Deutscher Bundestag Zu den europarechtlichen Vorgaben für eine Präklusion von Einwänden von Umweltschutzverbänden zu Belangen des Umweltund Naturschutzes in gerichtlichen Verfahren Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste Wissenschaftliche Dienste WD 11 - 3000 - 142/12 Seite 2 Zu den europarechtlichen Vorgaben für eine Präklusion von Einwänden von Umweltschutzverbänden zu Belangen des Umwelt- und Naturschutzes in gerichtlichen Verfahren Aktenzeichen: WD 11 - 3000 - 142/12 Abschluss der Arbeit: 4.09.2012 Fachbereiche: WD 11: Europa, Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste WD 11 - 3000 - 142/12 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Zum europarechtlichen Prüfungsmaßstab 4 3. Zur Vereinbarkeit von Offenlegungspflichten aller Informationen von Umweltverbänden zu projektrelevanten Umwelt- und Naturschutzbelangen mit dem Recht der Europäischen Union 6 4. Europarechtliche Spielräume für Präklusionsregelungen im Umweltverwaltungsrecht 9 Wissenschaftliche Dienste WD 11 - 3000 - 142/12 Seite 4 1. Fragestellung Umweltverbände nehmen im Rahmen der Öffentlichkeitsbeteiligung bei Großprojekten eine bedeutsame Verfahrensstellung ein. Nach geltendem deutschen Recht sind Umweltverbände im Grundsatz klagebefugten Personen gleichgestellt. Sie können insb. die in § 2 des Umwelt- Rechtsbehelfsgesetzes (UmwRG) vorgesehenen Rechtsbehelfe in Anspruch nehmen. Klagebefugt sind danach anerkannte in- und ausländische Vereinigungen im Sinne von § 3 UmwRG, die keine Verletzung eigener, wohl aber solcher Rechte geltend machen müssen, die Individualinteressen schützen. Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat mit seiner Entscheidung vom 12. Mai 2011 (Rs. C-115/09) zum Trianel Kohlekraftwerk Lünen1 die Möglichkeit von Umweltverbänden erweitert, Genehmigungen von Vorhaben mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt gerichtlich überprüfen zu lassen. Nach Auffassung des EuGH können Umweltverbände die Verletzung von aus dem Unionsrecht hervorgegangenen Umweltschutz-Vorschriften geltend machen, und zwar unabhängig davon, ob diese Normen nur die Interessen der Allgemeinheit oder individuelle Rechtsgüter schützen. Mit Blick auf diese Rechtsentwicklung soll der Frage nachgegangen werden, ob in Übereinstimmung mit dem Recht der Europäischen Union (EU) Umweltverbände verpflichtet werden dürfen, nach Aufforderung und gegen Kostenerstattung alle ihnen zur Verfügung stehenden Informationen zu projektrelevanten Umwelt- und Naturschutzbelangen in einem frühen Planungsstadium offen zu legen, weiterhin, ob eine Präklusions-Regelung dergestalt mit EU-Recht vereinbar wäre, nach der nach Offenlegung oder Verweigerung der Offenlegung dieser Informationen im Stadium des Planungsverfahrens klageberechtigte Verbände sich in einem späteren Klageverfahren darauf nicht mehr berufen könnten. 2. Zum europarechtlichen Prüfungsmaßstab Vorgaben für die Öffentlichkeitsbeteiligung enthält das von der Bundesrepublik Deutschland am 15. Januar 2007 ratifizierte Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (Aarhus-Konvention - AK).2 Die EU hat die Konvention am 17. Februar 2005 ratifiziert.3 1 abrufbar unter http://curia.europa.eu/juris/liste.jsf?language=de&jur=C,T,F&num=115/09&td=ALL 2 vom 25.6.1988, ABl 2005, Nr. L 124, S. 4 3 dazu die Übersicht zum Stande der Ratifikation der Vereinten Nationen, abrufbar unter: http://treaties.un.org/Pages/ViewDetails.aspx?src=TREATY&mtdsg_no=XXVII-13&chapter=27&lang=en Wissenschaftliche Dienste WD 11 - 3000 - 142/12 Seite 5 Das Vertragswerk umfasst drei Säulen: Gewährleistung des Zugangs der Öffentlichkeit zu den im Besitz der öffentlichen Stellen befindlichen Umweltinformationen Förderung der öffentlichen Beteiligung an umweltrelevanten Entscheidungen Erleichterung des Zugangs zu Gerichten in Umweltangelegenheiten Art. 9 AK enthält Vorgaben für den Zugang zu den Gerichten bei Verletzungen des Informationszugangsrechts, die aus der Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren herrühren oder bei Verstößen gegen umweltrechtliche Bestimmungen. Im Einzelnen regelt die AK Beschwerdemöglichkeiten bzw. Klagemöglichkeiten bei Verstößen gegen den Informationsanspruch gegen Behörden (Art. 9 Abs. 1 AK) bei Verstößen gegen Recht auf Öffentlichkeitsbeteiligung nach Art. 6 AK (Art. 9 Abs. 2 AK). Art. 9 Abs. 4 und 5 AK enthalten darüber hinaus Grundsätze, die in vorstehenden Verfahren beachtet werden müssen. Alle diese Verfahren müssen einen angemessenen und effektiven Rechtsschutz gewährleisten (Art. 9 Abs. 4 S. 1 1. HS AK), zudem fair, gerecht und zügig und nicht übermäßig teuer ausgestaltet sein (Art. 9 Abs. 4 S. 1 2. HS AK). Art. 9 Abs. 5 AK verpflichtet die Vertragsstaaten dazu, zur Effektivität der in der AK geregelten Überprüfungsverfahren der Öffentlichkeit Informationen zu diesen Verfahren zur Verfügung zu stellen. Wesentliche Regelungen der AK wurden durch Sekundärrechtsakte in das Recht der Europäischen Union umgesetzt. Zum einen durch die Richtlinie 2003/4/EG über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen.4 Zum anderen durch die Richtlinie 2003/35/EG über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme.5 Mit dieser Richtlinie wurden der UVP-Richtlinie 85/337/EWG6 und der IVU- Richtlinie 96/61/EG7 Regelungen zu mitgliedsstaatlichen Rechtsschutzverfahren eingefügt. Der 4 Richtlinie 2003/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen und zur Aufhebung der Richtlinie 90/313/EWG des Rates, ABl. L 41/26, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2003:041:0026:0032:DE:PDF 5 Richtlinie 2003/35/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten, Abl. L 156/17, abrufbar unter: http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2003:156:0017:0024:DE:PDF 6 Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, ABl. Nr. L 175 vom 5. Juli 1985 S.40, abrufbar unter: http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:31985L0337:DE:HTML 7 Richtlinie 96/61/EG des Rates vom 24. September 1996 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung, ABl. L 257 vom 10.10.1996, S. 26, abrufbar unter: http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CONSLEG:1996L0061:20060224:DE:PDF Wissenschaftliche Dienste WD 11 - 3000 - 142/12 Seite 6 vorgelegte Entwurf einer Richtlinie über den Zugang zu den Gerichten in Umweltangelegenheiten8 wurde nicht abschließend beraten. 3. Zur Vereinbarkeit von Offenlegungspflichten aller Informationen von Umweltverbänden zu projektrelevanten Umwelt- und Naturschutzbelangen mit dem Recht der Europäischen Union Mögliche Offenlegungspflichten von Umweltverbänden auf Grundlage der Aarhus-Konvention und des europäischen Sekundärrechts Nach Art. 4 Abs. 1 AK ist jede Vertragspartei verpflichtet sicherzustellen, dass die Behörden im Rahmen der innerstaatlichen Rechtsvorschriften der Öffentlichkeit Informationen über die Umwelt auf Antrag zur Verfügung stellen. Behörden i.S.d. AK sind nach Art. 2 Nr. 2 AK neben den Stellen öffentlicher Verwaltung auch „natürliche oder juristische Personen, die aufgrund innerstaatlichen Rechts Aufgaben der öffentlichen Verwaltung, einschließlich bestimmter Pflichten, Tätigkeiten oder Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Umwelt, wahrnehmen“ (Art. 2 Nr. 2 b AK)9 sowie „sonstige natürliche oder juristische Personen, die unter der Kontrolle einer unter Buchstabe a oder Buchstabe b genannten Stelle oder einer dort genannten Person im Zusammenhang mit der Umwelt öffentliche Zuständigkeiten haben, öffentliche Aufgaben wahrnehmen oder öffentliche Dienstleistungen erbringen“ (Art. 2 Nr. 2 c AK). Da Umweltverbände weder staatliche Verwaltungsaufgaben im Zusammenhang mit der Umwelt wahrnehmen noch unter Kontrolle der in Art. 2 Nr. 2 b, c AK genannten Personen und Institutionen stehen, sich mithin nicht als Behörden i.S.d. Art. 2 Nr. 2 qualifizieren lassen, unterliegen Umweltverbände keinen Informationspflichten nach Art. 4 AK. Die die erste Säule der Aarhus-Konvention umsetzende Richtlinie 2003/4/EG über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen10 gewährt in Art. 3 einen Zugangsanspruch auf Umweltinformationen gegenüber Behörden, die nach Art. 2 Nr. 2. der Richtlinie in gleicher Weise wie in Art. 2 AK definiert werden. Auch dieser auf Grundlage des EU-Rechts definierte Informationsanspruch richtet sich nicht gegen Umweltverbände. Können Offenlegungspflichten von Umweltverbänden am EU-Recht gemessen werden? Auch wenn nicht erkennbar eine auf Grundlage des Rechts der Europäischen Union beruhende Verpflichtung für Umweltverbände besteht, ihnen vorliegende Informationen zu Umwelt- und Naturschutzbelangen vorzulegen, schließt dies nicht aus, dass die Einführung einer solchen Verpflichtung an den Recht der EU zu messen wäre. 8 KOM 2003 (624) end., ABL C 103E vom 29. April 2004, abrufbar unter: http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2003:0624:FIN:DE:PDF 9 vgl. dazu auch von Danwitz, NVwZ 2004, S. 272 (274) 10 Richtlinie 2003/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28.01.2003 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen und zur Aufhebung der Richtlinie 90/313/EWG des Rates, ABl. L 41 vom 14.2.2003, S. 26, abrufbar unter: http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2003:041:0026:0032:DE:PDF Wissenschaftliche Dienste WD 11 - 3000 - 142/12 Seite 7 Sind personenbezogene Daten betroffen? Art. 16 Abs. 1 AEUV und Art. 8 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) verbürgen primärrechtlich den Schutz personenbezogener Daten. Eine sekundärrechtliche Ausprägung hat das Recht in den Datenschutzrichtlinien, insbesondere die Richtlinie 95/46/EG11, erfahren. Der Umfang des Grundrechts wird also durch das Gemeinschaftsrecht konkretisiert.12 Die Unionsgrundrechte gelten im Grundsatz im Anwendungsbereich des Unionsrechts.13 Der Anwendungsbereich der Grundrechtecharta ist nur dann eröffnet, wenn Organe oder Einrichtungen der EU oder die Mitgliedstaaten EU-Recht, also Primär- und Sekundärrecht der EU, durchführen (Art. 51 GRCh). Was darunter genau zu verstehen ist, ist umstritten. Der Grundrechtekonvent hat sich gegen die Formulierung „bei Anwendung des Gemeinschaftsrechts“ entschieden und stattdessen den Ausdruck „bei der Durchführung des Rechts der Union“ bevorzugt.14 Mit dieser Formulierung sollte die vom EuGH vorgenommene bisherige weite Anwendung der Unionsgrundrechte auf alle unionsrelevanten Sachverhalte, insbesondere auf Bereiche, die die Grundfreiheiten betreffen, eingeschränkt werden.15 Die Grundrechtecharta findet also dann Anwendung, wenn die Mitgliedstaaten durch Erlass eines Rechtsaktes EU- Vorgaben umsetzen oder aufgrund von EU-Recht Verwaltungstätigkeiten vornehmen.16 Da das europäische Sekundärrecht sehr weitreichend den Datenschutz regelt, dürften nur wenige Felder bestehen, in denen nur das Datenschutzrecht der Mitgliedstaaten Anwendung findet, was nur bei rein innerstaatlichen Vorgängen vorstellbar ist.17 Es kann allerdings nicht angenommen werden, dass es sich bei den von Umweltverbänden offen zu legenden Informationen zu Umwelt- und Naturschutzbelangen um personenbezogene Daten i.S.d. Art. 16 AEUV, Art. 8 GRCh handelt. Die RL 95/46/EG definiert personenbezogene Daten als alle Informationen über bestimmte oder bestimmbare natürliche Personen (Art. 2 lit. a RL 95/46/EG). Daher kann das beabsichtigte Regelungsvorhaben nicht an europäischem Datenschutzrecht gemessen werden. 11 Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:31995L0046:de:html . 12 Bernsdorff, Norbert, in: Meyer, Jürgen (Hrsg.), Kommentar zur Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 3. Auflage, Baden-Baden 2010, Art. 8 GRCh, Rdn. 14; Schorkopf, Frank, in: Ehlers, Dirk (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, 3. Auflage, Berlin 2009, S. 520. So auch die Erläuterungen des Präsidiums des Konvents. 13 EuGH, 18.06.1991, Rs. C-260/89, Slg. 1991, I-2925 14 Siehe hierzu die Zusammenfassung der Diskussion im Konvent bei Borowsky, in: Meyer, Jürgen (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 51, Rdn. 2 ff. 15 Borowsky, in: Meyer, Jürgen (Hrsg.), Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 51, Rdn.24. 16 Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 51, Rdn. 16. 17 Sobotta, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union, Art. 16 AEUV Rdn. 14 Wissenschaftliche Dienste WD 11 - 3000 - 142/12 Seite 8 Vereinbarkeit mit dem Grundrecht auf Berufs- und wirtschaftliche Betätigungsfreiheit (Art. 15, 16 GRCh) Sehr fraglich ist auch, ob die erwogenen Informationspflichten von Umweltverbänden an dem Grundrecht der Berufs- und wirtschaftliche Betätigungsfreiheit (Art. 15 und 16 GRCh) gemessen werden können. Der EuGH erkennt in ständiger Rechtsprechung die Berufsfreiheit als „allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts an“.18 Die Berufsfreiheit in Art. 15 und die Unternehmerfreiheit in Art. 16 GRCh gewährleisten sowohl die selbständige als auch die unselbständige berufliche Tätigkeit im Sinne einer umfassenden wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit.19 Der Begriff der wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit wurde in der Rechtsprechung des EuGH bislang nicht eindeutig definiert. Aus den Erläuterungen des Präsidiums des Grundrechtekonvents ergibt sich jedoch, dass die unternehmerische Freiheit im Wesentlichen als Ausprägung der Berufsfreiheit zu verstehen ist.20 Daher umfasst der Gewährleistungsbereich des Gemeinschaftsgrundrechts jede Wirtschafts- oder Geschäftstätigkeit eines Unternehmens, mithin jede dem Erwerb dienende Tätigkeit, die auf Dauer angelegt ist.21 Für Umweltverbände als zivilgesellschaftliche Organisation trifft dies naturgemäß nicht zu. Ob Art. 15/16 GRCh nach Art. 51 GRCh Anwendung finden, kann daher dahinstehen. Vereinbarkeit mit dem Eigentumsrecht (Art. 17 GRCh) Der Schutzbereich des Eigentumsrechts nach Art. 17 GRCh umfasst alle Rechtspositionen auf Grundlage von Rechtsvorschriften, die die Beziehungen zwischen Privatrechtssubjekten regeln wie insb. das Sacheigentum, Pfandrechte oder vertraglich begründete Forderungen.22 Geschützt wird auch das geistige Eigentum, allerdings nur in dem Maße, in dem ihr Inhaber ein Ausschließlichkeitsrecht an immateriellen Gütern geltend machen kann,23 nicht aber, soweit diese Güter von jedermann verwendet werden können,24 wovon bei Informationen zu Umwelt- und Naturschutzbelangen auszugehen ist. Ob Art. 17 GRCh nach Art. 51 GRCh Anwendung findet, kann mithin dahinstehen. 18 EuGH, 14.05.1974, Rs. 4/73, „Nold“, Slg. 1974, 491 ff.; EuGH, 13.12.1979, Rs. 44/79, „Hauer“, Slg. 1979, 3727 ff.; EuGH, 5.10.1994, Rs. C-280/93, „Deutschland/Rat“, Slg. 1994, I-4973 Tz. 78 ff.; EuGH, 10.03.1998, Rs. C- 122/95 „Deutschland/Rat“, Slg. 1998, I-973 Tz. 74 ff.; EuGH, 14.12.2004, Rs. C-210/03, „Swedish Match AB/Secretary of State for Health“, Slg. 2004, I-11893 Tz. 72 ff. 19 Ruffert, Matthias, in: Calliess, Christan/Ruffert, Matthias, Das Verfassungsrecht der Europäischen Union, 3.Auflage 2007, Art. 15 GRCh, Rdn. 4 mit Hinweis auf EuGH, Verb. Rs. 63/84 und 147/84, Slg. 1985, 2857, Rdn. 23 (Finsider). 20 Bernsdorff, Norbert, in: Meyer, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 3. Auflage 2011, Art. 16 GRCh, Rdn. 1. 21 Vgl. Jarass, Hans, EU-Grundrechte, § 21 Rdn. 6; Ruffert, Matthias, in: Ehlers, Dirk (Hrsg.), Europäische Grundrechte und Grundfreiheiten, § 16 Rdn. 11. 22 Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2010, Art. 17 Rdn. 8 23 Charta-Erläuterungen, ABl. 2007 C 303/23 24 EuGH, 13.12.1994, Rs. 306/93, Slg. 1994, I-5555 Wissenschaftliche Dienste WD 11 - 3000 - 142/12 Seite 9 Soweit ersichtlich stünde eine rechtliche Verpflichtung von Umweltverbänden, die ihnen vorliegenden Informationen zu Umwelt- und Naturschutzbelangen offenzulegen, nicht im Widerspruch zum Recht der Europäischen Union. 4. Europarechtliche Spielräume für Präklusionsregelungen im Umweltverwaltungsrecht Das deutsche Verbandsklagerecht sieht bereits Präklusionsregelungen vor. § 2 Abs. 3 Umwelt- Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG) normiert einen Einwendungsausschluss für zur Einlegung von Rechtsbehelfen berechtigte Verbände: „(3) Hat die Vereinigung im Verfahren nach § 1 Abs. 1 Gelegenheit zur Äußerung gehabt, ist sie im Verfahren über den Rechtsbehelf mit allen Einwendungen ausgeschlossen, die sie im Verfahren nach § 1 Abs. 1 nicht oder nach den geltenden Rechtsvorschriften nicht rechtzeitig geltend gemacht hat, aber hätte geltend machen können.“ Hiernach besteht ein Ausschluss der Nachprüfung von Einwendungen in gerichtlichen Verfahren, die ein Verband bereits im Verwaltungsverfahren hätte geltend machen können, dies aber nicht oder nicht rechtzeitig getan hat.25 Damit können Umweltverbände auch von im Verwaltungsverfahren nicht vorgebrachten Einwänden , zu denen Umweltverbände Informationen haben, die den Behörden nicht vorliegen. Vergleichbare Regelungen sehen §§ 61 Abs. 3 BNatSchG, 3 Abs. 3 Satz 2 2. Halbs. BbauG; 10 Abs. 3, 4 BImSchG, 73 Abs. 4 Satz 3 VwVfG und 43a Nr. 7 EnWG vor. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat dazu klargestellt, dass Naturschutzverbände zur Vermeidung dieser Präklusionswirkung sich „…bereits im Verwaltungsverfahren mit dem vorhandenen Material unter naturschutzfachlichen Gesichtspunkten kritisch auseinandersetzen müssen. Je umfangreicher und intensiver die vom Vorhabenträger bereits vorgenommene Begutachtung und fachliche Bewertung in den ausgelegten Planunterlagen ausgearbeitet ist, umso intensiver muss auch die Auseinandersetzung mit dem vorhandenen Material ausfallen. Damit sollen die Naturschutzverbände angehalten werden, ihre Sachkunde bereits im Verwaltungsverfahren einzubringen (vgl. Urteile vom 22. Januar 2004 – BVerwG 4 A 4.03 - Buchholz 406.400 § 61 BNatSchG 2002 Nr. 4 S. 27 f. und vom 1. April 2004 – BVerwG 4 C 2.03 - . BVerwGE 120, 276… Beschluss vom 12. April 2005 – BVerwG 9 VR 41.04…). Dieses Ziel würde verfehlt, wenn die Verbände eine eigenständige, auf den von der Behörde ermittelten Tatsachen" beruhende" naturschutzfachliche Bewertung erst im Klageverfahren vorbringen könnten…“ Die UVP-Richtlinie 85/337/EWG normiert in Art. 10a Zugangsvoraussetzungen für die Anrufung der nationalen Gerichte durch die betroffene Öffentlichkeit: 25 Vgl. dazu Schlacke/Schrader/Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht. Aarhus-Handbuch, 2009, S. 437 f. Wissenschaftliche Dienste WD 11 - 3000 - 142/12 Seite 10 „Artikel 10a Die Mitgliedstaaten stellen im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften sicher, dass Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit, die a) ein ausreichendes Interesse haben oder alternativ b) eine Rechtsverletzung geltend machen, sofern das Verwaltungsverfahrensrecht bzw. Verwaltungsprozessrecht eines Mitgliedstaats dies als Voraussetzung erfordert, Zugang zu einem Überprüfungsverfahren vor einem Gericht oder einer anderen auf gesetzlicher Grundlage geschaffenen unabhängigen und unparteiischen Stelle haben, um die materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit von Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen anzufechten, für die die Bestimmungen dieser Richtlinie über die Öffentlichkeitsbeteiligung gelten. Die Mitgliedstaaten legen fest, in welchem Verfahrensstadium die Entscheidungen, Handlungen oder Unterlassungen angefochten werden können. Was als ausreichendes Interesse und als Rechtsverletzung gilt, bestimmen die Mitgliedstaaten im Einklang mit dem Ziel, der betroffenen Öffentlichkeit einen weiten Zugang zu Gerichten zu gewähren. Zu diesem Zweck gilt das Interesse jeder Nichtregierungsorganisation, welche die in Artikel 1 Absatz 2 genannten Voraussetzungen erfüllt, als ausreichend im Sinne von Absatz 1 Buchstabe a) dieses Artikels. Derartige Organisationen gelten auch als Träger von Rechten, die im Sinne von Absatz 1 Buchstabe b) dieses Artikels verletzt werden können. Dieser Artikel schließt die Möglichkeit eines vorausgehenden Überprüfungsverfahrens bei einer Verwaltungsbehörde nicht aus und lässt das Erfordernis einer Ausschöpfung der verwaltungsbehördlichen Überprüfungsverfahren vor der Einleitung gerichtlicher Überprüfungsverfahren unberührt, sofern ein derartiges Erfordernis nach innerstaatlichem Recht besteht. Die betreffenden Verfahren werden fair, gerecht, zügig und nicht übermäßig teuer durchgeführt. Um die Effektivität dieses Artikels zu fördern, stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass der Öffentlichkeit praktische Informationen über den Zugang zu verwaltungsbehördlichen und gerichtlichen Überprüfungsverfahren zugänglich gemacht werden.“ Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) hat in seiner wegweisenden Entscheidung zur Öffentlichkeitsbeteiligung an umweltbezogenen Entscheidungsverfahren vom 15. Oktober 200926 auf die ihm vorgelegte Frage, „…ob Art. 10a der Richtlinie 85/337 verlangt, dass die Mitglieder der betroffenen Öffentlichkeit die von einer der nationalen Gerichtsbarkeit eines Mitgliedstaats zugehörigen Stelle erlassene Entscheidung über den Antrag auf Genehmigung eines Projekts anfechten können, obwohl sie die Möglichkeit hatten, sich an dem Verfahren über den Genehmigungsantrag vor dieser Stelle zu beteiligen und sich in diesem Verfahren zu äußern.“ entschieden, 26 EuGH, 15.10.2009, C-263/08 Wissenschaftliche Dienste WD 11 - 3000 - 142/12 Seite 11 „dass es den Mitgliedern der betroffenen Öffentlichkeit im Sinne von Art. 1 Abs. 2 und Art. 10a der Richtlinie 85/337 möglich sein muss, die von einer der nationalen Gerichtsbarkeit eines Mitgliedstaats zugehörigen Stelle erlassene Entscheidung über den Antrag auf Genehmigung eines Projekts anzufechten, gleichviel, welche Rolle sie in dem Verfahren über den Genehmigungsantrag vor dieser Stelle durch ihre Beteiligung an und ihre Äußerung in diesem Verfahren spielen konnte.“27 Das Gericht stellte zudem klar: „Zum einen ist das Anfechtungsrecht nach Art. 10a der Richtlinie 85/337 unabhängig davon, ob die Behörde, die die angefochtene Entscheidung oder Maßnahme erlassen hat, verwaltungsbehördlichen oder gerichtlichen Charakter hat. Zum anderen unterscheidet sich die Beteiligung am umweltbezogenen Entscheidungsverfahren unter den Voraussetzungen der Art. 2 Abs. 2 und 6 Abs. 4 der Richtlinie 85/337 von einer gerichtlichen Anfechtung und hat auch eine andere Zielsetzung als diese, da sich eine solche Anfechtung gegebenenfalls gegen die am Ende dieses Verfahrens ergehende Entscheidung richten kann. Diese Beteiligung hat daher keine Auswirkungen auf die Voraussetzungen für die Ausübung des Anfechtungsrechts.“28 Die Generalanwältin Sharpston hatte in ihren Schlussanträgen die Ansicht vertreten, dass beteiligungsbefugte nichtstaatliche Organisationen unabhängig von einer vorherigen Beteiligung am Verwaltungsverfahren eine „weitgehende“ Klagebefugnis haben. „Zusammenfassend hat eine nichtstaatliche Organisation, die sich als „betroffene Öffentlichkeit“ an einem Umweltverträglichkeitsprüfungsverfahren beteiligt, auch eine weitgehende Klagebefugnis, wenn sie sich dazu entschließt, die Entscheidung der Behörden bei den Gerichten anzufechten. Jedoch ist der Zugang zu den Gerichten nicht die Folge einer vorhergehenden Beteiligung am Verwaltungsverfahren. Der Wortlaut der Bestimmung zeigt sehr gut, dass die Türen des Art. 10a sich öffnen, wenn eine Umweltschutzorganisation die Voraussetzungen des Art. 1 Abs. 2 erfüllt, da er ihr dann den Status einer „betroffenen Öffentlichkeit“ verleiht.“29 „Darüber hinaus räumt meines Erachtens die Tatsache, dass es am Anfang von Art. 10a heißt, dass ein Recht auf Zugang zu den Gerichten „im Rahmen [der] innerstaatlichen Rechtsvorschriften“ verliehen wird, den Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Bestimmung keine zusätzlichen Befugnisse ein. Diese Wendung nimmt meiner Meinung nach Bezug auf einen Umstand, der hervorgehoben werden muss: Die Bestimmungen über den Zugang zu den Gerichten sind im prozessualen Rahmen eines jeden Mitgliedstaats anzuwenden. Dies bedeutet, dass natürliche oder juristische Personen und Umweltorganisationen neben den 27 EuGH, 15.10.2009, C-263/08 Rdn. 39 28 EuGH, 15.10.2009, C-263/08 Rdn. 38 29 Schlussanträge der Generalanwältin Eleanor Sharpston vom 2. Juli 2009 in der Rechtssache C-263/08 Rdn. 43, abrufbar unter: http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=72567&pageIndex=0&doclang=DE&mode=lst &dir=&occ=first&part=1&cid=408410 Wissenschaftliche Dienste WD 11 - 3000 - 142/12 Seite 12 Rechten, die ihnen Art. 10a zuweist, den Vorschriften über die nationale gerichtliche Zuständigkeit, Fristen, Prozessfähigkeit usw. unterliegen, die das nationale Prozessrecht vorsieht.“30 “Insgesamt ziehe ich den Schluss, dass die vorherige Beteiligung aufgrund von Art. 6 der geänderten Richtlinie 85/337 keine allgemeine Bedingung für den Zugang der „betroffenen Öffentlichkeit“ zu den Gerichten ist. Jedoch hat eine nichtstaatliche Umweltschutzorganisation, die die Voraussetzungen erfüllt, um „betroffene Öffentlichkeit“ im Sinne des Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie zu sein, gemäß Art. 10a der Richtlinie automatisch das Recht auf Zugang zu den Gerichten.“ Bereits im seiner Entscheidung in der Rechtssache Peterbroeck31 vertrat der EuGH die Ansicht, das Gemeinschaftsrecht stehe der Anwendung nationaler Verfahrensvorschriften entgegen, die es den nationalen Gerichtet verbietet, von Amts wegen die Vereinbarkeit eines innerstaatlichen Rechtsaktes mit einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts zu prüfen, wenn sich kein Verfahrensbeteiligter innerhalb einer bestimmten Frist auf diese Vorschrift beruft. Diese Entscheidung dürfte allerdings die Europarechtskonformität der im deutschen Verwaltungsrecht vorgesehenen Präklusionsregelungen nicht in Frage stellen, da diese nicht von gerichtlichen Prüfungspflichten dispensieren, sondern lediglich u.U. einen Sachvortrag in einem gerichtlichen Verfahren ausschließen.32 Der Ausschluss einer Rügemöglichkeit führt nicht zu einer Beschränkung der gerichtlichen Prüfmöglichkeit. Der unionsrechtliche Effektivitätsgrundsatz dürfte mithin unter diesem Aspekt nicht beeinträchtigt sein.33 Der EuGH verweist in seiner Entscheidung aus dem Jahre 2009 auf die für die nationalen Gesetzgeber bestehenden Gestaltungsspielräume, die es zulassen, nur solchen Vereinigungen Rechtsschutzmöglichkeiten zu eröffnen, die natur- und umweltschutzbezogene Ziele verfolgen.34 Zulässig sei auch, gerichtliche Anfechtungsmöglichkeiten an einer Mindestmitgliederzahl zu binden, um sicherzustellen, dass eine Vereinigung existiert und tätig ist. Die Mindestmitgliederzahl dürfe allerdings nicht so hoch angesetzt werden, dass das von der Richtlinie 85/337 verfolgte Ziel, die gerichtliche Kontrolle der unter der Richtlinie unterliegenden Verfahren „unschwer zu ermöglichen“, zuwiderliefe.35 In diesem Zusammenhang hebt der EuGH auch hervor, dass es die Richtlinie 85/337 keinesfalls zuließe, 30 Schlussanträge (Fußn.29) Rdn. 44 31 EuGH, 14.12.1995, Rs. C-312/93 32 von Danwitz, UPR 1996, S. 323 (327); Kahl, JZ 2012, S. 667 (672); Peine, Die Präklusion öffentlicher Belange, in: Ziekow (Hrsg.), Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, 1998, S. 249 (255 f.); Siegel, DÖV 2004, S. 589 (595); a.A. wohl Niedzwicki, Präklusionsvorschriften des öffentlichen Rechts im Spannungsfeld zwischen Verfahrensbeschleunigung, Einzelgerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit, 2007 und Oexle, Das Rechtsinstitut der materiellen Präklusion in den Zulassungsverfahren des Umwelt- und Baurechts, 2001, S. 55 (64 ff., 129) 33 von Danwitz, UPR 1996, S. 323 (327); Schlacke/Schrader/Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht. Aarhus-Handbuch, S. 446. 34 EuGH, 15.10.2009, C-263/08 Rdn. 44 ff.; vgl. dazu auch Schwerdfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aahus-Konvention, 2010, S. 285 35 EuGH, 15.10.2009, C-263/08 Rdn. 47 Wissenschaftliche Dienste WD 11 - 3000 - 142/12 Seite 13 „die Anfechtungsmöglichkeit mit der Begründung zu beschränken, dass die Betroffenen sich bereits in der Phase der Beteiligung am Entscheidungsverfahren nach Art. 6 Abs. 4 äußern konnten.“ Gestaltungsspielräume der EU-Mitgliedstaaten für gerichtliche Präklusionsregelungen aufgrund einer Beteiligungsmöglichkeit an einem der gerichtlichen Überprüfung vorausgehenden Verwaltungsverfahren bleiben an dieser Stelle unerwähnt, was den Schluss zulassen könnte, dass der EuGH offenbar der Ansicht ist, dass die Richtlinie 84/337 eine derartige Präklusion wohl ausschließt. Dafür spricht auch, dass die in den Entscheidungsgründen gewählten Formulierungen allgemein gehalten sind und nicht nur auf die schwedische Rechtslage abstellen.36 Andererseits kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Mitgliedstaaten die Vorgaben in Artikel 10a Richtlinie 85/339 im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften umzusetzen haben, was zeigt, dass diese Richtlinie Spielräume für ihre Umsetzung eröffnet. Im Schrifttum wird auch nach dieser Entscheidung des EuGH die Frage erörtert, ob damit noch Gestaltungsfreiräume für materielle Präklusionsregelungen im deutschen Verwaltungsprozessrecht bestehen. Hingewiesen wird in diesem Zusammenhang auf die Klausel »im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften« im Einleitungssatz des Art. 10a Richtlinie 85/339 und auf Art. 16 der IVU-Richtlinie37, die den Staaten erlaubt, eine Klage von Einzelpersonen und Verbänden davon abhängig zu machen, dass diese schon im Zulassungsverfahren Einwände erhoben haben.38 Andererseits wird geltend gemacht, dass ein Einwendungsausschluss das unionsrechtliche Effektivitätsgebot verletzt. Die Ausschlusswirkung sei an den Ablauf eng bemessener Einwendungsfristen des Fachplanungs- und Immissionsschutzrechts gebunden. Es fehle auch an einer aktiven behördlichen Information eines Umweltverbandes über die Auslegung der Unterlagen.39 Dies Einwände dürften allerdings nicht die Präklusionsregelung selbst in Frage stellen; soweit die bestehenden deutschen Regelungen und die Verwaltungspraxis mit dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz nicht vereinbar wären, ließe sich dem mit einer verbesserten Einbindung von Verbänden in Umweltverwaltungsverfahren Rechnung tragen. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) vertritt in ständiger Rechtsprechung die Ansicht, dass die im deutschen Verwaltungsrecht vorgesehenen Präklusionsregelungen im Sinne von § 2 Abs. 3 UmwG – auch mit Blick auf die Entscheidung des EuGH vom 16. Oktober 200940 - mit dem EU- 36 Darauf verweist auch Schwerdtfeger, Der deutsche Verwaltungsrechtsschutz unter dem Einfluss der Aahus- Konvention, S. 283 f. 37 Richtlinie 2008/1/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.01.2008 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung, ABl. 24/8 vom 29.01.2008, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2008:024:0008:0029:de:PDF 38 Bunge, ZUR 2010, S. 20 (24); Durner, Rechtspolitische Spielräume im Bereich der dritten Säule: Prüfungsumfang, Kontrolldichte, prozessuale Ausgestaltung und Fehlerfolgen, in: Durner/Walter (Hrsg.), Rechtspolitische Spielräume bei der Umsetzung der Aarhus-Konvention, 2005, S. 64 (87 f.) 39 Schlacke/Schrader/Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht. Aarhus-Handbuch, 2009, S. 446 40 BVerwG, 14,07.2011, 9 A 12/10; 14.09.2010, 7 B 15/10 Wissenschaftliche Dienste WD 11 - 3000 - 142/12 Seite 14 Recht vereinbar sind.41 Diese stünden im Einklang mit Art. 10a Abs. 1 der Richtlinie 85/337 sowie mit dem unionsrechtlichen Effektivitätsgebot. Durch die in Art. 10a Abs. 1 Richtlinie 85/337 normierte Einschränkung „im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften“ sei klargestellt, „dass die Ausgestaltung des Verfahrens Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten ist, und die Festsetzung angemessener Ausschlussfristen für die Geltendmachung von Rechtsbehelfen dem unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatz grundsätzliche genüge, weil sie ein Anwendungsfall des grundlegenden Prinzips der Rechtssicherheit sei.“ Das BVerwG sieht diese Rechtsauffassung auch in Einklang mit der Entscheidung des EuGH vom 15. Oktober 2009, da dieser ein Sachverhalt zugrunde läge, der Besonderheiten des schwedischen Rechts beträfe. Außerdem gehe auch der EuGH davon aus, dass Genehmigungen nach den Besonderheiten des nationalen Rechts anzufechten seien. Genüge die Festsetzung angemessener Ausschlussfristen für die Geltendmachung von Rechtsbehelfen im Grundsatz dem Erfordernis der Effektivität des Gemeinschaftsrechts, so sei nicht ersichtlich, weshalb die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben für nationale Ausschlussfristen auf die Beurteilung nationaler Präklusionsvorschriften als Regelung eines vorgezogenen Rechtsschutzes nicht übertragen werden können.42 Das BVerwG bewertet angemessene Ausschlussfristen für die Einlegung von Rechtsbehelfen und materielle Präklusionsregelungen als Ausprägung des unionsrechtlichen Grundsatzes der Rechtssicherheit, die seiner Ansicht nach mit dem Effektivitätsprinzip vereinbar sind.43 Von diesem Standpunkt aus sah das BVerwG keine Veranlassung, diese Rechtsfrage dem EuGH im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens vorzulegen. Dieser Rechtsauffassung hat sich soweit ersichtlich - die übrige verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung angeschlossen.44 Teile des Schrifttums vor der Entscheidung des EuGH vom 16. Oktober 2009 folgen dieser Ansicht allerdings nicht. Es wird geltend gemacht, dass materielle Präklusionsregelungen mit dem Sinn und Zweck der Regelung zur Vorabentscheidung (Art. 267 AEUV) unvereinbar seien und auch nicht – gestützt auf unionsrechtliche Grundsätze – gerechtfertigt werden könnten.45 Anders als gerichtliche Prüfverbote beschränken materielle Präklusionsregelungen, die den Sachvortrag von Verfahrensbeteiligten vor Gericht ausschließen, allerdings nicht die Möglichkeit der Gerichte der EU-Mitgliedstaaten, alle verfahrensrelevanten Rechtsfragen im Wege des 41 BVerwG, 14,07.2011, 9 A 12/10; 29.09.2011, 7 C 21/09; 14.09.2010, 7 B 15/10; 14.04.2010, 9 A 5/08; 11.11.2009, 4 B 57.09 42 BVerwG, 14.09.2010, 7 B 15/10 43 BVerwG, 14.09.2010, 7 B 15.10; dazu auch Kahl, JZ 2012, S. 667 (672) 44 OVG NRW, 20.01.2012, 2 D 141/09.NE; Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, 20.07.2011, 10 S 2102/09; OVG Sachsen, 22.06.2011, 5 B 562/06; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 18.02.2011, 22 CS 10.2460; OVG Lüneburg, 5.01.2011, 1 MN 178/10; Berlin-Brandenburg, 24.11.2010, OVG 12 A 3.10; VG Ansbach, 19.10.2011, AN 11 K 10.00643 45 Niedzwicki, Präklusionsvorschriften des öffentlichen Rechts im Spannungsfeld zwischen Verfahrensbeschleunigung, Einzelgerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit, 2007, S. 241 f, Wissenschaftliche Dienste WD 11 - 3000 - 142/12 Seite 15 Vorabverfahrens (Art. 267 AEUV) dem EuGH vorzulegen. In ständiger Rechtsprechung verweist der EuGH im Übrigen darauf, dass die Ausgestaltung von Verwaltungsverfahren Sache der innerstaatlichen Ordnung der Mitgliedstaaten sei, soweit das Gemeinschaftsrecht einschließlich der allgemeinen Grundsätze dafür keine besonderen Regelungen vorsieht.46 Es ist fernerhin nicht ersichtlich, inwieweit aus dem Primärrecht abgeleitete Verfahrensgrundsätze über die Vorgaben der bereits dargestellten sekundärrechtlichen Regelungen hinausgehen.47 Zusammenfassend ist festzustellen: Die Frage, ob Präklusionsregelungen im deutschen Umweltrecht mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar sind, ist im Schrifttum umstritten. Die deutsche Verwaltungsrechtsprechung vertritt mit Blick auf die einschlägige Rechtsprechung des EuGH und auf die im europäischen Sekundärrecht vorgesehenen Spielräume für die Ausgestaltung der verwaltungsgerichtlichen Verfahrensordnungen in den Mitgliedstaaten die Ansicht, dass die im deutschen Verwaltungsrecht vorgesehenen Präklusionsregelungen mit dem EU-Recht vereinbar sind. Bei einer Würdigung des derzeitigen Diskussionsstandes sind keine aus dem EU-Recht zu folgernden Gründe erkennbar, die eine Änderung der materiellen Präklusionsregelungen im deutschen Verwaltungsrecht erforderlich machten. - Fachbereich Europa - 46 EuGH, 12.12.2002, Rs C-470/99 ; 7.01.2004, Rs. C-201/02; dazu auch von Danwitz, DVBl 1998, S. 421 ff. 47 So auch Siegel, DÖV 2004, S. 589 (594)