© 2016 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 144/14 Fragen zur Vereinbarkeit des Vorschlags für eine PKW-Maut bzw. Infrastrukturabgabe mit dem Unionsrecht Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 144/14 Seite 2 Fragen zur Vereinbarkeit des Vorschlags für eine PKW-Maut bzw. Infrastrukturabgabe mit dem Unionsrecht Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 144/14 Abschluss der Arbeit: 18. August 2014 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 144/14 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Erste Frage 4 1.1. Fragestellung 4 1.2. Antwort 4 1.2.1. Unionsrechtliche Rahmenbedingungen 4 1.2.2. Folgerungen für die Ausgestaltung einer Ausnahmeregelung für grenznahe Regionen im Rahmen der geplanten Infrastrukturabgabe 5 2. Zweite Frage 8 2.1. Fragestellung 8 2.2. Antwort 8 2.2.1. Unionsrechtliche Vorgaben 9 2.2.1.1. Zuständigkeitsverteilung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten 9 2.2.1.2. Umsetzungsspielräume der Mitgliedstaaten für die Belastung von Kfz mit einem Gesamtgewicht von 3,5 t bis 7,5 t 10 2.2.1.3. Folgerungen 11 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 144/14 Seite 4 1. Erste Frage 1.1. Fragestellung Der Fachbereich wird um Antwort auf die Frage gebeten, ob eine Infrastrukturabgabe mit Ausnahmeregelungen für grenznahe Wahlkreise mit dem Unionsrecht und insbesondere dem unionsrechtlichen Gleichheitssatz und dem Diskriminierungsverbot vereinbar ist. Im Hinblick auf die Fragestellung ist zunächst klarzustellen, dass das Bestehen und die Aufteilung von Wahlkreisen lediglich eine Frage des nationalen bzw. regionalen Wahlrechts ist und keine Auswirkungen auf die abgaben- und steuerrechtliche Behandlung der dort ansässigen Inländer hat. Dementsprechend geht die Ausarbeitung davon aus, dass mit dem Begriff des Wahlkreises grenznahe Gemeinden bzw. Regionen gemeint sind. 1.2. Antwort 1.2.1. Unionsrechtliche Rahmenbedingungen Gemäß den Plänen des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) soll eine Infrastrukturabgabe für die Nutzung des öffentlichen Straßennetzes in Deutschland durch Fahrzeuge mit einem Gesamtgewicht1 von bis zu 3,5 t bundesgesetzlich eingeführt werden.2 Diese Pläne fallen in den Regelungsbereich der gemeinsamen Verkehrspolitik gem. Art. 90 ff. AEUV. Die EU besitzt auf dem Gebiet der Verkehrspolitik die geteilte Zuständigkeit (Art. 4 Abs. 2 lit. g des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)). Gem. Art. 2 Abs. 2 S. 2 AEUV können die Mitgliedstaaten im Bereich der geteilten Zuständigkeit weiterhin eigenständige Regelungen treffen, sofern und soweit die Union ihre Zuständigkeiten nicht ausgeübt hat. Im Bereich der gemeinsamen Verkehrspolitik regelt die Richtlinie 1999/62/EG3 die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge. Sie regelt Mindestsätze für die Kfz-Steuer sowie die Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren für die Nutzung von Autobahnen und anderen mehrspurigen Straßen durch Fahrzeuge zur Güterbeförderung . 1 Zur Bestimmung des Gesamtgewichts vgl. § 34 Abs. 3 S. 2 StVZO. 2 Infopapier des BMVI, abrufbar unter http://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Anlage/VerkehrUndMobilitaet /Strasse/pkw-maut-infrastrukturabgabe-infopapier.pdf?__blob=publicationFile. 3 Richtlinie 1999/62/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 1999 über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge, ABl. L 187/42, konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CONS- LEG:1999L0062:20070101:DE:PDF; vgl. auch Richtlinie 93/89/EWG des Rates vom 25. Oktober 1993 über die Besteuerung bestimmter Kraftfahrzeuge zur Güterbeförderung sowie die Erhebung von Maut- und Benutzungsgebühren für bestimmte Verkehrswege durch die Mitgliedstaaten, ABl. L 279/32, abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:31993L0089&qid=1406555292243&from=DE sowie hierzu EuGH, Rs. C-21/94 (Parlament/Rat). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 144/14 Seite 5 Für den Bereich des Individualverkehrs mit Kfz mit einem zulässigen Gesamtgewicht von bis zu 3,5 t enthält das Unionsrecht keine speziellen Regelungen. In dieser Hinsicht hat die Union von ihrer geteilten Zuständigkeit im Bereich der Verkehrspolitik bislang keinen Gebrauch gemacht.4 Die Kommission hat lediglich in verschiedenen Erklärungen und Weißbüchern Parameter für eine binnenmarktkonforme Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren für schwere Nutzfahrzeuge , den gewerblichen Personenverkehr und den privaten PKW-Verkehr empfohlen.5 Dementsprechend liegt die Regelungszuständigkeit für Maut- und/oder Benutzungsgebühren für Kfz mit einem Gesamtgewicht von bis zu 3,5 t und damit auch die Zuständigkeit zur Regelung von Ausnahmen weiterhin bei den Mitgliedstaaten. Machen die Mitgliedstaaten von ihrer Regelungszuständigkeit Gebrauch, so müssen sie ihre Zuständigkeiten unter Wahrung des Unionsrechts ausüben und dabei insbesondere die Grundfreiheiten , die allgemeinen und besonderen Diskriminierungsverbote sowie die Gewährleistungen der Grundrechtecharta (GRCh) beachten.6 1.2.2. Folgerungen für die Ausgestaltung einer Ausnahmeregelung für grenznahe Regionen im Rahmen der geplanten Infrastrukturabgabe Die Fragestellung betrifft einen theoretischen Fall, der im gegenwärtigen Vorschlag des BMVI zur Einführung einer Infrastrukturabgabe nicht vorgesehen ist. Ebenso wenig bestehen konkrete Regelungsvorschläge für die Ausgestaltung einer Ausnahmeregelung für grenznahe Regionen. 4 Vgl. die Mitteilung der Kommission vom 14. Mai 2012 über die Erhebung nationaler Straßenbenutzungsgebühren auf leichte Privatfahrzeuge, KOM(2012) 199 endg, S. 3. 5 Kommission, Weißbuch – Faire Preise für die Infrastrukturbenutzung: Ein abgestuftes Konzept für einen Gemeinschaftsrahmen für Verkehrsinfrastrukturgebühren in der EU, KOM(1999) 466 endg.; Mitteilung der EU- Kommission vom 14. Mai 2012 über die Erhebung nationaler Straßenbenutzungsgebühren auf leichte Privatfahrzeuge , KOM(2012) 199 endg., S. 3, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUri- Serv.do?uri=COM:2012:0199:FIN:DE:PDF; Weißbuch – Fahrplan zu einem einheitlichen europäischen Verkehrsraum – Hin zu einem wettbewerbsorientierten und ressourcenschonenden Verkehrsraum, KOM(2011) 144 end., Ziff. 32, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUri- Serv.do?uri=COM:2011:0144:FIN:DE:PDF; Anfrage zur schriftlichen Beantwortung an die Kommission gem. Art. 117 der Geschäftsordnung, Michael Cramer (Verts/ALE) vom 8. Oktober 2013, online abrufbar unter: http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+WQ+P-2013- 011520+0+DOC+XML+V0//DE. 6 Vgl. EuGH, Rs. C-279/93 (Schumacker), Rn. 21; EuGH, Rs. C-319/02 (Manninen), Rn. 19; EuGH, Rs. C-293/06 (Deutsche Shell), Rn. 30 ff.; EuGH, Rs. C-337/08 (X Holding), Rn. 18 f.; EuGH, Rs C-282/12 (Itelcar), Rn. 26. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 144/14 Seite 6 Vielmehr sind Ausnahmeregelungen für Grenzregionen Gegenstand einer allgemeinen Diskussion .7 Insofern ist bereits nicht eindeutig, welche Gebiete in räumlicher Hinsicht zu den grenznahen Regionen zählen sollen. Zudem lassen sich Ausnahmeregelungen in vielfältiger Weise ausgestalten.8 Vor diesem Hintergrund der Allgemeinheit und der hypothetischen Natur der Fragestellung kann ohne einen konkreten Vorschlag für eine Ausnahmeregelung derzeit keine konkrete unionsrechtliche Bewertung möglicher Ausnahmeregelungen erfolgen. Insofern können im Folgenden nur die allgemeinen Rahmenbedingungen für zwei denkbare Ausgestaltungsmöglichkeiten aufgezeigt werden. Dies betrifft einerseits einen möglichen Dispens9 von EU-ausländischen Nutzern in grenznahen Regionen bei gleichzeitig fortbestehender Abagenpflichtigkeit von inländischen Nutzern. Vorausgesetzt , dass die Infrastrukturabgabe im Übrigen unionsrechtskonform ausgestaltet ist,10 läge bei einer solchen Regelung keine direkte oder mittelbare Diskriminierung EU-ausländischer Nutzer aus Gründen der Staatsangehörigkeit vor. Vorbehaltlich einer entsprechenden Ausgestaltung der Infrastrukturabgabe könnten EU-ausländische Nutzer gegenüber Inländern durch eine Ausnahmeregelung besser gestellt werden. Die unionsrechtliche Zulässigkeit einer solchen potenziellen Divergenz bemisst sich primär nach dem Sinn und Zweck der Grundfreiheiten bzw. der allgemeinen Freizügigkeit. Diese zielen darauf ab, Beschränkungen des Zugangs zu bzw. des Austritts aus einem Mitgliedstaat zu wirtschaftlichen und nicht wirtschaftlichen Zwecken zu beseitigen und eine Gleichbehandlung von Inländern und EU-Ausländern zu bewirken. Soweit ein Mitgliedstaat Regelungen schafft, die EU-Ausländer gegenüber Inländern potenziell sogar begünstigen, so ist dies aus unionsrechtlicher Sicht nicht erheblich. Dies wird deutlich am Beispiel der sogenannten „Inländerdiskriminierung“. Diese besagt, dass eine nationale Regelung, die unter Verstoß gegen Grundfreiheiten marktzugangsbeschränkende 7 Vgl. beispielsweise die Hinweise in den folgenden Pressebeiträgen: http://www.freiepresse.de/NACHRICH- TEN/SACHSEN/Tillich-verlangt-Maut-Sonderregeln-fuer-Grenzregion-artikel8929282.php; http://www.swr.de/landesschau-aktuell/rp/trier/kritik-nach-treffen-in-luxemburg-cdu-will-maut-ausnahmenfuer -grenzregion/-/id=1672/nid=1672/did=13947192/zxcay6/index.html; http://www.welt.de/print/welt_kompakt /print_politik/article130459262/Dobrindt-wird-von-SPD-vorgefuehrt.html; http://www.welt.de/politik /deutschland/article131028089/CDU-rueckt-bei-Pkw-Maut-von-CSU-ab.html. 8 Vgl. insoweit die Ausnahmen von der Mautpflichtigkeit bestimmter Strecken gem. § 1 Abs. 3 Gesetz über die Erhebung von streckenbezogenen Gebühren für die Benutzung von Bundesautobahnen und Bundesstraßen (Bundesfernstraßenmautgesetz - BFStrMG), BGBl. I 2011, S. 1378. 9 Mit dem Begriff des Dispenses sollen alle potenziellen Verfahren umschrieben werden, durch die entsprechende Nutzer nicht mit der Infrastrukturabgabe belastet werden. 10 Vgl. hierzu die Ausarbeitung „Vereinbarkeit des Vorschlags für eine PKW-Maut bzw. Infrastrukturabgabe mit dem Unionsrecht“ vom 30. Juli 2014, PE 6 - 3000 - 139/14. Danach führte das vom BMVI am 7. Juli 2014 vorgestellte Konzept für die Einführung einer an die Systematik des KfzStG angelehnten Infrastrukturabgabe für Kfz mit einem Gesamtgewicht von bis zu 3,5 t bei gleichzeitiger Kompensation der Abgabenlast für inländische Kfz- Steuerpflichtige in Form eines Freibetrags im Rahmen der Kfz-Steuer zu einer mittelbaren Diskriminierung von Unionsbürgern im Anwendungsbereich des Unionsrechts, die sich nicht auf unionsrechtlich anerkannte Rechtfertigungsgründe stützen ließe. Zudem führt die geplante Infrastrukturabgabe zu einer potenziellen Beeinträchtigung von Verkehrsunternehmern im Sinne von Art. 92 AEUV. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 144/14 Seite 7 Wirkung entfaltet, u.a. aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts im Anwendungsbereich der Grundfreiheiten unangewendet bleiben muss, bei rein inländischen Sachverhalten jedoch weiter zur Anwendung kommt. Ein Beispiel hierzu bildet der sog. Meisterzwang: Deutsche Handwerker dürfen ohne Meisterbrief in Deutschland nicht selbstständig arbeiten. Ausländische Unternehmer dürfen hingegen im Rahmen ihrer Dienstleistungsfreiheit ohne Eintragung in die Handwerksrolle in Deutschland Aufträge permanent ausüben.11 Hierdurch werden inländische Handwerker potenziell gegenüber EU-ausländischen schlechter gestellt. Eine solche Schlechterstellung von Inländern gegenüber EU-Ausländern ist grundsätzlich mit dem Unionsrecht vereinbar . Die Besserstellung von EU-Ausländern beruht auf einer Beseitigung von Zutrittshindernissen im Rahmen der Unionsfreiheiten, auf die sich Inländer bei rein inländischen Sachverhalten regelmäßig nicht berufen können. Denn der sachliche Anwendungsbereich der Grundfreiheiten bzw. der allgemeinen Freizügigkeit erfordert entsprechend dem Sinn und Zweck der Freiheiten grundsätzlich das Vorliegen eines grenzüberschreitenden Sachverhalts.12 Dementsprechend werden nationale, dem Unionsrecht widersprechende Vorschriften auch nur im Hinblick auf den grenzüberschreitenden Sachverhalt in ihrer Anwendung beschränkt. Die Anwendungsbeschränkung bezieht sich jedoch nicht auf rein inlandsbezogene Sachverhalte, so dass diese umfassend dem nationalen Recht des betreffenden Mitgliedstaates unterfallen.13 Inländische und ausländische Sachverhalte unterscheiden sich nach dem Vorstehenden durch die Eröffnung des Anwendungsbereichs des Unionsrechts und bilden dadurch zwei unterschiedliche Rechtskreise, die eine Ungleichbehandlung mangels Vergleichbarkeit der zu Grunde liegenden Rechtspositionen zulassen. Diese sogenannte „Inländerdiskriminierung“ ist im Bereich der Grundfreiheiten bzw. der allgemeinen Freizügigkeit unionsrechtlich jedoch insoweit unzulässig, wenn ein Inländer vergleichbar einem EU-Ausländer dem persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich einer Unionsfreiheit unterfällt.14 Eine Ungleichbehandlung von Inländern könnte daher zumindest in den Fällen eine andere Bewertung erfahren, in denen ihr ein grenzüberschreitender Sachverhalt zugrunde liegt. Sofern zusätzlich oder alternativ auch bestimmte inländische Infrastrukturnutzer von der Abgabenpflicht dispensiert werden sollen, müsste bei der Ausgestaltung möglicher Ausnahmeregelungen betreffend die Infrastrukturabgabenpflichtigkeit insbesondere darauf geachtet werden, dass eine Ausnahmeregelung keine diskriminierende Wirkung für im EU-Ausland ansässige Unionsbürger und Grenzgänger (d.h. Personen, die in einem Mitgliedstaat arbeiten, ihren Wohnsitz jedoch in einem anderen Mitgliedstaat haben) bei Wahrnehmung ihrer wirtschaftlichen Freiheiten, im Rahmen des allgemeinen Freizügigkeitsrechts sowie im Hinblick auf das allgemeine Diskriminierungsverbot hat. Diese könnte beispielsweise daraus resultieren, dass eine nationale Regelung zu einer Ungleichbehandlung einer grundsätzlich 11 EuGH, Rs. C 215/01 (Bruno Schnitzer), Rn. 28 ff. 12 St. Rspr., vgl. EuGH, Rs. 44/84 (Hurd), Rn. 55 ff.; EuGH, Rs. C-332/90 (Steen), Rn. 9 f.; EuGH, Rs. C-459/99 (MRAX), Rn. 39; EuGH, Rs. C-215/01 (Bruno Schnitzer), Rn. 28 ff.; EuGH, Rs. C-427/06 (Bartsch), Rn. 25; EuGH, Rs. C 104/08 (Kurt / Bürgermeister der Stadt Wels), Rn. 13 f. 13 EuGH, Rs C-332/90 (Steen), Rn. 9; BVerwG, Urteil vom 17.12.1992 - 10 C 6/91, in NVwZ 1993, S. 1195 (1196). Vgl. auch eingehend hierzu Epiney, Umgekehrte Diskriminierungen, 1995, S. 343 ff.; Riese/Noll, Europarechtliche und verfassungsrechtliche Aspekte der Inländerdiskriminierung, NVwZ 2007, S. 516 ff. 14 Vgl. EuGH, Rs. C-112/91 (Werner), Rn. 12 ff.; EuGH, Rs. C-60/00 (Carpenter), Rn. 29 f.; EuGH, Rs. C-403/03 (Schempp ); Epiney, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Auflage 2011, Art. 18, Rn. 32. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 144/14 Seite 8 vergleichbaren Personengruppe führte,15 die nicht durch zwingende Gründe gerechtfertigt werden kann,16 oder dass die nationale Regelung die Unterscheidung aufgrund der Ansässigkeit trifft und Gebietsansässigen bestimmte (steuerliche) Vergünstigungen gewährt, die Gebietsfremden verweigert werden und die sich hauptsächlich zum Nachteil der Angehörigen anderer Mitgliedstaaten auswirken.17 Darüber hinaus muss eine Ausnahmeregelung mit den unionsrechtlichen Beihilferegelungen und insbesondere den Bedingungen für Regionalbeihilfen vereinbar sein.18 2. Zweite Frage 2.1. Fragestellung Der Fachbereich wird um Antwort auf die Frage gebeten, ob eine Infrastrukturabgabe, die eine Befreiung von Kraftwagen mit einem Gesamtgewicht von 3,5 t bis 7,5 t vorsieht, mit dem Unionsrecht und insbesondere mit dem Gleichheitssatz und dem Diskriminierungsverbot vereinbar ist. 2.2. Antwort Gemäß den Plänen des BMVI soll eine Infrastrukturabgabe für die Nutzung des öffentlichen Straßennetzes in Deutschland durch Fahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht von bis zu 3,5 t zu entrichten sein. Das Autobahnmautgesetz (ABMG) sieht die Mautpflichtigkeit von Kraftfahrzeugen mit einem zulässigen Gesamtgewicht von über 12 t für die Nutzung bestimmter Straßen vor.19 Daraus folgt, dass Kfz mit einem Gesamtgewicht von 3,5 t bis zu 12 t nach der derzeitigen 15 Beispielhaft für die steuerliche Behandlung von Grenzgängern vgl. EuGH, Rs. C-279/93 (Schumacker), Rn. 25 ff.; EuGH, Rs. C-391/97 (Gschwind), Rn. 22 ff.; EuGH, Rs. C-234/01 (Gerritse), Rn. 43 ff.; EuGH, Rs. C-329/05 (Meindl), Rn. 23 ff.; EuGH, Rs. C-440/08 (Gielen), Rn. 37 f. 16 Vgl. EuGH, Rs. C-371/10 (National Grid), Rn. 42; EuGH, Rs. C-269/07 (Kommission/Deutschland), Rn. 62 ff.; zur Rechtfertigung einer steuerlichen Begünstigung von Steuerpflichtigen zum Ausgleich der wirtschaftlichen Nachteile, die sich aus den besonderen Verhältnissen des Zonenrandgebietes ergeben haben (dazu: Gesetz zur Förderung des Zonenrandgebietes (Zonenrandförderungsgesetz), BGBl. I 1971, S. 1237). 17 Vgl. EuGH, Rs. C-279/93 (Schumacker), Rn. 26 ff.; EuGH, Rs. C-103/08 (Gottwald), Rn. 27 ff.; im Hinblick auf den potenziellen Zusammenhang zwischen Infrastrukturabgabe und Kfz-Steuer entsprechend den Plänen des BMVI und den hieraus resultierenden steuerlichen Vergünstigungen für Inländer vgl. EuGH, Rs. C-269/07 (Kommission /Deutschland), Rn. 62 ff. sowie beispielsweise auch Art. 24 Abs. 1 S. 1 des Abkommens vom 24. August 2000 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen, BGBl. II 2002, S. 734. Zudem bedürfen Sondersituationen wie beispielsweise die österreichischen Gemeinden Mittelberg (Kleinwalsertal) und Jungholz als funktionale Exklaven einer gesonderten Bewertung. 18 Vgl. hierzu die Mitteilung der Europäischen Kommission, Leitlinien für Regionalbeihilfen 2014-2020, ABl. C 209/1, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=OJ:C:2013:209:FULL&from=DE sowie Vgl. EuGH, verb. Rs. C-399/10 P und C-401/10 P (France Télécom); EuGH, verb. Rs. C-428/06 bis C-434/06 (UGT-Rioja). 19 Zu den Plänen, die Maut auch für Kfz zur Güterbeförderung mit einem Gesamtgewicht ab 7,5 t zu erheben statt wie bisher ab 12 t vgl. BT-Drs. 18/1247, S. 2. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 144/14 Seite 9 Rechtslage weder der geplanten Infrastrukturabgabe, noch der bestehenden LKW-Maut unterfielen . 2.2.1. Unionsrechtliche Vorgaben Für die unionsrechtliche Bewertung der vorstehenden Situation ist zunächst die Kompetenzverteilung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten sowie die unionsrechtliche Ausgestaltung der betroffenen Politikbereiche maßgeblich. 2.2.1.1. Zuständigkeitsverteilung zwischen der EU und den Mitgliedstaaten Straßenbenutzungsgebühren unterfallen dem Regelungsbereich der gemeinsamen Verkehrspolitik gem. Art. 90 ff. AEUV.20 Die EU besitzt auf dem Gebiet der Verkehrspolitik die geteilte Zuständigkeit (Art. 4 Abs. 2 lit. g des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)). Das bedeutet, dass die Mitgliedstaaten bis zu einer Regelung durch die EU für diese Materie die Regelungskompetenz besitzen. Für den Bereich des Individualverkehrs mit Kfz mit einem Gesamtgewicht von bis zu 3,5 t enthält das Unionsrecht keine speziellen Regelungen. In dieser Hinsicht hat die Union von ihrer geteilten Zuständigkeit im Bereich der Verkehrspolitik bislang keinen Gebrauch gemacht.21 Demgegenüber normiert die Richtlinie 1999/62/EG22 die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge. Sie regelt Mindestsätze für die Kfz-Steuer sowie die Erhebung von Straßenbenutzungsgebühren für die Nutzung von Autobahnen und anderen mehrspurigen Straßen durch Fahrzeuge zur Güterbeförderung.23 Dies betraf gem. Art. 2 lit. d der ursprünglichen Fassung der Richtlinie 1999/62/EG Fahrzeuge mit einem Gesamtgewicht von mindestens 12 t.24 Die Richtlinie 1999/62/EG wurde 2006 durch die Richtlinie 20 Vgl. Mückenhausen, in: Lenz/Borchardt, Art. 90 AEUV, Rn. 5. 21 Siehe oben 1.2.1. sowie die Mitteilung der Kommission vom 14. Mai 2012 über die Erhebung nationaler Straßenbenutzungsgebühren auf leichte Privatfahrzeuge, KOM(2012) 199 endg, S. 3. 22 Richtlinie 1999/62/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 1999 über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge, ABl. L 187/42, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CONSLEG:1999L0062:20070101:DE:PDF, geändert durch die Richtlinie 2006/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2006, ABl. L 157/8, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUri- Serv.do?uri=OJ:L:2006:157:0008:0023:DE:PDF. 23 Zur Eigenschaft der ausschließlichen Bestimmung eines Kfz für den Güterkraftverkehr i.S.d. § 1 I ABMG i.V. mit Art. 2 lit. d der Richtlinie 1999/62/ EG vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26.3.2009, Az. 1 B 16/08, mit Verweis auf EuGH, Rs. C-193/98 (Pfennigmann). 24 Richtlinie 1999/62/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 1999 über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge, ABl. L 187/42 vom 20.7.1999, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:31999L0062&qid=1407165848770&from=DE. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 144/14 Seite 10 2006/38/EG25 dahingehend geändert, dass auch Fahrzeuge zur Güterbeförderung mit einem Gesamtgewicht von mehr als 3,5 t in den Anwendungsbereich fallen. Vor diesem Hintergrund liegt die Regelungszuständigkeit für Straßenbenutzungsgebühren für Kfz mit einem Gesamtgewicht von bis zu 3,5 t bei den Mitgliedstaaten. Die Belastung von Kfz mit einem Gesamtgewicht von mehr als 3,5 t durch Maut- und/oder Benutzungsgebühren fällt hingegen in den Anwendungsbereich der Richtlinie 1999/62/EG bzw. der Richtlinie 93/89/EWG. Art. 7 der Richtlinie 1999/62/EG räumt den Mitgliedstaaten einen Spielraum ein, ob und welche Kfz sie entsprechend den Vorgaben der Richtlinie mit Maut- und/oder Benutzungsgebühren belasten. 2.2.1.2. Umsetzungsspielräume der Mitgliedstaaten für die Belastung von Kfz mit einem Gesamtgewicht von 3,5 t bis 7,5 t Dementsprechend stellt sich die Belastung von Kfz mit einem Gesamtgewicht von 3,5 t bis 7,5 t als eine Frage der unionsrechtskonformen Ausübung der durch die Richtlinie eingeräumten Spielräume dar. Diese wurden vom deutschen Gesetzgeber zunächst mit Erlass des ABMG26 zur Umsetzung der ursprünglichen Fassung der Richtlinie 1999/62/EG wahrgenommen. Entsprechend der ursprünglichen Richtlinie wurde hierin eine Mautpflicht für Fahrzeuge mit einem Gesamtgewicht ab 12 t eingeführt. Seit der Änderung der Richtlinie 1999/62/EG im Jahr 2006 kann sich die Mautpflicht auch auf Fahrzeuge zur Güterbeförderung mit einem zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5 t erstrecken. Der Bundesgesetzgeber hat von einer Ausweitung der Mautpflicht auch auf leichte Nutzfahrzeuge abgesehen und das ABMG dahingehend geändert, dass es für den Anwendungsbereich nicht mehr auf die entsprechend geänderte Richtlinie verweist, sondern in § 1 Nr. 2 ABMG selbst die mautpflichtigen Fahrzeuge definiert im Sinne der bisherigen Regelung.27 Das ABMG wurde im Jahr 2011 durch das BFStrMG abgelöst, ohne jedoch die Maut auf andere Gewichtsklassen oder andere Fahrzeugarten auszudehnen.28 Die Beschränkung der Mautpflicht für Fahrzeuge ab 12 t beruht u.a. auf der Erwägung, dass im deutschen Mautsystem die Systemkosten29 bei einer Mautpflicht ab 3,5 t unangemessen hoch wären. Damit entspricht 25 Richtlinie 2006/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2006 zur Änderung der Richtlinie 1999/62/EG über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge, ABl. L 157/8, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32006L0038&qid=1407167491505&from=DE; vgl. auch Richtlinie 2011/76/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. September 2011 zur Änderung der Richtlinie 1999/62/EG über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge, ABl. L 269/1, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32011L0076&qid=1407165766039&from=DE. 26 Gesetz über die Erhebung von streckenbezogenen Gebühren für die Benutzung von Bundesautobahnen mit schweren Nutzfahrzeugen (Autobahnmautgesetz für schwere Nutzfahrzeuge – ABMG), BGBl. I S. 3122. 27 So die Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung kraftfahrzeugsteuerlicher und autobahnmautrechtlicher Vorschriften, BT-Drs. 16/2718, S. 10. 28 Vgl. § 1 Abs. 1 UAbs. 2 Nr. 2 BFStrMG, BT-Drs. 17/4979, S. 22 sowie BT-Drs. 17/5519, S. 5 f. zur Diskussion um die Ausweitung der Maut auf Kfz mit einem Gesamtgewicht von 3,5 t; Peres/Lampert, Fortentwicklung des Rechts der Autobahnmaut durch das Erste Gesetz zur Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes, NVwZ 2014, S. 102 ff. 29 Vgl. hierzu BT-Drs. 17/5551; Einbock, Die Fahrleistungsabhängige LKW-Maut, 2007, S. 67 f. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 144/14 Seite 11 die geltende Rechtslage der sekundärrechtlich eröffneten Möglichkeit gem. Art. 7 Abs. 5 der Richtlinie 1999/62/EG, Maut- und/oder Benutzungsgebühren nur für Fahrzeuge zu erheben, deren zulässiges Gesamtgewicht mindestens 12 t beträgt, wenn der Mitgliedstaat der Auffassung ist, dass eine Ausweitung auf Fahrzeuge mit einem zulässigen Gesamtgewicht von weniger als 12 t unter anderem dazu führt, dass die Verwaltungskosten die Einnahmen um 30 % übersteigen oder die Ausweitung zu einer Verkehrsverlagerungen mit erheblich negativen Auswirkungen führt. 2.2.1.3. Folgerungen Die derzeitige Beschränkung der LKW-Mautpflicht auf Fahrzeuge ab einem Gesamtgewicht von 12 t entspricht dem durch Art. 7 Abs. 5 der Richtlinie 1999/62/EG eröffneten Handlungsspielraum des nationalen Gesetzgebers. Die gegenwärtige Ausgestaltung der Maut- bzw. Benutzungsgebühren führt entsprechend Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 1999/62/EG weder mittelbar noch unmittelbar zu einer unterschiedlichen Behandlung aufgrund der Staatsangehörigkeit noch zur Verzerrung des Wettbewerbs. Angesichts der sekundärrechtlichen Wahrnehmung der Regelungskompetenz für die gemeinsame Verkehrspolitik für Kfz zur Güterbeförderung mit einem zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5 t verbleibt den Mitgliedstaaten eine Regelungszuständigkeit für Straßenbenutzungsgebühren für Kfz mit einem Gesamtgewicht von bis zu 3,5 t. Dementsprechend kann sich die geplante Infrastrukturabgabe nur auf Kfz mit einem Gesamtgewicht von bis zu 3,5 t erstrecken. Bei dieser Sachlage beruht die Lücke der Maut- bzw. Infrastrukturgebührenpflichtigkeit von Kfz mit einem Gesamtgewicht von 3,5 t bis zu 12 t auf dem Handlungsermessen des nationalen Gesetzgebers gem. Art. 7 Abs. 5 der Richtlinie 1999/62/EG und ist unter Wahrung der in Art. 7 der Richtlinie 1999/62/EG bestimmten Grenzen unionsrechtskonform. - Fachbereich Europa -