© 2016 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 131/16 Möglichkeiten für eine zukünftige Zusammenarbeit der EU mit dem Vereinigten Königreich nach dem Brexit auf den Politikfeldern Inneres & Justiz Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Die Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Arbeiten des Fachbereichs Europa geben nur den zum Zeitpunkt der Erstellung des Textes aktuellen Stand wieder und stellen eine individuelle Auftragsarbeit für einen Abgeordneten des Bundestages dar. Die Arbeiten können der Geheimschutzordnung des Bundestages unterliegen, geschützte oder andere nicht zur Veröffentlichung geeignete Informationen enthalten. 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Status quo des Vereinigten Königreichs im Bereich der PJZS 7 2.2.1. Geltung von Regelungen, die vor dem Vertrag von Lissabon verabschiedet wurden 7 2.2.2. Geltung von Regelungen, die nach dem Vertrag von Lissabon verabschiedet wurden 8 2.2.3. Übersicht des Normenbestands im Bereich PJZS 10 2.2.3.1. Rechtsbestand des PJZS 10 2.2.3.2. Sonderbereiche des PJZS 11 2.2.3.2.1. Sonderfall: Schengen 11 2.2.3.2.2. Sonderfall: Prüm 12 2.2.3.2.3. Sonderfall: Europol 13 2.3. Status quo des Vereinigten Königreichs in anderen Rechtsgebieten des Bereichs Inneres und Justiz 14 2.3.1. Außengrenzen und Frontex 15 2.3.2. Asylrecht 16 2.3.3. Einwanderungsrecht 17 2.3.4. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen 18 3. Position des Vereinigten Königreichs seit dem Referendum 18 4. Position des Vereinigten Königreichs nach der Mitteilung gemäß Art. 50 EUV 19 4.1. Anwendung des Unionsrecht durch das Vereinigte Königreich 19 4.2. Beteiligung an EU-Gesetzgebung 20 4.2.1. Gesetzgebung im Bereich Inneres und Justiz 20 4.2.2. Gesetzgebung in Bezug auf den Schengen-Besitzstand 20 4.2.3. Zwischenergebnis 20 4.3. Beteiligung an Agenturen 21 5. Modelle der Zusammenarbeit der EU mit Nicht- Mitgliedstaaten 21 5.1. Rechtlicher Rahmen für die Zusammenarbeit der EU mit Drittstaaten 21 5.2. Beziehungen zu Norwegen 22 5.2.1. Das Assoziierungsübereinkommen Norwegens bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands (NSAA) 23 5.2.1.1. Übernahme von Unionsrecht in norwegisches Recht 23 5.2.1.2. Zusammenarbeit im Gemischten Ausschuss 24 5.2.1.3. Zusammenarbeit in Frontex 25 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 131/16 Seite 4 5.2.2. Übereinkommen über die Bestimmung des zuständigen Staats für die Prüfung eines Asylantrags (NDAA) 25 5.2.2.1. Übernahme von Unionsrecht in norwegisches Recht 25 5.2.2.2. Zusammenarbeit im Gemeinsamen Ausschuss 27 5.2.2.3. Zusammenarbeit in EASO 27 5.2.3. Die zwei Abkommen Norwegens mit Europol und Eurojust 27 5.2.4. Spezifische Zusammenarbeit im Bereich PJZS 28 5.2.4.1. Teilnahme am SIS II 28 5.2.4.2. Europäisches Strafregisterinformationssystem 29 5.2.4.3. Beteiligung an Prüm 29 5.2.4.4. Übereinkommen über das Übergabeverfahren 29 5.3. Beziehungen zur Schweiz 30 5.3.1. Das Assoziierungsabkommen der Schweiz bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands (SSAA) 31 5.3.1.1. Übernahme von Unionsrecht in schweizerisches Recht 31 5.3.1.2. Zusammenarbeit im Gemischten Ausschuss 32 5.3.1.3. Zusammenarbeit in Frontex 32 5.3.2. Abkommen über die Bestimmung des zuständigen Staats für die Prüfung eines Asylantrags (SDAA) 33 5.3.2.1. Übernahme von Unionsrecht in schweizerisches Recht 33 5.3.2.2. Zusammenarbeit im Gemeinsamen Ausschuss 33 5.3.2.3. Zusammenarbeit in EASO 34 5.3.3. Die zwei Abkommen der Schweiz mit Eurojust und Europol 34 5.3.4. Verbindung der EU-Schweiz-Abkommen untereinander 35 5.4. Beziehungen zu Drittstaaten, die nicht Schengen-Staaten sind 35 5.5. Zwischenergebnis 36 6. Fazit 37 6.1. Übernahme von Unionsrecht 37 6.2. Zugang zu Datenbanken 38 6.3. Beteiligung an Agenturen und Personalfragen 39 Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 131/16 Seite 5 1. Hintergrund und Fragestellung In dem Referendum am 23. Juni 2016 hat eine Mehrheit der Briten für den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union (EU) gestimmt.1 Die nachfolgende Ausarbeitung befasst sich mit den Konsequenzen des Referendums, insbesondere mit den Folgen einer Mitteilung des Vereinigten Königreichs nach Art. 50 des Vertrags über die Europäische Union (EUV), dass es aus der EU austreten will. Der Fokus liegt dabei für das Unionsrecht im Bereich Inneres und Justiz sowie insbesondere der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS). Es wird dafür zunächst die Rechtslage im Bereich Inneres und Justiz bis zum Referendum dargestellt mit einem Schwerpunkt auf der Beteiligung des Vereinigten Königreichs an Rechtsakten der EU im Bereich der PJZS (2.). Anschließend erfolgt eine Auseinandersetzung mit der Situation seit dem Referendum. Es wird zunächst untersucht, ob bereits das Referendum Konsequenzen für die Position des Vereinigten Königreichs in der EU hat (3.). Anschließend werden die Konsequenzen einer Austrittsmitteilung nach Art. 50 EUV untersucht (4.). Abschließend wird dargestellt , welche Möglichkeiten für eine Kooperation zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU im Bereich Inneres und Justiz nach einem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Union bestünden. Da noch nicht absehbar ist, welche Regelungen diesbezüglich im Einzelnen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich vereinbart werden, kann zur Orientierung nur ein Überblick über bisherige Kooperationsformen zwischen der EU und Drittstaaten, insbesondere der Schweiz und Norwegen, in diesem Bereich gegeben werden (5.). 2. Position des Vereinigten Königreichs im Bereich Inneres und Justiz bis zum Referendum 2.1. Entwicklung der Sonderrolle des Vereinigten Königreichs Bereits vor dem Referendum über einen Austritt aus der EU besaß das Vereinigte Königreich innerhalb der Union eine Sonderrolle im Bereich Inneres und Justiz. Der Bereich Inneres und Justiz war zunächst kein Bestandteil der Europäischen Gemeinschaft. Eine Zusammenarbeit in diesem Bereich erfolgte durch zwischenstaatliche Kooperationen wie beispielsweise das Abkommen von Schengen.2 Mit dem Vertrag von Maastricht wurde der Bereich Inneres und Justiz (darunter fielen u.a. die Außengrenzen, die Asylpolitik, die Einwanderungspolitik , die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen und in Strafsachen sowie die polizeiliche Zusammenarbeit) in das europäische Primärrecht aufgenommen und als Angelegenheiten 1 Vgl. auch Referat PE 2, EU-Sachstand Der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union – Nächste Schritte im Verfahren nach Artikel 50 EU-Vertrag, PE-Dok. 168/2016, abrufbar unter http://eudoxap 01.bundestag.btg:8080/eudox/dokumentInhalt?id=167082&latestVersion=true&type=5. 2 Böse, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 82 AEUV, Rn. 1. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 131/16 Seite 6 von gemeinsamem Interesse benannt. Sie wurden aber nicht vergemeinschaftet, sondern intergouvernemental behandelt.3 Durch den Vertrag von Amsterdam wurde ein Teil des Bereichs Inneres und Justiz (Außengrenzen , Asylpolitik, und Einwanderungsrecht sowie die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen) in supranationales Recht überführt.4 Nach Art. 1 des Protokolls über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands,5 welches mit dem Vertrag von Amsterdam erstellt wurde, beteiligten sich das Vereinigte Königreich (und Irland) allerdings nicht an dieser Vergemeinschaftung. Die Annahme von Maßnahmen durch den Rat in den Bereichen Visa, Asyl und Einwanderung galten daher für sie nicht, sofern sie sich nicht ausdrücklich für ein Opt-in gemäß Art. 3 oder 4 des Protokolls über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands entschieden. Der Bereich der PJZS blieb hingegen auch nach dem Vertrag von Amsterdam der intergouvernementalen Zusammenarbeit vorbehalten. Besondere Regelungen gelten für den Schengen-Besitzstand, der 1999 mit dem Vertrag von Amsterdam in den rechtlichen Rahmen der EU übernommen worden ist.6 Die Vorgaben für PJZS aus dem Schengen-Besitzstand sind wie der gesamte PJZS-Bereich intergouvernemental geblieben. Der andere Teil des Schengen-Besitzstands, die Normen zur Abschaffung von Grenzkontrollen an den Binnengrenzen, Einreise- und Visabestimmungen etc.7 sind hingegen mit dem Vertrag von Amsterdam in supranationales Recht überführt worden. In Bezug auf den gesamten Schengen- Besitzstand existiert seit dem Vertrag von Amsterdam eine Sonderregelung für das Vereinigte Königreich in dem Protokoll zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den Rahmen der EU.8 Nach Art. 4 dieses Protokolls konnten Irland und das Vereinigte Königreich, die durch den Schengen-Besitzstand nicht gebunden waren, beantragen, dass einzelne oder alle Bestimmungen dieses Besitzstands auch auf sie Anwendung finden sollen. Das Vereinigte Königreich ist seit 2000 durch den Beschluss 2000/365/EG9 an Schengen-Regelungen in den Bereichen der PJZS, 3 Vgl. Art. K.1 des Titels VI des Vertrags über die Europäische Union (in der Fassung des Vertrags von Masstricht ), ABl. C 191 vom 29.7.1992, S. 1 (61), abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:11992M/TXT&from=DE. 4 Böse, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 82 AEUV, Rn. 1. 5 Protokoll über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands, ABl. C 340 vom 10.11.1997, S. 99, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:11997D/TXT&from=DE. 6 Zeder, Britisches „pull-out“ aus der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen vor Lissabon: Splendid Isolation?, EuR 2013, S. 454; Meyer, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Vorbemerkungen zur strafjustiziellen und polizeilichen Zusammenarbeit, Rn. 12. 7 Röben, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 53. EL., Stand: Mai 2014, Art. 67 AEUV, Rn. 144 ff. 8 Protokoll zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den Rahmen der Europäischen Union, ABl. C 340 vom 10.11.1997, S. 93, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:11997D/TXT&from=DE 9 Beschluss 2000/365/EG des Rates vom 29. Mai 2000 zum Antrag des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland, einzelne Bestimmungen des Schengen-Besitzstands auf sie anzuwenden, ABl. L 131 vom 1.6.2000, S. 43, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32000D0365&qid=1470216308686&from=DE. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 131/16 Seite 7 der Drogenbekämpfung und dem Schengener Informationssystem (SIS) beteiligt.10 Mit dem Beschluss 2004/926/EG11 beschloss der Rat die Anwendung dieser Teile des Schengen-Besitzstands auf das Vereinigte Königreich mit Ausnahme des SIS. Erst mit dem Vertrag von Lissabon ist auch die PJZS vergemeinschaftet worden.12 Zugleich wurde dem Vereinigten Königreich durch das Protokoll Nr. 36 zum Vertrag von Lissabon13 die Möglichkeit eingeräumt, aus sämtlichen bisherigen Regelungen zur polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen auszutreten. Die Protokolle Nr. 19 und Nr. 21 zum Vertrag von Lissabon regeln die Möglichkeit des Vereinigten Königreichs sich durch ein Opt-in an neu erlassenen Regelungen im Bereich des Schengen-Besitzstands und im Bereich Inneres und Justiz zu beteiligen. 2.2. Status quo des Vereinigten Königreichs im Bereich der PJZS 2.2.1. Geltung von Regelungen, die vor dem Vertrag von Lissabon verabschiedet wurden Nach der Vergemeinschaftung auch des Bereichs der PJZS durch den Vertrag von Lissabon bestand für das Vereinigte Königreich nach Art. 10 Abs. 4 des Protokolls Nr. 36 die Möglichkeit, von der Gesamtheit der Rechtsakte der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen zurückzutreten, die bis zum Vertrag von Lissabon intergouvernemental vereinbart worden waren (Block-Opt-out). So bestimmt Art. 10 Abs. 4, dass das Vereinigte Königreich dem Rat mitteilen kann, dass es hinsichtlich der Rechtsakte der Union im Bereich der PJZS, die vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon angenommen wurden, die Befugnisse der Kommission und des Gerichtshofs der EU (EuGH) zur Rechtsdurchsetzung mittels eines Vertragsverletzungsverfahrens nicht anerkennt. Im Falle einer solchen Mitteilung durch das Vereinigte Königreich gelten alle Rechtsakte für das Vereinigte Königreich nach dem Ende eines Übergangszeitraums von fünf Jahren nicht mehr. Von dieser Möglichkeit hat das Vereinigte Königreich Gebrauch gemacht und ist 2014 von zahlreichen Rechtsakten zurückgetreten.14 Da der Austritt die Gesamtheit aller Rechtsakte der PJZS umfasst und keine Differenzierung zulässt, besteht nach Art. 10 Abs. 5 des Protokolls Nr. 36 die Möglichkeit für das Vereinigte Königreich, dem Rat in der Folge mitzuteilen, dass es sich an Rechtsakten beteiligen möchte, die nach Art. 10 Abs. 4 nicht mehr gelten. Auch hiervon hat das Vereinigte Königreich Gebrauch gemacht, sodass insgesamt 35 Rechtsakte, die vor dem Vertrag 10 Röben, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 53. EL., Stand: Mai 2014, Art. 67 AEUV, Rn. 150. 11 Beschluss 2004/926/EG des Rates über das Inkraftsetzen von Teilen des Schengen-Besitzstands durch das Vereinigte Königreich, ABl. L 395 vom 31.12.2004, S. 70, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32004D0926&qid=1470216531095&from=DE. 12 Bergmann, Handlexikon der Europäischen Union, 5. Aufl. 2015, PJZS (Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen). 13 Protokoll (Nr. 36) über die Übergangsbestimmungen, ABL. C 115 vom 9.5.2008, S. 322, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=OJ:C:2008:115:FULL&from=DE. 14 Ausführlich dazu: Zeder, Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen nach dem Ende der Übergangsperiode: Normalität und Sonderfälle, EuR 2015, S. 487 (490 ff.). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 131/16 Seite 8 von Lissabon ergangen sind, ausweislich der Beschlüsse 2014/857/EU15 und 2014/858/EU16, im Vereinigten Königreich auch nach dem Block-Opt-out weiterhin gelten. Diese Rechtsakte sind in einem Anhang zu diesem Gutachten aufgeführt. 2.2.2. Geltung von Regelungen, die nach dem Vertrag von Lissabon verabschiedet wurden Die Möglichkeit des Vereinigten Königreichs, sich nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon im Bereich Inneres und Justiz im Einzelfall für eine Beteiligung an der supranationalen Gesetzgebung zu entscheiden, ist in den Protokollen 19 und 21 des Vertrags von Lissabon festgehalten.17 Gemäß Art. 1 des Protokolls Nr. 21 beteiligen sich das Vereinigte Königreich und Irland nicht an der Annahme von Maßnahmen durch den Rat, die nach dem Dritten Teil Titel V des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) vorgeschlagen werden (Maßnahmen im Bereich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts – Inneres und Justiz). Nach Art. 3 Abs. 1 des Protokolls Nr. 21 kann das Vereinigte Königreich oder Irland allerdings dem Präsidenten des Rates innerhalb von drei Monaten nach der Vorlage eines Vorschlags oder einer Initiative nach dem Dritten Teil Titel V des AEUV beim Rat schriftlich mitteilen, dass es sich an der Annahme und Anwendung der betreffenden Maßnahme beteiligen möchte, was dem betreffenden Staat daraufhin gestattet ist („Opt-in“). Durch die Beteiligung an der „Annahme und Anwendung“ besteht für das Vereinigte Königreich die Möglichkeit, sich aktiv am Gesetzgebungsverfahren zu beteiligen, wenn es sein Opt-in erklärt.18 Möglich ist nach Art. 4 des Protokolls Nr. 21 auch die Beteiligung des Vereinigten Königreichs an einer Norm nach deren Erlass auf Unionsebene, also eine Beteiligung allein an der Anwendung. Eine ähnliche Beteiligungsmöglichkeit sieht das Protokoll Nr. 19 speziell für den Bereich des Schengen-Besitzstands vor. Art. 4 des Protokolls 19 legt fest: „Irland und das Vereinigte König- 15 Beschluss 2014/857/EU des Rates vom 1. Dezember 2014 über die Mitteilung des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland, dass es sich an einigen der Bestimmungen des Schengen-Besitzstands, die in Rechtsakten der Union im Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit und der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen enthalten sind, beteiligen möchte, und zur Änderung der Beschlüsse 2000/365/EG und 2004/926/EG, ABl. L 345 vom 1.12.2014, S. 1, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32014D0857&qid=1470237389198&from=DE. 16 Beschluss 2014/858/EU des Rates vom 1. Dezember 2014 über die Mitteilung der Absicht des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland, sich an Rechtsakten der Union im Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit und der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, die vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon angenommen wurden und die nicht Teil des Schengen-Besitzstandes sind, zu beteiligen, ABl. L 345 vom 1.12.2014, S. 6, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32014D0858&qid=1470237608923&from=DE. 17 Protokoll (Nr. 19) zum Vertrag von Lissabon über den in den Rahmen der Europäischen Union einbezogenen Schengen-Besitzstand, ABL. C 115 vom 9.5.2008, S. 290, und Protokoll (Nr. 21) über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, ABL. C 115 vom 9.5.2008, S. 295, beide abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=OJ:C:2008:115:FULL&from=DE. 18 Tekin, Opt-Outs, Opt-Ins, Opt-Arounds? Eine Analyse der Differenzierungsrealität im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, integration 2012, S. 237 (249). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 131/16 Seite 9 reich Großbritannien und Nordirland können jederzeit beantragen, dass einzelne oder alle Bestimmungen dieses Besitzstands auch auf sie Anwendung finden sollen. Der Rat beschließt einstimmig über einen solchen Antrag, wobei die Einstimmigkeit mit den Stimmen seiner in Artikel 1 genannten Mitglieder und der Stimme des Vertreters der Regierung des betreffenden Staates zustande kommt.“ Im Rahmen der Schengen-Regelungen kann das Vereinigte Königreich sich allerdings nur dafür entscheiden, bereits beschlossene Regeln so zu übernehmen, wie sie auf Unionsebene ausgehandelt worden sind. Im Gegensatz zu den Möglichkeiten nach Protokoll Nr. 21 ist kein Opt-in möglich, während das Gesetzgebungsverfahren im Gange ist, sodass das Vereinigte Königreich an diesem nicht mitwirkt.19 Zudem ist das Vereinigte Königreich durch seinen Antrag , dass einzelne Bestimmungen des Schengen-Besitzstands auf es Anwendung finden sollen, grundsätzlich in dem gewählten Bereich an den Schengen-Besitzstand gebunden und muss nach Art. 5 Abs. 2 des Protokolls Nr. 19 ausdrücklich ein Opt-out erklären, wenn es sich an einem Vorschlag oder einer Initiative aus diesem Bereich nicht mehr beteiligen möchte.20 Seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon sind nicht nur vollkommen neue Regelungen im Bereich der PJZS erlassen worden. Oftmals wurden frühere Rechtsakte überarbeitet und diese neuen Versionen der früheren Regelungen angenommen. Da diese Änderungen und Überarbeitungen nach dem Vertrag von Lissabon angenommene Rechtsakte der Union darstellen, gelten die alten Rechtsakte in ihrer geänderten bzw. neuen Fassung weiterhin für das Vereinigte Königreich trotz des oben dargestellten Block-Opt-outs nach Art. 10 Abs. 4 des Protokolls Nr. 36, sofern das Vereinigte Königreich bezüglich der neuen Rechtsakte ein Opt-in erklärt hat. Im Amtsblatt der EU ist eine Übersicht dieser überarbeiteten Rechtsakte erschienen, die nach dem Block-Optout weiterhin im Vereinigten Königreich Anwendung finden.21 Diese Übersicht ist ebenfalls im Anhang zu diesem Gutachten enthalten. Das Justizministerium des Vereinigten Königreichs hat auf seiner Internetseite zudem eine Übersicht (Stand 8. April 2016) über alle Opt-in Entscheidungen im Bereich Inneres und Justiz sowie alle Entscheidungen im Schengen-Bereich veröffentlicht, die im Zeitraum zwischen dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon am 1. Dezember 2009 und dem 8. April 2016 getroffen worden sind.22 Basierend auf dieser Liste erfolgt im Anhang zu diesem Gutachten ein Überblick über alle verabschiedeten Rechtsakte, denen das Vereinigte Königreich im Bereich der PJZS seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon beigetreten ist bzw. von denen Bestandteile gelten, da das 19 Tekin, Opt-Outs, Opt-Ins, Opt-Arounds? Eine Analyse der Differenzierungsrealität im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, integration 2012, S. 237 (251). 20 Peers, EU Justice and Home Affairs Law, 3. Aufl. 2011, S. 81. 21 Liste der vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon angenommenen Rechtsakte der Union im Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit und der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen, die durch einen nach dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon angenommenen Rechtsakt, der für das Vereinigte Königreich gilt, geändert wurden und somit in ihrer geänderten oder neuen Fassung weiterhin für das Vereinigte Königreich gelten, ABl. C 430 vom 1.12.2014, S. 23, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=OJ:C:2014:430:FULL&from=DE. 22 Abrufbar unter https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/515125/2016- optin-webpage-update.pdf. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 131/16 Seite 10 Vereinigte Königreich im Hinblick auf diese Aspekte durch seine Annahme von Teilen des Schengen-Besitzstands gebunden ist und kein Opt-out erklärt hat. 2.2.3. Übersicht des Normenbestands im Bereich PJZS Das Vereinigte Königreich hat sich vor dem Vertrag von Lissabon an der intergouvernementalen Zusammenarbeit im Bereich der PJZS beteiligt und sich auch nach dem Inkrafttreten des Vertrags an einer großen Zahl der neu vorgeschlagenen strafrechtlichen Rechtsakte beteiligt.23 Allerdings ist das Vereinigte Königreich im Rahmen des Block-opt-out 2014 von ca. 100 Rechtsakten aus dem Bereich der PJZS zurückgetreten und auch nicht wieder eingetreten.24 Es sind seitdem insbesondere die europäischen Rechtsakte zum materiellen Strafrecht aus der Zeit vor dem Vertrag von Lissabon nicht mehr für das Vereinigte Königreich wirksam.25 2.2.3.1. Rechtsbestand des PJZS Die im Anhang zu diesem Gutachten einzeln aufgelisteten Rechtsakte im Bereich der PJZS, an denen das Vereinigte Königreich aktuell noch beteiligt ist, lassen sich im Wesentlichen in fünf Gruppen aufteilen: Zusammenarbeit der Behörden der Mitgliedstaaten, Informationsaustausch und Datenschutz, spezielle Straftatbestände, Einrichtungen und Agenturen auf europäischer Ebene sowie Verfahrensharmonisierung. Die Zusammenarbeit der Behörden der Mitgliedstaaten umfasst Rechtsakte zur Kooperation im Zollbereich, von zentralen Meldestellen und im Rahmen gemeinsamer Ermittlungsgruppen. Zu diesem Bereich zählen auch die Rechtsakte zur gegenseitigen Anerkennung von Urteilen, Einziehungsentscheidungen etc. Von großer Bedeutung ist auch der Europäische Haftbefehl, der Auslieferungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten beschleunigen und vereinfachen soll.26 Die europäischen Vorgaben zum Informationsaustausch und Datenschutz haben viele Facetten. Darunter fallen die Rechtsakte zum Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten, beispielsweise zwischen ihren Strafverfolgungsbehörden oder in Bezug auf Strafregister, aber auch die Errichtung europäischer Datenbanken wie Eurodac oder SIS. Andere Rechtsakte enthalten Vorgaben zur Verarbeitung von Fluggastdaten oder Zahlungsverkehrsdaten, die in einigen Fällen an Drittstaaten, wie die USA, übermittelt werden können. Straftatbestände, welche oftmals grenzüberschreitend verwirklicht werden oder verfolgt werden müssen, sind in der dritten Gruppe von Rechtsakten der EU geregelt. So gibt es Vorgaben speziell 23 Zeder, Britisches „pull-out“ aus der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen vor Lissabon: Splendid Isolation?, EuR 2013, S. 454 (456). 24 Zeder, Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen nach dem Ende der Übergangsperiode: Normalität und Sonderfälle , EuR 2015, S. 487 (493). 25 Zeder, Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen nach dem Ende der Übergangsperiode: Normalität und Sonderfälle , EuR 2015, S. 487 (493). 26 Ausführlich zum Haftbefehl: Burchard, in: Böse, Europäisches Strafrecht mit polizeilicher Zusammenarbeit, 2013, § 14 Auslieferung (europäischer Haftbefehl), Rn. 7. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 131/16 Seite 11 zur organisierten Kriminalität, Kinderpornographie, Menschenhandel, dem unerlaubten Schusswaffenhandel und Angriffen auf Informationssysteme. Weitere Rechtsakte, welche auch für das Vereinigte Königreich gelten, befassen sich mit der Errichtung und Ausgestaltung von Agenturen oder Einrichtungen der EU. Dazu zählen im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen die Agenturen Eurojust und Europol sowie die Europäische Polizeiakademie. Die letzte Gruppe von Rechtsakten der Union im Bereich der PJZS enthält Vorgaben zur Ausgestaltung von Strafverfahren und normiert bestimmte Verfahrensrechte. In diese Gruppe fallen u. a. die Rechtsakte zur Stellung der Opfer im Strafverfahren, zu Dolmetschleistungen im Strafverfahren , zur europäischen Ermittlungsanordnung oder zur Europäischen Schutzanordnung. 2.2.3.2. Sonderbereiche des PJZS Die folgende Darstellung dient einem abschließenden Überblick über besondere Rechtsgebiete im Bereich PJZS, in denen die Beteiligung des Vereinigten Königreichs am Unionsrecht speziell geregelt oder besonders wechselhaft ist. 2.2.3.2.1. Sonderfall: Schengen Wie oben dargestellt27 ist das Vereinigte Königreich kein Teil des Schengen-Systems. Es hat sich allerdings bereits im Jahr 2000 dafür entschieden, bestimmte Teile des Schengen-Besitzstands im Bereich der PJZS anzunehmen.28 Zu diesen Regelungen des Schengen-Besitzstands, die auch auf das Vereinigte Königreich Anwendung finden, zählen Vorgaben im Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit , der Rechtshilfe in Strafsachen, der Übertragung der Vollstreckung von Strafurteilen , Vorgaben zu Betäubungsmitteln, zum Datenschutz und zum Schengener Informationssystem 27 Siehe oben unter 2.1. 28 Beschluss des Rates 2000/365/EG des Rates vom 29. Mai 2000 zum Antrag des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland, einzelne Bestimmungen des Schengen-Besitzstands auf sie anzuwenden, ABl. L 131 vom 1.6.2000, S. 43, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32000D0365&qid=1470216308686&from=DE. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 131/16 Seite 12 (SIS). Viele dieser Regelungen aus dem Schengen-Übereinkommen29 und dem Schengener Durchführungsübereinkommen 30 sind mittlerweile durch Rechtsakte der EU ergänzt, abgeändert oder ersetzt worden.31 An anderen EU-Rechtsakten, die auf dem Schengen-Besitzstand gründen, ist das Vereinigte Königreich nicht beteiligt.32 So ist auch die Beteiligung des Vereinigten Königreichs an dem Schengener Informationssystem (SIS) auf Informationen im Bereich der PJZS beschränkt, wie beispielsweise Ausschreibungen von Personen zum Zwecke der Übergabe- oder Auslieferungshaft, von Vermissten, von Personen, die im Hinblick auf ihre Teilnahme an einem Gerichtsverfahren gesucht werden sowie Personen- und Sachfahndungsausschreibungen zum Zwecke der verdeckten oder gezielten Kontrolle und Sachfahndungsausschreibungen zur Sicherstellung oder Beweissicherung in Strafverfahren sowie mit diesen Ausschreibungen im Zusammenhang stehende Zusatzinformationen und ergänzende Daten.33 Das Vereinigte Königreich hat hingegen keinen Zugriff auf Daten zu Drittstaatsangehörigen, die zur Einreise- oder Aufenthaltsverweigerung ausgeschrieben sind, welche ebenfalls im SIS gespeichert werden.34 2.2.3.2.2. Sonderfall: Prüm Zu dem sogenannten Prüm-Besitzstand zählen Vorschriften über die Europäische polizeiliche Zusammenarbeit. Der Fokus liegt auf dem Informationsaustausch (Fingerabdrücke, DNA und 29 Übereinkommen zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen, ABl. L 239 vom 22.9.2000, S. 13, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/?uri=CELEX%3A42000A0922(01). 30 Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 […], ABl. L 239 vom 22.9.2000, S. 19, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUri- Serv.do?uri=CELEX:42000A0922(02):de:HTML. 31 Peers, The UK and the Schengen system, vom 3.12.2015, abrufbar unter http://ukandeu.ac.uk/the-uk-and-theschengen -system/. 32 Peers, EU Justice and Home Affairs Law, 3. Aufl. 2011, S. 80. 33 Art. 1 Abs. 3 des Durchführungsbeschluss (EU) 2015/215 des Rates vom 10. Februar 2015 zur Inkraftsetzung der Bestimmungen des Schengen-Besitzstands über Datenschutz und zur vorläufigen Inkraftsetzung von Teilen der Bestimmungen des Schengen-Besitzstands über das Schengener Informationssystem für das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland, ABl. L 36 vom 12.2.2015, S. 8, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal -content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32015D0215&from=EN. 34 Ryan, The EU’s Borders: Schengen, Frontex and the UK, 19.5.2016, abrufbar unter https://www.freemovement .org.uk/brexit-and-borders-schengen-frontex-and-the-uk/. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 131/16 Seite 13 Fahrzeugregisterdaten), es gibt aber auch Vorgaben zur operativen Zusammenarbeit, beispielsweise durch gemeinsame Einsatzformen bei grenzüberschreitenden Veranstaltungen.35 Das Vereinigte Königreich ist an den Prüm-Entscheidungen 2008/615/JI36 und 2008/616/JI37 beteiligt gewesen , mit denen die meisten Vorgaben des völkerrechtlichen Vertrags von Prüm Bestandteil des Unionsrechts geworden sind.38 Es ist von diesen Beschlüssen allerdings im Rahmen des Block- Opt-out 2014 zurückgetreten und hat sie erst 2016 wieder anerkannt.39 2.2.3.2.3. Sonderfall: Europol Das Vereinigte Königreich hat im Rahmen des Opt-in nach dem Block-Opt-out 2014 nur einen Rechtsakt zu Europol, namentlich den Beschluss 2009/371/JI zur Errichtung von Europol40, erneut angenommen. Alle anderen Rechtsakte zu Europol unterliegen dem Opt-out.41 Bisher hat sich das Vereinigte Königreich nicht an der neuen Europol-Verordnung beteiligt, sodass seine zukünftige Position bei Europol unklar ist.42 Es ist dem Vereinigten Königreich gemäß Art. 4 des Protokolls 21 zum Lissabon Vertrag grundsätzlich möglich, dem Rat und der Kommission auch nach der Annahme eines Rechtsakts auf Unionsebene mitzuteilen, dass es die Maßnahme anzunehmen wünscht. Wenn das Vereinigte Königreich von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch machen sollte, ist fraglich, ob weiterhin der Beschluss 2009/371/JI gilt. 35 Ausführlich zum Prüm-Konzept: Kugelmann, in: Böse, Europäisches Strafrecht mit polizeilicher Zusammenarbeit , 2013, § 17 Europäische Polizeiliche Kooperation, Rn. 96 ff. 36 Beschluss 2008/615/JI des Rates vom 23. Juni 2008 zur Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus und der grenzüberschreitenden Kriminalität, ABl. L 210 vom 6.8.2008, S. 1, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32008D0615&from=DE. 37 Beschluss 2008/616/JI des Rates vom 23. Juni 2008 zur Durchführung des Beschlusses 2008/615/JI […], ABl. L 210 vom 6.8.2008, S. 12, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32008D0616&from=DE. 38 House of Lords – European Union Committee, 5th Report of Session 2015-16 – The United Kingdom’s participation in Prüm, abrufbar unter http://www.publications.parliament.uk/pa/ld201516/ldselect/ldeucom/66/66.pdf. 39 Beschluss (EU) 2016/809 der Kommission vom 20. Mai 2016 über die Mitteilung der Absicht des Vereinigten Königreichs von Großbritannien und Nordirland, sich an Rechtsakten der Union im Bereich der polizeilichen Zusammenarbeit, die vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon angenommen wurden und die nicht Teil des Schengen-Besitzstandes sind, zu beteiligen, ABl. L 132 vom 21.5.2016, S. 105, abrufbar unter http://eurlex .europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32016D0809&from=DE. 40 Beschluss 2009/371/JI des Rates vom 6. April 2009 zur Errichtung des Europäischen Polizeiamts (Europol), ABl. L 121 vom 15.5.2009, S. 37, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUri- Serv.do?uri=OJ:L:2009:121:0037:0066:de:PDF. 41 House of Commons – Home Affairs Committee, Ninth Report of Session 2013-14 – Pre-Lisbon Treaty EU police and criminal justice measures: the UK’s opt-in decision, Rn. 44, abrufbar unter http://www.publications.parliament .uk/pa/cm201314/cmselect/cmhaff/615/61502.htm. 42 Peers, Statewatch analysis – The UK opt in to pre-Lisbon EU criminal law, abrufbar unter http://www.statewatch .org/analyses/no-250-uk-opt-in.pdf. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 131/16 Seite 14 Nach Art. 75 Abs. 1 der neuen Europol Verordnung (EU) 2016/79443 werden die bisherigen Beschlüsse 2009/371/JI, 2009/934/JI, 2009/935/JI, 2009/936/JI und 2009/968/JI für die Mitgliedstaaten , die durch diese neue Verordnung gebunden sind, mit Wirkung vom 1. Mai 2017 ersetzt. Das Vereinigte Königreich wird – sofern es nicht noch seine Absicht einer Anwendung der neuen Verordnung mitteilt – nicht durch die neue Verordnung gebunden, d.h. für das Vereinigte Königreich findet keine Ersetzung der bisherigen Rechtsakte durch die neue Verordnung statt. Fraglich ist, ob insofern die alte Rechtslage weitergilt.44 Das Home Affairs Committee vom Unterhaus des Parlaments des Vereinigten Königreichs scheint von einem Ausstieg aus Europol im Fall der Nichtannahme der neuen Europol-Verordnung auszugehen. So heißt es in seinen Ausführungen: „If the UK withdrew from Europol, whether as a result of not opting into the current Council Decisions , or the subsequent new Regulation […].”45 Für einen Ausstieg spricht, dass Art. 75 Abs. 2 der neuen Europol-Verordnung bestimmt: „Die Beschlüsse 2009/371/JI, 2009/934/JI, 2009/935/JI, 2009/936/JI und 2009/968/JI werden daher mit Wirkung vom 1. Mai 2017 aufgehoben.“ Andererseits deutet die Formulierung des Art. 75 Abs. 1, wonach die alten Europol-Rechtsakte für die Mitgliedstaaten, die durch die neue Verordnung gebunden sind, ersetzt werden, darauf hin, dass die alten Europol-Rechtsakte für die anderen Mitgliedstaaten, die nicht an die neue Verordnung gebunden sind, nicht ersetzt werden und mithin weiter zur Anwendung gelangen.46 Für eine Weitergeltung des Beschlusses 2009/371/JI für das Vereinigte Königreich könnte auch der Wortlaut des Art. 75 Abs. 2 der neuen Europol-Verordnung herangezogen werden, der bestimmt, dass die alten Beschlüsse „daher“ (wegen der Ersetzung durch die neue Verordnung) aufgehoben werden . 2.3. Status quo des Vereinigten Königreichs in anderen Rechtsgebieten des Bereichs Inneres und Justiz Zum Bereich Inneres und Justiz gehören in der EU neben PJZS auch die Außengrenzen, die Asylpolitik , die Einwanderungspolitik und die justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Auch in diesen Bereichen ist das Vereinigte Königreich seit dem Vertrag von Amsterdam berechtigt, sich individuell für oder gegen eine Beteiligung an EU-Rechtsakten zu entscheiden. 43 Verordnung (EU) 2016/794 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2016 über die Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Strafverfolgung (Europol) und zur Ersetzung und Aufhebung der Beschlüsse 2009/371/JI, 2009/934/JI, 2009/935/JI, 2009/936/JI und 2009/968/JI des Rates, ABl. L 153 vom 24.5.2016, S. 35, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32016R0794&from=DE. 44 Vgl. hierzu Peers, Statewatch analysis – The UK opt in to pre-Lisbon EU criminal law, abrufbar unter http://www.statewatch.org/analyses/no-250-uk-opt-in.pdf. 45 House of Commons – Home Affairs Committee, Ninth Report of Session 2013-14 – Pre-Lisbon Treaty EU police and criminal justice measures: the UK’s opt-in decision, Rn. 47, abrufbar unter http://www.publications.parliament .uk/pa/cm201314/cmselect/cmhaff/615/61502.htm. 46 In einem anderen Kontext so auch: Peers, Mission accomplished? EU justice and home affairs law after the Treaty of Lisbon, CMLR 48 (2011), S. 661 (691). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 131/16 Seite 15 2.3.1. Außengrenzen und Frontex Das Vereinigte Königreich hat die Grundlage des Schengen-Besitzstands, die Abschaffung nationaler Grenzkontrollen an den gemeinsamen Binnengrenzen, nicht anerkannt und sich nicht daran beteiligt.47 Es hat allerdings die Möglichkeit, sich an bestimmten Teilen des Schengen-Besitzstands zu beteiligen, wenn der Rat einstimmig zustimmt. Von dieser Möglichkeit hat es im Bereich der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen in einem gewissen Umfang Gebrauch gemacht. In Bezug auf andere Teile des Schengen-Besitzstands ist dem Vereinigten Königreich die Beteiligung hingegen verwehrt worden. So wurden dem Vereinigten Königreich und Irland die Beteiligung an der Verordnung (EG) Nr. 2252/2004 über Sicherheitsmerkmale und biometrische Daten in Pässen und Reisedokumenten, der Verordnung (EG) Nr. 2007/2004 zur Errichtung von Frontex und dem Beschluss 2008/633/JI über den Zugang zum Visa-Informationssystem (VIS) durch die anderen Mitgliedstaaten verwehrt, welche gemäß dem Protokoll Nr. 19 einem Opt-in des Vereinigten Königreichs zum Schengen-Besitzstand im Rat zustimmen müssen.48 Der EuGH hat dies für rechtmäßig erklärt und beispielsweise im Fall der Frontex-Verordnung entschieden, dass die Verordnung eine Weiterentwicklung von Bestimmungen des Schengen-Besitzstands darstellt, an denen sich das Vereinigte Königreich nicht beteiligt, weswegen der Rat eine Beteiligung des Vereinigten Königreichs an der Frontex-Verordnung zu Recht versagt habe.49 In der Literatur hat die Rechtsprechung des EuGH zu der Einschätzung geführt, dass Maßnahmen im Bereich der Grenzkontrollen schnell als Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands angesehen würden und die Opt-in Möglichkeiten des Vereinigten Königreichs mithin dem Protokoll Nr. 19 unterliegen.50 Das Recht des Vereinigten Königreich auf ein Opt-in bezüglich des Schengen-Besitzstands nach Protokoll Nr. 19 unterscheidet sich von der Opt-in-Möglichkeit nach Protokoll Nr. 21, da das Opt-in gemäß Art. 4 Abs. 2 des Protokolls Nr. 19 die einstimmige Zustimmung des Rates voraussetzt . Für ein Opt-in im Rahmen des Protokolls Nr. 21 genügt nach Art. 3 Abs. 1 hingegen die Mitteilung des Vereinigten Königreichs, dass es sich an jeweiligen Maßnahme beteiligen möchte. Die Kooperation des Vereinigten Königreichs mit Frontex ist in der Frontex-Verordnung51 selbst geregelt worden. Nach Art. 12 Abs. 1 der Frontex-Verordnung erleichtert Frontex die operative 47 Protokoll zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den Rahmen der Europäischen Union, ABl. C 340 vom 10.11.1997, S. 93, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:11997D/TXT&from=DE. 48 Tekin, Opt-Outs, Opt-Ins, Opt-Arounds? Eine Analyse der Differenzierungsrealität im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, integration 2012, S. 237 (251). 49 EuGH, Urt. v. 18.12.2007, Rs. C-77/05, ECLI:EU:C:2007:803, – Vereinigtes Königreich/Rat, Rn. 70 f. und 85 f. 50 Weiß/Satzger, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 67 AEUV, Rn. 51. 51 Verordnung (EG) Nr. 2007/2004 des Rates vom 26. Oktober 2004 zur Errichtung einer Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. L 349 vom 25.11.2004, S. 1, konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02004R2007-20140717&from=EN. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 131/16 Seite 16 Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten mit Irland und dem Vereinigten Königreich bei in ihren Tätigkeitsbereich fallenden Fragen, soweit dies für die Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Zu der von der Agentur zu leistenden Unterstützung zählt nach Art. 12 Abs. 2 Frontex-Verordnung die Organisation von gemeinsamen Rückführungsaktionen, an denen sich auch Irland und/oder das Vereinigte Königreich beteiligen. Bei einem Antrag Irlands und/oder des Vereinigten Königreichs auf Beteiligung an Maßnahmen der Agentur beschließt gemäß Art. 20 Abs. 5 der Frontex- Verordnung der Verwaltungsrat von Frontex über diesen Antrag. Er prüft dafür, ob ihre Beteiligung zur Ausführung der betreffenden Maßnahme beiträgt. In dem Beschluss wird auch der Finanzbeitrag Irlands und/oder des Vereinigten Königreichs zu der Maßnahme, die Gegenstand ihres Antrags auf Beteiligung ist, festgelegt. In der Praxis beteiligt sich das Vereinigte Königreich oft an Frontex-Operationen.52 Gemäß Art. 23 Abs. 4 Frontex-Verordnung werden Irland und das Vereinigte Königreich zu den Sitzungen des Verwaltungsrats eingeladen. 2.3.2. Asylrecht Im Bereich des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems hat das Vereinigte Königreich die auf dem Schengen-Besitzstand aufbauenden Rechtsakte aus der sog. ersten Phase der europäischen Asylgesetzgebung angenommen (dazu zählen die Dublin-Verordnung (EG) Nr. 343/2003, die Qualifikationsrichtlinie 2004/83/EG, die Asylverfahrensrichtlinie 2005/85/EG und die Asylaufnahmerichtlinie 2003/9/EG). Zwischen 1999 und 2004 war das Vereinigte Königreich an allen Rechtsakten der EU im Asylbereich beteiligt.53 In der zweiten Phase der Überarbeitung dieser Rechtsakte hat es sich jedoch gegen eine Beteiligung entschieden.54 Das Vereinigte Königreich hat nur in Bezug auf die neue Dublin-III-Verordnung 604/201355 mitgeteilt, dass es sich an der Annahme und Anwendung dieser Verordnung beteiligen möchte. In der Literatur wird die Auffas- 52 Ryan, The EU’s Borders: Schengen, Frontex and the UK, 19.5.2016, abrufbar unter https://www.freemovement .org.uk/brexit-and-borders-schengen-frontex-and-the-uk/. 53 Geddes, Getting the best of both worlds? Britain, the EU and migration policy, International Affairs 81 (2005), S. 723 (734). 54 Costello/Hancox, Policy primer – The UK, the Common European Asylum System and EU Immigration Law, 2.5.2014, abrufbar unter http://www.migrationobservatory.ox.ac.uk/sites/files/migobs/UK_EU_Asylum _Law_0.pdf. 55 Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung), ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32013R0604&from=de. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 131/16 Seite 17 sung vertreten, dass die alten Rechtsakte, d.h. die Qualifikations-, Asylverfahrens- und Asylaufnahmerichtlinie der ersten Phase, mangels einer Ersetzung durch die neuen Rechtsakte – weiterhin für das Vereinigte Königreich gelten.56 2.3.3. Einwanderungsrecht Das Vereinigte Königreich hat sich bei vielen Maßnahmen im Bereich der Einwanderung gegen ein Opt-in entschieden.57 So gelten beispielsweise weder die sog. Blue-Card-Richtlinie 2009/50/EG noch die Familiennachzugs-Richtlinie 2003/86/EG oder die Richtlinie 2003/109/EG zu langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen für das Vereinigte Königreich. Das Vereinigte Königreich hat sich allerdings an Rechtsakten beteiligt, welche der Bekämpfung und Verhinderung illegaler Einwanderung dienen, wie die Richtlinie 2011/51/EG, welche die Sanktionierung von Beförderungsunternehmen harmonisiert, die ausländische Staatsangehörige rechtswidrig in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten verbringen. Die Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG hat das Vereinigte Königreich nicht angenommen, sodass diese Richtlinie für das Vereinigte Königreich in allen ihren Teilen nicht bindend oder anwendbar ist. Hingegen hat sich das Vereinigte Königreich an einigen Rückführungsabkommen beteiligt, welche die EU mit verschiedenen Staaten abgeschlossen hat,58 wie beispielsweise dem Rückführungsabkommen mit Pakistan59, nicht jedoch an dem Rückführungsabkommen mit der Türkei.60 56 Guild, The UK Referendum on the EU and the Common European Asylum System, 29.4.2016, abrufbar unter https://www.freemovement.org.uk/brexit-and-the-common-european-asylum-system/; Costello/Hancox, Policy primer – The UK, the Common European Asylum System and EU Immigration Law, 2.5.2014, abrufbar unter http://www.migrationobservatory.ox.ac.uk/sites/files/migobs/UK_EU_Asylum_Law_0.pdf; Peers, EU Justice and Home Affairs Law, 3. Aufl. 2011, S. 83 ff. 57 Vgl. hierzu Costello/Hancox, Policy primer – The UK, the Common European Asylum System and EU Immigration Law, 2.5.2014, abrufbar unter http://www.migrationobservatory.ox.ac.uk/sites/files/migobs/UK_EU_Asylum _Law_0.pdf; Carrera/Guild/Luk, What does Brexit mean for the EU’s Area of Freedom, Security and Justice?, CEPS commentary vom 11.7.2016, abrufbar unter https://www.ceps.eu/publications/what-does-brexit-meaneu %E2%80%99s-area-freedom-security-and-justice. 58 Costello/Hancox, Policy primer – The UK, the Common European Asylum System and EU Immigration Law, 2.5.2014, abrufbar unter http://www.migrationobservatory.ox.ac.uk/sites/files/migobs/UK_EU_Asylum _Law_0.pdf; Geddes, Getting the best of both worlds? Britain, the EU and migration policy, International Affairs 81 (2005), S. 723 (735). 59 Beschluss des Rates vom 7. Oktober 2010 über den Abschluss des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Islamischen Republik Pakistan über die Rückübernahme von Personen ohne Aufenthaltsgenehmigung , ABl. L 287 vom 4.11.2010, S. 50, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32010D0649&from=DE. 60 Beschluss des Rates vom 14. April 2014 über den Abschluss des Abkommens zwischen der Europäischen Union und der Republik Türkei über die Rückübernahme von Personen mit unbefugtem Aufenthalt, ABl. L 134 vom 7.5.2014, S. 1, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32014D0252&from=DE. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 131/16 Seite 18 2.3.4. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen Bei der Verabschiedung des Vertrags von Amsterdam erklärten das Vereinigte Königreich und Irland ihre Absicht, an der Annahme von Rechtsakten im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen im Wesentlichen teilzunehmen.61 Zunächst haben sich die beiden Staaten dann auch an allen EG-Rechtsakten im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen für ein Opt-in entschieden.62 Im Jahr 2005 bestanden inhaltliche Bedenken des Vereinigten Königreichs gegen den Vorschlag für die Rom-I-Verordnung. Das britische Opt-in erfolgte erst nachträglich, nachdem ein für das Vereinigte Königreich akzeptables Verhandlungsergebnis erzielt worden war.63 Auch bei der Unterhaltsverordnung (EG) Nr. 4/2009 erklärte das Vereinigte Königreich seine Beteiligung an der Anwendung erst nach der Annahme des Rechtsakts.64 Die Erbrechtsverordnung (EU) Nr. 650/2012 findet im Vereinigten Königreich keine Anwendung und auch an den unterhalts- und scheidungsrechtlichen Regelungen der EU nehmen Irland und das Vereinigte Königreich nicht teil.65 3. Position des Vereinigten Königreichs seit dem Referendum Das Referendum über den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der EU am 23. Juni 2016 betraf nicht konkrete Fragen im Bereich Inneres und Justiz, sondern generell die Frage, ob das Vereinigte Königreich in der EU bleiben soll. Dieses Referendum ist für die Verfassungsorgane des Vereinigten Königreichs rechtlich nicht bindend.66 Das Referendum selbst bewirkt keine unionsrechtlichen Änderungen am Status des Vereinigten Königreichs als Mitglied der EU.67 Diese ergeben sich potenziell erst nach einer Mitteilung des Vereinigten Königreichs an die EU bezüglich 61 Lenzing, in: von der Groeben/Schwarze/Hatje, Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 81 AEUV, Rn. 20. 62 Stumpf, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 81 AEUV, Rn. 5. 63 Peers, EU Justice and Home Affairs Law, 3. Aufl. 2011, S. 76 f. 64 Erwägungsgrund 3 der Durchführungsverordnung (EU) 2015/228 der Kommission vom 17. Februar 2015 zur Ersetzung der Anhänge I bis VII der Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen , ABl. L 49 vom 20.2.2015, S. 1, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32015R0228&from=DE. 65 Stumpf, in: Schwarze, EU-Kommentar, 3. Aufl. 2012, Art. 81 AEUV, Rn. 5. 66 So die herrschende Auffassung, vgl. z.B. Douglas-Scott, Brexit, the Referendum and the UK Parliament: Some Questions about Sovereignty, U.K. Constitutional Law Blog, 28.6.2016, abrufbar unter: https://ukconstitutionallaw .org/2016/06/28/sionaidh-douglas-scott-brexit-the-referendum-and-the-uk-parliament-some-questions-aboutsovereignty /; Elliot, Brexit – Legally and constitutionally, what now?, Public Law for Everyone, 24.6.2016, abrufbar unter: https://publiclawforeveryone.com/2016/06/24/brexit-legally-and-constitutionally-what-now/. 67 Auf der rechtlichen Ebene ändert das Referendum im Vereinigten Königreich daher nichts an der Situation vor dem Referendum. Anders sieht dies auf politischer Ebene aus, das Vereinigte Königreich hat z.B. auf den Vorsitz im Rat 2017 verzichtet und der bisherige britische Kommissar Jonathan Hill hat seinen Posten geräumt. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 131/16 Seite 19 des Beginns der Austrittsverhandlungen gemäß Art. 50 EUV bzw. durch den Austritt selbst.68 Eine entsprechende Mitteilung ist bisher nicht erfolgt. 4. Position des Vereinigten Königreichs nach der Mitteilung gemäß Art. 50 EUV Auch nach der Mitteilung der Austrittsabsicht durch das Vereinigte Königreich gemäß Art. 50 Abs. 2 Satz 1 EUV würde das Vereinigte Königreich bis zum Tag des Inkrafttretens eines Austrittsabkommens oder andernfalls für weitere zwei Jahre Mitglied der EU bleiben. Nach Art. 50 Abs. 3 EUV findet das Unionsrecht auf das Vereinigte Königreich ab dem Tag des Inkrafttretens des Austrittsabkommens oder zwei Jahre nach der Mitteilung keine Anwendung mehr, falls keine Fristverlängerung für die Austrittsverhandlungen erfolgt. Daraus folgt, dass das Vereinigte Königreich nach der Antragstellung vorerst Mitglied der EU und den unionsrechtlichen Regelungen unterworfen bleibt.69 Im Grunde unterscheidet sich die Situation nach der Antragstellung also nicht von der Situation nach dem Referendum. Änderungen im Unionsrecht, insbesondere im Bereich Inneres und Justiz, ergeben sich zunächst nicht. Dennoch stellen sich nach der Antragstellung angesichts des dann nahenden EU-Austritts praktische Fragen, die nachfolgend dargestellt werden. Es wird darauf hingewiesen, dass die folgenden Ausführungen aufgrund fehlender Rechtspraxis keine abschließende rechtliche Bewertung darstellen , sondern nur rechtliche Einschätzungen zu Szenarien wiedergeben, die in der Literatur vertreten werden. 4.1. Anwendung des Unionsrecht durch das Vereinigte Königreich Als Mitglied der EU ist das Vereinigte Königreich auch nach einer Mitteilung gemäß Art. 50 EUV bis zu seinem Austritt an das Unionsrecht gebunden. In der Literatur wird dennoch erörtert, ob die Gerichte des Vereinigten Königreichs nach einer Austrittsmitteilung das Unionsrecht anwenden oder ob sie gegebenenfalls beginnen würden, Unionsrecht zu missachten.70 Diskutiert wird von Befürwortern des Austritts auch, ob das Vereinigte Königreich Unionsrecht durch nationale Gesetzgebung außer Kraft setzen könnte.71 Die Verpflichtung des Vereinigten Königreichs zur 68 Dazu z.B. Mayer, Zwei Jahre sind nicht immer gleich zwei Jahre: wann beginnt der Brexit-Countdown?, Verfassungsblog vom 26.6.2016, abrufbar unter: http://verfassungsblog.de/franz-mayer-brexit-countdown/. 69 So auch die gemeinsame Erklärung der Präsidenten des Europäischen Parlaments, des Europäischen Rates, des Rates und der Europäischen Kommission vom 24.6.2016, abrufbar unter: http://europa.eu/rapid/press-release _STATEMENT-16-2329_de.htm. 70 Vgl. dazu: Lienen, Brexit and the Domestic Judiciary: Some Preliminary Thoughts on the Aftermath of Triggering Article 50, UK Constitutional Law Blog vom 21.7.2016, abrufbar unter: https://ukconstitutionallaw .org/2016/07/21/christina-lienen-brexit-and-the-domestic-judiciary-some-preliminary-thoughts-on-the-aftermath -of-triggering-article-50/. 71 Dazu müsste unter anderem der ECA (European Communities Act 1972) aufgehoben werden, der die Anwendbarkeit des Unionsrechts im innerstaatlichen Recht des Vereinigten Königreichs regelt. Die sofortige Aufhebung des ECA zur Umsetzung des Austritts fordert z.B. eine Petition mit über 31.000 Unterstützern (https://petition .parliament.uk/petitions/125333). Die Homepage einer Austrittskampagne macht Vorschläge, wie die Anwendung des Unionsrechts schon vor dem offiziellen Austritt abgeändert werden könnte (http://www.voteleavetakecontrol .org/after_we_vote_leave_we_will_act_quickly_to_protect_national_security_and_save_money). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 131/16 Seite 20 Umsetzung und Anwendung von Unionsrecht während der Austrittsverhandlungen ist – wie oben dargestellt – die eines Mitgliedstaats der EU. Grundsätzlich müssen die nationalen Gerichte daher Unionsrecht anwenden und auch das Parlament darf Unionsrecht nicht außer Kraft setzen. 4.2. Beteiligung an EU-Gesetzgebung 4.2.1. Gesetzgebung im Bereich Inneres und Justiz Nach Art. 1 des Protokolls Nr. 21 beteiligt sich das Vereinigte Königreich nicht an Maßnahmen in Bezug auf den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts (der den Bereich Inneres und Justiz umfasst), es sei denn, es erklärt nach Art. 3 des Protokolls Nr. 21, dass es sich beteiligt. Nach der Mitteilung der Austrittsabsicht dürfte das Vereinigte Königreich kaum noch solche Erklärungen abgeben. Ohne eine solche Erklärung ist die Stimme des Vereinigten Königreichs nicht entscheidungsrelevant.72 Wenn Maßnahmen, die für das Vereinigte Königreich aufgrund eines Opt-in bindend sind, geändert werden, ist die Änderung für das Vereinigte Königreich nur bindend, wenn es erneut eine Erklärung nach Art. 3 Abs. 1 des Protokolls Nr. 21 abgibt.73 Grundsätzlich kann die Kommission das Vereinigte Königreich nach Art. 4a Abs. 2 des Protokolls Nr. 21 ersuchen, die Änderung von Maßnahmen als bindend anzuerkennen, wenn die Nicht-Beteiligung des Vereinigten Königreichs an der Änderung die Maßnahme unpraktikabel macht. Künftig könnte die Kommission wegen des bevorstehenden Austritts von einer solchen Möglichkeit absehen. 4.2.2. Gesetzgebung in Bezug auf den Schengen-Besitzstand Die Besonderheiten der Gesetzgebung in Bezug auf den Schengen-Besitzstand sind für das Vereinigte Königreich in Protokoll Nr. 19 zum Vertrag von Lissabon geregelt. Es ist auch in diesem Bereich des Unionsrechts wohl eher nicht davon auszugehen, dass sich das Vereinigte Königreich nach der Austrittsmitteilung gemäß Art. 50 EUV noch an der Rechtsetzung (beispielsweise in den Ratsarbeitsgruppen) beteiligen will. 4.2.3. Zwischenergebnis Das Vereinigte Königreich könnte seine Opt-out-Rechte, gerade in Bezug auf Schengen und den Bereich Inneres und Justiz, nach der Mitteilung der Austrittsabsicht dahingehend nutzen, an Gesetzgebungsprozessen nicht oder nicht mehr teilzunehmen. Ob dies tatsächlich und, wenn ja, in welchem Umfang geschehen wird, kann allerdings nicht abgeschätzt werden. 72 Art. 3 Abs. 1 UA. 2 des Protokolls Nr. 21. 73 Art. 4a Abs. 1 des Protokolls Nr. 21. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 131/16 Seite 21 4.3. Beteiligung an Agenturen Bis zum Austritt bleibt das Vereinigte Königreich Mitglied der EU und in dieser Position an den Agenturen der EU im Bereich Inneres und Justiz beteiligt, bei denen es sich für ein Opt-in entschieden hat. Es könnte allerdings schon vor dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU ein neuer Direktor von Europol gewählt werden. Die Amtsperiode des britischen Direktors Rob Wainwright endet 2017, der neue Direktor ist dann nach den Vorgaben der neuen Europol-Verordnung zu wählen. Es wird laut dem Behörden Spiegel für unwahrscheinlich erachtet, dass Wainwright oder ein anderer Brite zum Direktor ernannt werden wird.74 5. Modelle der Zusammenarbeit der EU mit Nicht-Mitgliedstaaten Im Folgenden werden bisherige Modelle der Zusammenarbeit der Europäischen Union mit Drittstaaten (Nicht-EU-Mitgliedstaaten) im Bereich Inneres und Justiz dargestellt.75 Es wird darauf hingewiesen, dass das Aufzeigen möglicher Modelle keine Bewertung dahingehend enthält, ob und inwiefern diese Modelle für das Vereinigte Königreich für wahrscheinlich gehalten werden. Das Vereinigte Königreich wird voraussichtlich im Rahmen der Austrittsverhandlungen Vereinbarungen mit der EU über eine künftige Zusammenarbeit treffen.76 Die Ziele des Vereinigten Königreichs sind diesbezüglich noch unklar. 5.1. Rechtlicher Rahmen für die Zusammenarbeit der EU mit Drittstaaten Der Bereich Inneres und Justiz ist als Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in Art. 67 ff. AEUV geregelt. Dort finden sich Vorgaben zu Grenzkontrollen, Asyl, Einwanderung, justizieller Zusammenarbeit in Zivilsachen und in Strafsachen sowie zur polizeilichen Zusammenarbeit . Die Regelungen in Art. 67 ff. AEUV gelten als Unionsrecht nur für Mitgliedstaaten, wobei derzeit Ausnahmen für einzelne Mitgliedstaaten (Dänemark, Irland, Vereinigtes Königreich ) bestehen. Beziehungen der EU zu Drittstaaten, wie z.B. der Schweiz, Norwegen oder der Türkei, können nicht unionsrechtlich geregelt werden, daher müssen völkerrechtliche Abkommen zwischen einem Drittstaat und der EU abgeschlossen werden. 74 http://www.behoerden-spiegel.de/icc/Internet/nav/1f7/broker.jsp?uCon=8b546576-d25b-5517-77ad- 4277b988f2ee&uTem=aaaaaaaa-aaaa-aaaa-bbbb-000000000003&uMen=1f75009d-e07d-f011-4e64- 494f59a5fb42&_ic_print=true. 75 Vgl. zu den Modellen für die künftigen Wirtschaftsbeziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich auch den EU-Sachstand „Ökonomische Aspekte eines EU-Austritts der Vereinigten Königreichs (Brexit)“ des Referats PE 2 vom 27. 6.2016, S. 6 f. 76 Thiele, Der Austritt aus der EU – Hintergründe und rechtliche Rahmenbedingungen eines „Brexit“, EuR 2016, S. 281 (299 f.). Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 131/16 Seite 22 Im Bereich Inneres und Justiz gibt es zwei besonders wichtige Bereiche, in denen Verträge zwischen der EU und Drittstaaten geschlossen wurden. Dies betrifft den Schengen-Besitzstand und das Dublin-Verfahren im Asylrecht. Der Schengen-Besitzstand umfasst die Abschaffung von Grenzkontrollen und damit einhergehende Ausgleichsmaßnahmen.77 Beispiele für die Zusammenarbeit in diesen Bereichen sind der Informationsaustausch zwischen den Polizeibehörden der Mitgliedstaaten, eine gemeinsame Politik für ein 3-monatiges Kurzzeit-Visum (Schengen-Visum ) sowie eine enge Zusammenarbeit der Konsularbehörden (z.B. bei der Bekämpfung der Dokumentenfälschung ), die Stärkung der Rechtshilfe in Strafsachen und eine enge Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden in Fällen mit Auslandsbezug. Das Dublin-Verfahren regelt die Zuständigkeit für die Prüfung von Asylanträgen. Auch im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen findet eine Zusammenarbeit zwischen der EU und Drittstaaten statt. Beispielsweise ist Norwegen Mitgliedstaat des Lugano-Übereinkommens78, das in Übereinstimmung mit der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 Regelungen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen enthält. Auf diesen zivilrechtlichen Bereich wird im Folgenden nicht näher eingegangen werden. Im Folgenden sollen schwerpunktmäßig die Beziehungen der EU zu Norwegen79 und der Schweiz als Beispiele für Kooperationsmodelle der EU mit Drittstaaten dargestellt werden, da diese für den Bereich Inneres und Justiz Kooperationsvereinbarungen mit der EU getroffen haben . 5.2. Beziehungen zu Norwegen Die Zusammenarbeit der EU mit Norwegen beruht im Vergleich zu der Zusammenarbeit der EU mit der Schweiz auf relativ wenigen Abkommen. Die für den Bereich Inneres und Justiz wichtigsten Abkommen werden nachfolgend aufgeführt. Zwei Abkommen regeln die Assoziierung Norwegens an den Bestand und die Weiterentwicklung des Schengen-Rechts (NSAA)80 und die Anwendung des Dublin-Verfahrens im Asylrecht 77 Röben, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, 53. EL, Stand: Mai 2014, Art. 67 AEUV, Rn. 145. 78 Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 30. Oktober 2007, ABl. L 339 vom 21.12.2007, S. 3, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=uriserv :OJ.L_.2007.339.01.0001.01.DEU&toc=OJ:L:2007:339:TOC#L_2007339DE.01000301. 79 Die hier erwähnten Verträge zwischen der EU und Norwegen gelten in den meisten Fällen auch für Island. 80 Übereinkommen zwischen dem Rat der Europäischen Union sowie der Republik Island und dem Königreich Norwegen über die Assoziierung der beiden letztgenannten Staaten bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands vom 18. Mai 1999, ABl. L 176 vom 10.7.1999, S. 36, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=uriserv :OJ.L_.1999.176.01.0036.01.DEU&toc=OJ:L:1999:176:TOC. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 131/16 Seite 23 (NDAA).81 Für Bereiche, die nicht zum Schengen-Besitzstand gehören, müssen zusätzliche Abkommen ausgehandelt werden82 wie beispielsweise das Abkommen zwischen der EU und Norwegen zum Prüm-Besitzstand. Norwegen hat mit der EU auch bei der Neugründung von EU- Agenturen Abkommen über die Zusammenarbeit geschlossen wie z.B. mit der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Frontex)83 im Bereich des Schengen-Besitzstands oder mit dem Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO).84 Mit Eurojust und Europol hat Norwegen jeweils direkt Abkommen geschlossen.85 5.2.1. Das Assoziierungsübereinkommen Norwegens bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands (NSAA) Das Übereinkommen zwischen dem Rat der Europäischen Union sowie der Republik Island und dem Königreich Norwegen über die Assoziierung der beiden letztgenannten Staaten bei der Umsetzung , Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands trägt dem Umstand Rechnung, dass das Schengen-Abkommen ursprünglich eine völkerrechtliche Vereinbarung war und nunmehr Bestandteil des Unionsrechts ist.86 5.2.1.1. Übernahme von Unionsrecht in norwegisches Recht Nach Art. 2 Abs. 1 NSAA muss Norwegen die im Anhang A zum NSAA aufgeführten Bestimmungen umsetzen und anwenden. In diesem Anhang A finden sich genaue Angaben dazu, welche Teile des Schengen-Abkommens von 1985 und des Durchführungsübereinkommens von 81 Übereinkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Republik Island und dem Königreich Norwegen über die Kriterien und Regelungen zur Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat oder in Island oder Norwegen gestellten Asylantrags vom 19. Januar 2001, ABl. L 93 vom 3.4.2001, S. 40, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=uriserv :OJ.L_.2001.093.01.0040.01.DEU&toc=OJ:L:2001:093:TOC. 82 Windwehr, Außenseiter oder Wegweiser? – Norwegen und die Schweiz im europäischen Integrationsprozess, 2011, S. 158 f. 83 Vereinbarung zwischen der Europäischen Gemeinschaft sowie der Republik Island und dem Königreich Norwegen zur Festlegung der Modalitäten der Beteiligung dieser Staaten an der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 1. Febuar 2007, ABl. L 188 vom 20.7.2007, S. 19, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=uriserv :OJ.L_.2007.188.01.0017.01.DEU&toc=OJ:L:2007:188:TOC#L_2007188DE.01001901. 84 Abkommen zwischen der Europäischen Union und dem Königreich Norwegen zur Festlegung der Modalitäten seiner Beteiligung am Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen, ABl. L 109 vom 12.4.2014, S. 3, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:22014A0412(01)&qid=1470729398605&from=DE. 85 Agreement between the Kingdom of Norway and the European Police Office vom 24. Dezember 2001, abrufbar (auf Englisch) unter: https://www.europol.europa.eu/content/agreement-between-kingdom-norway-and-european -police-office; Agreement between the Kingdom of Norway and Eurojust vom 28. April 2005, abrufbar (auf Englisch) unter: http://www.eurojust.europa.eu/doclibrary/Eurojust-framework/agreements/Agreement%20Eurojust -Norway%20%282005%29/Eurojust-Norway-2005-04-28-EN.pdf. 86 Vgl. dazu auch den 2. und 5. Erwägungsgrund NSAA. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 131/16 Seite 24 1990 sowie der davon abgeleiteten Rechtsakte umgesetzt und angewendet werden müssen. Damit besteht für Norwegen die Verpflichtung, die völkervertraglichen Regelungen der Schengen-Verträge zu übernehmen. Art. 2 Abs. 2 NSAA verpflichtet Norwegen dazu, die im Anhang B gelisteten Rechtsakte der EU in Bezug auf die Schengen-Übereinkommen zu übernehmen. Damit ist Norwegen gehalten, auch den unionsrechtlichen Besitzstand im Schengen-Bereich zu übernehmen . Werden Änderungen in den oben in Art. 2 Abs. 1 NSAA oder Art. 2 Abs. 2 NSAA genannten Bereichen von der EU beschlossen, so muss Norwegen diese Änderungen nach Art. 2 Abs. 3 NSAA akzeptieren, umsetzen und anwenden. Gemäß Art. 8 Abs. 2 lit. a) NSAA notifiziert der Rat Norwegen unverzüglich die Annahme der neuen Rechtsakte oder Maßnahmen. Norwegen entscheidet dann, ob es deren Inhalt akzeptieren und in seine innerstaatliche Rechtsordnung umsetzen will. Falls Norwegen solche Änderungen nicht akzeptiert, wird das NSAA nach Art. 8 Abs. 4 NSAA innerhalb einer gewissen Frist als beendet angesehen. Auch in dem Fall, dass die Gerichte von Norwegen und der EuGH das Abkommen unterschiedlich auslegen und auf Ministerebene im Gemischten Ausschuss87 keine Lösung gefunden wird, endet nach Art. 11 Abs. 3 UA 2 NSAA das Abkommen. Damit besteht für Norwegen faktisch nicht nur die Pflicht, bei Abschluss des NSAA bestehendes Recht zu übernehmen, sondern Norwegen muss auch neues Unionsrecht, das nach Vertragsschluss beschlossen worden ist, umsetzen und anwenden. Selbst die Rechtsprechung des EuGH ist zu beachten, da andernfalls das NSAA als beendet angesehen wird. Rechtlich ist Norwegen erst nach der Notifizierung der Annahme von EU-Rechtsakten völkerrechtlich an diese neuen Rechtsakte gebunden.88 Eine Kündigung des Übereinkommens ist im Übrigen nach Art. 16 NSAA jederzeit durch eine Vertragspartei möglich. Der materielle Gehalt des Schengen-Besitzstands im NSAA ist sehr weitgehend und kaum mit der begrenzten Annahme des Schengen-Besitzstands durch das Vereinigte Königreich zu vergleichen . Norwegen ist ohne Ausnahme an das Schengen-Übereinkommen von 1985 gebunden. Das Durchführungsübereinkommen von 1990 ist in allen wesentlichen Teilen zu übernehmen. Relevante Ausnahmen bestehen für das Asylsystem, das aber über das Dublin-Verfahren geregelt wird. Kleinere Ausnahmen bestehen z.B. im Bereich der Grenzkontrollen in Bezug auf Betäubungsmittel . Außerdem ist die Anwendung des europäischen Auslieferungsübereinkommens gemäß Art. 60 SDÜ nicht Teil des Schengen-Besitzstands für Norwegen. 5.2.1.2. Zusammenarbeit im Gemischten Ausschuss Das NSAA-Übereinkommen etabliert einen Gemischten Ausschuss. Dieser setzt sich aus den Mitgliedern des Rates der Europäischen Union, und Vertretern von Norwegen, Island und der Kommission zusammen.89 Im Gemischten Ausschuss können Vertreter von Norwegen gemäß Art. 3 87 Siehe unten 5.2.1.2. 88 Art. 8 Abs. 3 NSAA. 89 Art. 3 Abs. 1 NSAA. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 131/16 Seite 25 Abs. 3 und 4 NSAA Anregungen vortragen und Stellung zu geplanten Rechtsakten der EU nehmen . Sachverständige aus Norwegen werden bei der Abfassung neuer Rechtsvorschriften gemäß Art. 6 NSAA wie Sachverständige aus den Mitgliedstaaten berücksichtigt. Ein Stimmrecht bei der Gesetzgebung auf EU-Ebene hat Norwegen nach Art. 8 Abs. 1 Satz 1 NSAA jedoch nicht.90 5.2.1.3. Zusammenarbeit in Frontex Da die Frontex-Verordnung eine Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands darstellt, soll Norwegen nach Erwägungsgrund 23 der Frontex-Verordnung im Verwaltungsrat von Frontex vertreten sein. Dazu haben die EU und Norwegen eine Vereinbarung geschlossen.91 Nach Art. 1 Abs. 2 dieser Vereinbarung hat Norwegen bei bestimmten Angelegenheiten von Frontex im Verwaltungsrat Stimmrecht, z.B. bei Beschlüssen über spezielle Maßnahmen, die an der Außengrenze Norwegens oder in deren unmittelbarer Nähe durchgeführt werden sollen. Hier hat Norwegen sogar ein Vetorecht.92 In anderen Angelegenheiten besteht einfaches Stimmrecht, in nicht aufgeführten Bereichen hat Norwegen dagegen kein Stimmrecht. 5.2.2. Übereinkommen über die Bestimmung des zuständigen Staats für die Prüfung eines Asylantrags (NDAA) Das NDAA ist aus Sicht der Vertragsparteien angesichts der Grenzöffnungen durch das Schengen -Recht erforderlich.93 Wie beim Abkommen zum Schengen-Besitzstand war hier zu berücksichtigen , dass bisher völkervertragliches Recht (Dubliner Übereinkommen von 199094) in Unionsrecht überführt worden war. 5.2.2.1. Übernahme von Unionsrecht in norwegisches Recht Norwegen verpflichtet sich in Art. 1 Abs. 1 NDAA, die Bestimmungen des Dubliner Abkommens, mit Ausnahme der Artikel 16 bis 22, und die im Anhang des NDAA aufgeführten Rechtsakte, die der in Art. 18 des Dubliner Übereinkommens eingesetzte Ausschuss verabschiedet hat, umzusetzen und anzuwenden. Gemäß Art. 4 Abs. 1 und 2 NDAA wendet Norwegen auch neue Rechtsakte dieses Ausschusses an. Zudem muss Norwegen neue Rechtsakte der EU im Bereich des Dublin- 90 So auch: Piris, If the UK votes to leave : the seven alternatives to EU membership, Centre for European Reform London, Januar 2016, S. 6, abrufbar unter http://www.cer.org.uk/sites/default/files/pb_piris_brexit_12jan16.pdf. 91 Vereinbarung zwischen der Europäischen Gemeinschaft sowie der Republik Island und dem Königreich Norwegen zur Festlegung der Modalitäten der Beteiligung dieser Staaten an der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 1. Februar 2007, ABl. L 188 vom 20.7.2007, S. 19, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=uriserv :OJ.L_.2007.188.01.0017.01.DEU&toc=OJ:L:2007:188:TOC#L_2007188DE.01001901. 92 Nach Art. 1 Abs. 2 lit. a S. 2 der Vereinbarung ist die Zustimmung des norwegischen Vertreters erforderlich. 93 So Art. 7 NSAA; 1. und 2. Erwägungsgrund NDAA. 94 Übereinkommen über die Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften gestellten Asylantrags vom 15. Juni 1990, ABl. C 254 vom 19.8.1997, S. 1, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:41997A0819(01)&from=EN. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 131/16 Seite 26 Rechts gemäß Art. 2 Abs. 1 und 3 i.V.m. Art. 4 NDAA wie die Beschlüsse des Ausschusses annehmen . Auf dieser Grundlage hat Norwegen die aktuelle Dublin III-Verordnung,95 die das Dubliner Übereinkommen ersetzt, übernommen. Kann oder will Norwegen einen Rechtsakt der EU oder des Ausschusses nicht umsetzen, wird das NDAA-Übereinkommen nach Art. 4 Abs. 6 NDAA ausgesetzt. Falls im Gemeinsamen Ausschuss96 keine Lösung des Problems gefunden wird, gilt das Abkommen nach Ablauf einer gewissen Frist gemäß Art. 4 Abs. 7 NDAA als beendet. Auch bei divergierender EU-Rechtsprechung und norwegischer Rechtsprechung endet das Übereinkommen gemäß Art. 7 Abs. 2 NDAA, wenn nicht eine Lösung im Gemeinsamen Ausschuss gefunden wird. Eine Kündigung des Übereinkommens ist im Übrigen jederzeit nach Art. 15 NDAA durch eine Vertragspartei möglich. Ausdrücklich erwähnt werden im NDAA die Datenschutzrichtlinie97 und die Eurodac-Verordnung 98 Die Datenschutzrichtlinie der EU muss nach Art. 1 Abs. 3 NDAA bei der Anwendung des NDAA von Norwegen umgesetzt und angewendet werden. Das NDAA findet nach Art. 1 Abs. 5 NDAA zudem auf die Eurodac-Verordnung entsprechende Anwendung. Norwegen hat kein Stimmrecht bei der Annahme neuer Rechtsakte der EU. Norwegen kann allerdings gemäß Art. 2 Abs. 2 bis 4 NDAA über den Gemischten Ausschuss während des Gesetzgebungsprozesses an der Meinungsbildung teilhaben. 95 Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content /de/ALL/?uri=CELEX%3A32013R0604. 96 Siehe unten 5.2.2.2. 97 Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, ABl. L 281 vom 23.11.1995, S. 31, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:31995L0046&from=DE. Diese Richtlinie wurde aufgehoben durch die Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung), ABl. L 119 vom 4.5.2016, S. 1, abrufbar unter: http://eurlex .europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:32016R0679. 98 Verordnung (EG) Nr. 2725/2000 des Rates vom 11. Dezember 2000 über die Einrichtung von „Eurodac” für den Vergleich von Fingerabdrücken zum Zwecke der effektiven Anwendung des Dubliner Übereinkommens, ABl. L 316 vom 15.12.2000, S. 1, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/?uri=celex%3A32000R2725. Aufgehoben durch Verordnung (EU) Nr. 603/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über die Einrichtung von Eurodac für den Abgleich von Fingerabdruckdaten zum Zwecke der effektiven Anwendung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 […] (Neufassung), ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 1, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/?uri=CELEX:32013R0603. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 131/16 Seite 27 5.2.2.2. Zusammenarbeit im Gemeinsamen Ausschuss Das Übereinkommen etabliert einen Gemeinsamen Ausschuss, der sich nach Art. 3 Abs. 1 NDAA aus Vertretern der Vertragsparteien zusammensetzt. Im Gemeinsamen Ausschuss können die Vertreter Norwegens gemäß Art. 2 Abs. 5 NDAA Anregungen vortragen und Stellung zu geplanten Rechtsakten der EU nehmen. Sachverständige aus Norwegen werden bei der Abfassung neuer Rechtsvorschriften gemäß Art. 2 Abs. 1, 6 und 7 NDAA wie Sachverständige aus den Mitgliedstaaten berücksichtigt. 5.2.2.3. Zusammenarbeit in EASO Das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) wurde durch die Verordnung 439/2010 (EU)99 errichtet. Nach Art. 49 Abs. 1 dieser Verordnung soll Norwegen als an das Dubliner Übereinkommen assoziiertes Drittland als Beobachter an EASO beteiligt sein. Dementsprechend ist in Art. 2 eines Abkommens zwischen der EU und Norwegen zu EASO100 festgehalten, dass Norwegen im Verwaltungsrat von EASO als Beobachter ohne Stimmrecht vertreten ist. 5.2.3. Die zwei Abkommen Norwegens mit Europol und Eurojust Im Bereich der PJZS gibt es mit Europol und Eurojust zwei bedeutsame EU-Agenturen. Europol beruht auf Art. 88 AEUV und betrifft die polizeiliche Zusammenarbeit. Eurojust beruht auf Art. 85 AEUV und betrifft die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen. Als EU-Agenturen sind sie rechtlich selbständig101 und können deshalb mit Norwegen selbständig Verträge schließen. Die Verträge mit Europol und Eurojust haben zum Ziel, die Kooperation Norwegens mit den Agenturen zu verbessern.102 Hierbei steht der Informationsaustausch im Vordergrund.103 Die Datensicherheit ist auch mit Blick auf den unionsgrundrechtlichen Schutz personenbezogener Daten von großer Bedeutung. Im Europol-Abkommen mit Norwegen wird als Schutzstandard der Art. 25 des Europolabkommens der EU-Staaten von 1995 festgelegt. Diesen Schutzstandard muss 99 Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen, ABl. L 132 vom 29.5.2010, S. 11, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:32010R0439&from=DE. 100 Abkommen zwischen der Europäischen Union und dem Königreich Norwegen zur Festlegung der Modalitäten seiner Beteiligung am Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen, ABl. L 109 vom 12.4.2014, S. 3, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:22014A0412(01)&qid=1470729398605&from=DE. 101 Calliess, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 13 EUV, Rn. 38; vgl. auch Mitteilung der Kommission vom 11. Dezember 2002, KOM (2002) 718, S. 3, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUri- Serv.do?uri=COM:2002:0718:FIN:DE:PDF. 102 Art. 2 Agreement between the Kingdom of Norway and Eurojust; Art. 2 Agreement between the Kingdom of Norway and the European Police Office. 103 Vgl. Art. 3 Agreement between the Kingdom of Norway and Eurojust; Art. 4 Agreement between the Kingdom of Norway and the European Police Office. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 131/16 Seite 28 Norwegen gleichwertig erfüllen.104 Das zeitlich nachfolgende Abkommen Norwegens mit Eurojust verlangt von Norwegen, dass es die Einhaltung der Prinzipien des Übereinkommens zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten des Europarates105 und nachfolgende Änderungen hieran garantiert.106 Ebenfalls wird Norwegen verpflichtet, Grundsätze und Regeln aus dem Beschluss 2002/187/JI des Rates über die Errichtung von Eurojust zu beachten.107 Mit diesen Regelungen unterwirft sich Norwegen europäischen Rechtsnormen zum Schutz der Datensicherheit, um am Datenaustausch teilnehmen zu können. Neben der Datensicherheit regeln beide Verträge auch die Kooperation in Form von Verbindungsbeamten . Norwegen hat in Eurojust und Europol einen Verbindungsbeamten.108 Europol hat gemäß Art. 15 seines Abkommens mit Norwegen auch einen Verbindungsbeamten bei den zuständigen norwegischen Behörden. Bei Streitigkeiten in Bezug auf die Abkommen entscheidet ein Schiedsgericht.109 Beide Abkommen sehen eine Kündigungsfrist von drei Monaten vor.110 5.2.4. Spezifische Zusammenarbeit im Bereich PJZS 5.2.4.1. Teilnahme am SIS II Norwegen hat Zugriff auf das SIS II.111 Der Zugang zum SIS II beruht darauf, dass dies zum Schengen-Besitzstand zählt112 und Norwegen am Schengen-Besitzstand teilnimmt. 104 Art. 9 Abs. 3 Agreement between the Kingdom of Norway and the European Police Office. 105 Übereinkommen zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten vom 28. Januar 1981, abrufbar unter: https://www.coe.int/de/web/conventions/search-on-treaties/-/conventions /rms/0900001680078b38. 106 Art. 12 Abs. 1 Agreement between the Kingdom of Norway and Eurojust. 107 Art. 12 Abs. 2, 13 Abs. 2, Art. 14, Art. 15, Art. 16 Agreement between the Kingdom of Norway and Eurojust. 108 Art. 5 Agreement between the Kingdom of Norway and Eurojust; Art. 14 Agreement between the Kingdom of Norway and the European Police Office. 109 Art. 18 Agreement between the Kingdom of Norway and Eurojust; Art. 17 Agreement between the Kingdom of Norway and the European Police Office. 110 Art. 19 Abs. 1 Agreement between the Kingdom of Norway and Eurojust; Art. 18 Abs. 1 Agreement between the Kingdom of Norway and the European Police Office. 111 Vgl. dazu Beschluss 2001/886/JI des Rates vom 6. Dezember 2001 über die Entwicklung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation (SIS II), ABl. L 328 vom 13.12.2001, S. 1, abrufbar unter: http://eurlex .europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=celex%3A32001D0886. 112 Art. 1 lit. G) des Beschlusses 1999/437/EG des Rates vom 17. Mai 1999 zum Erlaß bestimmter Durchführungsvorschriften zu dem Übereinkommen zwischen dem Rat der Europäischen Union und der Republik Island und dem Königreich Norwegen über die Assoziierung dieser beiden Staaten bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands, ABl. L 176 vom 10.7.1999, S. 31, abrufbar unter: http://eur-lex.europa .eu/legal-content/DE/TXT/?qid=1470928914417&uri=CELEX:31999D0437. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 131/16 Seite 29 5.2.4.2. Europäisches Strafregisterinformationssystem Die Mitgliedstaaten der EU sind am Europäischen Strafregisterinformationssystem ECRIS beteiligt , das ihnen Zugang zu Informationen über Verurteilungen ihrer eigenen Staatsangehörigen in anderen Mitgliedstaaten eröffnet.113 Norwegen hat keinen Zugang dazu, sondern muss sich auf das Europäische Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen114 stützen. Diese Vorgehensweise ist zeitaufwändiger und teurer als das Vorgehen über das Europäische Strafregisterinformationssystem .115 5.2.4.3. Beteiligung an Prüm Norwegen und die EU haben bereits ein Abkommen ausgehandelt, das die Beteiligung Norwegens an den Daten aus dem Prüm-Besitzstand regeln soll.116 Der zweite Erwägungsgrund des Abkommens spricht dabei die enge Verbundenheit der Schengen-Staaten bei der Verbrechensbekämpfung an. 5.2.4.4. Übereinkommen über das Übergabeverfahren Im Übereinkommen zwischen der Europäischen Union und der Republik Island und dem Königreich Norwegen über das Übergabeverfahren117 regeln die Vertragsparteien die Übergabe von Personen zur Strafverfolgung oder Strafvollstreckung. Geregelt sind ein einheitlicher Haftbefehl und erleichterte Auslieferungsbedingungen. Insbesondere sind in Art. 20 des Abkommens Höchstfris- 113 Rahmenbeschluss 2009/315/JI des Rates vom 26. Februar 2009 über die Durchführung und den Inhalt des Austauschs von Informationen aus dem Strafregister zwischen den Mitgliedstaaten, ABl. L 93 vom 7.4.2009, S. 23, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2009:093:0023:0032:DE:PDF. 114 Europäisches Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959, BGBl. 1964 II, S. 1386. 115 Cabinet Office, The UK’s cooperation with the EU on justice and home affairs, and on foreign policy and security issues, Rn. 1.33, abrufbar unter: https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment _data/file/521926/The_UK_s_cooperation_with_the_EU_on_justice_and_home_affairs__and_on_foreign _policy_and_security_issues.pdf. 116 Übereinkommen zwischen der Europäischen Union sowie Island und Norwegen über die Anwendung einiger Bestimmungen des Beschlusses 2008/615/JI des Rates zur Vertiefung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit , insbesondere zur Bekämpfung des Terrorismus und der grenzüberschreitenden Kriminalität, und des Beschlusses 2008/616/JI des Rates zur Durchführung des Beschlusses 2008/615/JI […] und seines Anhangs, ABl. L 353 vom 31.12.2009, S. 3, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32009D1023&from=DE. 117 Übereinkommen zwischen der Europäischen Union und der Republik Island und dem Königreich Norwegen über das Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und Island und Norwegen, ABl L 292 vom 21.10.2006, S. 2, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/resource.html?uri=cellar:058c3a8c- 9516-4f13-93fc-df8b4d837239.0003.02/DOC_2&format=PDF. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 131/16 Seite 30 ten bis zur Entscheidung über den Haftbefehl vorgesehen. Dieses Abkommen wäre ein Äquivalent zum Europäischen Haftbefehl, allerdings mit einigen Ausnahmen und Ausnahmemöglichkeiten .118 Es ist bisher (Stand: 9.5.2016) noch nicht in Kraft getreten.119 5.3. Beziehungen zur Schweiz Die Schweiz unterhält seit der Unterzeichnung des Freihandelsabkommens von 1972 mit der EU ein etappenweise immer dichter werdendes Netz von bilateralen Abkommen; bislang sind es mehr als 120 an der Zahl.120 Im Folgenden beschränkt sich die Ausarbeitung auf die Erörterung der für den Bereich Inneres und Justiz bedeutendsten Vereinbarungen. Die neun im Jahr 2004 zwischen der EU und der Schweiz geschlossenen Verträge – die sogenannten „Bilateralen II“ – enthalten auch zwei Abkommen zur Assoziierung der Schweiz an den Bestand und die Weiterentwicklung des Schengen-Rechts (SSAA)121 und die Anwendung des Dublin -Verfahrens im Asylrecht (SDAA).122 118 Brodowski, Strafrechtsrelevante Entwicklungen in der Europäischen Union – ein Überblick, ZIS 2016, S. 106 (119). 119 Cabinet Office, The UK’s cooperation with the EU on justice and home affairs, and on foreign policy and security issues, Rn. 1.12, abrufbar unter: https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment _data/file/521926/The_UK_s_cooperation_with_the_EU_on_justice_and_home_affairs__and_on_foreign _policy_and_security_issues.pdf. 120 Eine Liste der Abkommen der EU mit der Schweiz, die am 01. Januar 2016 in Kraft sind, ist auf der Seite des Eidgenössischen Departements für Auswärtige Angelegenheiten unter https://www.eda.admin.ch/content /dam/dea/de/documents/publikationen_dea/accords-liste_de.pdf abrufbar (letztmaliger Abruf am 02.08.2016). 121 Abkommen zwischen der Europäischen Union, der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Assoziierung dieses Staates bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands vom 26. Oktober 2004, abrufbar unter http://data.consilium.europa .eu/doc/document/ST-13054-2004-INIT/de/pdf. 122 Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über die Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Staates für die Prüfung eines in einem Mitgliedstaat oder in der Schweiz gestellten Asylantrags vom 26. Oktober 2004, ABl. L 53 vom 27.2.2008, S. 5, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:22008A0227(01)&qid=1470730447987&from=DE. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 131/16 Seite 31 Die Schweiz hat zudem, wie Norwegen, mit der EU Vereinbarungen in Bezug auf Frontex123 und EASO124 geschlossen. Mit Eurojust und Europol wurden direkt Abkommen geschlossen.125 5.3.1. Das Assoziierungsabkommen der Schweiz bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands (SSAA) Das SSAA trägt dem Umstand Rechnung, dass das Schengen-Recht Unionsrecht ist und die Schweiz wie Norwegen kein Mitgliedstaat ist, sodass für die Schweiz vergleichbare Regelungen wie für Norwegen gelten sollten.126 5.3.1.1. Übernahme von Unionsrecht in schweizerisches Recht Die Übernahme des Schengen-Besitzstands in schweizerisches Recht ist vergleichbar mit der Regelung im Übereinkommen der EU mit Norwegen. Nach Art. 2 Abs. 1 SSAA übernimmt die Schweiz die völkerrechtlichen Schengen-Regeln, nach Art. 2 Abs. 2 SSAA übernimmt die Schweiz die EU-Rechtsakte auf der Grundlage von Schengen bis zum Abschluss des Abkommens und nach Art. 2 Abs. 3 SSAA verpflichtet sich die Schweiz, neue Rechtsakte der EU im Bereich des Schengen-Besitzstands zu akzeptieren und anzuwenden. Nach Art. 7 Abs. 2 lit. a) SSAA notifiziert der Rat der Schweiz unverzüglich die Annahme neuer Rechtsakte oder Maßnahmen. Die Schweiz entscheidet, ob sie deren Inhalt akzeptiert und in ihre innerstaatliche Rechtsordnung umsetzt. Bei verweigerter Umsetzung wird das Abkommen allerdings nach Art. 7 Abs. 4 SSAA nach einer gewissen Frist als beendet angesehen. Selbst divergierende Rechtsprechung führt nach Art. 10 Abs. 3 SSAA nach einer gewissen Frist zum Ende des Abkommens, wenn keine Lösung vom Gemischten Ausschuss127 gefunden wird. Im Übrigen kann jede Vertragspartei mit einer Frist von 6 Monaten gemäß Art. 17 SSAA das Abkommen kündigen. 123 Vereinbarung zwischen der Europäischen Gemeinschaft einerseits sowie der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Fürstentum Liechtenstein andererseits zur Festlegung der Modalitäten der Beteiligung dieser Staaten an der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. L 243 vom 16.9.2010, S. 4, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:22010A0916(01)&qid=1470730704641&from=DE. 124 Vereinbarung zwischen der Europäischen Union und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Festlegung der Modalitäten ihrer Beteiligung am Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen, ABl. L 65 vom 11.3.2016, S. 22, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:22016A0311(01)&qid=1470728977422&from=DE. 125 Abkommen zwischen Eurojust und der Schweiz vom 27. November 2008, abrufbar (auf Englisch) unter: http://www.eurojust.europa.eu/doclibrary/eurojust-framework/agreements/agreement%20between%20eurojust %20and%20switzerland%20(2008)/eurojust-switzerland-2008-11-27-en.pdf; Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Europäischen Polizeiamt vom 24. September 2004, abrufbar (auf Englisch) unter https://www.europol.europa.eu/content/page/external-cooperation-31. 126 Vgl. 5., 6. und 7. Erwägungsgrund des SSAA. 127 Siehe unten 5.3.1.2. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 131/16 Seite 32 Im Ergebnis ist die Schweiz hinsichtlich der Übernahme von Unionsrecht im Bereich des Schengen -Besitzstands ebenso wie Norwegen faktisch verpflichtet, die jeweiligen EU-Rechtsakte umzusetzen . Der materielle Gehalt des Schengen-Besitzstands im SSAA entspricht im Wesentlichen dem des NSAA. Die Schweiz ist ebenfalls ohne Ausnahme an das Schengen-Übereinkommen von 1985 gebunden. Für das Schengener Durchführungsübereinkommen bestehen dieselben Ausnahmeregelungen wie für Norwegen. Lediglich bei der Verweisungstechnik in Teil 2 und 3 des Anhangs A von NSAA und SSAA ergeben sich dadurch Unterschiede, dass die Schweiz das Assoziierungsabkommen später abgeschlossen hat als Norwegen. Das führt dazu, dass bei der Schweiz für die Bestimmung des Schengen-Besitzstands öfter auf Rechtsakte der Union als auf Beschlüsse des Exekutivausschusses des Durchführungsübereinkommens verwiesen wird. Beispielsweise ist für die Schweiz der Beschluss über die Entwicklung des SIS II nach Anhang A Teil 3 SSAA Schengen -Besitzstand, während Norwegen über Anhang A Teil 2 NSAA an SIS beteiligt ist. 5.3.1.2. Zusammenarbeit im Gemischten Ausschuss Das SSAA-Übereinkommen etabliert ebenfalls einen Gemischten Ausschuss. Er setzt sich nach Art. 3 Abs. 1 SSAA aus Vertretern der schweizerischen Regierung, des Rates der Europäischen Union und der Kommission zusammen. Im Gemischten Ausschuss können Vertreter der Schweiz gemäß Art. 4 Abs. 2 und 4 SSAA, Anregungen vortragen und Stellung zu geplanten Rechtsakten der EU nehmen. Sachverständige aus der Schweiz werden bei der Abfassung neuer Rechtsvorschriften gemäß Art. 6 SSAA wie Sachverständige aus den Mitgliedstaaten berücksichtigt. Ein Stimmrecht bei der Gesetzgebung auf EU-Ebene hat die Schweiz nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1 SSAA jedoch nicht. Diese Ausgestaltung der Zusammenarbeit entspricht der Zusammenarbeit der EU mit Norwegen. Teilweise entsprechen sich sogar die Artikelnummern der Vorschriften in den beiden Assoziierungsabkommen . 5.3.1.3. Zusammenarbeit in Frontex Die Zusammenarbeit der Schweiz mit Frontex erfolgt entsprechend der Zusammenarbeit Norwegens mit Frontex: Die Schweiz hat die gleichen (beschränkten) Stimmrechte im Verwaltungsrat, für Maßnahmen an ihren Außengrenzen aber ein Vetorecht.128 128 Art. 1 Abs. 2 der Vereinbarung zwischen der Europäischen Gemeinschaft einerseits sowie der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Fürstentum Liechtenstein andererseits zur Festlegung der Modalitäten der Beteiligung dieser Staaten an der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. L 243 vom 16.9.2010, S. 4, abrufbar unter: http://eur-lex.europa .eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:22010A0916(01)&qid=1470730704641&from=DE. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 131/16 Seite 33 5.3.2. Abkommen über die Bestimmung des zuständigen Staats für die Prüfung eines Asylantrags (SDAA) Das SDAA ist aus Sicht der Vertragsparteien mit dem Schengen-Recht verknüpft.129 Wie beim SSAA wird auch beim SDAA der Schweiz ein zu Norwegen vergleichbarer Status eingeräumt.130 5.3.2.1. Übernahme von Unionsrecht in schweizerisches Recht Die Schweiz verpflichtet sich nach Art. 1 Abs. 1 SDAA, die Dublin-Verordnung, die Eurodac-Verordnung und die jeweiligen Verordnungen mit den Durchführungsbestimmungen umzusetzen und anzuwenden. Nach Art. 1 Abs. 3 SDAA akzeptiert die Schweiz auch Rechtsakte der EU zur Änderung oder Ergänzung dieser Verordnungen, setzt sie um und wendet sie an. Nach Art. 1 Abs. 4 SDAA hat die Schweiz bei der Umsetzung des Abkommens die Datenschutzrichtlinie der EU umzusetzen und anzuwenden. Auch Rechtsakte der EU, die nach Abschluss des Abkommens erlassen worden sind, hat die Schweiz nach Art. 4 Abs. 1 SDAA anzuwenden. Andernfalls gilt das Abkommen als ausgesetzt.131 Wird dieses Problem nach Ansicht des Gemeinsamen Ausschusses132 nicht gelöst, gilt das Abkommen nach einer gewissen Frist als beendet.133 Bei divergierender Rechtsprechung oder Auslegung des Abkommens gilt gemäß Art. 7 Abs. 3 SDAA das Gleiche. Wie bei Norwegen und wie im SSAA besteht also eine dynamische Übernahmepflicht, die sich auch auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union erstreckt. Im Übrigen kann jede Vertragspartei mit einer Frist von sechs Monaten nach Art. 16 Abs. 1 SDAA das Abkommen kündigen. 5.3.2.2. Zusammenarbeit im Gemeinsamen Ausschuss Das SDAA etabliert einen Gemeinsamen Ausschuss, der sich aus Vertretern der Vertragsparteien zusammensetzt.134 Im Gemeinsamen Ausschuss können gemäß Art. 2 SDAA Vertreter der Schweiz Anregungen vortragen und Stellung zu geplanten Rechtsakten der EU nehmen. Sachverständige aus der Schweiz werden bei der Abfassung neuer Rechtsvorschriften nach Art. 2 Abs. 6 und 7 SDAA wie Sachverständige aus den Mitgliedstaaten berücksichtigt. 129 Vgl. zweitletzter Erwägungsgrund SDAA. 130 Vgl. 6.-8. und 10. Erwägungsgrund SDAA. 131 Art. 4 Abs. 6 SDAA. 132 Siehe unten 5.3.2.2. 133 Art. 4 Abs. 7 SDAA. 134 Art. 3 Abs. 1 SDAA. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 131/16 Seite 34 5.3.2.3. Zusammenarbeit in EASO Nach Art. 49 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 439/2010 zur Errichtung von EASO, soll die Schweiz als assoziiertes Drittland zum Dubliner Übereinkommen als Beobachter an EASO beteiligt sein. Dementsprechend ist in Art. 2 eines Abkommens zwischen der EU und der Schweiz festgehalten, dass die Schweiz im Verwaltungsrat von EASO als Beobachterin ohne Stimmrecht vertreten ist.135 5.3.3. Die zwei Abkommen der Schweiz mit Eurojust und Europol Durch das Abkommen mit Europol wird es der Schweiz ermöglicht, mit der EU strategische und operative Informationen, beispielsweise Gefahrenanalysen und fallbezogene Hinweise im Rahmen von Ermittlungen, auszutauschen.136 Im Abkommen werden auch Regelungen zum Datenschutz und der Verarbeitung der so erlangten Daten getroffen. Die Kooperation erstreckt sich auf die Bereiche Terrorismus, illegaler Handel mit nuklearen und radioaktiven Substanzen, Menschenschmuggel und Menschenhandel (Schlepperwesen), illegaler Drogenhandel, Motorfahrzeugkriminalität , Geldfälschung und Fälschung sonstiger Zahlungsmittel und Geldwäsche, sofern diese mit den vorgenannten Deliktsbereichen im Zusammenhang steht. Das Abkommen erlaubt die Entsendung von Verbindungsbeamten zu Europol. Durch das Abkommen mit Eurojust137 arbeitet die Schweiz in sämtlichen Zuständigkeitsbereichen von Eurojust mit dieser Agentur zusammen. Dies sind im Wesentlichen die Bekämpfung von Drogenhandel, illegalem Handel mit nuklearen Substanzen, Menschenhandel, Terrorismus und dessen Finanzierung, Geldfälschung und Geldwäscherei, Kinderpornographie, Korruption, Betrug sowie Umwelt- und Computerkriminalität. Die Kooperation betrifft vor allem den Informationsaustausch , regelt aber auch die Entsendung eines Verbindungsstaatsanwalts sowie die finanzielle und personelle Beteiligung. Die Abkommen zwischen der Schweiz und Eurojust bzw. Europol funktionieren nach ähnlichem Muster wie die Abkommen Norwegens mit Europol und Eurojust. Insbesondere steht der Informationsausaustausch im Vordergrund, es gibt Verbindungsbeamte, ein Schiedsgericht entscheidet bei Streitigkeiten und es besteht eine einseitige Kündigungsmöglichkeit für beide Seiten. 135 Vereinbarung zwischen der Europäischen Union und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Festlegung der Modalitäten ihrer Beteiligung am Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen, ABl. L 65 vom 11.3.2016, S. 22, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:22016A0311(01)&qid=1470728977422&from=DE. 136 Art. 2 des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und dem Europäischen Polizeiamt vom 24. September 2004, abrufbar (auf Englisch) unter https://www.europol.europa.eu/content/page/externalcooperation -31. 137 Abkommen zwischen Eurojust und der Schweiz vom 27. November 2008, abrufbar (auf Englisch) unter: http://www.eurojust.europa.eu/doclibrary/eurojust-framework/agreements/agreement%20between%20eurojust %20and%20switzerland%20(2008)/eurojust-switzerland-2008-11-27-en.pdf Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 131/16 Seite 35 5.3.4. Verbindung der EU-Schweiz-Abkommen untereinander Die Abkommen SSAA und SDAA sind miteinander über eine Guillotine-Klausel verknüpft. Gemäß Art. 17 SSAA bzw. Art. 14 SDAA gilt bei Kündigung bzw. Nichtanwendung des einen Abkommens die Fiktion, dass auch das andere gekündigt ist bzw. nicht angewendet wird. Darüber hinaus schreiben die Abkommen der Schweiz auch vor, dass mit Island, Norwegen und unter Umständen auch Dänemark Verträge in diesem Bereich abzuschließen sind.138 5.4. Beziehungen zu Drittstaaten, die nicht Schengen-Staaten sind Mit Drittstaaten, die nicht Schengen-Staaten sind, unterhält die EU keine zu den Mitglied- oder Schengen-Staaten vergleichbare Zusammenarbeit. Es bestehen jedoch Kooperationsabkommen zwischen den Agenturen Europol, Eurojust und Frontex mit derartigen Drittstaaten. Für Europol und Eurojust wurden Regelungen geschaffen, die Abkommen zum Datenaustausch auch mit Drittstaaten erlauben, die nicht an Schengen beteiligt sind.139 Voraussetzung für den Austausch von personenbezogenen Daten ist, dass der empfangende Drittstaat ein angemessenes Datenschutzniveau einhält.140 Bei Eurojust kann nach Art. 26a Abs. 3 des Beschlusses 2002/187/JI über die Errichtung von Eurojust die Bestimmung eines angemessenen Datenschutzniveaus im Einzelfall erfolgen oder dadurch, dass für den betreffenden Drittstaat das Übereinkommen des Europarates vom 28. Januar 1981141 gilt. Bei Europol muss neben der Feststellung eines angemessenen Datenschutzniveaus der betreffende Drittstaat in eine Liste aufgenommen werden, die vom Rat beschlossen wird.142 138 Vgl. Art. 17 SSAA, Art. 14 SDAA. 139 Art. 23 des Beschlusses 2009/371/JI des Rates vom 6. April 2009 zur Errichtung des Europäischen Polizeiamts (Europol) und Art. 26a des Beschlusses 2002/187/JI des Rates vom 28. Februar 2002 über die Errichtung von Eurojust […] in der Fassung des Beschlusses 2009/426/JI […]. Eine Liste der Drittstaaten, mit denen Europol Abkommen geschlossen hat, findet sich unter: https://www.europol .europa.eu/content/page/external-cooperation-31. Eine Liste der Drittstaaten, mit denen Eurojust Abkommen geschlossen hat, findet sich unter: http://www.eurojust.europa.eu/about/legal-framework/Pages/eurojust-legalframework .aspx#partners. 140 Art. 5 Abs. 4 und Art. 9 Nr. 4 lit. b des Beschlusses 2009/934/JI des Rates vom 30. November 2009 zur Festlegung der Durchführungsbestimmungen zur Regelung der Beziehungen von Europol zu anderen Stellen einschließlich des Austauschs von personenbezogenen Daten und Verschlusssachen, ABl. L 325 vom 11.12.2009, S. 6, abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A32009D0934 und Art. 26a Abs. 2 und 3 des Beschlusses 2002/187/JI des Rates vom 28. Februar 2002 über die Errichtung von Eurojust […] in der Fassung des Beschlusses 2009/426/JI, ABl. L 63 vom 6.3.2002, S. 1, konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02002D0187-20090604&from=EN. 141 Übereinkommen zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten vom 28. Januar 1981, BGBl. 1985 II, S. 538. 142 Beschluss 2009/935/JI des Rates vom 30. November 2009 zur Festlegung der Liste der Drittstaaten und dritten Organisationen, mit denen Europol Abkommen schließt, ABl. L 325 vom 11.12.2009, S. 12, konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02009D0935- 20140514&from=EN. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 131/16 Seite 36 Auch Frontex hat als EU-Agentur Verträge mit Drittstaaten geschlossen.143 Diese Verträge erlauben allerdings keinen Austausch von personenbezogenen Daten.144 Ein Vergleich der Abkommen, welche Europol mit Norwegen und anderen Drittstaaten wie Albanien und Australien geschlossen hat, lassen Unterschiede erkennen. Vergleicht man die von Europol mit Norwegen und Albanien145 abgeschlossen Abkommen, lassen sich Unterschiede beispielsweise bei den Möglichkeiten zum Austausch personenbezogener Daten feststellen. Informationsanfragen ohne Angaben zu dem Zweck und dem Grund der Anfrage erlauben keine Weitergabe von personenbezogenen Daten durch Europol an Albanien.146 Gemäß dem Abkommen mit Norwegen können dagegen personenbezogene Daten ohne konkrete Anfrage ausgetauscht werden . Das Abkommen Australiens mit Europol147 ähnelt im Bereich des Informationsaustauschs bei personenbezogenen Daten hingegen mehr dem Abkommen Norwegens mit Europol. Während das Albanien-Europol-Abkommen einen Verbindungsbeamten ähnlich zu Norwegen vorsieht, ist im Australien-Europol-Abkommen aber bloß die Möglichkeit einer Entsendung eines Verbindungsbeamten auf Grundlage eines etwaigen künftigen Abkommens vorgesehen. 5.5. Zwischenergebnis Die beiden wesentlichen Abkommen im Bereich Inneres und Justiz zum Schengen-Besitzstand und zum Dublin-Verfahren sind bei Norwegen und der Schweiz fast inhaltsgleich. Dies ist auch in den jeweiligen Erwägungsgründen der Abkommen erklärtes Ziel der EU gewesen. Die Abkommen sind dynamisch, d.h. dass Norwegen und die Schweiz neue Rechtsakte der EU übernehmen müssen, um den Bestand der Abkommen nicht zu gefährden. Sie können zwar am Rechtsetzungsprozess ihre Meinung einbringen, haben aber im Rechtsetzungsprozess der EU kein Stimmrecht. Wesensmerkmal der dynamischen Abkommen ist, dass bei der Unterzeichnung nicht abschließend geklärt ist, inwieweit das nationale Recht des Vertragspartners der EU an Unionsrecht angepasst werden muss. Die nähere inhaltliche Ausgestaltung der im Zuge des Abkommens umzusetzenden Rechtsakte wird dabei nur von einem Vertragspartner – der EU – bestimmt und ist lediglich sektoriell auf die das Abkommen betreffenden Bereiche des Besitzstandes beschränkt. 143 Eine Liste der Arbeitsvereinbarungen findet sich unter: http://frontex.europa.eu/partners/third-countries/. 144 Vgl. z.B. Nr. 4 lit. B Working Arrangement Establishing Cooperation Between The European Agency for the Management of Operational Cooperation at the External Borders of the Member States of the European Union and the United States Department of Homeland Security vom 28. April 2009, abrufbar unter: http://frontex.europa .eu/assets/Partners/Third_countries/WA_with_US.pdf. 145 Agreement on Operational and Strategic Co-operation between the Republic of Albania and the European Police Office vom 9. Dezember 2013, abrufbar unter: https://www.europol.europa.eu/content/page/external-cooperation -31. 146 Art. 11 Abs. 2 Agreement on Operational and Strategic Co-operation between the Republic of Albania and the European Police Office. 147 Agreement on Operational and Strategic Cooperation between Australia and the European Police Office vom 20. Februar 2007, abrufbar unter: https://www.europol.europa.eu/content/page/external-cooperation-31. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 131/16 Seite 37 Ein Unterschied zwischen dem norwegischen und dem schweizerischen Modell im Bereich Inneres und Justiz ist, dass es im Falle von Norwegen keine Guillotine-Klausel gibt, die eine automatische und gleichzeitige Beendigung von verschiedenen Verträgen vorsieht. Allerdings steht es der EU auch hier frei, bei Kündigung eines Abkommens durch Norwegen das andere Abkommen von sich aus zu kündigen. Auch in EU-Agenturen haben beide Länder kein (EASO) oder nur ein eingeschränktes (Frontex) Stimmrecht im Verwaltungsrat. Soweit Datenaustausch zwischen der EU und den beiden Staaten vereinbart ist, besteht ein Datenschutzbedürfnis, das durch die Verpflichtung u.a. zur Übernahme und Umsetzung von europäischen Datenschutzvorschriften befriedigt werden soll. Die Kooperation zwischen der EU und Drittstaaten, die nicht Schengen-Staaten sind, ist beschränkt auf einzelne Bereiche und jeweils spezifisch ausgehandelt. Die EU muss dabei jeweils Sorge dafür tragen, dass ihre Rechtsprinzipien, z.B. im Datenschutz, durch Absicherungen im jeweiligen Abkommen oder durch Evaluierung des Rechtssystems des Drittstaats nicht verletzt werden. Diese Abkommen zeigen auch die Nachteile für Drittstaaten auf, die sich bei der Verhandlung von Verträgen z.B. mit Europol ergeben. Dazu gehört, dass oftmals kein direkter Zugriff auf Datenbanken möglich ist, sondern nur eine Anfrage an die betreffende Agentur, die die Abfrage durchführt. Drittstaaten haben zudem kein Mitentscheidungsrecht und die Stellung eines etwaigen Verbindungsbeamten muss gegebenenfalls gesondert ausgehandelt werden.148 6. Fazit In der Zeit zwischen dem Referendum bis zum Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU ergeben sich europarechtlich keine Änderungen zur Rechtsposition des Vereinigten Königreichs vor dem Referendum, auch wenn sich die tatsächliche Zusammenarbeit aus politischen Gründen verändern könnte. Mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU würde die bisherige Zusammenarbeit auf der Basis von Unionsrecht enden. 6.1. Übernahme von Unionsrecht Würde das Vereinigte Königreich nach einem erfolgten Austritt erwägen, ähnliche Abkommen wie die Schweiz oder Norwegen mit der EU zu schließen, um z.B. weiterhin am Informationsaustausch der Polizeibehörden und am System des Europäischen Haftbefehls teilzunehmen, lassen sich verschiedene Problemfelder für das Vereinigte Königreich ausmachen. Anstatt wie bisher als Mitgliedstaat stimmberechtigt zu sein, würde das Vereinigte Königreich voraussichtlich allenfalls ein Konsultations- und Beobachtungsrecht haben.149 Gleichzeitig könnte das Vereinigte König- 148 Vgl. dazu auch: Cabinet Office, The UK’s cooperation with the EU on justice and home affairs, and on foreign policy and security issues, Rn. 1.17, abrufbar unter: https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads /attachment_data/file/521926/The_UK_s_cooperation_with_the_EU_on_justice_and_home_affairs __and_on_foreign_policy_and_security_issues.pdf. 149 Delivet, British referendum: what impact on Justice and Home affairs?, European Issue n°397 vom 21.6.2016, abrufbar unter http://www.robert-schuman.eu/en/european-issues/0397-british-referendum-what-impact-onjustice -and-home-affairs. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 131/16 Seite 38 reich wie die Schweiz und Norwegen aufgrund eines entsprechenden Abkommens völkervertraglich verpflichtet sein, neue Rechtsakte der EU zu übernehmen. Die derzeitige Möglichkeit des Vereinigten Königreichs, Opt-ins und Opt-outs bei Maßnahmen im Bereich Inneres und Justiz erklären zu können, wäre gegebenenfalls nicht mehr möglich. Ein weiteres Problem würde sich dadurch auftun, dass das Vereinigte Königreich künftig weder Mitglied der EU noch ein Schengen-Staat wäre. Das Vereinigte Königreich hat derzeit auch nicht geplant, dem Schengen-System beizutreten.150 Die enge Anbindung der Schweiz und Norwegens an die EU wird aber durch ihren Beitritt zum Schengen-System erleichtert. Der Rat der Europäischen Union hat z.B. das Übereinkommen über das Übergabeverfahren mit Norwegen in Anbetracht der Schengen-Mitgliedschaft Norwegens angestoßen.151 6.2. Zugang zu Datenbanken Die Beteiligung des Vereinigten Königreichs am SIS II, die derzeit auf der EU-Mitgliedschaft beruht , würde durch den Austritt beendet, wenn keine Übergangsregelungen vereinbart werden. Andere Staaten können SIS II derzeit nur nutzen, wenn sie den Schengen-Besitzstand anwenden und umsetzen. Da die Beteiligung am SIS II bei Drittstaaten derzeit auf der Schengen-Mitgliedschaft beruht, erscheint es schwierig, das Vereinigte Königreich in das SIS II einzubinden, ohne dass zumindest eine Schengen-Mitgliedschaft besteht.152 Das Vereinigte Königreich müsste, um am Datenaustausch beteiligt zu sein, z.B. mit Europol und Eurojust eigene Verträge zur Datenweitergabe aushandeln. Abgesehen von der zeitlichen Dauer, die solche Verhandlungen benötigen, würde sich möglicherweise auch der Nachteil ergeben, dass das Vereinigte Königreich als Drittstaat nicht mehr direkt z.B. im Europol-Informations-System nach Daten suchen könnte, sondern dies über Europol abwickeln müsste.153 Beim Zugang zu anderen Datenbanken ergeben sich ähnliche Probleme. Der Zugang zur Eurodac- Datenbank mit Fingerabdruckdaten steht derzeit nur Mitgliedstaaten oder Dublin-Staaten wie 150 Cabinet Office, The UK’s cooperation with the EU on justice and home affairs, and on foreign policy and security issues, Rn. 1.5. https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment _data/file/521926/The_UK_s_cooperation_with_the_EU_on_justice_and_home_affairs__and_on_foreign _policy_and_security_issues.pdf. 151 Vorschlag für einen Beschluss des Rates über den Abschluss des Übereinkommens zwischen der Europäischen Union und der Republik Island und dem Königreich Norwegen über das Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und Island und Norwegen, KOM/2009/0705, abrufbar unter: http://eurlex .europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:52009PC0705&from=EN. Wie bereits dargelegt, ist Norwegen aber mangels Inkrafttreten des entsprechenden Abkommens noch immer nicht an diesem System beteiligt . 152 Vgl. Cabinet Office, The UK’s cooperation with the EU on justice and home affairs, and on foreign policy and security issues, Rn. 1.12, abrufbar unter: https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment _data/file/521926/The_UK_s_cooperation_with_the_EU_on_justice_and_home_affairs__and_on_foreign _policy_and_security_issues.pdf. 153 Cabinet Office, The UK’s cooperation with the EU on justice and home affairs, and on foreign policy and security issues, Rn. 1.17. Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 131/16 Seite 39 z.B. Norwegen offen. Ein Zugang zu dieser Datenbank könnte erfordern, Dublin-Staat zu werden, was aber im Falle des Vereinigten Königreichs unwahrscheinlich ist. 6.3. Beteiligung an Agenturen und Personalfragen Es ist Staaten, die nicht Mitglied der EU sind, möglich, Abkommen mit EU-Agenturen zu schließen und sich dergestalt in gewissem Umfang an den Agenturen zu beteiligen.154 Diese Staaten sind aber zumeist nicht im Verwaltungsrat der Agentur vertreten.155 Mitarbeiter von EU-Agenturen unterliegen dem Beamtenstatut und den Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Gemeinschaften.156 Art. 28 lit. a) des Beamtenstatuts schreibt vor, dass zum Beamten der EU grundsätzlich nur ernannt werden darf, wer Staatsangehöriger eines der Mitgliedstaaten der Gemeinschaften ist und die bürgerlichen Ehrenrechte besitzt. Art. 12 Abs. 2 lit. a) der Beschäftigungsbedingungen gibt vor, dass als Bediensteter auf Zeit nur eingestellt werden darf, wer Staatsangehöriger eines der Mitgliedstaaten ist und die bürgerlichen Ehrenrechte besitzt.157 In beiden Fällen kann die Anstellungsbehörde von dem Erfordernis der Staatsangehörigkeit absehen. Es ist bisher nicht geklärt, ob britische Beamte nach dem Ausstieg des Vereinigten Königreichs weiter bei der EU beschäftigt werden.158 Es ist allerdings aufgrund der Vorgaben des Beamtenstatuts und der Beschäftigungsbedingungen gut möglich , dass nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aufgrund des Staatsangehörigkeitskriteriums keine britischen Staatsangehörigen neu bei der EU eingestellt werden. – Fachbereich Europa – 154 S. dazu oben unter 5.4. 155 Cabinet Office, The UK’s cooperation with the EU on justice and home affairs, and on foreign policy and security issues, Rn. 1.17, abrufbar unter: https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment _data/file/521926/The_UK_s_cooperation_with_the_EU_on_justice_and_home_affairs__and_on_foreign _policy_and_security_issues.pdf. 156 Kilb, Europäische Agenturen und ihr Personal – die großen Unbekannten?, EuZW 2006, S. 268 (272). 157 Verordnung Nr. 31 (EWG) 11 (EAG) über das Statut der Beamten und über die Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft , ABl. 45 vom 14.6.1062, S. 1385, konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:01962R0031-20160101&qid=1471253031868&from=DE. 158 Artikel, Und plötzlich ist die Existenz in Gefahr, vom Handelsblatt 17.7.2016, abrufbar unter http://www.handelsblatt .com/politik/international/brexit-bedroht-britische-beamte-und-ploetzlich-ist-die-existenz-in-gefahr /13882880.html.