PE 6-3000-135/18 (30. August 2018) © 2018 Deutscher Bundestag Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. Eine beabsichtigte Weitergabe oder Veröffentlichung ist vorab der Fachbereichsleitung anzuzeigen und nur mit Angabe der Quelle zulässig. Der Fachbereich berät über die dabei zu berücksichtigenden Fragen. Diese Kurzinformation dient lediglich der bundestagsinternen Unterrichtung, von einer Weiterleitung an externe Stellen ist abzusehen. Der Presseberichterstattung zufolge sollen 20 der auf dem im Hafen von Catania liegenden Schiff „Diciotti“ der italienischen Küstenwache befindenden, überwiegend aus Eritrea und Somalia stammenden Flüchtlinge nach Albanien überstellt werden, nachdem die albanische Regierung sich bereiterklärt hatte, diese aufzunehmen.1 Die Flüchtlinge durften inzwischen das Schiff verlassen . Sie sollen registriert und in Bussen nach Messina gebracht worden sein.2 Es ist um eine rechtliche Einschätzung gebeten worden, ob eine Überstellung von im Mittelmeer geretteten und in Häfen von EU-Mitgliedstaaten verbrachten Asylsuchenden in Nicht-EU-Staaten rechtlich zulässig ist. Nachfolgend wird im Rahmen der Zuständigkeit des Fachbereichs Europa eine Prüfung vorgenommen, ob dies mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar ist. Die ausweislich vorstehender Quellen vorliegenden Informationen lassen nur eine summarische Prüfung dieser Frage zu. 1. Prüfungsmaßstab Art. 33 Abs. 2 lit. c) Richtlinie 2013/32/EU zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes3 (nachfolgend: Asylverfahrens-Richtlinie) eröffnet den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig zu betrachten, „wenn ein Staat, der kein Mitgliedstaat ist, als für den Antragsteller sicherer Drittstaat gemäß Artikel 38 betrachtet wird“. 1 Juristen: Flüchtlinge dürfen nicht nach Albanien geschickt werden, dpa, 27. August 2018 15:57; Süddeutsche Zeitung, Ausgabe vom 27.08.2018; Spiegel Online, 26.08.2018; Berliner Zeitung, Ausgabe vom 24.08.2018. 2 Justiz ermittelt gegen Innenminister Salvini, Stuttgarter Zeitung, Ausgabe vom 27.08.2018. 3 Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes, ABl. L 180/60, abrufbar unter: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32013L0032&rid=1. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Kurzinformation Zur Überstellung von Asylbewerbern in Nicht-EU-Staaten Kurzinformation Zur Überstellung von Asylbewerbern in Nicht-EU-Staaten Fachbereich Europa (PE 6) Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Seite 2 Ein EU-Mitgliedstaat darf einen Drittstaat nach Art. 38 Abs. 1 Asylverfahrens-Richtlinie nur dann als sicher ansehen, wenn die zuständigen Behörden sich davon überzeugt haben, dass für internationalen Schutz suchende Personen Folgendes gewährleistet ist: keine Gefährdung von Leben und Freiheit aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität , der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung; keine Gefahr, einen ernsthaften Schaden im Sinne der Richtlinie 2011/95/EU zu erleiden; Wahrung des Grundsatzes der Nicht-Zurückweisung nach der Genfer Flüchtlingskonvention ; Einhaltung des Verbots der Abschiebung, wenn diese einen Verstoß gegen das im Völkerrecht festgelegte Verbot der Folter und grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung darstellt, und das Bestehen der Möglichkeit, einen Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft zu stellen und im Falle der Anerkennung als Flüchtling Schutz gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention zu erhalten. Haben sich die zuständigen Behörden vom Vorliegen dieser Erfordernisse überzeugt, erfordert die Anwendung des Konzepts des sicheren Drittstaates im jeweiligen Einzelfall, dass zwischen dem jeweiligen Asylbewerber und dem betreffenden Drittstaat eine Verbindung besteht, so dass es aufgrund dieser Verbindung vernünftig erscheint, dass dieser sich in diesen Staat begibt (Art. 38 Abs. 2 lit. a) Asylverfahrens-Richtlinie).4 In dem Erwägungsgrund 44 dieser Richtlinie wird hierzu ausgeführt: „Die Mitgliedstaaten sollten nicht verpflichtet sein, einen Antrag auf internationalen Schutz in der Sache zu prüfen, wenn vom Antragsteller aufgrund einer ausreichenden Verbindung zu einem Drittstaat im Sinne einzelstaatlicher Rechtsvorschriften erwartet werden kann, dass er in diesem Drittstaat Schutz suchen wird, und wenn Grund zu der Annahme besteht, dass die Übernahme oder Rückübernahme des Antragstellers in diesen Staat gewährleistet ist…“ 4 Vgl. dazu auch die Mitteilung der Kommission vom 10. Februar 2016 an das Europäische Parlament und den Rat zum aktuellen Stand der Umsetzung der Prioritäten im Rahmen der Europäischen Migrationsagenda, KOM(2016)85 endg., S. 21: „Nach der Asylverfahrensrichtlinie müssen die Mitgliedstaaten einen Asylantrag nicht im Einzelnen prüfen, wenn eine hinreichende Verbindung zu einem „sicheren Drittstaat“ besteht, in dem der Antragsteller um Schutz nachsuchen kann. Sind die Bedingungen hierfür erfüllt, kann der betreffende Mitgliedstaat das Asylverfahren beenden und den Asylbewerber in den sicheren Drittstaat rückführen. Bislang haben jedoch nicht alle Mitgliedstaaten die Anwendung dieser Möglichkeit in ihre nationalen Rechtsvorschriften aufgenommen, oder sie machen sie von strengen Auflagen abhängig.38 Alle Mitgliedstaaten sollten daher das Konzept des sicheren Drittstaats in ihre nationalen Rechtsvorschriften aufnehmen und anwenden, wenn die Bedingungen erfüllt sind. In diesem Zusammenhang weist die Kommission darauf hin, dass nach dem in der Asylverfahrensrichtlinie definierten Konzept des sicheren Drittstaats die Möglichkeit bestehen muss, Schutz auf der Grundlage der Genfer Flüchtlingskonvention zu erhalten, wobei nicht vorgeschrieben ist, dass der sichere Drittstaat die Konvention ohne geografischen Vorbehalt ratifiziert haben muss. Darüber hinaus kann im Hinblick auf die Frage, ob eine Verbindung zu dem fraglichen Drittstaat besteht und es daher vernünftig erscheint, dass der Antragsteller in dieses Land geht, auch berücksichtigt werden, ob der Antragsteller den fraglichen sicheren Drittstaat durchquert hat oder ob der Drittstaat geografisch in der Nähe des Herkunftslands des Antragstellers liegt.“ Kurzinformation Zur Überstellung von Asylbewerbern in Nicht-EU-Staaten Fachbereich Europa (PE 6) Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Seite 3 Diese Verbindung zum Drittstaat wird angenommen bei Bestehen familiärer oder kultureller Verbindungen oder bei einem (früheren) legalen Aufenthalt in dem betreffenden Drittstaat.5 Ein Asylbewerber muss zudem die Möglichkeit haben, die Anwendung des Drittstaatenkonzepts anzufechten mit der Begründung, dass der in Frage stehende Drittstaat für ihn aufgrund der besonderen Umstände in seinem Einzelfall nicht sicher ist oder dass zwischen diesem und ihm keine hinreichende Verbindung besteht (Art. 38 Abs. 2 lit. c) Asylverfahrens-Richtlinie). Nach Art. 38 Abs. 3 Asylverfahrens-Richtlinie sind die Mitgliedstaaten bei Durchführung einer Entscheidung nach dem Konzept des sicheren Drittstaats verpflichtet, Antragsteller entsprechend zu unterrichten und diesen ein Dokument auszuhändigen, in dem die Behörden des Drittstaats in der Sprache dieses Staats davon unterrichtet werden, dass der Antrag nicht in der Sache geprüft wurde. 2. Anwendung dieses Prüfungsmaßstabs auf die zu untersuchende Frage Die Presseberichterstattung erlaubt keine Feststellungen, ob die zuständigen italienischen Behörden sich davon überzeugt haben, dass Albanien entsprechend den Vorgaben des Art. 38 Abs. 1 Asylverfahrens-Richtlinie als sicherer Drittstaat anzusehen ist und ob die Verfahrenserfordernisse der Asylverfahrens-Richtlinie hinreichend Beachtung fanden bzw. – da die Überstellung offenbar noch nicht erfolgt ist – Beachtung finden werden. Eine pauschale Überstellung der in Frage stehenden Asylsuchenden an einen Drittstaat, ohne das die zuständigen Behörden im jeweiligen Einzelfall dazu Feststellungen treffen, dass zwischen dem jeweiligen Asylbewerber und dem betreffenden Drittstaat eine Verbindung besteht, dürfte nicht mit Art. 33 Abs. 2 lit. c), Art. 38 Abs. 2 lit. a) Asylverfahrens-Richtlinie vereinbar sein. - Fachbereich Europa - 5 Niehaus, ZAR 2017, 389 (392); Lübbe, ZAR 2017, (17); dies. ZAR 2015, 125 (127 f.); UNHCR, Revisiting the Dublin Convention, Some reflections by UNCHR in response to the Commission staff working paper, Nr. 5 lit. (ii) sowie UNHCR, Legal considerations on the return of asylum seekers and refugees from Greece to Turkey as part of the EU Turkey Cooperation in Tackling the Migration Crisis under the safe third country and first country of asylum concept, jeweils verfügbar unter http://www.unhcr.org.