden: Birnstil/Bungenberg/Heinrich), Art. 107 Abs. 1 AEUV, Rn. 205, 209. 71 Vgl. etwa EuGH, Urt. v. 15.11.2011, verb. Rs. C-106/09 P und C-107/09 P (Kommission/Gibraltar), Rn. 75; EuGH, Urt. v. 4.06.2015, Rs. C-15/14 P (Kommission/Ungarn), Rn. 59. Siehe auch Pache/Pieper, in: Birnstil/Bungenberg /Heinrich (Fn. 70), Art. 107 Abs. 1 AEUV, Rn. 210, 214. 72 Vgl. Beihilfemitteilung (Fn. 3), Rn. 127 ff. 73 Siehe insbesondere EuGH, Urt. v. 15.11.2011, verb. Rs. C-106/09 P und C-107/09 P (Kommission/Gibraltar), Rn. 74 ff.; EuGH, Urt. v. 18.07.2013, Rs. C-6/12 P (P Oy), Rn. 19 ff. Vgl. auch Pache/Pieper, in: Birnstil/Bungenberg /Heinrich (Fn. 70), Art. 107 Abs. 1 AEUV, Rn. 224. 74 Vgl. EuGH, Urt. v. 18.07.2013, Rs. C-6/12 P (P Oy), Rn. 19 ff. Siehe dazu auch die Beihilfemitteilung (Fn. 3), Rn. 128 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 146/16 Seite 22 sichtlich der bezugssystemimmanenten Ziele in einer vergleichbaren Sach- und Rechtslage befinden . Lässt sich eine solche Abweichung feststellen, liegt zwar prima facie eine selektive Maßnahme vor. Erforderlich ist aber noch ein (finaler) dritter Prüfungsschritt. Nach diesem ist zu untersuchen , ob die Abweichung durch die Natur oder den allgemeinen bzw. inneren Aufbau des Bezugssystems gerechtfertigt ist.75 Erst wenn das nicht der Fall ist, liegt eine Selektivität vor. Insbesondere dieser dritte Prüfungsschritt wird im Schrifttum hinsichtlich seiner rechtssicheren Anwendung als problematisch beurteilt. Denn der – in der Tendenz eher restriktiven – Rechtsprechung lasse sich nicht entnehmen, welche Parameter dabei gelten und inwieweit die gleichen Maßstäbe anzulegen seien wie bei der Vergleichbarkeitsprüfung auf der zweiten Prüfungsebene .76 Der EuGH hat insoweit allerdings fallunabhängig festgestellt, dass die mit der jeweiligen staatlichen Maßnahme verfolgten (Allgemeinwohl-)Ziele nicht genügen, um die Maßnahme von vornherein von der Einordnung als Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs.1 AEUV auszunehmen.77 Als Rechtfertigungsgründe anerkannt wurden bisher etwa die Natur oder innere Aufbau eines Steuer- oder Lastensystems, die Logik des Rechtssystems oder die Unvermeidbarkeit einer Ausnahme .78 Die Darlegungslast bei diesem Prüfungsschritt liegt auf Seiten der Mitgliedstaaten.79 Ob und inwieweit die dreistufige Prüfung auch auf Konstellationen zu übertragen ist, in denen es nicht um Steuervergünstigung oder ähnliche Freistellungen von sonst zu tragenden finanziellen Lasten geht, sondern um Gewährung positiver Leistungen (bspw. Zuschüsse), lässt sich auf Grundlage der EuGH-Rechtsprechung nicht zweifelsfrei beantworten. Den wenigen einschlägigen Entscheidungen lässt sich jedoch entnehmen, dass zumindest dann eine gleichheitsrechtliche Prüfung vorgenommen wird, wenn es sich bei der betreffenden Maßnahme nicht um eine Einzelbeihilfe handelt, sondern um eine allgemeine Beihilferegelung.80 Unter letzterer ist nach Art. 1 Buchst. d) Beihilfe-VerfO insbesondere eine Regelung zu verstehen, wonach Unternehmen, die in der Regelung in einer allgemeinen und abstrakten Weise definiert werden, ohne nähere Durchführungsmaßnahmen Einzelbeihilfen gewährt werden können. Einzelbeihilfen sind nach Art. 1 Buchst. e) Beihilfe-VerfO hingegen Beihilfen, die nicht aufgrund einer Beihilferegelung gewährt werden, und einzelne anmeldungspflichtige Zuwendungen aufgrund einer Beihilferegelung. 75 Vgl. EuGH, Urt. v. 18.07.2013, Rs. C-6/12 P (P Oy), Rn. 22; EuGH, Urt. v. 22.12.2008, Rs. C-487/06 P (British Aggregates), Rn. 83; Beihilfemitteilung (Fn. 3), Rn. 138 ff. 76 Vgl. Pache/Pieper, in: Birnstil/Bungenberg/Heinrich (Fn. 70), Art. 107 Abs. 1 AEUV, Rn. 221 ff. 77 EuGH, Urt. v. 22.12.2008, Rs. C-487/06 P (British Aggregates), Rn. 84. 78 Siehe die Aufzählung mit Nachweisen aus der Rechtsprechung bei Pache/Pieper, in: Birnstil/Bungenberg/Heinrich (Fn. 70), Art. 107 Abs. 1 AEUV, Rn. 220. 79 Pache/Pieper, in: Birnstil/Bungenberg/Heinrich (Fn. 70), Art. 107 Abs. 1 AEUV, Rn. 220 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung. 80 Siehe etwa EuGH, Urt. v. 30.06.2016, Rs. C-270/15 P (Belgien/Kommission), Rn. 49 ff. (Finanzierung von BSE- Screening-Test); EuGH, Urt. v. 4.06.2015, Rs. C-15/14 P (Kommission/MOL), Rn. 60 ff. (Abschluss eines Verlängerungsvertrags für Schürfrechte und Auferlegung zusätzlicher Belastungen). In der Beihilfemitteilung (Fn. 3), Rn. 127 f., kommt diese Unterscheidung hingegen nicht explizit zum Ausdruck. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 146/16 Seite 23 Handelt es sich um eine Einzelbeihilfe, so ist die Feststellung eines wirtschaftlichen Vorteils nach der Rechtsprechung grundsätzlich gleichbedeutend mit der Annahme einer Selektivität.81 Bei näherem Hinsehen bedarf es somit im Fall von Beihilferegelungen, die die Gewährung positiver Leistungen zum Gegenstand haben, zumindest immer auch des zweiten Prüfungsschrittes einer vergleichenden Untersuchung der begünstigten und nicht begünstigten Unternehmen und Produktionszweige. Eine solche kann aber letztlich nur in Ansehung der jeweiligen Rechtsgrundlage und ihres Kontexts vorgenommen werden, so dass auch der erste Prüfungsschritt notwendigerweise erfolgen muss. Unklar ist allein, ob bei positiver Gewährung auch der Rechtfertigungsebene eine Relevanz zukommt, sie also zwingend zu prüfen ist.82 Handelt es sich bei den positiven Leistungen um solche, die ebenfalls dazu dienen Belastungen auszugleichen, die von den Unternehmen normalerweise zu tragen sind, so wird zumindest in der EuG-Rechtsprechung auch eine mögliche Rechtfertigung geprüft.83 Ob das auch für Fälle gilt, in denen es nicht um eine (positive oder negative) Kompensation von sonst zu tragenden Belastungen geht, lässt sich nicht abschließend beurteilen.84 Ungeachtet der gleichheitsrechtlichen Prüfung wird zwischen verschiedenen Arten der Selektivität unterschieden. Die Kommission differenziert in der Beihilfemitteilung etwa zwischen materieller Selektivität (inhaltlich auf bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige beschränkte Förderung) und regionaler Selektivität (räumlich begrenzte Förderung).85 Im Schrifttum wird weitergehend auch eine zeitliche Selektivität unterschieden.86 4.1.4.2. Selektivität der Bundesagrarförderung Betrachtet man die Agrarförderung aus Bundesmitteln im Lichte der eben beschriebenen Voraussetzungen , so ist zunächst festzuhalten, dass es sich sowohl bei den hier im Raum stehenden Finanzhilfen als auch Steuervergünstigungen nicht um Einzelbeihilfen handelt, sondern um Beihil- 81 EuGH, Urt. v. 30.06.2016, Rs. C-270/15 P (Belgien/Kommission), Rn. 49; EuGH, Urt. v. 4.06.2015, Rs. C-15/14 P (Kommission/MOL), Rn. 60. 82 Für eine Rechtfertigungsprüfung, allerdings ohne weitere Nachweise aus der Rechtsprechung und ohne Differenzierung zwischen Einzelbeihilfen und Beihilferegelungen Pache/Pieper, in: Birnstil/Bungenberg/Heinrich (Fn. 70), Art. 107 Abs. 1 AEUV, Rn. 214 aE. 83 Vgl. EuG, Urt. v. 25.03.2015, T-538/11 (Belgien/Kommission), Rn. 115 f. Gegen dieses Urteil hatte Belgien Rechtsmittel vor dem EuGH eingelegt. Siehe hierzu das bereits zitierte Urteil des EuGH v. 30.06.2016, Rs. C-270/15 P (Belgien/Kommission). 84 Auch die Beihilfemitteilung (Fn. 3) lässt dies insoweit offen, als die Rechtfertigungsprüfung nur im Zusammenhang mit der Prüfung der materiellen Selektivität bei Maßnahmen zur Verringerung der normalen Belastungen von Unternehmen Erwähnung findet, vgl. Rn. 126 ff., insbesondere Rn. 138 ff. 85 Beihilfemitteilung (Fn. 3), Rn. 120 ff. bzw. 142 ff. Siehe auch Pache/Pieper, in: Birnstil/Bungenberg/Heinrich (Fn. 70), Art. 107 Abs. 1 AEUV, Rn. 215 ff. 86 Pache/Pieper, in: Birnstil/Bungenberg/Heinrich (Fn. 70), Art. 107 Abs. 1 AEUV, Rn. 19. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 146/16 Seite 24 feregelungen: die begünstigten Landwirte werden darin in der Regel in allgemeiner und abstrakter Weise definiert und erhalten die Beihilfen ohne nähere Durchführungsmaßnahmen. Hieraus folgt, dass die Feststellung der Selektivität eine gleichheitsrechtliche Prüfung erfordert. Im Hinblick auf die Steuervergünstigung hat dies im Grundsatz nach der dreistufigen Prüfung inklusive der Rechtfertigungsebene zu erfolgen. Bei den Finanzhilfen sind in jedem Fall die beiden ersten Prüfungsschritte vorzunehmen. Angesichts der unklaren Rechtslage wird auch insoweit nach der Rechtfertigung gefragt. Darüber hinaus liegt allen Fördermaßnahmen in der Regel der Fall einer materiellen Selektivität zugrunde: Die einschlägigen Finanzhilfen und Steuervergünstigen kommen bereits tatbestandlich Landwirten bzw. dem Produktionszweig der Landwirtschaft zugute.87 Ob eine solche ausdrückliche Beschränkung auf bestimmte Unternehmen bzw. einen bestimmten Produktionszweig genügt, um die Selektivität zu begründen,88 ist jedoch zumindest bei Steuererleichterung fraglich. In einem Verfahren, in dem es um eine Senkung des Körperschaftsteuersatzes für Banken ging, die bestimmte Zusammenschlüsse oder Umstrukturierungen vornahmen, stellte der Gerichtshof zwar lapidar fest, „dass diese Maßnahme im Verhältnis zu anderen Wirtschaftssektoren und im ankensektor selbst selektiv ist.“89 Gleichwohl prüfte er im Anschluss kurz die Abweichung der streitigen Maßnahmen vom allgemeinen Steuerrecht und eine mögliche Rechtfertigung durch die Natur und den inneren Aufbau des fraglichen Steuersystems, wobei er ersteres bejahte und letzteres verneinte.90 Eine dreiteilige Prüfung führte der EuG auch in einem Fall durch, in dem es um Finanzzuschüsse für die Durchführung obligatorischer Lebensmittelkontrollen im Rindfleischsektor ging.91 Das Gericht betrachtete die Gewährung der betreffenden Finanzzuschüsse als eine Konstellation, mit der Belastungen (hier Kosten durch obligatorische Kontrollen) ausgeglichen werden sollten,92 die normalerweise von allen Unternehmen zu tragen sind und prüfte entsprechend auch eine möglich Rechtfertigung, die im Ergebnis jedoch verneint wurde.93 87 Nach der Beihilfemitteilung der Kommission (Fn. 3) wäre dies ein Fall der De-jure-Selektivität, vgl. Rn. 120, 121. Danach folgt die Selektivität unmittelbar aus den rechtlichen Kriterien für die Gewährung einer Maßnahme , die förmlich bestimmten Unternehmen vorbehalten ist. Daneben unterscheidet die Kommission noch die De-facto-Selektivität, vgl. Rn. 122. 88 So etwa Pache/Pieper, in: Birnstil/Bungenberg/Heinrich (Fn. 70), Art. 107 Abs. 1 AEUV, Rn. 217 („…erfüllen … typischerweise die Voraussetzungen der materiellen Selektivität“). 89 EuGH, Urt. v. 15.12.2005, Rs. C-148/04 (Unicredito Italiano), Rn. 48. 90 EuGH, Urt. v. 15.12.2005, Rs. C-148/04 (Unicredito Italiano), Rn. 50, 51. 91 Siehe EuG, Urt. v. 25.03.2015, T-538/11 (Belgien/Kommission), Rn. 101 ff. 92 EuG, Urt. v. 25.03.2015, T-538/11 (Belgien/Kommission), Rn. 76 f. 93 EuG, Urt. v. 25.03.2015, T-538/11 (Belgien/Kommission), Rn. 115 f. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 146/16 Seite 25 Ist vor diesem Hintergrund in der Regel von der Durchführung der dreiteiligen Gleichheitsprüfung zur Bestimmung der Selektivität auszugehen, so ist auf den dabei bestehenden Wertungsspielraum insbesondere auf der zweiten und dritten Stufe hinzuweisen. Daher ist eine abschließende beihilferechtliche Beurteilung der einzelnen Agrarfördermaßnahmen des Bundes in diesem Rahmen nicht möglich, soweit sie bisher nicht Gegenstand von Kommissionsentscheidungen oder Urteilen der Unionsgerichte gewesen sind. 4.1.5. Wettbewerbsverfälschungen und Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels 4.1.5.1. Allgemeines Steht die Selektivität nach den eben beschriebenen Maßstäben fest, müssten schließlich noch die Merkmale der Wettbewerbsverfälschung und der Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels vorliegen. Sind die vorgenannten Merkmale erfüllt, werden an diese beiden Voraussetzungen in der Kommissionspraxis generell nur geringe Anforderungen gestellt.94 So wird eine Verfälschung des Wettbewerbs grundsätzlich bereits dann angenommen, wenn der Staat einem Unternehmen in einem liberalisierten Wirtschaftszweig, in dem Wettbewerb herrscht oder herrschen könnte, einen finanziellen Vorteil gewährt.95 Für eine Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels genügt, dass eine von einem Mitgliedstaat gewährte Finanzhilfe die Stellung eines Unternehmens gegenüber anderen Wettbewerbern im unionsinternen Handel stärkt.96 Nicht notwendig ist dabei, dass der Beihilfeempfänger unmittelbar am grenzüberschreitenden Handel teilnimmt.97 Auch schließen eine verhältnismäßig geringe Höhe einer Beihilfe oder die verhältnismäßig geringe Größe des begünstigten Unternehmens die Möglichkeit einer Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels nicht von vornherein aus.98 4.1.5.2. De-minimis-Beihilfen im Agrarsektor Als gewisse Konkretisierung dieser beiden Merkmale können die Kommissionsverordnungen zu den sog. De-minimis-Beihilfen angesehen werden. Danach wird die Gewährung finanzieller Vorteile bis zu bestimmten Beträgen als Maßnahme angesehen, „die nicht alle Tatbestandsmerkmale des Artikel 107 Absatz 1 AEUV erfüllt“ und „daher von der Anmeldepflicht nach Artikel 108 Absatz 3 AEUV ausgenommen“ ist.99 94 Vgl. Beihilfemitteilung der Kommission (Fn. 3), Rn. 187 ff. sowie 190 ff. 95 Vgl. Beihilfemitteilung der Kommission (Fn. 3), Rn. 187. 96 Vgl. Beihilfemitteilung der Kommission (Fn. 3), Rn. 190. 97 Vgl. Beihilfemitteilung der Kommission (Fn. 3), Rn. 191. 98 Vgl. Beihilfemitteilung der Kommission (Fn. 3), Rn. 192. 99 Vgl. etwa Art. 3 Abs. 1 der allgemeinen De-minimis-Verordnung (Fn. 10). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 146/16 Seite 26 Für den hier betroffenen Agrarsektor gilt die oben erwähnte De-minimis-Verordnung im Agrarsektor (Agrar-De-Minimis-VO).100 Diese legt in Art. 3 Abs. 2 den De-minimis-Höchstbetrag für ein einziges landwirtschaftliches Unternehmen auf 15.000 € innerhalb eines Zeitraum von drei Steuerjahren fest. Darüber hinaus sieht Art. 3 Abs. 3 Agrar-De-Minimis-VO in Verbindung mit dem Anhang zur Verordnung nationale Obergrenzen für die Gesamtsumme der De-minimis-Beihilfen vor. Für Deutschland beträgt sie 522.890.000 €. Voraussetzung für die Qualifizierung als Nicht-Beihilfe und die daraus folgende Freistellung von der Notifizierung sind – über den Höchstbetrag und die nationale Obergrenze hinaus – weitere materielle (3.1.4.2.1.) sowie formale Anforderungen (3.1.4.2.2.). 4.1.5.2.1. Materielle Anforderungen Zu den materiellen Anforderungen zählen u. a. Vorgaben zur Finanzierung der erfassten Beihilfen , zu ihrer Berechnung sowie Kumulierung. Im Zusammenhang mit dem ersten Punkt bestimmt etwa Art. 3 Abs. 5 Agrar-De-minimis-VO, dass der Höchstbetrag und die nationale Obergrenze für De-minimis-Beihilfen gleich welcher Art und Zielsetzung und unabhängig davon gelten, ob die finanzielle Vergünstigung ganz oder teilweise aus Unionsmitteln finanziert wird. Hieraus folgt, dass auch aus Unionsmitteln finanzierte Beihilfen zu berücksichtigen sind. Vor diesem Hintergrund ist weiter auf Art. 3 Abs. 7 Agrar-De-minimis-VO hinzuweisen. Danach darf die Verordnung bei Überschreitung des Höchstbetrags und der nationalen Obergrenze durch die Gewährung neuer De-minimis-Beihilfen nicht für diese neuen Maßnahmen in Anspruch genommen werden. Ihre „Schutzwirkung“ bleibt aber für die bis zu diesen Beträgen in Übereinstimmung mit der Verordnung gewährten Begünstigungen bestehen. Von Bedeutung sind ferner die Vorgaben zur sog. Transparenz der De-minimis-Beihilfen in Art. 4 Agrar-De-minimis-VO. Nach Absatz 1 gilt diese Verordnung nur für solche Beihilfen, deren „Bruttosubventionsäquivalent im Voraus genau berechnet werden kann, ohne, dass eine Risikobewertung erforderlich ist („transparente Beihilfe“)“. Nach Art. 4 Abs. 2 Agrar-De-minimis-VO werden etwa Zuschüsse als transparente De-minimis-Beihilfen angesehen. Somit dürften die Finanzhilfen im Sinne des Bundessubventionsberichts als transparente Beihilfen anzusehen sein.101 Steuervergünstigungen werden hingegen nicht ausdrücklich in Art. 4 Agrar-De-minimis-VO als transparente Beihilfen benannt. Sie lassen sich ggf. unter die Auffangbestimmung in Art. 4 Abs. 7 Agrar-De-minimis-VO subsumieren. Danach gelten Beihilfen in anderer Form als transparente De-minimis-Beihilfen, wenn die Beihilfebestimmungen eine Obergrenze vorsehen, die gewährleistet , dass der einschlägige Höchstbetrag nicht überschritten wird. 100 Siehe oben Fn. 11. 101 Vgl. dazu oben unter 4.1.1., S. 18. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 146/16 Seite 27 Vorgaben zur hier nicht weiter relevanten Kumulierung verschiedener Beihilfen finden sich schließlich in Art. 5 Agrar-De-minimis-VO. 4.1.5.2.2. Formale Anforderungen Formale Anforderungen finden sich in Art. 6 Agrar-De-minimis-VO, der die amtliche Bezeichnung „Überwachung“ trägt. Art. 6 Abs. 1 Agrar-De-Minimis-VO sieht u. a. vor, das der gewährende Mitgliedstaat dem begünstigten „Unternehmen schriftlich die voraussichtliche Höhe der Beihilfe [… mitteilt …] und […] unter ausdrücklichem Verweis auf diese Verordnung mit Angabe ihres Titels und der Fundstelle im Amtsblatt der Europäischen Union darauf hin[weist], dass es sich um eine De-minimis-Beihilfe handelt. Wird eine De-minimis-Beihilfe im Einklang mit dieser Verordnung auf der Grundlage einer Regelung verschiedenen Unternehmen gewährt, die Einzelbeihilfen in unterschiedlicher Höhe erhalten, so kann der betreffende Mitgliedstaat seine Informationspflicht dadurch erfüllen , dass er den Unternehmen einen Festbetrag mitteilt, der dem auf der Grundlage der Regelung zulässigen Beihilfehöchstbetrag entspricht. […] Der Mitgliedstaat gewährt die Beihilfe erst, nachdem er von dem betreffenden Unternehmen eine Erklärung in schriftlicher oder elektronischer Form erhalten hat, in der dieses alle anderen ihm in den beiden vorangegangenen Steuerjahren sowie im laufenden Steuerjahr gewährten De-minimis-Beihilfen angibt, für die die vorliegende oder andere De-minimis-Verordnungen gelten. “ Nach Art. 6 Abs. 3 Agrar-De-Minimis-VO gewährt der Mitgliedstaat „die neue De-minimis-Beihilfe nach dieser Verordnung erst, nachdem er sich vergewissert hat, dass dadurch der Betrag der dem betreffenden Unternehmen insgesamt gewährten De-minimis-Beihilfen nicht den in Artikel 3 Absatz 2 genannten Höchstbetrag übersteigt und auch die in Artikel 3 Absatz 3 genannte nationale Obergrenze nicht überschritten wird und sämtliche Voraussetzungen dieser Verordnung erfüllt sind.“ Diese formalen Anforderungen sichern letztlich die De-minimis-Beihilfefähigkeit des betreffenden landwirtschaftlichen Unternehmens. Können sie nicht eingehalten werden, entfällt die Freistellung von der Notifizierungspflicht, und zwar auch dann, wenn die materiellen Voraussetzungen im Übrigen eingehalten werden. Im Ergebnis dürfte dann zumindest eine (formal) rechtswidrige Beihilfe vorliegen. 4.2. Notifizierung, Freistellung und bestehende Beihilfen Erfüllt die jeweilige Agrarförderung des Bundes alle Beihilfemerkmale im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV, so ist dies nicht gleichbedeutend mit dem Bestehen einer Pflicht zur Notifizierung der betreffenden Maßnahme bei der Kommission nach Art. 108 Abs. 3 AEUV. Wie oben ausgeführt, stellt die (Vorab-)Notifizierung mit der sich anschließenden Kommissionsprüfung nur eine verfahrensrechtliche Option dar.102 Die andere besteht in der Beachtung der 102 Siehe oben unter 2.3.1., S. 6 ff. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 146/16 Seite 28 (materiellen) Gruppenfreistellungsverordnungen, für den Agrarbereich die sog. Agrar-GVO.103 In dieser sowie in den anderen Gruppenfreistellungsverordnungen hat die Kommission die Rechtfertigungstatbestände , insbesondere des Art. 107 Abs. 3 AEUV konkretisiert. Die Einhaltung der dort geregelten Anforderungen begründet eine Vereinbarkeit der betreffenden Maßnahmen mit Art. 107 Abs. 2 und 3 AEUV (vgl. Art. 3 Agrar-GVO) und führt – ebenso wie bei der auf Tatbestandsebene relevanten Agrar-De-minimis-VO – zu einer Freistellung von der Notifikationsverpflichtung . Beide verfahrensrechtlichen Optionen kommen allerdings nur in Betracht, soweit es sich nicht um bestehende Beihilfen handelt.104 Ist von einer solchen auszugehen, darf der Mitgliedstaat diese weiter durchführen, solange die Kommission nicht ihre Vertragswidrigkeit (für die Zukunft ) feststellt.105 4.3. Zusammenfassung Ist von einer unmittelbaren oder im Sinne des Art. 42 AEUV sekundärrechtlich angeordneten Anwendung der Art. 107 ff. AEUV auf die jeweilige Agrarfördermaßnahme des Bundes auszugehen, so ist auf der tatbestandlichen Ebene des Art. 107 Abs. 1 AEUV in der Regel von einem Vorliegen der Merkmale der Unternehmenseigenschaft, der Finanzierung aus staatlichen Mitteln sowie der Begünstigung auszugehen. Einer individuellen Betrachtung bedarf dagegen vor allem das Beihilfemerkmal der Selektivität. Hier ist grundsätzlich eine dreistufige Gleichheitsprüfung vorzunehmen . Auch die Merkmale der Wettbewerbsverfälschung und Beeinträchtigung des zwischenstaatlichen Handels sind grundsätzlich gesondert zu beurteilen. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist – soweit hierzu Informationen verfügbar sind – zu klären, ob es sich bei der jeweiligen Förderung um eine freigestellte oder notifizierte bzw. zu notifizierende Beihilfe handelt. Schließlich ist im Kontext sekundärrechtlicher Anwendungsanordnungen im Sinne des Art. 42 AEUV zu untersuchen, ob es sich bei der betreffenden Agrarförderung um eine bestehende oder neue Beihilfe handelt. – Fachbereich Europa – 103 Siehe oben unter 2.3.2., S. 8 f. 104 Siehe hierzu oben allgemein unter 2.3.3., S. 9, sowie oben in Bezug auf Agrarfördermaßnahmen unter 3.5.2., S. 15 f. 105 Vgl. EuGH, Urt. v. 18.07.2013, Rs. C-6/12 P (P Oy), Rn. 36. Siehe dazu auch oben unter 2.3.3., S. 9 f.