© 2015 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 128/15 Dublin-III-Verordnung – Zurückschiebung von Drittstaatsangehörigen und Antragstellern Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 128/15 Seite 2 Dublin-III-Verordnung – Zurückschiebung von Drittstaatsangehörigen und Antragstellern Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 128/15 Abschluss der Arbeit: 27.10.2015 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 128/15 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellung 5 2. Begriffsklärung 6 3. Rechtsgrundlagen der Überstellung 6 3.1. Vorgaben der Dublin-III-Verordnung 7 3.1.1. Anwendungsvoraussetzungen 7 3.1.1.1. Antrag im Aufenthaltsstaat 7 3.1.1.2. Kein Antrag im Aufenthaltsstaat 7 3.1.2. Kriterien zur Bestimmung der Zuständigkeit 8 3.1.3. Rechtsfolgen 9 3.1.4. Zwischenergebnis 9 3.2. Vorgaben der Rückführungsrichtlinie 10 3.2.1. Anwendungsvoraussetzungen 10 3.2.2. Rechtsfolgen 11 3.2.3. Zwischenergebnis 11 3.3. Vorgaben bilateraler Rückübernahmeabkommen 11 3.3.1. Anwendungsvoraussetzungen 12 3.3.1.1. Positive Entscheidung 12 3.3.1.2. Negative Entscheidung 13 3.3.2. Rechtsfolgen 13 3.3.3. Zwischenergebnis 14 4. Möglichkeiten der Zurückweisung und Zurückschiebung 14 4.1. Regelungen betreffend die Zurückweisung und Zurückschiebung in Deutschland 14 4.1.1. Drittstaatsangehörige ohne Antrag auf internationalen Schutz 14 4.1.2. Drittstaatsangehörige mit Antrag auf internationalen Schutz 15 4.2. Vorgaben der Dublin-III-Verordnung 16 4.2.1. Vorrang der Dublin-Regelungen 16 4.2.2. Zwischenergebnis 17 4.3. Vorgaben der Rückführungsrichtlinie und der Rückübernahmeabkommen 18 4.3.1. Rückführungsrichtlinie 18 4.3.2. Rückübernahmeabkommen 19 4.3.3. Zwischenergebnis 19 4.4. Exkurs: Vorgaben der Schengen-Abkommen 20 4.4.1. Verbot von Grenzkontrollen 20 4.4.2. Möglichkeit der (kurzfristigen) Wiedereinführung von Grenzkontrollen 21 4.4.3. Zwischenergebnis 22 5. Pflicht zur Rücknahme 22 5.1. Vorgaben der Dublin-III-Verordnung 22 5.2. Vorgaben bilateraler Rückübernahmeabkommen 23 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 128/15 Seite 4 5.3. Vorgaben der Rückführungsrichtlinie 23 5.4. Exkurs: Rechtsschutz gegen die Überstellung 24 5.4.1. Gründe gegen eine Dublin-Überstellung 24 5.4.2. Gründe gegen Überstellungen bei anderer Rechtsgrundlage 26 6. Fazit 26 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 128/15 Seite 5 1. Fragestellung Die Ausarbeitung befasst sich mit der Frage nach der Zulässigkeit der Überstellung von Drittstaatsangehörigen innerhalb der Europäischen Union (EU) und der Pflicht von Transitstaaten, Drittstaatsangehörige zurückzunehmen. Vor dem Hintergrund der Überlegungen der österreichischen Regierung, Drittstaatsangehörige in angrenzende EU-Mitgliedstaaten (Slowenien, Ungarn) zu überstellen, geht die Ausarbeitung auf die Frage ein, inwiefern eine solche Überstellung durch die Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (die sog. Dublin-III-Verordnung)1 und die Schengen-Abkommen 2 gedeckt wäre. Die Frage wird vorliegend unter Heranziehung unionsrechtlicher und deutscher Rechtsnormen beantwortet. Dabei werden zunächst wichtige Begriffe geklärt (2.), bevor anschließend ein Überblick über die Rechtsgrundlagen für eine Überstellung von Drittstaatsangehörigen gegeben wird (3.). Wenn die Drittstaatsangehörigen in dem Staat ihres aktuellen Aufenthalts einen Antrag auf internationalen Schutz stellen, ist grundsätzlich die sog. Dublin-III-Verordnung anwendbar. Die Dublin-III-Verordnung regelt sowohl die Frage, welcher Staat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, als auch die Verfahrensfragen hinsichtlich der Überstellung der Antragsteller in den zuständigen Staat. Erst wenn die Dublin-III-Verordnung nicht greift, können andere Normen wie die Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG3 oder bilaterale Rückübernahmeabkommen zur Anwendung kommen. Im Anschluss an diese Darstellung der Rechtsgrundlagen werden die besonderen Konstellationen unterschieden, aus denen die Überstellung eines Drittstaatsangehörigen bzw. Antragsteller heraus erfolgen können (4.). Dabei werden die Konstellationen einer Zurückweisung an der Grenze und einer Zurückschiebung im grenznahen Bereich im Unterschied zur Abschiebung nach einem Aufenthalt in Deutschland dargestellt. Es wird geprüft, inwiefern diese Vorgehensweisen mit den Vorgaben der Dublin-III-Verordnung, der Rückführungsrichtlinie und bilateralen Rückübernahmeabkommen vereinbar sind. In einem Exkurs wird auch die Vereinbarkeit von Personenkontrollen im Grenzgebiet bzw. an den Grenzen mit den Schengen-Abkommen geprüft. 1 Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (Neufassung), ABl. 2013 L, 180/31, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUri- Serv.do?uri=OJ:L:2013:180:0031:0059:DE:PDF. 2 Die Schengen-Abkommen umfassen verschiedene Rechtsakte. Im Folgenden ist insbesondere der Schengener Grenzkodex von Bedeutung: Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex), ABl. 2006 L, 105/1, konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02006R0562-20131126&from=EN. 3 Richtlinie 2008/115/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger, ABl. 2008 L, 348/98, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32008L0115&from=DE. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 128/15 Seite 6 Im Anschluss wird geklärt, welchen Staaten eine Rücknahmeverpflichtung in Bezug auf Drittstaatsangehörige obliegt und insbesondere, ob Transitstaaten zur Rücknahme von Drittstaatsangehörigen verpflichtet sind (5.). Dabei wird in einem Exkurs dargestellt, welche Gründe ein Antragsteller oder Drittstaatsangehöriger gegen eine Überstellung vorbringen kann. 2. Begriffsklärung Die Dublin-III-Verordnung versteht unter dem Begriff „Drittstaatsangehörige“ gemäß Art. 2 lit. a) jede Person, die nicht Unionsbürger ist und bei der es sich nicht um den Staatsangehörigen eines Staates handelt, der sich aufgrund eines Abkommens mit der EU an der Dublin-III-Verordnung beteiligt. Der Begriff Antragsteller bezeichnet nach Art. 2 lit. c) einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, über den noch nicht endgültig entschieden wurde. Diese Begriffe werden mit eben dieser Bedeutung in der folgenden Ausarbeitung verwendet.4 Der Antrag auf internationalen Schutz umfasst nach Art. 2 lit. h) der Qualifikationsrichtlinie 2011/95/EU5, auf welche die Dublin-III-Verordnung in Art. 2 lit. b) verweist, das Ersuchen eines Drittstaatsangehörigen um Schutz durch einen Mitgliedstaat, wenn davon ausgegangen werden kann, dass der Antragsteller die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder die Gewährung des subsidiären Schutzstatus anstrebt, und wenn er nicht ausdrücklich um eine andere, gesondert zu beantragende Form des Schutzes ersucht. 3. Rechtsgrundlagen der Überstellung Zunächst wird auf die Frage eingegangen, inwiefern es möglich ist, Drittstaatsangehörige und Antragsteller nach einer Einreise in die Bundesrepublik Deutschland in angrenzende (Transit-) Staaten bzw. in solche Staaten zu überstellen, die an dem durch die Dublin-III-Verordnung errichteten System teilnehmen (im Folgenden: Dublin-Staaten). Dies bestimmt sich grundsätzlich nach der Dublin-III-Verordnung. In bestimmten Fällen sind die Rückführungsrichtlinie oder bilaterale Rückübernahmeabkommen entscheidend. Die anzuwendenden Rechtsgrundlagen unterscheiden sich insbesondere danach, ob und wo ein einreisender Drittstaatsangehöriger einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat und ob über diesen bereits entschieden worden ist. Die erste wichtige Weichenstellung ist die Frage, ob der einreisende Drittstaatsangehörige in Deutschland einen Antrag auf internationalen Schutz stellt oder nicht. Anschließend ist zu klären , ob bereits ein Antrag auf internationalen Schutz in einem anderen Dublin-Staat als Deutschland gestellt worden ist. Die anzuwendenden Rechtsvorgaben unterscheiden sich, je nachdem ob 4 Wobei der Begriff des Drittstaatsangehörigen den Staatenlosen mitumfasst. 5 Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. 2011 L, 337/9, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal -content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32011L0095&from=DE. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 128/15 Seite 7 ein solcher vorangegangener Antrag noch offen ist, positiv oder negativ beschieden wurde oder gar nicht gestellt worden ist. 3.1. Vorgaben der Dublin-III-Verordnung Die Dublin-III-Verordnung regelt die Kriterien und das Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaates des Dublin-Systems, der für die Prüfung des in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist. Auf Grundlage der Dublin-III-Verordnung wird ein Mitgliedstaat bestimmt, der über den Antrag entscheidet. Dabei dient die Verordnung dem Ziel, dass jeder Antrag auf internationalen Schutz nur einmal für alle Dublin-Staaten geprüft wird.6 3.1.1. Anwendungsvoraussetzungen In den Anwendungsbereich der Dublin-III-Verordnung fallen grundsätzlich die Personen, die in der EU einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, über den noch nicht oder negativ entschieden wurde.7 Es ist jedoch zu differenzieren zwischen den Fällen, in denen im aktuellen Aufenthaltsstaat ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird und Fällen, in denen dies nicht der Fall ist. 3.1.1.1. Antrag im Aufenthaltsstaat Wenn im Aufenthaltsstaat ein Antrag gestellt wird, ist gemäß der Dublin-III-Verordnung durch den Aufenthaltsstaat zu ermitteln, welcher Dublin-Staat für die Prüfung dieses Antrags zuständig ist. Die Dublin-III-Verordnung kommt in Bezug auf die Überstellung zur Anwendung, wenn der Antragsteller vorher noch keinen Antrag gestellt hat oder einen Antrag in einem anderen Dublin- Staat gestellt hat, über den noch nicht entschieden worden ist. Wenn über einen Schutzantrag in einem anderen Mitgliedstaat als dem Aufenthaltsstaat bereits negativ entschieden worden ist, erfolgt die Rückführung gemäß Art. 23 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 18 lit. d) ebenfalls gemäß der Dublin-III-Verordnung. Nur Antragsteller, über deren Schutzantrag bereits positiv in einem Dublin -Staat entschieden worden ist, unterliegen bezüglich der Rückführung Art. 6 Abs. 2 der Rückführungsrichtlinie sowie den Vorschriften des nationalen Rechts in Verbindung mit bilateralen Rückübernahmeabkommen und nicht der Dublin-III-Verordnung.8 3.1.1.2. Kein Antrag im Aufenthaltsstaat Wenn im Aufenthaltsstaat kein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist, muss der Aufenthaltsstaat nicht ermitteln, wer nach der Dublin-III-Verordnung für die Prüfung eines Antrags zuständig wäre. In diesem Fall können die Rückführungsrichtlinie oder die bilateralen 6 Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, 2014, Einführung, S. 22. 7 Bender/Bethke, „Dublin III“, Eilrechtsschutz und das Comeback der Drittstaatenregelung, Asylmagazin 11/2013, S. 358 (359). 8 Bender/Bethke, „Dublin III“, Eilrechtsschutz und das Comeback der Drittstaatenregelung, Asylmagazin 11/2013, S. 358 (359). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 128/15 Seite 8 Rückübernahmeabkommen zur Anwendung kommen. Nach Art. 6 Abs. 1 der Rückführungsrichtlinie kann der Aufenthaltsstaat eine Rückkehrentscheidung gegen den Drittstaatsangehörigen erlassen oder nach Art. 6 Abs. 3 der Rückführungsrichtlinie die Person von einem anderen Mitgliedstaat aufgrund eines bilateralen Rückübernahmeabkommen aufnehmen lassen. Der Aufenthaltsstaat muss, wenn bei ihm kein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird, zwar nicht nach der Dublin-III-Verordnung vorgehen, er kann gemäß Art. 24 Abs. 2 der Dublin- III-Verordnung aber auch bei fehlender Antragstellung den nach der Dublin-III-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat ermitteln, um den Drittstaatsangehörigen dorthin zu überstellen.9 Wenn sich dabei herausstellt, dass der Drittstaatsangehörige in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist er gemäß Art. 24 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung in den zuständigen Mitgliedstaat zu überstellen, sofern der Antrag noch nicht beschieden ist. Ist der Antrag bereits durch eine rechtskräftige Entscheidung abgelehnt worden, hat der Aufenthaltsstaat nach Art. 24 Abs. 4 der Dublin-III-Verordnung die Wahl, ob er den (ehemals) zuständigen Staat um Wiederaufnahme ersucht oder ob er eine Rückführung gemäß der Rückführungsrichtlinie durchführt. Ist der Antrag bereits positiv beschieden, greifen bezüglich der Rückführung die Rückführungsrichtlinie bzw. die Vorschriften bilateraler Rückübernahmeabkommen. 3.1.2. Kriterien zur Bestimmung der Zuständigkeit Nach Art. 3 Abs. 1 der Dublin-III-Verordnung ist jeder Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen , den ein Drittstaatsangehöriger im Hoheitsgebiet eines Dublin-Staats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Wenn in einem Dublin-Staat ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird, ermittelt der Staat gemäß den Kriterien der Dublin-III-Verordnung, welcher Staat für die Prüfung dieses Antrags zuständig ist. Lässt sich der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, nach Art. 3 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung für die Prüfung zuständig. Die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates erfolgt nach den Kriterien des Kapitels 3 der Dublin-III-Verordnung. Vorrangig zuständig ist nach Art. 9 bzw. 10 der Staat, in dem Familienangehörige des Antragstellers Begünstigte internationalen Schutzes sind oder internationalen Schutz beantragt haben. Nach Art. 12 ist der Staat zuständig, der dem Antragsteller einen Aufenthaltstitel ausgestellt hat. Diese Fälle sind zwar vorrangig, aber alle verhältnismäßig selten, daher ist in der Regel der Einreisestaat zuständig.10 Gemäß Art. 13 Abs. 1 der Dublin-III-Verordnung ist nämlich der Staat, dessen Land-, See- oder Luftgrenze der Antragsteller aus einem Drittstaat kommend bei seiner Einreise in die EU illegal überschritten hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Es ist nicht erforderlich, dass der Antragsteller in dem Einreisestaat auch einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat. Voraussetzung ist allein, dass er über diesen Staat in die EU eingereist ist. Diese Zuständigkeit endet allerdings zwölf Monate nach dem illegalen Grenzübertritt. Nach Art. 13 Abs. 2 ist in derartigen Fällen oder wenn kein Staat ermittelt werden kann, der gemäß Art. 13 Abs. 1 als Einreisestaat zuständig ist, der Staat des illegalen Aufenthalts zuständig. Voraussetzung einer Zuständigkeit nach Art. 13 Abs. 2 ist, dass der Antragsteller, der illegal in die EU eingereist ist oder bei dem die Umstände der Einreise 9 Filzwieser/Sprung, Dublin III-Verordnung, 2014, Art. 24, KZ. 3. 10 Schott-Mehrings, Das Einschleusen Asylsuchender über Griechenland, ZAR 2014, S. 142 (143). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 128/15 Seite 9 nicht festgestellt werden können, sich vor der Antragstellung während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens fünf Monaten in dem Mitgliedstaat aufgehalten hat. Für die Bestimmung des Dublin-Staates, der für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, wurde das sog. Eurodac-System eingerichtet. In die Eurdoc-Datenbank stellen die Dublin-Staaten nach Art. 9 Abs. 1 der Eurodac-Verordnung 603/201311 die Fingerabdrücke jeder Person ein, die internationalen Schutz beantragt und mindestens 14 Jahre alt ist. Im Rahmen einer Datenbank-Abfrage kann so ermittelt werden, ob ein Antragsteller bzw. Drittstaatsangehöriger bereits in einem anderen Mitgliedstaat registriert worden ist und dieser als Einreiseoder Aufenthaltsstaat zuständig für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz ist. 3.1.3. Rechtsfolgen Wenn die zuständigen Behörden des Aufenthaltsstaates feststellen, dass ein Antragsteller innerhalb der EU in einem anderen Staat registriert worden ist und dieser Staat z.B. als Einreisestaat zuständig für die Prüfung des Schutzantrags ist, müssen sie gemäß Art. 21 bzw. 23 oder 24 der Dublin-III-Verordnung ein Aufnahmegesuch bzw. Wiederaufnahmegesuch an den ermittelten Mitgliedstaat richten. Der ersuchte Mitgliedstaat überprüft gemäß Art. 22 bzw. 25 der Dublin-III- Verordnung seine Zuständigkeit und entscheidet über das (Wieder-)Aufnahmegesuch. Stimmt der ersuchte Mitgliedstaat der Aufnahme des Antragstellers zu, kann dieser in den zuständigen Mitgliedstaat überstellt werden, damit das Verfahren auf internationalen Schutz dort durchgeführt wird. 3.1.4. Zwischenergebnis Ein Antragsteller kann nach der Dublin-III-Verordnung in den Mitgliedstaat überstellt werden, der für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist. Die Überstellung in Transitstaaten, allein aufgrund der Tatsache, dass die Einreise in den Aufenthaltsstaat über diesen Staat geführt hat, ist in der Dublin-III-Verordnung nicht vorgesehen. Zulässig ist eine solche Überstellung nur, wenn der Transitstaat zuständig für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz ist, z.B. weil er gemäß Art. 13 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung der Staat war, in dem sich der Drittstaatsangehörige bzw. Antragsteller für mehr als fünf Monate illegal aufgehalten hat. 11 Verordnung (EU) Nr. 603/2013 des europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über die Einrichtung von Eurodac für den Abgleich von Fingerabdruckdaten zum Zwecke der effektiven Anwendung der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 […], ABl. 2013 L, 180/1, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUri- Serv.do?uri=OJ:L:2013:180:0001:0030:DE:PDF. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 128/15 Seite 10 3.2. Vorgaben der Rückführungsrichtlinie Die Dublin-III-Verordnung und die Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG12 regeln unterschiedliche Sachverhalte. Die Normen der Dublin-III-Verordnung regeln die Überstellung eines Antragstellers vom Aufenthaltsstaat in den für die Prüfung des Schutzantrags zuständigen Dublin-Staat, also eine Rückführung innerhalb der EU zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz. Demgegenüber regelt die Rückführungsrichtlinie die Beendigung eines illegalen Aufenthalts eines Drittstaatsangehörigen in der EU durch die Rückführung in einen Staat außerhalb der EU. Die Rückführungsrichtlinie kommt also nicht während einer laufenden Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zur Anwendung,13 da der Aufenthalt in der EU während der Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz nicht illegal ist. Der Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie ist erst dann eröffnet, wenn über einen Antrag auf internationalen Schutz entschieden worden ist. 3.2.1. Anwendungsvoraussetzungen Die Rückführungsrichtlinie kommt zur Anwendung, wenn ein Sachverhalt nicht in den Anwendungsbereich der Dublin-III-Verordnung fällt. Der EuGH hat diesbezüglich entschieden, „dass Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115 in Verbindung mit deren neuntem Erwägungsgrund dahin auszulegen ist, dass diese Richtlinie auf einen Drittstaatsangehörigen, der […] um internationalen Schutz ersucht hat, im Zeitraum zwischen der Antragstellung bis zum Erlass der erstinstanzlichen Entscheidung über diesen Antrag oder gegebenenfalls bis zur Entscheidung über einen allfälligen Rechtsbehelf gegen diese Entscheidung keine Anwendung findet.“14 Die Rückführungsrichtlinie greift mithin immer dann, wenn sich Drittstaatsangehörige illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten und sie in keinem Staat, in dem die Dublin-III-Verordnung anwendbar ist, einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben. Die Rückführungsrichtlinie kommt zudem zur Anwendung, wenn negativ über den Antrag auf internationalen Schutz entschieden worden ist. Wurde die ablehnende Entscheidung von einem anderen Dublin-Staat getroffen , hat der Aufenthaltsstaat des Drittstaatsangehörigen nach Art. 24 Abs. 4 der Dublin-III- Verordnung die Wahl, ob die Rückführung gemäß den Vorgaben der Dublin-III-Verordnung in den Dublin-Staat erfolgt, der über den Antrag entschieden hat, oder er die Rückführung selbst gemäß der Rückführungsrichtlinie vornimmt. Weiterhin ist der Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie von dem der bilateralen Rückübernahmeabkommen abzugrenzen. Art. 6 Abs. 3 der Rückführungsrichtlinie führt zu diesem Verhältnis aus: „Die Mitgliedstaaten können davon absehen, eine Rückkehrentscheidung gegen illegal in ihrem Gebiet aufhältige Drittstaatsangehörige zu erlassen, wenn diese Personen von ei- 12 Richtlinie 2008/115/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger, ABl. 2008 L, 348/98, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32008L0115&from=DE. 13 Hörich, Die Rückführungsrichtlinie: Entstehungsgeschichte, Regelungsgehalt und Hauptprobleme, ZAR 2011, S. 281 (282). 14 EuGH, Urt. v.30.5.2013, Rs. C- 534/11 – Arslan, Rn. 49. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 128/15 Seite 11 nem anderen Mitgliedstaat aufgrund von zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Richtlinie geltenden bilateralen Abkommen oder Vereinbarungen wieder aufgenommen wird.“ Die Mitgliedstaaten können mithin statt eine Rückkehrentscheidung gegen einen Drittstaatsangehörigen zu erlassen, diesen in einen anderen Mitgliedstaat überstellen, wenn mit diesem ein bilaterales Abkommen besteht, dem zufolge dieser Staat für die Rückführung des Drittstaatsangehörigen zuständig ist. 3.2.2. Rechtsfolgen In Bezug auf die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz greift die Rückführungsrichtlinie erst auf der zweiten Stufe. Sofern über den Antrag auf internationalen Schutz noch nicht entschieden ist, hält sich der Antragsteller nicht illegal in der EU auf und kann mithin nicht nach den Vorschriften der Rückführungsrichtlinie zur Rückkehr verpflichtet werden. Wenn ein Antrag auf internationalen Schutz negativ beschieden worden ist, kann der Mitgliedstaat , welcher den Antrag auf internationalen Schutz abgelehnt hat, den Drittstaatsangehörigen nach den Maßstäben der Rückführungsrichtlinie abschieben. Wenn sich der Drittstaatsangehörige , dessen Antrag auf internationalen Schutz abgelehnt wurde, in einem anderen Mitgliedstaat aufhält, kann dieser Staat gemäß Art. 24 Abs. 4 der Dublin-III-Verordnung entscheiden, ob er den Mitgliedstaat, der negativ über den Schutzantrag entschieden hat, um Wiederaufnahme ersucht oder selbst ein Rückführungsverfahren gemäß der Rückführungsrichtlinie durchführt. Gemäß Art. 6 Abs. 1 der Rückführungsrichtlinie erlassen die Mitgliedstaaten gegen alle illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung. Eine Rückkehrentscheidung ist nach Art. 3 Nr. 4 der Rückführungsrichtlinie die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird. Die Mitgliedstaaten ergreifen gemäß Art. 8 Abs. 1 alle erforderlichen Maßnahmen zur Vollstreckung der Rückkehrentscheidung , wenn die betreffende Person ihrer Rückkehrverpflichtung nicht innerhalb der nach Art. 7 eingeräumten Frist für die freiwillige Ausreise nachgekommen ist. 3.2.3. Zwischenergebnis Die Rückführungsrichtlinie regelt gemäß ihrem Art. 3 Nr. 3 nur Rückführungen in die Heimatländer der Drittstaatsangehörigen sowie in Transitländer auf der Grundlage gemeinschaftlicher oder bilateraler Rückübernahmeabkommen oder ein Drittland, in das der betreffende Drittstaatsangehörige freiwillig zurückkehren will und in dem er aufgenommen wird. Die Überstellung in Nachbarstaaten oder Transitstaaten kann mithin nicht auf die Rückführungsrichtlinie selbst gestützt werden, sondern ist nur auf der Grundlage bilateraler Rückübernahmeabkommen oder Aufnahmeerklärungen möglich. 3.3. Vorgaben bilateraler Rückübernahmeabkommen Die Dublin-III-Verordnung regelt nicht jeden Fall der Überstellung von Drittstaatsangehörigen. Wenn kein Antrag auf internationalen Schutz im Aufenthaltsstaat gestellt wird, können die Normen des nationalen Rechts, die Rückführungsrichtlinie oder Rückübernahmeabkommen zur Anwendung gelangen. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 128/15 Seite 12 3.3.1. Anwendungsvoraussetzungen Die bilateralen Rückübernahmeabkommen finden für Sachverhalte Anwendung, welche durch die Dublin-III-Verordnung nicht abschließend geregelt werden. 3.3.1.1. Positive Entscheidung Die Dublin-III-Verordnung findet nach h.M. keine Anwendung auf Antragsteller, über deren Schutzantrag in einem anderen Staat bereits positiv entschieden worden ist. Eine solche positive Entscheidung kann sich aus der Anerkennung des Antragstellers als Flüchtling (Art. 13 der Qualifikationsrichtlinie 15) oder als subsidiär Schutzbedürftiger (Art. 18 der Qualifikationsrichtlinie) ergeben. Wenn Antragsteller, die bereits einen Schutzstatus in einem Staat erhalten haben, in einem anderen EU-Staat erneut einen Antrag auf internationalen Schutz stellen, ist strittig, welche Normen statt der Dublin-III-Verordnung zur Anwendung kommen. Vor diesem Hintergrund wird vertreten, dass in solchen Fällen in Deutschland die Drittstaatenregelung Anwendung findet.16 Die sogenannte Drittstaatenregelung in Art. 16 a Abs. 2 GG bestimmt , dass wer aus einem sicheren Drittstaat nach Deutschland einreist, kein Recht auf Asyl genießt. Grundsätzlich hat die Dublin-III-Verordnung als EU-Recht Vorrang vor den nationalen Bestimmungen der Dublin-Staaten.17 Die nationalen Regelungen zu sicheren Drittstaaten i.V.m. bilateralen Rückübernahmeabkommen sind nach Auffassungen in der Literatur aber immer dann anwendbar, wenn die Dublin-III-Verordnung nicht greift, weil die betroffene Person als in einem Mitgliedstaat subsidiär Schutzberechtigter oder anerkannter Flüchtling nicht mehr in den Anwendungsbereich der Dublin-III-Verordnung fällt.18 Demgegenüber wird vertreten, dass eine Anwendung der Drittstaatenregelung auf Antragsteller, die in einem anderen Staat als Flüchtling oder subsidiär Schutzberechtigter anerkannt sind, nicht in Betracht komme, da die Drittstaatenregelung ebenso wie die Dublin-III-Verordnung auf Personen abstelle, die noch nicht als Flüchtling 15 Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. 2011 L, 337/9, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal -content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32011L0095&from=DE. 16 VG Düsseldorf, Beschluss v. 8.1.2015, 17 L 3023/14.A, abrufbar unter juris; Bender/Bethke, „Dublin III“, Eilrechtsschutz und das Comeback der Drittstaatenregelung, Asylmagazin 11/2013, S. 358 (359); Bergmann, Das Dublin-Asylsystem, ZAR 2015, S. 81 (83) weist auf die entsprechende Praxis des BAMF hin; Pro Asyl, Flucht ohne Ankunft – Die Misere von international Schutzberechtigten in der EU, S. 18, abrufbar unter http://www.proasyl.de/fileadmin/fm-dam/q_PUBLIKATIONEN/2014/Broschuere-Flucht_ohne_Ankunft- PROASYL-Nov-2014.pdf. 17 Günther, in: Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, 8. Edition, Stand: 1.9.2014, § 27a AsylVfG, Rn. 9. 18 Bender/Bethke, „Dublin III“, Eilrechtsschutz und das Comeback der Drittstaatenregelung, Asylmagazin 11/2013, S. 358 (359). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 128/15 Seite 13 oder subsidiär Schutzbedürftiger anerkannt sind.19 Im Ergebnis gelangt aber auch diese Auffassung zu einer Anwendung der bilateralen Rückübernahmeabkommen. 3.3.1.2. Negative Entscheidung Im Fall einer Ablehnung des Antrags auf internationalen Schutz kann der Drittstaatsangehörige gemäß den Vorgaben der Rückführungsrichtlinie zurückgeführt werden oder – wenn er sich in einem anderen Mitgliedstaat aufhält – von diesem nach Maßgabe der Dublin-III-Verordnung in den Mitgliedstaat überstellt werden, der seinen Antrag abgelehnt hat. Die Rückführungsrichtlinie enthält zudem in ihrem Art. 6 Abs. 3 die Möglichkeit einer Überstellung nach Maßgabe bilateraler Rückübernahmeabkommen. In Art. 6 Abs. 3 der Rückführungsrichtlinie steht: „Die Mitgliedstaaten können davon absehen, eine Rückkehrentscheidung gegen illegal in ihrem Gebiet aufhältige Drittstaatsangehörige zu erlassen, wenn diese Personen von einem anderen Mitgliedstaat aufgrund von zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Richtlinie geltenden bilateralen Abkommen oder Vereinbarungen wieder aufgenommen wird.“ Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Rückführungsrichtlinie bestanden entsprechende Rückübernahmeabkommen mit Belgien, den Niederlanden, Luxemburg, Bulgarien, Dänemark, Estland, Frankreich, Lettland , Litauen, Norwegen, Österreich, Polen, Rumänien, Schweden, Schweiz, Slowakei, Tschechien und Ungarn. Mithin sind auch im Falle einer negativen Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz Rückführungen aufgrund bilateraler Rückübernahmeabkommen möglich . 3.3.2. Rechtsfolgen Deutschland hat mit verschiedenen Staaten bilaterale Rückübernahmeabkommen geschlossen, welche Vorschriften über die Übernahme von Drittstaatsangehörigen bei rechtswidriger Einreise oder Aufenthalt enthalten. Art. 2 Abs. 1 des Rückübernahmeübereinkommens zwischen Deutschland und Österreich besagt zum Beispiel: „Jede Vertragspartei übernimmt auf Antrag der anderen Vertragspartei ohne besondere Formalitäten die Person, die nicht die Staatsangehörigkeit einer Vertragspartei besitzt (Drittstaatsangehöriger), wenn nachgewiesen oder glaubhaft gemacht wird, dass sie aus dem Hoheitsgebiet der ersuchten Vertragspartei rechtswidrig in das Hoheitsgebiet der ersuchenden Vertragspartei eingereist ist.“21 Art. 2 Abs. 2 des Übereinkommens gibt vor: 19 VG Aachen, Beschluss v. 11.3.2015, 5 L 736/14.A, abrufbar unter juris; Funke-Kaiser, Personen mit Schutzstatus in einem anderen EU-Land – Rechtliche Probleme, in: Neue Herausforderungen für das Flüchtlingsrecht, Nov. 2014, abrufbar unter http://www.akademie-rs.de/doku_downloads_einzel.html?no_cache=1&tx_crieventmodule _pi1[showUid]=18829. 21 Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Bundesregierung der Republik Österreich über die Rückübernahme von Personen an der Grenze (Rückübernahmeabkommen), ABl. 1998 Teil II, Nr. 3, S. 80. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 128/15 Seite 14 „Jede Vertragspartei übernimmt nach vorheriger Benachrichtigung formlos einen Drittstaatsangehörigen , um dessen Übernahme die andere Vertragspartei innerhalb von vier Tagen nach seiner rechtswidrigen Einreise ersucht.“ 3.3.3. Zwischenergebnis Auf der Grundlage bilateraler Rückübernahmeabkommen können die Mitgliedstaaten eine Überstellung von Drittstaatsangehörigen durchführen. Wenn eine Rückführung unter der Voraussetzung vereinbart worden ist, dass der Drittstaatsangehörige aus dem einen Staat illegal in den anderen eingereist ist, genügt dies für eine Rückführung nach Maßgabe des jeweiligen Abkommens. Folglich ist auf der Grundlage derartiger bilateraler Rückübernahmeabkommen eine Überstellung von Drittstaatsangehörigen in Transitstaaten möglich, sofern sie vertraglich zwischen den Staaten vereinbart worden ist. Es ist aber zu bedenken, dass die bilateralen Rückübernahmeabkommen grundsätzlich hinter der Dublin-III-Verordnung zurücktreten und nur zur Anwendung kommen können, wenn deren Anwendungsbereich nicht eröffnet ist.22 4. Möglichkeiten der Zurückweisung und Zurückschiebung Im Folgenden werden die besonderen Konstellationen einer Zurückweisung von Drittstaatsangehörigen bzw. Antragstellern an der Grenze und einer Zurückschiebung im grenznahen Bereich dargestellt. Es wird untersucht, inwieweit die verschiedenen oben dargestellten Rechtsvorgaben in diesen Konstellationen Anwendung finden. Auch hier ist wieder zwischen der Situation einer Antragstellung und einer Einreise ohne Antragstellung zu differenzieren. Im Folgenden wird untersucht , inwiefern die diesbezüglichen Bestimmungen des nationalen Rechts (4.1.) mit den Vorgaben der Dublin-III-Verordnung (4.2.), der Rückführungsrichtlinie und den bilateralen Rückübernahmeabkommen (4.3.) und den Schengen-Abkommen (4.4.) vereinbar sind. 4.1. Regelungen betreffend die Zurückweisung und Zurückschiebung in Deutschland 4.1.1. Drittstaatsangehörige ohne Antrag auf internationalen Schutz Wenn der Drittstaatsangehörige keinen Antrag auf internationalen Schutz stellt, findet in Deutschland das Aufenthaltsgesetz (AufenthG) Anwendung. Die Möglichkeit einer Zurückweisung an der Grenze ist im deutschen Recht in § 15 AufenthG für Drittstaatsangehörige geregelt. § 15 Abs. 1 AufenthG besagt: „Ein Ausländer, der unerlaubt einreisen will, wird an der Grenze zurückgewiesen.“ § 57 AufenthG ergänzt die Möglichkeit der Zurückschiebung im grenznahen Bereich. Die Zurückschiebung ermöglicht die unverzügliche und erleichterte Beendigung eines illegalen Aufenthalts eines Drittstaatsangehörigen.23 § 57 Abs. 1 AufenthG besagt: „Ein Ausländer , der in Verbindung mit der unerlaubten Einreise über eine Grenze im Sinne des Artikels 2 Nummer 2 der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 (Außengrenze) aufgegriffen wird, soll zurückgeschoben werden.“ Da Deutschland nur Binnengrenzen und keine Außengrenzen gemäß Art. 2 22 Bruns, in: Hofmann/Hoffmann, HK-Ausländerrecht, 1. Aufl. 2008, § 18 AsylVfG, Rn. 14. 23 Senge, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, § 57 AufenthG, Rn. 1. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 128/15 Seite 15 Nr. 2 der Verordnung (EG) Nr. 562/200624 besitzt, kommt eine Zurückschiebung nach § 57 Abs. 1 AufenthG nur in den Fällen einer illegalen Einreise von Drittstaatsangehörigen auf dem Luft- oder Seeweg in Betracht.25 § 57 Abs. 2 AufenthG bestimmt: „Ein vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer, der durch einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, Norwegen oder die Schweiz auf Grund einer am 13. Januar 2009 geltenden zwischenstaatlichen Übernahmevereinbarung wieder aufgenommen wird, soll in diesen Staat zurückgeschoben werden; Gleiches gilt, wenn der Ausländer von der Grenzbehörde im grenznahen Raum in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit einer unerlaubten Einreise angetroffen wird und Anhaltspunkte dafür vorliegen , dass ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und ein Aufoder Wiederaufnahmeverfahren eingeleitet wird.“ Eine Zurückschiebung von Drittstaatsangehörigen nach § 57 Abs. 2 AufenthG kommt dann zur Anwendung, wenn ein bilaterales Rückübernahmeabkommen existiert oder nach den Vorgaben der Dublin-III-Verordnung ein anderer Dublin- Staat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist. 4.1.2. Drittstaatsangehörige mit Antrag auf internationalen Schutz Wenn ein Drittstaatsangehöriger einen Antrag auf internationalen Schutz stellt, so gelten statt der Vorschriften des AufenthG die Normen der §§ 18 f. Asylverfahrensgesetz (AsylVfG).26 § 18 Abs. 1 des AsylVfG gibt vor: „Ein Ausländer, der bei einer mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörde (Grenzbehörde) um Asyl nachsucht, ist unverzüglich an die zuständige oder, sofern diese nicht bekannt ist, an die nächstgelegene Aufnahmeeinrichtung zur Meldung weiterzuleiten.“ § 18 Abs. 2 AsylVfG regelt die Möglichkeit, einem Antragsteller die Einreise an der Grenze zu verweigern. Die Einreise ist nach dieser Norm trotz eines Antrags auf internationalen Schutz zu verweigern, wenn der Betroffene aus einem sicheren Drittstaat einreist oder ein anderer Staat nach Maßgabe der Dublin-III-Verordnung für die Prüfung des Antrags zuständig ist.27 Eine Zuständigkeitsprüfung nach dem Dublin-Verfahren geht der Möglichkeit der Einreiseverweigerung vor. Gemäß Art. 18 Abs. 3 AsylVfG ist ein Ausländer zurückzuschieben, wenn er von der Grenzbehörde im grenznahen Raum in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit einer unerlaubten Einreise angetroffen wird und die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Eine weitere Grundlage zur Zurückschiebung findet sich in § 19 Abs. 3 AsylVfG. Danach kann ein Antragsteller , der aus einem sicheren Drittstaat unerlaubt eingereist ist, nach Maßgabe des § 57 Abs. 1 und 24 Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex), ABl. 2006 L, 105/1, konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02006R0562-20131126&from=EN. 25 Schnell, Die Überstellung in den nach der Dublin-II Verordnung zuständigen Mitgliedstaat, NWVBl. 2013, S. 218 (221). 26 Schnell, Die Überstellung in den nach der Dublin-II Verordnung zuständigen Mitgliedstaat, NWVBl. 2013, S. 218 (223). 27 Bruns, in: Hofmann/Hoffmann, HK-Ausländerrecht, 1. Aufl. 2008, § 18 AsylVfG, Rn. 12. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 128/15 Seite 16 2 AufenthG in den sicheren Drittstaat zurückgeschoben werden, wenn er bei einer Ausländerbehörde oder der Polizei einen Antrag auf internationalen Schutz stellt. 4.2. Vorgaben der Dublin-III-Verordnung Das Asyl- und Aufenthaltsrecht der Dublin-Staaten ist entscheidend durch europäische Vorgaben geprägt. Die oben dargestellten deutschen Normen zur Zurückweisung an der Grenze und zur Zurückschiebung im grenznahen Bereich sind unter Beachtung der Vorgaben der Dublin-III-Verordnung anzuwenden. Wie im Teil 3. zu den Rechtsgrundlagen bereits festgestellt, greift die Dublin- III-Verordnung zwingend nur bei einer Antragstellung. Der Vorrang der Dublin-Regelungen beschränkt sich also auf die Normen des AsylVfG und gilt nicht in Bezug auf die Regelungen des AufenthG, welche dann zur Anwendung kommen, wenn in Deutschland kein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist. 4.2.1. Vorrang der Dublin-Regelungen Das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU28 führte zu einer Änderung des § 18 Abs. 2 Nr. 2 AsylVfG. Dieser lautet seitdem: „Dem Ausländer ist die Einreise zu verweigern, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist und ein Auf- oder Wiederaufnahmeverfahren eingeleitet wird.“ In dem Gesetzesentwurf heißt es zu dieser Gesetzesänderung: „Die Änderung der Nummer 2 stellt klar, dass die Grenzbehörde die Verordnung (EG) Nr. 343/2003 oder das Dubliner Übereinkommen noch vor der Entscheidung über die Einreise des Ausländers anwenden kann. Die Regelung folgt der Systematik der Drittstaatenregelung, welche bislang bei der Durchführung des Dublin-Verfahrens zur Anwendung gelangte. In Fortführung der bisherigen Praxis enthält die Vorschrift nun eine ausdrückliche Regelung zu Dublin-Sachverhalten, wodurch eine zügige Rückführung in den für den Asylantrag zuständigen Staat unter unmittelbarer Bezugnahme auf die Dublin-Verordnung bzw. das Völkerrecht ermöglicht wird; eine (ergänzende) Anwendung der Drittstaatenregelung ist damit entbehrlich.“29 Nach Ansicht des Gesetzgebers sind bei Maßnahmen der Zurückweisung oder Zurückschiebung nach § 18 Abs. 2 bzw. 3 AsylVfG die Vorgaben der Dublin-Verordnung anzuwenden. Dies eröffnet den Grenzbehörden folgende Optionen : Wenn der Antragsteller an der Grenze einen Antrag auf internationalen Schutz stellt, entsprechend der Dublin-III-Verordnung ein zuständiger Mitgliedstaat ermittelt werden konnte und dieser sich zur Übernahme bereit erklärt hat, wird der Antragsteller in den zuständigen Dublin-Staat zurückgewiesen.30 Eine Zurückweisung 28 Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union, 23.04.2007, BT-Drucks. 16/5065. 29 Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union, 23.04.2007, BT-Drucks. 16/5065, S. 215. 30 Schröder/Suwelack, Das Dublin-II-Verfahren in der Praxis, Asylmagazin 7-8/2005, S. 6 (9).; Winkelmann, in: Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10 Aufl. 2013, § 18 AsylVfG, Rn. 23. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 128/15 Seite 17 in den Nachbarstaat ist dabei nur möglich, wenn der Nachbarstaat, in den der Antragsteller zurückgewiesen wird, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz nach den Kriterien der Dublin-III-Verordnung zuständig ist und der (Wieder)Aufnahme zugestimmt hat.31 Die Zurückweisung wird durch eine Überstellung gemäß der Dublin-III-Verordnung vollzogen.32 Kann kein zuständiger Staat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz ermittelt werden, darf der Antragsteller einreisen, denn gemäß Art. 3 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung ist in derartigen Fällen der Staat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, in dem der Schutzantrag gestellt worden ist.33 Die Vorgaben der Dublin-III-Verordnung wirken sich auch auf die Möglichkeit einer Zurückschiebung bei einem Aufgriff im grenznahen Bereich aus.34 Nach der Dublin-III-Verordnung werden Drittstaatsangehörige, die aus einem anderen Mitgliedstaat der EU unerlaubt nach Deutschland einreisen und internationalen Schutz beantragen, nicht sofort zurückgeschoben. Stattdessen ist zu prüfen, welcher Mitgliedstaat nach der Dublin-III-Verordnung für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist. Erst nach Klärung dieser Frage wird eine Überstellung veranlasst.35 4.2.2. Zwischenergebnis Grundsätzlich haben die Bestimmungen der Dublin-III-Verordnung Vorrang vor den Normen der §§ 18 f. AsylVfG.36 Das hat zur Konsequenz, dass eine Zurückweisung nach § 18 Abs. 2 AsylVfG an der Grenze in den Staat, aus dem der Antragsteller einreisen will, im Fall einer Antragstellung nicht per-se möglich ist.37 Dasselbe gilt für die Möglichkeit einer Zurückschiebung nach § 18 Abs. 3 AsylVfG.38 Vorrangig hat die durch die Dublin-III-Verordnung vorgegebene Prüfung und Feststellung stattzufinden, wer für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist.39 Die Zurückweisung bzw. Zurückschiebung in den Nachbarstaat erfolgt bei einem Antrag auf 31 Schnell, Die Überstellung in den nach der Dublin-II Verordnung zuständigen Mitgliedstaat, NWVBl. 2013, S. 218 (222). 32 Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, 101 Lfg Juni 2014, § 18 AsylVfG, Rn. 37. 33 Winkelmann, in: Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10 Aufl. 2013, § 18 AsylVfG, Rn. 23. 34 Winkelmann, in: Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10 Aufl. 2013, § 18 AsylVfG, Rn. 28 f. 35 Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, 69 Lfg Mai 2013, § 57 AufenthG, Rn. 44; Kluth, in: Beck'scher Online-Kommentar Ausländerrecht, 8. Edition, Stand: 1.2.2013, § 57 AufenthG, Rn.6. 36 Winkelmann, in: Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10 Aufl. 2013, § 18 AsylVfG, Rn. 28. 37 Funke-Kaiser, in: GK-AsylVfG, 101 Lfg Juni 2014, § 18 AsylVfG, Rn. 36. 38 Winkelmann, in: Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10 Aufl. 2013, § 18 AsylVfG, Rn. 28. 39 Schmidt-Sommerfeld, in: Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl. 2013, § 18 AsylVfG, Rn. 2. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 128/15 Seite 18 internationalen Schutz mithin nur in dem Fall, dass der Nachbarstaat gemäß der Dublin-III-Verordnung als zuständiger Staat ermittelt worden ist.40 4.3. Vorgaben der Rückführungsrichtlinie und der Rückübernahmeabkommen Die Bestimmungen des AsylVfG kommen nur dann zur Anwendung und die Vorgaben der Dublin -III-Verordnung entfalten nur dann ihre Vorrangwirkung in Deutschland, wenn der Drittstaatsangehörige in Deutschland einen Antrag auf internationalen Schutz stellt. Nur dann besteht für die zuständigen Behörden zwingend eine Veranlassung, den nach der Dublin-III-Verordnung für die Prüfung des Antrags zuständigen Staat zu ermitteln. Stellt der Drittstaatsangehörige keinen Antrag, können die deutschen Behörden grundsätzlich die Normen des AufenthG anwenden. Ohne Antragstellung kann gemäß § 15 AufenthG die Einreise an der Grenze verweigert werden. Bei einem Aufgriff im grenznahen Bereich und dem Ausbleiben eines Antrags auf internationalen Schutz kann grundsätzlich § 57 AufenthG zur Anwendung kommen. Allerdings ist das Verhältnis der Normen des AufenthG zu den Vorgaben der Rückführungsrichtlinie zu klären, welche in diesen Fällen die europäischen Rahmenvorgaben darstellen. 4.3.1. Rückführungsrichtlinie Im Vergleich zu den Vorgaben der Rückführungsrichtlinie, welche die Rückführung von Drittstaatsangehörigen regelt, deren Antrag auf internationalen Schutz abgelehnt worden ist, müssen bei der Zurückschiebung nach § 57 AufenthG andere Verfahrens- und Formgarantien eingehalten werden.41 Insbesondere die Fristen- und Informationspflichten divergieren. Bei Sachverhalten, die in den Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie fallen, ist daher keine Zurückschiebung nach § 57 AufenthG möglich, da dies zu einer Missachtung der Verfahrensvorgaben der Richtlinie führen würde. Dies folgt auch aus § 57 AufenthG selbst. Eine Zurückschiebung nach § 57 Abs. 1 AufenthG ist nur bei einer Überschreitung von Außengrenzen, nicht von Binnengrenzen möglich. Nach § 57 Abs. 2 AufenthG setzt eine Zurückschiebung entweder ein Dublin-Verfahren oder ein Rückübernahmeabkommen voraus, mithin Fälle, in denen die Rückführungsrichtlinie nicht zur Anwendung kommt. Auf die Zurückweisung an der Grenze nach § 15 AufenthG hat die Rückführungsrichtlinie hingegen keine beschränkende Auswirkung. Diese ist grundsätzlich möglich, wenn kein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird. 40 Vgl. hierzu beispielhaft VG Ansbach, Beschluss v. 5. Juni 2013, AN 9 E 13.30363, abrufbar unter https://openjur .de/u/633587.html: In dem Fall wurde ein mit dem PKW über Österreich nach Deutschland eingereister Antragsteller in der Grenznähe aufgegriffen. Da er bereits einen Antrag auf internationalen Schutz in Bulgarien gestellt hatte, wurde gemäß § 18 Abs. 3 AsylVfG seine Zurückschiebung nach Bulgarien, als dem gemäß der Dublin -Verordnung zuständigen Staat, und nicht nach Österreich angeordnet. 41 Bundesrat, Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der EU […], BR-Drucks. 210/11, S. 62, abrufbar unter http://dipbt.bundestag.de/dip21/brd/2011/0210-11.pdf. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 128/15 Seite 19 4.3.2. Rückübernahmeabkommen Anstelle der Rückführungsrichtlinie findet ein Rückübernahmeabkommen Anwendung, wenn das Abkommen aufgrund der Öffnungsklausel in Art. 6 Abs. 3 der Rückführungsrichtlinie vorgeht . In der Öffnungsklausel steht: „Die Mitgliedstaaten können davon absehen, eine Rückkehrentscheidung gegen illegal in ihrem Gebiet aufhältige Drittstaatsangehörige zu erlassen, wenn diese Personen von einem anderen Mitgliedstaat aufgrund von zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Richtlinie geltenden bilateralen Abkommen oder Vereinbarungen wieder aufgenommen wird.“ Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Rückführungsrichtlinie bestanden entsprechende Rückübernahmeabkommen mit Belgien, den Niederlanden, Luxemburg, Bulgarien, Dänemark, Estland, Frankreich, Lettland, Litauen, Norwegen, Österreich, Polen, Rumänien, Schweden, Schweiz, Slowakei, Tschechien und Ungarn.43 Im Gegensatz zu einer Rückführung, welche gemäß der Rückführungsrichtlinie erfolgt, ist eine Rückübernahme gemäß einem bilateralen Abkommen mit dem Instrument der Zurückschiebung nach § 57 Abs. 2 AufenthG vereinbar. § 57 Abs. 2 AufenthaltG nimmt in seinem ersten Halbsatz schließlich ausdrücklich Bezug auf Rückübernahmeabkommen, die Deutschland mit anderen Staaten abgeschlossen hat. Dort steht: „Ein vollziehbar ausreisepflichtiger Ausländer, der durch einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union, Norwegen oder die Schweiz auf Grund einer am 13. Januar 2009 geltenden zwischenstaatlichen Übernahmevereinbarung wieder aufgenommen wird, soll in diesen Staat zurückgeschoben werden.“ Die Rückschiebung von Drittstaatsangehörigen nach Art. 57 Abs. 2 AufenthG aufgrund von Rückübernahmeabkommen erlaubt mithin das vereinfachte Verfahren, welches in den Fällen, die der Rückführungsrichtlinie unterliegen , nicht möglich ist.44 4.3.3. Zwischenergebnis Wenn kein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist, kommen die Vorgaben des Aufenth G zur Anwendung. Nach § 15 AufenthG kann Drittstaatsangehörigen die Einreise an der Grenze durch eine Zurückweisung verweigert werden. Nach § 57 AufenthG können Drittstaatsangehörige , die in Grenznähe aufgegriffen werden, zurückgeschoben werden. Allerdings kommt § 57 AufenthG nicht zur Anwendung, wenn der Tatbestand in den Regelungsbereich der Rückführungsrichtlinie fällt, die im Vergleich zu § 57 AufenthG andere Form- und Fristvorgaben vorsieht . Eine Zurückschiebung von Drittstaatsangehörigen nach § 57 Abs. 2 AufenthG ist mithin nur möglich, wenn statt der Rückführungsrichtlinie ein bilaterales Rückübernahmeabkommen greift. 43 BMI, Richtlinie 2008/115/EG - Vorläufige Anwendungshinweise zur einstweiligen Umsetzung, S. 5, abrufbar unter file:///N:/DP_pe6-3/Buero/128.15%20Dublin%20III/bmi_anwendungshinweise_zur_verfristung_ruefuerl _161210.pdf. 44 Gericke, in: Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl. 2013, § 57 AufenthG, Rn. 1. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 128/15 Seite 20 4.4. Exkurs: Vorgaben der Schengen-Abkommen Die Schengen-Abkommen, welche mittlerweile in das EU-Recht inkorporiert worden sind, garantieren den freien Grenzverkehr in Europa (sog. Schengen-Aquis).45 Art. 20 des Schengener Grenzkodex 46 bestimmt: „Die Binnengrenzen dürfen unabhängig von der Staatsangehörigkeit der betreffenden Personen an jeder Stelle ohne Personenkontrollen überschritten werden.“ Der Schengen -Aquis ist von Relevanz in Bezug auf die Frage, ob Kontrollen an den Binnengrenzen oder in der Nähe der Binnengrenzen, die dazu dienen, Drittstaatsangehörige bzw. Antragsteller aufzugreifen , zulässig sind. 4.4.1. Verbot von Grenzkontrollen Der Schengen-Aquis verbietet grundsätzlich die Durchführung von Grenzkontrollen. Die Mitgliedstaaten können aber gemäß Art. 21 lit. a) Schengener Grenzkodex weiterhin von ihren polizeilichen Befugnissen Gebrauch machen. Es sind daher polizeiliche Maßnahmen in den Grenzgebieten möglich, sofern diese nicht in gleicher Weise wirken wie Grenzkontrollen. Der EuGH hat in seiner Entscheidung in der Rechtssache Melki festgestellt, dass Regelungen im Polizeirecht der Mitgliedstaaten mit Art. 21 lit a) Schengener Grenzkodex unvereinbar sind, die verhaltensunabhängige systematische Personenkontrollen in einer Tiefe von 20 km entlang der Binnengrenzen des Schengen-Raums ermöglichen.47 Eine weitere Abgrenzung der zulässigen Ausübung polizeilicher Befugnisse von unzulässigen Grenzkontrollen hat der EuGH in seiner Entscheidung in der Rechtssache Adil vorgenommen. Dort entschied der EuGH, dass Personenkontrollen mit dem Schengener Grenzkodex vereinbar sind, wenn sie auf allgemeinen Informationen und Erfahrungen im Zusammenhang mit dem illegalen Aufenthalt von Personen an den Orten der Kontrollen beruhen, wenn sie in begrenztem Umfang auch zu dem Zweck durchgeführt werden dürfen, solche allgemeinen Informationen und Daten über die Erfahrung in diesem Bereich zu erlangen, und wenn ihre Durchführung bestimmten Beschränkungen insbesondere hinsichtlich ihrer Intensität und Häufigkeit unterliegt.48 Im Rahmen von derartigen polizeilichen Maßnahmen wären Zurückschiebungen ohne einen Verstoß gegen die Normen des Schengen- Aquis grundsätzlich möglich. Das Verbot von Grenzkontrollen verhindert jedoch die Möglichkeit einer standardisierten Einreisekontrolle und dabei erfolgenden Zurückweisung an der Grenze. In diesem Zusammenhang ist von Interesse, ob der Schengen-Aquis Rechte für Drittstaatsangehörige und Antragsteller oder nur für Unionsbürger begründet. Die Kläger in dem französischen Gerichtsverfahren , welches der Vorlageentscheidung in der Rechtssache Melki zugrunde lag, waren 45 Suhr, in: Calliess/Ruffert, EUV AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 67 AEUV, Rn. 7. 46 Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex), ABl. 2006 L, 105/1, konsolidierte Fassung abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02006R0562-20131126&from=EN. 47 EuGH, Urt. v. 22.6.2010, verb. Rs. C-188/10 und C-189/10 – Melki, Rn. 75. 48 EuGH, Urt. v. 19.7.2012, Rs. C‑278/12 PPU, – Adil, Rn. 88. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 128/15 Seite 21 der Ansicht, dass der Schengener Grenzkodex keinen Unterschied zwischen Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten und Staatsangehörigen von Drittstaaten, denen das Recht zustehe, in das Hoheitsgebiet der Union einzureisen, mache. In den Art. 67 AEUV und 77 AEUV seien weder Abschwächungen noch Ausnahmen für die Ausübung dieser Freiheit vorgesehen; diese Bestimmungen schlössen Personenkontrollen an den Binnengrenzen schlicht und einfach aus, ohne dass sie durch irgendeinen Umstand dann doch wieder ermöglicht würden. Weder der EuGH noch der Generalanwalt gingen in ihren Ausführungen auf diesen Gesichtspunkt näher ein. Die Literatur betont in den Ausführungen zu Art. 20 des Schengener Grenzkodex, dass nicht nur Unionsbürger , sondern alle Personen, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit, durch den Wegfall der Grenzkontrollen, begünstigt werden.49 Begünstigt sein ist aber nicht gleichbedeutend mit einem entsprechenden rechtlichen Anspruch. Aus den fehlenden Grenzkontrollen folgt keine Reisefreiheit für jedermann. Die Reisefreiheit innerhalb der Union gilt grundsätzlich nur für Unionsbürger und solche Drittstaatsangehörigen, die rechtmäßig die Außengrenzen überschritten haben und sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten.50 Die rechtliche Befugnis zum freien Grenzübertritt beseitigt nicht den staatlichen Genehmigungsvorbehalt für Einreise und Aufenthalt. Drittstaatsangehörige haben aufgrund der Schengen-Regelungen weder ein Recht auf Einreise in einen Mitgliedstaat noch lässt der Schengen-Aquis für sie die Verpflichtung entfallen, die nach dem nationalen Recht jedes Mitgliedstaates mitzuführenden oder einzuholenden Papiere bereit zu halten.51 Es ist daher nach hiesiger Ansicht nicht davon auszugehen, dass der Schengen-Aquis (Einreise-) Rechte für Drittstaatsangehörige begründet. Die Kontrolle von Einreise (und Aufenthalt ) von Drittstaatsangehörigen kann allerdings faktisch nicht umfassend durchgesetzt werden, wenn Staaten keine Grenzkontrollen an den Binnengrenzen durchführen. 4.4.2. Möglichkeit der (kurzfristigen) Wiedereinführung von Grenzkontrollen Gemäß Art. 23 Abs. 1 des Schengener Grenzkodex ist in dem Sonderfall, dass die öffentliche Ordnung oder die innere Sicherheit in einem Mitgliedstaat ernsthaft bedroht ist, diesem Mitgliedstaat unter außergewöhnlichen Umständen die Wiedereinführung von Kontrollen an allen oder bestimmten Abschnitten seiner Binnengrenzen für einen begrenzten Zeitraum von höchstens 30 Tagen oder für die vorhersehbare Dauer der ernsthaften Bedrohung, wenn ihre Dauer den Zeitraum von 30 Tagen überschreitet, gestattet. Wenn die öffentliche Ordnung oder die innere Sicherheit eines Mitgliedstaats ein sofortiges Handeln erfordert, kann der betreffende Mitgliedstaat nach Art. 25 Abs. 1 des Schengener Grenzkodex ausnahmsweise unverzüglich Grenzkontrollen an den Binnengrenzen wieder einführen. Gemäß Art. 19a, 26 Abs. 2 und 26a des Schengener Grenzkodex kann der Rat zudem die vorübergehende Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen an einer oder mehreren Binnengrenzen oder an bestimmten Abschnitten der Binnengrenzen empfehlen. Nach Art. 26a Abs. 1 lit. b) des Schengener Grenzkodex ist bei schwerwiegenden Mängeln bei den Kontrollen an den Außengrenzen eine Situation gegeben, welche die Einführung von Binnengrenzkontrollen zu- 49 Rossi, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 77, Rn. 6. 50 Weiß, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 77 AEUV, Rn. 26. 51 Thym, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der EU, EL 42, Sept. 2010, Art. 77 AEUV, Rn. 40, FN. 5; Weiß, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 77 AEUV, Rn. 37. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 128/15 Seite 22 lässt. Für eine solche Entscheidung müssen die derzeitigen und voraussichtlichen künftigen Auswirkungen schwerwiegender Mängel bei den Kontrollen an den Außengrenzen und das Ausmaß der von solchen schwerwiegenden Mängeln ausgehenden ernsthaften Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit im Raum ohne Kontrollen an den Binnengrenzen bewertet werden. 4.4.3. Zwischenergebnis Nach den Vorgaben des Schengener Grenzkodex finden an den Binnengrenzen grundsätzlich keine Grenzkontrollen statt, bei außergewöhnlichen Umständen sind diese jedoch ausnahmsweise zulässig. 5. Pflicht zur Rücknahme Fraglich ist nicht nur, ob ein Staat Antragsteller und Drittstaatsangehörige zurückweisen, zurückschieben oder überstellen darf, sondern damit einhergehend auch, ob ein anderer Staat zur Aufnahme bzw. Wiederaufnahme dieser Personen verpflichtet ist. 5.1. Vorgaben der Dublin-III-Verordnung Art. 18 Abs. 1 der Dublin-III-Verordnung zählt alle Personen auf, die von dem Dublin-Staat, der für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, aufzunehmen sind. Dazu gehören: Antragsteller, die in einem anderen Mitgliedstaat internationalen Schutz beantragt haben Antragsteller, die während der Antragsprüfung in einem anderen Mitgliedstaat einen weiteren Antrag gestellt haben Antragsteller, die sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates ohne Aufenthaltstitel aufhalten Drittstaatsangehörige oder Staatenlose, die ihren Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen haben und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben Drittstaatsangehörige oder Staatenlose, die ihren Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen haben und sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates aufhalten. Drittstaatsangehörige oder Staatenlose, deren Antrag abgelehnt wurde und die in einem anderen Mitgliedstaat internationalen Schutz beantragt haben Drittstaatsangehörige oder Staatenlose, deren Antrag abgelehnt wurde und die sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates aufhalten Folglich sind Staaten, welche nach den Kriterien des 3. Kapitels der Dublin-III-Verordnung für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständig sind, verpflichtet, Antragsteller und Drittstaatsangehörige auf Antrag des Staates, in dem diese sich momentan aufhalten, aufzunehmen . Transitstaaten, welche Drittstaatsangehörige auf ihrem Weg in den aktuellen Aufenthaltsstaat durchquert haben, sind nach Art. 18 der Dublin-III-Verordnung nur zur Rücknahme verpflichtet, wenn sie nach den Vorschriften der Dublin-III-Verordnung für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig sind. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 128/15 Seite 23 5.2. Vorgaben bilateraler Rückübernahmeabkommen Aus bilateralen Rückübernahmeabkommen folgt eine völkerrechtliche Aufnahme bzw. Rücknahmepflicht . Art. 2 Abs. 1 des Rückübernahmeübereinkommens zwischen Deutschland und Österreich besagt zum Beispiel: „Jede Vertragspartei übernimmt auf Antrag der anderen Vertragspartei ohne besondere Formalitäten die Person, die nicht die Staatsangehörigkeit einer Vertragspartei besitzt (Drittstaatsangehöriger), wenn nachgewiesen oder glaubhaft gemacht wird, dass sie aus dem Hoheitsgebiet der ersuchten Vertragspartei rechtswidrig in das Hoheitsgebiet der ersuchenden Vertragspartei eingereist ist.“52 Wie oben bereits ausgeführt, folgt aus dieser Bestimmung des Rückübernahmeabkommens nicht die Verpflichtung Österreichs, jede Person, die aus ihrem Hoheitsgebiet rechtswidrig nach Deutschland einreist, zurücknehmen. Die bilateralen Rückübernahmeabkommen treten hinter der Dublin-III-Verordnung zurück. Sobald über den Schutzantrag eines Antragstellers, der illegal in den Aufenthaltsstaat eingereist ist, noch nicht entschieden worden ist, greift nicht die Rückführung gemäß bilateralen Vereinbarungen, sondern eine Überstellung gemäß der Dublin-III-Verordnung . Die Dublin-III-Verordnung sieht keine Überstellung in den Nachbarstaat vor, aus dem der Antragsteller illegal eingereist ist, sondern eine Überstellung an den gemäß der Dublin-III-Verordnung für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaat. Die bilateralen Rückübernahmeabkommen, die Deutschland mit seinen Nachbarstaaten abgeschlossen hat, können zur Anwendung kommen, wenn ein Drittstaatsangehöriger in Deutschland keinen Antrag auf internationalen Schutz stellt. Nach Art. 6 Abs. 3 der Rückführungsrichtlinie kann in solchen Fällen, nämlich statt auf die Rückführungsrichtlinie auf bilaterale Abkommen zurückgegriffen werden. Die bilateralen Abkommen greifen zudem, wenn bereits eine positive Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz durch den Vertragsstaat vorliegt.53 5.3. Vorgaben der Rückführungsrichtlinie Nach Art. 6 Abs. 2 der Rückführungsrichtlinie sind Drittstaatsangehörige, die sich illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten und Inhaber eines gültigen Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaats sind, zu verpflichten, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses anderen Mitgliedstaats zu begeben. Kommen die betreffenden Drittstaatsangehörigen dieser Verpflichtung nicht nach, wird eine Rückkehrentscheidung gegen sie erlassen. Diese Regelung begründet keine Aufnahme- bzw. Rückübernahmepflicht des 52 Abkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Bundesregierung der Republik Österreich über die Rückübernahme von Personen an der Grenze (Rückübernahmeabkommen), ABl. 1998 Teil II, Nr. 3, S. 80. 53 Für den Fall, dass kein bilaterales Rückübernahmeabkommen besteht, ist fraglich, ob in diesen Fällen eine Pflicht zur Rücknahme völkergewohnheitsrechtlich aus der Anerkennung des Antragstellers durch den Staat als Flüchtling bzw. subsidiär Schutzbedürftiger resultiert. S. dazu: Funke-Kaiser, Personen mit Schutzstatus in einem anderen EU-Land – Rechtliche Probleme, in: Neue Herausforderungen für das Flüchtlingsrecht, Nov. 2014. Generell zu völkergewohnheitsrechtlichen Pflichten zur Rückübernahme, insbesondere im Rahmen der Zurückweisung an der Grenze: Funke-Kaiser, in: GK-AufenthG, 75 Lfg Mai 2014, § 57 AufenthG, Rn. 6. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 128/15 Seite 24 Mitgliedstaates, sondern legt nur die Pflicht des Drittstaatsangehörigen zur Ausreise fest.54 Die Rücknahmepflicht folgt stattdessen aus ggf. bestehenden Rückübernahmeabkommen. 5.4. Exkurs: Rechtsschutz gegen die Überstellung Art. 27 Abs. 1 der Dublin-III-Verordnung gibt vor, dass der Antragsteller oder eine andere Person im Sinne von Art. 18 Abs. 1 lit c) oder d) das Recht auf ein wirksames Rechtsmittel gegen eine Überstellungsentscheidung in Form einer auf Sach- und Rechtsfragen gerichteten Überprüfung durch ein Gericht hat. Art. 13 der Rückführungsrichtlinie bestimmt, dass die Drittstaatsangehörigen das Recht haben, bei einer zuständigen Justiz- oder Verwaltungsbehörde oder einem zuständigen Gremium einen wirksamen Rechtsbehelf gegen Rückkehrentscheidungen einzulegen oder die Überprüfung solcher Entscheidungen zu beantragen. Diese Rechtsmittel werden im nationalen Recht näher ausgestaltet. 5.4.1. Gründe gegen eine Dublin-Überstellung Es gibt verschiedene Begründungen, auf die ein Rechtsmittel gegen eine Überstellung gestützt werden kann. Art. 3 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung enthält einen Vorbehalt gegen die Überstellung von Antragstellern in andere EU-Staaten. Wenn es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in einem Dublin- Staat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat seine Prüfung fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann. Kann keine Überstellung an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III zuständigen Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat zuständig. Die Ansichten in der deutschen Rechtsprechung und Literatur, wann eine Überstellung aufgrund des Art. 3 Abs. 2 der (seinerzeit noch geltenden) Dublin-III-Verordnung nicht zulässig ist, variieren stark. Es existieren große Unterschiede in Bezug auf die Bewer- 54 Funke-Kaiser, Personen mit Schutzstatus in einem anderen EU-Land – Rechtliche Probleme, in: Neue Herausforderungen für das Flüchtlingsrecht, Nov. 2014. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 128/15 Seite 25 tung, wann das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen eines Mitgliedstaates systematische Schwachstellen aufweisen.55 Aufgrund der Differenzen hinsichtlich der Bewertungsmaßstäbe unterscheiden sich die Urteile der einzelnen Verwaltungsgerichte.56 Neben dem Vorbehalt des Art. 3 Abs. 2 der Dublin-III-Verordnung ist die Geltendmachung inlandsbezogener Vollstreckungshindernisse wie Reiseunfähigkeit als ein vorübergehendes Hindernis möglich.57 Es ist daher zusätzlich zu prüfen, ob Reisehindernisse wie schwerwiegende Krankheitsgründe einer Überstellung entgegenstehen.58 Es sind aber keine Rechtsmittel aufgrund einer fehlerhaften Bestimmung des gemäß der Dublin- III-Verordnung zuständigen Staates möglich. Sobald ein Dublin-Staat dem Übernahmegesuch zustimmt , kann der Antragsteller bzw. Drittstaatsangehörige in diesen Dublin-Staat überstellt werden . Es ist für die Überstellung unerheblich, ob der Staat nach den Vorgaben der Dublin-III-Verordnung tatsächlich objektiv zuständig ist. Der EuGH hat in Bezug auf die Dublin-II-Verordnung entschieden, dass ein Antragsteller keinen eigenen Anspruch darauf hat, dass sein internationaler Schutzantrag in dem rechtlich zuständigen Staat geprüft wird. Sobald ein um Aufnahme ersuchter Staat sich für zuständig erklärt, kann der Antragsteller in diesen Staat überwiesen werden , selbst wenn nach der Dublin-II-Verordnung rechtlich ein anderer Staat zuständig wäre.59 Diese Entscheidung des EuGH kann nach der deutschen Rechtsprechung auf die Dublin-III-Verordnung übertragen werden.60 55 Lübbe, „Systematische Mängel“ in Dublin-Verfahren, ZAR 2014, S. 105 (106). 56 Bergmann, Das Dublin-Asylsystem, ZAR 2015, S. 81 (87). So entschied das VG Düsseldorf im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes am 7.8.2015 eine Abschiebung nach Ungarn sei zu unterlassen, da „es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass eine Abschiebung nach Ungarn gegenwärtig rechtlich unmöglich ist, weil auf-grund systemischer Mängel des dortigen Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen, die ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art 4 EU-Grundrechtecharta bzw. Art 3 EMRK droht.“ (VG Düsseldorf, Beschluss vom 7.8.2015, 22 L 616/15.A, abrufbar unter juris) Das VG Dresden lehnte einen gleichlautenden Eilantrag am 9.9.2015 hingegen mit der Begründung ab: „dies würde voraussetzen , dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen in Ungarn auf Grund größerer Funktions-störungen regelhaft so defizitär wären, dass anzunehmen wäre, dass dem Antragsteller im konkreten Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht. Systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber liegen gemessen hieran in Ungarn zur Überzeugung des Gerichts nicht vor.“ (VG Dresden, Beschluss vom 9.9.2015, 2 L 719/15.A, abrufbar unter juris.) 57 Bergmann, Das Dublin-Asylsystem, ZAR 2015, S. 81 (86). 58 BVerfG, Beschluss v. 17.9.2014, Rs. 2 BvR 1795/14, abrufbar unter juris. 59 EuGH, Urt. v. 10.12.2013, Rs. C-394/12 – Abdullahi, Rn. 60. 60 OVG Schleswig-Holstein, Beschluss v. 7.4.2015, Rs. 2 LA 33/15, abrufbar unter juris. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 128/15 Seite 26 5.4.2. Gründe gegen Überstellungen bei anderer Rechtsgrundlage Fraglich ist, welche Gründe bei einer anderen Rechtsgrundlage, wie einem bilateralen Rückübernahmeabkommen , gegen eine Abschiebung geltend gemacht werden können. Stimmen in der Literatur und Menschenrechtsorganisationen plädieren dafür, dieselben Gründe wie im Rahmen einer Dublin-Rückführung als Einwände gelten zu lassen.61 6. Fazit Eine uneingeschränkte Zurückweisung bzw. Zurückschiebung oder Überstellung von Antragstellern aus dem Aufenthaltsstaat in angrenzende Dublin-Staaten steht nicht mit den Vorgaben der Dublin-III-Verordnung im Einklang. Antragsteller können, im Falle einer Anwendung der Dublin- III-Verordnung, nur in den Staat zurückgeschickt werden, der für die Prüfung ihres Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, und nur der dementsprechend zuständige Staat ist nach der Dublin-III-Verordnung zur Rücknahme von Drittstaatsangehörigen und Antragstellern verpflichtet . Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte können auf der Grundlage von bilateralen Rückübernahmeabkommen in die Staaten überstellt bzw. zurückgewiesen und -geschoben werden, die ihnen diesen Status zuerkannt haben. Drittstaatsangehörige, die in Deutschland keinen Antrag auf internationalen Schutz stellen, können nach der Rückführungsrichtlinie zurückgeführt oder gemäß § 15 AufenthG bereits an der Grenze zurückgewiesen werden. Falls statt der Rückführungsrichtlinie ein bilaterales Rückübernahmeabkommen gemäß Art. 6 Abs. 3 Rückführungsrichtlinie greift, sind auch Zurückschiebungen nach § 57 Abs. 2 AufenthG möglich. Wenn sich ein Mitgliedstaat trotz eines fehlenden Antrags für ein Vorgehen nach der Dublin-III-Verordnung entscheidet, ist nur eine Überstellung in den Mitgliedstaat möglich, der nach der Dublin-III-Verordnung für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist. - Fachbereich Europa - 61 Bender/Bethke, „Dublin III“, Eilrechtsschutz und das Comeback der Drittstaatenregelung, Asylmagazin 11/2013, S. 358 (359 f.).