© 2015 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 138/15, WD 3 – 3000 – 261/15 , WD Familiennachzug Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 138/15, WD 3 – 3000 – 261/15 Seite 2 Familiennachzug Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 138/15, WD 3 – 3000 – 261/15 Abschluss der Arbeit: 30.10.2015 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa (Punkte 2-4) WD 3: Verfassung und Verwaltung (Punkte 5-6) Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 138/15, WD 3 – 3000 – 261/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 2. Unionsrechtliches Nachzugsrecht 4 2.1. Wer kann Familienmitglieder zu sich holen? 4 2.2. Wer kann nachziehen? 6 2.3. Voraussetzungen eines Familiennachzugs 7 2.3.1. Soziale Absicherung 7 2.3.2. Erfüllung von Integrationsmaßnahmen 7 2.3.3. Zeitgrenze 8 3. Begrenzungsmöglichkeiten gemäß der Familienzusammenführungsrichtlinie 8 3.1. Begrenzung auf die Kernfamilie 8 3.2. Altersbegrenzung 8 3.3. Begrenzung aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung 9 4. Begrenzungsmöglichkeiten gemäß dem Primärrecht 9 5. Regelungen des AufenthG über die Aufenthaltsgewährung zum Zwecke des Familiennachzugs 11 6. Einschränkung des Rechts auf Familiennachzug durch den deutschen Gesetzgeber 12 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 138/15, WD 3 – 3000 – 261/15 Seite 4 1. Fragestellung Die folgende Ausarbeitung gibt einen Überblick über die Regelungen des Unionsrechts bezüglich der Aufenthaltsgewährung zum Zwecke des Familiennachzugs (2.). Anschließend befasst sich die Ausarbeitung mit der Frage der Unionsrechtskonformität der Begrenzung und des Ausschlusses des Rechts auf Familiennachzug. Dabei werden zunächst die Begrenzungsmöglichkeiten durch die Mitgliedstaaten im Rahmen der europäischen Sekundärrechtsvorgaben erörtert (3.). Eine Abänderung des europäischen Sekundärrechts durch den europäischen Gesetzgeber wäre am europäischen Primärrecht , insbesondere der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, zu messen (4.). Abschließend wird auf die Regelungen des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) bezüglich der Aufenthaltsgewährung zum Zwecke des Familiennachzugs (5.) und die Frage der Verfassungsmäßigkeit der Einschränkung des Rechts auf Familiennachzug eingegangen (6.). 2. Unionsrechtliches Nachzugsrecht Es gibt verschiedene Sekundärrechtsakte, die Vorgaben zum Familiennachzug enthalten. Insbesondere die Familienzusammenführungsrichtlinie 2003/86/EG1gestaltet das Recht auf Familiennachzug auf Unionsebene aus. Vorgaben zur Familienzusammenführung finden sich aber auch in der sog. Massenzustrom-Richtlinie 2001/55/EG2 und der Anerkennungsrichtlinie 2011/95/EU.3 2.1. Wer kann Familienmitglieder zu sich holen? Nach Art. 3 Abs. 1 der Familienzusammenführungsrichtlinie findet diese Anwendung, wenn der Zusammenführende im Besitz eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten Aufenthaltstitels mit mindestens einjähriger Gültigkeit ist, begründete Aussicht darauf hat, ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht zu erlangen, und seine Familienangehörigen Drittstaatsangehörige sind, wobei ihre Rechtsstellung unerheblich ist. Die Familienzusammenführungsrichtlinie beinhaltet nach Art. 3 Abs. 2 keine Rechte auf Familiennachzug für Drittstaatsangehörige, die einen der folgenden Status haben: Personen, die eine Anerkennung als Flüchtling beantragen Vorübergehend Schutzberechtigte und Personen, die vorübergehenden Schutz beantragen 1 Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung, ABl. 2003, L 251/12, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32003L0086&from=DE. 2 Richtlinie 2001/55/EG des Rates vom 20. Juli 2001 über Mindestnormen für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen und Maßnahmen zur Förderung einer ausgewogenen Verteilung der Belastungen, die mit der Aufnahme dieser Personen und den Folgen dieser Aufnahme verbunden sind, auf die Mitgliedstaaten, ABl. 2001, L 212/12, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32001L0055&from=DE. 3 Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. 2011, L 337/9, abrufbar unter http://eur-lex.europa .eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2011:337:0009:0026:de:PDF. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 138/15, WD 3 – 3000 – 261/15 Seite 5 Subsidiär Schutzberechtigte und Personen, die subsidiären Schutz beantragen Mithin gilt das Recht auf Nachzug aus der Familienzusammenführungsrichtlinie nur für anerkannte Flüchtlinge und Drittstaatsangehörige mit begründeter Aussicht auf den Erhalt des dauerhaften Aufenthaltsrechts.4 Vorübergehend Schutzberechtigte haben allerdings nach Art. 15 Abs. 3 der Massenzustrom- Richtlinie einen Anspruch auf Familienzusammenführung. Wenn Familienangehörige eines Drittstaatsangehörigen, der vorübergehenden Schutz in einem Mitgliedstaat genießt, sich noch nicht in einem Mitgliedstaat befinden, führt der Mitgliedstaat, in dem der Drittstaatsangehörige vorübergehenden Schutz genießt, die schutzbedürftigen Familienangehörigen mit dem Drittstaatsangehörigen zusammen. Die sog. Massenzustrom-Richtlinie, welche ausweislich ihrer Erwägungsgründe als Reaktion auf die Lage der Vertriebenen aus dem ehemaligen Jugoslawien erlassen worden war, erfordert nach Art. 5 Abs. 1 einen Beschluss des Rates, mit welchem dieser das Bestehen eines Massenzustroms von Vertriebenen feststellt. Aufgrund des Beschlusses des Rates wird nach Art. 5 Abs. 3 in allen Mitgliedstaaten der vorübergehende Schutz gemäß dieser Richtlinie zugunsten der Vertriebenen, die Gegenstand des Beschlusses sind, eingeführt. Für subsidiär Schutzberechtigte findet sich im europäischen Sekundärrecht keine solche ausdrückliche Regelung zum Familiennachzug. In Art. 23 der Anerkennungsrichtlinie wird vorgegeben , dass die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass der Familienverband aufrechterhalten werden kann. Nach Art. 23 Abs. 2 tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass die Familienangehörigen der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, die selbst nicht die Voraussetzungen für die Gewährung dieses Schutzes erfüllen, gemäß den nationalen Verfahren Anspruch auf die in den Artikeln 24 bis 35 genannten Leistungen haben, soweit dies mit der persönlichen Rechtsstellung des Familienangehörigen vereinbar ist. Art. 24 regelt den Anspruch auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels. Aus dem Verweis des Art. 23 Abs. 2 auf Art. 24 der Anerkennungsrichtlinie könnte sich ein Anspruch auf Familiennachzug (durch den Anspruch auf die Ausstellung eines Aufenthaltstitels) ableiten lassen. Allerdings sind als Familienangehörige nach Art. 2 lit. j der Anerkennungsrichtlinie nur die Mitglieder der Familie der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, zu qualifizieren, die sich im Zusammenhang mit dem Antrag auf internationalen Schutz in demselben Mitgliedstaat aufhalten, sofern die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat. Das bedeutet nach dem Wortlaut des Art. 2 lit. j im Umkehrschluss, dass in Bezug auf Familienmitglieder, die sich nicht im Mitgliedstaat befinden, in welchem der subsidiär Schutzberechtigte sich aufhält, kein Anspruch nach Art. 23 Abs. 2 der Anerkennungsrichtlinie besteht. Auf dieser Grundlage wird differenziert, dass die Familienzusammenführungsrichtlinie den Nachzug von Familienmitgliedern regele, die sich noch im Heimatstaat aufhalten, die Anerkennungsrichtlinie hingegen die Aufrechterhaltung des bereits in einem Mitgliedstaat bestehenden Familienverbundes.5. Aus der Anerkennungsrichtlinie folge mithin kein Anspruch auf Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte.6 Diese Differenzierung wird allerdings 4 Walter, Familienzusammenführung in Europa, 2009, S. 166. 5 VG Münster, Urt v. 30.7.2009, Rs. 8 K 169/09 (zitiert nach juris); Musekamp, Deutsche Migrationspolitik im Prozess der Europäisierung des Politikfeldes, 2004, S. 89. 6 Walter, Familienzusammenführung in Europa, 2009, S. 175. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 138/15, WD 3 – 3000 – 261/15 Seite 6 nicht überall so deutlich vorgenommen. Verschiedene deutsche Kommentierungen zu § 29 Aufenth G sprechen im Zusammenhang mit Art. 23, 24 Anerkennungsrichtlinie von dem Recht auf Familiennachzug.7 Die Rechtslage ist also nicht eindeutig. In diesem Zusammenhang sind die Ausführungen der EU-Kommission in ihrem Grünbuch zum Recht auf Familienzusammenführung von in der EU lebenden Drittstaatsangehörigen von Interesse. Dort hielt die Kommission fest, dass sich das Recht auf Familiennachzug bei Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten unterscheide. Sie schreibt: „Deshalb soll eine stärkere Annäherung der Rechte von Personen mit Anspruch auf subsidiären Schutz und den Rechten, die Flüchtlingen gewährt werden, angestrebt werden, wie in der Neufassung der Anerkennungsrichtlinie hervorgehoben wurde. Damit stellt sich die Frage, ob eine solche Annäherung nicht auch in Bezug auf die Familienzusammenführung stattfinden sollte, wozu der Anwendungsbereich der Richtlinie [gemeint ist die Familienzusammenführungsrichtlinie ] auf bestimmte Personengruppen geändert werden müsste.“8 Bisher ist eine solche Änderung nicht erfolgt. 2.2. Wer kann nachziehen? Nach Art. 4 Abs. 1 der Familienzusammenführungsrichtlinie erstreckt sich das Nachzugsrecht auf den Ehegatten des Zusammenführenden und die minderjährigen Kindern des Zusammenführenden und seines Ehegatten, einschließlich der Adoptivkinder. Gemäß Art. 10 Abs. 2 der Familienzusammenführungsrichtlinie können die Mitgliedstaaten weiteren Familienangehörigen die Familienzusammenführung gestatten, sofern der zusammenführende Flüchtling für ihren Unterhalt aufkommt. Nach Art. 10 Abs. 3 der Familienzusammenführungsrichtlinie gestatten die Mitgliedstaaten bei unbegleiteten, minderjährigen Flüchtlingen die Einreise und den Aufenthalt seiner Eltern. Die Mitgliedstaaten können zudem die Einreise und den Aufenthalt des gesetzlichen Vormunds oder eines anderen Familienangehörigen zum Zwecke der Familienzusammenführung gestatten, wenn der minderjährige Flüchtling keine Eltern hat oder diese unauffindbar sind. Art. 15 Abs. 1 der Massenzustrom-Richtlinie qualifiziert als Familienangehörige, mit denen eine Zusammenführung durch den Mitgliedstaat durchzuführen ist, den Ehegatten des vorübergehend Schutzberechtigten und die minderjährigen ledigen Kinder des vorübergehend Schutzberechtigten oder seines Ehegatten. Anderen engen Verwandten, die zum Zeitpunkt der den Massenzustrom auslösenden Ereignisse innerhalb des Familienverbands lebten und zu diesem Zeitpunkt für ihren Unterhalt vollständig oder größtenteils auf den vorübergehend Schutzberechtigten angewiesen waren, kann der Nachzug gestattet werden. Den Mitgliedstaaten steht insoweit ein Ermessen zu. Familienangehörige, die nach Art. 23 der Anerkennungsrichtlinie Anspruch auf Leistungen wie die Ausstellung eines Aufenthaltstitels haben, sind gemäß Art. 2 lit. j der Ehegatte und die minderjährigen Kinder der Person, der internationaler Schutz zuerkannt sowie die Eltern oder ein 7 Huber/Göbel-Zimmermann, Ausländer- und Asylrecht, 2. Aufl. 2008, Rn. 749; Hoffmann, in: Hofmann/Hoffmann , HK-AuslR, 1. Aufl. 2008, § 29 AufenthG, Rn. 18 ff. 8 Kommission, Grünbuch zum Recht auf Familienzusammenführung von in der Europäischen Union lebenden Drittstaatsangehörigen (Richtlinie 2003/86/EG), KOM(2011) 735 endgültig, abrufbar unter http://eur-lex.europa .eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2011:0735:FIN:DE:PDF. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 138/15, WD 3 – 3000 – 261/15 Seite 7 anderer Erwachsener, der für die Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, verantwortlich ist, wenn diese Person minderjährig und nicht verheiratet ist. Voraussetzung ist nach Art. 2 lit. j zudem, dass sich die Familienangehörigen im Zusammenhang mit dem Antrag auf internationalen Schutz in demselben Mitgliedstaat aufhalten und die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat. 2.3. Voraussetzungen eines Familiennachzugs Art. 7 Abs. 1 und 2 der Familienzusammenführungsrichtlinie machen den Familiennachzug von bestimmten Kriterien abhängig bzw. gestatten den Mitgliedstaaten, den Nachzug von bestimmten Kriterien abhängig zu machen. Der EuGH entschied diesbezüglich: „Da die Genehmigung der Familienzusammenführung die Grundregel darstellt, ist die durch Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie verliehene Befugnis eng auszulegen. Ferner darf der den Mitgliedstaaten eröffnete Handlungsspielraum von ihnen nicht in einer Weise genutzt werden, die das Richtlinienziel – die Begünstigung der Familienzusammenführung – und die praktische Wirksamkeit der Richtlinie beeinträchtigen würde.“9 2.3.1. Soziale Absicherung Nach Art. 7 Abs. 1 der Familienzusammenführungsrichtlinie können die Mitgliedstaaten den Nachweis verlangen, dass der Zusammenführende über angemessenen Wohnraum verfügt, eine Krankenversicherung für ihn selbst und seine Familienangehörigen, und feste und regelmäßige Einkünfte hat, die ohne Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen des betreffenden Mitgliedstaates für seinen eigenen Lebensunterhalt und den seiner Familienangehörigen ausreicht.10 Art. 12 Abs. 1 der Familienzusammenführungsrichtlinie sieht diesbezüglich eine Ausnahmeregelung für Flüchtlinge vor. Wenn der Antrag auf Familienzusammenführung innerhalb einer Frist von drei Monaten nach der Zuerkennung des Flüchtlingsstatus gestellt wurde, muss die Versorgungssicherheit nicht nachgewiesen werden. Die Mitgliedstaaten können aber, wenn eine Familienzusammenführung in einem Drittstaat möglich ist, zu dem eine besondere Bindung des Zusammenführenden und/oder Familienangehörigen besteht, einen Nachweis gemäß Art. 7 verlangen. 2.3.2. Erfüllung von Integrationsmaßnahmen Nach Art. 7 Abs. 2 können die Mitgliedstaaten gemäß dem nationalen Recht von Drittstaatsangehörigen verlangen, dass sie Integrationsmaßnahmen nachkommen müssen. Art. 7 Abs. 2 schränkt diese Anforderung in Bezug auf Flüchtlinge dergestalt ein, dass die Integrationsmaßnahmen erst Anwendung finden, wenn den betroffenen Personen eine Familienzusammenführung gewährt wurde. In Deutschland wurde als Integrationsmaßnahme mit § 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AufenthG ein 9 EuGH, Urt. v. 4.3.2010, Rs. C-578/08 – Chakroun, Rn. 43. 10 Vgl. § 27 Abs. 3 AufenthG und § 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, s. unten unter 5. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 138/15, WD 3 – 3000 – 261/15 Seite 8 Spracherfordernis für nachziehende Ehegatten eingeführt. Die Kommission sieht darin einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 2 der Familienzusammenführungsrichtlinie,11 eine Entscheidung des EuGH zu der Frage steht noch aus.12 2.3.3. Zeitgrenze Nach Art. 8 der Familienzusammenführungsrichtlinie dürfen die Mitgliedstaaten verlangen, dass sich der Zusammenführende während eines Zeitraums, der zwei Jahre nicht überschreiten darf, rechtmäßig auf ihrem Hoheitsgebiet aufgehalten hat, bevor seine Familienangehörigen ihm nachreisen .13 Für Flüchtlinge enthält Art. 12 Abs. 2 der Familienzusammenführungsrichtlinie insoweit eine Ausnahmeregelung. Die Mitgliedstaaten können demnach nicht von einem Flüchtling verlangen, dass er sich während eines bestimmten Zeitraums in ihrem Hoheitsgebiet aufgehalten hat, bevor seine Familienangehörigen ihm nachreisen. 3. Begrenzungsmöglichkeiten gemäß der Familienzusammenführungsrichtlinie Die Familienzusammenführungsrichtlinie gibt nur das Nachzugsrecht des Ehegatten und der minderjährigen Kinder in Art. 4 Abs. 1 für die Mitgliedstaaten verbindlich vor. Die Richtlinie eröffnet den Mitgliedstaaten in anderen Fragen Begrenzungsmöglichkeiten bzw. gewährt ihnen in bestimmten Fragen ein Ermessen. 3.1. Begrenzung auf die Kernfamilie Gemäß des Erwägungsgrundes 10 der Familienzusammenführungsrichtlinie ist es Sache der Mitgliedstaaten zu entscheiden, ob sie die Familienzusammenführung von Verwandten in gerader aufsteigender Linie, volljährigen unverheirateten Kindern, nicht ehelichen Lebenspartnern oder eingetragenen Lebenspartnerschaften, sowie im Falle einer Mehrehe, der minderjährigen Kinder des weiteren Ehegatten und des Zusammenführenden zulassen möchten.14 3.2. Altersbegrenzung Nach Erwägungsgrund 12 der Familienzusammenführungsrichtlinie kann das Recht auf Familienzusammenführung bei Kindern über 12 Jahre, die ihren Hauptwohnsitz nicht bei dem Zusammenführenden haben, eingeschränkt werden. So beinhaltet Art. 4 Abs. 1 der Familienzusammenführungsrichtlinie die Öffnungsklausel, wonach ein Mitgliedstaat bei einem Kind über 12 Jahre, das unabhängig vom Rest seiner Familie ankommt, prüfen kann, ob es ein zum Zeitpunkt der 11 Kommission, Schriftliche Erklärung der Kommission in der Sache C-155/11 – Imran v. 4.5.2011, Sj.g (2011) 540657, abrufbar unter http://www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/pdf/1340-11_DE_Stellungnahme %20KOM%20EuGH.pdf. 12 Tewocht, in: Kluth/Heusch (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Stand der Kommentierung: 8. Edition (August 2015),§ 30 AufenthG, Rn 28. 13 Vgl. beispielsweise § 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 lit. d AufenthG, s. unten unter 5. 14 Vgl. § 36 Abs. 2 AufenthG und § 27 Abs. 2 AufenthG, s. unten unter 5. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 138/15, WD 3 – 3000 – 261/15 Seite 9 Umsetzung der Richtlinie in den nationalen Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats vorgesehenes Integrationskriterium erfüllt, bevor er ihm die Einreise und den Aufenthalt gemäß dieser Richtlinie gestattet.15 Diese Beschränkung ist nach Art. 10 Abs. 1 bei Kindern von Flüchtlingen nicht anwendbar. Nach Art. 4 Abs. 6 der Familienzusammenführungsrichtlinie können die Mitgliedstaaten im Rahmen einer Ausnahmeregelung zudem vorsehen, dass die Anträge betreffend die Familienzusammenführung minderjähriger Kinder gemäß den im Zeitpunkt der Umsetzung dieser Richtlinie vorhandenen nationalen Rechtsvorschriften vor Vollendung des fünfzehnten Lebensjahres gestellt werden. Nach Art. 4 Abs. 5 der Familienzusammenführungsrichtlinie kann zudem der Ehegattennachzug im Hinblick auf das Alter begrenzt werden.16 Zur Förderung der Integration und zur Vermeidung von Zwangsehen können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass der Zusammenführende und sein Ehegatte ein Mindestalter erreicht haben müssen. Das Mindestalter darf höchstens auf 21 Jahre festgesetzt werden. 3.3. Begrenzung aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung Nach Art. 6 Abs. 1 der Familienzusammenführungsrichtlinie können die Mitgliedstaaten einen Antrag auf Einreise und Aufenthalt eines Familienangehörigen aus Gründen der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit oder der öffentlichen Gesundheit ablehnen. 4. Begrenzungsmöglichkeiten gemäß dem Primärrecht Eine eventuelle Abänderung der Familienzusammenführungsrichtlinie wäre am europäischen Primärrecht zu messen. In Erwägungsgrund 2 der Familienzusammenführungsrichtlinie steht, dass die Maßnahmen zur Familienzusammenführung in Übereinstimmung mit der Verpflichtung zum Schutz der Familie und zur Achtung des Familienlebens getroffen werden sollen. Die Richtlinie stehe im Einklang mit den Grundrechten und berücksichtige die Grundsätze, die insbesondere in Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Gr-Ch) anerkannt worden sind. Art. 7 Gr-Ch enthält wie Art. 8 EMRK das Recht jeder Person auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens. Art. 24 Abs. 3 Gr-Ch beinhaltet den Anspruch eines Kindes auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen. Allerdings geht die Familienzusammenführungsrichtlinie über die Vorgaben der EMRK und der Gr-CH hinaus. Art. 8 EMRK gewährt kein Recht auf Einreise und Aufenthalt zum Zweck der Familienzusammenführung in einem bestimmten Land.17 Auch aus Art. 7 Gr-Ch lässt sich nach der 15 Vgl. § 32 Abs. 2 AufenthG, s. unten unter 5. 16 Vgl. § 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 AufenthG, s. unten unter 5. 17 Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl. 2011, Art. 8, Rn. 64; Groenendijk, Familienzusammenführung als Recht nach Gemeinschaftsrecht, ZAR 2006, S. 191 (193). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 138/15, WD 3 – 3000 – 261/15 Seite 10 wohl herrschenden Meinung kein Anspruch auf Familiennachzug herleiten.18 Dieser Anspruch wird erst durch die Richtlinie begründet. Nach Ansicht des EuGH geht Art. 4 Abs. 1 der Familienzusammenführungsrichtlinie über die Vorgaben der EMRK und der Gr-Ch zum Recht auf Familienleben hinaus, indem er den Mitgliedstaaten präzise positive Verpflichtungen aufgibt, denen klar definierte subjektive Rechte entsprechen.19 Art. 4 Abs. 1 schreibe den Mitgliedstaaten in den in der Richtlinie festgelegten Fällen vor, den Nachzug bestimmter Mitglieder der Familie des Zusammenführenden zu genehmigen, ohne dass sie dabei ihren Ermessensspielraum ausüben könnten .20 Das EU-Parlament sah in den Beschränkungsmöglichkeiten des Familiennachzugs, welche die Familienzusammenführungsrichtlinie den Mitgliedstaaten eröffnet, eine Verletzung des Rechts auf Familienleben und hat daher vor dem EuGH gegen Art. 4 Abs. 1 und 6 sowie Art. 8 der Richtlinie geklagt.21 Der EuGH wertete die Bestimmungen der Richtlinie nicht als Verletzung des Rechts auf Familienleben. Er führte aus, dass die Verweigerung von Familiennachzug zwar einen Eingriff in das Recht auf Familienleben darstellen könne,22 betonte aber auch, dass weder Art. 8 EMRK noch die damals unverbindliche Gr-Ch subjektive Rechte für die Mitglieder einer Familie auf Aufnahme im Hoheitsgebiet eines Staates darstellen und dass den Staaten bei der Prüfung von Anträgen auf Familienzusammenführung ein Ermessensspielraum verbleibt.23 Mithin ist eine Beschränkung des Rechts auf Familiennachzug möglich, ohne dass dadurch zwangsläufig Art. 8 EMRK oder Art. 7 Gr-Ch verletzt werden. Entscheidend ist Art und Umfang der Beschränkung. Hier fehlt es an eindeutigen Vorgaben des EuGH. In Bezug auf die Klage des EU-Parlaments stützten sich seine Erwägungen im Wesentlichen auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.24 In früheren Urteilen hat der EuGH, entsprechend den Vorgaben der EMRK und der Rechtsprechung des EGMR, für eine zulässige Beschränkung des Rechts auf Familiennachzug (im Fall des Nachzugs eines Drittstaatsangehörigen zu seinem Ehegatten, der britischer Staatsangehöriger war) als Kriterien benannt, dass die Beschränkung gesetzlich vorgesehen, von berechtigten Zielen getragen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sein muss, d.h. durch ein zwingendes gesellschaftliches Bedürfnis gerechtfertigt und als Maßnahme verhältnismäßig.25 – Fachbereich Europa – 18 Jarass, Charta der Grundrechte der Europäischen Union, 2010, Art. 7, Rn. 24 („Art. 7 dürfte kein Recht auf Einreise oder Aufenthalt in der Union vermitteln.“). 19 EuGH, Urt. v. 27.6.2006, Rs. C-540/03 – Parlament/Rat, Rn. 60. 20 EuGH, Urt. v. 27.6.2006, Rs. C-540/03 – Parlament/Rat, Rn. 60. 21 EuGH, Urt. v. 27.6.2006, Rs. C-540/03 – Parlament/Rat, Rn. 31. 22 EuGH, Urt. v. 27.6.2006, Rs. C-540/03 – Parlament/Rat, Rn. 52 f. 23 EuGH, Urt. v. 27.6.2006, Rs. C-540/03 – Parlament/Rat, Rn. 59. 24 Beschorne/Petrowsky, Zulässigkeit gemeinschaftsrechtlicher Beschränkungen des Nachzugs Minderjähriger, ZAR 2007, S. 87 (93). 25 EuGH, Urt. v. 23.9.2003, Rs. C-109/01 – Akrich, Rn. 59; EuGH, Urt. v. 11.7.2002, Rs. C-60/00 – Carpenter, Rn. 42. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 138/15, WD 3 – 3000 – 261/15 Seite 11 5. Regelungen des AufenthG über die Aufenthaltsgewährung zum Zwecke des Familiennachzugs Der Aufenthalt ausländischer Familienangehöriger von in Deutschland lebenden Personen ist in §§ 27-36 AufenthG geregelt. Diese Regelungen gelten für Ausländer, die weder Unionsbürger noch Familienangehörige von Unionsbürgern sind.26 Der Familiennachzug ist im AufenthG sehr ausdifferenziert geregelt. Folgendes kann jedoch festgehalten werden27: Das AufenthG sieht grundsätzlich nur die Kernfamilie als nachzugsberechtigt an. Hierzu zählen Ehegatten28 und minderjährige, ledige Kinder (§ 30 und § 32 AufenthG). Auch ein Nachzug von Eltern minderjähriger, unbegleiteter Ausländer ist möglich (§ 36 Abs. 1 AufenthG). Sonstigen Familienangehörigen29 kann der Nachzug nur zur Vermeidung einer außergewöhnlichen Härte gewährt werden (§ 36 Abs. 2 AufenthG). Nachzugsberechtigt sind daher im Wesentlichen nur Kinder und Ehegatten von in Deutschland lebenden Deutschen und Ausländern. Im Mittelpunkt der Voraussetzungen für einen Familiennachzug steht nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG der Aufenthaltstitel des Zusammenführenden, also des Ausländers, zu dem der Familiennachzug stattfindet.30 Der bereits in Deutschland lebende Ausländer, zu dem der Familiennachzug stattfindet, muss grundsätzlich eine Niederlassungserlaubnis, eine Erlaubnis zum Daueraufenthalt -EU, eine Aufenthaltserlaubnis oder eine Blaue Karte EU besitzen. Bei dem derzeit vor allem betroffenen Personenkreis ist insbesondere die Tatbestandsvariante der Aufenthaltserlaubnis von Bedeutung.31 So erhält beispielsweise ein Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis, wenn er als 26 Die Regelungen des AufenthG finden allerdings auch Anwendung auf den Nachzug von Drittstaatsangehörigen zu Deutschen. 27 Die folgenden Ausführungen basieren unter anderem auf der Publikation des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge „Einreise und Aufenthalt aus familiären Gründen, 2012, abrufbar unter https://www.bamf.de/ SharedDocs/Anlagen/DE/Publikationen/Studien/2012-ehegattennachzug.pdf?__blob=publicationFile (letzter Abruf am 23.10.2015). 28 In § 27 Abs. 2 AufenthG werden die Vorschriften über den Familiennachzug auf Gemeinschaften von zwei gleichgeschlechtlichen Lebenspartnern im Sinne des Lebenspartnerschaftsgesetz für anwendbar erklärt. 29 Unter sonstigen Familienangehörigen sind alle außer den Ehegatten, den minderjährigen ledigen Kindern und den Eltern eines minderjährigen Kindes zu verstehen. In Betracht kommen insbesondere volljährige ledige und verheiratete, geschiedene oder verwitwete Kinder, Pflegekinder, Eltern volljähriger Kinder, Großeltern, Schwager/ Schwägerinnen, Onkel/Tanten und Neffen/Nichten, siehe Dienelt, in: Renner/Bergmann/Dienelt (Hrsg.), Ausländerrecht , Kommentar, 10. Aufl. 2013, § 36 AufenthG, Rn. 15. 30 Asylbewerber, Geduldete und abgelehnte Asylbewerber besitzen keinen Aufenthaltstitel in diesem Sinne und werden daher nicht von den Regelungen zum Familiennachzug erfasst. 31 Ausgeschlossen ist ein Familiennachzug, wenn der Ausländer zu dem der Nachzug stattfinden soll, eine Aufenthaltserlaubnis aufgrund einer in § 29 Abs. 3 S. 3 AufenthG genannten Fallkonstellation besitzt (beispielsweise Aufenthaltserlaubnis für nicht vollziehbar Ausreisepflichtige). Siehe zu den einzelnen Konstellationen Tewocht, in: Kluth/Heusch (Hrsg.), Beck’scher Online-Kommentar Ausländerrecht, Stand der Kommentierung: 8. Edition (August 2015), § 29 AufenthG, Rn. 10. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 138/15, WD 3 – 3000 – 261/15 Seite 12 Asylberechtigter anerkannt ist (§ 25 Abs. 1 AufenthG) oder wenn bei ihm die Flüchtlingseigenschaft nach der Genfer Flüchtlingskonvention oder die internationale subsidiäre Schutzberechtigung nach § 4 Asylverfahrensgesetz (§ 25 Abs. 2 AufenthG) festgestellt wurde. Außerdem soll gemäß § 25 Abs. 3 AufenthG auch einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 AufenthG vorliegt (national subsidiär Schutzberechtigter).32 Ginge man davon aus, dass das europäische Sekundärrecht die Mitgliedstaaten nicht dazu verpflichtet, den Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten zuzulassen33, so wäre festzustellen, dass das durch den deutschen Gesetzgeber gewährte Recht auf Familiennachzug insoweit großzügiger ausgestaltet ist. Darüber hinaus muss in der Regel auch der Lebensunterhalt desjenigen, zu dem der Familiennachzug stattfindet, ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gesichert sein (§ 27 Abs. 3 AufenthG) und ausreichender Wohnraum zur Verfügung stehen (§ 29 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). Für den Ehegattennachzug ist grundsätzlich erforderlich, dass beide Ehegatten das 18. Lebensjahr vollendet haben und dass der nachziehende Ehegatte sich zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann (§ 30 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 2 AufenthG).34 Für den Nachzug von Kindern, die bereits das 16. Lebensjahr, noch nicht aber das 18. Lebensjahr vollendet haben und getrennt von ihren Eltern einreisen, enthält § 32 Abs. 2 AufenthG besondere Voraussetzungen (Sprachkenntnisse oder positive Integrationsprognose). Diese gelten jedoch nicht für Kinder von Asylberechtigten, anerkannten Konventionsflüchtlingen oder international subsidiär Schutzberechtigten. Zusätzlich zu den speziellen Regelungen über den Familiennachzug in §§ 27 ff. AufenthG müssen in Bezug auf die nachziehende Person grundsätzlich auch die allgemeinen Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus § 5 AufenthG gegeben sein. Zu diesen zählt auch das Erfordernis der Unterhaltssicherung der nachziehenden Person (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). Für Asylberechtigte, anerkannte Konventionsflüchtlinge und international subsidiär Schutzberechtigte kann bzw. muss jedoch unter bestimmten Voraussetzungen vom Nachweis ausreichenden Wohnraums und eigenständiger Unterhaltssicherung abgesehen werden (§ 29 Abs. 2 AufenthG). 6. Einschränkung des Rechts auf Familiennachzug durch den deutschen Gesetzgeber Inwieweit der deutsche Gesetzgeber das Recht auf Familiennachzug einschränken kann, ergibt sich in erster Linie aus den europarechtlichen Vorgaben.35 Soweit das Europarecht dem deut- 32 Während beim Ehegattennachzug zu einem anerkannten Asylberechtigten, Genfer Konventionsflüchtling oder international subsidiär Schutzberechtigten keine weiteren Anforderungen an die Aufenthaltserlaubnis des Zusammenführenden gestellt werden, müssen im Fall einer nach § 25 Abs. 3 AufenthG erteilten Aufenthaltserlaubnis in Bezug auf den Aufenthaltstitel weitere Voraussetzungen für einen Familiennachzug (zum Beispiel erforderliche Voraufenthaltszeit) erfüllt sein. 33 Vgl. die Diskussion oben unter 2.1. 34 Zu den Ausnahmen von der Altersgrenze und dem Erfordernis deutscher Sprachkenntnisse siehe Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, Stand der Kommentierung: 79. EL November 2012, § 30 AufenthG, Rn. 49 ff. 35 Vgl. hierzu oben unter 2.-4. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 138/15, WD 3 – 3000 – 261/15 Seite 13 schen Gesetzgeber danach noch einen Spielraum zur Einschränkung des Rechts auf Familiennachzug einräumt, stellt sich die Frage nach den verfassungsrechtlichen Vorgaben für eine solche Beschränkung . Als Prüfungsmaßstab für die Frage der Verfassungsmäßigkeit einer Einschränkung oder eines Ausschlusses des Rechts auf Familiennachzugs kommt insbesondere der besondere Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 Grundgesetz (GG) in Betracht. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch in seinem Beschluss aus 1987 zum Ehegattennachzug klargestellt, dass weder Art. 6 Abs. 136 noch Art. 6 Abs. 2 S. 137 GG einen grundrechtlichen Anspruch von ausländischen Ehegatten oder Familienangehörigen auf Nachzug zu ihren berechtigterweise in Deutschland lebenden Ehegatten oder Familienangehörigen begründet.38 Das Grundgesetz überantworte es vielmehr weitgehend der gesetzgebenden und der vollziehenden Gewalt festzulegen, in welcher Zahl und unter welchen Voraussetzungen Ausländern der Zugang zum Bundesgebiet ermöglicht werde.39 Auch in seiner jüngeren Rechtsprechung vertritt das Bundesverfassungsgericht die Auffassung, dass Art. 6 GG keinen unmittelbaren Anspruch auf Aufenthalt gewähre.40 Dem Ziel der Begrenzung des Zuzugs von Ausländern dürfe von Verfassungs wegen erhebliches Gewicht beigemessen werden. In Bezug auf die geltende Rechtslage weist das Gericht jedoch darauf hin, dass der Träger des Grundrechts aus Art. 6 GG einen Anspruch darauf besitze, dass die zuständigen Behörden und Gerichte bei der Entscheidung über das Aufenthaltsbegehren seine familiären Bindungen an im Bundesgebiet lebende Personen angemessen berücksichtigten. – Verfassung und Verwaltung – 36 Art. 6 Abs. 1 GG: „Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.“ 37 Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG: „Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. 38 BVerfGE 76, 1 (1, 47 f., 51 f.). Siehe hierzu auch Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, Stand der Kommentierung : 84. EL Februar 2014, § 27 AufenthG, Rn. 13 ff.; Wolff, in: Umbach/Clemens (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar , 2002, Anhang zu Art. 6, Rn. 1 ff. 39 BVerfGE 76, 1 (47). Hieran anknüpfend die Argumentation der Bundesregierung in den Materialien des Gesetzgebungsverfahrens zur Umsetzung der Familienzusammenführungsrichtlinie, BT-Drs. 16/5065, S. 173. 40 BVerfG, Kammerbeschluss vom 8.12.2005 – Az.: 2 BvR 1001/04, Rn. 17 (zitiert nach juris).