Deutscher Bundestag Einzelfragen zum ESM Ausarbeitung Wissenschaftliche Dienste WD 11 – 3000 – 130/12 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 130/12 Seite 2 Einzelfragen zum ESM Aktenzeichen: WD 11 – 3000 – 130/12 Abschluss der Arbeit: 26. Juli 2012 Fachbereich: WD 11: Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote der Wissenschaftlichen Dienste geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung W, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 130/12 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 2. Vorgaben im ESM-Vertrag 5 3. Vorgaben in der Satzung des europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank 5 3.1. Offenmarktgeschäfte 6 3.2. Refinanzierungsgeschäfte 7 3.3. Leitlinie EZB/2011/14 8 3.3.1. Rechtsgrundlage der Leitlinie 8 3.3.2. Inhalt der Leitlinie 8 3.3.3. Mindestreservepflicht für ständige Fazilitäten und Offenmarktgeschäfte über Standardtender 9 3.3.4. Weitere Voraussetzungen für die Zulassung als Geschäftspartner 10 3.4. Zwischenfazit 10 4. Vereinbarkeit einer Kreditvergabe an den ESM mit Artikel 123 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union 11 4.1. Norminhalt und Reichweite des Verbots 11 4.1.1. Verbot des direkten Zentralbankkredits 12 4.1.2. Subsumtion 12 4.2. Ausnahmen 13 5. Abschließende Bewertung 14 Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 130/12 Seite 4 1. Einleitung Schon bei der Diskussion um die sog. Hebelung der temporären Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) im Oktober 2011 wurde ein Banklizenz-Modell diskutiert, mit dem man nach Auffassung von Ökonomen eine Vervielfacherung des Ausleihvolumens der EFSF hätte erzielen können. 1 Nach diesem insbesondere von Frankreich2 unterstützen Vorschlag sollte die EFSF eine Banklizenz bei der Europäischen Zentralbank (EZB) erhalten, was der EFSF den Zugang zu Krediten der EZB über Wertpapierpensionsgeschäfte ermöglichen sollte. Als Sicherheit für die Kredite der EZB sollte die EFSF erworbene Staatsanleihen von Eurozonenmitgliedern, die in verstärktem Maße Liquidität benötigen, wie beispielsweise Italien, einreichen.3 Es wurde angenommen , dass angesichts des relativ geringen Sicherheitsabschlags, der auf Staatsanleihen im Rahmen von Kreditgeschäften und Rückkaufvereinbarungen nach EZB-Regeln anwendbar sei, die EFSF hierdurch ihr Kapital vervielfältigen könne.4 Denn mit den Geldmitteln der EZB hätte die EFSF zusätzliche Kredite vergeben oder neue Staatsanleihen ankaufen können, die sie wiederum bei der EZB als Sicherheit hätten verpfänden können.5 Ein solches Banklizenz-Modell wurde für die EFSF nicht umgesetzt. Jedoch wird die Diskussion im Zusammenhang mit dem permanenten Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) weitergeführt ,6 bzw. die Frage gestellt, ob sich der ESM auf der Grundlage des am 29. Juni 2012 vom Bundestag und Bundesrat gebilligten, aber – aufgrund des anhängigen Antrags beim Bundesverfassungsgerichts auf Erlass einer einstweiligen Anordnung – noch nicht von Deutschland ratifizierten ESM-Vertrages schon bei der EZB refinanzieren könnte.7 So heißt es etwa in einem Beitrag von Bettina Brück in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) vom 16. Mai 2012, dass der ESM nach dem Vertragstext sämtliche Bankgeschäfte tätigen dürfe, ohne eine Banklizenz überhaupt zu brauchen, so dass sich der ESM theoretisch auch bei der EZB refinanzieren könnte.8 Häring weist in einem Artikel im Handelsblatt darauf hin, dass zwar der ESM-Vertrag selbst den 1 S. hierzu Economic Research Commerzbank, Woche im Fokus vom 7. Oktober 2011, S. 3, online abrufbar unter: https://www.commerzbank.de/media/de/research/economic_research/aktuelles_research/1007/week.pdf (letzter Abruf: 23. Juli 2012). 2 Vgl. z.B. Alexander, Spiel mit den zwei Gipfeln, in: Die Welt vom 21.Oktober 2011. 3 Vgl. z. B. Belke, 10 Schritte zum harten Euro, in: Handelsblatt vom 30. September 2011, online abrufbar unter: http://www.handelsblatt.com/politik/international/10-schritte-zum-harten-euro/4676130.html?p4676130=all (letzter Abruf: 23. Juli 2012). 4 Sester, Die Rolle der EZB in der europäischen Staatsschuldenkrise, EWS 2012, S. 80 (87). 5 Economic Research Commerzbank, a.a.O. 6 Vgl. etwa die Öffentliche Anhörung zum Entwurf eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 2. März 2012 über Stabilität , Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion am 7. Mai 2012 im Haushaltsausschuss , Protokoll Nr. 17/88, S. 12 ff. 7 Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, BT-Drs. 17/9045, S. 6 ff.; das Vertragsgesetz ist am 29. Juni 2012 vom Deutschen Bundestag angenommen worden; der Bundesrat stimmte ebenfalls am 29. Juni 2012 zu. 8 Brück, Gesellschaft mit unbeschränkter Haftung, in: FAZ vom 16. Mai 2012. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 130/12 Seite 5 ESM von jeglicher Zulassungs- und Lizensierungspflicht freistelle.9 Auch sei der ESM als eine internationale Finanzorganisation im Gegensatz zur EFSF als solche eine legitime Gegenpartei der EZB. Gleichwohl könne der EZB-Rat den ESM von der Liste der Geschäftspartner ausschließen , weil man in der Finanzierung des ESM ggf. eine verdeckte Staatsfinanzierung sehen könnte. Es gebe einen Beschluss des EZB-Rates, wonach die EZB dem ESM keine Kredite gewähren würde.10 Im Folgenden wird zunächst auf die entscheidende Vorschrift im ESM-Vertrag eingegangen. Sodann werden die rechtlichen Grundlagen der EZB daraufhin untersucht, ob die EZB tatsächlich ohne Banklizenz Kredite an den ESM vergeben dürfte. Das Verhalten der EZB ist zum einen an den europäischen Verträgen, insbesondere dem Vertrag über Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), zum anderen an der in einem Protokoll zu den europäischen Verträgen enthaltenen Satzung des europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank (ESZB-Satzung) zu messen. 2. Vorgaben im ESM-Vertrag Art. 32 Abs. 9 ESM-Vertrag lautet: „Der ESM ist von jeglicher Zulassungs- oder Lizenzierungspflicht, die nach dem Recht eines ESM- Mitgliedes für Kreditinstitute, Finanzdienstleistungsunternehmen oder sonstige der Zulassungs- oder Lizenzierungspflicht sowie der Regulierung unterliegende Unternehmen gilt, befreit.“ Aus dem die Mitgliedstaaten als Vertragsparteien völkerrechtlich bindenden ESM-Vertrag ergibt sich damit, dass keiner der ESM-Mitgliedstaaten vom ESM eine Banklizenz für seine Bankgeschäfte verlangen darf. Eine Aussage über die Zulässigkeit einer Refinanzierung über die EZB ergibt sich hieraus indes nicht. Insoweit ist für die EZB auf das Recht der EU zurückzugreifen. 3. Vorgaben in der Satzung des europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank Die ESZB-Satzung ist den europäischen Verträgen als Protokoll Nr. 4 beigefügt. Als Protokoll hat die Satzung nach Art. 51 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) damit den Rang von Primärrecht. Die für den Kontext der Fragestellung relevanten Artikel 18 und 19 ESZB-Satzung lauten: Artikel 18: Offenmarkt- und Kreditgeschäfte „18.1. Zur Erreichung der Ziele des ESZB und zur Erfüllung seiner Aufgaben können die EZB und die nationalen Zentralbanken - auf den Finanzmärkten tätig werden, indem sie auf Euro oder sonstige Währungen lautende Forderungen und börsengängige Wertpapiere sowie Edelmetalle endgültig (per Kasse oder Termin) oder im Rahmen von Rückkaufsvereinbarungen kaufen und verkaufen oder entsprechende Darlehensgeschäfte tätigen; 9 Häring, Ist der Krisenhelfer ESM in Wirklichkeit eine Bank?, in: Handelsblatt vom 16. Mai 2012. 10 Häring, a.a.O. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 130/12 Seite 6 - Kreditgeschäfte mit Kreditinstituten und anderen Marktteilnehmern abschließen, wobei für die Darlehen ausreichende Sicherheiten zu stellen sind. 18.2. Die EZB stellt allgemeine Grundsätze für ihre eigene Offenmarkt- und Kreditgeschäfte und die der nationalen Zentralbanken auf; hierzu gehören auch die Grundsätze für die Bekanntmachung der Bedingungen, zu denen sie bereit sind, derartige Geschäfte abzuschließen. Artikel 19: Mindestreserven 19.1. Vorbehaltlich des Artikels 2 kann die EZB zur Verwirklichung der geldpolitischen Ziele verlangen , dass die in den Mitgliedstaaten niedergelassenen Kreditinstitute Mindestreserven auf Konten bei der EZB und den nationalen Zentralbanken unterhalten. Verordnungen über die Berechnung und Bestimmung des Mindestreservezolls können vom EZB-Rat erlassen werden. Bei Nichteinhaltung kann die EZB Strafzinsen erheben und sonstige Sanktionen mit vergleichbarer Wirkung verhängen. 19.2. Zum Zwecke der Anwendung dieses Artikels legt der Rat nach dem Verfahren des Artikels 41 die Basis für die Mindestreserven und die höchstzulässigen Relationen zwischen diesen Mindestreserven und ihrer Basis sowie die angemessenen Sanktionen fest, die bei Nichteinhaltung anzuwenden sind.“ 3.1. Offenmarktgeschäfte Art. 18 ESZB-Satzung enthält den rechtlichen Rahmen für die geldpolitischen Geschäfte der EZB. Nach Art. 18.1., 1. Spiegelstrich ESZB-Satzung kann die EZB auf den Finanzmärkten tätig werden, indem sie Forderungen und börsengängige Wertpapiere kauft oder verkauft oder entsprechende Darlehensgeschäfte tätigt. Auf der Grundlage von Art. 18.1., 1. Spiegelstrich tätigt die EZB ihre sog. Offenmarktgeschäfte.11 Von Offenmarktgeschäften wird allgemein dann gesprochen , wenn die Initiative, Geld in Umlauf zu bringen, von der EZB ausgeht.12 Zu ihren Offenmarktgeschäften zählt die EZB folgende Instrumente: Hauptrefinanzierungsgeschäfte, Längerfristige Refinanzierungsgeschäfte, Feinsteuerungsoptionen und strukturelle Operationen.13. Beim Hauptrefinanzierungsgeschäft werden von der EZB wöchentlich Kredite mit einer Laufzeit von zwei Wochen angeboten. Über das Hauptrefinanzierungsgeschäft stellt die EZB dabei im größten Umfang dem Finanzsektor im Eurosystem Geld zur Verfügung.14 Beim längerfristigen Refinanzierungsgeschäft beträgt die Kreditlaufzeit drei Monate.15 Als Feinsteuerungsoptionen kommen z. B. 11 Vgl. Gaitanides, Das Recht der Europäischen Zentralbank, 2005, S. 111 f. 12 Heine/Herr, Die Europäische Zentralbank, 2008, S. 69. 13 Vgl. im Einzelnen hierzu: EZB, Durchführung der Geldpolitik im Euro-Währungsgebiet, 2008, S. 9; EZB, Die einheitliche Geldpolitik im Euro-Währungsgebiet, 2002, S. 14 ff.; Gaitanides, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, 2. Auflage 2010, § 31, Rdnr. 37 ff.; Häde, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 4. Auflage 2011, Art. 127 AEUV, Rdnr. 17 ff. 14 Gaitanides, Das Recht der Europäischen Zentralbank, 2005, S. 112. 15 EZB, Die einheitliche Geldpolitik im Euro-Währungsgebiet, 2002, S. 15; Gaitanides, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, 2. Auflage 2011, § 31, Rdnr. 40. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 130/12 Seite 7 Kredite mit wenigen Tagen Laufzeit in Betracht.16 Strukturelle Operationen stehen der EZB als Reserveinstrument für besondere geldpolitische Situationen zur Verfügung.17 Die genannten Geschäfte werden entweder als Pensionsgeschäfte – so wie es offenbar dem Vorschlag für die Banklizenz-Lösung entspricht (s. Einleitung ) – oder in Form von besicherten Krediten durchgeführt .18 Alle genannten Offenmarktgeschäfte können in Form von Standardtendern, Schnelltendern oder bilateralen Geschäften durchgeführt werden.19 Der Wortlaut von Art. 18.1., 1. Spiegelstrich ESZB-Satzung an sich sagt nichts darüber aus, mit wem die EZB (oder die nationalen Zentralbanken) die genannten Offenmarktgeschäfte abschließen kann. Eine Konkretisierung erhält die ESZB-Satzung jedoch durch die Leitlinie EZB/2011/14 (s. hierzu Ziffer 3.3.). 3.2. Refinanzierungsgeschäfte Nach Art. 18.1., 2. Spiegelstrich ESZB-Satzung kann die EZB „Kreditgeschäfte mit Kreditinstituten und anderen Marktteilnehmern abschließen“. Unter den Begriff „Kreditgeschäfte“ fallen als sog. ständige Fazilitäten die Spitzenrefinanzierungsfazilität und die Einlagefazilität.20 Im Gegensatz zu den Offenmarktgeschäften, die auf Initiative der EZB zustande kommen sollen, handelt es sich bei diesen beiden ständigen Fazilitäten um Kreditmöglichkeiten, deren Inanspruchnahme von den Geschäftspartnern der EZB ausgehen soll.21 Voraussetzung für die Tätigung solcher Kreditgeschäfte ist nach dem Wortlaut des Art. 18.1, 2. Spiegelstrich ESZB-Satzung, dass es bei dem Partner des Kreditgeschäfts um ein „Kreditinstitut“ oder um einen „anderen Marktteilnehmer“ handelt. Selbst wenn man den ESM nicht als Kreditinstitut begreifen würde (s. hierzu Ziffer 3.3.3. und 4.2.), erscheint es zumindest nach dem Wortlaut der ESZB-Satzung nicht ausgeschlossen, den ESM als „anderen Marktteilnehmer“ zu verstehen . Denn der ESM begibt selbst Anleihen am Kapitalmarkt und vergibt Kredite an notleidende Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets. Auch hier ist jedoch zu berücksichtigen, dass die EZSB-Satzung durch die Leitlinie EZB/2011/14 konkretisiert wird (s. Ziffer 3.3.). 16 Gaitandies, Das Recht der Europäischen Zentralbank, 2005, S. 114. 17 Gaitandies, Das Recht der Europäischen Zentralbank, 2005, S. 115. 18 EZB, Durchführung der Geldpolitik im Euro-Währungsgebiet, 2008, S. 15; Gaitanides, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, 2. Auflage 2011, § 31, Rdnr. 40. 19 EZB, Durchführung der Geldpolitik im Euro-Währungsgebiet, 2008, S. 8 f. und Fn. 5: Bei Standardtendern erfolgt die Durchführung innerhalb von höchstens 24 Stunden. Schnelltender werden grundsätzlich innerhalb von 90 Minuten durchgeführt. Bei bilateralen Geschäften führt die EZB nur mit einem oder wenigen Geschäfspartnern Geschäfte durch, ohne das Tenderverfahren zu nutzen. Hierzu gehören Operationen, die über die Börse oder über Vermittler durchgeführt werden. 20 S. hierzu EZB, Die einheitliche Geldpolitik im Euro-Währungsgebiet, 2002, S. 22 ff.; Gaitanides, in: Schulze/Zuleeg /Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, 2. Auflage 2010, § 31, Rdnr. 44 ff. 21 Häde, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 4. Auflage 2011, Art. 127 AEUV, Rdnr. 20. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 130/12 Seite 8 3.3. Leitlinie EZB/2011/14 Grundlegend für die Durchführung der Geldpolitik ist die erwähnte, seit dem 1. Januar 2012 geltende Leitlinie EZB/2011/14 über geldpolitische Instrumente und Verfahren des Eurosystems, die die Leitlinie EZB/2000/7 neu fasst.22 3.3.1. Rechtsgrundlage der Leitlinie Die Leitlinie EZB/2011/14 wurde vom EZB-Rat auf der Grundlage von Art. 127 Abs. 2, 1. Spiegelstrich AEUV sowie Art. 12.1 und 14.3 ESZB-Satzung i.V.m. Art. 18.2 und Art. 20 Abs. 1 ESZB- Satzung erlassen. Gemäß Art. 127 Abs. 2, 1. Spiegelstrich AEUV besteht eine der grundlegenden Aufgaben des ESZB darin, die Geldpolitik der Union festzulegen und auszuführen. Nach Art. 12.1 der ESZB- Satzung erlässt der EZB-Rat die hierfür erforderlichen „Leitlinien“ und „Beschlüsse“; darunter fallen auch Beschlüsse in Bezug auf die geldpolitischen Zwischenziele, Leitzinssätze und die Bereitstellung von Zentralbankgeld im ESZB. Die EZB kann die Bedingungen für die Inanspruchnahme der Offenmarktinstrumente oder der ständigen Fazilitäten also jederzeit ändern oder aussetzen .23 Sie kann autonom Recht in diesem Bereich setzen.24 3.3.2. Inhalt der Leitlinie Ziffer 1.4 und Ziffer 2 der Leitlinie EZB/2011/14 bestimmen die allgemeinen Zulassungskriterien , die die sog. Geschäftspartner für den Zugang zu den geldpolitischen Geschäften des ESZB erfüllen müssen: 1. Nach Ziffer 1.4 i.V.m. Ziffer 2.1 der Leitlinie EZB/2011/14 dürfen nur mindestreservepflichtige Institute gemäß Art. 19.1. der ESZB-Satzung die ständigen Fazilitäten in Anspruch nehmen und an Offenmarktgeschäften über Standardtender teilnehmen. 2. Nach Ziffer 2.1 muss es sich bei den Geschäftspartnern um finanziell solide Institute handeln . Sie sollen zumindest einer Form der auf EU- bzw. EWR25-Ebene harmonisierten Aufsicht durch die nationalen Behörden unterliegen. Im Hinblick auf ihre besondere EUrechtliche institutionelle Stellung können finanziell solide Institute im Sinne von Art. 123 Abs. 2 AEUV, die einer Aufsicht unterliegen, die einen der Aufsicht durch die zuständigen nationalen Behörden vergleichbaren Standard aufweist, als Geschäftspartner zugelassen werden. Wirtschaftlich solide Institute, die einer nicht harmonisierten Aufsicht durch zuständige nationale Behörden unterliegen, die einen mit der harmonisierten 22 Leitlinie der Europäischen Zentralbank vom 20. September 2011 über geldpolitische Instrumente und Verfahren des Eurosystems (Neufassung), EZB/2011/14, ABl. 2011 L 331/1, online abrufbar unter: http://www.ecb.int/ecb/legal/pdf/l_33120111214de00010095.pdf (letzter Abruf: 17. Juli 2012). S. hierzu Bieber /Epiney/Haag, Die Europäische Union, 9. Auflage 2011, § 21, Rdnr. 24. 23 Gaitanides, Das Recht der Europäischen Zentralbank, 2005, S. 118. 24 Gaitanides, Das Recht der Europäischen Zentralbank, 2005, S. 176. 25 EWR = Europäischer Wirtschaftsraum. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 130/12 Seite 9 EU/EWR-Aufsicht vergleichbaren Standard aufweisen, können ebenfalls als Geschäftspartner zugelassen werden, z. B. im Euro-Währungsgebiet ansässige Niederlassungen von Instituten, die außerhalb des EWR gegründet worden sind. 3. Die Geschäftspartner müssen sämtliche operationalen Kriterien erfüllen, die in vertraglichen oder öffentlich-rechtlichen Regelungen der betreffenden nationalen Zentralbank (oder der EZB) niedergelegt sind, um eine effiziente Durchführung der geldpolitischen Geschäfte des Eurosystems zu gewährleisten. Ziffer 1.4 und Ziffer 2.2 der Leitlinie EZB/2011/14 schreiben für andere Formen von Offenmarktgeschäften ergänzend vor: „Für die Teilnahme an Feinsteuerungsinstrumenten kann das Eurosystem eine begrenzte Anzahl von Geschäftspartnern auswählen. Devisenswapgeschäfte, die aus geldpolitischen Gründen durchgeführt werden, werden mit devisenmarktaktiven Instituten abgeschlossen . Der Kreis der Geschäftspartner ist hierbei auf diejenigen Institute beschränkt, die für Devisenmarktinterventionen des Eurosystems ausgewählt wurden und im Euro-Währungsraum ansässig sind.“ 3.3.3. Mindestreservepflicht für ständige Fazilitäten und Offenmarktgeschäfte über Standardtender Nur mindestreservepflichtige Institute gem. Art. 19.1. der ESZB-Satzung dürfen nach der Leitlinie EZB/2011/14 die ständigen Fazilitäten in Anspruch nehmen und an den in der Praxis wichtigen Offenmarktgeschäften über Standardtender teilnehmen. Die Frage, ob ein Institut der Mindestreservepflicht unterliegt, regelt wiederum die Verordnung (EG) Nr. 1745/2003 der EZB über die Auferlegung einer Mindestreservepflicht.26 Nach Art. 2 der Verordnung Nr. 1745/2003 unterliegen nur „Kreditinstitute“ im Sinne der Richtlinie 2006/48/EG27 bzw. Zweigstellen solcher Kreditinstitute der Mindestreservepflicht. Die Richtlinie 2006/48/EG definiert ein „Kreditinstitut“ in Art. 4 Nr. 1 als „ein Unternehmen, dessen Tätigkeit darin besteht, Einlagen oder andere rückzahlbare Gelder des Publikums entgegenzunehmen und Kredite für eigene Rechnung zu gewähren“. Unter bestimmten Voraussetzungen kann die EZB Gruppen von Instituten von der Mindestreservepflicht freistellen (Art. 2 Abs. 2 der Verordnung 1745/2003),28 z. B. solche, deren Einbeziehung in das Mindestreservesystem der EZB nicht zweckmäßig wäre (Variante c)). In diesem Zusammenhang ist darauf zu verweisen, dass die EZB die Europäische Investitionsbank (EIB) am 8. Juli 2009 als Geschäftspartner im Sinne der Leitlinie EZB/2011/14 akzeptiert 26 Verordnung (EG) Nr. 1745/2003 der Europäischen Zentralbank vom 12. September 2003 über die Auferlegung einer Mindestreservepflicht (EZB/2003/9), ABl. L 250/10, zuletzt geändert durch Verordnung (EU) Nr. 1358/2011 der Europäischen Zentralbank vom 14. Dezember 2011, ABl. L 338/51, konsolidierte Fassung online abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CONS- LEG:2003R1745:20120118:DE:PDF (letzter Abruf: 17. Juli 2012). 27 Die in der Verordnung (EG) Nr. 1745/2003 in Bezug genommene Richtlinie 2000/12/EG ist durch die Richtlinie 2006/49/EG neugefasst worden: Richtlinie 2006/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute (Neufassung), ABl. L 177/1. Konsolidierte Fassung online abrufbar unter: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CONS- LEG:2006L0048:20111209:DE:PDF (letzter Abruf: 17. Juli 2012). 28 Vgl. zur Mindestreservepflicht ausführlich Gaitanides, in: Schulze/Zuleeg/Kadelbach (Hrsg.), Europarecht, 2. Auflage 2010, § 31, Rdnr. 54 ff. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 130/12 Seite 10 hat. In ihrer Pressemitteilung hierzu wies die EZB darauf hin, dass die EIB alle Anspruchsvoraussetzungen erfülle und Mindestreserven im Eurosystem unterhalten würde.29 Zweifelhaft ist, ob es sich beim ESM um ein Kreditinstitut im Sinne der Richtlinie 2006/48/EG handelt. Während Häring dies in seinem Artikel im Handelsblatt offenbar unproblematisch bejaht ,30 hegen die Sauer/van Roosebeke31 und Hattenberger32 diesbzgl. eher Zweifel. Da es auf die Frage der Einordnung als Kreditinstitut im Zusammenhang mit Art. 123 AEUV ankommt, wird diese Frage an dieser Stelle zunächst offengelassen (s. Ziffer 4.2.). Ziffer 1.6. der Leitlinie EZB/2011/14 bestimmt jedenfalls ausdrücklich, dass der EZB-Rat die Instrumente , Konditionen, Zulassungskriterien und Verfahren für die Durchführung von geldpolitischen Geschäften jederzeit ändern kann. Es scheint demnach theoretisch nicht ausgeschlossen, dass der EZB-Rat auch nicht-mindestreservepflichtigen Marktteilnehmern seine geldpolitischen Instrumente der Offenmarktgeschäfte im Standardtender und seine ständigen Einlagen zur Verfügung stellt.33 Hiergegen spricht insbesondere auch nicht der Wortlaut der als Primärrecht vorrangigen ESZB-Satzung. Wie oben dargelegt, schließt der Wortlaut von Art. 18.1 ESZB-Satzung sowohl bzgl. der Offenmarktgeschäfte als auch bzgl. der ständigen Einlagen eine solche Auslegung nicht aus. 3.3.4. Weitere Voraussetzungen für die Zulassung als Geschäftspartner Wie oben dargelegt, ist Voraussetzung für die Zulassung bei der EZB als Geschäftspartner für alle Formen von geldpolitischen Geschäften, dass es sich um finanziell solide Institute handelt, die der Aufsicht durch nationale Behörden unterliegen. Eine Ausnahme wird für Institute im Sinne des Art. 123 Abs. 2 AEUV gemacht, d. h. für Kreditinstitute im öffentlichen Eigentum, die einer vergleichbaren Aufsicht unterliegen (s. hierzu Ziffer 4.2.). Bei endgültigen Käufen und Verkäufen ist der Kreis der Geschäftspartner von vornherein nicht beschränkt (Ziffer 2.2 S. 1 der Leitlinie EZB 2011/14/EG). 3.4. Zwischenfazit Allein unter Berücksichtigung dieses Binnenrechts des ESZB, wie es sich aus der Leitlinie EZB/2011/14, könnte die EZB jedenfalls ihre Leitlinien autonom so gestalten bzw. abändern, dass der ESM als Geschäftspartner Kredite der EZB in Anspruch nehmen könnte. Sie könnte die Zulassungskriterien für den Abschluss geldpolitischer Geschäfte mit der EZB bzw. den nationalen 29 S. EZB, Pressemitteilung vom 7. Mai 2009, „EIB becomes an eligible counterparty in the Eurosystem’s monetary policy operations“, online abrufbar unter: http://www.ecb.int/press/pr/date/2009/html/pr090507_1.en.html# (letzter Abruf: 17. Juli 2012). 30 Häring, Ist der Krisenhelfer ESM in Wirklichkeit eine Bank?, in: Handelsblatt vom 16. Mai 2012. 31 Sauer/van Roosebeke, ESM-Kritik zu weit getrieben, in: FAZ vom 22. Juni 2012. 32 Hattenberger, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 3. Auflage 2012, Art. 123 AEUV, Rdnr. 4. 33 So auch Sauer/van Roosebeke, ESM-Kritik zu weit getrieben, in: FAZ vom 22. Juni 2012. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 130/12 Seite 11 Zentralbanken entsprechend ändern.34 Bei dieser Argumentation wurde jedoch bislang Art. 123 AEUV komplett außer Betracht gelassen, der als Primärrecht der Union das Handeln der EZB bindet. 4. Vereinbarkeit einer Kreditvergabe an den ESM mit Artikel 123 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union 4.1. Norminhalt und Reichweite des Verbots Nach der Verbotsnorm des Art. 123 Abs. 1 AEUV ist es weder der EZB noch den nationalen Zentralbanken gestattet, der EU oder den Mitgliedstaaten direkte Kredite zu gewähren oder deren Schuldtitel unmittelbar zu erwerben (sog. monetäre Haushaltsfinanzierung). Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass sich die EU oder die Mitgliedstaaten nicht über die EZB oder die jeweilige nationale Zentralbank zu deren – im Vergleich zu den Kapitalmärkten günstigeren – Bedingungen refinanzieren können, sondern stattdessen ihren Kapitalbedarf unter den geltenden Bedingungen der Finanzmärkte decken.35 Die Möglichkeit eines Mitgliedstaates, sich unter Umgehung der Kapitalmärkte bei einer Zentralbank – der EZB oder der nationalen Zentralbank – zu refinanzieren, könnte sich andernfalls nach übereinstimmender Meinung in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur inflationsfördernd auswirken.36 Wäre z. B. die EZB vertraglich verpflichtet , den Mitgliedstaaten unbegrenzt Kredite zu gewähren, geriete diese Geldmengenkomponente aus ihrem Kontrollbereich.37 Über die Höhe der monetären Basis würde anstelle der EZB ein nationaler Haushaltsgesetzgeber entscheiden.38 Durch das Verbot der monetären Finanzierung durch die Zentralbanken wird der öffentliche Sektor zu einer Kreditfinanzierung an den Kapitalmärkten gezwungen. Unsolide Haushaltsführung wird dort mit Zinsaufschlägen quittiert.39 Das Verbot gemäß Art. 123 AEUV soll damit die Bemühungen um eine solide Haushaltspolitik fördern. Das Verbot bezieht sich auf zwei Aspekte: die direkten Zentralbankkredite und den unmittelbaren Erwerb von Schuldtiteln durch die EZB oder die nationalen Zentralbanken. Die einzelnen 34 So auch Sauer/van Roosebeke, ESM-Kritik zu weit getrieben, in: FAZ vom 22. Juni 2012. Darüber hinaus könnte der EZB-Rat mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen auch über die Anwendung anderer als der oben erwähnten Instrumente der Geldpolitik entscheiden, die er unter Beachtung der Aufgaben des ESZB für zweckmäßig hält. Vgl. Gaitanides, Das Recht der Europäischen Zentralbank, 2005, S. 135. 35 Vgl. zur inhaltsgleichen Norm des Art. 101 EGV: Gnan, in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, 6. Auflage 2003, Art. 101 EGV, Rdnr. 3. 36 Gaitanides, Das Recht der Europäischen Zentralbank, 2005, S. 98; Hattenberger, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar , 3. Auflage 2012, Art. 123 AEUV, Rdnr. 1. 37 Gaitanides, Das Recht der Europäischen Zentralbank, 2005, S. 98; Kempen, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 2. Auflage 2012, Art. 123 AEUV, Rdnr. 1. 38 Vgl. Gaitanides, Das Recht der Europäischen Zentralbank, 2005, S. 98. 39 Häde, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 4. Aufl., 2011, Art. 123 AEUV, Rdnr. 2; Bandilla, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Loseblatt, EL 44 Mai 2011, Art. 123 AEUV, Rdnr. 1. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 130/12 Seite 12 Tatbestandsmerkmale des Art. 123 AEUV werden durch die Verordnung (EG) Nr. 3603/9340 (Verordnung 3603/93) inhaltlich konkretisiert. 4.1.1. Verbot des direkten Zentralbankkredits Art. 123 Abs. 1 Alt. 1 AEUV verbietet Überziehungs- und andere Kreditfazilitäten bei der EZB und den Zentralbanken der Mitgliedstaaten für die dort genannten Schuldner des öffentlichen Sektors. Das Verbot richtet sich an Gläubiger und Schuldner gleichermaßen.41 Definiert wird eine „Überziehungsfazilität“ als „jede Bereitstellung von Mitteln zugunsten des öffentlichen Sektors, deren Verbuchung einen Negativsaldo ergibt oder ergeben könnte“ (Art. 1 Abs. 1 lit. a der Verordnung 3603/93). Als „andere Kreditfazilität“ wird grundsätzlich jede andere bestehende Forderung , „jede Finanzierung von Verbindlichkeiten des öffentlichen Sektors gegenüber Dritten“ und „jede Transaktion mit dem öffentlichen Sektor, die zu einer Forderung an diesen führt oder führen könnte“ bezeichnet (Art. 1 Abs. 1 lit. b der Verordnung 3603/93). 4.1.2. Subsumtion Entscheidend in diesem Kontext zu fragen ist, ob der ESM ein Schuldner des „öffentlichen Sektors “ ist, dem nach Art. 123 Abs. 1 AEUV grundsätzlich keine Form eines Kredites bereitgestellt werden darf. Art. 3 Abs. 1 der Verordnung 3603/93 definiert als „öffentlichen Sektor“ für die Zwecke dieser Art. 123 AEUV konkretisierenden Verordnung „die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft sowie der Zentralregierungen, regionalen oder lokalen Gebietskörperschaften, die anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften und die sonstigen Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentliche Unternehmen der Mitgliedstaaten“. Es handelt sich hierbei um eine sehr umfassende Definition, von der angenommen wird, dass sie keine Schlupflöcher gewähren soll.42 Eine Finanzierung der öffentlichen Haushalte durch die EZB sollte „auch nicht durch die Hintertür “ zugelassen werden.43 Der ESM definiert sich selbst als eine „internationale Finanzinstitution“ (Art. 1 Abs. 1 ESM-Vertrag ), die von 17 Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets mittels eines völkerrechtlichen Vertrages gegründet wurde. Internationale Finanzinstitutionen sind beispielsweise auch die Weltbank oder der IWF. Es handelt sich beim ESM damit letztlich um eine gemeinsame Einrichtung von Zentralregierungen der EU, so dass der ESM grundsätzlich als Schuldner des „öffentlichen Sektors“ eingeordnet werden dürfte. 40 Verordnung (EG) Nr. 3603/93 des Rates vom 13. Dezember 1993 zur Festlegung der Begriffsbestimmungen für die Anwendung der in Art. 104 und 104b Abs. 1 des Vertrages vorgesehenen Verbote, abrufbar unter: http://eurlex .europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=CELEX:31993R3603:DE:HTML (letzter Abruf: 17. Juli 2012). 41 Kempen, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 2. Auflage 2012, Art. 123 AEUV, Rdnr. 2; Bandilla, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Loseblatt, EL 44 Mai 2011, Art. 123 AEUV, Rdnr. 6; Hattenberger, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 3. Auflage 2012, Art. 123 AEUV, Rdnr. 1. 42 Bandilla, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Das Recht der EU, Bd. II, Loseblatt, Art. 123 AEUV, Rdnr. 8, Stand: Mai 2011. 43 So Häde, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 4. Auflage 2011, Art. 123 AEUV, Rdnr. 12. Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 130/12 Seite 13 4.2. Ausnahmen Eine Ausnahme vom Verbot des direkten Zentralbankkredits gilt nach Art. 123 Abs. 2 AEUV für die Kreditinstitute im öffentlichen Eigentum. Diese sollen bei der Bereitstellung von Zentralbankkrediten wie private Kreditinstitute behandelt werden und so die geldpolitischen Instrumente der EZB in Anspruch nehmen können.44 Auf der Grundlage von Art. 123 Abs. 2 AEUV können sich so beispielsweise die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) oder die Europäische Investitionsbank (EIB) über die EZB finanzieren.45 Es ist deswegen von Gros und Mayer angenommen worden, dass sich die EFSF - mit einer Banklizenz ausgestattet - als Kreditinstitut im öffentlichen Eigentum über Art. 123 Abs. 2 AEUV der geldpolitischen Instrumente der EZB ohne Verstoß gegen Art. 123 Abs. 1 AEUV bedienen könnte.46 Der Vorstandschef der EFSF Regling und auch die Bundesregierung sahen demgegenüber bezogen auf die EFSF auch in einem solchen Fall aller Voraussicht nach einen Verstoß gegen Art. 123 AEUV.47 Zu fragen ist also, ob der ESM – vergleichbar mit der EIB oder der KfW – als Kreditinstitut im Sinne des Art. 123 Abs. 2 AEUV zu fassen ist.48 Hierfür könnte zunächst sprechen, dass sich der ESM selbst als „internationale Finanzinstitution“ bezeichnet (s. oben) und letztlich Funktionen eines Kreditinstituts wahrnimmt. Jedoch ist es sein alleiniger Zweck, ESM-Mitgliedern mit schwerwiegenden Finanzierungsproblemen Stabilitätshilfe zu Konditionen bereitzustellen, die sie am Markt nicht mehr erzielen könnten (Art. 3 ESM-Vertrag).49 Dies läuft der Zwecksetzung des Art. 123 AEUV (s. Ziffer 4.1.) grundsätzlich zuwider.50 Sester verweist deswegen auch auf den Missbrauch der EZB durch die Finanzierung von Regierungen über den ESM und auf das hohe Risiko, dem die EZB durch die Finanzierung des ESM ausgesetzt sei.51 Die EZB selbst hat in einer Stellungnahme vom 17. Mai 2011 festgestellt: „[…] Artikel 123 AEUV [würde] in Bezug auf die Rolle der EZB und des Eurosystems dem ESM nicht erlauben, ein Geschäftspartner des Eurosystems im Sinne von Artikel 18 des ESZB-Satzung zu werden. Bezüglich des Letzteren erinnert die EZB daran, dass das Verbot der monetären Finanzierung in Artikel 123 44 Khan, in: Geiger/Khan/Kotzur (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 123 AEUV, Rdnr. 7. 45 Gros/Mayer, Refinancing the EFSF via the ECB, CEPS Commentary vom 18. August 2011, S. 4, online abrufbar unter: http://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=gros%20mayer%202011%20article %20123&source=web&cd=5&ved=0CD0QFjAE&url=http%3A%2F%2Fwww.ceps.eu%2Fceps%2Fdownload %2F5978&ei=t52mTqWaLMTBtAbxrunFDQ&usg=AFQjCNGFKq0x8RId0RYD5qnu6X3sRVo5VQ&cad=rja (letzter Abruf: 17. Juli 2012); s. EZB, Pressemitteilung vom 7. Mai 2009, „EIB becomes an eligible counterparty in the Eurosystem’s monetary policy operations“, online abrufbar unter: http://www.ecb.int/press/pr/date/2009/html/pr090507_1.en.html# (letzter Abruf: 17. Juli 2012). 46 Darauf weisen hin: Gros/Mayer, a.a.O., S. 4. 47 So das Zitat im Handelsblatt vom 17. Oktober 2011, „Rettungsschirm bleibt ohne Banklizenz“. 48 Vgl. hierzu Hattenberger, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 3. Auflage 2012, Art. 123 AEUV, Rdnr. 4. 49 Hattenberger, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 3. Auflage 2012, Art. 123 AEUV, Rdnr. 4. 50 Hattenberger, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 3. Auflage 2012, Art. 123 AEUV, Rdnr. 4. 51 Sester, Die Rolle der EZB in der europäischen Staatsschuldenkrise, EWS 2012, S. 80 (87). Wissenschaftliche Dienste Ausarbeitung WD 11 – 3000 – 130/12 Seite 14 AEUV sowohl aus Gründen der Haushaltsdisziplin der Mitgliedstaaten als auch zur Einhaltung der Integrität der einheitlichen Geldpolitik und der Unabhängigkeit der EZB und des Eurosystems eine der Säulen der Rechtsstruktur der WWU [Wirtschafts- und Währungsunion] ist.“52 Exkurs: Eine weitere Ausnahme ist mit Art. 7 der Verordnung 3603/93 für Verpflichtungen des öffentlichen Sektors gegenüber dem Internationalen Währungsfonds (IWF) oder aufgrund der Aktivierung des mittelfristigen Beistands der EU nach Maßgabe des heutigen Art. 143 AEUV53 geschaffen worden. Finanzierungen des öffentlichen Sektors, die aufgrund der genannten Verpflichtungen erforderlich werden, gelten nicht als Kreditfazilitäten im Sinne von Art. 123 Abs. 1 AEUV. 5. Abschließende Bewertung Entscheidend für die Frage, ob die EZB den ESM als Geschäftspartner im Sinne des Art. 18 ESZB-Satzung – ggf. unter Änderung ihrer Leitlinien – zulassen dürfte, ist die Auslegung des vorrangigen Art. 123 Abs. 2 AEUV. Sowohl von der EZB selbst als auch in der Rechtswissenschaft wird vorgetragen, dass Art. 123 AEUV nach Sinn und Zweck und unter Missbrauchsgesichtspunkten einer Zulassung des ESM zur Refinanzierung über die EZB entgegenstehen würde. - Fachbereich Europa - 52 Stellungnahme der Europäischen Zentralbank vom 17. März 2011 zu einem Entwurf des Beschlusses des Europäischen Rates zur Änderung des Artikels 136 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union hinsichtlich eines Stabilitätsmechanismus für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, CON/2011/24, Ziffer 9. 53 Mitgliedstaaten der EU, die nicht gleichzeitig der Eurozone angehören, können bei Zahlungsbilanzschwierigkeiten unter bestimmten Voraussetzungen einen sog. gegenseitigen Beistand gem. Art. 143 AEUV erhalten. Ein solcher gegenseitiger Beistand der EU wurde bislang im Zuge der Banken- und Finanzkrise Ungarn, Lettland und Rumänien gewährt. Art. 143 AEUV wird sekundärrechtlich ausgestaltet durch die Verordnung (EG) Nr. 332/2002 zur Einführung einer Fazilität des mittelfristigen finanziellen Beistands zur Stützung der Zahlungsbilanz der Mitgliedstaaten, ABl. 2002 L 53/1.