© 2016 Deutscher Bundestag PE 6 - 3000 - 128/14 Besteuerung von Schulverpflegung Ausarbeitung Unterabteilung Europa Fachbereich Europa Ausarbeitungen und andere Informationsangebote des Fachbereichs Europa geben nicht die Auffassung des Deutschen Bundestages, eines seiner Organe oder der Bundestagsverwaltung wieder. Vielmehr liegen sie in der fachlichen Verantwortung der Verfasserinnen und Verfasser sowie der Fachbereichsleitung. Der Deutsche Bundestag behält sich die Rechte der Veröffentlichung und Verbreitung vor. Beides bedarf der Zustimmung der Leitung der Abteilung P, Platz der Republik 1, 11011 Berlin. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 128/14 Seite 2 Besteuerung von Schulverpflegung Aktenzeichen: PE 6 - 3000 - 128/14 Abschluss der Arbeit: 15. August 2014 Fachbereich: PE 6: Fachbereich Europa Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 128/14 Seite 3 Inhaltsverzeichnis 1. Fragestellungen 4 2. Zur ersten Frage 4 2.1. Vergleich der Aussagen des BMF mit den unionsrechtlichen Anforderungen an die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf Schul- und Kitaverpflegung 4 2.1.1. Konkrete und spezifische Aspekte 5 2.1.2. Der Grundsatz der steuerlichen Neutralität 6 2.1.2.1. Erwägungen des BMF 6 2.1.2.2. Vergleich mit den unionsrechtlichen Anforderungen 7 2.2. Bewertung 8 3. Zur zweiten Frage 8 3.1. Rechtsgrundlagen in der Rechtssache C-501/09 (Lohmeyer) 8 3.2. Rechtlicher Rahmen auf Grundlage der Richtlinie 2006/112/EG 9 4. Zur dritten Frage 10 4.1. Voraussetzungen der Richtlinie 2006/112/EG 11 4.2. Schulverpflegung Anwendungsfall des Art. 132 lit. i Richtlinie 2006/112/EG 11 4.2.1. Auslegung des Begriffs der Unterrichtstätigkeit 11 4.2.2. Schulverpflegung als eine mit der Unterrichtstätigkeit eng verbundene Leistung 12 4.2.2.1. Auslegung des Begriffs der engen Verbindung 12 4.2.2.2. Enge Verbindung aus der Einheitlichkeit der Leistung 13 4.2.2.3. Bewertung 14 4.3. Zusammenfassung 14 Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 128/14 Seite 4 1. Fragestellungen Die Ausarbeitung setzt sich mit der unionsrechtlichen Bewertung von Fragen betreffend die Besteuerung von Schulessen auseinander. In dem dann erteilten Auftrag an den Fachbereich Europa wird darauf hingewiesen, dass von der Bevölkerung als auch von den Bundesländern vermehrt die Ansicht vertreten werde, dass der Mehrwertsteuersatz für die Schul- und Kitaverpflegung von 19 auf 7 Prozent gesenkt werden müsse. Hierzu wird auf ein Schreiben der Verbraucherschutz - und Agrarministerkonferenzen von 2013 sowie auf Medienberichte1 verwiesen. Von der Bundesregierung sei dieses Ansinnen mit Verweis darauf abgelehnt worden, dass eine solche allgemeine Regelung europarechtswidrig wäre. Diesbezüglich bezieht sich der Auftrag auf ein Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) an das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (Schreiben des BMF vom 20. Februar 2014 (Anlage 1)). Vor diesem Hintergrund wird der Fachbereich um Antwort auf die folgenden Fragen gebeten: 1) Ist die juristische Bewertung des BMF (Schreiben des BMF vom 20. Februar 2014 (Anlage 1)) zur Besteuerung der Schul- und Kitaverpflegung rechtlich zwingend oder ist auch eine andere juristische Bewertung möglich? 2) Ist eine Senkung des Mehrwertsteuersteuersatzes von 19 auf 7 Prozent für die Mittagsverpflegung und damit unmittelbar verbundenen Dienstleistungen in Schulen und Kindertagesstäten durch kommerzielle Anbieter mit dem Europarecht, bei Beachtung der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes in der Sache Lohmeyer (EuGH, Urteil vom 10. März 2011, C-502/09), vereinbar? Und falls nicht, unter welchen Bedingungen wäre eine solche Regelung europarechtskonform? 3) Ist die komplette Befreiung von der Mehrwertsteuer für nicht gewinnorientierte Verpflegungsangebote in Schulen und Kindertagesstätten durch kommunale Einrichtungen oder Vereine mit dem Europarecht vereinbar? Und falls nicht, unter welchen Bedingungen wäre eine solche Regelung europarechtskonform? 2. Zur ersten Frage 2.1. Vergleich der Aussagen des BMF mit den unionsrechtlichen Anforderungen an die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf Schul- und Kitaverpflegung Die Möglichkeit eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf Schul- und Kitaverpflegung bemisst sich unionsrechtlich nach den Vorgaben der Mehrwertsteuersystemrichtlinie 2006/112/EG2 (im Folgenden: RL 2006/112/EG). Danach gilt grundsätzlich der Mehrwertsteuernormalsatz gem. Art. 96 RL 2006/112/EG für die Lieferungen von Gegenständen und für Dienstleistungen. Als 1 http://www.schulverpflegungev.net; http://www.saarland.de/102956.htm; http://www.spiegel.de/schulspiegel /wissen/steuerwirrwarr-rabatt-auf-fast-food-nicht-auf-schulessen-a-683056.html# 2 Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, ABl. L 347/1, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=CELEX:02006L0112- 20140101&qid=1408094877451&from=DE. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 128/14 Seite 5 Ausnahme von dieser Regel können die Mitgliedstaaten gem. Art. 98 Abs. 1 RL 2006/112/EG einen oder zwei ermäßigte Steuersätze anwenden. Diese ermäßigten Steuersätze sind gem. Art. 98 Abs. 2 RL 2006/112/EG nur auf diejenige Kategorien von Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen anwendbar, die in Anhang III zu Art. 98 der RL 2006/112/EG genannt sind. Die Möglichkeit eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für Schul- und Kitaverpflegung könnte sich insbesondere auf Nr. 12 a des Anhangs III (Restaurant- und Verpflegungsdienstleistungen, mit der Möglichkeit, die Abgabe von (alkoholischen und/oder alkoholfreien) Getränken auszuklammern ) stützen. Die Schul- und Kitaverpflegung betrifft jedoch nur einen Aspekt dieser Kategorie der Restaurantund Verpflegungsdienstleistungen. Wie das BMF in seinem Schreiben vom 20. Februar 2014 unter Berufung auf die Rechtsprechung des EuGH zu Art. 12 Abs. 3 lit. a UAbs. 3 der im Wesentlichen wortgleichen Vorgängervorschrift der Richtlinie 77/388/EWG3 zutreffend ausführt, kann sich der ermäßigte Satz auch nur auf einen Aspekt einer Kategorie beziehen. Der Wortlaut der Bestimmung erfordert nicht, dass sich die Ermäßigung auf alle Aspekte einer Kategorie von Leistungen beziehen muss.4 Das Unionsrecht räumt den Mitgliedstaaten vielmehr die Möglichkeit ein, konkrete und spezifische Aspekte einer Kategorie von Leistungen im Sinne des Anhangs III der Mehrwertsteuerrichtlinie mit einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz zu belegen.5 Wie vom BMF dargelegt, setzt dies zum einen voraus, dass nur konkrete und spezifische Aspekte der in Rede stehenden Kategorie von Leistungen für die Zwecke der Anwendung des ermäßigten Satzes herausgelöst werden dürfen (hierzu sogleich unter 2.1.1.). Zum anderen muss hierbei der Grundsatz der steuerlichen Neutralität beachtet werden (hierzu sogleich unter 2.1.2.). Diese Bedingungen sollen sicherstellen, dass die Mitgliedstaaten von dieser Möglichkeit nur unter Umständen Gebrauch machen, die die einfache und korrekte Anwendung des gewählten ermäßigten Satzes gewährleisten und jede Form von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung oder Missbrauch verhindern.6 2.1.1. Konkrete und spezifische Aspekte Zunächst muss sich die Schul- und Kitaverpflegung als ein konkreter und spezifischer Aspekt der Dienstleistungskategorie gem. Nr. 12a des Anhangs III zu Art. 98 der RL 2006/112/EG (Restaurant - und Verpflegungsdienstleistungen, mit der Möglichkeit, die Abgabe von (alkoholischen und/oder alkoholfreien) Getränken auszuklammern) darstellen. Hierzu müsste es sich bei der 3 Sechste Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern — Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (77/388/EWG), ABl. L 145/1, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:01977L0388-20070101&qid=1408094754832&from=DE. 4 EuGH, Rs. C-94/09 (Kommission/Frankreich), Rn. 25. 5 EuGH, Rs. C-94/09 (Kommission/Frankreich), Rn. 26 f. 6 EuGH, Rs. C-94/09 (Kommission/Frankreich), Rn. 30. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 128/14 Seite 6 Schul- und Kitaverpflegung um die Erbringung einer Dienstleistung handeln, die getrennt von den übrigen Leistungen dieser Kategorie als solche bestimmbar ist.7 Das BMF lässt diesen Punkt unter Verweis auf das Fehlen einer entsprechenden Rechtsprechung des EuGH weitgehend offen. Die Ausführungen beschränken sich auf den nachvollziehbaren Hinweis , dass die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes für Verpflegungsdienstleistungen in Schulen und Kindertagesstätten auf Grundlage der EuGH-Rechtsprechung zur selektiven Anwendung der ermäßigten Steuersätze grundsätzlich in Betracht gezogen werden könne, da hierbei andere Aspekte eine Rolle spielen dürften als bei der klassischen Bewirtung im Restaurant. 2.1.2. Der Grundsatz der steuerlichen Neutralität Die unionsrechtlichen Bedenken des BMF resultieren aus der Anwendung des steuerrechtlichen Neutralitätsgrundsatzes. Wie zutreffend vom BMF ausgeführt, verbietet es dieser Grundsatz als Ausprägung des Grundsatzes der Gleichbehandlung, dass vergleichbare Sachverhalte unterschiedlich behandelt werden, sofern eine Differenzierung nicht objektiv gerechtfertigt ist. Dementsprechend verbietet es der Grundsatz der steuerlichen Neutralität, gleichartige und deshalb miteinander in Wettbewerb stehende Waren oder Dienstleistungen hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln.8 2.1.2.1. Erwägungen des BMF Die Bedenken des BMF hinsichtlich der Vereinbarkeit der Anwendung des ermäßigten Steuersatzes für auf Schulen und Kindertagesstätten beschränkte Verpflegungsdienstleistungen mit dem Neutralitätsgrundsatz stützen sich insbesondere auf die folgenden Erwägungen: Verpflegungsdienstleistungen für Schüler würden nicht ausschließlich in Schulen angeboten. Auch Anbieter im Umkreis von Schulen dürften sich auf die Mittagsversorgung von Schülern spezialisiert haben. Diese stünden im Wettbewerb zu Anbietern, die Schüleressen in Schulen anbieten . Daher sei eine Beschränkung des ermäßigten Steuersatzes für Verpflegungsdienstleistungen , die in Schulen und Kindertagesstätten erbracht werden, unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten problematisch. Die Einbeziehung von Anbietern, die außerhalb von Schulen und Kindertagesstätten Verpflegungsleistungen für Schüler und Kinder erbringen, führte zu Abgrenzungsproblemen gegenüber der klassischen Bewirtung im Restaurant und eröffnete eventuell ein zusätzliches Missbrauchspotential . Probleme der Gleichbehandlung ergäben sich zudem aus der Darlegung, unter welchen spezifischen Aspekten nur die Verpflegung in Schulen und Kindertagesstätten, nicht aber auch bspw. 7 EuGH, Rs. C-94/09 (Kommission/Frankreich), Rn. 35; EuGH, Rs. C-454/12 (Pro Med Logistik), Rn. 47 f. 8 EuGH, verb. Rs. C-259/10 und C-260/10 (The Rank Group), Rn. 32; EuGH, Rs. C-454/12 (Pro Med Logistik), Rn. 52. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 128/14 Seite 7 die Verpflegung von Studenten und Auszubildenden an Universitäten und Berufsausbildungseinrichtungen begünstigt werden sollen. Schließlich verweist das BMF auf die deutsche Position auf EU-Ebene im Rahmen der Diskussion zur „Zukunft der Mehrwertsteuer“, wonach die MwSt vorrangig der Einnahmeerzielung und der Haushaltskonsolidierung dienen und Ausnahmen und Vergünstigungen eingeschränkt werden sollten. Eine weitere Ausdehnung des ermäßigten Satzes würde auch der vom Bundesrat unterstützten 9 „Empfehlung des Rates zum nationalen Reformprogramm 2013 mit einer Stellungnahme des Rates zum Stabilitätsprogramm Deutschlands 2013 für die Jahre 2012 bis 2017“10 zuwiderlaufen . 2.1.2.2. Vergleich mit den unionsrechtlichen Anforderungen Bei der Anwendung des steuerlichen Neutralitätsgrundsatzes (d.h. das Verbot der unterschiedlichen Behandlung von gleichartigen und damit im Wettbewerb zueinander stehenden Waren und Dienstleistungen) stellt sich zunächst die Frage der Gleichartigkeit der in Rede stehenden Dienstleistungen . Nach der Rechtsprechung des EuGH ist hierzu primär auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen, wobei künstliche, auf unbedeutenden Unterschieden beruhende Unterscheidungen vermieden werden müssen.11 Zwei Dienstleistungen sind danach gleichartig, wenn sie ähnliche Eigenschaften haben, beim Verbraucher in der Verwendung denselben Bedürfnissen dienen und wenn die bestehenden Unterschiede die Entscheidung des Durchschnittsverbrauchers, die eine oder die andere dieser Dienstleistungen zu wählen, nicht erheblich beeinflussen.12 Dabei kommt es für die Beurteilung der Vergleichbarkeit von Leistungen nicht allein auf die Gegenüberstellung einzelner Leistungen an, sondern es ist der Kontext zu berücksichtigen, in dem sie erbracht werden.13 Hierbei können beispielsweise auch die unterschiedlichen rechtlichen Anforderungen berücksichtigt werden, denen die verschiedenen Dienstleistungen unterliegen, die in den Augen der Durchschnittsverbraucher die eine von der anderen unterscheiden und dadurch auf die Entscheidung der Wahl der einen oder anderen Dienstleistung maßgeblichen Einfluss haben kann.14 Vor diesem Hintergrund stellen sich die vom BMF angesprochenen Verpflegungsdienstleistungsarten innerhalb und außerhalb von Schulden bzw. Kindertagesstätten insbesondere im Hinblick auf das Kriterium der Verpflegung als grundsätzlich gleichwertig dar. Unterschiede hinsichtlich 9 BR-Drs. 471/13. 10 KOM(2013) 355 endg., S. 6, abrufbar unter http://ec.europa.eu/europe2020/pdf/nd/csr2013_germany_de.pdf. 11 EuGH, verb. Rs. C-259/10 und C-260/10 (The Rank Group), Rn. 43 mwN; ; EuGH, Rs. C-454/12 (Pro Med Logistik ), Rn. 53. 12 EuGH, verb. Rs. C-259/10 und C-260/10 (The Rank Group), Rn. 44 mwN. 13 EuGH, Rs. C-357/07 (TNT Post UK), Rn. 38; EuGH, Rs. C-454/12 (Pro Med Logistik), Rn. 54 f. 14 EuGH, Rs. C-454/12 (Pro Med Logistik), Rn. 57 ff. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 128/14 Seite 8 der Gleichartigkeit der Dienstleistung ließen sich potenziell mit einer unterschiedlichen wirtschaftlichen Zielrichtung der jeweiligen Verpflegungsdienstleistung (also bspw. Gewerbebetrieb einerseits, Zweckbetrieb im Sinne von § 68 AO15 andererseits) oder einer spezifischen landesgesetzlichen Grundlage und Organisation für Schulspeisungen16 begründen. Aus hiesiger Sicht erscheint es jedoch nicht zwingend, dass diese Unterschiede dazu geeignet sind, Durchschnittsverbraucher dahingehend zu beeinflussen, ob die eine oder andere Art von Verpflegung gewählt wird. 2.2. Bewertung In Ermangelung einer entsprechenden Rechtsprechung zur Anwendung des ermäßigten Steuersatzes gem. Nr. 12a des Anhangs III zu Art. 98 der RL 2006/112/EG auf Verpflegungsdienstleistungen , die auf Schulen und Kindertagesstätten beschränkt sind, sowie im Hinblick auf spezifische Anwendung des steuerlichen Neutralitätsgrundsatzes ist die juristische Bewertung des BMF auch einer abweichenden Auslegung zugänglich. Insbesondere die Gleichartigkeit der Leistungen zwischen Verpflegungsanbietern in Schulen bzw. Kindertagesstätten und in deren Umfeld stellt sich angesichts der vorstehenden Maßstäbe als eine Frage dar, die einer juristischen Abwägung zugänglich sind und damit auch zu einem abweichenden Ergebnis führen können. Jedoch weist das BMF insbesondere im Hinblick auf die Wettbewerbssituation zwischen Anbietern von Verpflegung innerhalb und außerhalb von Schulen bzw. Kindertagesstätten auf die problematische Vereinbarkeit einer steuerlichen Begünstigung für Anbieter in Schulen bzw. Kindertagesstätten mit dem steuerlichen Neutralitätsgrundsatz hin. Auch diese Bedenken sind zwar prinzipiell einer anderen juristischen Bewertung zugänglich, lassen sich jedoch vor dem Hintergrund der unter 2.1.2.2. dargestellten Maßstäbe schwerlich widerlegen. Die Hinweise des BMF auf die deutsche Position im Rahmen der Diskussion zur „Zukunft der Mehrwertsteuer“ sowie auf das nationale Reform- bzw. Stabilitätsprogramm stellen hingegen primär politische Erwägungen dar, die einer Anwendung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes auf die Verpflegung in Schulen und Kindertagesstätten nicht entgegenstehen. 3. Zur zweiten Frage 3.1. Rechtsgrundlagen in der Rechtssache C-501/09 (Lohmeyer) Die Frage, ob eine Senkung des Mehrwertsteuersatzes von 19 auf 7 Prozent für die Mittagsverpflegung und damit unmittelbar verbundener Dienstleistungen in Schulen und Kindertagesstätten durch kommerzielle Anbieter mit dem Unionsrecht vereinbar ist, wird im Rahmen der Auftragserteilung mit der Entscheidung des EuGH vom 10. März 2011 in der Rechtssache 15 Abgabenordnung (AO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 1. Oktober 2002 (BGBl. I S. 3866; 2003 I S. 61), zuletzt geändert durch Artikel 16 des Gesetzes vom 25. Juli 2014 (BGBl. I S. 1266). 16 Vgl. beispielsweise das Gesetz über die Qualitätsverbesserung des Schulmittagessens vom 26. Juni 2013, Gesetzund Verordnungsblatt für Berlin, 69. Jahrgang, Nr. 16, 9. Juli 2013, S. 199 sowie hierzu Abgeordnetenhaus Berlin , Drucksache 17/0894, abrufbar unter http://www.parlament-berlin.de/ados/17/IIIPlen/vorgang/d17-0894.pdf. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 128/14 Seite 9 C-501/09 (Lohmeyer)17 verbunden. Diese Entscheidung betraf u.a. die Frage, ob verschiedene Tätigkeiten der Abgabe zubereiteter Speisen bzw. Nahrungsmittel zum sofortigen Verzehr des Art. 5 der Richtlinie 77/388/EWG unterfallen oder eine Dienstleistung im Sinne des Art. 6 dieser Richtlinie darstellen und ob sie, falls es sich dabei um eine Lieferung von Gegenständen handelt, als Verkauf von „Nahrungsmitteln“ im Sinne von Anhang H Kategorie 1 der Richtlinie 77/388/EWG dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz nach den deutschen Rechtsvorschriften unterliegen. Die der Entscheidung Lohmeyer zugrundeliegende Richtlinie 77/388/EWG bestimmte in Art. 2 Nr. 1, dass Lieferungen von Gegenständen18 und Dienstleistungen19 der Mehrwertsteuer unterliegen . Art. 12 Abs. 3 lit. a RL 77/388/EWG erlaubte den Mitgliedstaaten die Anwendung ermäßigter Mehrwertsteuersätze auf Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen der in Anhang H der Richtlinie 77/388/EWG genannten Kategorien. Die Möglichkeit, einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz in Schulen und Kindertagesstätten einzuführen , bestand auf Grundlage des für die Entscheidung C-501/09 anwendbaren Rechts nur für die Lieferung von Nahrungsmitteln im Sinne der Kategorie 1 des Anhangs H („Nahrungs- und Futtermittel (einschließlich Getränke, alkoholische Getränke jedoch ausgenommen), „üblicherweise für die Zubereitung von Nahrungs- und Futtermitteln verwendete Zutaten, üblicherweise als Zusatz oder als Ersatz für Nahrungs- und Futtermittel verwendete Erzeugnisse“). Daneben enthielt die Richtlinie 77/388/EWG keine Kategorie, die ausdrücklich die Zubereitung von Essen als Dienstleistung betraf. Dementsprechend kam es für die Anwendung eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes in der Entscheidung C-501/09 darauf an, zwischen der Lieferung von Speisen und sonstigen Dienstleitungen zu unterscheiden, welche im Sinne der Richtlinie 77/388/EWG nicht steuerbegünstigt waren. 3.2. Rechtlicher Rahmen auf Grundlage der Richtlinie 2006/112/EG Für die Frage der Möglichkeit einer Senkung des Mehrwertsteuersatzes von 19 auf 7 Prozent für die Mittagsverpflegung und damit unmittelbar verbundene Dienstleistungen in Schulen und Kindertagesstätten ist nunmehr die Richtlinie 2006/112/EG in der durch die Richtlinie 2009/47/EG20 im Hinblick auf ermäßigte Mehrwertsteuersätze geänderten Fassung heranzuziehen. Danach können die Mitgliedstaaten einen ermäßigten Steuersatz für „Restaurant- und Verpflegungsdienstleistungen “ einführen. 17 Die Rechtssache C-501/09 (Lohmeyer) ist Teil der Entscheidung EuGH, verb. Rs. C-497/09, C-499/09, C-501/09 und C-502/09 (Finanzamt Burgdorf u.a.). 18 Art 5 Abs. 2 RL 77/388/EWG definierte den Begriff der Lieferung eines Gegenstandes als die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen. 19 Art 6 Abs. 1 RL 77/388/EWG definierte den Begriff der Dienstleistung als jede Leistung, die keine Lieferung eines Gegenstandes im Sinne des Art. 5 ist. 20 Richtlinie 2009/47/EG des Rates vom 5. Mai 2009 zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG in Bezug auf ermäßigte Mehrwertsteuersätze, ABl. L 116/18, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/legal-content /DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32009L0047&qid=1408095663356&from=DE. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 128/14 Seite 10 Wie bereits in der Vorgängerregelung die Richtlinie 77/388/EWG, unterliegt auch nach der Richtlinie 2006/112/EG die Lieferung von Gegenständen21 (Art. 2a) und von Dienstleistungen22 (Art. 2c) dem Regelmehrwertsteuersatz. Von dieser Regelbesteuerung kann gem. Art 98 Abs. 1 und 2 in den in Anhang III der RL 2006/112/EG aufgelisteten Kategorien zugunsten eines ermäßigten Mehrwertsteuersatzes abgewichen werden. Die Kategorie in Nr. 1 des Anhangs III der Richtlinie betrifft entsprechend der Vorgängerregelung den Bereich der Nahrungsmittel. Nr. 12a sieht nunmehr auch die Kategorie „Restaurant- und Verpflegungsleistungen, mit der Möglichkeit, die Abgabe von (alkoholischen und /oder alkoholfreien) Getränken auszuklammern“ vor. Die Unionsrechtskonformität einer Senkung des Mehrwertsteuersatzes von 19 auf 7 Prozent für die Mittagsverpflegung und damit unmittelbar verbundene Dienstleistungen in Schulen und Kindertagesstätten durch kommerzielle Anbieter bemisst sich somit nach den vorstehenden Maßstäben und erscheint grundsätzlich möglich. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass das die Regeln der Richtlinie 2006/112/EG in nationales Recht umsetzende UStG23 festlegt, dass der ermäßigte Mehrwertsteuersatz nur auf die Lieferung von Zubereitungen von bestimmten Speisen anwendbar ist. Zudem stellen Schulspeisungen nach Maßgabe des UStG eine sonstige Leistung dar, wobei sich die Bestimmungen des UStG auf die vom EuGH für die Differenzierung zwischen Lieferung und Dienstleistung aufgestellten Grundsätze stützen. Vor diesem Hintergrund bedürfte es einer entsprechenden Reform des UStG, damit die Schulverpflegung entsprechend der Rechtssache C- 501/09 (Lohmeyer) als Verpflegungsdienstleistung dem ermäßigten Steuersatz unterfallen kann. 4. Zur dritten Frage Eine komplette Befreiung von der Mehrwertsteuer für nicht gewinnorientierte Verpflegungsangebote in Schulen und Kindertagesstätten durch kommunale Einrichtungen oder Vereine erscheint nicht mit dem Unionsrecht und insbesondere den Vorgaben der Richtlinie 2006/112/EG vereinbar . Dies beruht auf dem Umstand, dass das gemeinsame Mehrwertsteuersystem einen differenzierten Ausgleich zwischen dem Grundsatz der Generierung von Steueraufkommen einerseits und der ausnahmsweisen Steuerreduzierung und Steuerbefreiung auf der anderen Seite schafft. Auf Grundlage dieser Systementscheidung sieht das gemeinsame Mehrwertsteuersystem differenzierende Regelungen für die steuerliche Begünstigung von Verpflegungsangeboten vor, die einer generellen Befreiung widersprechen. Dies betrifft insbesondere den Umstand, dass es sich bei der Verpflegung regelmäßig um einen Nebenaspekt der steuerlich grundsätzlich eigenständig zu behandelnden Hauptleistung Unterricht bzw. Kinderbetreuung darstellt. Dieser Befund soll im Folgenden beispielhaft an der Möglichkeit einer Steuerbefreiung für Schulverpflegung dargestellt werden. 21 Art 14 Abs. 1 der Richtlinie definiert die „Lieferung von Gegenständen“ als die Übertragung der Befähigung, wie ein Eigentümer über einen körperlichen Gegenstand zu verfügen. 22 Art 24 der Richtlinie definiert „Dienstleistung“ als jeder Umsatz, der keine Lieferung von Gegenständen ist. 23 Umsatzsteuergesetz (UStG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. Februar 2005 (BGBl. I S. 386), zuletzt geändert durch Artikel 9 des Gesetzes vom 25. Juli 2014 (BGBl. I S. 1266). Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 128/14 Seite 11 4.1. Voraussetzungen der Richtlinie 2006/112/EG Die Möglichkeit einer Befreiung von der Mehrwertsteuer ist in Titel IX, Kapitel 2 der Richtlinie 2006/112/EG für bestimmte, dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten vorgesehen. Art. 132 der Richtlinie 2006/112/EG enthält eine abschließende Auflistung der gemeinnützigen Tätigkeiten, für die Steuerbefreiungen möglich sind. Nicht gewinnorientierte Verpflegungsangebote in Schulen und Kindertagesstätten könnten den Buchstaben i) sowie g) und h) des Art. 132 unterfallen: g) eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen, die durch Altenheime, Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden, h) die eng mit der Kinder- und Jugendbetreuung verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen ; i) die Erziehung von Kindern und Jugendlichen, den Schul- oder Hochschulunterricht, die Ausbildung, die Fortbildung oder die berufliche Umschulung sowie die damit eng verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen durch Einrichtungen des öffentlichen Rechts, die mit solchen Aufgaben betraut sind, oder andere Einrichtungen mit von dem betreffenden Mitgliedstaat anerkannter vergleichbarer Zielsetzung; 4.2. Schulverpflegung Anwendungsfall des Art. 132 lit. i Richtlinie 2006/112/EG Eine Mehrwertsteuerbefreiung für nicht gewinnorientierte Verpflegungsangebote in Schulen und Kindergärten könnte auf die Vorrausetzungen des Art. 132 lit. i Richtlinie 2006/112/EG gestützt werden. Das setzt voraus, dass Schulverpflegung von den Begriffen „Erziehung von Kindern und Jugendlichen, Schul- und Hochschulunterricht, Aus- und Fortbildung sowie berufliche Umschulung “ umfasst sind. 4.2.1. Auslegung des Begriffs der Unterrichtstätigkeit Die Bestimmung enthält selber keine Definition der verschiedenen Unterrichtsformen.24 Bei der autonomen Auslegung der in Art. 132 Richtlinie 2006/112/EG genannten Fälle für Steuerbefreiungen soll eine zwischen den Mitgliedstaaten unterschiedliche Anwendung des Mehrwertsteuersystems vermieden werden.25 Als Ausnahmen vom allgemeinen Grundsatz der Mehrwertsteuerpflichtigkeit der entgeltlichen Erbringung einer Dienstleistung sind die Begriffe grundsätzlich eng 24 Zu Art. 13 Teil A Abs. 1 lit. i Richtlinie 77/388/EWG vgl. EuGH, Rs. C-434/05 (Horizon Colleg), Rn. 17. 25 EuGH, Rs. C-349/96 (CPP), Rn. 15; EuGH, Rs. C-240/99 (Skandia), Rn. 23; EuGH, Rs. C-287/00 (Kommission /Deutschland), Rn. 44; EuGH, Rs. C-434/05 (Horizon Colleg), 15. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 128/14 Seite 12 auszulegen.26 Die Auslegung dieser Begriffe muss dabei mit den Zielen in Einklang stehen, die mit den Befreiungen verfolgt werden, und zugleich den Erfordernissen des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität entsprechen.27 Dementsprechend darf eine enge Auslegung nicht dazu führen , dass den in Art. 13 genannten Befreiungen ihre Wirkung genommen wird.28 Vor diesem Hintergrund hat der EuGH zur Bestimmung des Begriffs der Unterrichtstätigkeit festgestellt , dass die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten an die Studierenden ein besonders wichtiger Bestandteil der Unterrichtstätigkeit sei.29 Zudem bestehe die Unterrichtstätigkeit aus einer Gesamtheit von Elementen, zu denen nicht nur die zwischen den Unterrichtenden und den Studierenden zustande kommenden Beziehungen, sondern auch solche zählen, die den organisatorischen Rahmen der jeweiligen Einrichtung ausmachen.30 Nach der vorstehenden Auslegung lässt sich die Schulverpflegung potenziell zum organisatorischen Rahmen der Schule zählen, betrifft jedoch nicht direkt die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten im Sinne einer Unterrichtstätigkeit und fällt somit nicht unmittelbar unter die Begriffe der Erziehung von Kindern und Jugendlichen, Schul- und Hochschulunterricht, Ausund Fortbildung sowie berufliche Umschulung gemäß Art. 132 Richtlinie 2006/112/EG. 4.2.2. Schulverpflegung als eine mit der Unterrichtstätigkeit eng verbundene Leistung Die Schulverpflegung könnte jedoch als eine nach Art. 132 Abs.1 lit. i) Richtlinie 2006/112/EG mit der Erziehung von Kindern und Jugendlichen, Schul- und Hochschulunterricht, Aus- und Fortbildung sowie berufliche Umschulung eng verbundene Dienstleistung oder Lieferung von Gegenständen anzusehen sein. 4.2.2.1. Auslegung des Begriffs der engen Verbindung Diese eng verbunden Leistungen beziehen sich nicht auf Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, die gar keine Verbindung zum Unterricht aufweisen.31 Der Begriff der engen Verbindung verlangt keine restriktive Auslegung. Ausgehend vom Sinn und Zweck der Steuerbefreiung hat der EuGH einer Entscheidung betreffend die Besteuerung von Forschungsvorhaben festgestellt , dass durch die Befreiung der mit dem Hochschulunterricht eng verbundenen Dienstleistungen gewährleistet werden soll, dass der Zugang zum Hochschulunterricht nicht durch die hö- 26 EuGH, Rs. 348/87 (Stichting Uitvoering Financiële Acties), Rn. 13; EuGH, Institute of the Motor Industry), Rn. 17; EuGH, EuGH, Rs. C-287/00 (Kommission/Deutschland), Rn. 42. 27 EuGH, Rs. C-287/00 (Kommission/Deutschland), Rn. 43; EuGH, Rs. C-434/05 (Horizon Colleg), Rn. 16. 28 EuGH, Rs. C-434/05 (Horizon Colleg), Rn. 16. 29 EuGH, Rs. C-434/05 (Horizon Colleg), Rn. 18 30 EuGH, Rs. C-434/05 (Horizon Colleg), Rn. 20. 31 EuGH, Rs. C-434/05 (Horizon Colleg), Rn. 27. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 128/14 Seite 13 heren Kosten versperrt wird, die entstünden, wenn dieser selbst oder die eng mit ihm verbundenen Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen der Mehrwertsteuer unterworfen wären .32 Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen können in der Auslegung des EuGH zudem nur dann als mit dem Unterricht „eng verbunden“ angesehen werden, wenn sie tatsächlich als Nebenleistungen zur Hauptleistung Unterricht erbracht werden.33 Eine Leistung ist dann als Nebenleistung zu einer Hauptleistung anzusehen, wenn sie keinen eigenen Zweck erfüllt, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung unter den bestmöglichen Bedingungen zu erhalten.34 Hierfür ist nicht entscheidend, ob zwischen der Haupttätigkeit der Einrichtung und der von ihr erbrachten Nebenleistung eine unmittelbare Verbindung besteht.35 „Eng verbundene“ Umsätze sind nur dann steuerfrei, wenn diese Leistung unerlässlich ist.36 4.2.2.2. Enge Verbindung aus der Einheitlichkeit der Leistung Zudem könnte sich die enge Verbindung aus der Einheitlichkeit der Leistung ergeben. Bei einem Umsatz, der verschiedene Einzelleistungen und Handlungen umfasst, ist eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen, um zu bestimmen, ob zwei oder mehr getrennte Leistungen vorliegen oder eine einheitliche Leistung und ob im letztgenannten Fall diese einheitliche Leistung unter die jeweilige Steuerbefreiung fällt.37 Eine einheitliche Leistung liegt dann vor, wenn zwei oder mehr Handlungen oder Einzelleistungen des Steuerpflichtigen für den Kunden so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv einen einzigen untrennbaren wirtschaftlichen Vorgang bilden, dessen Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre.38 Zudem liegt eine einheitliche Leistung vor, wenn ein oder mehrere Teile die Hauptleistung bilden, andere Teile dagegen als eine oder mehrere Nebenleistungen anzusehen sind, die das steuerrechtliche Schicksal der Hauptleistung teilt.39 Hierbei ist der dominierende Bestandteil aus der Sicht des Durchschnittsverbrauchers und – im Rahmen einer Gesamtbetrachtung – mit Rücksicht auf die qualitative und nicht nur quantitative Bedeutung der Bestandteile 32 EuGH, Rs. C-287/00 (Kommission/Deutschland), Rn. 47 sowie entsprechend zu Artikel 13 Teil A Absatz 1 lit. b der Richtlinie 77/388/EWG vgl. EuGH, Rs. C-76/99 (Kommission/Frankreich), 23. 33 EuGH, Rs. C-76/99 (Kommission/Frankreich), Rn. 27 ff., EuGH, Rs. C-45/01 (Dornier), Rn. 34 f.; EuGH, verb. Rs. C-394/04 und C-395/04 (Ygeia), Rn. 17 f. 34 EuGH, verb. Rs. C-308/96 und C-94/97 (Madgett und Baldwin), Rn. 24; EuGH, Rs. C-45/01 (Dornier), Rn. 34; EuGH, verb. Rs. C-394/04 und C-395/04 (Ygeia), Rn. 19. 35 EuGH, Rs. C-434/05 (Horizon College), Rn. 32. 36 EuGH, Rs. C-434/05 (Horizon College), Rn. 32. 37 EuGH, Rs. C-18/12 (Město Žamberk), Rn 27. 38 EuGH, Rs. C-425/06 (Part Service), Rn. 43. 39 EuGH, Rs. C-18/12 (Město Žamberk), Rn 29. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 128/14 Seite 14 des jeweiligen Steuerbefreiungstatbestandes gem. Art. 132 Richtlinie 2006/112/EG im Vergleich zu den nicht unter diese Befreiung fallenden Bestandteilen zu bestimmen.40 4.2.2.3. Bewertung Vom Sinn und Zweck der Steuerbefreiung würde der Schulunterricht zwar nicht durch höhere Kosten versperrt. Jedoch wird die Unterrichtstätigkeit hauptsächlich bestimmt durch die Vermittlung von Kenntnissen und Fähigkeiten an die Schüler.41 Die Verpflegung in Schulen ist ein von der Vermittlung von Wissen verschiedener Zweck, sofern nicht die Zubereitung von Mahlzeiten selbst Gegenstand des Unterrichts ist. Aus dem Merkmal der Einheitlichkeit der Leistung folgt, dass, wenn eine Leistung auch Teile umfasst, die nicht mit der Unterrichtstätigkeit in Zusammenhang stehen, sämtliche Umstände, unter denen der Umsatz abgewickelt wird, zu berücksichtigen sind, um dessen charakteristische Bestandteile zu ermitteln und darunter die dominierenden Bestandteile zu bestimmen. Vor dem Hintergrund der Maßstäbe für eine einheitliche Leistung stellt sich die Frage, ob der Unterricht und die Schulverpflegung eine Gesamtheit bilden, so dass der Zugang zu dieser Gesamtheit eine einzige Leistung darstellt, deren Ausspaltung wirklichkeitsfremd wäre.42 Dies ist im Fall der Schulverpflegung jedoch kein zwingender Schluss, da der Unterricht sowohl qualitativ als auch quantitativ der dominierende Bestandteil der Leistung ist und das Angebot von Schulverpflegung grundsätzlich keine Auswirkungen auf den Unterricht hat – wobei der Aspekt der Unerlässlichkeit im Fall von Ganztagsschulen eine andere Bewertung erfahren könnte.43 4.3. Zusammenfassung Die vorstehenden Ausführungen verdeutlichen, dass sich der Lebenssachverhalt der Schulverpflegung uneinheitlich darstellt und es somit auf den konkreten Einzelfall ankommt, ob eine Steuerbefreiung auf Grundlage des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems gewährt werden kann. Der gleiche Befund ergibt sich auch für die Steuerbefreiungstatbestände des Art. 132 lit. h Richtlinie 2006/112/EG (Sozialfürsorge und soziale Sicherheit)44 und des Art. 132 lit. g Richtlinie 2006/112/EG (Kinder- und Jugendbetreuung)45 bezüglich der Betreuung von Kindern und Jugendlichen in der Schule und im Hort. 40 EuGH, Rs. C-276/09 (Everything Everywhere), Rn. 26. 41 EuGH, Rs. C-434/05 (Horizon College), Rn. 18. 42 EuGH, Rs. C-434/05 (Horizon College), Rn. 32; EuGH, Rs. C-18/12 (Město Žamberk), Rn 32. 43 Vgl. BFH, Urteil V R 12/10, BFHE 231, 349, Ziff. II 3 b; BFH, Urteil vom 12.2.2009, BStBl. II, S. 667, wonach Verpflegungsleistungen durch einen privaten Förderverein besteuerbar und steuerpflichtig sind, da der Verein alleine mit der Bewirtung der Schüler und nicht mit deren Erziehung und Ausbildung im Sinne von § 4 Nr. 23 UStG befasst ist; vgl. hierzu Oberfinanzdirektion Frankfurt, Verfügung betr. umsatzsteuerliche Behandlung der entgeltlichen Verpflegung von Lehrern und Schülern durch Schulfördervereine vom 14.1.2014, MWStR S. 217. 44 Zum Begriff einer Einrichtungen mit sozialem Charakter vgl. EuGH, Rs. C-498/03 (Kingscrest Associates Ltd. und Montecello Ltd.), Rn. 48 ff. 45 Vgl. hierzu EuGH, Rs. C-434/05 (Horizon College), Rn. 17. Fachbereich Europa Ausarbeitung PE 6 - 3000 - 128/14 Seite 15 - Fachbereich Europa -