WD 11 – 3000 – 144/12 Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag Ausarbeitung Fragen zu einem etwaigen Ausscheiden Griechenlands aus der Euro- Zone Rechtliche Rahmenbedingungen für ein Ausscheiden aus der Eurozone und/oder aus der EU; Verpflichtungen Griechenlands im Zusammenhang mit den Hilfspaketen der EU sowie Sanktionen im Fall der Nichteinhaltung Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 2 WD 11 – 3000 – 144/12 Fragen zu einem etwaigen Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone Rechtliche Rahmenbedingungen für ein Ausscheiden aus der Eurozone und/oder aus der EU; Verpflichtungen Griechenlands im Zusammenhang mit den Hilfspaketen der EU sowie Sanktionen im Fall der Nichteinhaltung Aktenzeichen: WD 11 – 3000 – 144/12 Abschluss der Arbeit: 14.09.2012 Fachbereich: WD 11: Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 3 WD 11 – 3000 – 144/12 Inhaltsverzeichnis 1 . E i n l e i t u n g 5 2 . Rechtliche Rahmenbedingungen eines etwaigen Ausscheidens Griechenlands aus der Eurozone (Frage 1) 5 2.1. Hintergrund 5 2.1.1. Die dritte Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion 6 2.1.2. Teilnahme an der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion – die Konvergenzkriterien 9 2.2. Freiwilliges Ausscheiden aus der dritten Stufe der Wirtschaftsund Währungsunion/Eurozone? (Frage 1a) 11 2.2.1. Ausscheiden im Konsens 13 2.2.2. Einseitiges Ausscheiden 14 2.2.2.1. Unionsrechtliche Zulässigkeit eines einseitigen Ausscheidens 14 2.2.2.2. Auffassung des Bundesverfassungsgerichts im Maastricht-Urteil 17 2.2.3. Modelle eines einseitigen Ausscheidens im Falle der rechtlichen Zulässigkeit 18 2.2.3.1. Einseitiges Ausscheiden als Minus gegenüber dem Vollaustritt aus der EU nach Art. 50 EUV? 18 2.2.3.2. Einseitiges Ausscheiden aufgrund völkerrechtlicher Bestimmungen? 19 2.2.3.2.1. Anwendbarkeit völkerrechtlicher Bestimmungen? 19 2.2.3.2.2. Einseitiger Austritt als Gegenmaßnahme nach dem Recht der Staatenverantwortlichkeit? 20 2.2.3.2.3. Einseitiger Austritt nach dem Völkervertragsrecht, insbesondere nach Art. 62 WVK? 21 2.2.3.3. Faktisches Ausscheiden eines Mitgliedstaats 24 2.2.4. Ergebnis 24 2.3. Ausschluss eines Mitgliedstaats aus der EU bzw. der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion? (Frage 1b) 24 2.4. Zeitgleiches Ausscheiden aus der EU und der Eurozone (Frage 2) 27 2.5. Andere vorgeschlagene Verfahren (Frage 3) 28 2.5.1. Staateninsolvenz 28 2.5.1.1. Vorschläge zur Einführung eines Insolvenzverfahrens für Staaten 29 2.5.1.1.1. Vorschlag von Paulus 29 2.5.1.1.2. Vorschlag von Fuest, Hellwig, Sinn und Franz 30 2.5.1.1.3. Vorschlag von Gros und Mayer 32 2.5.1.1.4. Arbeitspapier der Bundesministerien der Finanzen und Justiz laut Bericht des Spiegels 32 2.5.1.1.5. Empfehlung der Stiftung Wissenschaft und Politik für ein Insolvenzrecht für Staaten 34 2.5.1.1.6. Vorschlag von Beck und Wentzel 36 2.5.1.2. Rechtliche Umsetzungsmöglichkeiten 37 2.5.1.3. Ergebnis und Ausblick 37 2.5.2. Temporär-teilweises Ausscheiden Griechenlands aus der dritten Stufe der WWU 38 2.6. Zusammenfassung 38 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 4 WD 11 – 3000 – 144/12 3. Verpflichtungen Griechenlands im Zusammenhang mit den Hilfspakten der EU und Konsequenzen der Nichteinhaltung (Frage 5) 39 3.1. Hilfsprogramme 39 3.1.1. Griechenland-Fazilität 39 3.1.2. Zweites Griechenland-Paket 40 3.2. Verpflichtungen Griechenlands 41 3.2.1. Griechenland-Fazilität 41 3.2.2. Zweites Griechenland-Paket 42 3.2.3. Konkrete Verpflichtungen 43 3.3. Sanktionen 44 4. A n h a n g 45 4.1. Absichtserklärungfüreinespezifischewirtschaftspolitische Konditionalität (Informelle Arbeitsübersetzung aus dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen vom 24.02.2012, BT-Drs. 14/8731, Anlage 5 a) – ANHANG 1 45 4.2. ListedervorAuszahlungdererstenTranchezuerfüllenden Maßnahmen (Informelle Arbeitsübersetzung aus dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen vom 24.02.2012, BT-Drs. 17/8731, Anlage 4 a) – ANHANG 2 45 4.3. MitteilungderKommissionandasEuropäischeParlament,den Rat, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Wirtschaftsund Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische Investitionsbank, Wachstum für Griechenland (COM/2012/0183 final) – ANHANG 3 45 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 5 WD 11 – 3000 – 144/12 1 . E i n l e i t u n g Griechenland durchlebt eine wirtschaftliche und soziale Krise, die sich über Jahre hinweg aufgebaut hat und die sich nicht von heute auf morgen bewältigen lässt.1 Als Antwort auf diese Krise gibt es in Politik und Wissenschaft verschiedene Lösungsansätze, die von einem freiwilligen oder unfreiwilligen Ausscheiden Griechenlands aus der Europäischen Union (EU) und/oder der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) bis zur finanziellen Unterstützung Griechenlands reichen. Diese Ausarbeitung beschäftigt sich im ersten Themenkomplex mit der (europa -)rechtlichen Zulässigkeit eines Austritts bzw. Ausschlusses eines Mitgliedstaats aus der Eurozone.2 Dazu wird zunächst ein allgemeiner Überblick über die dritte Stufe der WWU gegeben . Sodann wird die rechtliche Zulässigkeit eines einvernehmlichen und eines einseitigen Ausscheidens aus der dritten Stufe der WWU diskutiert, um dann der Frage nachzugehen, ob eine rechtliche Möglichkeit existiert, einen Mitgliedstaat auch gegen seinen Willen aus dem Euro- Währungsgebiet auszuschließen. Die Ausarbeitung geht dabei auf die (europa-)rechtlichen Fragestellungen und nicht auf die technisch-praktischen und ökonomischen Hinderungsgründe bzw. die Folgen eines solchen Schritts ein. 3 Im zweiten Themenkomplex wird beleuchtet, welche vertraglichen Verpflichtungen Griechenland im Rahmen der sogenannten EU-Hilfspakete eingegangen ist und welche Konsequenzen bzw. Sanktionen für den Fall der Nichteinhaltung dieser Verpflichtungen vorgesehen sind. 2 . Rechtliche Rahmenbedingungen eines etwaigen Ausscheidens Griechenlands aus der Eurozone (Frage 1) 2.1. Hintergrund Seit Ausbruch der Staatsschuldenkrise in der Euro-Zone wird in Politik, Rechts- und Wirtschaftswissenschaft sowie in den Medien zum einen darüber nachgedacht, ob und unter welchen 1 Vgl. Mitteilung der Kommission an das EP, den Rat, die EZB, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss , den Ausschuss der Regionen und die Europäische Investitionsbank vom 18.04.2012: Wachstum für Griechenland, COM/2012/0183 final, abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2012:0183:FIN:DE:PDF (zuletzt abgerufen am 11.09.2012). 2 Die folgenden Ausführungen beruhen in Teilen auf der Ausarbeitung WD 11-3000-178/11 „Möglichkeiten des freiwilligen Ausscheidens bzw. des Ausschlusses eines Mitgliedstaats aus der dritten Stufe der Wirtschafts – und Währungsunion“ von vom 10. November 2011. 3 S. hierzu z. B. Herrmann, Griechische Tragödie – der währungsverfassungsrechtliche Rahmen für die Rettung, den Austritt oder den Ausschluss von überschuldeten Staaten aus der Eurozone, EuZW 2010, S. 413 (417); Herdegen, Die Währungsunion als dauerhafte Rechtsgemeinschaft, in: Deutsche Bank Research (Hrsg.), EWU- Monitor Nr. 52 vom 22.6.1998, online abrufbar unter: http://www.dbresearch.de/PROD/DBRINTERNETDE- PROD/PROD0000000000011059.pdf (zuletzt abgerufen am 11.09.2012); Athanassiou, Withdrawal and Expulsion from the EU and EMU – Some Reflections, in: EZB (Hrsg.), Legal Working Paper Series, No 10, December 2009, S.39 ff., online abrufbar unter: http://www.ecb.int/pub/pdf/scplps/ecblwp10.pdf (zuletzt abgerufen am 11.09.2012). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 6 WD 11 – 3000 – 144/12 Bedingungen ein Mitgliedstaat freiwillig den gemeinsamen Währungsraum verlassen kann. Zum anderen wird über die Möglichkeiten diskutiert, einen Mitgliedstaat gegen seinen Willen aus der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU), d. h. der Eurozone, auszuschließen. 2.1.1. Die dritte Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion4 Die Errichtung einer Wirtschafts- und Währungsunion (WWU), die auch eine stabile einheitliche Währung umfasst, gehört seit dem Vertrag von Maastricht5, der zum 1. Januar 1993 in Kraft trat, zu den vorrangigen Zielen der EU. Der WWU liegen die Prinzipien stabile Preise, gesunde öffentliche Finanzen und monetäre Rahmenbedingungen sowie eine dauerhaft finanzierbare Zahlungsbilanz zugrunde, auf die sich die Mitgliedstaaten der EU mit Vertragsschluss verständigten. Die WWU stellt sich als dreistufiger Prozess der Harmonisierung der Wirtschafts- und Währungspolitik der Mitgliedstaaten dar, mit dem am Ende die Einführung des Euro als gemeinsame Währung ermöglicht werden soll. Während der ersten Stufe, die den Zeitraum bis zum 31. Dezember 1993 umfasste, wurde der Kapitalverkehr zwischen den Mitgliedstaaten liberalisiert, die Mitgliedstaaten stimmten ihre Wirtschaftspolitiken enger ab und die Zentralbanken der Mitgliedstaaten verstärkten ihre Zusammenarbeit. Nach der Ratifizierung des Vertrags von Maastricht begann zum 1. Januar 1994 die zweite Stufe der WWU. Sie diente als Übergangsphase der direkten Vorbereitung auf die Einführung der gemeinsamen Währung. Mit dem Ziel der Sicherung der Preisstabilität und der Vermeidung übermäßiger öffentlicher Defizite wurden Kriterien für die Konvergenz der nationalen Wirtschafts- und Währungspolitiken entwickelt. Zugleich wurden Mechanismen etabliert, mit denen zunächst die Erfüllung dieser Kriterien abgesichert und später ihre dauerhafte Einhaltung überwacht werden konnte: die Koordinierung der nationalen Wirtschafts- und Haushaltspolitiken und das Verfahren bei übermäßigem öffentlichen Defizit. Um diese zu garantieren, schlossen die Mitgliedstaaten 1997 den sog. Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP)6, in dem die im Primär- 4 Die folgenden Ausführungen sind im Wesentlichen der Ausarbeitung , Möglichkeiten des freiwilligen Ausscheidens bzw. des Ausschlusses eines Mitgliedstaates aus der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion, WD 11 – 3000 – 178/11, entnommen. 5 Vertrag über die Europäische Union, ABl. C 191/ 01 vom 29. Juli 1992. Das Amtsblatt der EU ist online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/RECHreferencepub.do?ihmlang=de (zuletzt abgerufen am 06.09.2012). 6 Der ursprünglich als völkerrechtlicher Vertrag („Pakt“) zwischen den Mitgliedstaaten der EU konzipierte und schließlich sekundärrechtlich kodifizierte SWP besteht formal aus der Entschließung des Europäischen Rates vom 17. Juni 1997 und den Verordnungen des Rates (EG) 1466/97 sowie (EG) 1467/97, die beide zum 1. Januar 1999 in Kraft traten. Beide Verordnungen wurden mit Erlass der Verordnungen des Rates (EG) Nr. 1055/2005 sowie (EG) Nr. 1056/2005 am 27. Juni 2005 mit Wirkung zum 27. Juli 2005, und jüngst durch die Verordnungen (EU) 1175/2011 vom 16. November 2011 sowie (EU) 1177/2011 vom 08. November 2011 mit Wirkung zum 13. Dezember 2011 geändert. Diese Änderungsverordnungen sind Teil des sogenannten Six-Pack, welches aus den folgenden Rechtsakten besteht: Verordnung Nr. 1173/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 über die wirksame Durchsetzung der haushaltspolitischen Überwachung im Euro- Währungsgebiet, ABl EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 1; Verordnung Nr. 1174/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 über Durchsetzungsmaßnahmen zur Korrektur übermäßiger makroökonomischer Ungleichgewichte im Euro-Währungsgebiet, ABl EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 8; Verordnung Nr. 1175/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 zur Änderung der Verordnung Nr. 1466/97 des Rates über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken, ABl EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 12; Verordnung Nr. 1176/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 7 WD 11 – 3000 – 144/12 recht vorgesehenen Instrumente der Koordinierung und das Defizitverfahren präzisiert wurden. Die Mitgliedstaaten verpflichteten sich, übermäßige öffentliche Defizite zu vermeiden und mittelfristig einen nahezu ausgeglichenen oder Überschüsse aufweisenden Haushalt zu erreichen. Mit Beginn der dritten Stufe der WWU zum 1. Januar 1999 wurden die Wechselkurse der Währungen der Mitgliedstaaten7 unwiderruflich festgelegt, in denen an demselben Tage die gemeinsame Währung (Euro) eingeführt wurde. Betraf diese Währungseinführung zunächst nur die Devisenmärkte sowie den elektronischen Zahlungsverkehr, trat der Euro zum 1. Januar 2002 auch als Bargeld an die Stelle der Währungen dieser Mitgliedstaaten. Vier der seinerzeit 15 Mitgliedstaaten der EU nahmen nicht an der dritten Stufe der WWU teil: auf Dänemark und das Vereinigte Königreich fanden zwei Ausnahmeklauseln8 des Vertrags von Maastricht Anwendung, mit denen sie von der Teilnahme an der dritten Stufe der WWU befreit sind. Griechenland und Schweden erfüllten den Konvergenzberichten der Europäischen Kommission (Kommission ) und des Europäischen Währungsinstituts9 vom 25. März 1998 zufolge die Bedingungen für die Einführung der gemeinsamen Währung zu diesem Zeitpunkt nicht.10 Mit der Entscheidung 98/317/EG des Rates vom 3. Mai 1998 gemäß Art. 109j Abs. 4 EGV verwehrte der Rat Griechenland und Schweden die Einführung der gemeinsamen Währung und gewährte beiden Staaten Ausnahmeregelungen gemäß Art. 109k EGV in der Fassung des Vertrags von Amsterdam (Art. 122 EGV in der November 2011 über die Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte, ABl EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 25; Verordnung Nr. 1177/2011 des Rates vom 8. November 2011 zur Änderung der Verordnung Nr. 1467/97 über die Beschleunigung und Klärung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit, ABl EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 33; Richtlinie 2011/85/EU des Rates vom 8. November 2011 über die Anforderungen an die haushaltspolitischen Rahmen der Mitgliedstaaten, ABl EU Nr. L 306 vom 23. November 2011, S. 41 (Sämtliche Rechtsakte der EU sind abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/de/indexcnt.html, zuletzt abgerufen am 12.09.2012). 7 Vom 1. Januar 1999 an nahmen Belgien, Deutschland, Finnland, Frankreich, Irland, Italien, Luxemburg, Österreich , die Niederlande, Portugal und Spanien an der dritten Stufe der WWU teil. 8 Das sog. Opt-Out Dänemarks ist Gegenstand des dem Vertrag von Maastricht beigefügten Protokolls (Nr. 14) über einige Bestimmungen betreffend Dänemark. Es garantiert Dänemark, dass der Übergang zur dritten Stufe der WWU nicht automatisch erfolgt, selbst wenn die Bedingungen dafür erfüllt sind. Nach der dänischen Verfassung muss über die Teilnahme an der dritten Stufe der WWU eine Volksabstimmung durchgeführt werden. Das Protokoll (Nr. 25) über einige Bestimmungen betreffend das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland enthält die Opt-out-Regelung für das Vereinigte Königreich. 9 Das EWI ist der institutionelle Vorläufer der EZB. 10 Griechenland erfüllte keines der für die Teilnahme an der dritten Stufe der WWU erforderlichen Konvergenzkriterien ; Schweden verfehlte eines dieser Kriterien. Die Inflationsrate in Griechenland lag mit 5,2 % über dem erforderlichen Referenzwert. Die Entscheidung des Rates vom 26. September 1994 über das Bestehen eines übermäßigen öffentlichen Defizits war zu diesem Zeitpunkt nicht aufgehoben. Die griechische Währung nahm im Referenzzeitraum bis einschließlich Februar 1998 nicht am Wechselkursmechanismus teil. Der durchschnittliche langfristige Zinssatz in Griechenland lag im Beobachtungszeitraum mit 9,8 % über dem Referenzwert. Schweden verletzte durch seine Nichtteilnahme am Wechselkursmechanismus das entsprechende Konvergenzkriterium . Vgl. Entscheidung Fehler! Hyperlink-Referenz ungültig.98/317/EG des Rates vom 3. Mai 1998, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:1998:139:0030:0035:DE:PDF (zuletzt abgerufen am 9.11.2011). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 8 WD 11 – 3000 – 144/12 Fassung des Vertrags von Nizza), die insbesondere ein Ruhen des Stimmrechts dieser Staaten im Rat bei bestimmten Entscheidungen vorsieht, die die WWU betreffen. Am 9. März 2000 beantragte Griechenland die Aufhebung der Ausnahmeregelung gemäß Art. 109k EGV, woraufhin die Kommission und die EZB mit ihren Untersuchungen hinsichtlich der Erfüllung der Konvergenzkriterien begannen. Auf der Grundlage der Konvergenzberichte der Kommission vom 3. Mai 200011 und der EZB vom 28. April 200012 gelangte der Rat in seiner Entscheidung vom 19. Juni 200013 zu der Feststellung, dass Griechenland die Konvergenzkriterien erfüllt.14 Der Rat beschloss, die aufgrund seiner Entscheidung 98/317/EG vom 3. Mai 1998 geltende Ausnahmeregelung zum1. Januar 2001 aufzuhebenund machtedamitdenWeg frei fürdieEinführung der gemeinsamen Währung in Griechenland.15 Die griechische Regierung gab am 21. September 2004 bekannt, dass die von Griechenland an die Kommission gemeldeten statistischen Daten zur Ermittlung des jährlichen öffentlichen Defizits für die Jahre 2000 bis 2003 nicht zutreffend waren. Daraufhin forderte der Rat Wirtschaft und Finanzen (ECOFIN) am 21. Oktober 2004 die Kommission auf, einen ausführlichen Bericht über die Daten zu Defizit und Schuldenstand Griechenlands für den Zeitraum ab 1997 vorzulegen.16 Den am 15. November 2004 veröffentlichten Ausführungen des Statistischen Amts der EU (EUROSTAT) zufolge hatte Griechenland auch in den Jahren 1997 bis 1999 unzutreffende Daten über das jährliche öf- 11 Kommission, Vorschlag für eine Entscheidung des Rates gemäß Art. 122 Abs. 2 EGV, KOM(2000) 274, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:C:2000:248E:0124:0125:DE:PDF (zuletzt abgerufen am 9.11.2011). 12 EZB, Konvergenzbericht 2000, abrufbar unter: http://www.ecb.int/pub/pdf/conrep/cr2000de.pdf (zuletzt abgerufen am 9.11.2011). 13 Entscheidung 2000/427/EG des Rates vom 19. Juni 2000 gemäß Art. 122 Abs. 2 EGV, abrufbar unter: http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2000:167:0019:0021:DE:PDF (zuletzt abgerufen am 9.11.2011). 14 Die Inflationsrate lag im Prüfungszeitraum mit 2 % unter dem Referenzwert von 2,4 %. Eine Ratsentscheidung über das Bestehen eines übermäßigen öffentlichen Defizits lag nicht mehr vor; das Verhältnis des jährlichen öffentlichen Defizits zum BIP unterschritt den Referenzwert von 3 % und der öffentliche Schuldenstand im Verhältnis zum BIP näherte sich rasch genug dem Referenzwert von 60 %. Weiterhin nahm Griechenland seit März 1998 am Wechselkursmechanismus des Europäischen Währungssystems teil, ohne den Leitkurs seiner Währung abzuwerten. Schließlich erfüllte Griechenland das Kriterium des langfristigen Zinssatzes, da der Zinssatz im Referenzzeitraum 6,4 % betragen und damit den festgelegten Referenzwert von 7,2 % unterschritten habe. Darüber hinaus waren die innerstaatlichen Rechtsvorschriften Griechenlands einschließlich der Satzung der nationalen Zentralbank mit dem Vertrag sowie mit der Satzung des ESZB vereinbar. 15 Für einen Überblick über den Weg Griechenlands in die dritte Stufe der WWU und die in diesem Zusammenhang aufgedeckten fehlerhaften statistischen Daten zur Beurteilung des Defizitkriteriums vgl. , Griechenlands Teilnahme an der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion, Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages (WD 11 – 3000 – 06/10), im Intranet des Deutschen Bundestages abrufbar unter: http://www.bundestag.btg/Wissen/Dossiers/Ablage/2219/Ausarbeitung22192.pdf (zuletzt abgerufen am 9.11. 2011). 16 Tagung des Rates Wirtschaft und Finanzen vom 21. Oktober 2004, Schlussfolgerungen des Rates zu den von Griechenland vorgelegten Haushaltsdaten, abrufbar unter: http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cmsdata/docs/pressdata/de/ecofin/82464.pdf (zuletzt abgerufen am 10.11.2011). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 9 WD 11 – 3000 – 144/12 fentliche Defizit an die Kommission gemeldet. Das tatsächliche öffentliche Defizit hatte in jedem dieser Jahre deutlich über dem Referenzwert von 3 % des BIP gelegen (1997: 6,4 % statt der gemeldeten 4,0 %; 1998: 4,1 % statt 2,5 %; 1999: 3,4 % statt 1,8 %).17 Die für die Jahre 1998 und 1999 festgestellten Abweichungen betreffen den für die Beurteilung des Konvergenzkriteriums „Finanzlage der öffentlichen Hand“ bedeutsamen Zeitraum. Hätten Kommission und EZB ihren Untersuchungen zur wirtschaftlichen Konvergenz die tatsächlichen Daten zum öffentlichen Defizit zugrunde gelegt, hätten sie nicht zu der Feststellung gelangen können, Griechenland habe die notwendigen Voraussetzungen für die Einführung der gemeinsamen Währung erfüllt. In den zum 1. Mai 2004 und zum 1. Januar 2007 der EU beigetretenen Staaten waren durch die Übernahme des acquis communautaire die Mechanismen der ersten und zweiten Stufe der WWU im Beitrittszeitpunkt in Kraft gesetzt. Für die neuen Mitgliedstaaten gilt die Verpflichtung zur Einführung der gemeinsamen Währung, sobald sie die für die Teilnahme an der dritten Stufe der WWU erforderlichen Konvergenzkriterien erfüllen, uneingeschränkt. Da diese Staaten zum Beitrittszeitpunkt diese Voraussetzungen noch nicht erfüllten, wurden ihnen Ausnahmeregelungen gemäß Art. 122 Abs. 1 EGV gewährt. Als erster der neuen Mitgliedstaaten beantragte Slowenien am 2. März 2006 eine erneute Bewertung der Konvergenzkriterien, um die Aufhebung der Ausnahmeregelung und die Aufnahme in die dritte Stufe der WWU zu erreichen. Slowenien führte die gemeinsame Währung zum 1. Januar 2007 ein. Es folgten Malta und Zypern zum 1. Januar 2008 sowie die Slowakei zum 1. Januar 2009. Estland ist zum 1. Januar 2011 das 17. Mitglied der Euro-Zone geworden.18 2.1.2. Teilnahme an der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion – die Konvergenzkriterien 19 Für die Teilnahme an der dritten Stufe der WWU muss jeder Mitgliedstaat bestimmte Kriterien erfüllen , damit sichergestellt ist, dass der für die Einführung der gemeinsamen Währung in diesem Mitgliedstaat erforderliche hohe Grad dauerhafter wirtschaftlicher Konvergenz erreicht ist. Diese sog. Konvergenzkriterien sind in Art. 140 Abs. 1 AEUV20 (zuvor Art. 121 Abs. 1 EGV21) verankert und 17 „Griechenland erschwindelte Euro-Beitritt“, Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 16. November 2004 sowie „Griechenland kommt ungestraft davon“, Handelsblatt vom 16. November 2004. 18 Beschluss des Rates vom 13. Juli 2010 gemäß Artikel 140 Absatz 2 des Vertrags über die Einführung des Euro in Estland zum 1. Januar 2011, 2010/416/EU, ABl. L 196 S. 24, online abrufbar unter: http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2010:196:0024:0026:DE:PDF (zuletzt abgerufen am 10.11.2011). 19 Die folgenden Ausführungen sind im Wesentlichen der Ausarbeitung , Modelle für das Ausscheiden eines Teilnehmerstaates der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion, WD 11 – 3000 – 63/10, entnommen. 20 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, konsolidierte Fassung ABl .C 83/47 vom 30. März 2010. 21 Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft i.d.F. des Vertrages von Nizza, konsolidierte Fassung ABl. C 321 E/39 vom 29.12.2006. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 10 WD 11 – 3000 – 144/12 werden in demzum Vertrag von Lissabon gehörenden Protokollüber die Konvergenzkriterien22 konkretisiert . Die ihnen zugrundeliegenden Maßstäbe sind folgende:23 1. Der Mitgliedstaat muss einen hohen Grad an Preisstabilität erreichen, der an der Inflationsrate gemessen wird. Diese muss der Inflationsrate der drei Mitgliedstaaten mit der höchsten Preisstabilität nahe kommen (Art. 140 Abs. 1 S. 3 erster Gedankenstrich AEUV i.V.m. Art. 1 des Protokolls über die Konvergenzkriterien). 2. Der Mitgliedstaat muss über eine auf Dauer tragbare Finanzlage der öffentlichen Hand verfügen , die festgestellt wird, wenn die öffentliche Haushaltslage des zu überprüfenden Mitgliedstaats kein übermäßiges Defizit aufweist (Art. 140 Abs. 1 S. 3 zweiter Gedankenstrich AEUV i.V.m. Art. 2 des Protokolls über die Konvergenzkriterien). 3. Über einen Zeitraum von zwei Jahren hinweg muss der Mitgliedstaat am Wechselkursmechanismus des Europäischen Währungssystems teilgenommen haben und dabei die normalen Bandbreiten dieses Wechselkursmechanismus des Europäischen Währungssystems einhalten , d. h. seine Währung muss sich länger als zwei Jahre innerhalb dieser Bandbreiten ohne Abwertung gegenüber der Währung eines anderen Mitgliedstaats bewegen (Art. 140 Abs. 1 S. 3 dritter Gedankenstrich AEUV). 4. DasNiveau der langfristigen Zinssätze von Staatsschuldverschreibungen muss indiesemMitgliedstaat dauerhaft nahe dem der drei preisstabilsten Mitgliedstaaten verlaufen (Art. 140 Abs. 1S. 3 vierter GedankenstrichAEUVi.V.m.Art. 4 desProtokollsüberdieKonvergenzkriterien ). Darüber hinaus müssen die Mitgliedstaaten ihre innerstaatlichen Rechtsvorschriften einschließlich der Satzung ihrer nationalen Zentralbank so angepasst haben, dass sie mit den grundlegenden Verträgen der EU sowie mit der Satzung des ESZB und der EZB in Einklang stehen (Art. 131 AEUV). Dies ist die Voraussetzung für die vollständige Integration der jeweiligen nationalen Zentralbank in das ESZB. Die Kommission und die EZB prüfen mindestens einmal im Turnus zweier Jahre oder auf Antrag eines Mitgliedstaats, inwieweit die Mitgliedstaaten, für die eine Ausnahmeregelung gilt, ein hohes Maß dauerhafter wirtschaftlicher Konvergenz erreicht und ihre innerstaatlichen Rechtsvorschriften so angepasst haben, dass ihre jeweiligen nationalen Zentralbanken integraler Bestandteil des ESZB werden können. Die Ergebnisse werden in Form sog. Konvergenzberichte dem Rat vorgelegt (Art. 140 Abs. 1 S. 1 AEUV), der entscheidet, ob die Voraussetzungen für die Teilnahme an der dritten Stufe der WWU erfüllt sind, oder aber die Ausnahmeregelung fort gilt. 22 Protokoll (Nr. 13) über die Konvergenzkriterien, Konsolidierte Fassungen des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, Rats-Dok. 6655/08, S. 364, abrufbar unter : http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cmsUpload/st06655.de08.pdf (zuletzt abgerufen am 9.11.2011). 23 Für eine ausführliche Darstellung der Aspekte der Prüfung der vier Konvergenzkriterien vgl. EZB, Konvergenzbericht 2000, S. 8ff. abrufbar unter: http://www.ecb.int/pub/pdf/conrep/cr2000de.pdf, sowie das Analyseschema in: EZB, Konvergenzbericht Mai 2008, S. 7 ff. abrufbar unter: http://www.ecb.int/pub/pdf/conrep/cr200805de.pdf (zuletzt abgerufen am 9.11.2011). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 11 WD 11 – 3000 – 144/12 Die Konvergenzkriterien sind als Hürden konstruiert, die ein Mitgliedstaat überwinden muss, um an der dritten Stufe der WWU teilnehmen und die gemeinsame Währung einführen zu können. Sie bilden die Grundlage für die Prüfungen durch die Kommission und die EZB und sollen das hohe Maß dauerhafter wirtschaftlicher Konvergenz sicherstellen und die Vereinbarkeit der innerstaatlichen Rechtsvorschriften mit den grundlegenden Verträgen der EU garantieren, die für die Einführung der gemeinsamen Währung erforderlich sind. Die grundlegenden Verträge der EU ordnen den Konvergenzkriterien die Funktion von „Eintrittsvoraussetzungen “ im Sinne von Hürden für die Teilnahme an der dritten Stufe der WWU zu. Daneben haben sie nicht etwa auch eine zusätzliche Funktion als Maßstäbe innerhalb eines Überwachungs- und Sanktionsprozesses, in dem das Verbleiben eines Mitgliedstaates im Kreis der Teilnehmer der dritten Stufe der WWU zum Gegenstand einer permanenten Untersuchung gemacht würde. Insbesondere kommt ihnen nicht die Bedeutung von benchmarks zu, deren Verfehlen sanktioniert und als sog. ultima ratio mit dem Ausschluss aus der dritten Stufe der WWU geahndet würde.24 Für die Staaten, die die Hürden der Konvergenzkriterien genommen haben und an der dritten Stufe der WWU teilnehmen, kommt die Aufgabe der Sicherung des hohen Grades dauerhafter wirtschaftlicher Konvergenz den Überwachungs- und Sanktionsmechanismen zu, die in den Kernbestimmungen zur Wirtschafts- und Währungspolitik der EU in Titel VIII des AEUV festgelegt und im Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) präzisiert sind. Diese Bestimmungen enthalten keine Regelung über ein Ausscheiden aus der dritten Stufe der WWU.25 Dies gilt sowohl für das freiwillige Ausscheiden eines Teilnehmerstaates im Einvernehmen mit den übrigen Teilnehmerstaaten, als auch für das Ausscheiden im Sinne einer Sanktion für ein bestimmtes Fehlverhalten eines Teilnehmerstaates der dritten Stufe der WWU. 2.2. Freiwilliges Ausscheiden aus der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion /Eurozone? (Frage 1a) Fraglich und in der Rechtswissenschaft umstritten ist, ob ein freiwilliges Ausscheiden eines Mitgliedstaates aus der Eurozone, d.h. aus der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) trotz fehlendender ausdrücklicher Regelungen rechtlich zulässig ist. Hierfür müsste der betreffende Mitgliedstaat in die Gruppe der Mitgliedstaaten mit Ausnahmeregelung gemäß Art. 139 AEUV zurückgestuft werden.26 Dies würde wiederum eine Aufhebung des Ratsbeschlus- 24 So Seidel, Der Euro – Schutzschild oder Falle, Zentrum für Europäische Integrationsforschung (ZEI), ZEI- Working Paper, Bonn, 2010, S. 24, abrufbar unter: http://www.zei.de/download/zei_wp/B10-01.pdf (zuletzt abgerufen am 9.11.2011). 25 Verschiedentlich wird daher gefordert, ein Austrittsrecht mit konkreten Regularien ausdrücklich durch Änderung des AEUV zu normierten. Vgl. z.B. Meyer, Euro-Krise – Austritt als Lösung?“, 2012, S. 47 m.w.N. 26 Heß, Finanzielle Unterstützung von EU-Mitgliedstaaten in einer Finanz- und Wirtschaftskrise und die Vereinbarkeit mit EU-Recht, ZJS 2010, S. 473 (478). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 12 WD 11 – 3000 – 144/12 ses gemäß Art. 140 AEUV über die Aufnahme des Mitgliedstaats in die Eurozone und die Aufhebung der Ausnahmeregelung erfordern.27 Zu beachten ist, dass die Aufhebung des Ratsbeschlusses gemäß Art. 140 AEUV allein noch nicht ausreichen würde, denn der Ratsbeschluss gemäß Art. 140 AEUV ist nicht identisch mit der Einführung des Euros in dem betreffenden Mitgliedstaat. 28 Die betreffenden Euro-Staaten müssten zusätzlich aus dem Anwendungsbereich der währungsrechtlichen Vorschriften des Sekundärrechts ausgeschlossen werden. Die Grundlage für die Einführung des Euros als Währung ist die Verordnung (EG) Nr. 974/98 über die Einführung des Euro.29 Mit verschiedenen Änderungsverordnungen ist der Euro für diejenigen Staaten eingeführt worden, die erst nach Inkrafttreten der Euro-Einführungsverordnung die Voraussetzungen für die Ersetzung ihrer Währung erfüllten.30 Als actus contrarius müssten also auch die einschlägigen (Änderungs-) Verordnungen für einen betreffenden Mitgliedstaat wieder aufgehoben werden.31 Wenn das Primärrecht einen Austritt aus der 3. Stufe der WWU zuließe, wäre im nächsten Schritt daher fraglich, auf welche Rechtsgrundlagen der EU dieser actus contrarius gestützt werden könnte.32 Als erster Schritt muss aber untersucht werden, ob das Primärrecht der EU überhaupt einen Austritt zulassen würde. Eine Sprecherin der Europäischen Kommission ist am 4. November 2011 in den Medien mit der Aussage zitiert worden, dass der EU-Vertrag keinen Austritt aus der Eurozone ohne ein Verlassen der EU vorsehe.33 Diese Aussage ist inhaltlich richtig, schließlich sehen 27 Heß, Finanzielle Unterstützung von EU-Mitgliedstaaten in einer Finanz- und Wirtschaftskrise und die Vereinbarkeit mit EU-Recht, ZJS 2010, S. 473 (478); Behrens, Ist ein Ausschluss aus der Euro-Zone ausgeschlossen?, EuZW 2010, S. 121. 28 Häde, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 4. Auflage 2011, Art. 140 AEUV, Rn. 45. 29 Verordnung (EG) Nr. 974/98 des Rates vom 3. Mai 1998 über die Einführung des Euro, ABl. 1998 L 139/1, konsolidierte Fassung online abrufbar unter: http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CONSLEG:1998R0974:20110101:DE:PDF (zuletzt abgerufen am 7.11.2011). 30 Beispielsweise für Griechenland s. Verordnung (EG) Nr. 2596/2000 des Rates vom 27. November 2000 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 974/98 über die Einführung des Euro, ABl. 2000 L 300/2, online abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2000:300:0002:0003:DE:PDF (zuletzt abgerufen am 7.11.2011). 31 So Herrmann, Griechische Tragödie – der währungsverfassungsrechtliche Rahmen für die Rettung, den Austritt oder Ausschluss von überschuldeten Staaten aus der Eurozone, EuZW 2010, S. 413 (417). 32 S. hierzu Herrmann, Griechische Tragödie – der währungsverfassungsrechtliche Rahmen für die Rettung, den Austritt oder den Ausschluss von überschuldeten Staaten aus der Eurozone, EuZW 2010, S. 413 (417). Herrmann zieht die Flexibilitätsklausel des Art. 352 AEUV in Betracht. 33 Z. B. Gottschalk, „Mit gutem Willen ist alles möglich“, in. Stuttgarter-Zeitung.de vom 4.11.2011, online abrufbar unter: http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.euro-krise-mit-gutem-willen-ist-alles-moeglich.93c0c6f5-2fcd- 4030-b0e1-3cc8c83e7947.html (zuletzt abgerufen am 4.11.2011). Diese Auffassung hat die Kommission vor Inkrafttreten der ausdrücklichen Austrittsklausel (Art. 50 EUV) mit dem Vertrag von Lissabon auch bzgl. eines Gesamtaustritts aus der EU vertreten: „Da die Verträge keine Bestimmungen über das einseitige Ausscheiden vorsehen, besteht auch keine gemeinschaftliche Rechtsgrundlage für derartiges Vorgehen.“ [Hervorhebung durch Verfasserin], zitiert nach Götting, Die Beendigung der Mitgliedschaft in der Europäischen Union, 2000, S. 113. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 13 WD 11 – 3000 – 144/12 weder EUV noch AEUV eine explizite Austrittsnorm für die dritte Stufe der WWU vor. Daraus muss allerdings nicht zwangsläufig gefolgert werden, dass ein solcher Austritt europarechtlich unmöglich wäre.34 2.2.1. Ausscheiden im Konsens Als rechtlich unproblematisch wird der Weg angesehen, dass der ausstiegswillige Mitgliedstaat mit den übrigen Mitgliedstaaten der EU eine vertragliche Vereinbarung über seinen Ausstieg aus der dritten Stufe der WWU trifft.35 Dabei wird überwiegend davon ausgegangen, dass hierfür notwendigerweise die europäischen Verträge nach den Verfahren des Art. 48 EUV geändert werden müssten, um dem Mitgliedstaat entweder eine Ausnahmegenehmigung von der grundsätzlichen Pflicht zur Mitgliedschaft in der Eurozone bei Erfüllung der Konvergenzkriterien zu ermöglichen oder eine einvernehmliche Kündigungsmöglichkeit zu gestatten.36 Die Vertragsänderung müsste von allen Mitgliedstaaten der EU ratifiziert werden und würde daher voraussichtlich geraume Zeit in Anspruch nehmen. Herdegen schlägt als flexiblere Lösung einen Konsens der nationalen Regierungen über das Ausscheiden aus der dritten Stufe der WWU vor.37 Er geht dabei davon aus, dass „wenn die übrigen Partner einen Teilnehmerstaat im eigenen währungspolitischen Interesse oder aus anderen politischen Gründen aus der Euro-Zone ziehen lassen wollen, [...] [sich] das Recht einer solchen Lösung nicht entgegenstellen“ werde.38 Der Abschluss einer vertraglichen Vereinbarung über den Austritt eines Mitgliedstaats aus der dritten Stufe der WWU wäre auch nicht vollkommen neu, denn mit Grönland wurde im Jahr 34 Vgl. Herdegen, Die Währungsunion als dauerhafte Rechtsgemeinschaft, in: Deutsche Bank Research (Hrsg.), EWU-Monitor Nr. 52 vom 22.6.2998, online abrufbar a.a.O. 35 Athanassiou, Withdrawal and Expulsion from the EU and EMU – Some Reflections, in: EZB (Hrsg.), Legal Working Paper Series, No 10, December 2009, S. 21, online abrufbar a.a.O. 36 Athanassiou, Withdrawal and Expulsion from the EU and EMU – Some Reflections, in: EZB (Hrsg.), Legal Working Paper Series, No 10, December 2009, S. 30, online abrufbar a.a.O.; Häde, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 4. Auflage 2011, Art. 140 AEUV, Rn. 62; Herrmann, Griechische Tragödie – der währungsverfassungsrechtliche Rahmen für die Rettung, den Austritt oder Ausschluss von überschuldeten Staaten aus der Eurozone, EuZW 2010, S. 413 (417); Endler, Europäische Zentralbank und Preisstabilität, 1998, S. 535; Herdegen, Die Währungsunion als dauerhafte Rechtsgemeinschaft, in: in: Deutsche Bank Research (Hrsg.), EWU-Monitor Nr. 52 vom 22.6.2998, online abrufbar a.a.O; vgl. Kokott, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 312 EGV, Rn. 4, 8. 37 Herdegen, Die Währungsunion als dauerhafte Rechtsgemeinschaft, in: Deutsche Bank Research (Hrsg.), EWU- Monitor Nr. 52 vom 22.6.1998, S. 8, online abrufbar a.a.O. 38 Herdegen, Die Währungsunion als dauerhafte Rechtsgemeinschaft, in: Deutsche Bank Research (Hrsg.), EWU- Monitor Nr. 52 vom 22.6.1998, S. 8, online abrufbar a.a.O. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 14 WD 11 – 3000 – 144/12 1984 zwar nicht ein Mitgliedstaat der EU, aber ein teilweise autonomes Territorium eines Mitgliedstaats (Dänemarks) aus der EU mittels eines einvernehmlichen Vertrages39 entlassen.40 Im Ergebnis ist eine „einvernehmliche Entlassung“41 eines Mitgliedstaates aus der Eurozone (europa -)rechtlich zulässig. 2.2.2. Einseitiges Ausscheiden Fraglich ist jedoch, ob auch ein einseitiges Ausscheiden aus der dritten Stufe der WWU rechtlich zulässig wäre. 2.2.2.1. Unionsrechtliche Zulässigkeit eines einseitigen Ausscheidens Zum Teil wird in der rechtswissenschaftlichen Literatur in Deutschland auf das früher dem EG- Vertrag beigefügte, durch den Vertrag von Lissabon aufgehobene Protokoll über den Übergang zur dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion42 verwiesen. Hier hieß es: „Die hohen Vertragsparteien erklären mit der Unterzeichnung der neuen Vertragsbestimmungen über die Wirtschafts- und Währungsunion die Unumkehrbarkeit des Übergangs der Gemeinschaft zur dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion. [...], damit die Gemeinschaft am 1. Januar 1999 unwiderruflich in die dritte Stufe eintreten kann [...].“43 Diese ehemalige Vorschrift über die Unumkehrbarkeit des Übergangs in die dritte Stufe der WWU wird in unterschiedliche Richtungen interpretiert. 39 Vertrag zur Änderung der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften bezüglich Grönlands, ABl. L 29/1 vom 01.02.1985. 40 Ausführlich hierzu Waldemathe, Austritt aus der EU, 2000, S. 26 f.; Hilf, in: von der Groeben /Thiesing/Ehlermann (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, 5. Auflage 1997, Art. 250 EGV, Rn. 15; Athanassiou, Withdrawal and Expulsion from the EU and EMU – Some Reflections, in: EZB (Hrsg.), Legal Working Paper Series, No 10, December 2009, S. 22, online abrufbar a.a.O.; Weiss, Greenland’s Withdrawal from the European Communities, European Law Review 1985, S. 173 ff.; Harhoff, Greenland’s Withdrawal from the European Communities, Common Market Law Review 1983, S. 13 ff. 41 Wölker, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, 6. Auflage 2003, Art. 121 EGV, Rn. 43. 42 ABl. C 191/87 vom 29.07.1992; aufgehoben durch den Vertrag von Lissabon, ABl. C 306/169 vom 17.12.2007. 43 Hervorhebungen durch Verfasserin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 15 WD 11 – 3000 – 144/12 Die wohl überwiegende Auffassung in der deutschen rechtswissenschaftlichen Literatur folgert u.a. aus diesem früheren Protokoll, dass es für Eurozonenmitglieder keine (unionsrechtliche) Möglichkeit gibt, aus der Währungsunion einseitig „auszuscheren“.44 In entgegengesetzter Richtung argumentieren jedoch Heß45 und Behrens46 in ihren Aufsätzen aus dem Jahr 2010: Sie gehen davon aus, dass das Protokoll einem Austritt bzw. Ausschluss aus der dritten Stufe der WWU nicht entgegenstehe, da „dieser kollektive Integrationsschritt der Gemeinschaft als solcher nicht rückgängig gemacht würde, sondern nur die Beteiligung eines Mitgliedstaats .“47 Diese sehr eng am Wortlaut orientierte Interpretation („die Gemeinschaft“) scheint jedoch zu kurz zu greifen, da sie verkennt, dass bei kumulierten Austritten verschiedener Mitgliedstaaten letztlich doch der kollektive Integrationsschritt rückgängig gemacht würde. Das Protokoll über den Übergang zur dritten Stufe der WWU ist jedenfalls durch den Vertrag von Lissabon zum 1. Dezember 2009 aufgehoben worden und damit auch nicht länger gemäß Art. 51 EUV als Bestandteil der Verträge geltendes Primärrecht. Die dauerhafte Konzeption kam neben dem Übergangsprotokoll auch in den Artikeln 11848 sowie 123 Abs. 4 S. 149 EGV in der Fassung des Vertrags von Nizza50 zum Ausdruck. Da auch diese Vorschriften durch die Existenz des Euros ihren Anwendungsbereich verloren haben, sind sie durch den Vertrag von Lissabon ebenfalls aufgehoben worden.51 Es fragt sich daher, inwieweit die oben dargestellten Argumente 44 So Endler, Europäische Zentralbank und Preisstabilität, 1998, S. 534; vgl. Häde, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 4. Auflage 2011, Art. 140 AEUV, Rn. 59; Potacs, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2. Auflage 2009, Art. 122 EGV, Rn. 8; Bandilla, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, 40. Aufl. 2009, EGV Protokoll Nr. 24 über den Übergang zur dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion (1992), Rn. 2; Wölker, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, 6. Auflage 2003, Art. 121 EGV/Protokoll Nr. 24, Rn. 43; Emmerich-Fritsche, Wie verbindlich sind die Konvergenzkriterien?, Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (EWS) 1996, S. 77 (86) m.w.N. 45 Heß, Finanzielle Unterstützung von EU-Mitgliedstaaten in einer Finanz- und Wirtschaftskrise und die Vereinbarkeit mit EU-Recht, ZJS 2010, S. 473ff. 46 Behrens, Ist ein Ausschluss aus der Euro-Zone ausgeschlossen?, EuZW 2010, S. 121. 47 Heß, a.a.O., S. 473 (478). 48 Art. 118 EGV-Nizza [Hervorhebung durch Verfasserin]: „Die Zusammensetzung des ECU-Währungskorbs wird nicht geändert. Mit Beginn der dritten Stufe wird der Wert des ECU nach Artikel 123 Absatz 4 unwiderruflich festgesetzt.“ 49 Art. 123 Abs. 4 S. 1 EGV-Nizza [Hervorhebungen durch Verfasserin]: „Am ersten Tag der dritten Stufe nimmt der Rat aufgrund eines einstimmigen Beschlusses der Mitgliedstaaten, für die keine Ausnahmeregelung gilt, auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung der EZB die Umrechnungskurse , auf die ihre Währungen unwiderruflich festgelegt werden, sowie die unwiderruflich festen Kurse, zu denen diese Währungen durch den ECU ersetzt werden, an und wird der ECU zu einer eigenständigen Währung .“ 50 Konsolidierte Fassung des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i.d.F. des Vertrags von Nizza (ABl. C 325/33 vom 24.12.2002). 51 S. hierzu Potacs, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2. Auflage 2009, Art. 118 EGV, Rn. 2 f.; Art. 123 EGV, Rn. 6. Kokott weist darüber hinaus darauf hin, dass die genannten Vorschriften in erster Linie auf die Schaffung rechtsverbindlicher Vorgaben für die Finanzmärkte zielten und keine konstitutionelle Bedeutung für die Gemeinschaft gehabt hätten, S. Kokott, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 312 EGV, Rn. 8. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 16 WD 11 – 3000 – 144/12 zur Begründung der Unumkehrbarkeit der Übergangs in die dritte Stufe der WWU noch greifen können. Allein aus der Aufhebung kann jedoch wohl umgekehrt auch nicht geschlossen werden, dass die Währungsunion nicht mehr als dauerhafte Einrichtung unumkehrbar sein sollte.52 Hierfür spricht, dass die gesamte Konzeption der WWU nach wie vor auf den Beitritt zur dritten Stufe angelegt ist. So besteht bei Erfüllung der Konvergenzkriterien eine Pflicht zur Teilnahme an der dritten Stufe der WWU (vgl. Art. 140 Abs. 1 AEUV, wonach Kommission und EZB mindestens alle zwei Jahre ein Prüfungsverfahren über die Erfüllung der Konvergenzkriterien einzuleiten haben).53 Die einschlägigen Normen über den Beitritt zum Euro-Währungsgebiet und die Regelungen über die „Mitgliedstaaten mit Ausnahmeregelung“ befinden sich außerdem systematisch im Kapitel 5 des dritten Teils des AEUV, der unter der Überschrift „Übergangsbestimmungen “ steht. Teilweise wird für eine unionsrechtliche Unzulässigkeit des Austritts (zusätzlich) mit den auch heute noch geltenden Freistellungsprotokollen für Dänemark54 und das Vereinigte Königreich55 argumentiert.56 Diese Freistellungsprotokolle sichern Dänemark und dem Vereinigten Königreich trotz Erfüllung der Konvergenzkriterien ein autonomes Entscheidungsrecht über die Einführung des Euros zu (Opt-outs), siehe Ziffer 2.1.57 Es ist in den Freistellungsprotokollen jedoch auch festgehalten, dass nach Aufhebung der Freistellung das jeweilige Protokoll nicht mehr anwendbar ist.58 Hieraus wird gefolgert, dass beide Staaten nach Eintritt in die Währungsunion nicht mehr geltend machen könnten, aus dieser wieder entlassen zu werden.59 Ein „währungspolitischer Rückzieher“ sei dann – wie auch für die übrigen Mitglieder der Eurozone – nicht mehr möglich.60 52 Herrmann, Griechische Tragödie – der währungsverfassungsrechtliche Rahmen für die Rettung, den Austritt oder den Ausschluss von überschuldeten Staaten aus der Eurozone, EuZW 2010, S. 413 (417), Fn. 47. 53 Potacs, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2. Auflage 2009, Art. 122 EGV, Rn. 2; Athanassiou, Withdrawal and Expulsion from the EU and EMU – Some Reflections, in: EZB (Hrsg.), Legal Working Paper Series, No 10, December 2009, S. 28, a.a.O. 54 Konsolidierte Fassung des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, Protokoll (Nr. 16) über einige Bestimmungen betreffend Dänemark (Abl. C 83/287 vom 30.3.2010). 55 Konsolidierte Fassung des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, Protokoll (Nr. 15) über einige Bestimmungen betreffend das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland (ABl. 83/284 vom 30.3.2010). 56 Endler, Europäische Zentralbank und Preisstabilität, 1998, S. 534 f. 57 Vgl. Khan, in: Geiger/Khan/Kotzur (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 140 AEUV, Rn. 2. 58 Ziffer 3 des Protokolls (Nr. 16) über einige Bestimmungen betreffend Dänemark, Ziffer 9, letzter Satz des Protokolls (Nr. 15) über einige Bestimmungen betreffend das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland. 59 Endler, Europäische Zentralbank und Preisstabilität, 1998, S. 534 f. 60 Khan, in: Geiger/Khan/Kotzur (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 140 AEUV, Rn. 2; Häde, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 4. Auflage 2011, Art. 140 AEUV, Rn. 61. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 17 WD 11 – 3000 – 144/12 2.2.2.2. Auffassung des Bundesverfassungsgerichts im Maastricht-Urteil In seinem Maastricht-Urteil (1993) äußert sich das BVerfG folgendermaßen zur Möglichkeit einer Lösung aus der Währungsunion: „Der Vertrag setzt langfristige Vorgaben, die das Stabilitätsziel zum Maßstab der Währungsunion machen, die durch institutionelle Vorkehrungen die Verwirklichung dieses Ziels sicherstellen suchen und letztlich – als ultima ratio – beim Scheitern der Stabilitätsgemeinschaft auch einer Lösung aus der Gemeinschaft nicht entgegenstehen .“61 „Diese Konzeption der Währungsunion als Stabilitätsgemeinschaft ist Grundlage und Gegenstand des deutschen Zustimmungsgesetzes. Sollte die Währungsunion die bei Eintritt in die dritte Stufe vorhandene Stabilität nicht kontinuierlich im Sinne des vereinbarten Stabilitätsauftrags fortentwickeln können, so würde sie die vertragliche Konzeption verlassen.“62 In der deutschen Literatur werden die betreffenden Passagen mehrheitlich so interpretiert, dass es nach Auffassung des BVerfG ein außerhalb der expliziten Vertragsbestimmungen bestehendes Recht geben solle, sich einseitig aus der Währungsunion zu lösen.63 Wie sich das BVerfG die rechtliche Konstruktion einer solchen einseitigen Lösung vorstellt, z. B. ob es hierfür einen völkerrechtlichen Ansatz wählen würde, ergibt sich aus dem Urteil jedoch nicht.64 Die Auslegung des BVerfG ist europarechtlich betrachtet letztlich nur eine von mehreren denkbaren Auffassungen zur Möglichkeit der einseitigen Lösung aus der dritten Stufe der WWU. Die Auslegung des Unionsrechts durch das BVerfG ist aufgrund der Stellung des Gerichts als nationales und nicht als gemeinschaftliches Verfassungsgericht nicht für die gesamte EU bindend.65 61 BVerfGE 89, 155 (204). Hervorhebung durch Verfasserin. 62 BVerfGE 89, 155 (205). 63 Kirchhof, Die Mitwirkung Deutschlands an der Wirtschafts- und Währungsunion, in: Kirchhof /Offerhaus/Schöberle (Hrsg.), Steuerrecht, Verfassungsrecht, Finanzpolitik, Festschrift für Franz Klein, 1994, S. 61 (81); Bruha/Nowak, Recht auf Austritt aus der Europäischen Union?, Archiv des Völkerrecht (AVR) 42 (2004), S. 1 (5) m.w.N.; Endler, Europäische Zentralbank und Preisstabilität,1998, S. 536; Lenz, Der Vertrag von Maastricht nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1993, S. 3038 (3038); Kokott, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 312 EGV, Rn. 5, 8; Potacs, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2. Auflage 2009, Art. 121 EGV, Rn. 8; Khan, in: Geiger/Khan/Kotzur (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Auflage 2010, Art. 141 AEUV, Rn. 11; Waldemathe, Austritt aus der EU, 2000, S. 118; Winkelmann, Das Maastricht-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Oktober 1993, 1994, S. 60; Weber, Die Wirtschafts- und Währungsunion nach dem Maastricht-Urteil des BVerfG, JZ 1994, S. 53 (58). Vgl. auch die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage aus dem Deutschen Bundestag zu den Konsequenzen aus dem Urteil, BT-Drs. 12/6520, Frage 13: „Nach Auffassung der Bundesregierung bedeutet dies, dass zunächst alle gemeinschaftsrechtlich vorgesehenen Verfahren auszuschöpfen und Vertragsverhandlungen zu führen sind und notfalls der Europäische Gerichtshof anzurufen ist.“ 64 Siehe hierzu im Einzelnen unten 2.2.3 Modelle eines einseitigen Ausscheidens im Falle der rechtlichen Zulässigkeit , S. 19. 65 Vgl. Emmerich-Fritsche, Wie verbindlich sind die Konvergenzkriterien, EWS 1996, S. 77 (84); Bruha/Nowak, Recht auf Austritt aus der Europäischen Union?, AVR 42 (2004), S. 1 (13). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 18 WD 11 – 3000 – 144/12 2.2.3. Modelle eines einseitigen Ausscheidens im Falle der rechtlichen Zulässigkeit Unter denjenigen, die einen Austritt aus der WWU für rechtlich zulässig halten, werden verschiedene Modelle für einen solchen Austritt diskutiert: Zum einen wird erwogen, dass ein Austritt aus der WWU als Minus zum Vollaustritt aus der EU nach Art. 50 EUV denkbar sei (siehe dazu Ziffer 2.2.3.1). Zum anderen wird über einen Austritt auf Grundlage völkerrechtlicher Bestimmungen nachgedacht (sieh dazu Ziffer 2.2.3.2). 2.2.3.1. Einseitiges Ausscheiden als Minus gegenüber dem Vollaustritt aus der EU nach Art. 50 EUV? Nach Einfügung der Austritts-Vorschrift des Art. 50 EUV durch den Vertrag von Lissabon (2009) findet sich in der Rechtswissenschaft die Auffassung, dass ein Austritt aus der dritten Stufe der WWU als ein Teilaustritt gemäß Art. 50 EUV als Minus gegenüber einem Vollaustritt rechtlich denkbar sei (a maiore ad minus-Schluss).66 Folgt man dieser Auffassung, müsste das Austrittsverfahren aus der dritten Stufe analog Art. 50 EUV ablaufen und der Austritt ggf. einseitig allein durch zweijährigen Zeitablauf erfolgen.67 Gegen diese Argumentation spricht, dass ein Eurozonen-Mitgliedstaat, der die Konvergenzkriterien erfüllt, die WWU nicht verlassen könnte, ohne in der Folge gegen die rechtliche Pflicht zur Teilnahme an der dritten Stufe der WWU zu verstoßen.68 Anders verhält es sich natürlich, wenn der Staat zumindest in der direkten Zeit nach seinem Austritt aus der Eurozone die Konvergenzkriterien nicht mehr erfüllen würde. Als Gegenargument wird außerdem angeführt, dass der Austritt aus der Eurozone zu weitreichende und komplexe Folgen auch für die anderen Euro-Staaten hätte, als dass er letztlich durch Zeitablauf von zwei Jahren auch einseitig bewirkt werden könnte.69 So könnte die Stabilität der gemeinsamen Währung leiden.70 Hiergegen kann wiederum angeführt werden, dass das Verfah- 66 Herrmann, Griechische Tragödie – der währungsverfassungsrechtliche Rahmen für die Rettung, den Austritt oder den Ausschluss von überschuldeten Staaten aus der Eurozone, EuZW 2010, S. 413 (417); Khan, in: Geiger /Khan/Kotzur (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Auflage 2010, Art. 140 AEUV, Rn. 11; Athanassiou, Withdrawal and Expulsion from the EU and EMU – Some Reflections, in: EZB (Hrsg.), Legal Working Paper Series, No 10, December 2009, S. 29, online abrufbar a.a.O. 67 Im Einzelnen zum Austrittsverfahren nach Art. 50 siehe unten 2.4 Zeitgleiches Ausscheiden aus der EU und der Eurozone (Frage 2), S. 28. 68 Athanassiou, Withdrawal and Expulsion from the EU and EMU – Some Reflections, in: EZB (Hrsg.), Legal Working Paper Series, No 10, December 2009, S. 28, online abrufbar a.a.O. 69 Athanassiou, Withdrawal and Expulsion from the EU and EMU – Some Reflections, in: EZB (Hrsg.), Legal Working Paper Series, No 10, December 2009, S. 29, online abrufbar a.a.O. 70 Smit, The European Constitution and EMU: An Appraisal, Common Market Law Review (CMLR) (42) 2005, S. 425 (465). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 19 WD 11 – 3000 – 144/12 ren des Austritts aus der gesamten EU nach Art. 50 EUV uneingeschränkt auch für die Staaten gilt, die Mitglieder der Eurozone sind. Ein Austritt aus der EU, der notwendigerweise für Eurozonen -Staaten immer mit dem Verlassen der dritten Stufe der WWU verbunden ist, könnte also die gleichen rechtlichen und wirtschaftlichen negativen Folgen für die anderen Eurozonen- Mitglieder bewirken, ohne dass hierfür besondere Vorkehrungen getroffen sind. Wieso sollte dann nicht auch ein isolierter Austritt aus der Eurozone möglich sein?71 Als weiteres Argument gegen die Möglichkeit des einseitigen Ausscheidens analog Art. 50 EUV kann außerdem auf die Gefahr hingewiesen werden, dass durch eine solche Auslegung die bislang nicht gewollte Option von „Teilmitgliedschaften“ in der EU durch die Hintertür des Austritts oder ggf. auch nur der Drohung mit ihr eingeführt würde.72 2.2.3.2. Einseitiges Ausscheiden aufgrund völkerrechtlicher Bestimmungen? Andere Stimmen in der Literatur verweisen auf allgemeine völkerrechtliche Bestimmungen, insbesondere auf das in der Wiener Vertragsrechtskonvention (WVK)73 kodifizierte Völkervertragsrecht und das Recht der Staatenverantwortlichkeit, die die Möglichkeit für einen einseitigen Austritt eröffnen könnten.74 2.2.3.2.1. Anwendbarkeit völkerrechtlicher Bestimmungen? Es stellt sich dabei zunächst die Frage, ob die allgemeinen völkerrechtlichen Regeln neben dem Unionsrecht überhaupt Anwendung finden können. Dies ist in der rechtswissenschaftlichen Lite- 71 Vgl. Athanassiou, Withdrawal and Expulsion from the EU and EMU – Some Reflections, in: EZB (Hrsg.), Legal Working Paper Series, No 10, December 2009, S. 29, online abrufbar a.a.O. 72 Bruha/Nowak, Recht auf Austritt aus der Europäischen Union?, AVR 42 (2004), S. 1 (24). 73 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969, BGBl. 1985 II S. 926. Es ist zu beachten, dass Frankreich und Malta die WVK nicht ratifiziert haben. (vgl. zum Ratifikationsstand http://treaties.un.org/pages/ViewDetailsIII.aspx?&src=TREATY&mtdsgno=XXIII~1&chapter=23&Temp=mtdsg3 &lang=en, zuletzt abgerufen am 11.09.2012). Sie spiegelt aber im Wesentlichen Völkergewohnheitsrecht wieder, so dass insbesondere die Bestimmungen zur Beendigung von Verträgen auch zwischen Nichtvertragsstaaten zur Anwendung kommen (vgl. dazu Dörr, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der EU, 46. EL 2011, Art. 50 EUV, Rn. 12; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen (Hrsg.), Völkerrecht, 5. Auflage, 2004, S. 115). 74 Khan, in: Geiger/Khan/Kotzur (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Auflage 2010, Art. 140 AEUV, Rn. 11; Häde, in: Calliess /Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 4. Auflage 2011, Art. 140 AEUV, Rn. 63; Endler, Europäische Zentralbank und Preisstabilität, 1998, S. 537 ff.; Herdegen, Die Währungsunion als dauerhafte Rechtsgemeinschaft, in: Deutsche Bank Research (Hrsg.), EWU-Monitor Nr. 52 vom 22.6.2998, S. 9, online abrufbar a.a.O.; Athanassiou, Withdrawal and Expulsion from the EU and EMU – Some Reflections, in: EZB (Hrsg.), Legal Working Paper Series , No 10, December 2009, S. 12 ff., online abrufbar a.a.O. Vgl. auch den Diskussionsstand zum Austritt aus der EU vor Inkrafttreten von Art. 50 EUV: Zeh, Recht auf Austritt, ZEuS 2004, S. 173 (180 ff.); Bruha/Nowak, Recht auf Austritt aus der Europäischen Union?, AVR 42 (2004), S. 1 (8 ff.); ausführlich: Götting, Die Beendigung der Mitgliedschaft in der Europäischen Union, 2000, S. 113 ff.; Waldemathe, Austritt aus der EU, 2000, S. 90 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 20 WD 11 – 3000 – 144/12 ratur umstritten.75 Die wohl überwiegende Auffassung in der Literatur hält es zumindest dann nicht für ausgeschlossen auf völkerrechtliche Grundsätze zurückzugreifen, wenn im akuten Fall keine spezifische unionsinterne Lösung vorhanden ist.76 Schon diese Voraussetzung erscheint jedoch zweifelhaft, denn schließlich sieht Art. 50 EUV eine Vorschrift über den Austritt eines Mitgliedstaats aus der EU vor – und ggf. bewusst keine Vorschrift über den Austritt eines Mitgliedstaats aus der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion . So gehen verschiedene Autoren auch davon aus, dass der neu eingeführte Art. 50 EUV als lex specialis gegenüber den völkerrechtlichen Beendigungstatbeständen für einen völkerrechtlichen Vertrag anzusehen sei,77 so dass auf die Beendigungstatbestände für die hier gegenständliche Frage auch nicht zurückgegriffen werden könne. Hierfür sprechen neben der Existenz der Austrittsnorm des Art. 50 EUV auch die im Primärrecht statuierten Streitbeilegungsmechanismen und das Vertragsänderungsverfahren nach Art. 48 EUV.78 Andererseits enthält das Unionsrecht keine ausdrückliche Klausel für den Austritt aus der dritten Stufe der WWU, so dass an dieser Stelle in beide Richtungen argumentiert werden kann. 2.2.3.2.2. Einseitiger Austritt als Gegenmaßnahme nach dem Recht der Staatenverantwortlichkeit ? Wenn die völkerrechtlichen Regelungen anwendbar sein sollten, muss Ausgangspunkt der Überlegungen sein, dass ein in den Verträgen nicht vorgesehenes Ausscheiden aus der dritten Stufe der WWU zunächst einmal eine Völkerrechtsverletzung darstellt. Diese kann jedoch gerechtfertigt sein. Für eine Rechtfertigung dieses völkerrechtswidrigen Verhaltens kommt zunächst in Betracht, den einseitigen Austritt als Gegenmaßnahme nach dem Recht der Staatenverantwortlichkeit zu begreifen. Insofern ist aber schon fraglich, ob das Recht der Staatenverantwortlichkeit neben den Regeln des Völkervertragsrechts anwendbar ist. Grundsätzlich haben die Regeln der Staatenverantwortlichkeit Auffangcharakter und gelten nur, soweit nicht Sonderregelungen für den Fall von Rechtsverletzungen bestehen.79 Der IGH hat etwa im Verhältnis zum Wiener Übereinkommen 75 Ausführlich z. B. Schwarze, Das allgemeine Völkerrecht in den innergemeinschaftlichen Rechtsbeziehungen, Europarecht (EuR) 1983, S. 1 ff.; Athanassiou, Withdrawal and Expulsion from the EU and EMU – Some Reflections, in: EZB (Hrsg.), Legal Working Paper Series, No 10, December 2009, S. 12 ff., online abrufbar a.a.O; 76 Zeh, Recht auf Austritt, ZEuS 2004, S. 173 (182); Becker, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2. Auflage 2009, Art. 312 EGV, Rn. 5. 77 Calliess, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 4. Auflage 2011, Art. 50 EUV, Rn. 13; Kokott, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 312 EGV, Rn. 6; Herrmann, Griechische Tragödie – der währungsverfassungsrechtliche Rahmen für die Rettung, den Austritt oder den Ausschluss von überschuldeten Staaten aus der Eurozone, EuZW 2010, S. 413 (417); vgl. auch Athanassiou, Withdrawal and Expulsion from the EU and EMU – Some Reflections, in: EZB (Hrsg.), Legal Working Paper Series, No 10, December 2009, S. 12 ff. , online abrufbar a.a.O. 78 Kokott, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003 Art. 312 EGV, Rn. 6. 79 Dahm/Delbrück/Wolfrum, Völkerrecht, Band I/3, 2. Auflage, 2002, S. 868. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 21 WD 11 – 3000 – 144/12 über diplomatische Beziehungen (WÜD)80 einen Rückgriff auf das Recht der Staatenverantwortlichkeit abgelehnt, weil das WÜD ein in sich geschlossenes System (“self-contained regime“) sei, das die zulässigen Reaktionsmöglichkeiten abschließend regele81. Die Existenz der Art. 48 und 50 EUV sowie Art. 258 und 259 AEUV (Vertragsverletzungsverfahren) deutet darauf hin, das EU- Recht als solch ein self-contained regime zu begreifen, so dass das Recht der Staatenverantwortlichkeit hier für die Rechtfertigung eines einseitigen Austritts eines Mitgliedstaates nicht heranzuziehen sein dürfte. Jedenfalls aber ist vorliegend kaum denkbar, einen etwaigen Austritt als Gegenmaßnahme zu rechtfertigen, da dann die anderen Mitglieder der WWU ihrerseits einer Völkerrechtsverletzung gegenüber dem austrittswilligen Staat begangen haben müssten, auf die mit dem Austritt reagiert werden soll.82 Im Zusammenhang mit dem Austritt aus der Eurozone geht es aber nicht um die Sanktionierung völkerrechtswidrigen Verhaltens der anderen Mitglieder, sondern darum, aus autonomen (ökonomischen, innenpolitischen etc.) Gründen nicht mehr Teil der WWU sein zu wollen. Insofern erscheint eine Rechtfertigung etwa als Gegenmaßnahme nach dem Recht der Staatenverantwortlichkeit als abwegig. 2.2.3.2.3. Einseitiger Austritt nach dem Völkervertragsrecht, insbesondere nach Art. 62 WVK? Die WVK hält verschiedene i.d.R. völkergewohnheitsrechtlich anerkannte Regelungen für die Beendigung bzw. Teil-Suspendierung von völkerrechtlichen Verträgen bereit (Art. 54 ff. WVK). Ernsthaft erwogen wird für den Austritt aus der dritten Stufe der WWU lediglich die Rechtsgrundlage des Art. 62 WVK (clausula rebus sic stantibus/Wegfall der Geschäftsgrundlage).83 Art. 62 WVK normiert den völkergewohnheitsrechtlich anerkannten Grundsatz des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (clausula rebus sic stantibus).84 Hiernach kann ein Mitgliedstaat von einem 80 Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen vom 18. April 1961, BGBl. 1964 II, S. 959. 81 IGH, Teheraner Geiselfall (USA./. Iran), I.C.J. Reports 1980, 3, 28ff.; (online abrufbar unter http://www.icjcij .org/docket/files/64/9545.pdf, zuletzt abgerufen am 24.08.2012). 82 Zu den Voraussetzungen einer Rechtfertigung eines völkerrechtswidrigen Verhaltens als Gegenmaßnahme vgl. Feist, Kündigung, Rücktritt und Suspendierung von multilateralen Verträgen, 2000, S. 215; Herdegen, Völkerrecht , 11. Auflage, 2012, § 59, Rn. 6. 83 Teilweise wird zusätzlich auch noch ein Ausscheiden auf der Grundlage von Art. 60 WVK bei erheblichen Vertragsverletzungen diskutiert, z. B. Herdegen, Die Währungsunion als dauerhafte Rechtsgemeinschaft, in: Deutsche Bank Research (Hrsg.), EWU-Monitor Nr. 52 vom 22.6.1998, S. 9, online abrufbar a.a.O.; ablehnend wegen der spezifischen Vorschriften des Rechtsschutzes und der Rechtsdurchsetzung in der Union, Bruha/Nowak, Recht auf Austritt aus der Europäischen Union?, AVR 42 (2004), S. 1 (12); ausführlich Götting, Die Beendigung der Mitgliedschaft in der Europäischen Union, 2000, S. 127 ff. 84 Art. 62 WVK lautet: 1. Eine grundlegende Änderung der beim Vertragsschluss gegebenen Umstände, die von den Vertragsparteien nicht vorausgesehen wurde, kann nicht als Grund für die Beendigung des Vertrags oder den Rücktritt von ihm geltend gemacht werden, es sei denn: a) das Vorhandensein jener Umstände bildete eine wesentliche Grundlage für die Zustimmung der Vertragsparteien , durch den Vertrag gebunden zu sein, und Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 22 WD 11 – 3000 – 144/12 völkerrechtlichen Vertrag zurücktreten, wenn eine bei Vertragsschluss nicht vorhergesehene Änderung grundlegender Umstände eintritt, die eine wesentliche Grundlage der Zustimmung zum Vertrag ausmachten und deren Änderung eine tiefgreifende Umgestaltung der zu erfüllenden Verpflichtungen zur Folge hätte. Teilweise wird ohne nähere Konkretisierung der Voraussetzungen angenommen, der Zusammenbruch der stabilitätsorientierten Natur der Währungsunion stelle eine Änderung i.S.d. Art. 62 WVK dar, die ggf. zum Rücktritt berechtige.85 Herdegen entwickelt konkretisierend als Grund für einen solchen möglichen Wegfall der Geschäftsgrundlage die sog. Überforderungshypothese, worunter er eine Flucht eines Teilnehmerstaates aus der sanktionsgeschützten Haushaltsdisziplin versteht.86 Der Autor stellt an diese „Überforderung“ jedoch strenge Voraussetzungen: Ein Mitgliedstaat mit schlechter Haushaltsdisziplin dürfe sich auf einen dramatischen Wandel höchstens dann berufen, wenn unvorhersehbare Entwicklungen zu einem gravierenden Wirtschaftsabschwung führten. Hierfür fordert Herdegen eine negative Wirtschaftsentwicklung, die massiv über dem Schwellenwert liegt, bei dem das Sanktionspotenzial des Stabilitäts- und Wachstumspaktes automatisch ausgesetzt würde . Zur Konkretisierung beruft sich Herdegen auf die alten Werte der Verordnung EG/1467/97, also auf einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um deutlich mehr als 2 %87 innerhalb eines b) die Änderung der Umstände würde das Ausmaß der auf Grund des Vertrags noch zu erfüllenden Verpflichtungen tiefgreifend umgestalten. 2. Eine grundlegende Änderung der Umstände kann nicht als Grund für die Beendigung des Vertrags oder den Rücktritt von ihm geltend gemacht werden, a) wenn der Vertrag eine Grenze festlegt oder b) wenn die Vertragspartei, welche die grundlegende Änderung der Umstände geltend macht, diese durch Verletzung einer Vertragsverpflichtung oder einer sonstigen, gegenüber einer anderen Vertragspartei bestehenden internationalen Verpflichtung selbst herbeigeführt hat. 3. Kann eine Vertragspartei nach Absatz 1 oder 2 eine grundlegende Änderung der Umstände als Grund für die Beendigung des Vertrags oder den Rücktritt von ihm geltend machen, so kann sie die Änderung auch als Grund für die Suspendierung des Vertrags geltend machen. 85 S. hierzu Waldemathe, Austritt aus der EU, 2000, S. 99. 86 Herdegen, Die Währungsunion als dauerhafte Rechtsgemeinschaft, in: Deutsche Bank Research (Hrsg.), EWU- Monitor Nr. 52 vom 22.6.1998, S. 4 f., 9 online abrufbar a.a.O. 87 Art. 2 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1467/97 des Rates vom 7. Juni 1997 über die Beschleunigung und Klärung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit, alte Fassung online abrufbar unter: http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:1997:209:0006:0011:DE:PDF (zuletzt abgerufen am 9.11.2011). Mit der Modifizierung des SWP im Jahr 2005 ist dieser Wert weicher gefasst worden; es ist nur noch von „negativen jährlichen Wachstumsrate des BIP-Volumens“ bzw. „einem Produktionsrückstand über einen längeren Zeitraum mit einem am Potenzial gemessen äußerst geringen jährlichen Wachstum des BIP-Volumens“ die Rede, S. Verordnung (EG) Nr. 1056/2005 des Rates vom 27. Juni 2005 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1467/97 über die Beschleunigung und Klärung des Verfahrens bei einem übermäßigen Defizit, ABl. 2005 L 174/5, online abrufbar unter: http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2005:174:0005:0009:DE:PDF (zuletzt abgerufen am 9.11.2011). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 23 WD 11 – 3000 – 144/12 Jahres.88 Unabhängig davon, ob dieser Auffassung von Herdegen zu folgen ist, räumt der Autor ein, dass in einem solchen außergewöhnlichen Fall wohl auch die anderen Mitglieder der Eurozone kein nachhaltiges Interesse an einem Verbleib des betreffenden Mitgliedstaats hätten, so dass sich auch in diesem Fall eine einvernehmliche Lösung aufdränge.89 Die herrschende Meinung hält Art. 62 WVK hingegen nur als ultima ratio nach dem Scheitern aller unionsrechtlichen Instrumente zur Streitbeilegung und Vertragsanpassung für anwendbar.90 Eine Situation, welche die Voraussetzungen eines „Wegfalls der Geschäftsgrundlage“ nach Art. 62 WVK erfüllen würde, sei nur „schwer vorstellbar“.91 Als Beispiele für eine Lösung aus der dritten Stufe der WWU über Art. 62 WVK werden notstandsartige Ausnahmefälle, hervorgerufen zum Beispiel durch eine radikale Veränderung der Weltwirtschaftslage, genannt.92 Andere Stimmen gehen davon aus, dass auch bei einem Scheitern der Stabilitätsgemeinschaft eine einseitige Aufkündigung, Sezession oder das Ausscheiden eines Mitgliedstaats aus der WWU unter Berufung auf die clausula rebus sic stantibus nicht zulässig sei, da die Lösung aus der dritten Stufe der WWU den Grundsätzen der Gemeinschaftstreue und der wechselseitigen Loyalität zwischen Union und Mitgliedstaaten sowie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit widerspreche.93 Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass sich nach Art. 62 Abs. 2 lit. b WVK eine Partei eines völkerrechtlichen Vertrages nicht auf einen Wegfall der Geschäftsgrundlage berufen kann, wenn sie die Änderung der Umstände durch Verletzung einer Vertragsverpflichtung oder einer sonstigen , gegenüber einer anderen Vertragspartei bestehenden internationalen Verpflichtung selbst herbeigeführt hat. Ein Verstoß gegen die sog. Maastricht-Kriterien könnte eine solche Vertragsverletzung sein, die zur Änderung der Umstände geführt hat und somit eine Berufung darauf ausschließt . Die Verordnung 1467/97 ist jüngst erneut geändert worden; von der Änderung ist Art. 2 Abs. 2 der Verordnung nicht betroffen. Am 28. September 2011 hat das Europäische Parlament einen Standpunkt festgelegt im Hinblick auf den Erlass einer Änderungsverordnung betreffend die Verordnung 1467/97; der Rat billigte die Änderungen am 4. Oktober 2011, http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=-//EP//TEXT+TA+P7-TA-2011- 0425+0+DOC+XML+V0//DE&language=DE#BKMD-22 (zuletzt abgerufen am 9.11.2011). 88 Herdegen, Die Währungsunion als dauerhafte Rechtsgemeinschaft, in: Deutsche Bank Research (Hrsg.), EWU- Monitor Nr. 52 vom 22.6.1998, S. 9 online abrufbar a.a.O. 89 Herdegen, Die Währungsunion als dauerhafte Rechtsgemeinschaft, in: Deutsche Bank Research (Hrsg.), EWU- Monitor Nr. 52 vom 22.6.1998, S. 9 online abrufbar a.a.O. 90 Zeh, Recht auf Austritt, ZEuS 2004, S. 173 (184 f.); Bruha/Nowak, Recht auf Austritt aus der Europäischen Union ?, AVR 42 (2004), S. 1 (13); Endler, Europäische Zentralbank und Preisstabilität, 1998, S. 539 mit Auswertung der einschlägigen Literatur; Kokott, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, Art. 312 EGV, Rn. 6; kritisch auch Becker, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2. Auflage 2009, Art. 312 EGV, Rn. 9; 91 Pechstein, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 49 EUV, Rn. 17; vgl. zu denkbaren Situationen: Waldemathe, Austritt aus der EU, 2000, S. 98 ff.; Zeh, Recht auf Austritt, ZEuS 2004, S. 173 (184 f.). 92 Zeh, Recht auf Austritt, ZEuS 2004, S. 173 (185). 93 Weber, Die Wirtschafts- und Währungsunion nach dem Maastricht-Urteil des BVerfG, JZ 1994, S. 53 (58). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 24 WD 11 – 3000 – 144/12 2.2.3.3. Faktisches Ausscheiden eines Mitgliedstaats In der Literatur wird bei aller Diskussion um die rechtliche Zulässigkeit eines einseitigen Ausscheidens jedoch auch darauf hingewiesen, dass die „faktische Kündigung“ bzw. ein „faktischer Austritt“ eines Mitgliedstaats kaum zu verhindern sei. 94 Die EU verfüge über keine effektiven Zwangsmittel, ein tatsächliches Ausscheiden aus der Eurozone zu verhindern.95 Als Zwangsmittel sind zumindest die Suspendierung anderer Mitgliedsrechte nach Art. 7 EUV oder die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens vor dem Gerichtshof der EU (EuGH) denkbar.96 2.2.4. Ergebnis Im Ergebnis erscheint ein freiwilliges, einseitiges Ausscheiden aus der dritten Stufe der WWU rechtlich nicht zulässig zu sein. Die einvernehmliche Entlassung eines Mitgliedstaates kann jedoch ohne Weiteres vertraglich zwischen allen Mitgliedstaaten vereinbar werden. 2.3. Ausschluss eines Mitgliedstaats aus der EU bzw. der dritten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion? (Frage 1b) In den europäischen Verträgen ist der Ausschluss eines Mitgliedstaats aus der EU bzw. der Eurozone gegen seinen Willen nicht vorgesehen.97 Da eine Vertragsänderung nach Art. 48 EUV die Zustimmung aller Mitgliedstaaten der EU und somit auch die des „auszuschließenden“ Mitgliedstaats voraussetzt, ist es auch nicht denkbar, eine solche Norm gegen den Willen des betreffenden Mitgliedstaats einzuführen.98 94 So zum Ausscheiden aus der EU Pechstein, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 49 EUV, Rn. 17; Hilf, in: von der Groeben/Thiesing/Ehlermann (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, 5. Auflage 1997, Art. 240 EGV, Rn. 6 95 Endler, Europäische Zentralbank und Preisstabilität, 1998, S. 539 m.w.N.; Athanassiou, Withdrawal and Expulsion from the EU and EMU – Some Reflections, in: EZB (Hrsg.), Legal Working Paper Series, No 10, December 2009, S. 22: „As one commentator has observed, '[A]s a practical matter if a Member State were determined to withdraw, the EEC has no sanctions that can be applied to compel lawful compliance with the Treaty. Thus, from this point of view, it really is of no consequence whether a legal right of withdrawal exists.'“,online abrufbar a.a.O.; zum Ausscheiden aus der EU Pechstein, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 49 EUV, Rn. 17; 96 Endler, Europäische Zentralbank und Preisstabilität, 1998, S. 539 m.w.N 97 Ebenso: Zeh, ZEuS 2004, 173 (200); Streinz, Europarecht, 9. Auflage 2012, § 3, Rn. 107; Hanschel, a.a.O. (999). 98 Haratsch/König/Pechstein, Europarecht, 7. Auflage 2010, Rn. 112; Athanassiou, Withdrawal and Expulsion from the EU and EMU – Some Reflections, in: EZB (Hrsg.), Legal Working Paper Series, No 10, December 2009, S. 32, online abrufbar a.a.O.; Götting, die Beendigung der Mitgliedschaft in der Europäischen Union, 2000, S. 153; Hanschel, a.a.O.(999). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 25 WD 11 – 3000 – 144/12 Umstritten ist wiederum, ob mangels einer Ausschlussnorm in den grundlegenden Verträgen auf das Instrumentarium des allgemeinen Völkerrechts zurückgegriffen werden kann. In Betracht wird Art. 60 Abs. 2 WVK99 gezogen, nach dem die erhebliche Verletzung eines mehrseitigen Vertrages die übrigen Vertragsparteien zur ganz oder teilweisen Suspendierung oder Beendigung des Vertrags im Verhältnis zur vertragsbrüchigen Partei ermächtigt werden.100 Folgte man dieser Ansicht , käme bezogen auf einen Ausschluss aus der Eurozone ggf. eine teilweise Suspendierung oder Beendigung des AEUV in Betracht. Eine Auffassung geht davon aus, dass ein Rückgriff auf die Ausschlussnormen des Völkerrechts insgesamt nicht in Betracht komme, weil die Verfahren im Fall der schwerwiegenden Differenzen zwischen den Mitgliedstaaten durch Art. 344 AEUV sowie Art. 7 EUV i.V.m. Art. 354 AEUV abschließend geregelt seien.101 Art. 344 AEUV verpflichtet die Mitgliedstaaten, Streitigkeiten über 99 Art. 60 WVK lautet: (1) Eine erhebliche Verletzung eines zweiseitigen Vertrags durch eine Vertragspartei berechtigt die andere Vertragspartei , die Vertragsverletzung als Grund für die Beendigung des Vertrags oder für seine gänzliche oder teilweise Suspendierung geltend zu machen. (2) Eine erhebliche Verletzung eines mehrseitigen Vertrags durch eine Vertragspartei a) berechtigt die anderen Vertragsparteien, einvernehmlich den Vertrag ganz oder teilweise zu suspendieren oder ihn zu beenden i) entweder im Verhältnis zwischen ihnen und dem vertragsbrüchigen Staat ii) oder zwischen allen Vertragsparteien; b) berechtigt eine durch die Vertragsverletzung besonders betroffene Vertragspartei, die Verletzung als Grund für die gänzliche oder teilweise Suspendierung des Vertrags im Verhältnis zwischen ihr und dem vertragsbrüchigen Staat geltend zu machen; c) berechtigt jede Vertragspartei außer dem vertragsbrüchigen Staat, die Vertragsverletzung als Grund für die gänzliche oder teilweise Suspendierung des Vertrags in Bezug auf sich selbst geltend zu machen, wenn der Vertrag so beschaffen ist, dass eine erhebliche Verletzung seiner Bestimmungen durch eine Vertragspartei die Lage jeder Vertragspartei hinsichtlich der weiteren Erfüllung ihrer Vertragsverpflichtungen grundlegend ändert. (3) Eine erhebliche Verletzung im Sinne dieses Artikels liegt a) in einer nach diesem Übereinkommen nicht zulässigen Ablehnung des Vertrags oder b) in der Verletzung einer für die Erreichung des Vertragsziels oder des Vertragszwecks wesentlichen Bestimmung . (4) Die Absätze 1 bis 3 lassen die Vertragsbestimmungen unberührt, die bei einer Verletzung des Vertrags anwendbar sind. (5) Die Absätze 1 bis 3 finden keine Anwendung auf Bestimmungen über den Schutz der menschlichen Person in Verträgen humanitärer Art, insbesondere auf Bestimmungen zum Verbot von Repressalien jeder Art gegen die durch derartige Verträge geschützten Personen. 100 Haratsch/König/Pechstein, Europarecht, 7. Auflage 2010, Rn. 112; Hanschel, Der Rechtsrahmen für den Beitritt, Austritt und Ausschluss zu bzw. der Europäischen Union und Währungsunion – Hochzeit und Scheidung à la Lissabon, in: NVwZ 2012, 995 (1000). 101 Booß, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EU-Verträge, 5. Auflage 2010, Art. 50 EUV, Rn. 7; Herrmann, Griechische Tragödie – der währungsverfassungsrechtliche Rahmen für die Rettung, den Austritt oder den Ausschluss von überschuldeten Staaten aus der Eurozone, EuZW 2010, S. 413 (418); Häde, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 4. Auflage 2011, Art. 140 AEUV, Rn. 62; vgl. Becker, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2. Auflage 2009, Art. 312 EGV, Rn. 9; ausführlich Götting, Die Beendigung der Mitgliedschaft in der Europäischen Union, 2000, S. 153 ff.; Kokott, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 312 EGV, Rn. 9.; Potacs/Mayer, EU-rechtliche Rahmenbedingungen einer Staateninsolvenz, in: Kodek/Reinisch (Hrsg.), Staateninsolvenz, 2012, S. 105 (141). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 26 WD 11 – 3000 – 144/12 die Auslegung und Anwendung der Verträge nicht anders als in den Verträgen vorgesehen zu regeln. Dies bedeutet, dass sie bei Vertragsverletzungen anderer die Mitgliedstaaten den EuGH im Wege eines Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 259 AEUV anrufen müssen, und dass gegebenenfalls eine Aussetzung von Mitgliedschaftsrechten nach Art. 7 EUV in Betracht kommt. Weder Art. 259 AEUV noch Art. 7 EUV sehen jedoch als Konsequenz den Ausschluss eines Mitgliedstaates aus der EU oder der dritten Stufe der WWU vor.102 Zudem statuiert Art. 7 EUV einen Sanktionsmechanismus gegen einen Mitgliedstaat, der schwerwiegend und anhaltend die Werte des Art. 2 EUV verletzt. Zu den Werten des Art. 2 EUV gehören die Achtung der Menschenwürde , Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte, einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Nach einstimmiger Feststellung der schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung der Werte des Art. 2 EUV im Rat kann der Rat gemäß Art. 7 Abs. 3 AEUV mit qualifizierter Mehrheit beschließen, bestimmte Rechte auszusetzen, die sich aus der Anwendung der Verträge auf den betroffenen Mitgliedstaat herleiten , einschließlich der Stimmrechte des Vertreters der Regierung dieses Mitgliedstaats im Rat.103 Der Schutz anderer Grundsätze oder Werte ist nach dem Wortlaut des Art. 7 Abs. 1 EUV nichtmöglich.104 Eine andere Auffassung hält zumindest dann den Rückgriff auf die Ausschlussnormen des Völkerrechts für zulässig, wenn die in den Verträgen vorgesehenen Verfahren sich als dauerhaft unzulänglich erweisen sollten und unerträgliche Zustände einträten.105 Von einigen Autoren wird in diesem Zusammenhang auch ein Ausschluss (nur) aus der Eurozone erwogen. So fragt Behrens, ob die Teilnahme an der dritten Stufe der WWU, die keine zwingende Folge der EU-Mitgliedschaft sei, nicht doch völkerrechtlichen Erwägungen zugänglich sei, wenn den Bestand der Währung gefährdende Extremfälle vorlägen.106 In die gleiche Richtung argumentierte schon Herdegen in einem Aufsatz aus dem Jahr 1998: In ganz extremen Fällen einer beharrlichen Missachtung der Haushaltsdisziplin sei sogar an einen Ausschluss des betreffenden Mitgliedstaats zu denken. Denn ein solcher Verstoß gegen elementare Rechtspflichten nehme der solidarischen Duldung eines Staates als Glied der Währungsgemeinschaft ihrerseits die Grundlage. Herdegen macht jedoch die Einschränkung, dass ein Ausschluss rechtlich erst dann in Betracht komme, wenn alle ausgeschöpften Kontrollmechanismen versagen, etwa wenn die Befolgung von finanziellen Sanktionen nach dem Stabilitäts- und Wachstumspakts verweigert würde.107 Auch Hanschel argumentiert, dass ein Teilausschluss eines Mitgliedstaats aus der 102 Hanschel, a.a.O. (999). 103 Vgl. den Umgang mit Österreich im Jahre 2000, als dort die rechtsgerichtete FPÖ an der Regierung beteiligt war. 104 Schmitt von Sydow, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, 6. Auflage 2003, Art. 7 EUV, Rn. 6. 105 Streinz, Europarecht, 8. Auflage 2008, Rn. 105; Becker, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2. Auflage 2009, Art. 312 EGV, Rn. 9; Pechstein, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 51 EUV, Rn. 18; Puttler, Sind die Mitgliedstaaten noch „Herren der Verträge“ – Stellung und Einfluss der Mitgliedstaaten nach dem Entwurf des Verfassungsvertrages der Regierungskonferenz, EuR 2004, S. 669 (678) mit der Einschränkung, dass ein Ausschluss nur bei Verletzung der Grundwerte der Union in Betracht käme. 106 Behrens, Ist ein Ausschluss aus der Euro-Zone ausgeschlossen?, EuZW 2010, S. 121. 107 Herdegen, Die Währungsunion als dauerhafte Rechtsgemeinschaft, in: Deutsche Bank Research (Hrsg.), EWU- Monitor Nr. 52 vom 22.6.1998, S. 10, online abrufbar unter: Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 27 WD 11 – 3000 – 144/12 dritten Stufe der WWU als ultima ratio jenseits des vertraglichen Instrumentariums auf Grundlage von Art. 60 Abs. 2 lit. a) 1. Variante, Abs. 3 lit. b) i.V.m. Art. 44 Abs. 2, 3 WVK bei einer erheblichen Vertragsverletzung möglich sein müsse, um verheerende Folgen zu vermeiden.108 Zudem sei auch denkbar, dass sich die Mitgliedstaaten der Eurozone auf Art. 62 WVK (clausula rebus sic stantibus) beriefen. Dies führte aber nicht zur einer automatischen Beendigung der Währungsunion , sondern eröffnete das Verfahren nach Art. 65 ff. WVK, dessen vordringlichstes Ziel die Erreichung eines Konsenses über eine Vertragsanpassung ist. Im Ergebnis erscheint der Ausschluss eines Mitgliedstaates aus der EU oder der dritten Stufe der WWU als „beinahe unmöglich“109. 2.4. Zeitgleiches Ausscheiden aus der EU und der Eurozone (Frage 2) Nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009 sieht mit Art. 50 EUV erstmals eine primärrechtliche Norm den Austritt eines Mitgliedstaats aus der EU vor.110 Dort heißt es, dass jeder Mitgliedstaat im Einklang mit seinen verfassungsrechtlichen Vorschriften aus der Union austreten kann. Der Austritt unterliegt keinen weiteren Voraussetzungen, insbesondere wird die Union nicht zur Festlegung von Austrittsbedingungen oder von Auflagen ermächtigt.111 Das Austrittsverfahren ist in Art. 50 Abs. 2 EUV und Art. 4 EUV geregelt: Danach muss der betreffende Mitgliedstaat dem Europäischen Rat seine Austrittsabsicht mitteilen. Art. 50 EUV verlangt dafür nicht die Darlegung besonderer Gründe.112 Nach der Mitteilung handelt die EU mit diesem Staat ein Austrittsabkommen aus. Aus dem in Art. 4 Abs. 3 EUV normierten Grundsatz der Unionstreue ergibt sich diesbezüglich eine „gewisse Kooperationspflicht“ seitens des austrittswilligen Mitgliedstaates.113Der Rat der EU beschließt über das Abkommen mit qualifizierter Mehrheit nach Zustimmung des Europäischen Parlaments. Wenn über den Abschluss eines Austrittsabkommens kein Konsens gefunden wird, findet das Unionsrecht nach Art. 50 Abs. 2 EUV zwei Jahre nach der Mitteilung des austrittswilligen Mitgliedstaats an den Europäischen Rat keine Anwendung mehr. Der Austritt erfolgt in diesem Fall allein durch Zeitablauf. Ein Mitgliedstaat, http://www.dbresearch.de/PROD/DBRINTERNETDE-PROD/PROD0000000000011059.pdf (zuletzt abgerufen am 7.11.2011) 108 Hanschel, a.a.O. (1000). 109 Hanschel, a.a.O. (1000). 110 Vgl. zur Debatte über die Zulässigkeit des Austritts aus der EU vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon: Bruha/Nowak, Recht auf Austritt aus der Europäischen Union?, AVR (42) 2004, S. 1 ff. m.w.N.; Zeh, Recht auf Austritt, Zeitschrift für Europarechtliche Studien (ZEuS) 2004, S. 173 (176 ff.). 111 Hanschel, Der Rechtsrahmen für den Beitritt, Austritt und Ausschluss zu bzw. der Europäischen Union und Währungsunion, in: NVwZ 2012, 995 (997). 112 Booß, in: Lenz/Borchardt (Hrsg.), EU-Verträge, 5. Auflage 2010, Art. 50 EUV, Rn. 1. 113 Hanschel, a.a.O. (997). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 28 WD 11 – 3000 – 144/12 der aus der EU austreten will, kann den Erfolg also letztlich erzwingen.114 Damit besteht neben dem mit der EU konsensual vereinbarten Austritt letztlich ein einseitiges Austrittsrecht aus der EU insgesamt.115 Es ist davon auszugehen, dass bei einem konsensual vereinbarten Austritt aus der EU die Mitgliedstaaten mit dem austrittswilligen Staat auch Regelungen über die Art und Weise des Ausscheidens aus der WWU vertraglich vereinbaren werden. Im Falle des Austritts durch Zeitablauf findet zwei Jahre nach der Mitteilung des austrittswilligen Staates das EU-Recht inklusive der Rechtsakte im Zusammenhang mit dem Euro und der WWU keine Anwendung mehr auf den betreffenden Staat. Zeitgleich mit dem Ausscheiden aus der EU ist der austretende Staat dann auch nicht mehr Mitglied in der WWU. Ein Ausscheiden aus der EU und aus der dritten Stufe der Währungsunion würde zudem die Grundlage für die weitere Teilnahme an den wechselseitigen Verpflichtungen der Mitgliedstaaten der EU durch den Fiskal-Vertrag und den ESM-Vertrag entfallen lassen.116 2.5. Andere vorgeschlagene Verfahren (Frage 3) In Politik und Literatur werden auch andere Reaktionsmöglichkeiten und Lösungsansätze für die Finanzkrise diskutiert. Einige Vorschläge sollen im Folgenden dargestellt werden. 2.5.1. Staateninsolvenz Seit dem Beginn der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise wird in Wissenschaft und Politik verstärkt die Frage diskutiert, wie ein souveräner Staat notwendigenfalls einem Insolvenzverfahren 117 unterworfen werden kann.118 Die Diskussion hatte im Jahr 2010 seit der drohenden Zahlungsunfähigkeit Griechenlands, des aus diesem Grunde beschlossenen Hilfspakets der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets für Griechenland und den anschließend gespannten Rettungs- 114 Bruha/Nowak, Recht auf Austritt aus der Europäischen Union?, AVR 42 (2004), S. 1 (7); Calliess, in: Calliess /Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 4. Auflage 2011, Art. 50 EUV, Rn. 5. 115 Athanassiou, Withdrawal and Expulsion from the EU and EMU – Some Reflections, in: EZB (Hrsg.), Legal Working Paper Series, No 10, December 2009, S. 24, a.a.O. 116 Für den Fiskal-Vertrag so auch ausdrücklich das BVerfG, 2 BvR 1390/12 vom 12. September 2012, Rn. 319, abrufbar unter http://www.bverfg.de/entscheidungen/rs201209122bvr139012.html (zuletzt abgerufen am 12.09.2012). 117 Die folgenden Ausführungen beruhen auf der Ausarbeitung WD 11-3000-79/12 „Diskussion um die Einführung eines Insolvenzverfahrens für die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebietes“ vom 18. April 2012 und wurden aktualisiert und ergänzt. 118 Vgl. z. B. Paulus, Rechtliche Handhaben zur Bewältigung der Überschuldung von Staaten, Recht der Internationalen Wirtschaft (RIW) 2009, S. 11 ff.; Aden, Staateninsolvenz, online abrufbar auf der Seite der Staats- und Wirtschaftspolitischen Gesellschaft e.V. unter: http://www.swg-hamburg.de/Archiv/BeitrageausderRubrik- Wirt/Staateninsolvenz.pdf (zuletzt abgerufen am 12.09.2012). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 29 WD 11 – 3000 – 144/12 schirmen an Intensität zugenommen. Der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler hat beispielsweise schon in einem Interview vom März 2010 ein Insolvenzverfahren für Staaten gefordert .119 EineentsprechendeForderung folgtevonBundeskanzlerinAngelaMerkel 120 undBundesfinanzminister Wolfgang Schäuble im Mai 2010. 121 Die Diskussion bzgl. der Notwendigkeit der Einführung eines Insolvenzrechts für Staaten ist nach wie vor aktuell. Dabei zu beachten ist, dass die unionsrechtlichen Stabilitätsverpflichtungen, Vorkehrungen und Unterstützungsmaßnahmen, die im Zusammenhang mit der Eurokrise bislang erlassen wurden, der Verhinderung einer Staateninsolvenz Griechenlands und/oder anderer Eurostaaten – nach Ansicht mancher Autoren gar der Insolvenzverschleppung122 - dienen123. Insofern wird weiterhin diskutiert, ob ein geregeltes Staateninsolvenzverfahren im allgemeinen Wege aus staatlichen Finanzkrisen und im speziellen aus der griechischen Krise eröffnen kann. 2.5.1.1. Vorschläge zur Einführung eines Insolvenzverfahrens für Staaten Verschiedene Autoren schlagen grundsätzlich vor, ein Insolvenzverfahren für Staaten zu etablieren , um (in Zukunft) für staatliche Zahlungskrisen gewappnet zu sein. 124 2.5.1.1.1. Vorschlag von Paulus Paulus hat schon im Jahre 2010 einen Vorschlag für ein Insolvenzverfahren für den begrenzten Raum der Euro-Zone unterbreitet.125 Er nennt als unabdingbare Voraussetzung für ein derartiges 119 Interview im Focus vom 20. März 2010, „Köhler fordert Insolvenzverfahren für Staaten“, online abrufbar unter: http://www.focus.de/politik/deutschland/focus-interview-koehler-fordert-insolvenzverfahren-fuerstaatenaid 491428.html (Zuletzt abgerufen am 12.09.2012). 120 Unter Bezugnahme auf ein Interview der Bundeskanzlerin mit der ARD, Welt vom 4. Mai 2010, „Schäuble fordert Insolvenzverfahren für EU-Staaten, online abrufbar unter: http://www.welt.de/politik/deutschland/article7463650/Schaeuble-fordert-Insolvenzverfahren-fuer-EU- Staaten.html (Zuletzt abgerufen am 12.09.2012). 121 Vgl. Focus vom 4. Mai 2010, „Schäuble fordert Insolvenzverfahren für Staaten“, online abrufbar unter: http://www.focus.de/finanzen/news/staatsverschuldung/schuldenkrise-schaeuble-fordert-insolvenzverfahrenfuer -staatenaid504689.html (Zuletzt abgerufen am 12.09.2012). 122 Vgl. für die aktuelle Diskussion u.a. Kodek/Reinisch (Hrgs.), Staateninsolvenz, 2012; Beck/Wentzel, Ordnungspolitische Überlegungen zu einer Insolvenzordnung für Staaten, in: Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft, Bd. 62, S. 72ff. 123 Potacs/Mayer, Neue europarechtliche Entwicklungen, in: Kodek/Reinisch (Hrsg.), Staateninsolvenz, 2012, S. 235 (237). 124 Die folgenden Ausführungen sind im Wesentlichen der Ausarbeitung „Diskussion um die Einführung eines Insolvenzverfahrens für Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets“ vom 18.04.2012 (WD 11 – 3000 – 79/12) , entnommen. 125 Paulus, „Wie ein Insolvenzverfahren aussehen könnte“, Focus vom 5. Mai 2010, online abrufbar unter: http://www.focus.de/finanzen/news/staatsverschuldung/staatspleite-wie-ein-insolvenzverfahren-aussehen- Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 30 WD 11 – 3000 – 144/12 Verfahren die Schaffung eines neutralen und unabhängigen Gerichts, das zweckmäßigerweise aus einem fest angestellten Präsidenten besteht sowie aus einem Pool aus 20 bis 30 Schadenregulierungsexperten . Dieses Gericht soll das Verfahren ab dem Moment leiten, von dem an ein Staat die Einleitung des Schuldenrestrukturierungsverfahrens beantragt. Voraussetzung für einen erfolgreichen Antrag sei die „Untragbarkeit der Schuldenlast“. Als mögliche Folge der Einleitung eines derartigen Verfahrens beschreibt Paulus etwa die Einführung eines allgemeinen Moratoriums für alle Gläubiger; ferner die Berechtigung des Schuldnerstaats, bestimmte frühere Verträge zu annullieren oder gar weggegebene Vermögenswerte unter bestimmten Voraussetzungen zurückzuholen . Wichtig sei, dass das Verfahren nicht etwa auf bestimmte Gläubiger begrenzt werde , sondern dass alle davon erfasst würden. Das Gericht solle auch die Kompetenz haben, die Berechtigung der Gläubigerforderungen zu überprüfen. Als regelungsbedürftige Fragen wirft Paulus Folgendes auf: Bestimmt werden müsse, was genau mit dem Begriff „Staat“ gemeint sein soll. Außerdem müsse die Frage geklärt werden, ob und, wenn ja, wie die Gläubiger am Verfahren teilnehmen können oder sollen. Ggf. könnten Gläubigerinteressen gebündelt und durch einen Vertreter repräsentiert werden. Im eigentlichen Kern des Verfahrens müsse die Entscheidung getroffen werden über den Plan der Maßnahmen zur Schuldenrestrukturierung: Wer darf einen solchen Plan entwerfen? Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit ein derartiger Plan die Gläubiger bindet? Soll es zur Annahme des Planes eine Abstimmung durch den Gläubiger geben, oder ist die Annahme des Planes abhängig von der Billigung des Gerichts? 2.5.1.1.2. Vorschlag von Fuest, Hellwig, Sinn und Franz Die Wissenschaftler Fuest, Hellwig, Sinn und Franz haben in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 18. Juni 2010 „Zehn Regeln zur Rettung des Euro“ veröffentlicht.126 Diese beinhalten u.a. die Schaffung eines Insolvenzverfahrens für Staaten. Die Autoren plädieren dafür, dass die Rettungspakete in der jetzigen Form nicht über die vereinbarten Fristen hinaus verlängert werden dürften. Denn sie sähen einen vollständigen Freikauf der Gläubiger von Staaten in Zahlungsschwierigkeiten vor, ohne dass diese Gläubiger einen Teil der Risiken, die sie eingingen, tragen müssten. Dies verführe zur Sorglosigkeit bei der Zinsvergabe und erzeuge ein Übermaß an Zinskonvergenz . Bis zum Auslaufen der Rettungspakete müsse die Politik ein tragfähiges Konzept für koennteaid505064.html (Zuletzt abgerufen am 12.09.2012). Vgl. ausführlich auch Paulus, Rechtliche Handhaben zur Bewältigung der Überschuldung von Staaten, Recht der Internationalen Wirtschaft (RIW) 2009, S. 11 ff.; vgl. auch Paulus, Die Eurozone und das größere Thema eines Staateninsolvenzrechts, in. Kodek/Reinisch (Hrsg.), Staateninsolvenz, 2. Auflage (2012), S. 9ff. 126 Fuest/Hellwig/Sinn/Franz, Appell an die Bundesregierung – Zehn Regeln zur Rettung des Euro, FAZ vom 18. Juni 2010, online abrufbar unter: http://www.faz.net/s/Rub3ADB8A210E754E748F42960CC7349BDF/Doc~EF60849D23B2942438A646C0FB5943 456~ATpl~Ecommon~Scontent.html (Zuletzt abgerufen am 12.09.2012); vgl. auch den älteren Artikel von Fuest in der FAZ vom 20. Mai 2010, „Wege zur Bewältigung der Schuldenkrise im Euro-Raum“, online abrufbar unter: http://www.faz.net/s/RubC9401175958F4DE28E143E68888825F6/Doc~EE903C526FDA14A1CB677D55C41D8B B8F~ATpl~Ecommon~Scontent.html (Zuletzt abgerufen am 12.09.2012). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 31 WD 11 – 3000 – 144/12 die künftigen fiskalpolitischen Regeln in Europa entwickeln. Dieses Konzept müsse zwei Elemente enthalten: schärfere politische Schuldenschranken und vor allem ein Insolvenzverfahren für Staaten. Um staatliche Haushaltsdisziplin in Europa durchzusetzen, müsse man den Kapitalmärkten glaubwürdig vermitteln, dass im Fall einer Überschuldung eines Landes zuerst die Gläubiger haften, bevor Hilfen von Gemeinschaftsinstitutionen oder anderen Mitgliedstaaten in Frage komme. Die Autoren plädieren für folgende fiskalpolitischen Regeln für die Eurozone: 1. Hilfen könnten bedrängten Staaten grundsätzlich nur nach einer einstimmigen Feststellung der drohenden Zahlungsunfähigkeit durch die an den Hilfsaktionen beteiligten Länder und den Internationalen Währungsfonds (IWF) gewährt werden. 2. Die Hilfen sollten als verzinsliche Bürgschaften (Avalkredite) oder als Kredite gewährt werden, deren Zins um einen angemessenen Prozentsatz (möglicherweise 3,5 Punkte) über dem europäischen Durchschnittszins liege. Die Kredite sollten einen bestimmten maximalen Prozentanteil des Bruttoninlandsproduktes des hilfsbedürftigen Landes nicht überschreiten. 3. Zugleich mit der Gewährung der Hilfen müssten die Altgläubiger durch einen sogenannten Hair Cut auf einen Teil ihrer Ansprüche verzichten. Der maximale Verzicht sollte klar beziffert werden, um eine panikartige Zuspitzung des Krisengeschehens auszuschließen. Die Autoren halten einen Hair Cut von 5 Prozent pro Jahr seit der Emission eines Staatspapiers für angemessen. 4. Das Budget des von der Zahlungsunfähigkeit bedrohten Landes werde unter die Kontrolle der Europäischen Kommission (Kommission) gestellt. Die Kommission erarbeite mit dem betreffenden Land ein Programm zur Sanierung der Staatsfinanzen, das auch Reformen zur Stärkung des Wirtschaftswachstums beinhalten könne. Die Hilfen würden unter der Bedingung aufrechterhalten, dass das Land die Auflagen des Programms erfülle. 5. Diese Insolvenzordnung dürfe keinesfalls durch andere Hilfssysteme unterlaufen werden, die Anreize zu opportunistischem Verhalten gäben, insbesondere nicht durch Eurobonds. 6. Die Defizitgrenzen des Stabilitäts- und Wachstumspaktes sollten nach Auffassung der Autoren in Abhängigkeit von der Schuldenquote modifiziert werden, um von hochverschuldeten Ländern frühzeitig mehr Haushaltsdisziplin einzufordern. 7. Für die Überschreitung der Schuldengrenzen seien Strafen zu definieren, die automatisch ohne weiteren politischen Beschluss fällig würden, wenn die Statistikbehörde der Kommission (Eurostat) die Defizite formell festgestellt hat. Die Strafen könnten pekuniärer Natur sein und die Form von Pfandbriefen annehmen, die mit privatisierbarem Staatsvermögen besichert sind, und sie könnten auch nicht-pekuniäre Elemente enthalten, wie z. B. den Entzug von Stimmrechten im Rat der EU. 8. Eurostat solle zum Zweck der Feststellung der Defizite und Schuldenquoten die Befugnis erhalten, von allen Ebenen der nationalen Statistikbehörden direkt Auskunft zu verlangen und vor Ort eigenständige Kontrollen der Erhebungsprozeduren vorzunehmen. 9. Schlussendlich sollte für den Fall, dass alle genannten Hilfs- und Kontrollsysteme versagten und dennoch eine abermalige Insolvenz einträte, das Ausscheiden des betroffenen Landes aus dem Euro-Währungsverbund durch mehrheitlichen Beschluss der Euro- Staaten ermöglicht werden. 10. Der freiwillige Austritt aus dem Euro-Währungsverbund sollte jederzeit möglich sein. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 32 WD 11 – 3000 – 144/12 Schon in einer früheren Publikation hatte Fuest ein Insolvenzverfahren für hochverschuldete Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets gefordert.127 In einem solchen Verfahren müssten die Gläubiger des insolventen Landes einen Teil ihrer Forderungen einbüßen. Das Verfahren müsse in der Hand einer mit entsprechenden Kompetenzen ausgestatteten Institution liegen, etwa eines neu zu schaffenden Europäischen Währungsfonds. Bis zur Schaffung einer neuen Institution könnte die Europäische Zentralbank (EZB) mit der Umschuldung beauftragt werden und vorübergehend entsprechende Kompetenzen erhalten. 2.5.1.1.3. Vorschlag von Gros und Mayer Daniel Gros und Thomas Mayer schlagen in einer Studie von Februar 2010 die Einrichtung eines Europäischen Währungsfonds vor.128 Dieser Europäische Währungsfonds soll Verfahren vorsehen , um eine geordnete Insolvenz eines seiner Mitglieder zu ermöglichen.129 Die Autoren schlagen vor, dass der Europäischen Währungsfonds den Gläubigern des zahlungsunfähigen Staates eine Umschuldung anbietet im Gegenzug für einen gleichmäßigen Hair Cut der Ansprüche gegen den Europäischen Währungsfonds. So würde der Europäische Währungsfonds alle Ansprüche gegen den zahlungsunfähigen Staat erwerben. Auf diese Weise könnte der Europäische Währungsfonds einen Rahmen für die Insolvenz eines Staates vorsehen, der vergleichbar sei mit dem sog. Kapitel-11-Verfahren, das in den Vereinigten Staaten für insolvente Unternehmen, die für eine Restrukturierung geeignet seien, existiere.130 2.5.1.1.4. Arbeitspapier der Bundesministerien der Finanzen und Justiz laut Bericht des Spiegels Nach einem Bericht der Zeitschrift „Der Spiegel“ von Oktober 2010 erarbeiteten das Bundesministerium der Finanzen (BMF) und das Bundesministerium der Justiz (BMJ) ein Konzept für eine Insolvenzordnung für Staaten.131 Es ist – soweit ersichtlich – bislang nicht der Öffentlichkeit vorgestellt worden. Im Folgenden wird das Konzept der beiden Ministerien für eine geordnete Insolvenz anhand der Berichterstattung der Zeitschrift „Der Spiegel“ referiert, da sich hieraus vermut- 127 Fuest, Wege zur Bewältigung der Schuldenkrise im Euro-Raum“, online abrufbar unter: http://www.faz.net/s/RubC9401175958F4DE28E143E68888825F6/Doc~EE903C526FDA14A1CB677D55C41D8B B8F~ATpl~Ecommon~Scontent.html (Zuletzt abgerufen am 18. April 2012). 128 Gros/Mayer, How to deal with sovereign default in Europe: Create the European Monetary Fonds now!, Hrsg. CEPS, No. 202/February 2010, online abrufbar unter: http://www.ceps.eu/ceps/download/2912 (Zuletzt abgerufen am 18. April 2012); vgl. auch Gros/Mayer, Financial Stability beyond Greece, Making the most of the European Stabilisation Mechanism, Hrsg. CEPS, online abrufbar unter: http://www.ceps.eu/ceps/download/3308 (Zuletzt abgerufen am 18. April 2012). 129 Gros/Mayer, a.a.O., S. 4 ff. 130 Gros/Mayer, a.a.O., S. 5. 131 Reiermann, „Regeln für die Pleite“, Spiegel vom 12. Juli 2010, S. 70 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 33 WD 11 – 3000 – 144/12 lich zumindest Anhaltspunkte für dessen geplanten Inhalt und die anvisierte Struktur ergeben. Experten von BMF und BMJ würden ein Verfahren in zwei Schritten vorschlagen: Der erste Schritt bestehe aus einem Forderungsverzicht der Gläubiger. Wie bei jeder Insolvenz eines Unternehmens sollen auch bei einer Staateninsolvenz die Gläubiger auf einen Teil ihrer Forderungen verzichten müssen.132 Hiervon erhoffe man sich eine erzieherische Wirkung für Geldgeber und Kreditnehmer. Der Privatsektor solle so in das Verfahren eingebunden werden, um die finanziellen Lasten nicht allein dem Steuerzahler aufzubürden. Die Gläubiger erhielten über den Coupon eine Risikoprämie und müssten demzufolge dieses gesondert prämierte Risiko auch tragen. Das Konzept erhalte eine maßgeschneiderte Kombination aus Laufzeitverlängerung und angemessener Herabsetzung des Nominalwerts oder des Zinssatzes der entsprechenden Anleihen . Im Gegenzug für diesen Verzicht bekämen die Anleger den Restwert der Anleihe, höchstens den halben Nennwert, garantiert. Der Vorteil für die Anleger bestünde damit darin, dass sie nicht die komplette Anleihe abschreiben müssten. Das Schuldnerland müsse eine Garantiegebühr entrichten und trage somit auch eigene Lasten. Als „internationaler Garantiegeber“ fungiere ein neu zu gründender Berliner Club. Hierbei soll es sich um eine entpolitisierte und rechtlich selbständige Einrichtung handeln.133 Diese Institution solle nach Vorbild des Pariser Clubs, der Umschuldungen von Krediten zwischen Privaten regelt, und des Londoner Clubs, der auf Verbindlichkeiten zwischen Banken und Staaten spezialisiert ist, errichtet werden. Der Berliner Club solle sich in Abgrenzung zu diesen Institutionen auf Staatsanleihen und davon abgeleitete Wertpapiere, sogenannte Derivate, konzentrieren. Die Mitglieder des Berliner Clubs könnten sich aus der Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G 20) rekrutieren; denkbar sei aber auch, dass er im Rahmen der Euro-Zone gegründet würde. Weder die Sprecherin des BMF Jeanette Schwamberger noch der damalige Regierungssprecher Ulrich Wilhelm haben auf den Bericht des Spiegels jedoch bestätigt, dass die Bundesregierung eine Art „Berliner Club“ gründe wolle, unter dessen Regie die Umschuldung zahlungsunfähiger Staaten organisiert werden könnte.134 Nach Informationen des Spiegels soll der IWF von Anfang an der Umschuldung beteiligt sein. Dem IWF obliege es festzustellen, ob die erste Stufe des Insolvenzverfahrens, d. h. Schuldenverzicht der Gläubiger und Umstrukturierung, fehlgeschlagen sei. Der zweite Schritt des Verfahrens laufe auf eine vollständige Umschuldung hinaus. Es werde dabei zu einer Einschränkung der souveränen Dispositionsbefugnisse kommen müssen. Anstelle der Regierung des Schuldenlandes solle eine mit den regionalen Besonderheiten des Schuldnerlandes vertraute Persönlichkeit oder Gruppe von Persönlichkeiten die Vermögensinteressen des 132 Zitiert nach Reiermann, „Regeln für die Pleite“, Spiegel vom 12. Juli 2010, S. 70 (71). 133 Reiermann, „Regeln für die Pleite“, Spiegel vom 12. Juli 2010, S. 70 (72). 134 Vgl. den Bericht „Details zur Insolvenzordnung für Staaten noch offen“ vom 12. Juli 2010 auf der Homepage Finanzen.net, online abrufbar unter: http://www.finanzen.net/nachricht/aktien/UDPATE-Details-von- Insolvenzordnung-fuer-Staaten-noch-offen-824557 (Zuletzt abgerufen am 18. April 2012). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 34 WD 11 – 3000 – 144/12 zahlungsunfähigen Staates wahrnehmen. Zukünftig solle davon abgesehen werden, dass Defizitstaaten Finanzhilfen von anderen Staaten erhalten.135 Im Bericht des Spiegels wird davon ausgegangen, dass die Einführung eines solchen Insolvenzverfahrens auf EU-Ebene eine Anpassung der europäischen Verträge erforderlich machen würde.136 2.5.1.1.5. Empfehlung der Stiftung Wissenschaft und Politik für ein Insolvenzrecht für Staaten Als Teil eines insgesamt drei Komponenten umfassenden Mechanismus für den Umgang mit überschuldeten Staaten im Euro-Währungsgebiet schlägt die Stiftung Wissenschaft und Politik die Einführung eines Insolvenzrechts für Euro-Staaten vor, das ein geordnetes Verfahren für die Restrukturierung des Staatsschuld vorsieht und Vorreiter für ein System globaler Insolvenzregeln sein könnte.137 Der entworfene Mechanismus umfasst neben der Einführung eines Staateninsolvenzrechts einen ständigen Liquiditätsfonds der Euro-Staaten zur streng konditionalisierten Gewährung von Überbrückungskrediten sowie die Emission gemeinsamer Bonds (Anleihen) für maximal 60 Prozent der Staatsschulden der Euro-Staaten. Dieser Mechanismus solle als ständiges Instrumentarium für ein Krisenmanagement zur Lösung von Liquiditäts- und Solvenzproblemen die Reform des Governance-Rahmens der Wirtschafts- und Währungsunion ergänzen. Dem Vorschlag für die Etablierung eines Insolvenzrechts für Euro-Staaten liegt die These zugrunde , dass einem insolventen Staat durch Hilfskredite bei vernünftigen Annahmen zu Wachstums - und Politikentwicklung keine erfolgreiche Sanierungsunterstützung geleistet werden könne . Vielmehr türmten die neuen Kredite den Schuldenberg dieses Staates weiter auf, mit der Konsequenz, dass weder die Rückzahlung dieser Kredite noch ein Ende der Zahlungsschwierigkeiten insgesamt wahrscheinlich würden. Der richtige Weg sei dann der des Staatsbankrottes mit der zumindest teilweisen Einstellung des Schuldendienstes. In Ermangelung eines internationalen Verfahrens für einen geordneten Staatsbankrott sei sowohl auf europäischer als auch auf internationaler Ebene ein dauerhafter Mechanismus wünschenswert, um die Schulden zahlungsunfähiger Staaten geordnet und regelgebunden zu restrukturieren.138 135 Reiermann, „Regeln für die Pleite“, Spiegel vom 12. Juli 2010, S. 70 (72). 136 Reiermann, „Regeln für die Pleite“, Spiegel vom 12. Juli 2010, S. 70 (72). 137 Vgl. Schwarzer/Dullien, Umgang mit Staatsbankrotten in der Eurozone - Stabilisierungsfonds, Insolvenzrecht für Staaten und Eurobonds, Studie S 19 der Stiftung Wissenschaft und Politik, Juli 2010, online abrufbar unter: http://www.swp-berlin.org/common/getdocument.php?assetid=7293 (Zuletzt abgerufen am 18. April 2012). 138 Vgl. Schwarzer/Dullien, S. 9. Die Autoren verweisen auf die bereits seit 2001 geführte Debatte über einensolchen Mechanismus undnennenals Vertreter:Krueger,ANewApproachtoSovereignDebtRestructuring, InternationalMonetary Fund, Washington D.C., 2002, online abrufbar unter: http://www.imf.org/external/pubs/ft/exrp/sdrm/eng/sdrm.pdf (Zuletztabgerufenam 18.April2012),Roubini/Setser,Bailouts or Bail-ins? Responding toFinancialCrises in Emerging Economies, Institute for International Economics, Washington, D.C., 2004 sowie Gros/Mayer,How to Deal with Sovereign Default inEurope: Create theEuropeanMonetaryFund Now!, s. Fn.11sowieTz.2.3. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 35 WD 11 – 3000 – 144/12 Als Idealfall beschreiben die Autoren die Schaffung eines globalen Insolvenzverfahrens für Staaten, da die Gläubiger im Falle eines Staatsbankrotts bei der Risikobewertung auf internationale Vergleichbarkeit vertrauen könnten. Für ein solches Verfahren, das die damalige stellvertretende IWF-Direktorin Anne O. Krueger im Jahre 2001 entworfen hatte,139 spreche der Anreiz für Gläubiger und Schuldner, proaktiv eine Einigung für den Fall der Zahlungsunfähigkeit zu suchen , sowie der prozedurale Effekt, dass sich eine Schuldenrestrukturierung nicht jahrelang verzögere . Wegen der fehlenden internationalen Bereitschaft und der Widerstände insbesondere der USA seien solche Vorstöße bislang gescheitert. Daher läge es nahe, eine entsprechende Diskussion im Rahmen der EU weiter voranzutreiben und dabei den Dialog mit den G-20-Staaten, dem IWF sowie den USA fortzuentwickeln. Eine europäische Lösung könne nach Auffassung der Autoren die meisten Forderungen gegen die Euro-Staaten erfassen, da diese ihre Anleihen in erster Linie an europäischen Finanzplätzen emittiert hätten und auch dort handelten. Grundsätzlich müsse es daher möglich sein, ein Insolvenzverfahren über die Regulierung dieser Finanzmärkte zu institutionalisieren. Ein eigens eingerichtetes Gremium würde auf Antrag eines bestimmten Teils der Gläubiger oder der Regierung des betroffenen Staates ein Insolvenzverfahren eröffnen und abwickeln. Die national emittierten Staatsanleihen und ausstehende Forderungen aus Lieferungen und Leistungen würden so weit gekürzt, dass der überschuldete Staat am Ende des Restrukturierungsprozesses einen Schuldenstand erreicht, den er bewältigen kann. Forderungen aus eventuell ausgegebenen gemeinsamen Eurobonds sowie an die EU-Liquiditätsfazilität wären vorrangig und deshalb von der Umstrukturierung ausgenommen. Zur Sicherung der Praktikabilität eines solchen Insolvenzverfahrens dürften die Euro-Staaten allerdings künftig keine Staatspapiere an Finanzplätzen emittieren, die anderen Jurisdiktionen unterliegen, wie etwa in den USA. Dies, so die Empfehlung, sollten die Euro -Staaten verbindlich vereinbaren, bevor sie die anderen Mechanismen einführen. Eine solche Übereinkunft würde auch verhindern, dass das Emissionsgeschäft von Staatsanleihen infolge eines EU-Insolvenzrechts für Staaten von Finanzplätzen innerhalb der EU verdrängt und auf andere Finanzplätze verlagert wird.140 Alternativ wird angeregt, in einem Insolvenzverfahren nationale Staatsanleihen in Eurobonds und neue, nationale Anleihen umzutauschen,141 wobei die Anleger eine Klausel zu akzeptieren hätten, nach der ein solches Verfahren anerkannt wird. Aus Gläubigersicht bestehe der Anreiz darin, dass sie durch den Erwerb von Eurobonds Anleihen mit größerer Sicherheit erhielten, weil alle Euro-Staaten als gemeinsame Emittenten kollektiv dafür hafteten. In der Summe würde die Anlage durch die Kollektivhaftung für einen Teil der Papiere tendenziell sicherer, keinesfalls jedoch unsicherer. Würde der Weg eines in dieser Weise ausgestalteten Insolvenzverfahrens beschritten , müssten sich die Euro-Staaten verpflichten, auch für künftige Emission der Staatsanleihen solche Klauseln in ihre Anleiheverträge aufzunehmen. 139 Krueger, A New Approach to Sovereign Debt Restructuring, International Monetary Fund, a.a.O. 140 Vgl. Schwarzer/Dullien, S. 31. 141 Ausführlich dazu: Schwarzer/Dullien, S. 32 f. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 36 WD 11 – 3000 – 144/12 2.5.1.1.6. Vorschlag von Beck und Wentzel Beck und Wentzel fordern eine geordnete Insolvenz, um Griechenland einen Neustart zu ermöglichen .142 Sie gehen davon aus, dass dazu ein Ausscheiden Griechenlands aus der Währungsunion nicht notwendig wäre, dass ein solcher den Griechen jedoch konjunkturpolitisch helfen würde. Die Möglichkeit eines Staatsbankrotts habe Disziplinierungswirkung: Wenn Investoren damit rechnen müssten, dass Staaten der EU zahlungsunfähig werden können, würde sie bei der Kreditvergabe entsprechend vorsichtig sen. Dies wiederum würde die Griechen zwingen, ihre Politik zu verändern. Die zu schaffende Insolvenzordnung müsse aber sicherstellen, dass - der betreffende Staat seine Amtsgeschäfte weiterführen kann, - eine systemische Krise und Ansteckungseffekte vermieden werden, - das Preissystem intakt bleibt, - eine Beteiligung der Gläubiger an einer Umschuldung festgeschrieben wird, - ein Rückfall in den Protektionismus, d.h. eine Beschränkung des Güterhandels vermieden wird und - die Ursachen der staatlichen Überschuldung beseitigt werden.143 Zur Erreichung dieser Ziele schlagen sie vor, eine Institution in Form einer supranationalen Versicherungsgesellschaft zu schaffen, die in die Hände mehrerer privater Unternehmen gelegt wird, um so eine gewisse Politikferne zu erreichen,144 und die einzelne Staatsanleihen, nicht aber die Schulden eines Landes, gegen das Risiko einer Insolvenz absichert. 145 Durch die Mitgliedschaft in dieser Institution solle dem jeweiligen Land die Kapitalaufnahme erleichtert werden. Flankierend müssten Vorkehrungen gegen moral hazard getroffen werden, um zu verhindern, dass die versicherten Staaten schon wegen der Tatsache, versichert zu sein, ihr Verhalten mit Blick auf ihren Schuldenstand ändern.146 Die Autoren weisen aber auch ausdrücklich darauf hin, dass eine Insolvenzordnung kurzfristig kaum durchzusetzen bzw. zu implementieren ist, so dass eine Einführung insbesondere im Zusammenhang mit der Schuldenkrise Griechenlands wohl zu spät käme.147 142 Beck, „Ökonom will Griechenland pleitegehen lassen“ in: Welt online vom 14.08.2012, online abrufbar unter http://www.welt.de/wirtschaft/article108609970/Oekonom-will-Griechenland-pleitegehen-lassen.html (zuletzt abgerufen am 06.09.2012); In ihrem Beitrag „Ordnungspolitische Überlegungen zu einer Insolvenzordnung für Staaten“, in: Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft, Bd. 62, 2011, S. 72ff., setzen sie sich mit verschiedenen Auswegen aus der europäischen Staatsschuldenkriste (Inflation, Währungsabwertung, Austritt aus der EWU, bail out, Haushaltskonsolidierung und Staatsbankrott) auseinander und kommen zu dem Ergbebnis, dass die Einführung eines Staaten-Insolvenz-Verfahrens den tatsächlichen Verhältnissen am ehesten gerecht wird, aber auch viele Risiken und Gefahren birgt. Vgl. auch Beck/Wentzel, Elemente einer Insolvenzordnung für Staaten, in: Orientierungen zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik 2012, S. 29ff. 143 Beck/Wentzel, Ordnungspolitische Überlegungen zu einer Insolvenzordnung für Staaten, a.a.O. (88f.). 144 Beck/Wentzel, a.a.O. (95). 145 Beck/Wentzel, a.a.O. (91f.). 146 Beck/Wentzel, a.a.O. (92). 147 Beck/Wentzel, a.a.O. (98). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 37 WD 11 – 3000 – 144/12 2.5.1.2. Rechtliche Umsetzungsmöglichkeiten Die Frage, wie ein etwaiges Insolvenzrecht für Staaten in den Verträgen der Europäischen Union verankert werden müsste und ob dies überhaupt erforderlich wäre, stellt sich in Abhängigkeit von der Dimension der angestrebten Lösung: Wird es sich um eine globale, EU-weite oder lediglich die Staaten der Euro-Zone erfassende Lösung handeln? Würde eine globale Insolvenzordnung für Staaten angestrebt, wäre ein Staateninsolvenzrecht auf Ebene des Völkerrechts zu verankern. Eine Lösung, die alle EU-Staaten umfasst, würde voraussichtlich eine Änderung der grundlegenden Verträge der EU erforderlich machen. Sie wäre thematisch sinnvollerweise in Kapitel VIII des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) (Wirtschafts- und Währungspolitik ) zu verankern. Wie dies genau zu erfolgen hätte, hängt von der zur Zeit nicht absehbaren konkreten Ausgestaltung ab, etwa davon, ob neue Institutionen (wie ein Europäischer Währungsfonds) geschaffen würden. Ggfs. wäre auch eine Änderung des Vertrags über die Europäische Union (EUV) erforderlich. Eine Lösung, die nur die Staaten mit Zugehörigkeit zum Euro-Währungsgebiet umfasst, könnte auf primärrechtlicher Ebene in Titel VIII, Kapitel 4 AEUV (Besondere Bestimmungen für die Mitgliedstaaten , deren Währung der Euro ist) verankert werden. Wie dies aussehen würde, hängt auch hier von der nicht absehbaren konkreten Ausgestaltung eines Insolvenzrechts ab. Denkbar ist auch der bisher beispielsweise im Zusammenhang mit ESM-Vertrag und Fiskal- Vertrag beschrittene Weg, dass sich alle EU-Mitgliedstaaten im Rahmen eines völkerrechtlichen Vertrages neben dem EU-Recht über ein EU-Staateninsolvenzrecht einigen. 2.5.1.3. Ergebnis und Ausblick Innerhalb der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets gibt es offenbar Widerstände gegen die Einführung eines Staateninsolvenzrechts. Nach Angaben von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble von Juli 2010 sei der Vorschlag für ein Staateninsolvenzrecht bis auf weiteres nicht durchzusetzen.148 Schäuble äußerte gleichwohl die Hoffnung, dass er andere Staaten von der Idee eines Staateninsolvenzrechts noch überzeugen könne. Vorstellbar sei, alle strittigen Reformen nur für die Euro-Staaten einzuführen. Dadurch wäre die Mitgliedschaft in EU oder WWU nicht betroffen: Ziel eines geordneten Insolvenzverfahrens soll es im Interesse aller EU-Staaten gerade sein, die insolventen EU- Mitgliedstaaten einen Weg aus der Zahlungsunfähigkeit zu weisen, ohne die Mitgliedschaft in EU und 3. Stufe der WWU zu beenden. 148 Mussler, „EU schiebt Insolvenzordnung auf die lange Bank“, FAZ vom 13. Juli 2010, online abrufbar unter: http://www.faz.net/s/Rub3ADB8A210E754E748F42960CC7349BDF/Doc~E82FE4AC66A474C9FA7591A891AA 73DB7~ATpl~Ecommon~Scontent.html (Zuletzt abgerufen am 18. April 2012). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 38 WD 11 – 3000 – 144/12 2.5.2. Temporär-teilweises Ausscheiden Griechenlands aus der dritten Stufe der WWU Teilweise wird vorgeschlagen, Griechenland das temporäre Verlassen der Eurozone und die temporäre Wiedereinführung der Drachme als Parallelwährung für Inlandstransaktionen neben dem Euro durch einvernehmliche vertragliche Regelung zu ermöglichen, um dadurch die Wettbewerbsfähigkeit des Landes wieder herzustellen. Dadurch ließe sich ein „totaler Ruptus“ vermeiden .149 Rechtlich wäre eine solche Konstruktion wiederum allein durch eine vertragliche Vereinbarung zwischen allen EU-Mitgliedstaaten möglich.150 2.6. Zusammenfassung Seit dem Vertrag von Lissabon besteht mit Art. 50 EUV eine primärrechtliche Norm, die das Ausscheiden eines Mitgliedstaats aus der EU insgesamt ermöglicht. Zudem besteht in der rechtswissenschaftlichen Literatur Einigkeit darüber, dass ein (ggfls. auch temporäres-teilweises) Ausscheiden eines Mitgliedstaats aus der dritten Stufe der WWU im Konsens durch Abschluss einer vertraglichen Vereinbarung und Änderung der europäischen Verträge im Verfahren nach Art. 48 EUV unter Zustimmung aller EU-Mitgliedstaaten rechtlich zulässig ist. Ein einseitiges Ausscheiden aus der dritten Stufe der WWU ist nach überwiegender Auffassung aufgrund der dauerhaften Konzeption der WWU unionsrechtlich unzulässig. Das BVerfG hat zwar in seinem Maastricht-Urteil (1993) die Möglichkeit einer Lösung aus der Währungsunion als ultima ratio angesprochen, dieses Urteil entfaltet jedoch keine unionsrechtlichen Wirkungen. Einzelne Vertreter in der Literatur diskutieren Modelle eines einseitigen Ausscheidens aus der dritten Stufe der WWU. Hierbei wird zum einen ein Teilaustritt gemäß Art. 50 EUV als Minus gegenüber einem Vollsaustritt (a maiore ad minus-Schluss) in Betracht gezogen; zum anderen ein Rückgriff auf Art. 62 WVK (clausula rebus sic stantibus). Ein Ausschluss eines Mitgliedstaats aus der dritten Stufe der WWU ist im Unionsrecht nicht vorgesehen . Eine entsprechende Vertragsänderung nach Art. 48 EUV würde am entgegenstehenden Votum des betreffenden Mitgliedstaats scheitern. Umstritten ist, ob und unter welchen Voraussetzungen mangels einer Ausschlussnorm in den grundlegenden Verträgen auf das Instrumentarium des allgemeinen Völkerrechts zurückgegriffen werden kann. Jedenfalls kommt ein Ausschluss aber nur in ganz extremen Fällen in Betracht. In der Literatur gibt es einige Vertreter, die die Einführung eines (europäischen) Staateninsolvenzverfahrens für die Bewältigung der Krise fordern. Auch die Politik hat mehrfach solche Forderungen aufgestellt. Auf europäischer Ebene besteht dafür aber zur Zeit kein Konsens, so dass die Einführung eines Staateninsolvenzverfahrens nicht wahrscheinlich ist. Zudem ist darauf 149 Altenburg, Wunschszenario 2012: ein temporär-teilweises Ausscheiden Griechenlands aus dem Euroverbund, in: Kreditwesen, 2012, S. 19/73ff. 150 Vgl. dazu oben 2.2.1 Ausscheiden im Konsens, S. 14. hinzuweisen, dass ein solches Insolvenzverfahren für die jetzige Krise wohl zu spät kommen dürfte. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 39 WD 11 – 3000 – 144/12 3. Verpflichtungen Griechenlands im Zusammenhang mit den Hilfspakten der EU und Konsequenzen der Nichteinhaltung (Frage 5) 3.1. Hilfsprogramme 3.1.1. Griechenland-Fazilität Die Finanzhilfen, die Griechenland seit Mai 2010 zunächst zur Verfügung gestellt wurden, entstammten nicht der EFSF oder dem EFSM, sondern der hiervon getrennten Griechenland- Fazilität. Die Griechenland-Fazilität beruht auf der Einigung der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets vom 2. Mai 2010. Sie umfasst ein Kreditvergabevolumen von insgesamt 110 Mrd. Euro, das in Höhe von 80 Mrd. Euro durch die Staaten der Euro-Gruppe aufgebracht wird; weitere 30 Mrd. Euro stellt der IWF zur Verfügung.151 Griechenland und die Mitgliedstaaten des Euro- Währungsgebiets trafen hierzu eine Vereinbarung über eine Darlehensfazilität von 80 Mrd. Euro .152 Der auf Deutschland entfallende Anteil an den in Form bilateraler Darlehen zu gewährenden Finanzhilfen für Griechenland beträgt für den gesamten Zeitraum 22,4 Mrd. Euro. Die Koordinierung und Verwaltung der gepoolten bilateralen Darlehen ist in einer Gläubigervereinbarung vom 7. Mai 2010 geregelt.153 In Deutschland wurde das erste Griechenland-Paket umgesetzt durch das Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen zum Erhalt der für die Finanzstabilität in der Währungsunion erforderlichen Zahlungsfähigkeit der Hellenischen Republik (Währungsunion- 151 Statement by the Eurogroup, 2. Mai 2010, abrufbar unter: http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cmsdata/docs/pressdata/en/misc/114130.pdf (letzter Abruf: 3.11.2011). In Deutschland verabschiedete der Bundestag am 7. Mai 2010 das Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen zum Erhalt der für die Finanzstabilität in der Währungsunion erforderlichen Zahlungsfähigkeit der Hellenischen Republik (Währungsunion-Finanzstabilitätsgesetz – WFStG), BGBl. I S. 537. 152 Vereinbarung über eine Darlehensfazilität von 80 000 000 000 Euro zwischen den folgenden Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist: Königreich Belgien, Irland, Königreich Spanien, Französische Republik, Italienische Republik, Republik Zypern, Großherzogtum Luxemburg, Republik Malta, Königreich der Niederlande, Republik Österreich, Portugiesische Republik, Republik Slowenien, Slowakische Republik und Republik Finnland sowie der KfW; im staatlichen Interesse der Bundesrepublik Deutschland handelnd, gebunden an die Weisungen und ausgestattet mit der Garantie der Bundesrepublik Deutschland, als Darlehensgeber, und Der Hellenischen Republik als Darlehensnehmer, Der Bank von Griechenland als Bevollmächtigte des Darlehensnehmers, Mai 2010. 153 Gläubigervereinbarung (Intercreditor Agreement) zwischen Königreich Belgien, Bundesrepublik Deutschland, Irland, Königreich Spanien, Französische Republik, Italienische Republik, Republik Zypern, Großherzogtum Luxemburg, Republik Malta, Königreich der Niederlande, Republik Österreich, Portugiesische Republik, Republik Slowenien, Slowakische Republik und Republik Finnland, Mai 2010. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 40 WD 11 – 3000 – 144/12 Finanzstabilitätsgesetz – WFStG) vom 7. Mai 2010154. Der auf Deutschland entfallende Anteil an den Krediten wurde hiernach von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) ausgereicht. Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) wurde ermächtigt, Gewährleistungen für diese Kredite an Griechenland zu übernehmen. 3.1.2. Zweites Griechenland-Paket Die im Rahmen der Griechenland-Fazilität bereit gestellten Finanzhilfen reichten zu einer Überwindung der Krise jedoch nicht aus. Aus diesem Grunde haben sich die Finanzminister der Euroländer auf ein zweites Rettungspaket für Griechenland geeinigt. So erklärten die Staats- und Regierungschefs und die EU-Organe am 21. Juli 2011 zunächst, dass sie ein neues Finanzierungsprogramm für Griechenland mit einem Gesamtvolumen von etwa 109 Mrd. Euro unterstützen wollen.155 Als Finanzierungsinstrument sollte nunmehr die EFSF dienen. Die übrigen Mittel aus dem ersten Hilfsprogramm sollten in den EFSF überführt werden. Zusätzlich sollte sich der Privatsektor mit 37 Mrd. Euro durch einen freiwilligen Anleihetausch an dem zweiten Rettungspaket für Griechenland beteiligen. Nach dem Gipfel des Europäischen Rates am 23. Oktober 2011 und dem Euro-Gipfel am 26./27. Oktober 2011 wurde dieses Ergebnis modifiziert: Nun sollte sich der private Sektor durch einen freiwilligen Anleihetausch mit einem Abschlag von 50 % des Nennwerts an der Senkung der griechischen Defizitquote beteiligen. Zur Absicherung der privaten Gläubiger im Rahmen dieses Anleihetausches soll die EFSF Garantien in Höhe von bis zu 30 Mrd. Euro übernehmen.156 Die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets erklärten sich auf dieser Grundlage bereit, eine zusätzliche Programmfinanzierung von bis zu 100 Mrd. Euro bereitzustellen, die auch die notwendige Rekapitalisierung griechischer Banken umfasst. Im Februar 2012 einigten sich die Finanzminister der Euroländer dann über die endgültige Ausgestaltung des zweiten Griechenlandpakets. Vereinbart wurde, dass der öffentliche Sektor das Programm bis 2014 mit 130 Mrd. Euro finanziert. Mit den privaten Gläubigern wurde ein nominaler „Schuldenschnitt“ (eine Reduzierung des an die Gläubiger zurückzuzahlenden Schuldenbetrages) in Höhe von 53,5 % vereinbart. Der Deutsche Bundestag stimmte am 27. Februar 2012 dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen „Finanzhilfen zugunsten der Hellenischen Republik“157 zu.158 154 BGBl. 2010 I S. 537. 155 Erklärung der Staats- und Regierungschefs des Euro-Währungsgebiets und der EU-Organe vom 21. Juli 2011, Drucksache des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union 17(21)0673, online abrufbar unter : http://www.consilium.europa.eu/uedocs/cmsdata/docs/pressdata/de/ec/124011.pdf (zuletzt abgerufen am 14.9.2012). 156 Erklärung des Euro-Gipfels, 26. Oktober 2011, Ziffer 12, Drucksache des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union 17(21)0781, online abrufbar unter: http://www.auswaertigesamt .de/cae/servlet/contentblob/599328/publicationFile/160782/111026-Erklaerung-Euro-Gipfel.pdf (zuletzt abgerufen am 14.09.2012). 157 BT-Drs. 17/8730, 17/8731, 17/8735. 158 PlPr. 17/160, Sitzung vom 27.02.2012, S. 19105. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 41 WD 11 – 3000 – 144/12 3.2. Verpflichtungen Griechenlands 3.2.1. Griechenland-Fazilität Die Bedingungen für die Gewährung der Finanzhilfen aus der Griechenland-Fazilität haben Griechenland und die Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets in der Vereinbarung über die spezifischen wirtschaftspolitischen Auflagen (Memorandum of Understanding159 on Specific Economic Policy Conditionality160) niedergelegt. Im Rahmen der Griechenland-Fazilität wurde dort erstmalig im Jahre 2010 festgeschrieben, welche wirtschaftspolitischen Bedingungen Griechenland erfüllen muss, damit die jeweils nächste Darlehenstranche ausgezahlt wird.161 Dieses erste griechische Anpassungsprogramm zielte auf eine nachhaltige Haushaltskonsolidierung mit einer Rückführung des Defizits unter 3 % bis 2014, Strukturreformen zur Modernisierung des öffentlichen Sektors, der Flexibilisierung des Arbeitsmarkts und der Gütermärkte und der Privatisierung von Staatsbesitz. Insofern wurden konkrete Maßnahmen - zu treffen innerhalb eines bestimmten Zeitplans - festgelegt. Dazu zählten z. B. die Einführung einer permanenten Abgabe auf Grundeigentum (erhoben mit der Stromabrechnung ) bis zur Auszahlung der sechsten Tranche der Griechenland-Hilfe; die Kürzung des Oster-, Urlaubs- und Weihnachtsgelds für Beamte mit dem Ziel einer Einsparung von 500 Mio. Euro jährlich bis Ende Juni 2010 oder die Versetzung von 15.000 Angestellten des öffentlichen Dienst in den Vorruhestand bis zum Ende 2011. Das Anpassungsprogramm wurde mehrfach revidiert , zuletzt mit der Änderung vom 6. Dezember 2011. Im März 2012 beurteilte die Kommission die Fortschritte Griechenlands bei der Umsetzung der Zielvorgaben des ersten Anpassungsprogramms als eher durchwachsen.162 159 Synonym werden die Begriffe Absichtserklärung bzw. Anpassungsprogramm verwendet. 160 Greece Memorandum of Understanding on Specific Economic Policy Conditionality, in European Commission, The Economic Adjustment Programme for Greece, Fifth review - October 2011, Occasional Paper 87, Seite 130ff.; online abrufbar unter http://ec.europa.eu/economyfinance/publications/occasionalpaper/2011/pdf/ocp87en.pdf (zuletzt abgerufen am 13.09.2012). 161 S. hierzu Häde, Rechtsfragen der EU-Rettungsschirme, Zeitschrift für Gesetzgebung (ZG) 2011, S. 1 (4 f.). 162 Vgl. European Commission, The Second Economic Adjustment Programme for Greece – March 2012, Occasional Paper 94, Seite 1, online abrufbar unter http://ec.europa.eu/economyfinance/publications/occasionalpaper/2012/pdf/ocp94en.pdf (zuletzt abgerufen am 10.09.2012). Vgl. zum Umsetzungsstand auch den Bericht der Europäischen Kommission auf Basis der Überprüfungen der Troika: European Commission, The Economic Adjustment Programme for Greece, Fifth Review – October 2011, Occasional Paper 87, online abrufbar unter: http://ec.europa.eu/economyfinance/publications/occasionalpaper/2011/pdf/ocp87en.pdf (zuletzt abgerufen am 10.09.2012). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 42 WD 11 – 3000 – 144/12 3.2.2. Zweites Griechenland-Paket Nach dem EFSF-Rahmenvertrag163 ist jede Gewährung von Finanzhilfe aus der EFSF, also auch die Gewährung von Hilfen aus dem zweiten Griechenland-Paket, vom Abschluss eines Memorandum of Understanding zwischen dem beantragendem Staat, der Europäischen Kommission (Kommission) in Abstimmung mit der Europäischen Zentralbank (EZB) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) abhängig. In diesen Absichtserklärungen werden Regelungen zur Haushaltsdisziplin , wirtschaftspolitischen Leitlinien für die jeweiligen Staaten und Vorschriften zur Einhaltung der Bestimmungen der MoU festgehalten (Präambel Ziffer 1, Art. 2 Abs. 1 (a) S. 1 des EFSF-Rahmenvertrages). Im Rahmen des zweiten Griechenland-Pakets unterzeichneten die griechische Regierung und die Kommission im März 2012 zwei Vereinbarungen: In einem ersten MoU haben sich die Kommission und Griechenland geeinigt, dass das zunächst im Rahmen der Griechenland-Fazilität vereinbarte und mehrfach revidierte Anpassungsprogramm164 nun auch Grundlage für die Gewährung der Finanzhilfen aus der EFSF sein soll.165 In dieser Vereinbarung ist der mit den privaten Gläubigern vereinbarte nominale „Schuldenschnitt“ in Höhe von 53,5 %166, ein konkreter Zahlungsplan167 für die Hilfen aus der EFSF und die Abhängigkeit168 der Hilfen von der Erfüllung der Auflagen im Anpassungsprogramm und der vor Auszahlung der ersten Trance zu erfüllenden Maßnahmen festgehalten. Zusätzlich wurde mit einer zweiten Vereinbarung das Memorandum of Understanding on Specific Econcomic Policy Conditionality angepasst.169 163 EFSF Rahmenvertrag (in der ab dem Wirksamwerden der Änderungen geltenden Fassung), inoffizielle Arbeitsübersetzung online abrufbar unter http://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/Europa/EinleitungstextAnlageEFSFRahme nvertrag.pdf?blob=publicationFile&v=5 (zuletzt abgerufen am 12.09.2012). 164 Siehe Fn. 160. 165 Memorandum of Understanding between the European Commission acting on behalf of the Euro Member States and The Hellenic Republic, S. 2 (Rz. 1), nur in englischer Fassung online abrufbar unter http://ec.europa.eu/economyfinance/euborrower/mou/2012-03-01-greece-mouen.pdf (zuletzt abgerufen am 14.09.2012). 166 MoU, a.a.O. (S. 4, Buchstabe A). 167 MoU, a.a.O. (S. 4, Buchstabe B). 168 MoU, a.a.O. (S. 6, Buchstabe C). 169 Greece Memorandum of Understanding on Specific Economic Policy Conditionality, in European Commission, The Second Econcomic Adjustment Programme for Greece, March 2012, Seite 123ff. (online abrufbar unter http://ec.europa.eu/economyfinance/publications/occasionalpaper/2012/pdf/ocp94en.pdf, zuletzt abgerufen am 13.09.2012). Für eine informelle Arbeitsübersetzung des MoU vgl. BT-Drs. 17/8731, Anlage 5a, S. 101ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 43 WD 11 – 3000 – 144/12 3.2.3. Konkrete Verpflichtungen Das griechische Anpassungsprogramm enthält, ähnlich wie das irische170 und das portugiesische 171, detaillierte Regelungen in den Bereichen Haushaltskonsolidierung172, Strukturelle Haushaltsreformen 173, Regulierung und Beaufsichtigung des Finanzsektors174 und Strukturreformen zur Stärkung des Wachstums175. So muss Griechenland beispielsweise Maßnahmen ergreifen, die die Senkung der Gesundheitsausgaben, niedrigere Mindestlöhne, Ausgabenkürzungen der öffentlichen Hand, Stellenstreichungen im öffentlichen Dienst, eine Rentenreform und Subventionsstreichungen betreffen.176 Die einzelnen Maßnahmen können der als Anlage 1 zu dieser Ausarbeitung beigefügten Übersetzung des Anpassungsprogramms entnommen werden. Schon vor Auszahlung der ersten Tranche hatte Griechenland verschiedene Maßnahmen zu erfüllen . Die einzelnen von Griechenland diesbezüglich eingegangenen Verpflichtungen sind in tabellarischer Form der „Liste der vor Auszahlung der ersten Tranche zu erfüllenden Maßnahmen “ (Anlage 2 zu dieser Ausarbeitung) zu entnehmen.177 Inwieweit Griechenland seine Verpflichtungen aus dem MoU erfüllt und ob das neue Sparprogramm greift, wird von der Troika vierteljährlich überprüft.178 Die aktuelle Kontrolle wird voraussichtlich Mitte September 2012 beendet sein. Wann der Bericht der Troika vorliegen wird, ist 170 Ireland Memorandum of Understanding on Specific Economic Policy Conditionality, 3 December, 2010, online abrufbar unter: http://ec.europa.eu/economyfinance/articles/eueconomicsituation/pdf/2010-12-07- mouen.pdf (zuletzt abgerufen am 13.09.2012). 171 Portugal Memorandum of Understanding on Specific Economic Policy Conditionality , 17 May 2011 online abrufbar unter http://ec.europa.eu/economyfinance/euborrower/mou/2011-05-18-mou-portugalen.pdf (zuletzt abgerufen am 13.09.2012). 172 Greece Memorandum of Understanding on Specific Economic Policy Conditionality, a.a.O., 1. Fiscal Consolidation, S. 124. 173 Greece MoU, a.a.O., 2. Structural Fiscal Reforms, S. 126. 174 Greece MoU, a.a.O., 3. Financial Sector Regulation and Supervision, S. 142. 175 Greece MoU, a.a.O., 4. Growth-Enhancing Structural Reforms, S. 147. 176 Auswahl nach Mussler, Die Griechenland-Hilfe im Überblick, in: FAZ vom 31.02.2012, onlinie abrufbar unter http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/fragen-antworten-die-griechenland-hilfe-im-ueberblick-11657677.html (zuletzt abgerufen am 11.09.2012). 177 Informelle Arbeitsübersetzung dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen vom 24.02.2012, Finanzhilfen zugunsten der Hellenischen Republik; Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Abs. 1 des StabMechG für Notmaßnahmen der Europäischen Finanzierungsstabilisierungsfazilität zugunsten der Hellenischen Republik, als Anlage 4 a) beigefügt, BT-Drs. 17/8731, Seiten 41-51 (elektronisch verfügbar unter http://dserver.bundestag.btg/btd/17/087/1708731.pdf, zuletzt abgerufen am 11.09.2012). Vgl. auch die Mitteilung der Kommission, „Wachstum für Griechenland“, in der sich die Kommission ausführlich mit den von Griechenland zu treffenden Maßnahmen auseinandersetzt (als Anlage 2 anbei). 178 Vgl. Greece MoU, a.a.O., 5. Monitoring and Technial Assistance, S. 165. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 44 WD 11 – 3000 – 144/12 jedoch noch unklar.179 In Abhängigkeit vom Ergebnis dieses Berichts wird über die Auszahlung der nächsten Tranche der Finanzhilfe in Höhe von 31,5 Mrd. € voraussichtlich im Oktober diesen Jahres entschieden. Bereits im April diesen Jahres hat die Kommission in einer Mitteilung zum Reformstand in Griechenland zum damaligen Zeitpunkt Stellung genommen. Auch diese Mitteilung ist der Ausarbeitung als Anlage 3 beigefügt. 3.3. Sanktionen Die Nichteinhaltung der Maßgaben aus dem MoU führt – da die Auszahlung weiterer Kredittranchen aus dem EFSF-Programm von der Erfüllung der Aufgaben abhängig ist – in erster Linie dazu, dass weitere Darlehenstranchen nicht ausgezahlt werden. Andere Sanktionen hat Griechenland aus der Nichteinhaltung der Darlehensvereinbarungen nicht zu erwarten. Griechenland ist aber selbstverständlich als Mitglied der EU weiterhin an die Vorgaben des Stabilitäts - und Wachstumspaktes gebunden. Indirekte Folge der Nichteinhaltung der Verpflichtungen aus dem MoU ist, dass die Stabilitätskriterien weiterhin nicht eingehalten werden und somit das Defizitverfahren nach Art. 126 AEUV weiter betrieben wird.180 Aus diesem Grunde hat der Rat der Europäischen Union am 10. Juli 2012 ausdrücklich empfohlen, dass Griechenland „die Maßnahmen , die im Beschluss 2011/734/EU in seiner geänderten Fassung vom 8. November 2011 und vom 13. März 2012 und in der am 14. März 2012 unterzeichneten Absichtserklärung für eine spezifische wirtschaftspolitische Konditionalität niedergelegt sind, umsetzt“.181 - Fachbereich Europa - 179 Handelsblatt vom 27.08.2012, Troika-Bericht möglicherweise erst im Oktober (online abrufbar unter http://www.handelsblatt.com/politik/international/griechenland-troika-bericht-moeglicherweise-erst-imoktober /7058180.html; zuletzt abgerufen am 11.09.2012). 180 Vgl. dazu Beschluss 2011/734/EU des Rates vom 12. Juli 2011 gerichtet an Griechenland zwecks Ausweitung und Intensivierung der haushaltspolitischen Überwachung und zur Inverzugsetzung Griechenlands mit der Maßgabe, die zur Beendigung des übermäßigen Defizits als notwendig erachteten Maßnahmen zu treffen (ABl. L 296/38 vom 15.11.2011), geändert durch Beschluss 2011/791/EU des Rates vom 8. November 2011 (ABl. L 320/28 vom 3.12.2011) und Beschluss 2012/211/EU des Rates vom 13. März 2012 (ABl. L 113/8 vom 25.4.2012), konsolidierte Fassung online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CONSLEG:2011D0734:20120425:DE:PDF (zuletzt abgerufen am 14.09.2012). 181 Empfehlung des Rates vom 10. Juli 2012 zum nationalen Reformprogramm Griechenlands 2012 (Ratsdokument 2012/C 219/11), ABl. C 219/38 vom 24.7.2012. Deutscher Bundestag 4. Anhang 4.1. Absichtserklärung für eine spezifische wirtschaftspolitische Konditionalität (Informelle Arbeitsübersetzung aus dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen vom 24.02.2012, BT-Drs. 14/8731, Anlage 5 a) – ANHANG 1 4.2. Liste der vor Auszahlung der ersten Tranche zu erfüllenden Maßnahmen (Informelle Arbeitsübersetzung aus dem Antrag des Bundesministeriums der Finanzen vom 24.02.2012, BT-Drs. 17/8731, Anlage 4 a) – ANHANG 2 4.3. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, die Europäische Zentralbank , den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische Investitionsbank, Wachstum für Griechenland (COM/2012/0183 final) – ANHANG 3