© 2016 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 136/16 Unionsrechtliche Anforderungen an klinische Prüfungen mit nicht einwilligungsfähigen Personen Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Diese Ausarbeitung dient lediglich der bundestagsinternen Unterrichtung, von einer Weiterleitung an externe Stellen ist abzusehen. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 136/16 Seite 2 Unionsrechtliche Anforderungen an klinische Prüfungen mit nicht einwilligungsfähigen Personen Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 136/16 Abschluss der Arbeit: 20. September 2016 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 136/16 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 4 1.1. Vorgaben der VO 536/2014 4 1.2. Regierungsentwurf 5 1.3. Konkretisierung der Fragestellung 5 2. Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten gemäß Art. 31 Abs. 2 VO 536/2014 6 3. Folgerungen für die Vereinbarkeit von § 40b Abs. 4 S. 2 AMG-E mit Art. 31 Abs. 2 VO 536/2014 7 3.1. Regelung außerhalb des Handlungsbereichs 8 3.2. Regelung innerhalb des Handlungsbereichs 8 3.3. Stellungnahme 9 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 136/16 Seite 4 1. Fragestellung Der Fachbereich wird um Antwort auf die Frage gebeten, ob der in Art. 1 (Änderung des Arzneimittelgesetzes ) Nr. 11 des Vorschlags für ein viertes Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vorgesehene Entwurf des § 40b Abs. 4 S. 2 Arzneimittelgesetz (AMG-E)1 mit Art. 31 Abs. 2 der am 18 Mai 2016 in Kraft getretenen Verordnung (EU) Nr. 536/20142 (VO 536/2014) vereinbar ist. 1.1. Vorgaben der VO 536/2014 Art. 31 Abs. 2 VO 536/2014 bestimmt im Rahmen der besonderen Voraussetzungen für klinische Prüfungen mit nicht einwilligungsfähigen Prüfungsteilnehmern: „Absatz 1 Buchstabe g Ziffer ii lässt mögliche strengere nationale Regelungen unberührt, die die Durchführung derartiger klinischer Prüfungen an nicht einwilligungsfähigen Prüfungsteilnehmern verbieten, wenn keine wissenschaftlichen Gründe vorliegen, die erwarten lassen, dass eine Teilnahme an der klinischen Prüfung einen direkten Nutzen für den Prüfungsteilnehmer zur Folge hat, der die Risiken und Belastungen einer Teilnahme an der Prüfung überwiegt .“ Art. 31 Abs. 2 VO 536/2014 ist dabei im Zusammenhang mit Art. 31 Abs. 1 lit. g) Ziff. ii VO 536/2014 zu betrachten, wonach nicht einwilligungsfähige Prüfungsteilnehmer, sofern sie ihre Einwilligung nach Aufklärung nicht vor Verlust ihrer Einwilligungsfähigkeit erteilt oder sie diese verweigert haben, u.a. nur dann an klinischen Prüfungen teilnehmen dürfen, wenn „es gibt wissenschaftliche Gründe für die Erwartung, dass die Teilnahme an der klinischen Prüfung i) einen direkten Nutzen für den nicht einwilligungsfähigen Prüfungsteilnehmer zur Folge haben wird, der die Risiken und Belastungen überwiegt, oder ii) Nutzen für die repräsentierte Bevölkerungsgruppe, zu der der betroffene nicht einwilligungsfähige Prüfungsteilnehmer gehört, zur Folge haben wird, sofern die klinische Prüfung im direkten Zusammenhang mit dem lebensbedrohlichen oder zu Invalidität führenden klinischen Zustand steht, unter dem der Prüfungsteilnehmer leidet, und sofern die Prüfung den betroffenen nicht einwilligungsfähigen Prüfungsteilnehmer im Vergleich zur Standardbehandlung seiner Krankheit nur einem minimalen Risiko und einer minimalen Belastung aussetzt.“ 1 BT-Drs. 18/8034, S. 15. 2 Verordnung (EU) Nr. 536/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/20/EG, ABl. L 158 vom 27.5.2014, S. 1, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32014R0536&qid=1474216126567&from=DE. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 136/16 Seite 5 1.2. Regierungsentwurf Der Entwurf der Bundesregierung sieht in § 40b Abs. 4 S. 2 AMG-E im Rahmen der besonderen Voraussetzungen für die klinische Prüfung vor: „Bei einer volljährigen Person, die nicht in der Lage ist, Wesen, Bedeutung und Tragweite der klinischen Prüfung zu erkennen und ihren Willen hiernach auszurichten, darf eine klinische Prüfung im Sinne des Artikels 31 Absatz 1 Buchstabe g Ziffer ii der Verordnung (EU) Nr. 536/2014, die ausschließlich einen Nutzen für die repräsentierte Bevölkerungsgruppe, zu der die betroffene Person gehört, zur Folge haben wird (gruppennützige klinische Prüfung), nur durchgeführt werden, soweit eine Patientenverfügung nach § 1901a Absatz 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches die gruppennützige klinische Prüfung gestattet.“ Die Patientenverfügung der betroffenen Person gemäß § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB, die nach der Entwurfsbegründung „ergänzend zu den Voraussetzungen des Artikels 31 Absatz 1 und 3 der Verordnung (EU) Nr. 536/2014“3 für die Teilnahme eines nichteinwilligungsfähigen Erwachsenen an einer gruppennützigen klinischen Prüfung vorliegen muss, bildet demnach als 1. Schritt „die Grundlage für die konkrete Einwilligung nach einer umfassenden Aufklärung in die jeweilige klinische Prüfung durch den gesetzlichen Betreuer (2. Schritt).“4 Die Bundesregierung begründet die Regelung des § 40b Abs. 4 S. 2 AMG-E, wonach neben der Zustimmung des gesetzlichen Betreuers eine freiwillige Zustimmung in Form einer Patientenverfügung erforderlich ist, damit, dass hierdurch dem Selbstbestimmungsrecht der betroffenen Personenkreise Rechnung getragen werde.5 Der nationale Regelungsspielraum ergebe sich aus 31 Abs. 2 VO 536/2014. Weiterhin dürfe nach Art. 15 Abs. 1 S. 2 des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen6 niemand ohne seine freiwillige Zustimmung medizinischen oder wissenschaftlichen Versuchen unterworfen werden. Dementsprechend seien gruppennützige klinische Prüfungen weiterhin verboten, wenn die potenziellen Teilnehmer beispielsweise mangels Einwilligungsfähigkeit zu einem früheren Zeitpunkt gar keine Patientenverfügung abgeben können. 1.3. Konkretisierung der Fragestellung Der Regierungsentwurf ist an den in der VO 536/2014 normierten Voraussetzungen für die Durchführung einer klinischen Prüfung zu messen. Das Erfordernis einer Gestattung durch Patientenverfügung ist in den Voraussetzungen der Art. 28 und 31 Abs. 1 VO 536/2014 für Teilnahme eines nichteinwilligungsfähigen Erwachsenen an einer gruppennützigen klinischen Prüfung nicht vorgesehen. Im Hinblick auf eine mögliche Abweichung von den Voraussetzungen 3 BT-Drs. 18/8034, S. 46. 4 BT-Drs. 18/8034, S. 46. 5 BT-Drs. 18/8034, S. 46. 6 Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen , BGBl. II S. 1419. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 136/16 Seite 6 sieht die VO 536/2014 einen Handlungsspielraum für die Mitgliedstaaten vor, dass diese die gruppennützige klinischer Prüfung7 an nicht einwilligungsfähigen Prüfungsteilnehmern verbieten können, sofern sich die Prüfung keinen direkten, die Risiken und Belastungen einer Teilnahme an der Prüfung überwiegenden Nutzen für den Prüfungsteilnehmer erwarten lässt. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob das in §40b Abs. 4 S. 2 AMG-E vorgesehene Erfordernis einer Patientenverfügung über die Anforderungen der VO 536/2014 hinausgeht (hierzu 2.) und mit dem im Rahmen der VO 536/2014 bestehenden Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten vereinbar ist (hierzu 3.). 2. Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten gemäß Art. 31 Abs. 2 VO 536/2014 Die Möglichkeit, die Durchführung der klinischen Prüfung bei nichteinwilligungsfähige Personen mit einem Gruppennutzen zu rechtfertigen, war weder in der europäischen Vorgängerregelung,8 noch im Kommissionsentwurf9 für die spätere VO 536/2014 vorgesehen. Sowohl in der RL 2001/20/EG als auch in KOM(2012) 369 endg. war jeweils die Erwartung der Nützlichkeit der klinischen Prüfungen für den nicht einwilligungsfähigen Probanden Voraussetzung für dessen Teilnahme. Zudem konnte der Schutz für nichteinwilligungsfähige Prüfungsteilnehmer im Rahmen der Richtlinie 2001/20/EG durch nationales Recht umfassender geregelt werden, sofern der weitergehende Schutz mit den in der Richtlinie vorgesehenen Verfahren und Fristen vereinbar war.10 Hierbei bestand für die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, detaillierte Regelungen zum Schutz nichteinwilligungsfähiger Personen vor Missbrauch zu erlassen.11 Die VO 536/2014 harmonisiert nunmehr die Bestimmungen über die Rechte und Sicherheit der Patienten.12 Dementsprechend wird mit der VO 536/2014 der Handlungsspielraum für die Mitgliedstaaten zum eigenständigen Schutz von Prüfungsteilnehmern reduziert, um insbesondere 7 Zum Begriff vgl. v. Kielmansegg, Das Prinzip des Eigennutzens in der klinischen Arzneimittelprüfung, PharmR 2008, S. 517 ff. 8 Art. 5 i) Richtlinie 2001/20/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. April 2001 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Anwendung der guten klinischen Praxis bei der Durchführung von klinischen Prüfungen mit Humanarzneimitteln, ABl. L 121 vom 1.5.2001, S. 34, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32001L0020&from=DE. 9 Art. 30 h) des Vorschlags der Europäischen Kommission vom 17. Juli 2012 für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/20/EG, KOM(2012) 369 endg., , abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52012PC0369&from=DE. 10 Art. 3 Abs. 1 S. 1 Richtlinie 2001/20/EG, vgl. Pestalozza, Risiken und Nebenwirkungen: Die Klinische Prüfung von Arzneimitteln am Menschen nach der 12. AMG-Novelle, NJW 2004, S. 3374 (3376 ff.). 11 Art. 3 Abs. 1 S. 2 Richtlinie 2001/20/EG. 12 Vgl. KOM(2012) 369 endg., S. 13. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 136/16 Seite 7 durch das Mittel der Verordnung ein einheitliches Verfahren für die Einreichung von Anträgen auf Genehmigung klinischer Prüfungen und wesentlicher Änderungen zu gewährleisten.13 Die gruppennützige Rechtsfertigung wurde erst im Zuge des Rechtssetzungsverfahrens14 aufgegriffen und hierbei mit einer Opt-out-Möglichkeit der Mitgliedstaaten verbunden.15 Vor diesem Hintergrund lässt sich der Handlungsspielraum des Art. 31 Abs. 2 VO 536/2014 dahingehend verstehen, dass er den Mitgliedstaaten die Möglichkeit eröffnen soll, eine Interdependenz zwischen der Einwilligung eines Teilnehmers bzw. seines gesetzlichen Vertreters und der Teilnahme an einer auch eigennützigen und nicht lediglich gruppennützigen klinischen Prüfung sicherzustellen. Der Handlungsspielraum ist situativ mit der fehlenden wissenschaftlichen Begründung für einen direkten, die Risiken und Belastungen einer Teilnahme an der Prüfung überwiegenden Nutzen für den Prüfungsteilnehmer verbunden. Dementsprechend wird der mitgliedstaatliche Handlungsspielraums aus Art. 31 Abs. 2 VO 536/2014 dadurch bestimmt, dass sich die Verbotsmöglichkeit auf die Zulässigkeit einer gruppennützigen klinischen Prüfung (Art. 31 Abs. 1 lit. g) Ziff. ii VO 536/2014) bezieht und damit zugleich den Wesensunterschied zu einer eigennützigen klinischen Prüfung (Art. 31 Abs. 1 lit. g) Ziff. i VO 536/2014) markiert. Dies legt eine Auslegung des Handlungsspielraums nahe, wonach die Mitgliedstaaten Regelungen vorsehen können, die eine Teilnahme nichteinwilligungsfähiger Personen an lediglich gruppennützigen klinischen Prüfung verbieten. 3. Folgerungen für die Vereinbarkeit von § 40b Abs. 4 S. 2 AMG-E mit Art. 31 Abs. 2 VO 536/2014 Fraglich ist, ob sich die „überschießende Regelung“ des § 40b Abs. 4 S. 2 AMG-E im Rahmen des Handlungsspielraums bewegt, der für die Mitgliedstaaten im Rahmen des Art. 31 Abs. 2 VO 536/2014 besteht. 13 Vgl. KOM(2012) 369 endg., S. 12. 14 Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments vom 2. April 2014 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über klinische Prüfungen mit Humanarzneimitteln und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/20/EG (COM(2012)0369 – C7-0194/2012 – 2012/0192(COD)), P7_TA- PROV(2014)0273, S. 121 f., abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/sides/getDoc.do?pubRef=- //EP//TEXT+TA+P7-TA-2014-0273+0+DOC+XML+V0//DE#BKMD-33. 15 Vgl. den Standpunkt des Europäischen Parlaments (Dok. PE-CONS 2/14) sowie hierzu den I/A-Punkt-Vermerk, Rats-Dok. 8245/14 vom 7. April 2014 und zur Annahme den Vermerk vom 16. April 2014, Rats-Dok. 9075/14. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 136/16 Seite 8 3.1. Regelung außerhalb des Handlungsbereichs Die Teilnahme an einer klinischen Prüfung unterliegt dem Grundsatz der Einwilligung nach Aufklärung . Danach muss der Prüfungsteilnehmer oder, falls er nicht in der Lage ist, eine Einwilligung nach Aufklärung zu erteilen, sein gesetzlicher Vertreter zunächst über die Prüfung aufgeklärt werden (Art. 28 Abs. 1 lit. c), Art. 29 Abs. 2 bis 6 VO 536/2014), bevor er bzw. sein gesetzlicher Vertreter der Teilnahme zustimmen kann (Art. 28 Abs. 1 lit. b), Art. 29 Abs. 1, 7 und 8 VO 536/2014). Für nichteinwilligungsfähige Prüfungsteilnehmer werden die Teilnahmevoraussetzungen in Art. 31 Abs. 1 VO 536/2014 konkretisiert. Sofern sie ihre Einwilligung nach Aufklärung nicht vor Verlust ihrer Einwilligungsfähigkeit erteilt oder verweigert haben, dürfen sie nur unter den in Art. 31 VO 536/2014 genannten, Art. 28 VO 536/2014 insoweit ergänzenden Voraussetzungen teilnehmen. Hierzu zählt das Erfordernis, dass zuvor eine Einwilligung nach Aufklärung ihres gesetzlichen Vertreters eingeholt werden muss (Art. 31 Abs. 1 lit. VO 536/2014). Vor diesem Hintergrund lässt sich feststellen, dass die VO 536/2014 auch bei nichteinwilligungsfähige Prüfungsteilnehmern von einem einstufigen Zustimmungssystem ausgeht, wonach entweder die Einwilligung des Teilnehmers vor Verlust seiner Einwilligungsfähigkeit oder die Einwilligung des gesetzlichen Vertreters, jeweils nach ordnungsgemäßer Aufklärung, vorliegen muss. Die Einstufigkeit des Systems verdeutlicht zudem ein Vergleich mit den Vorgaben für klinische Prüfungen mit Minderjährigen (Art. 32 VO 536/2014): In diesem Kontext sieht die VO 536/2014 – im Unterschied zur Regelung betreffend die Teilnahme nichteinwilligungsfähiger Personen – vor, dass neben der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters auch die Einwilligung des Minderjährigen vorliegen kann.17 Vor diesem Hintergrund kann festgestellt werden, dass die in § 40b Abs. 4 S. 2 AMG-E vorgesehene Patientenverfügung von dem in der VO 536/2014 etablierten System abweicht, indem der Regierungsentwurf ausweislich der Begründung der Bundesregierung ein zweistufiges Einwilligungssystem vorsieht. Aus dieser Divergenz ließe sich folgern, dass der Regierungsentwurf den in Art. 31 Abs. 2 VO 536/2014 vorgesehenen Handlungsspielraum überschreitet. 3.2. Regelung innerhalb des Handlungsbereichs Demgegenüber lässt sich vertreten, dass das in § 40b Abs. 4 S. 2 AMG-E vorgesehene zweistufige Verfahren den Handlungsspielraum gemäß Art. 31 Abs. 2 VO 536/2014 insoweit nicht überschreitet , als hierdurch eine Teilnahme von nichteinwilligungsfähigen Personen an einer nur gruppennützigen klinischen Prüfung untersagt wird, sofern nicht auch eine im Zustand der Einwilligungsfähigkeit abgegebene Patientenverfügung vorliegt, der insoweit der Charakter einer Einwilligung des nunmehr nichteinwilligungsfähigen Teilnehmers zukommt. § 40b Abs. 4 S. 2 AMG-E lässt sich somit dahingehend auslegen, dass diese Norm – vergleichbar der Systematik eines Verbot mit Erlaubnisvorbehalts – in Übereinstimmung mit Art. 31 Abs. 2 VO 536/2014 die Teilnahme nichteinwilligungsfähiger Personen an einer nur gruppennützigen klinischen Prüfung 17 Vgl. dementsprechend den 32. Erwägungsgrund der VO 536/2014: „Von dieser Verordnung sollte nationales Recht unberührt bleiben, das vorschreibt, dass ein Minderjähriger, der in der Lage ist, sich eine Meinung zu bilden und die ihm erteilten Informationen zu bewerten, zusätzlich zu der Einwilligung nach Aufklärung durch den gesetzlichen Vertreter selbst der Teilnahme zustimmen muss, damit er an einer klinischen Prüfung teilnehmen kann.“ Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 136/16 Seite 9 grundsätzlich verbietet und mit dem zweistufigen Einwilligungssystem zugleich die Möglichkeit schafft, dass nichteinwilligungsfähig gewordene Personen trotzdem an nur gruppennützigen klinischen Prüfungen teilnehmen können. Vor diesem Hintergrund erscheint § 40b Abs. 4 S. 2 AMG-E aus hiesiger Sicht mit den Zielen und dem System der VO 536/2014 vereinbar. Dies betrifft insbesondere das Ziel der Harmonisierung der Zulassungsverfahren. Zudem sind die Bestimmungen der VO 536/2014 zum Schutz der Prüfungsteilnehmer und mithin auch die Opt-out-Möglichkeit des Art. 31 Abs. 2 VO 536/2014 am Maßstab der europäischen Grundrechte, insbesondere der Würde des Menschen (Art. 1 GRCh) und sein Recht auf Unversehrtheit (Art. 3 GRCh), zu messen.18 Gemäß Art. 3 Abs. 2 lit. a) GRCh dürfen Interventionen im Rahmen der Medizin oder Biologie nur mit freier Einwilligung des Betroffenen nach vorheriger Aufklärung vorgenommen werden. Ausweislich seiner Begründung dient der Regierungsentwurf gerade dem Ziel, die medizinische Intervention in Form der klinischen Prüfung auf die Einwilligung des Betroffenen zu stützen. Dementsprechend erscheint es aus hiesiger Sicht widersprüchlich , wenn eine Maßnahme zur Gewährleistung von Unionsgrundrechten durch ein enges Verständnis einer sekundärrechtlichen Vorgabe beschränkt würde. 3.3. Stellungnahme Aus hiesiger Sicht lässt die Analyse von § 40b Abs. 4 S. 2 AMG-E mit Art. 31 VO 536/2014 darauf schließen, dass die fragliche Regelung des AMG-E keine Erweiterung der Teilnahmevoraussetzungen für die klinische Prüfung, sondern ein spezifisch ausgestaltetes „Verbot mit Erlaubnisvorbehalt “ für die Teilnahme nichteinwilligungsfähiger Personen an nur gruppennützigen klinischen Prüfungen vorsieht. In dieser Auslegung überschreitet §40b Abs. 4 S. 2 AMG-E nicht den in Art. 31 Abs. 2 VO 536/2014 vorgesehenen Handlungsspielraum der Mitgliedstaaten. - Fachbereich Europa - 18 Vgl. dementsprechend Erwägungsgrund 27 VO 536/2014 mit Verweis auf die GRCh sowie das Erfordernis von besonderen Schutzmaßnahmen für nicht einwilligungsfähige Prüfungsteilnehmer.