WD 11 – 3000 – 143/12 Wissenschaftliche Dienste Deutscher Bundestag Ausarbeitung Klagemöglichkeiten gegen Maßnahmen der Europäischen Zentralbank (EZB) WD 11 – 3000 – 143/12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 2 WD 11 – 3000 – 143/12 Klagemöglichkeiten gegen Maßnahmen der Europäischen Zentralbank (EZB) Aktenzeichen: WD 11 – 3000 – 143/12 Abschluss der Arbeit: 06.09.2012 Fachbereich: WD 11: Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 3 WD 11 – 3000 – 143/12 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 5 2. Rechtsschutz gegen Handlungen der EZB 6 2.1. Nichtigkeitsklage gemäß Art. 263 AEUV 7 2.1.1. Klagegegenstand und Klagegrund 7 2.1.2. Kläger 8 2.1.2.1. (Teil-)Privilegierte Kläger 8 2.1.2.2. Nicht privilegierte Kläger 8 2.1.2.2.1. Adressaten 8 2.1.2.2.2. Von einer Handlung unmittelbar und individuell betroffene natürliche und juristische Personen 9 2.1.2.2.3. Von einem Rechtsakt mit Verordnungscharakter unmittelbar betroffene natürliche und juristische Personen 10 2.1.3. Klagefrist 11 2.1.4. Ordnungsgemäße Klageerhebung 12 2.1.5. Nichtigkeitsklage gegen beispielhafte Handlungen der EZB 12 2.1.5.1. Handlungen im Zusammenhang mit der Mindestreservepflicht 13 2.1.5.2. Festlegung von Leitzinsen 13 2.1.5.3. Entscheidungen über die Zulassung von Banken zu geldpolitischen Instrumenten 14 2.1.5.4. Durchführung der Offenmarkt- und Refinanzierungspolitik 14 2.1.5.5. Auferlegung von Sanktionen 14 2.1.5.6. Leitlinien, Entscheidungen und Weisungen i.S.d. Art. 12.1. der ESZB/EZB-Satzung 15 2.1.5.7. Ankaufprogramme der EZB 15 2.2. Untätigkeitsklage 16 2.2.1. Kläger 16 2.2.1.1. Privilegierte Kläger 16 2.2.1.2. Individualrechtsschutz 17 2.2.2. Vorverfahren, Form und Frist 17 2.2.3. Untätigkeitsklage wegen beispielhafter Unterlassungen der EZB 18 2.3. Schadensersatzklage 18 2.3.1. Zulässigkeitsvoraussetzungen 18 2.3.2. Voraussetzungen für das Bestehen des Schadensersatzanspruches 19 2.4. Klage vor nationalen Gerichten: lediglich eingeschränkte Immunität der EZB 20 2.5. Vorabentscheidungsverfahren 21 2.6. EuGH als Schiedsgericht 21 2.7. Personalstreitigkeiten 21 3. Rechtsschutz gegen Handlungen der NZB 21 3.1. Klagen vor nationalen Gerichten 22 3.2. Streitverfahren gemäß Art. 271 lit. d) AEUV i.V.m. Art. 35.6 ESZB/EZB-Satzung 22 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 4 WD 11 – 3000 – 143/12 4 . E r g e b n i s 23 Anhang: Prüfungsschemata zur Zulässigkeit der wesentlichen Klagearten 25 1. Nichtigkeitsklage gemäß Art. 263 AEUV 25 2. Untätigkeitsklage gemäß Art. 265 AEUV 26 3. Schadensersatzklage gemäß Art. 268, 340 Abs. 3 AEUV 27 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 5 WD 11 – 3000 – 143/12 1. Einleitung Die Europäische Zentralbank (EZB) und die nationalen Zentralbanken (NZB) aller Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) bilden nach Art. 282 Abs. 1 S. 1 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)1 das Europäische System der Zentralbanken (ESZB). Gemäß Art. 13 Abs. 1 UAbs. 2 6. Gedankenstrich Vertrag über die Europäische Union (EUV)2 ist die EZB Organ der Europäischen Union. Die Bestimmungen über die EZB sind gemäß Art. 13 Abs. 3 EUV im AEUV geregelt. Zudem finden sich Rechtsgrundlagen für das ESZB und seine Tätigkeit auch im Protokoll Nr. 4 über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank (ESZB/EZB-Satzung)3. Gemäß Art. 51 EUV ist dieses Protokoll wie alle Protokolle und Anhänge Bestandteil des Primärrechts.4 Gemäß Art. 129 Abs. 1 AEUV i.V.m. Art. 9.3. ESZB/EZB-Satzung hat die EZB mit dem Direktorium und dem EZB-Rat zwei Beschlussorgane. Solange nicht alle Mitgliedstaaten der EU den Euro als Währung eingeführt haben, gibt es als drittes Beschlussorgan den Erweiterten Rat gemäß Art. 44 ESZB/EZB-Satzung. Gemäß Art. 12.1 ESZB/EZB-Satzung erlässt der EZB-Rat, bestehend aus den Präsidenten und Vizepräsidenten der NZB der Länder, die den Euro eingeführt haben, und den Mitgliedern des Direktoriums, die Leitlinien und Beschlüsse, die notwendig sind, um die Erfüllung der dem ESZB übertragenen Aufgaben zu gewährleisten. Er ist es demnach, der die Geldpolitik der EU i.S.d. Art. 127 AEUV festlegt. 5 Das Direktorium, welches gemäß Art. 283 Abs. 2 UAbs. 1 AEUV aus Präsident, Vizepräsident und vier weiteren Mitgliedern besteht, führt gemäß Art. 11.6 der ESZB/EZB-Satzung die laufenden Geschäfte und ist gemäß Art. 12.1 UAbs. 2 S. 2 der ESZB/EZB-Satzung den NZB gegenüber weisungsbefugt. Zu den Aufgaben des erweiterten EZB-Rates, in dem auch die Präsidenten und Vizepräsidenten der Zentralbanken der Länder vertreten sind, die den Euro nicht eingeführt haben, gehören vor allem der Informationsaustausch und die Koordination zwischen den Ländern, deren Währung der Euro ist und den anderen Mitgliedstaaten. Höchster Repräsentant der EZB ist der EZB-Präsident, der zwar keine eigenen Entscheidungsbefugnisse hat, aber Teil aller drei Beschlussorgane ist. Gemäß Art. 282 Abs. 4 AEUV erlässt die EZB durch ihre Beschlussorgane die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Maßnahmen, wobei die Handlungsformen der EZB in Art. 132 AEUV geregelt sind. Danach kann die EZB Verordnungen (1. Gedankenstrich) und Beschlüsse (2. Gedankenstrich) erlassen sowie Empfehlungen und Stellungnahmen abgeben (3. Gedankenstrich). In der ESZB/EZB- Satzung wird konkretisiert, in welchen Bereichen welche Handlungsformen in Betracht kommen. 1 Konsolidierte Fassung des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union i.d.F. des Vertrages von Lissabon vom 9.5.2008 (ABl. C 83/47 vom 30.3.2010). Das Amtsblatt der EU ist online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/RECHreferencepub.do (zuletzt abgerufen am 29.08.2012). 2 Konsolidierte Fassung des Vertrages über die Europäische Union i.d.F. des Vertrages von Lissabon vom 9.5.2008 (ABl. C 83/13 vom 30.3.2010). 3 ABl. C 83/230 vom 30.3.2010. 4 Hahn/Häde, Währungsrecht, 2. Auflage 2010, S. 138. 5 Hahn/Häde, a.a.O., S. 148. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 6 WD 11 – 3000 – 143/12 Die N Z B d er E u r o z o n e b i lden gemeinsam mi t der EZB das Eurosys tem (Art. 282 Abs. 1 S. 2 AEUV). Sie sind nach Art. 14.3 ESZB/EZB-Satzung „integraler Bestandteil des ESZB“ und handeln grundsätzlich nach den Leitlinien und auf Weisung der EZB. Insofern sind sie im ESZB nur ausführende Einheiten nach Vorgaben der EZB-Organe.6 Aus dieser Kompetenzverteilung ergibt sich eine klare Vorrangstellung der EZB. Die NZB bleiben aber Einrichtungen der Mitgliedstaaten und können gemäß Art. 14.4. ESZB/EZB-Satzung andere als in der ESZB/EZB-Satzung bezeichnete Aufgaben in eigener Verantwortung wahrnehmen. Welche Aufgaben das sind, hängt im Wesentlichen von der jeweiligen nationalen Tradition ab.7 Entscheidend ist aber, dass die NZB bei diesen Tätigkeiten nicht den Weisungen der EZB unterliegen, sondern als Behörden der Mitgliedstaaten ohne unionsrechtlich garantierten Sonderstatus eigenverantwortlich handeln.8 Das ESZB ist unabhängig, damit es das vorrangige Ziel der Preisstabilität unbeeinflusst verfolgen kann. Die Unabhängigkeit der EZB und der NZB schützt sie jedoch nicht vor einer gerichtlichen Kontrolle der Rechtmäßigkeit ihres Handelns. Im Gegenteil bilden Justitiabilität und Haftung unabdingbare Voraussetzungen für die Vereinbarkeit der Zentralbankautonomie mit den Grundsätzen des Rechtsstaates.9 Insofern regeln der AEUV und die ESZB/EZB-Satzung sowohl die gerichtliche Überprüfung der Handlungen und Unterlassungen der EZB und der NZB als auch Haftungsfragen . Welche das im Einzelnen sind, wird im Folgenden geprüft. 2. Rechtsschutz gegen Handlungen der EZB Der AEUV gewährt Rechtsschutz gegen Handlungen der EZB als Organ der EU in gleichem Maße wie gegen solche der anderen Unionsorgane. Die EZB ist damit in das Rechtsschutzsystem gegen Handlungen der Organe der EU eingegliedert.10 Sie hat Rechtspersönlichkeit und kann daher Prozesspartei eines Verfahrens vor dem EuGH sein. Aktiv- und Passivlegitimation der EZB, d.h. die Fähigkeit Klägerin oder Beklagte eines Gerichtsverfahrens zu sein, sind in Art. 35.1 ESZB/EZB-Satzung in Form einer Verweisung auf die in den Verträgen normierten Klageverfahren geregelt. Art. 35.1 der ESZB/EZB-Satzung begründet insofern keine eigenständige Klagevoraussetzung. Vielmehr wird die EZB als aktiv- und passivlegitimiertes Unionsorgan in die Verfahren der Nichtigkeitsklage (Art. 263 AEUV), der Untätigkeitsklage (Art. 265 AEUV), des Streitverfahrens innerhalb des ESZB (Art. 271 lit. d) AEUV i.V.m. Art. 35.6 ESZB/EZB-Satzung) 6 Hahn/Häde, a.a.O., S. 155. 7 So nimmt beispielsweise die Deutsche Bundesbank Aufgaben in den Bereichen der Bankenaufsicht, des Außenwirtschaftsverkehrs , bei der Verwaltung von Bundesmitteln oder als Fiskalagent des Bundes wahr. (Im Einzelnen dazu Hahn/Häde, a.a.O., S. 158.). 8 Hahn/Häde, a.a.O., S. 158. 9 Hahn/Häde, a.a.O., S. 199. 10 Auch schon unter der Geltung des Vertrags von Nizza war die EZB den Unionsorganen im System der Klagemöglichkeiten weitgehend gleichgestellt. (Ehricke, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Auflage 2012, Art. 271 AEUV, Rn. 19). WD 11 – 3000 – 143/12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 7 WD 11 – 3000 – 143/12 und der Schadensersatzklage (Art. 268 i.V.m. 340 AEUV) einbezogen.11 Zudem können ihre Handlungen im Rahmen einer inzidenten Normenkontrolle (Art. 277 AEUV) oder im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens (Art. 267 AEUV) der gerichtlichen Überprüfung unterzogen werden. Anhand dieser Klagearten des AEUV werden im Folgenden die Klagemöglichkeiten gegen Handlungen der EZB im Einzelnen dargestellt. 2.1. Nichtigkeitsklage gemäß Art. 263 AEUV Die Nichtigkeitsklage, geregelt in Art. 263, 264 AEUV, dient der Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Handlungen der Unionsorgane vor den Unionsgerichten. Die Rechtmäßigkeitskontrolle kann dabei zwei verschiedene Zielrichtungen haben: zum einen kann sie den objektiven Schutz der Rechtsordnung bezwecken (so die Nichtigkeitsklagen der privilegierten Kläger), zum anderen kann sie dem Individualrechtsschutz dienen (so die Klagen der natürlichen und juristischen Personen ). Es ist in der Vergangenheit selten vorgekommen, dass die EZB Beklagte einer Nichtigkeitsklage gewesen ist.12 2.1.1. Klagegegenstand und Klagegrund Möglicher Klagegegenstand einer Nichtigkeitsklage kann jeder rechtsverbindliche Akt der EZB sein. Das sind nicht nur die in Art. 132 AEUV i.V.m. Art. 34 ESZB/EZB-Satzung erwähnten Rechtsakte, sondern nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH auch „alle Handlungen der [Organe] – ungeachtet ihrer Rechtsnatur oder Form – [...], die dazu bestimmt sind, Rechtswirkungen zu erzeugen.“13 Insofern können auch Leitlinien und Weisungen sowie allgemeine Grundsätze der EZB i.S.d. Artikel 12.1 der ESZB/EZB-Satzung Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sein, wenn die betreffende Handlung Rechtswirkung nach außen entfaltet.14 Ob das der Fall ist, ist für den jeweiligen Rechtsakt im Einzelfall zu prüfen. Als Klagegründe kommen die in Art. 263 Abs. 2 AEUV enumerativ aufgeführten Gründe (Unzuständigkeit , Verletzung wesentlicher Formvorschriften, Verletzung des Vertrages oder einer bei seiner Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm, Ermessensmissbrauch) in Betracht. 11 Gaiser, Gerichtliche Kontrolle im Europäischen System der Zentralbanken, EuR, 2002, 517 (518). 12 Frenz, Handbuch Europarecht, Band 5, Wirkungen und Rechtsschutz, Rn. 2752. 13 EuGH, Rs. C-135/93 (Spanien ./. Kommission), Slg. 1995, I-1651, Rn. 20; Die Entscheidungen des EuGH sind online abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm (zuletzt abgerufen am 27.08.2012). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 8 WD 11 – 3000 – 143/12 14 Hahn/Häde, a.a.O., S. 200; Gaiser, a.a.O. (534 m.w.N.). WD 11 – 3000 – 143/12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 9 WD 11 – 3000 – 143/12 2.1.2. Kläger In Art. 263 AEUV wird hinsichtlich der Klagebefugnis, d.h. der Frage, ob ein Kläger von einer Maßnahme besonders betroffen ist und deshalb gegen sie klagen kann, zwischen (teil-)privilegierten und nicht privilegierten Klägern unterschieden. 2.1.2.1. (Teil-)Privilegierte Kläger Als privilegierte Kläger können ein Mitgliedstaat, das Europäische Parlament (EP), der Rat oder die Kommission vor dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) Nichtigkeitsklage erheben, ohne ein besonderes Rechtsschutzinteresse oder eine besondere Betroffenheit darlegen zu müssen (Art. 263 Abs. 2 AEUV). Der Rechnungshof, die EZB und der Ausschuss der Regionen (AdR) sind als teilprivilegierte Kläger befugt, Nichtigkeitsklage zu erheben, um eine Verletzung ihrer eigenen, durch den Vertrag verliehenen Befugnisse und Rechte geltend zu machen (Art. 263 Abs. 3 AEUV). 2.1.2.2. Nicht privilegierte Kläger Natürliche und juristische Personen können gemäß Art. 263 Abs. 4 AEUV nur gegen an sie gerichtete oder sie unmittelbar und individuell betreffende Handlungen der EZB sowie gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, Nichtigkeitsklage erheben. Art. 263 Abs. 4 AEUV stellt insofern hohe Anforderungen an die Klagebefugnis. Aus diesem Grunde werden diese Kläger als nicht privilegiert bezeichnet. 2.1.2.2.1. Adressaten Natürliche und juristische Personen müssen eine besondere Betroffenheit nicht darlegen, wenn sie sich gegen Handlungen wenden, die an sie als Adressaten gerichtet sind (Art. 263 Abs. 4 1. Alt. AEUV). Unter den Begriff der Handlung fällt dabei jeder Rechtsakt, soweit dieser Rechtswirkungen entfaltet.15 Die Klagebefugnis ergibt sich dann direkt aus der Adressatenstellung des Klägers. WD 11 – 3000 – 143/12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 10 WD 11 – 3000 – 143/12 2.1.2.2.2. Von einer Handlung unmittelbar und individuell betroffene natürliche und juristische Personen Nach Art. 263 Abs. 4 2. Alt. AEUV ist aber auch klagebefugt, wer sich gegen eine ihn unmittelbar und individuell betreffende Handlung wendet, deren Adressat nicht er, sondern ein anderer ist, bzw. die gar keinen spezifischen Adressaten hat.16 Das Kriterium der unmittelbaren und individuellen Betroffenheit ist dabei eine unverzichtbare Prozessvoraussetzung und dient dazu, festzustellen , ob die Handlung überhaupt in den Interessenkreis des Klägers eingreift und er dadurch beschwert ist. Der Kläger muss ein Interesse an der Aufhebung des Rechtsakts geltend machen. Einer Darlegung einer subjektiven Rechtsverletzung, wie sie etwa bei der deutschen Anfechtungsklage erforderlich ist,17 bedarf es hingegen nicht.18 Das Kriterium der unmittelbaren Betroffenheit dient dabei dem Ausschluss lediglich potentiell Betroffener aus dem Kreis der Klagebefugten . Die betreffende Handlung muss den Kläger ipso facto (durch die Tatsache selbst) ohne weitere Durchführungsmaßnahmen beeinträchtigen.19 Individuell betroffen ist ein Kläger nach der Plaumann-Formel20, wenn ihn der Rechtsakt wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, ihn aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und ihn daher in ähnlicher Weise individualisiert wie einen Adressaten. Diese Formel ist vielfach kritisiert worden, da sie im Konflikt mit dem Grundsatz des effektiven Rechtsschutzes stehe.21 Zudem wird vertreten, dass wegen des tatbestandlichen Wechsels vom Terminus der „Entscheidung“ in Art. 230 EGV22 zu dem der „Handlung“ in Art. 263 AEUV durch den Vertrag von Lissabon23 die Plaumann-Formel ihren zentralen Anknüp- 16 Frenz, a.a.O., S. 841, Rn. 2904. 17 Vgl. § 42 Abs. 2 VwGO. 18 Frenz, a.a.O., S. 843, Rn. 2910 m.w.N. 19 Cremer, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Auflage 2011, Art. 263, Rn. 36 m.w.N.; Frenz, a.a.O., S. 843, Rn. 2911 m.w.N. 20 EuGH, Rs. C-25/62 (Plaumann ./. Kommission), Slg. 1963, I-211, Rn. 238f. 21 Vgl. u.a. v. Dannwitz, Die Garantie effektiven Rechtsschutzes im Recht der Europäischen Gemeinschaft: Zur Verbesserung des Individualrechtsschutzes vor dem EuGH, NJW 1993, 1108ff.; Calliess, Kohärenz und Konvergenz beim europäischen Individualrechtsschutz - Der Zugang zum Gericht im Lichte des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz, NJW 2002, 3577ff.; Frenz, a.a.O., S. 844, Rn. 2917; Gaitanides, Das Recht der Europäischen Zentralbank, 2005, S. 263ff. m.w.N. Siehe auch EuG, Rs. T-177/01, (Jégo-Quéré), Slg. 2002, II-2365; Schlussanträge GA Jacobs, EuGH, Rs.C-50/00 (Union de Pequenos Agricultores), Slg. 2002, I-6677 (6698), Rn. 60. Siehe auch Petzold, Was sind „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ (Art. 263 Abs. 4 AEUV)? – Zur Entscheidung des EuG in der Rechtssache Inuit, EuR 2012, 443ff ; Herrmann, Individualrechtsschutz gegen Rechtsakte der EU „mit Verordnungscharakter“ nach dem Vertrag von Lissabon, NVwZ 2011, 1352; Thalmann, Zur Auslegung von Art. 263 Abs. 4 AEUV durch Rechtsprechung und Lehre – Zugleich ein Beitrag zur begrenzten Reichweite von Art. 47 Abs. 1 GRC wie auch zur Rolle der historischen Interpretation primären Unionsrechts, EuR 2012, 452ff. 22 Konsolidierte Fassung des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft i.d.F. des Vertrags von Nizza vom 10.03.2001 (ABl. C 325/33 vom 24. Dezember 2002). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 11 WD 11 – 3000 – 143/12 15 Frenz, a.a.O., S. 841, Rn. 2903. 23 Vertrag von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, unterzeichnet in Lissabon am 13. Dezember 2007 (Abl. C 306/01 vom 17.12.2007). WD 11 – 3000 – 143/12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 12 WD 11 – 3000 – 143/12 fungspunkt verloren habe.24 So ist vorgeschlagen worden, eine individuelle Betroffenheit schon dann anzunehmen, wenn ein Rechtsakt für einen Einzelnen „auf Grund seiner persönlichen Umstände erhebliche nachteilige Auswirkungen auf seine Interessen hat oder wahrscheinlich haben wird“25. Der EuGH hält jedoch nach wie vor an der Plaumann-Formel fest und verweist die Aufgabe, für effektiven Rechtsschutz zu sorgen, an die nationalen Gerichte.26 In Anwendung der Plaumann- Formel haben sich Fallgruppen für die individuelle Betroffenheit herausgebildet: So ist ein Kläger individuell betroffen, wenn er bestimmte Verfahrensrechte wahrgenommen hat oder sie unverschuldet nicht wahrnehmen konnte, wenn seine Marktposition spürbar beeinträchtigt oder er in Unionsgrundrechten verletzt ist, sowie wenn eine unionsrechtliche Norm die Rücksichtnahme auf die Interessen des Klägers gebietet.27 2.1.2.2.3. Von einem Rechtsakt mit Verordnungscharakter unmittelbar betroffene natürliche und juristische Personen Gemäß Art. 263 Abs. 4 3. Alt. AEUV können natürliche und juristische Personen sich auch gegen Rechtsakte mit Verordnungscharakter, die sie unmittelbar betreffen und keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, wenden. Das EuG28 versteht in enger Auslegung der Vorschrift unter Rechtsakten mit Verordnungscharakter nicht-legislative Akte allgemeiner Geltung, im Gegensatz zu Gesetzgebungsakten i.S.d. Art. 289 Abs. 3 AEUV.29 Im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren angenommene Verordnungen, Richtlinien und Beschlüsse allgemeiner Geltung scheiden danach als Rechtsakte mit Verordnungscharakter aus. Daraus folgt, dass solche Rechtsakte nur dann von nicht privilegierten Klä- 24 Kerber/Städter, Die EZB in der Krise: Unabhängigkeit und Rechtsbindung als Spannungsverhältnis, Ein Beitrag zum Individualrechtsschutz gegen Rechtsverstöße der EZB, EuZW 2011, 536 (539) m.w.N. 25 EuGH, C-50/00, Schlussanträge GA Jacobs, a.a.O. 26 EuGH, Rs.C-50/00 (Union de Pequenos Agricultores), Slg. 2002, I-6677 (6733ff.), Rn. 36ff. 27 Zu den Fallgruppen im Einzelnen vgl. Frenz, a.a.O., S. 845ff., Rn. 2921ff. 28 Das EuG ist Teilorgan des Gerichtshofs der Europäischen Union. Es hieß bis zum Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon „Gericht erster Instanz“ und wird jetzt in Art. 256 AEUV nur noch als „das Gericht“ bezeichnet. 29 EuG, Rs. R-18/10 (Inuit Tapirit Kanatami), Slg. 2011, II-0000, online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:62010TO0018%2804%29:DE:HTML (zuletzt abgerufen am 30.08.2012); EuG, Rs. T-262/10 (Microban), Slg. 2011, II-0000, online abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:62010TJ0262:DE:HTML (zuletzt abgerufen am 30.08.2012). Zu dem Meinungsstreit in der Literatur, ob abstrakt-generelle Organhandlungen erfasst oder im Rahmen einer engen Auslegung ausgenommen sein sollen vgl. Herrmann, Individualrechtsschutz gegen Rechtsakte der EU „mit Verordnungscharakter“ nach dem Vertrag von Lissabon, NVwZ 2011, 1352ff.; Thalmann, Zur Auslegung von Art. 263 Abs. 4 AEUV durch Rechtsprechung und Lehre – Zugleich ein Beitrag zur begrenzten Reichweite von Art. 47 Abs. 1 GRCh wie auch zur Rolle der historischen Interpretation primären Unionsrechts, EuR 2012, 452 (455 m.w.N.); Petzold, Was sind „Rechtsakte mit Verordnungscharakter“ (Art. 263 Abs. 4 AEUV)? – Zur Entscheidung des EuG in der Rechtssache Inuit, EuR 2012, 443. 15 Frenz, a.a.O., S. 841, Rn. 2903. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 13 WD 11 – 3000 – 143/12 gern angefochten werden können, wenn ihnen der Nachweis gelingt, unmittelbar und individuell betroffen zu sein (Art. 263 Abs. 4 2. Alt. AEUV).30 Ob ein Kläger unmittelbar betroffen ist, richtet sich wie auch bei Art. 263 Abs. 4 2. Alt. AEUV danach, ob ihn die angefochtene Handlung ipso facto, also ohne Umsetzungsakte, beeinträchtigt. Insofern ist fraglich, wie das Erfordernis der unmittelbaren Betroffenheit von dem, dass keine Durchführungsmaßnahmen erforderlich werden, abzugrenzen ist. Eingeführt wurde das Kriterium , um dem Einzelnen ein Direktklagerecht nur gegenüber solchen Rechtsakten mit Verordnungscharakter einzuräumen, die keinen Durchführungs-, Umsetzungs- oder Ausführungsakt erfordern .31 Dies wird aber in der Regel32 schon durch das Kriterium der unmittelbaren Betroffenheit erreicht, so dass die beiden Tatbestandsmerkmale der unmittelbaren Betroffenheit und des Fehlens von Durchführungsmaßnahmen das Gleiche beschreiben.33 Entscheidend ist, dass Umsetzungsakte nicht erforderlich sind. Damit scheidet die Nichtigkeitsklage aus, wenn aufgrund eines mitgliedstaatlichen Durchführungsaktes eine inzidente Überprüfung vor nationalen Gerichten (ggfls. verbunden mit einer Vorlage an den EuGH nach Art. 267 AEUV) möglich ist. Des schwierigen Nachweises einer individuellen Betroffenheit bedarf es bei Rechtsakten mit Verordnungscharakter nicht. 2.1.3. Klagefrist Aus Art. 263 Abs. 6 AEUV ergibt sich, dass die Klage binnen zwei Monaten zu erheben ist. Diese Frist läuft je nach Lage des Falles ab Bekanntgabe der betreffenden Handlung, ihrer Mitteilung an den Kläger oder von dem Zeitpunkt an, zu dem der Kläger von der Handlung Kenntnis erlangt hat. Damit knüpft der Fristbeginn bei im Amtsblatt zu veröffentlichenden Verordnungen und Richtlinien (vgl. Art. 297 Abs. 1, 2 AEUV) an den Tag der Veröffentlichung an, es sei denn, die Maßnahme wurde dem Kläger zuvor individuell mitgeteilt.34 Gemäß Art. 81 § 1 EuGH-VerfO bzw. Art. 102 § 1 EuG-VerfO wird die Frist vom Ablauf des 14. Tages nach der Veröffentlichung an berechnet .35 Bei adressatenbezogenen Beschlüssen setzt die individuelle Bekanntgabe die Frist in 30 Thalmann, a.a.O. (456). 31 Cremer, a.a.O., Art. 263, Rn. 70 m.w.N. 32 Einzige Ausnahme sind nach der Rechtsprechung des EuGH Richtlinien, die den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung oder Durchführung keinerlei Ermessenspielraum einräumen. Dann betrifft die Richtlinie den Einzelnen nicht nur potentiell, sondern wegen der unionsrechtlichen Umsetzungspflicht des Mitgliedstaates „quasiautomatisch “, so dass der Einzelne gegen die Richtlinie bei Vorliegen einer individuellen Betroffenheit im Wege der Nichtigkeitsklage vorgehen kann (vgl. dazu Cremer, a.a.O., Art. 263, Rn. 36 m.w.N.). 33 So auch EuG, Rs. T-262/10 (Microban), a.a.O., Rn. 33ff. Vgl. statt vieler Thalmann, a.a.O. (458). 34 Ehlers, Die Nichtigkeitsklage des Europäischen Gemeinschaftsrechts (Art. 230 EGV), Jura 2009, 31 (37). 35 Zur Fristberechnung vgl. EuGH, Rs. C-406/01, Slg. 2002, I-4561 (4569, Rn. 16). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 14 WD 11 – 3000 – 143/12 Gang: Der Adressat muss in der Lage gewesen sein, von dem Rechtsakt vollständig und tatsächlich Kenntnis zu nehmen.36 Insofern kommt es für die anderweitige Kenntniserlangung auf den Zeitpunkt an, in dem der Kläger die Möglichkeit hatte, umfassende und genaue Kenntnis von Inhalt und Begründung des Rechtsaktes zu erlangen.37 Die Beweislast für die Kenntniserlangung liegt bei der Partei, die sich auf Verfristung beruft – also i.d.R. bei dem beklagten Unionsorgan.38 Das Fristende bestimmt sich nach Art. 80 § 1 lit. b) EuGH-VerfO und Art. 101 § 1 lit. b) EuG- VerfO: Die Frist endet mit Ablauf des Tages, der im übernächsten Monat dieselbe Zahl trägt, wie der Tag des fristauslösenden Ereignisses. Der Tag, in den das maßgebende Ereignis fällt, wird nicht mitgerechnet. Hinzu kommt eine Entfernungsfrist von 10 Tagen (Art. 81 § 2 EuGH-VerfO, Art. 102 § 2 EuG-VerfO). 2.1.4. Ordnungsgemäße Klageerhebung Nach Art. 21 EuGH-Satzung, Art. 38 EuGH-VerfO, Art. 44 EuG-VerfO muss die Klageschrift einen Klageantrag, gerichtet auf die Erklärung der Nichtigkeit des Rechtsaktes, und diejenigen Sachverhaltsbestandteile, auf die der Kläger den geltend gemachten Nichtigkeitsgrund stützt, enthalten.39 2.1.5. Nichtigkeitsklage gegen beispielhafte Handlungen der EZB Entsprechend dieser Grundsätze kann die EZB, vertreten durch ihren Präsidenten oder eine von ihm benannte Person, Beklagte im Rahmen einer Nichtigkeitsklage sein. Unproblematisch sind dabei die Klagen der privilegierten Kläger: So hatte der EuGH etwa über eine Klage der Kommission zu entscheiden, die mit dem Ziel erhoben wurde, den EZB-Beschluss zur Betrugsbekämpfung40 für nichtig zu erklären.41 Fraglich ist aber, welche natürlichen und juristischen Personen gegen welche Handlungen der EZB Nichtigkeitsklage erheben können. 36 Frenz, a.a.O., S. 815, Rn. 2813 m.w.N. 37 EuGH, Rs. 236/86 (Dillinger Hüttenwerke), Slg. 1988, 3761 (3784, Rn. 14). 38 Dörr/Lenz, Europäischer Verwaltungsrechtsschutz, 2006, Rn. 146; EuGH, Rs. C-480/99 P (Plant u.a.), Slg. 2002, I-265 (301, Rn. 50/51). 39 Eine Checkliste zu den Anforderungen an eine Klageschrift findet sich bei Pechstein, EU-Prozessrecht, 4. Auflage, 2011, Rn. 133. 40 EZB/1999/5 (ABl. L 291/36 vom 13.11.1999). 41 EUGH, C-11/00 (Kommission ./. EZB), Slg. 2003, I-7147. 15 Frenz, a.a.O., S. 841, Rn. 2903. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 15 WD 11 – 3000 – 143/12 Im Folgenden werden einige der typischen Handlungen der EZB dargestellt und die Frage nach ihrer Angreifbarkeit im Wege der Nichtigkeitsklage beantwortet.42 2.1.5.1. Handlungen im Zusammenhang mit der Mindestreservepflicht Gemäß Art. 19.1 ESZB/EZB-Satzung kann die EZB zur Verwirklichung ihrer geldpolitischen Ziele von den in den teilnehmenden Mitgliedstaaten niedergelassenen Kreditinstituten verlangen, Mindestreserven auf Konten bei der EZB und den NZB zu unterhalten. Seit 1999 unterliegen grundsätzlich alle Kreditinstitute und Zweigstellen von Kreditinstituten im Euro-Währungsgebiet auf Basis einer Verordnung des Rates43 und einer Verordnung der EZB44 der Mindestreservepflicht . Obwohl in der Verordnung der EZB eine Verzinsung der Pflichteinlagen vorgesehen ist, liegt schon in der Verpflichtung selbst eine Belastung für die Kreditinstitute, weil am Markt höhere Zinsen zu erzielen wären.45 Da aber alle Kreditinstitute der Mindestreservepflicht unterworfen sind, lässt sich eine individuelle Betroffenheit i.S.d. Plaumann-Formel46 nicht nachweisen , so dass im Ergebnis nur die privilegierten Kläger gegen diese Verordnungen klagen können. Zulässiger Gegenstand einer Nichtigkeitsklage nicht privilegierter Kläger können aber die Ablehnung einer Befreiung von der Mindestreservepflicht (Art. 2 Abs. 2 VO 1745/2003), das Nichterteilen der Erlaubnis, Mindestreserven indirekt über einen Mittler zu unterhalten (Art. 10 Abs. 2 VO 1745/2003), der Widerruf dieser Erlaubnis (Art. 10 Abs. 4 VO 1745/2003) oder die Verhängung von Sanktionen für das Nichteinhalten der Mindestreservepflicht47 sein. Klagen können dann die entsprechenden nationalen Kreditinstitute als Adressaten der Maßnahme, ohne dass eine spezielle Klagebefugnis dargelegt werden muss. 2.1.5.2. Festlegung von Leitzinsen Bei den Entscheidungen über die Festlegung der Leitzinsen handelt es sich um verbindliche, adressatenlose Beschlüsse i.S.v. Art. 132 Abs. 1 2. Gedankenstrich AEUV, über deren Veröffent- 42 Für einen umfassenden Überblick über die Handlungsformen der EZB und dagegen bestehende Rechtsschutzmöglichkeiten vgl. Gaiser, a.a.O. und Hahn/Häde, a.a.O., S. 166ff. 43 Verordnung EG/2531/98 des Rates über die Auferlegung einer Mindestreservepflicht durch die EZB (ABl. L 318/1 vom 27.11.1998). 44 Verordnung EG/1745/2003 der EZB über die Auferlegung einer Mindestreservepflicht (ABl. L 250/10 vom 02.10.2003), geändert durch die Verordnung EG/1052/2008 vom 22.10.2008 (ABl. L 282/14 vom 02.10.2003). 45 Hahn/Häde, a.a.O., S. 176. 46 Siehe oben Fn. 20. 47 Vgl. Art. 5 d) der Verordnung EG/2532/98, der dem Gerichtshof die unbeschränkte Zuständigkeit für die Überprüfung der endgültigen Entscheidung über die Verhängung einer Sanktion überträgt. Damit führt er neben einer bloßen Rechtmäßigkeitskontrolle auch eine Zweckmäßigkeits- und Billigkeitskontrolle der Sanktion durch. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 16 WD 11 – 3000 – 143/12 lichung die EZB nach Art. 132 Abs. 2 AEUV selbst befindet. Insofern können Unionsorgane und Mitgliedstaaten die Leitzinsbeschlüsse grundsätzlich im Wege der Nichtigkeitsklage anfechten. Es ist aber kaum vorstellbar, dass einzelne Kreditinstitute oder gar natürliche Personen durch die Festsetzung der Leitzinssätze wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften aus dem Kreis aller Banken herausgehoben oder wegen besonderer Umstände berührt werden, und dadurch individuell im Sinne der Plaumann-Formel48 betroffen sind. Eine Nichtigkeitsklage nicht privilegierter Kläger gegen die Festlegungen wird daher in aller Regel unzulässig sein.49 2.1.5.3. Entscheidungen über die Zulassung von Banken zu geldpolitischen Instrumenten Regelmäßig haben alle mindestreservepflichtigen Kreditinstitute Zugang zu Geschäften im Rahmen der Offenmarkt- und Refinanzierungspolitik. Das ESZB behält sich jedoch ausdrücklich vor, Geschäftspartnern den Zugang zu geldpolitischen Instrumenten aus Risikoerwägungen zu verweigern . Solche Beschlüsse der EZB können im Wege der Nichtigkeitsklage durch den jeweiligen Adressaten angefochten werden.50 2.1.5.4. Durchführung der Offenmarkt- und Refinanzierungspolitik Die Durchführung von Geschäften am offenen Markt und im Rahmen der Refinanzierungspolitik erfolgt über die NZB auf privatrechtlicher Grundlage. Rechtsschutz ist daher gemäß Art. 35.2 ESZB/EZB-Satzung vor den nationalen Gerichten zu suchen.51 2.1.5.5. Auferlegung von Sanktionen Art. 132 Abs. 3 AEUV sieht die Befugnis der EZB vor, Unternehmen bei Pflichtverstößen mit finanziellen Sanktionen zu belegen. Entsprechende Rechtsakte stellten nach Art. 200 Abs. 1 AEUV vollstreckbare Titel dar. Grenzen und Bedingungen für die Wahrnehmung dieser Kompetenz hat der Rat in einer Verordnung52 festgelegt. Die EZB hat diesen Rahmen durch ihre Verordnung über das Recht der EZB, Sanktionen zu verhängen (Sanktions-VO)53, ausgefüllt. Die Sanktions- 48 Siehe oben Fn. 20. 49 Hahn/Häde, a.a.O., S. 174. So auch Gaitanides, a.a.O., S. 266. 50 Hahn/Häde, a.a.O., S. 174 m.w.N. 51 Hahn/Häde, a.a.O., S. 175. 52 VO EG/2532/98 über das Recht der EZB, Sanktionen zur verhängen (ABl. L 318/4 vom 27.11.1998). 53 VO EG/2157/1999 der EZB vom 23.09.1999, (ABl. L 264/21), zuletzt geändert durch VO EG/ 985/2001 der Europäischen Zentralbank vom 10.05.2001 (ABl. L 137/24), konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CONSLEG:1999R2157:20010624:DE:PDF (zuletzt abgerufen am 29.08.2012). 15 Frenz, a.a.O., S. 841, Rn. 2903. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 17 WD 11 – 3000 – 143/12 VO betrifft alle Verstöße gegen Verpflichtungen aus Verordnungen und Entscheidungen der EZB.54 Das Direktorium der EZB oder eine nationale Zentralbank sind in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich befugt, Sanktionsverfahren einzuleiten. Die betroffenen Unternehmen können als Adressaten Entscheidungen des Direktoriums der EZB über die Eröffnung des Sanktionsverfahrens im Wege der Nichtigkeitsklage bei dem Gericht erster Instanz anfechten.55 2.1.5.6. Leitlinien, Entscheidungen und Weisungen i.S.d. Art. 12.1. der ESZB/EZB-Satzung Jede der Maßnahmen nach Art. 12.1 der ESZB/EZB-Satzung kann Gegenstand einer Nichtigkeitsklage sein, wenn sie verbindliche Rechtswirkungen gegenüber den NZB entfaltet und die NZB unmittelbar individuell betrifft.56 Als juristische Personen sind die NZB auch klageberechtigt. 2.1.5.7. Ankaufprogramme der EZB Fraglich ist, ob natürliche oder juristische Personen Aufkaufprogramme der EZB57 gerichtlich überprüfen lassen können. Zu beachten ist hier, dass zunächst der EZB-Rat den Ankauf beschließt , die Einzeltransaktionen dann aber von den NZB vorgenommen werden. Da die Transaktionen der NZB aufgrund des EZB-Ratsbeschlusses und damit auf Weisung der EZB erfolgen, sind sie materiell der EZB zuzurechnen. Klagegegner ist damit die EZB als rechtlich verantwortliches Organ und nicht die jeweilige NZB. Als Beschwerdegegenstand kommen sowohl der jeweilige EZB-Ratsbeschluss als auch der konkrete Vertrag über den konkreten Ankauf in Betracht. Als problematisch erweist sich aber das Vorliegen der Klagebefugnis natürlicher oder juristischer Personen. Der Einzelne müsste nachweisen, dass er durch den Beschluss bzw. die konkrete Transaktion unmittelbar und individuell betroffen ist. Es ist jedoch nicht vorstellbar, dass einzelne Personen, etwa Geldeigentümer von Euros, wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften in ähnlicher Weise individualisiert sein können wie ein Adressat i.S.d. weiterhin vom EuGH an- 54 Sonderregelungen gibt es im Zusammenhang mit den Mindestreserven (siehe 2.1.5.1 Handlungen im Zusammenhang mit der Mindestreserve, S. 13) und im Bereich der Erhebung statistischer Daten (vgl. VO 2533/98 des Rates vom 23.11.1998 über die Erfassung statistischer Daten durch die EZB, ABl. L 318/8, welche eigene Bestimmungen über die Verhängung von Sanktionen enthält). 55 Gemäß Art. 3 Abs. 5 der Verordnung können betroffene Unternehmen zuvor eine Überprüfung der Sanktionsentscheidung des Direktoriums durch den EZB-Rat beantragen. Trifft dieser eine Entscheidung nicht innerhalb von zwei Monaten, kommt nach Art. 3 Abs. 6 S. 3 der Verordnung die gerichtliche Überprüfung in Betracht. Es bestehen Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit dieser Bestimmungen mit dem AEUV, da das Sekundärrecht nicht zusätzliche Hürden für den Zugang zum Gerichtshof aufstellen könne (vgl. Gaitanides, a.a.O., S. 272f.). 56 Gaiser, a.a.O. (533f.). 57 Z.B. EZB-Ratsbeschluss vom 3.5.2010 (EZB/2010/3) (2010/268/EU) ABl. L 117/102 vom 11.5.2010; EZB- Ratsbschluss vom 9.4.2010 (EZB/2010/5) (2010/281/EU), ABl. L 124/8 v. 20.5.2010. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 18 WD 11 – 3000 – 143/12 gewandten Plaumann-Formel. Damit sind Nichtigkeitsklagen nicht privilegierter Kläger gegen Ankaufprogramme nach derzeitiger Rechtsprechung des EuGH unzulässig.58 2.2. Untätigkeitsklage Die Untätigkeitsklage gemäß Art. 265 AEUV zielt auf die Feststellung einer Vertragsverletzung aufgrund pflichtwidrigen Unterlassens.59 Es handelt sich um eine reine Feststellungsklage, die die Vertragsverletzung nicht beseitigen kann.60 Im Verhältnis zur Nichtigkeitsklage ist sie subsidiär. 2.2.1. Kläger Auch Art. 265 AEUV unterscheidet zwischen privilegierten und nicht privilegierten Klägern. 2.2.1.1. Privilegierte Kläger Aktiv parteifähig ohne den Nachweis einer besonderen Klagebefugnis sind wiederum die Mitgliedstaaten und die Organe der Union (vgl. Art. 13 EUV). Obwohl der EuGH Organ der EU ist, sind er und seine Bestandteile (EuGH und die Fachgerichte) nicht aktivlegitimiert, weil entsprechende Klagen zu unstatthaften In-sich-Prozessen führen würden.61 Die Klage kann gemäß Art. 265 Abs. 1 S. 1 AEUV gegen das EP, den Europäischen Rat, den Rat, die Kommission oder die EZB und gemäß Abs. 1 S. 2 gegen Einrichtungen und sonstige Stellen der Union gerichtet sein, soweit diese pflichtwidrig untätig geblieben sind. Klagegegenstand ist insofern das Unterlassen eines Organs, einen Beschluss zu fassen, bzw. das Unterlassen einer Einrichtung oder sonstigen Stelle, tätig zu werden. Ein Beschluss i.S.d. Vorschrift ist dabei jede „Maßnahme, deren Tragweite sich hinreichend bestimmen lässt, so dass sie konkretisiert werden und Gegenstand eines Vollzugs [i.S.d. Art. 233 EG62] sein kann“63. Insbesondere ist - wie sich aus den ande- 58 Wie hier auch Seidel, Der Ankauf nicht markt- und börsengängiger Staatsanleihen, namentlich Griechenlands, durch die Europäische Zentralbank und durch nationale Zentralbanken – rechtlich nur fragwürdig oder Rechtsverstoß?, EuZW 2010, 521f.; a.A. Kerber/Städter, a.a.O., (540), die für eine Neubestimmung der individuellen Betroffenheit plädieren und Klagen Einzelner gegen den Kauf von Staatsanleihen, die nicht dem Ziel der Preistabilität dienen, für zulässig halten, weil sich eine Interessenbeeinträchtigung der Gruppe der Geldeigentümer von Euro feststellen lasse. Dass der Gerichtshof seine Rechtsprechung zu individuellen Betroffenheit ändern wird, ist jedoch nicht ersichtlich (vgl. Fn. 21). 59 Zur Untätigkeitsklage im Allgemeinen vgl. Ehlers, Die Untätigkeitsklage des Europäischen Gemeinschaftsrechts (Art. 232 Abs. 1 EGV), Jura 2009, 366ff. 60 Frenz, a.a.O., S. 851ff. 61 Frenz, a.a.O., S. 854 m.w.N. 62 Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, konsolidierte Fassung, ABl. C 325/33 vom 24.12.2002. 15 Frenz, a.a.O., S. 841, Rn. 2903. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 19 WD 11 – 3000 – 143/12 ren Sprachfassungen des AEUV ergibt - an dieser Stelle nicht ein Beschluss i.S.d. Art. 288 Abs. 4 AEUV gemeint.64 Das Unterlassen eines Organbeschlusses kann gemäß Art. 265 Abs. 1 AEUV nur dann Gegenstand der Untätigkeitsklage sein, wenn dadurch Primäroder Sekundärrecht verletzt sein kann. Das tatsächliche Vorliegen einer Rechtsverletzung ist dann eine Frage der Begründetheit. 2.2.1.2. Individualrechtsschutz Gemäß Art. 265 Abs. 3 AEUV ist jede natürliche und juristische Person im Verfahren einer Untätigkeitsklage aktiv parteifähig. Eine Individualuntätigkeitsklage kann sich nur dagegen richten, dass es eine Unionsinstitution unterlassen hat, einen anderen Akt als eine Empfehlung oder Stellungnahme , also einen verbindlichen Rechtsakt, an den Kläger zu richten. Der begehrte Rechtsakt muss damit individuelle Geltung entfalten und seiner Form oder Rechtsnatur nach an den Einzelnen gerichtet sein. Darüber hinaus muss der Kläger potenzieller Adressat des unterlassenen Rechtsakts oder - wie bei der Nichtigkeitsklage - von seinem Erlass unmittelbar und individuell betroffen sein.65 Bei der Feststellung der Klagebefugnis sind die Plaumann-Formel und die für die Nichtigkeitsklage entwickelten Erwägungen entsprechend heranzuziehen.66 2.2.2. Vorverfahren, Form und Frist Nach Art. 265 Abs. 2 AEUV ist die Untätigkeitsklage nur zulässig, wenn die in Frage stehende Institution zuvor aufgefordert worden ist, tätig zu werden und binnen zwei Monaten keine Stellungnahme abgegeben hat. Dieses zweistufige Vorverfahren nimmt eine wichtige Warn- und Filterfunktion war und eröffnet für die betreffende Institution die Möglichkeit zur Selbstkontrolle.67 Die Aufforderung zum Tätigwerden sollte schriftlich erfolgen, weil gemäß Art. 21 Abs. 2 S. 1 EuGH-Satzung der Klageschrift eine Unterlage beizufügen ist, aus der sich der Zeitpunkt der Aufforderung ergibt.68 Eine Stellungnahme des jeweiligen Organs, die eine verbindliche und endgültige Festlegung seines Standpunktes darstellt,69 abgegeben innerhalb von zwei Monaten nach der 63 EuGH, Rs. 13/83 (EP ./. Rat), Slg. 1985, 1513 (1593, Rn. 37). 64 Im Einzelnen zu der Problematik der Auslegung des Begriffs „Beschluss“ in Art. 265 AEUV vgl. Frenz, a.a.O., S. 857, Rn. 2970ff. 65 EuGH, C-68/95 (T- Port), Slg. 1996, I-6065 (6105, Rn. 59). 66 Siehe oben 2.1 Nichtigkeitsklage gemäß Art. 263 AEUV, S. 7. 67 Frenz, a.a.O., S. 860, Rn. 2984 ff. 68 Frenz, S. 861, Rn. 2987 m.w.N. 69 Frenz, S. 861, Rn. 2989ff. m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 20 WD 11 – 3000 – 143/12 Aufforderung, führt zur Unzulässigkeit der Klage. Erfolgt die Stellungnahme erst nach Klageerhebung , wird die zunächst zulässige Klage in der Hauptsache für erledigt erklärt und gemäß Art. 69 § 6 EuGH-VerfO/Art. 87 § 6 EuG-VerfO über die Kosten nach freiem Ermessen entschieden . Mit Ablauf der Frist zur Stellungnahme beginnt gemäß Art. 265 Abs. 2 S. 2 AEUV die zweimonatige Klagefrist.70 Die Anforderungen an die Klageschrift ergeben sich wiederum aus Art. 21 EuGH-Satzung, Art. 38 EuGH-VerfO, Art. 44 EuG-VerfO. Des Nachweises eines Rechtsschutzbedürfnisses bedarf es nicht. 2.2.3. Untätigkeitsklage wegen beispielhafter Unterlassungen der EZB Eine Untätigkeitsklage kommt nach den geschilderten Grundsätzen also z.B. in Betracht, wenn die EZB Anträge eines Kreditinstituts auf Entbindung von der Mindestreservepflicht nach Art. 2 Abs. 2 VO 2818/9871 oder auf Erteilung der Erlaubnis nach Art. 10.2 dieser Verordnung überhaupt nicht bescheidet. Gegen eine ablehnende Entscheidung der EZB kommt die Nichtigkeitsklage in Betracht.72 2.3. Schadensersatzklage Streitigkeiten über außervertraglichen Schadensersatz nach Art. 340 Abs. 2 und 3 AEUV werden gemäß Art. 268 AEUV im Wege der Schadensersatzklage entschieden. Für Rechtsstreitigkeiten über eine vertragliche Haftung der EU sind mangels einer anderweitigen Zuweisung grundsätzlich die nationalen Gerichte zuständig (vgl. Art. 274 i.V.m. 268 Abs. 1 AEUV). Der Begriff der vertraglichen Haftung ist dabei weit auszulegen und umfasst sämtliche auf einer vertraglichen Abrede mit der EU bzw. mit der EZB beruhenden Haftungsansprüche, unabhängig davon, ob der zugrunde liegende Vertrag privat- oder öffentlich-rechtlicher Natur ist.73 2.3.1. Zulässigkeitsvoraussetzungen Gemäß Art. 268 AEUV i.V.m. Art. 256 AEUV ist das EuG ausschließlich zuständig. Kläger einer Schadensersatzklage kann jede natürliche und juristische Person sein, so auch öffentlich-rechtliche 70 Zur Fristberechnung siehe oben 2.1.3 Klagefrist, S. 11. 71 Siehe oben 2.1.5.1 Handlungen im Zusammenhang mit der Mindestreserve, S. 13. 72 Hahn/Häde, a.a.O., S. 177. 73 Gellermann, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Auflage 2012, Art. 340, Rn. 4 m.w.N. 15 Frenz, a.a.O., S. 841, Rn. 2903. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 21 WD 11 – 3000 – 143/12 Körperschaften wie Gemeinden und Bundesländer oder sogar Drittstaaten,74 soweit sie wie Private geschädigt wurden und selbst nicht hoheitlich gehandelt haben.75 Die Schadensersatzklage nach Art. 268 i.V.m. Art. 340 Abs. 3 AEUV richtet sich gegen die EZB selbst und nicht gegen die EU. Der Darlegung einer besonderen Klagebefugnis oder der Durchführung eines besonderen Vorverfahrens bedarf es nicht. Die den Anforderungen der Art. 21 EuGH-Satzung, Art. 38 EuGH-VerfO bzw. Art. 44 EuG-VerfO genügende Klageschrift ist gemäß Art. 46 EuGH-Satzung aber vor Ablauf der Verjährung zu erheben . Umstritten und vom EuGH bislang nicht eindeutig beantwortet ist die Frage, ob es sich bei der Verjährung i.S.d. Art. 46 EuGH-Satzung um eine unverzichtbare Prozessvoraussetzung76 oder um eine Frage der Begründetheit77 handelt. Bedeutung hat dies insofern, als dass Prozessvoraussetzungen von Amts wegen geprüft würden, während sich der Kläger auf eine anspruchsausschließende Einrede für die Begründetheit seiner Klage ausdrücklich berufen müsste. Der Wortlaut von Art. 46 EuGH- Satzung und die neue EuGH-Rechtsprechung deuten auf eine Behandlung als anspruchsausschließende Einrede und damit auf eine Prüfung der Verjährung im Rahmen der Begründetheit hin.78 2.3.2. Voraussetzungen für das Bestehen des Schadensersatzanspruches Die Schadensersatzklage ist begründet, wenn der gegen die EZB geltend gemachte Schadensersatzanspruch tatsächlich besteht. Gemäß Art. 340 Abs. 3 AEUV ersetzt die EZB im Bereich der außervertraglichen Haftung den durch sie oder ihre Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit verursachten Schaden nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind. Nach ständiger Rechtsprechung ist Voraussetzung der außervertraglichen Haftung zunächst, dass die den Organen vorgeworfene Handlung rechtswidrig und ein Schaden tatsächlich eingetreten ist. Weiterhin muss zwischen der Handlung und dem behaupteten Schaden ein ursächlicher Zusammenhang bestehen.79 Entsprechend muss die konkrete Handlung der EZB oder ihrer Bediensteten gegen Unionsrecht verstoßen, wobei es einer besonderen Qualifikation der Rechtswidrigkeit bei der Haftung für administratives Unrecht nicht bedarf.80 Für die Haftung aufgrund von 74 Zu der umstrittenen Frage, ob privatrechtlich handelnde Mitgliedstaaten parteifähig sein können vgl. Pechstein, EU-/EG-Prozessrecht, 4. Auflage, 2011, Rn. 687. 75 Frenz, a.a.O, S. 878, Rn. 3031f. 76 EuGH, Rs. 256/80 u.a. (Birra Wührer), Slg. 1982, 85 (107, Rn. 15ff.), wo der EuGH die Verjährung im Rahmen der Zulässigkeit prüft. 77 EuGH, Rs. 4/69 (Lütticke), Slg. 1971, 325 (337, Rn. 8), wo der EuGH von einer “ nicht die Zulässigkeit der Klage“ betreffenden Einrede sprach. 78 Vgl. z.B. EuGH Rs. 145/83 (Adams), Slg. 1985, 3539 (3591, Rn. 48ff.); EuG, Rs. T-246/93 (Bühring), Slg. 1998, II- 171 (191 f., Rn. 66 ff.). So auch Frenz, a.a.O., S. 882, Rn. 3046. 79 EuGH, Rs. 4/69 (Lütticke), Slg. 1971, Slg. 1971, 325, Rz. 10; Rs. C-146/91 (KYDEP), Slg. 1994, I- 4199, Rz. 19; EuG, Rs. T-390/94 (Schröder u.a./Kommission), Slg. 1997, II- 501 Rz. 50. 80 Gaiser, a.a.O. (530). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 22 WD 11 – 3000 – 143/12 Rechtssetzungsakten (normatives Unrecht) wird nach der Rechtsprechung des EuGH hingegen „eine hinreichend qualifizierte Verletzung einer höherrangigen, dem Schutz der Einzelnen dienenden Rechtsnorm” verlangt.81 Sind alle erwähnten Voraussetzungen erfüllt, steht dem Geschädigten Ersatz des entstandenen Schadens zu. Der Schadensersatz umfasst neben reinen Vermögensschäden und dem entgangenen Gewinn auch immaterielle Schäden.82 2.4. Klage vor nationalen Gerichten: lediglich eingeschränkte Immunität der EZB Die EZB genießt entsprechend Art. 343 AEUV i.V.m. Art. 39 ESZB/EZB-Satzung im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Vorrechte und Befreiungen nach Maßgabe des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union83. Daraus folgt, dass die EZB - im Einklang mit dem völkerrechtlichen Prinzip der Immunität internationaler Organisationen von der nationalen Gerichtsbarkeit - grundsätzlich der nationalen Gerichtsbarkeit entzogen ist.84 Anders als andere internationale Organisationen genießt die EZB jedoch keine unbeschränkte Immunität.85 Sowohl der AEUV als auch die ESZB/EZB-Satzung erkennen den nationalen Gerichten eine subsidiäre Zuständigkeit zu. So sieht Art. 35.2 ESZB/EZB- Satzung vor, dass Rechtsstreitigkeiten zwischen der EZB einerseits und ihren Gläubigern, Schuldnern oder dritten Personen andererseits vor nationalen Gerichten entschieden werden, soweit die Streitigkeit nicht dem Gerichtshof der EU zugewiesen ist. Daraus folgt, dass die EZB nur insoweit Immunität von der nationalen Gerichtsbarkeit der Mitgliedstaaten genießt, als die Rechtsstreitigkeiten nicht unter die ausschließliche Zuständigkeit des EuGH/EuG fallen. Von der subsidiären Zuständigkeit nationaler Gerichte erfasst sind damit Streitigkeiten über die Auslegung und Durchführung der von der EZB geschlossenen Verträge sowie die vertragliche Haftung der EZB.86 Neben den lediglich die interne Verwaltung betreffenden Rechtsgeschäften (etwa die Anmietung von Büroräumen und der Kauf von Büromaterial) ist auch die Aufgabenerfüllung mit den Mitteln des Vertragsrechts, beispielsweise im Geschäftsverkehr mit internationalen Institutionen oder Kreditinstituten, von Bedeutung, soweit diese Aufgabenerfüllung nicht den NZB vorbehalten ist. Zu denken ist beispielsweise an Verträge mit Geschäftspartnern über Währungsreserveanlagen (Art. 127 Abs. 2 3. Spiegelstrich EUV) sowie an Vertragsabschlüsse mit internationalen Zahlungsverkehrsbetreibern zwecks Führung zentraler Verrechnungskonten (4. 81 EuGH, Rs. 5/71 (Schöppenstedt), Slg. 1971, 975, Rz. 11 . Zu den Haftungsvoraussetzungen im Detail: Ruffert in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), Kommentar zu EU-Vertrag und EG-Vertrag, 1999, Art. 288 Rz. 12 ff. 82 Ruffert, a.a.O., Art. 288 Rz. 22f. m.w.N. 83 Abl. C 310/261 vom 16.12.2004 . 84 Vgl. Gruber/Benisch, Privileges and Immunities of the European Central Bank, in: ECB Legal Working Papers 2007, No. 4, S. 15 f. (online abrufbar unter http://www.ecb.int/pub/pdf/scplps/ecblwp4.pdf, zuletzt abgerufen am 29.08.2012). 85 Gruber/Benisch, a.a.O., S. 16 m.w.N. 86 Gaiser, a.a.O. (537). 15 Frenz, a.a.O., S. 841, Rn. 2903. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 23 WD 11 – 3000 – 143/12 Spiegelstrich).87 Die subsidiäre Zuständigkeit der nationalen Gerichte hatte aber bisher kaum praktische Relevanz, da die Zuständigkeiten des EuGH/EuG weit ausgelegt werden.88 2.5. Vorabentscheidungsverfahren Selbstverständlich können nationale Gerichte den EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art. 267 Abs. 1 lit. a) und b) AEUV auch mit Fragen über die Gültigkeit und die Auslegung der ESZB/EZB-Satzung und der Handlungen der EZB befassen. 2.6. EuGH als Schiedsgericht Weiterhin können gemäß Art. 35.4 ESZB/EZB-Satzung Streitigkeiten aus vertraglichen Rechtsbeziehungen der EZB, die grundsätzlich in die Zuständigkeit der nationalen Gerichte fallen, im Wege der Vereinbarung einer Schiedsklausel dem Gerichtshof übertragen werden. In der Vergangenheit hat die EZB selbst von dieser Möglichkeit vielfach als Klägerin Gebrauch gemacht.89 2.7. Personalstreitigkeiten Nach Art. 36.2 ESZB/EZB-Satzung ist der Gerichtshof der EU auch für alle Streitsachen zwischen der EZB und deren Bediensteten innerhalb der Grenzen und unter den Bedingungen zuständig, die sich aus den Beschäftigungsbedingungen ergeben. 3. Rechtsschutz gegen Handlungen der NZB Ausgangspunkt der Betrachtung muss sein, dass die NZB zum einen auf Weisung der EZB als integraler Bestandteil des ESZB handeln und zum anderen als Einrichtungen der Mitgliedstaaten nationale Kompetenzen haben. Der Rechtsschutz gegen ihre Maßnahmen richtet sich danach, in welchem Verantwortungsbereich sie tätig geworden sind. 87 Beispiele nach Gaiser, a.a.O. (538). 88 Gruber/Benisch, a.a.O., S. 16 m.w.N. 89 Gruber/Benisch, a.a.O., S. 17 m.w.N. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 24 WD 11 – 3000 – 143/12 3.1. Klagen vor nationalen Gerichten Grundsätzlich sind die NZB Einrichtungen der Mitgliedstaaten. Gemäß Art. 35.3 S. 2 ESZB/EZB- Satzung richtet sich ihre Haftung daher nach dem jeweiligen nationalen Staatshaftungsrecht. Damit unterliegen die NZB in Haftungsfragen auch der Gerichtsbarkeit der nationalen Gerichte.90 Etwaige Schadensersatzansprüche sind folglich grundsätzlich vor den nationalen Gerichten geltend zu machen. Die ist aber nicht der Fall, wenn der eingetretene Schaden nach dem Prinzip der rechtlichen Verantwortlichkeit91 der EZB zuzurechnen ist. Selbst wenn eine NZB eine Handlung nach dem Grundsatz der Dezentralität (Art. 12.1 ESZB/EZB-Satzung) ausgeführt hat, haftet sie nicht selbst, wenn sie aufgrund bindender Vorgaben der EZB, die ihr keinen eigenen Entscheidungsspielraum einräumten, tätig geworden ist.92 Dann wird ihre Handlung der EZB zugerechnet,93 so dass eine Haftung der NZB nach Art. 35.2 Satz 2 ESZB/EZB-Satzung ausscheidet und die EZB nach Art. 35.3 Satz 1 ESZB/EZB-Satzung i.V.m. Art. 340 Abs. 3 AEUV haftet.94 Klagegegner in einem etwaigen Schadensersatzprozess ist dann die EZB.95 Eine selbständige Haftung der NZB kommt damit nur in Fällen der eigenverantwortlichen und nicht weisungsgebundenen Tätigkeit in Betracht. Nur dann ist die Klage gegen die NZB vor dem jeweiligen nationalen Gericht angezeigt. 3.2. Streitverfahren gemäß Art. 271 lit. d) AEUV i.V.m. Art. 35.6 ESZB/EZB-Satzung Über Art. 271 lit. d) AEUV und Art. 35.6 ESZB/EZB-Satzung werden die NZB, die grundsätzlich der nationalen Gerichtsbarkeit unterworfen sind, in die gerichtliche Kontrolle der Union einbezogen , soweit sie Verpflichtungen erfüllen, die sich aus den Verträgen oder aus der ESZB/EZB- Satzung ergeben. Danach kann die EZB vor dem EuGH Klagen mit dem Inhalt erheben, festzustellen , dass eine NZB gegen eine Verpflichtung aus den Verträgen oder der Satzung verstoßen hat. Zu den Verpflichtungen i.S.d. Art. 271 lit. d) AEUV zählen auch jene aus Leitlinien und Ent- 90 Gaiser, a.a.O. (535). 91 Gaiser, a.a.O. (535). 92 Gemäß Art. 14.3. S. 1 ESZB/EZB-Satzung sind Leitlinien und Weisungen der EZB für die NZB verbindlich. Der EZB-Rat hat nach 14.3 S. 2 ESZB/EZB-Satzung die Aufgabe, die Einhaltung der Leitlinien und Weisungen der EZB sicherzustellen. 93 Ausführlich zur Zurechnung von Vollzugshandlungen der NZB an die EZB: Baur, Die Haftung der Europäischen Zentralbank, 2001, S. 74ff.; Hahn/Häde, Währungsrecht, 2. Auflage 2010, S. 203ff. 94 Gaiser, a.a.O. (536). 95 Vgl. oben 2.3 Schadensersatzklage, S. 18. 15 Frenz, a.a.O., S. 841, Rn. 2903. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 25 WD 11 – 3000 – 143/12 scheidungen des EZB-Rates bzw. Weisungen des Direktoriums entsprechend Art. 12.1 ESZB/EZB-Satzung.96 Damit räumt Art. 271 lit. d) AEUV der EZB die Befugnisse ein, die die Kommission im Rahmen des Vertragsverletzungsverfahrens nach Art. 258 AEUV gegenüber den Mitgliedstaaten hat. Art. 271 lit. d) schließt insofern die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens durch die Kommission gegen einen Mitgliedstaat wegen des gemeinschaftswidrigen Verhaltens seiner Zentralbank aus. Der Grund hierfür liegt in der gemeinschaftsrechtlich gebotenen Unabhängigkeit der NZB, vgl. Art. 130 AEUV und Art. 7 ESZB/EZB-Satzung. Insofern sind auch Vertragsverletzungsverfahren anderer Mitgliedstaaten wegen gemeinschaftswidrigen Verhaltens der Zentralbank eines Mitgliedstaats, wenn auch nicht explizit, so doch aber wegen der garantierten Unabhängigkeit der Zentralbanken ausgeschlossen.97 Klage erheben kann der EZB-Rat gemäß Art. 271 lit. d) AEUV i.V.m. Art. 258 AEUV und Art. 35.6 ESZB/EZB-Satzung erst nach Durchführung des außergerichtlichen Vorverfahrens. Wenn die EZB der Auffassung ist, dass die betreffende NZB ihrer Verpflichtung aus Vertrag oder ESZB/EZB-Satzung nicht nachgekommen ist, legt sie in der betreffenden Sache eine begründete Stellungnahme vor. Zuvor hat die EZB der NZB allerdings Gelegenheit zur Vorlage von Bemerkungen zu geben. Entspricht die NZB nicht innerhalb der von der EZB gesetzten Frist deren Stellungnahme, so kann die EZB den Gerichtshof anrufen. Gibt der Gerichtshof der Klage statt, stellt er fest, dass die betreffende Zentralbank gegen ihre Verpflichtungen verstoßen hat. Diese NZB hat gemäß Art. 271 lit. d) S. 3 AEUV die Maßnahmen zu ergreifen, die sich aus dem Urteil ergeben. Im Falle der Nichtbefolgung eines Urteils kann allerdings mangels einer der Regelung des Art. 260 Abs. 2 AEUV entsprechenden Vorschrift nicht die Zahlung eines Pauschalbetrages oder eines Zwangsgeldes verhängt werden.98 4. Ergebnis Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Handlungen der EZB genauso wie die Handlungen der anderen Unionsorgane vor den europäischen Gerichten justiziabel sind. Natürliche und juristische Personen müssen, um Nichtigkeitsklage erheben zu können, als nicht privilegierte Kläger in der Regel Adressaten einer angegriffenen Maßnahme oder durch die Maßnahme individuell und unmittelbar betroffen sein. Schadensersatzklage können sie erheben, wenn sie geltend machen können, Inhaber eines Schadensersatzanspruches nach Art. 340 Abs. 3 AEUV zu sein, während eine Untätigkeitsklage in Betracht kommt, wenn die EZB es unterlässt, eine adressatenbezogene oder den Kläger individuell betreffende Maßnahme zu erlassen. 96 Zu dem Meinungsstreit, ob Verstöße gegen Leitlinien und Weisungen im Rahmen des Verfahrens nach Art. 271 lit. d) AEUV gerügt werden können, vgl. Gaiser, a.a.O., S. 521f. m.w.N. 97 Gaiser, a.a.O. (523 m.w.N.). 98 Gaiser, a.a.O. (522). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 26 WD 11 – 3000 – 143/12 Umfassender sind die Klagemöglichkeiten der privilegierten Kläger (Mitgliedstaaten und Unionsorgane ), die vor dem EuGH ohne die Darlegung einer Klagebefugnis die Nichtigkeit einer Handlung der EZB rügen oder die Feststellung einer Vertragsverletzung aufgrund pflichtwidrigen Unterlassens beantragen können. Die Erhebung einer Schadensersatzklage kommt hingegen nicht in Betracht. Handlungen der NZB werden - soweit sie auf Weisung der EZB erfolgen - dieser zugerechnet und sind daher als solche in gleichem Maße wie die anderen Handlungen der EZB justiziabel. Handelt eine NZB als Behörde eines Mitgliedstaates eigenverantwortlich und nicht weisungsgebunden , so richten sich die Rechtmäßigkeit dieser Handlung und der Rechtschutz hiergegen nach dem jeweiligen nationalen Recht. 15 Frenz, a.a.O., S. 841, Rn. 2903. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 27 WD 11 – 3000 – 143/12 Deutscher Bundestag Anhang: Prüfungsschemata zur Zulässigkeit der wesentlichen Klagearten 1. Nichtigkeitsklage gemäß Art. 263 AEUV A. Zuständigkeit - Art. 256 Abs. 1 AEUV i.V.m. Art. 51 EuGH-Satzung - Klagen von Gemeinschaftsorganen und Mitgliedstaaten: EuGH - Klagen von natürlichen und juristischen Personen: EuG B. Aktive Parteifähigkeit - Abs. 2 privilegierte Kläger: Mitgliedstaaten, EP, Rat, Kommission - Abs. 3 teilprivilegierte Kläger: Rechnungshof, EZB, AdR - Abs. 4 nicht privilegierte Individualkläger: natürliche und juristische Personen C. Passive Parteifähigkeit - Abs. 1 AEUV: Rat, Kommission, EZB, EP, Europäischer Rat, Einrichtungen und sonstige Stellen der Union, Rechnungshof (str.) D. Klagegegenstand - Verordnungen, Richtlinien, Beschlüsse i.S.v. Art. 288 AEUV, sowie alle rechtlich existenten Handlungen, die verbindliche Rechtswirkungen nach außen entfalten (nicht Empfehlungen und Stellungnahmen) - vgl. Handlungsformen der EZB gemäß Art. 132 Abs. 1 AEUV E. Klagebefugnis bzw. -berechtigung - privilegierte Kläger: kein Nachweis einer Klagebefugnis erforderlich - teilprivilegierte Kläger: Nichtigkeitsklage nur zum Schutz der eigenen (organschaftlichen) Befugnisse - nicht privilegierte Kläger: o Adressat muss keine Klagebefugnis nachweisen o Nachweis einer unmittelbaren Betroffenheit bei nicht-legislativen Akten o im Übrigen Nachweis einer unmittelbaren und individuellen Betroffenheit (Plaumann-Formel: ähnlich individualisiert wie ein Adressat) F. Klagegrund - Abs. 2 AEUV: Unzuständigkeit, Verletzung wesentlicher Formvorschriften, Verletzung der Verträge oder bei deren Durchführung anzuwendender Rechtsnorm, Ermessensmissbrauch (abschließend) G. Klagefrist - Art. 263 Abs. 6 AEUV: Klageerhebung binnen zwei Monaten nach Bekanntgabe bzw. Mitteilung an den Kläger oder Kenntniserlangung durch den Kläger - Fristberechnung nach Art. 80 § 1 lit. b) EuGH-VerfO bzw. Art. 1010 § 1 lit. b) EuG-VerfO H. Ordnungsgemäße Klageerhebung (Form) - Art. 21 EuGH-Satzung, Art. 38 EuGH-VerfO, Art. 44 EuG-VerfO I. Rechtsschutzbedürfnis - fehlt nur wenn Fehlerhaftigkeit des Rechtsaktes mittlerweile behoben oder Rechtsakt selbst aufgehoben ist - Ausnahme: Wiederholungsgefahr, Klärung essentieller Rechtsfragen der Union, Haftungsfragen WD 11 – 3000 – 143/12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 28 WD 11 – 3000 – 143/12 2. Untätigkeitsklage gemäß Art. 265 AEUV A. Zuständigkeit - Art. 256 Abs. 1 AEUV i.V.m. Art. 51 EuGH-Satzung - Klagen von Gemeinschaftsorganen und Mitgliedstaaten: EuGH - Klagen von natürlichen und juristischen Personen: EuG B. Aktive Parteifähigkeit - Art. 265 Abs. 1 AEUV privilegierte Kläger: Mitgliedstaaten, EP, Europäischer Rat, Rat, Kommission, Rechnungshof, EZB, nicht der Gerichtshof - Art. 265 Abs. Abs. 3 nicht privilegierte Individualkläger: natürliche und juristische Personen C. Passive Parteifähigkeit - Art. 265 Abs. 1 AEUV: EP, Europäischer Rat, Rat, Kommission, EZB, Einrichtungen und sonstige Stellen der Union D. Klagegegenstand - Privilegierte Kläger: Verletzung des Unionsrechts durch das Unterlassen, einen Beschluss zu fassen bzw. tätig zu werden - Nicht privilegierte Kläger: Verletzung des Unionsrechts durch das Unterlassen einen anderen Akt als eine Empfehlung oder Stellungnahme an den Kläger zu richten: adressatenbezogene oder den Kläger unmittelbar und individuell betreffende verbindliche Rechtsakte E. Klagebefugnis bzw. -berechtigung - privilegierte Kläger: kein Nachweis einer Klagebefugnis erforderlich - nicht privilegierte Kläger: o kein Nachweis erforderlich, wenn ein an den Kläger gerichteter Akt begehrt wird o sonst Nachweis einer unmittelbaren und individuellen Betroffenheit (Plaumann- Formel) F. Klagegrund - Art. 265 Abs. 1 AEUV: Geltendmachung einer Verletzung von Primär- oder Sekundärrecht durch das Unterlassen G. Vorverfahren - 265 Abs. 2 AEUV: Aufforderung an das Organ, die Einrichtung oder sonstige Stelle, tätig zu werden und keine Stellungnahme der jeweiligen Stelle binnen 2 Monaten H. Klagefrist - Art. 265 Abs. 2 S. 2 AEUV: Klageerhebung binnen zwei Monaten nach Ablauf der Stellungnahmefrist - Fristberechnung nach Art. 80 § 1 lit. b) EuGH-VerfO bzw. Art. 1010 § 1 lit. b) EuG-VerfO I. Ordnungsgemäße Klageerhebung (Form) - Art. 21 EuGH-Satzung, Art. 38 EuGH-VerfO, Art. 44 EuG-VerfO J. Rechtsschutzbedürfnis - fehlt nur in Ausnahmefällen - wird Beklagter nach Klageerhebung tätig, Erledigung der Hauptsache mit negativer Kostenfolge für den Beklagten 15 Frenz, a.a.O., S. 841, Rn. 2903. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung Seite 29 WD 11 – 3000 – 143/12 3. Schadensersatzklage gemäß Art. 268, 340 Abs. 3 AEUV A. Zuständigkei t - Art. 268, 256 AEUV i.V.m. Art. 51 EuGH-Satzung: EuG B. Aktive Parteifähigkeit - nicht ausdrücklich normiert, aber durch Rechtsprechung entwickelt: jede natürliche und juristische Person, die nach dem Klagevortrag einen Schaden erlitten hat C. Passive Parteifähigkeit - 340 Abs. 3: EZB D. Klagegegenstand - Streitigkeit über einen in Art. 340 Abs. 2, 3 AEUV vorgesehenen Schadensersatzanspruch (außervertragliche Haftung) E. Klagebefugnis - nicht erforderlich F. Vorver fahren - nicht erforderlich, hemmt aber die Verjährung nach Art. 46 EuGH-Satzung G. Klagefrist - Art. 46 EuGH-Satzung: 5 Jahre nach Eintritt des schädigenden Ereignisses (str. ob von Amts wegen zu prüfende Zulässigkeitsvoraussetzung oder Einrede im Rahmen der Begründetheit ) H. Ordnungsgemäße Klageerhebung (Form) - Art. 21 EuGH-Satzung, Art. 38 EuGH-VerfO, Art. 44 EuG-VerfO I . Rechtsschutzbedürfnis - fehlt bei anderweitigen Rechtsschutzmöglichkeiten